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Document 62012CJ0085

    Leitsätze des Urteils

    Court reports – general

    Rechtssache C‑85/12

    LBI hf

    gegen

    Kepler Capital Markets SA und Frédéric Giraux

    (Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Frankreich])

    „Vorabentscheidungsersuchen — Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten — Richtlinie 2001/24/EG — Art. 3, 9 und 32 — Rechtsakt des nationalen Gesetzgebers, mit dem Sanierungsmaßnahmen die Wirkungen eines Liquidationsverfahrens beigelegt werden — Rechtsvorschrift, mit der nach dem Inkrafttreten eines Moratoriums jedes Gerichtsverfahren gegen ein Kreditinstitut verboten oder ausgesetzt wird“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 24. Oktober 2013

    1. Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Kreditinstitute – Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten – Richtlinie 2001/24 – Geltungsbereich – Gegenseitige Anerkennung der von den Verwaltungsbehörden oder Gerichten ergriffenen Sanierungs- und Liquidationsmaßnahmen – Internationale Banken- und Finanzkrise – Rechtsakt des Gesetzgebers, der Sanierungsmaßnahmen Wirkungen eines Liquidationsverfahrens beilegt und seine Wirkungen nur auf dem Weg über Gerichtsentscheidungen entfaltet – Einbeziehung

      (Richtlinie 2001/24 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 und 9)

    2. Vorabentscheidungsverfahren – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Fragen, die im Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen

      (Art. 267 AEUV)

    3. Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Kreditinstitute – Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten – Richtlinie 2001/24 – Nationale Regelung, nach der jedes Gerichtsverfahren gegen ein Finanzinstitut verboten oder ausgesetzt wird, wenn dieses einem Moratorium unterliegt – Wirkungen gegenüber in einem anderen Mitgliedstaat ergriffenen Sicherungsmaßnahmen – Zulässigkeit

      (Richtlinie 2001/24 des Europäischen Parlaments und des Rates, 30. Erwägungsgrund und Art. 32)

    1.  Die Art. 3 und 9 der Richtlinie 2001/24 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten sind dahin auszulegen, dass vom Gesetzgeber ergriffene Sanierungs- oder Liquidationsmaßnahmen, mit denen einem Moratorium unterliegende Kreditinstitute einer Regelung unterworfen werden, der bestimmte mit einem Liquidationsverfahren verbundene Wirkungen beigelegt werden, als Maßnahmen zu betrachten sind, die im Sinne dieser Artikel der Richtlinie 2001/24 von einer Behörde oder einem Gericht ergriffen wurden, da diese Übergangsbestimmungen ihre Wirkungen nur über gerichtliche Entscheidungen, mit denen einem Kreditinstitut ein Moratorium bewilligt wurde, entfalten.

      Es sind nämlich die von den Behörden und Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats beschlossenen Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen, die – mit den Wirkungen, die ihnen das Recht dieses Mitgliedstaats beilegt – nach der Richtlinie 2001/24 gegenseitig anerkannt werden. So bestimmen sich die Wirkungen, die von den Behörden oder Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats ergriffene Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen in den anderen Mitgliedstaaten der Union entfalten können, gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/24 nach dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats. Daher hindert diese Richtlinie diesen Mitgliedstaat nicht daran, die auf solche Maßnahmen anwendbaren Regelungen auch rückwirkend zu ändern.

      Ferner werden, wie aus den erwähnten Bestimmungen hervorgeht, im Rahmen des mit der Richtlinie 2001/24 eingeführten Systems die Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen des Herkunftsmitgliedstaats ohne weitere Formalität anerkannt. Insbesondere macht diese Richtlinie die Anerkennung von Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen nicht von der Voraussetzung abhängig, dass sie mit einem Rechtsbehelf angefochten werden können. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 kann auch der Aufnahmemitgliedstaat diese Anerkennung nicht von einer solchen Voraussetzung abhängig machen, die möglicherweise in seiner nationalen Regelung vorgesehen ist.

