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Document 62008CJ0487

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Besteuerung von Dividenden

(Art. 56 Abs. 1 EG)

Leitsätze

Ein Mitgliedstaat verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 EG Abs. 1 EG, wenn er die Steuerbefreiung der von gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden im Fall gebietsfremder Empfängergesellschaften von einer höheren Beteiligung am Kapital der ausschüttenden Gesellschaften abhängig macht als im Fall gebietsansässiger Empfängergesellschaften.

Eine solche Ungleichbehandlung könnte nämlich Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten von Investitionen in dem betreffenden Mitgliedstaat abhalten und bildet daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die nach Art. 56 Abs. 1 EG grundsätzlich verboten ist.

Eine derartige unterschiedliche Behandlung kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Situation gebietsansässiger Gesellschaften gegenüber der von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat unterschiedlich sei. Dividenden beziehende gebietsansässige Anteilseigner befinden sich zwar in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer Situation, die der von begünstigten Anteilseignern vergleichbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Sobald jedoch ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft, nähert sich die Situation der gebietsfremden Anteilseigner derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner an. Allein schon die Ausübung der Steuerhoheit durch diesen Mitgliedstaat birgt nämlich unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung in sich. In einem solchen Fall hat der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfänger im Hinblick auf den in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen. Wendet ein Mitgliedstaat die vorgenannte Regelung an, so ist darin seine Entscheidung zu sehen, seine Steuerhoheit im Hinblick auf Dividenden auszuüben, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden. Gebietsfremde Gesellschaften, an die diese Dividenden ausgeschüttet werden, befinden sich folglich, was die Gefahr einer mehrfachen Besteuerung der von gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden angeht, in einer Situation, die der gebietsansässiger Gesellschaften vergleichbar ist, so dass gebietsfremde Empfängergesellschaften nicht anders behandelt werden dürfen als gebietsansässige.

Im Übrigen stellen zwar die Nachteile, die sich aus der parallelen Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, keine nach dem EG-Vertrag verbotenen Beschränkungen dar, sofern eine solche Ausübung nicht diskriminierend ist, doch trifft dies nicht zu, wenn die ungünstigere Behandlung der Dividenden, die an in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Empfängergesellschaften ausgeschüttet werden, allein auf die Ausübung der Steuerhoheit durch den Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft zurückzuführen und diesem zuzurechnen ist.

Außerdem wird diese unterschiedliche Behandlung nicht durch die Anwendung von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Frage gestellt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass ein Mitgliedstaat die Beachtung seiner Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag dadurch sicherzustellen vermag, dass er mit einem anderen Mitgliedstaat ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung schließt. Dafür ist jedoch erforderlich, dass die Anwendung eines solchen Abkommens es erlaubt, die Wirkungen der sich aus dem nationalen Recht ergebenden unterschiedlichen Behandlung auszugleichen. Die unterschiedliche Behandlung von an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden einerseits und an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden andererseits ist nur dann beseitigt, wenn die nach den nationalen Rechtsvorschriften erhobene Quellensteuer auf die in dem anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer in dem Umfang angerechnet werden kann, in dem aufgrund des nationalen Rechts eine unterschiedliche Behandlung besteht. Um ein solches Ziel der Neutralisierung zu erreichen, müsste die Anwendung einer in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Abzugsmethode es erlauben, die von einem Mitgliedstaat erhobene Dividendensteuer von der im Sitzstaat der Empfängergesellschaft geschuldeten Steuer vollständig abzuziehen, so dass – sollten die an diese Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden letztlich höher belastet werden als Dividenden, die an im erstgenannten Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden – diese höhere steuerliche Belastung nicht mehr diesem Staat anzulasten wäre, sondern dem Sitzstaat der Empfängergesellschaft, der seine Steuerhoheit ausgeübt hat.

Wenn in den meisten von einem Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehen ist, dass der Betrag, der als in diesem Staat erhobene Steuer abgezogen oder angerechnet wird, nicht den Teil der vor dem Abzug errechneten Steuer des Sitzmitgliedstaats der Empfängergesellschaft übersteigen darf, der auf die im erstgenannten Staat steuerbaren Einkünfte entfällt, kann die unterschiedliche Behandlung nur dann neutralisiert werden, wenn die aus dem betreffenden Mitgliedstaat stammenden Dividenden in dem anderen Mitgliedstaat hinreichend besteuert werden. Werden diese Dividenden jedoch nicht oder nicht hinreichend besteuert, so kann der Betrag der in dem betreffenden Mitgliedstaat erhobenen Steuer oder ein Teil davon nicht abgezogen werden. In diesem Fall kann die aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften resultierende unterschiedliche Behandlung durch die Anwendung der Bestimmungen der Doppelbesteuerungsabkommen nicht ausgeglichen werden. Dies gilt selbst dann, wenn ein derartiges Abkommen keine Begrenzung des Abzugs auf den Teil der vor dem Abzug errechneten Steuer des Sitzmitgliedstaats der Empfängergesellschaft vorsieht, der auf die im Sitzstaat der ausschüttenden Gesellschaft steuerbaren Einkünfte entfällt, sondern bestimmt, dass die in diesem Staat erhobene Steuer von der im Sitzstaat für diese Einkünfte erhobenen Steuer abgezogen wird. Werden diese Dividenden nämlich nicht oder nicht hinreichend besteuert, kann der im Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft einbehaltene Betrag oder ein Teil desselben nicht abgezogen werden. Die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe aus dem Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft stammende Einkünfte in dem anderen Mitgliedstaat besteuert werden, hängt jedoch nicht vom erstgenannten Staat, sondern von der Ausgestaltung der Besteuerung durch den anderen Mitgliedstaat ab. Demzufolge erlaubt es der Abzug der erhobenen Steuer von der in einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Steuer gemäß den Vorschriften der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung es nicht in allen Fällen, die aus der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften resultierende unterschiedliche Behandlung zu neutralisieren.

(vgl. Randnrn. 43, 50-53, 56-64, 67, 69 und Tenor)

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