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Document 62010CJ0467

Leitsätze des Urteils

Rechtssache C-467/10

Strafverfahren

gegen

Baris Akyüz

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Gießen)

„Richtlinien 91/439/EWG und 2006/126/EG — Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine — Weigerung eines Mitgliedstaats, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der einer Person, die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats nicht über die körperlichen und geistigen Voraussetzungen für das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs verfügt, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist“

Leitsätze des Urteils

  1. Verkehr — Straßenverkehr — Führerschein — Richtlinien 91/439 und 2006/126 — Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine — Weigerung eines Aufnahmemitgliedstaats, einen von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen — Weigerung mit der Begründung, dass derselbe Aufnahmemitgliedstaat eine erste Fahrerlaubnis nicht erteilt habe, weil die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs nicht erfüllt seien — Unzulässigkeit

    (Richtlinie 2006/126 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4; Richtlinie 91/439 des Rates, Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4)

  2. Verkehr — Straßenverkehr — Führerschein — Richtlinien 91/439 und 2006/126 — Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine — Weigerung eines Aufnahmemitgliedstaats, einen von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen — Weigerung mit der Begründung, dass der Inhaber des Führerscheins bei dessen Ausstellung im Gebiet dieses anderen Staates keinen ordentlichen Wohnsitz besessen habe

    (Richtlinie 2006/126 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e und Art. 11 Abs. 4; Richtlinie 91/439 des Rates, Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und Art. 8 Abs. 2 und 4)

  1.  Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 über den Führerschein sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 über den Führerschein sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Aufnahmemitgliedstaats entgegenstehen, die es diesem erlaubt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern, wenn der Aufnahmemitgliedstaat auf den Inhaber dieses Führerscheins zwar keine Maßnahme im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 oder Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 angewendet hat, aber ihm in seinem Hoheitsgebiet die erstmalige Ausstellung eines Führerscheins mit der Begründung verweigert hat, dass er nach der in diesem Staat geltenden Regelung die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs nicht erfülle.

    Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 ist nämlich eine Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine und ist aus diesem Grund eng auszulegen. Die Ausnahmen, die von der Pflicht, in anderen Mitgliedstaaten erteilte Fahrerlaubnisse ohne Formalitäten anzuerkennen, bestehen und mit denen ein Gleichgewicht zwischen diesem Grundsatz und dem Grundsatz der Sicherheit im Straßenverkehr hergestellt wird, dürfen nicht weit verstanden werden, da sonst der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 91/439 ausgestellten Fahrerlaubnisse völlig ausgehöhlt würde.

    (vgl. Randnrn. 45, 46, 59, Tenor 1)

  2.  Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 über den Führerschein sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 über den Führerschein sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Aufnahmemitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es diesem erlaubt, die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn aufgrund unbestreitbarer, vom Ausstellermitgliedstaat herrührender Informationen feststeht, dass der Inhaber des Führerscheins zum Zeitpunkt seiner Ausstellung nicht die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 und in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126 vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes erfüllte. Insoweit ist der Umstand, dass diese Informationen den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats vom Ausstellermitgliedstaat nicht direkt, sondern nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt werden, als solcher nicht geeignet, die Einstufung dieser Informationen als vom Ausstellermitgliedstaat herrührend auszuschließen, sofern sie von einer Behörde dieses Mitgliedstaats stammen.

    Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob derart erlangte Informationen als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen eingestuft werden können, und gegebenenfalls die genannten Informationen zu bewerten und unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen, ob es sich bei ihnen um unbestreitbare Informationen handelt, die belegen, dass der Inhaber des Führerscheins, als dieser ihm im letztgenannten Staat ausgestellt wurde, dort nicht seinen ordentlichen Wohnsitz hatte. Das nationale Gericht kann im Rahmen der genannten Beurteilung insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen darauf hinweisen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet dieses Staates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. Der Inhaber eines Führerscheins macht allerdings von dem den Unionsbürgern durch Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehenen und von den Richtlinien 91/439 und 2006/126 anerkannten Recht Gebrauch, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wenn er seinen Wohnsitz in einem bestimmten Mitgliedstaat zu dem Zweck errichtet, hinsichtlich der Bedingungen für die Ausstellung des Führerscheins von weniger strengen Rechtsvorschriften zu profitieren, so dass diese Tatsache für sich genommen nicht die Feststellung zulässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der genannten Richtlinien vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht erfüllt und die Weigerung eines Mitgliedstaats, einen in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen, daher gerechtfertigt ist.

