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Document 62010FJ0012

Leitsätze des Urteils

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Zweite Kammer)

8. März 2012

Petrus Kerstens

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst — Beamte — Disziplinarverfahren — Befassung des Disziplinarrats durch eine unzuständige Behörde — Schriftliche Verwarnung — Dauer des Verfahrens — Verteidigungsrechte und Unschuldsvermutung — Angemessene Frist“

Gegenstand:

Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 23. April 2009, mit der gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der schriftlichen Verwarnung verhängt wurde

Entscheidung:

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt sämtliche Kosten.

Leitsätze

  1. Verfahren — Klageschrift — Erwiderung — Formerfordernisse — Kurze Darstellung der Klagegründe

    (Satzung des Gerichtshofs, Art. 21; Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 35 Abs. 1 Buchst. e und Art. 41)

  2. Verfahren — Rechtskraft — Umfang — Zweite Klage, die gegen eine gesonderte, individuelle und spätere Entscheidung als die mit der ersten Klage angefochtene gerichtet ist — Zulässigkeit

  3. Beamte — Disziplinarordnung — Untersuchung vor Einleitung des Disziplinarverfahrens — Untersuchungsauftrag des Untersuchungs- und Disziplinaramts der Kommission — Umfang — Empfehlung an die Anstellungsbehörde, eine Verwaltungsmaßnahme gegen den betreffenden Beamten zu verhängen — Einbeziehung

    (Beamtenstatut, Anhang IX Art. 3)

  4. Beamte — Disziplinarordnung — Einleitung eines Disziplinarverfahrens — Frist — Pflicht der Verwaltung, innerhalb einer angemessenen Frist tätig zu werden — Nichterfüllung — Folgen

    (Beamtenstatut, Anhang IX Abschnitt 5)

  5. Beamte — Disziplinarordnung — Disziplinarverfahren — Fristen — Pflicht der Verwaltung, innerhalb einer angemessenen Frist tätig zu werden — Beurteilung — Nichterfüllung — Besondere Umstände — Beweislast

    (Beamtenstatut, Anhang IX)

  1.  Nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 35 Abs. 1 Buchst. e der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst muss die Klageschrift die Klagegründe sowie die tatsächliche und rechtliche Begründung enthalten. Diese müssen so klar und genau dargelegt werden, dass der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht für den öffentlichen Dienst – gegebenenfalls ohne Einholung weiterer Informationen – über die Klage entscheiden kann. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben. Diese Auslegung von Art. 35 Abs. 1 Buchst. e der Verfahrensordnung gilt auch für die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Erwiderung, die nach Art. 41 der Verfahrensordnung zusammen mit der Gegenerwiderung die Akten ergänzen soll.

    (vgl. Randnr. 68)

    Verweisung auf:

    Gericht erster Instanz: 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, T-305/94 bis T-307/94, T-313/94 bis T-316/94, T-318/94, T-325/94, T-328/94, T-329/94 und T-335/94, Randnrn. 39 und 40

    Gericht für den öffentlichen Dienst: 13. September 2011, Michail/Kommission, F-100/09, Randnr. 22

  2.  Die Rechtskraft eines Urteils steht der Zulässigkeit einer Klage entgegen, wenn die Klage, die zu dem fraglichen Urteil geführt hat, dieselben Parteien und denselben Gegenstand betraf und auf denselben Grund gestützt wurde, wobei diese Voraussetzungen nebeneinander vorliegen müssen.

    Dies ist nicht der Fall, wenn die zweite Klage eine gesonderte, individuelle und spätere Entscheidung als diejenige betrifft, die Gegenstand der ersten Klage war. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beiden Klagen denselben Gegenstand betreffen.

    (vgl. Randnrn. 85 und 87)

    Verweisung auf:

    Gerichtshof: 19. September 1985, Hoogovens Groep/Kommission, 172/83 und 226/83, Randnr. 9; 22. September 1988, Frankreich/Parlament, 358/85 und 51/86, Randnr. 12

    Gericht erster Instanz: 8. März 1990, Maindiaux u. a./CES, T-28/89, Randnr. 23; 5. Juni 1996, NMB Frankreich u. a./Kommission, T-162/94, Randnrn. 37 und 38

  3.  Im Rahmen seines Untersuchungsberichts, der der Entscheidung der Anstellungsbehörde, ob sie ein Disziplinarverfahren einleitet, vorhergeht, überschreitet das Untersuchungs- und Disziplinaramt der Kommission (IDOC) seinen Untersuchungsauftrag nicht, wenn es an die Anstellungsbehörde die Empfehlung richtet, eine Verwaltungsmaßnahme gegen einen Beamten zu verhängen.