      (vgl. Randnrn. 28, 30, 38, 40, 42, Tenor 1)

    2.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Randnrn. 45, 46)

    3.  Art. 32 der Richtlinie 2001/24, der die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten betrifft, ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass eine nationale Bestimmung über Finanzinstitute, nach der jedes Gerichtsverfahren gegen ein Finanzinstitut verboten oder ausgesetzt wird, wenn dieses einem Moratorium unterliegt, seine Wirkungen gegenüber Sicherungsmaßnahmen entfaltet, die vor der Verfügung des Moratoriums in einem anderen Mitgliedstaat ergriffen wurden. Diese Bestimmung stellt eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung dar, wonach die Wirkungen der Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats geregelt werden, und ist eng auszulegen.

      Die Bedeutung dieser Bestimmung wird durch deren 30. Erwägungsgrund verdeutlicht, in dem zwischen anhängigen Rechtsstreitigkeiten und Einzelvollstreckungsmaßnahmen unterschieden wird. Daher ist für die Bestimmung des auf die Wirkungen von Sanierungsmaßnahmen oder eines Liquidationsverfahrens anwendbaren Rechts zwischen anhängigen Rechtsstreitigkeiten und Einzelvollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit diesen Rechtsstreitigkeiten zu unterscheiden, wobei die letztgenannten Maßnahmen nach der in der Richtlinie 2001/24 aufgestellten allgemeinen Regel durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats geregelt werden. Daher erfasst der Begriff „anhängiger Rechtsstreit“ nur das Verfahren in der Hauptsache.

      Maßnahmen, die bewirken, dass einem Kreditinstitut die freie Verfügung über einen Teil seines Vermögens entzogen wird, bis ein Rechtsstreit mit einem seiner Gläubiger in der Hauptsache entschieden wird, stellen Einzelvollstreckungsmaßnahmen dar. Deshalb werden solche Sicherungsmaßnahmen nicht von Art. 32 der Richtlinie 2001/24 erfasst, sondern durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats als lex concursus geregelt.

      (vgl. Randnrn. 52-54, 56, 58, Tenor 2)

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    Rechtssache C‑85/12

    LBI hf

    gegen

    Kepler Capital Markets SA und Frédéric Giraux

    (Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Frankreich])

    „Vorabentscheidungsersuchen — Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten — Richtlinie 2001/24/EG — Art. 3, 9 und 32 — Rechtsakt des nationalen Gesetzgebers, mit dem Sanierungsmaßnahmen die Wirkungen eines Liquidationsverfahrens beigelegt werden — Rechtsvorschrift, mit der nach dem Inkrafttreten eines Moratoriums jedes Gerichtsverfahren gegen ein Kreditinstitut verboten oder ausgesetzt wird“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 24. Oktober 2013

    1. Niederlassungsfreiheit — Freier Dienstleistungsverkehr — Kreditinstitute — Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten — Richtlinie 2001/24 — Geltungsbereich — Gegenseitige Anerkennung der von den Verwaltungsbehörden oder Gerichten ergriffenen Sanierungs- und Liquidationsmaßnahmen — Internationale Banken- und Finanzkrise — Rechtsakt des Gesetzgebers, der Sanierungsmaßnahmen Wirkungen eines Liquidationsverfahrens beilegt und seine Wirkungen nur auf dem Weg über Gerichtsentscheidungen entfaltet — Einbeziehung

      (Richtlinie 2001/24 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 und 9)

    2. Vorabentscheidungsverfahren — Zulässigkeit — Voraussetzungen — Fragen, die im Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen

      (Art. 267 AEUV)

    3. Niederlassungsfreiheit — Freier Dienstleistungsverkehr — Kreditinstitute — Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten — Richtlinie 2001/24 — Nationale Regelung, nach der jedes Gerichtsverfahren gegen ein Finanzinstitut verboten oder ausgesetzt wird, wenn dieses einem Moratorium unterliegt — Wirkungen gegenüber in einem anderen Mitgliedstaat ergriffenen Sicherungsmaßnahmen — Zulässigkeit

      (Richtlinie 2001/24 des Europäischen Parlaments und des Rates, 30. Erwägungsgrund und Art. 32)