    (vgl. Randnrn. 75-77, Tenor 2)

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Rechtssache C-467/10

Strafverfahren

gegen

Baris Akyüz

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Gießen)

„Richtlinien 91/439/EWG und 2006/126/EG — Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine — Weigerung eines Mitgliedstaats, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der einer Person, die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats nicht über die körperlichen und geistigen Voraussetzungen für das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs verfügt, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist“

Leitsätze des Urteils

  1. Verkehr – Straßenverkehr – Führerschein – Richtlinien 91/439 und 2006/126 – Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine – Weigerung eines Aufnahmemitgliedstaats, einen von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen – Weigerung mit der Begründung, dass derselbe Aufnahmemitgliedstaat eine erste Fahrerlaubnis nicht erteilt habe, weil die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs nicht erfüllt seien – Unzulässigkeit

    (Richtlinie 2006/126 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4; Richtlinie 91/439 des Rates, Art. 1 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 und 4)

  2. Verkehr – Straßenverkehr – Führerschein – Richtlinien 91/439 und 2006/126 – Gegenseitige Anerkennung der Führerscheine – Weigerung eines Aufnahmemitgliedstaats, einen von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen – Weigerung mit der Begründung, dass der Inhaber des Führerscheins bei dessen Ausstellung im Gebiet dieses anderen Staates keinen ordentlichen Wohnsitz besessen habe

    (Richtlinie 2006/126 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 Buchst. e und Art. 11 Abs. 4; Richtlinie 91/439 des Rates, Art. 1 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und Art. 8 Abs. 2 und 4)

  1.  Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 über den Führerschein sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 über den Führerschein sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Aufnahmemitgliedstaats entgegenstehen, die es diesem erlaubt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern, wenn der Aufnahmemitgliedstaat auf den Inhaber dieses Führerscheins zwar keine Maßnahme im Sinne von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 oder Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 angewendet hat, aber ihm in seinem Hoheitsgebiet die erstmalige Ausstellung eines Führerscheins mit der Begründung verweigert hat, dass er nach der in diesem Staat geltenden Regelung die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs nicht erfülle.

    Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 ist nämlich eine Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine und ist aus diesem Grund eng auszulegen. Die Ausnahmen, die von der Pflicht, in anderen Mitgliedstaaten erteilte Fahrerlaubnisse ohne Formalitäten anzuerkennen, bestehen und mit denen ein Gleichgewicht zwischen diesem Grundsatz und dem Grundsatz der Sicherheit im Straßenverkehr hergestellt wird, dürfen nicht weit verstanden werden, da sonst der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der in den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 91/439 ausgestellten Fahrerlaubnisse völlig ausgehöhlt würde.

    (vgl. Randnrn. 45, 46, 59, Tenor 1)

  2.  Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 über den Führerschein sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 über den Führerschein sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Aufnahmemitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es diesem erlaubt, die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn aufgrund unbestreitbarer, vom Ausstellermitgliedstaat herrührender Informationen feststeht, dass der Inhaber des Führerscheins zum Zeitpunkt seiner Ausstellung nicht die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 und in Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126 vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes erfüllte. Insoweit ist der Umstand, dass diese Informationen den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats vom Ausstellermitgliedstaat nicht direkt, sondern nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt werden, als solcher nicht geeignet, die Einstufung dieser Informationen als vom Ausstellermitgliedstaat herrührend auszuschließen, sofern sie von einer Behörde dieses Mitgliedstaats stammen.

    Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob derart erlangte Informationen als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen eingestuft werden können, und gegebenenfalls die genannten Informationen zu bewerten und unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen, ob es sich bei ihnen um unbestreitbare Informationen handelt, die belegen, dass der Inhaber des Führerscheins, als dieser ihm im letztgenannten Staat ausgestellt wurde, dort nicht seinen ordentlichen Wohnsitz hatte. Das nationale Gericht kann im Rahmen der genannten Beurteilung insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass die vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen darauf hinweisen, dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet dieses Staates nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. Der Inhaber eines Führerscheins macht allerdings von dem den Unionsbürgern durch Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehenen und von den Richtlinien 91/439 und 2006/126 anerkannten Recht Gebrauch, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, wenn er seinen Wohnsitz in einem bestimmten Mitgliedstaat zu dem Zweck errichtet, hinsichtlich der Bedingungen für die Ausstellung des Führerscheins von weniger strengen Rechtsvorschriften zu profitieren, so dass diese Tatsache für sich genommen nicht die Feststellung zulässt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der genannten Richtlinien vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht erfüllt und die Weigerung eines Mitgliedstaats, einen in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen, daher gerechtfertigt ist.

    (vgl. Randnrn. 75-77, Tenor 2)

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