    Da nämlich das IDOC und die Anstellungsbehörde zwei getrennte und autonome Einrichtungen sind, ist das IDOC berechtigt, inzidente oder ergänzende Empfehlungen auszusprechen. So steht es ihm z. B. frei, die Art des Disziplinarverfahrens anzugeben, zu deren Einleitung gegen den Betroffenen es rät. Da Art. 3 des Anhangs IX des Statuts vorsieht, dass der Betroffene von der Anstellungsbehörde auf der Grundlage des Untersuchungsberichts des IDOC angehört wird, werden die Empfehlungen, die das IDOC für angezeigt hält, notwendigerweise in den genannten Bericht aufgenommen, bevor der Betroffene von der Anstellungsbehörde nach Art. 3 angehört wird.

    (vgl. Randnrn. 94 und 95)

  4.  Zwar sieht das Statut keine Verjährungsfrist für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vor, es legt aber in Anhang IX, genauer in dessen Abschnitt 5, strenge Fristen für den Ablauf des Disziplinarverfahrens vor dem Disziplinarrat fest. Diese Fristen sind zwar keine Ausschlussfristen, lassen jedoch eine Regel ordnungsgemäßer Verwaltung erkennen, die im Interesse sowohl der Verwaltung als auch der Beamten eine ungerechtfertigte Verzögerung beim Erlass des Beschlusses, der das Disziplinarverfahren beendet, verhindern soll.

    Die Disziplinarbehörden sind daher verpflichtet, das Disziplinarverfahren mit Umsicht zu betreiben und jede Verfahrenshandlung in angemessenem zeitlichen Abstand zur vorhergehenden Maßnahme vorzunehmen. Fehlt es an dieser Angemessenheit, die nur anhand des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden kann, so kann dies die Nichtigkeit der Maßnahme zur Folge haben.

    Diese Verpflichtung zur Umsicht und zur Einhaltung einer angemessenen Frist gilt auch für die Einleitung des Disziplinarverfahrens, insbesondere, wenn die Verwaltung Kenntnis von Vorgängen und Verhaltensweisen erlangt hat, die Zuwiderhandlungen gegen die Dienstpflichten eines Beamten darstellen können, und zwar von der Erlangung dieser Kenntnis an. Auch wenn keine Verjährungsfrist vorgesehen ist, sind die Disziplinarbehörden nämlich verpflichtet, so vorzugehen, dass die Einleitung des Disziplinarverfahrens innerhalb angemessener Frist erfolgt.

    Im Übrigen wäre der Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt, wenn die Verwaltung die Einleitung des Disziplinarverfahrens übermäßig verzögerte. Sowohl die Beurteilung der Handlungen und Verhaltensweisen, die möglicherweise eine disziplinarrechtlich zu ahndende Pflichtverletzung darstellen, durch die Verwaltung als auch die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte durch den Beamten können sich nämlich als besonders schwierig erweisen, wenn zwischen dem Zeitpunkt dieser Handlungen und Verhaltensweisen und dem Beginn der disziplinarrechtlichen Untersuchung eine große Zeitspanne liegt. Denn zum einen besteht die Möglichkeit, dass inzwischen wichtige – be- oder entlastende – Zeugen oder Schriftstücke nicht mehr vorhanden sind, und zum anderen wird es für alle Betroffenen und die Zeugen schwierig, sich an die Vorgänge des betreffenden Falles und die Umstände ihres Eintritts genau zu erinnern.

    (vgl. Randnrn. 124 bis 126)

    Verweisung auf:

    Gericht erster Instanz: 17. Oktober 1991, de Compte/Parlament, T-26/89, Randnr. 88; 26. Januar 1995, D/Kommission, T-549/93, Randnr. 25; 10. Juni 2004, François/Kommission, T-307/01, Randnr. 47

  5.  Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Disziplinarverfahrens ist nicht allein auf den Zeitraum abzustellen, der mit der Entscheidung, ein solches Verfahren einzuleiten, beginnt. Für die Frage, ob das Disziplinarverfahren nach seiner Einleitung mit der gebotenen Umsicht betrieben worden ist, spielt es eine Rolle, dass zwischen dem angeblichen Disziplinarvergehen und der Entscheidung, das Disziplinarverfahren einzuleiten, ein mehr oder weniger langer Zeitraum gelegen hat.