    1.  Die Art. 3 und 9 der Richtlinie 2001/24 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten sind dahin auszulegen, dass vom Gesetzgeber ergriffene Sanierungs- oder Liquidationsmaßnahmen, mit denen einem Moratorium unterliegende Kreditinstitute einer Regelung unterworfen werden, der bestimmte mit einem Liquidationsverfahren verbundene Wirkungen beigelegt werden, als Maßnahmen zu betrachten sind, die im Sinne dieser Artikel der Richtlinie 2001/24 von einer Behörde oder einem Gericht ergriffen wurden, da diese Übergangsbestimmungen ihre Wirkungen nur über gerichtliche Entscheidungen, mit denen einem Kreditinstitut ein Moratorium bewilligt wurde, entfalten.

      Es sind nämlich die von den Behörden und Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats beschlossenen Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen, die – mit den Wirkungen, die ihnen das Recht dieses Mitgliedstaats beilegt – nach der Richtlinie 2001/24 gegenseitig anerkannt werden. So bestimmen sich die Wirkungen, die von den Behörden oder Gerichten des Herkunftsmitgliedstaats ergriffene Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen in den anderen Mitgliedstaaten der Union entfalten können, gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/24 nach dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats. Daher hindert diese Richtlinie diesen Mitgliedstaat nicht daran, die auf solche Maßnahmen anwendbaren Regelungen auch rückwirkend zu ändern.

      Ferner werden, wie aus den erwähnten Bestimmungen hervorgeht, im Rahmen des mit der Richtlinie 2001/24 eingeführten Systems die Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen des Herkunftsmitgliedstaats ohne weitere Formalität anerkannt. Insbesondere macht diese Richtlinie die Anerkennung von Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen nicht von der Voraussetzung abhängig, dass sie mit einem Rechtsbehelf angefochten werden können. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 kann auch der Aufnahmemitgliedstaat diese Anerkennung nicht von einer solchen Voraussetzung abhängig machen, die möglicherweise in seiner nationalen Regelung vorgesehen ist.

      (vgl. Randnrn. 28, 30, 38, 40, 42, Tenor 1)

    2.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Randnrn. 45, 46)

    3.  Art. 32 der Richtlinie 2001/24, der die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten betrifft, ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass eine nationale Bestimmung über Finanzinstitute, nach der jedes Gerichtsverfahren gegen ein Finanzinstitut verboten oder ausgesetzt wird, wenn dieses einem Moratorium unterliegt, seine Wirkungen gegenüber Sicherungsmaßnahmen entfaltet, die vor der Verfügung des Moratoriums in einem anderen Mitgliedstaat ergriffen wurden. Diese Bestimmung stellt eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung dar, wonach die Wirkungen der Sanierungs‑ und Liquidationsmaßnahmen durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats geregelt werden, und ist eng auszulegen.

      Die Bedeutung dieser Bestimmung wird durch deren 30. Erwägungsgrund verdeutlicht, in dem zwischen anhängigen Rechtsstreitigkeiten und Einzelvollstreckungsmaßnahmen unterschieden wird. Daher ist für die Bestimmung des auf die Wirkungen von Sanierungsmaßnahmen oder eines Liquidationsverfahrens anwendbaren Rechts zwischen anhängigen Rechtsstreitigkeiten und Einzelvollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit diesen Rechtsstreitigkeiten zu unterscheiden, wobei die letztgenannten Maßnahmen nach der in der Richtlinie 2001/24 aufgestellten allgemeinen Regel durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats geregelt werden. Daher erfasst der Begriff „anhängiger Rechtsstreit“ nur das Verfahren in der Hauptsache.

      Maßnahmen, die bewirken, dass einem Kreditinstitut die freie Verfügung über einen Teil seines Vermögens entzogen wird, bis ein Rechtsstreit mit einem seiner Gläubiger in der Hauptsache entschieden wird, stellen Einzelvollstreckungsmaßnahmen dar. Deshalb werden solche Sicherungsmaßnahmen nicht von Art. 32 der Richtlinie 2001/24 erfasst, sondern durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats als lex concursus geregelt.

      (vgl. Randnrn. 52-54, 56, 58, Tenor 2)

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