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Document 62010CJ0275

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Staatliche Beihilfen – Jeweilige Zuständigkeiten der Kommission und der nationalen Gerichte – Rolle der nationalen Gerichte

    (Art. 88 Abs. 3 EG)

    2. Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Wiederherstellung der früheren Lage – Pflichten der nationalen Gerichte

    (Art. 88 Abs. 3 EG)

    3. Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Wiederherstellung der früheren Lage – Pflichten und Befugnisse der nationalen Gerichte

    (Art. 88 Abs. 3 EG)

    Leitsätze

    1. Die Durchführung des Systems der Kontrolle staatlicher Beihilfen, wie es sich aus Art. 88 EG und der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, obliegt zum einen der Kommission und zum anderen den nationalen Gerichten. Hierbei fallen den nationalen Gerichten und der Kommission unterschiedliche, aber einander ergänzende Rollen zu. Während für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt ausschließlich die Kommission zuständig ist, die dabei der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt, wachen die nationalen Gerichte über die Wahrung der Rechte des Einzelnen bei Verstößen gegen die Verpflichtung nach Art. 88 Abs. 3 EG, staatliche Beihilfen der Kommission im Voraus zu melden.

    Eine Beihilfemaßnahme, die unter Verstoß gegen die sich aus Art. 88 Abs. 3 EG ergebenden Verpflichtungen durchgeführt wird, ist rechtswidrig. Es ist Sache der nationalen Gerichte, daraus entsprechend ihrem nationalen Recht alle Folgerungen zu ziehen, und zwar sowohl bezüglich der Wirksamkeit der Rechtshandlungen zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Wiedereinziehung der unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewährten finanziellen Unterstützungen.

    (vgl. Randnrn. 25-29)

    2. Die logische Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe ist deren Aufhebung durch Rückforderung, um die frühere Lage wiederherzustellen. Durch die Rückzahlung der Beihilfe verliert der Empfänger nämlich den Vorteil, den er auf dem Markt gegenüber seinen Mitbewerbern besessen hat, und die Lage vor der Zahlung der Beihilfe wird wiederhergestellt. Die Rückzahlung setzt jedoch voraus, dass die nationalen Gerichte den oder gegebenenfalls die Empfänger der Beihilfe bestimmen.

    Wird eine Beihilfe in Form einer Bürgschaft gewährt, können Empfänger der Beihilfe der Kreditnehmer, der Kreditgeber oder in bestimmten Fällen beide zusammen sein. Übernehmen die staatlichen Stellen eines Mitgliedstaats eine Bürgschaft für das Darlehen eines Kreditinstituts an einen Kreditnehmer, erlangt dieser in der Tat normalerweise einen finanziellen Vorteil und ist damit Empfänger einer Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG, da die ihm entstandenen finanziellen Kosten geringer sind als diejenigen, die ihm entstanden wären, wenn er sich die gleichen Finanzmittel und die gleiche Bürgschaft zu Marktpreisen hätte verschaffen müssen.

    Auch ein Kreditgeber kann aus der fraglichen Bürgschaft einen wirtschaftlichen Vorteil gezogen haben, vor allem wenn nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Bürgschaft für eine bestehende Forderung des Kreditnehmers übernommen worden ist, und zwar im Rahmen einer Umschuldung des Kreditgebers. Sollte dies der Fall sein, hätte der Kreditgeber durch diese Bürgschaft einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil erlangt, da seine Forderung durch die Bürgschaft der staatlichen Stelle stärker gesichert worden wäre, ohne dass die Konditionen des verbürgten Darlehens entsprechend angepasst wurden. Das nationale Gericht hat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Falles den oder gegebenenfalls die Empfänger dieser Bürgschaft zu bestimmen und die Rückforderung der gesamten in Rede stehenden Beihilfe zu veranlassen.

    (vgl. Randnrn. 33-34, 37, 39-40, 42-43)

    3. Was im Bereich staatlicher Beihilfen die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe betrifft, die eine staatliche Stelle in Form einer Bürgschaft zur Deckung eines Darlehens eines Finanzunternehmens an ein Unternehmen übernommen hat, dem diese Finanzmittel unter normalen Marktbedingungen nicht zugänglich gewesen wären, gibt das Unionsrecht keine bestimmten Folgerungen vor, die die nationalen Gerichte bezüglich der Wirksamkeit der Rechtshandlungen zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen ziehen müssten.

    Da jedoch die Maßnahmen, die die nationalen Gerichte bei einem Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG ergreifen müssen, im Wesentlichen darauf abzielen, die Wettbewerbslage vor der Gewährung der fraglichen Beihilfe wiederherzustellen, müssen sich die Gerichte vergewissern, dass dieses Ziel durch die von ihnen bezüglich der Wirksamkeit dieser Rechtshandlungen ergriffenen Maßnahmen erreicht werden kann. Die nationalen Gerichte haben daher zu prüfen, ob in einem bestimmten Fall die Nichtigerklärung der Bürgschaft unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Rechtsstreits ein wirksameres Mittel zur Wiederherstellung sein kann als andere Maßnahmen. Es sind nämlich Situationen möglich, in denen die Nichtigerklärung eines Vertrags, soweit sie zur beiderseitigen Rückgewähr der von den Parteien erbrachten Leistungen oder zur Beseitigung eines künftigen Vorteils führen kann, zur Erreichung des Ziels der Wiederherstellung der Wettbewerbslage vor der Gewährung der Beihilfe geeigneter sein kann.

    Folglich ist Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte befugt sind, eine Bürgschaft in einer Fallkonstellation für nichtig zu erklären, in der eine rechtswidrige Beihilfe durch eine Bürgschaft durchgeführt worden ist, die eine staatliche Stelle zur Deckung eines Darlehens eines Finanzunternehmens an ein Unternehmen übernommen hat, dem diese Finanzmittel unter normalen Marktbedingungen nicht zugänglich gewesen wären. Bei der Ausübung dieser Befugnis sind die Gerichte verpflichtet, die Rückforderung der Beihilfe sicherzustellen, und sie können zu diesem Zweck die Bürgschaft insbesondere dann für nichtig erklären, wenn die Nichtigerklärung die Wiederherstellung der Wettbewerbslage vor der Gewährung dieser Bürgschaft herbeiführen oder erleichtern kann und keine weniger einschneidenden Verfahrensmaßnahmen gegeben sind.

    (vgl. Randnrn. 44-49 und Tenor)

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