    Die Angemessenheit der Dauer der Phase, die dem Disziplinarverfahren vorausgeht, und der des eigentlichen Disziplinarverfahrens ist nach den Umständen jeder einzelnen Rechtssache, insbesondere nach den Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, nach der Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten des Klägers und dem der zuständigen Behörden, zu beurteilen. Kein bestimmter Faktor ist allein maßgebend. Jeder Faktor ist einzeln zu prüfen; dann ist die gemeinsame Wirkung der Faktoren zu bewerten. Bestimmte Beispiele für eine der Anstellungsbehörde zuzurechnende Verzögerung können bei isolierter Betrachtungsweise nicht als unangemessen erscheinen, wohl aber bei einer Gesamtbetrachtung. Die Erfordernisse in Bezug auf eine umsichtige Verfahrensführung gehen jedoch nicht über das hinaus, was mit dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung zu vereinbaren ist. Somit wäre, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass bestimmte Abschnitte der Phase vor Einleitung eines Disziplinarverfahrens hätten schneller ablaufen können, die Frist angemessen, wenn die – nicht unangemessenen – Verzögerungen in jedem dieser Abschnitte insgesamt eine Dauer ergeben, die bei einer Gesamtbetrachtung nicht als so unangemessen angesehen werden kann, dass sie zur Verjährung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des Betroffenen führt.

    Hat ein Verfahren wegen von der Anstellungsbehörde getroffener Entscheidungen die gewöhnlich als angemessen anzusehende Dauer überschritten, obliegt es dieser Behörde, das Vorliegen besonderer Umstände darzutun, die diese Überschreitung rechtfertigen können.

    (vgl. Randnrn. 127 bis 130 und 143)

    Verweisung auf:

    Gericht für den öffentlichen Dienst: 13. Januar 2010, A und G/Kommission, F-124/05 und F-96/06, Randnrn. 392 bis 395

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URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST DER EUROPÄISCHEN UNION

(Zweite Kammer)

8. März 2012

Petrus Kerstens

gegen

Europäische Kommission

„Öffentlicher Dienst — Beamte — Disziplinarverfahren — Befassung des Disziplinarrats durch eine unzuständige Behörde — Schriftliche Verwarnung — Dauer des Verfahrens — Verteidigungsrechte und Unschuldsvermutung — Angemessene Frist“

Gegenstand:

Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 23. April 2009, mit der gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der schriftlichen Verwarnung verhängt wurde

Entscheidung:

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt sämtliche Kosten.

Leitsätze

  1. Verfahren – Klageschrift – Erwiderung – Formerfordernisse – Kurze Darstellung der Klagegründe

    (Satzung des Gerichtshofs, Art. 21; Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst, Art. 35 Abs. 1 Buchst. e und Art. 41)

  2. Verfahren – Rechtskraft – Umfang – Zweite Klage, die gegen eine gesonderte, individuelle und spätere Entscheidung als die mit der ersten Klage angefochtene gerichtet ist – Zulässigkeit

  3. Beamte – Disziplinarordnung – Untersuchung vor Einleitung des Disziplinarverfahrens – Untersuchungsauftrag des Untersuchungs- und Disziplinaramts der Kommission – Umfang – Empfehlung an die Anstellungsbehörde, eine Verwaltungsmaßnahme gegen den betreffenden Beamten zu verhängen – Einbeziehung

    (Beamtenstatut, Anhang IX Art. 3)

  4. Beamte – Disziplinarordnung – Einleitung eines Disziplinarverfahrens – Frist – Pflicht der Verwaltung, innerhalb einer angemessenen Frist tätig zu werden – Nichterfüllung – Folgen

    (Beamtenstatut, Anhang IX Abschnitt 5)

  5. Beamte – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Fristen – Pflicht der Verwaltung, innerhalb einer angemessenen Frist tätig zu werden – Beurteilung – Nichterfüllung – Besondere Umstände – Beweislast

    (Beamtenstatut, Anhang IX)

  1.  Nach Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 35 Abs. 1 Buchst. e der Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst muss die Klageschrift die Klagegründe sowie die tatsächliche und rechtliche Begründung enthalten. Diese müssen so klar und genau dargelegt werden, dass der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht für den öffentlichen Dienst – gegebenenfalls ohne Einholung weiterer Informationen – über die Klage entscheiden kann. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben. Diese Auslegung von Art. 35 Abs. 1 Buchst. e der Verfahrensordnung gilt auch für die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Erwiderung, die nach Art. 41 der Verfahrensordnung zusammen mit der Gegenerwiderung die Akten ergänzen soll.

    (vgl. Randnr. 68)

    Verweisung auf:

    Gericht erster Instanz: 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, T-305/94 bis T-307/94, T-313/94 bis T-316/94, T-318/94, T-325/94, T-328/94, T-329/94 und T-335/94, Randnrn. 39 und 40

    Gericht für den öffentlichen Dienst: 13. September 2011, Michail/Kommission, F-100/09, Randnr. 22

  2.  Die Rechtskraft eines Urteils steht der Zulässigkeit einer Klage entgegen, wenn die Klage, die zu dem fraglichen Urteil geführt hat, dieselben Parteien und denselben Gegenstand betraf und auf denselben Grund gestützt wurde, wobei diese Voraussetzungen nebeneinander vorliegen müssen.

    Dies ist nicht der Fall, wenn die zweite Klage eine gesonderte, individuelle und spätere Entscheidung als diejenige betrifft, die Gegenstand der ersten Klage war. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beiden Klagen denselben Gegenstand betreffen.

    (vgl. Randnrn. 85 und 87)

    Verweisung auf:

    Gerichtshof: 19. September 1985, Hoogovens Groep/Kommission, 172/83 und 226/83, Randnr. 9; 22. September 1988, Frankreich/Parlament, 358/85 und 51/86, Randnr. 12

    Gericht erster Instanz: 8. März 1990, Maindiaux u. a./CES, T-28/89, Randnr. 23; 5. Juni 1996, NMB Frankreich u. a./Kommission, T-162/94, Randnrn. 37 und 38

  3.  Im Rahmen seines Untersuchungsberichts, der der Entscheidung der Anstellungsbehörde, ob sie ein Disziplinarverfahren einleitet, vorhergeht, überschreitet das Untersuchungs- und Disziplinaramt der Kommission (IDOC) seinen Untersuchungsauftrag nicht, wenn es an die Anstellungsbehörde die Empfehlung richtet, eine Verwaltungsmaßnahme gegen einen Beamten zu verhängen.

    Da nämlich das IDOC und die Anstellungsbehörde zwei getrennte und autonome Einrichtungen sind, ist das IDOC berechtigt, inzidente oder ergänzende Empfehlungen auszusprechen. So steht es ihm z. B. frei, die Art des Disziplinarverfahrens anzugeben, zu deren Einleitung gegen den Betroffenen es rät. Da Art. 3 des Anhangs IX des Statuts vorsieht, dass der Betroffene von der Anstellungsbehörde auf der Grundlage des Untersuchungsberichts des IDOC angehört wird, werden die Empfehlungen, die das IDOC für angezeigt hält, notwendigerweise in den genannten Bericht aufgenommen, bevor der Betroffene von der Anstellungsbehörde nach Art. 3 angehört wird.

    (vgl. Randnrn. 94 und 95)

  4.  Zwar sieht das Statut keine Verjährungsfrist für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vor, es legt aber in Anhang IX, genauer in dessen Abschnitt 5, strenge Fristen für den Ablauf des Disziplinarverfahrens vor dem Disziplinarrat fest. Diese Fristen sind zwar keine Ausschlussfristen, lassen jedoch eine Regel ordnungsgemäßer Verwaltung erkennen, die im Interesse sowohl der Verwaltung als auch der Beamten eine ungerechtfertigte Verzögerung beim Erlass des Beschlusses, der das Disziplinarverfahren beendet, verhindern soll.

    Die Disziplinarbehörden sind daher verpflichtet, das Disziplinarverfahren mit Umsicht zu betreiben und jede Verfahrenshandlung in angemessenem zeitlichen Abstand zur vorhergehenden Maßnahme vorzunehmen. Fehlt es an dieser Angemessenheit, die nur anhand des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden kann, so kann dies die Nichtigkeit der Maßnahme zur Folge haben.

    Diese Verpflichtung zur Umsicht und zur Einhaltung einer angemessenen Frist gilt auch für die Einleitung des Disziplinarverfahrens, insbesondere, wenn die Verwaltung Kenntnis von Vorgängen und Verhaltensweisen erlangt hat, die Zuwiderhandlungen gegen die Dienstpflichten eines Beamten darstellen können, und zwar von der Erlangung dieser Kenntnis an. Auch wenn keine Verjährungsfrist vorgesehen ist, sind die Disziplinarbehörden nämlich verpflichtet, so vorzugehen, dass die Einleitung des Disziplinarverfahrens innerhalb angemessener Frist erfolgt.

    Im Übrigen wäre der Grundsatz der Rechtssicherheit verletzt, wenn die Verwaltung die Einleitung des Disziplinarverfahrens übermäßig verzögerte. Sowohl die Beurteilung der Handlungen und Verhaltensweisen, die möglicherweise eine disziplinarrechtlich zu ahndende Pflichtverletzung darstellen, durch die Verwaltung als auch die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte durch den Beamten können sich nämlich als besonders schwierig erweisen, wenn zwischen dem Zeitpunkt dieser Handlungen und Verhaltensweisen und dem Beginn der disziplinarrechtlichen Untersuchung eine große Zeitspanne liegt. Denn zum einen besteht die Möglichkeit, dass inzwischen wichtige – be- oder entlastende – Zeugen oder Schriftstücke nicht mehr vorhanden sind, und zum anderen wird es für alle Betroffenen und die Zeugen schwierig, sich an die Vorgänge des betreffenden Falles und die Umstände ihres Eintritts genau zu erinnern.

    (vgl. Randnrn. 124 bis 126)

    Verweisung auf:

    Gericht erster Instanz: 17. Oktober 1991, de Compte/Parlament, T-26/89, Randnr. 88; 26. Januar 1995, D/Kommission, T-549/93, Randnr. 25; 10. Juni 2004, François/Kommission, T-307/01, Randnr. 47

  5.  Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer eines Disziplinarverfahrens ist nicht allein auf den Zeitraum abzustellen, der mit der Entscheidung, ein solches Verfahren einzuleiten, beginnt. Für die Frage, ob das Disziplinarverfahren nach seiner Einleitung mit der gebotenen Umsicht betrieben worden ist, spielt es eine Rolle, dass zwischen dem angeblichen Disziplinarvergehen und der Entscheidung, das Disziplinarverfahren einzuleiten, ein mehr oder weniger langer Zeitraum gelegen hat.

    Die Angemessenheit der Dauer der Phase, die dem Disziplinarverfahren vorausgeht, und der des eigentlichen Disziplinarverfahrens ist nach den Umständen jeder einzelnen Rechtssache, insbesondere nach den Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, nach der Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten des Klägers und dem der zuständigen Behörden, zu beurteilen. Kein bestimmter Faktor ist allein maßgebend. Jeder Faktor ist einzeln zu prüfen; dann ist die gemeinsame Wirkung der Faktoren zu bewerten. Bestimmte Beispiele für eine der Anstellungsbehörde zuzurechnende Verzögerung können bei isolierter Betrachtungsweise nicht als unangemessen erscheinen, wohl aber bei einer Gesamtbetrachtung. Die Erfordernisse in Bezug auf eine umsichtige Verfahrensführung gehen jedoch nicht über das hinaus, was mit dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung zu vereinbaren ist. Somit wäre, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass bestimmte Abschnitte der Phase vor Einleitung eines Disziplinarverfahrens hätten schneller ablaufen können, die Frist angemessen, wenn die – nicht unangemessenen – Verzögerungen in jedem dieser Abschnitte insgesamt eine Dauer ergeben, die bei einer Gesamtbetrachtung nicht als so unangemessen angesehen werden kann, dass sie zur Verjährung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des Betroffenen führt.

    Hat ein Verfahren wegen von der Anstellungsbehörde getroffener Entscheidungen die gewöhnlich als angemessen anzusehende Dauer überschritten, obliegt es dieser Behörde, das Vorliegen besonderer Umstände darzutun, die diese Überschreitung rechtfertigen können.

    (vgl. Randnrn. 127 bis 130 und 143)

    Verweisung auf:

    Gericht für den öffentlichen Dienst: 13. Januar 2010, A und G/Kommission, F-124/05 und F-96/06, Randnrn. 392 bis 395

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