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Document 62007TJ0042

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien

(Art. 81 EG und 82 EG)

2. Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Ermessen der Kommission

(Art. 81 EG und 82 EG)

3. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Maß der tatsächlichen Fähigkeit, auf dem betroffenen Markt eine Schädigung herbeizuführen

(Art. 81 EG und 82 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A Abs. 1 bis 4 und 6)

5. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilung anhand der Art der Zuwiderhandlung – Besonders schwere Zuwiderhandlungen

(Art. 81 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

6. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte

(Art. 81 EG und 82 EG)

7. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Einteilung der betroffenen Unternehmen in verschiedene Kategorien – Berücksichtigter Umsatz

(Art. 81 Abs. 1 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

8. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Abschreckungswirkung der Geldbuße

(Art. 81 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

9. Verfahren – Kosten – Erstattungsfähige Kosten – Begriff

(Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 91)

Leitsätze

1. In dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln begangen hat, kann zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben und besteht zum anderen eine widerlegliche Vermutung dahin gehend, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt. Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital einer Tochtergesellschaft hält, um anzunehmen, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieses Tochterunternehmens ausübt. Die Kommission kann in der Folge dem Mutterunternehmen als Gesamtschuldner die Haftung für die Zahlung der gegen dessen Tochterunternehmen verhängten Geldbuße zuweisen, sofern die von dem Mutterunternehmen, das diese Vermutung zu widerlegen hat, vorgelegten Beweise nicht für den Nachweis ausreichen, dass sein Tochterunternehmen auf dem Markt eigenständig auftritt.

Es ist somit Sache der Muttergesellschaft, diese Vermutung zu widerlegen und darzulegen, dass ihr Tochterunternehmen seine Geschäftspolitik selbständig bestimmt und somit keine wirtschaftliche Einheit und folglich kein einheitliches Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG mit ihr bildet. Insbesondere ist es Sache der Muttergesellschaft, alle Angaben in Bezug auf die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen ihr und ihren Tochterunternehmen zur Würdigung vorzulegen, die ihrer Ansicht nach dem Nachweis dienen könnten, dass sie keine wirtschaftliche Einheit darstellen. Bei seiner Würdigung muss das Gericht nämlich alle ihm vorgelegten Angaben berücksichtigen, wobei deren Charakter und Bedeutung je nach den Merkmalen des jeweiligen Falls variieren können.

(vgl. Randnrn. 56, 58-59)

2. Es steht im Ermessen der Kommission, der Muttergesellschaft eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln zuzurechnen. Die bloße Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis angenommen hat, dass die Umstände eines Falles es nicht rechtfertigten, das Verhalten einer Tochtergesellschaft ihrer Muttergesellschaft zuzurechnen, bedeutet nicht, dass sie dieselbe Bewertung auch in einer späteren Entscheidung vornehmen muss.

(vgl. Randnr. 75)

3. In Bezug auf die Beweisführung für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG obliegt es der Kommission, nicht nur das Vorliegen eines Kartells, sondern auch dessen Dauer zu beweisen. Für die Berechnung der Dauer einer Zuwiderhandlung, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt, ist zu bestimmen, wie lange die Vereinbarung bestanden hat, d. h. der Zeitraum von ihrem Abschluss bis zu ihrer Beendigung. Soweit es an Beweisen fehlt, mit denen die Dauer der Zuwiderhandlung direkt belegt werden kann, muss die Kommission zumindest Beweise beibringen, die sich auf Fakten beziehen, die zeitlich so nahe beieinander liegen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung erfolgt ist.

Dies ist nicht der Fall, wenn die Kommission keinen konkreten Beweis vorlegt, der auf eine Willensübereinstimmung zwischen dem betreffenden Unternehmen und den übrigen Mitgliedern des Kartells im fraglichen Zeitraum schließen lässt, und wenn sich aus den vorgelegten Unterlagen keine Willensbekundung eines Mitglieds des Kartells gegenüber dem betreffenden Unternehmen mit einem wettbewerbswidrigen Ziel ergibt, das auch umgesetzt worden wäre.

Die bloße Tatsache, dass ein Mitarbeiter einer Gesellschaft, die an einem Kartell beteiligt war, zu einer anderen Gesellschaft entsandt wird, reicht als solche nicht für die Annahme aus, dass Letztere automatisch Mitglied des Kartells wird. Denn unter diesen Umständen ist es nicht ausgeschlossen, dass der fragliche Mitarbeiter beschließt, die Gesellschaft, zu der er entsandt wird, nicht in die wettbewerbswidrigen Handlungen einzubeziehen, oder dass diese Gesellschaft Maßnahmen zur Vermeidung solcher Handlungen ergreift. In einem solchen Fall muss die Kommission beweisen, dass die Gesellschaft im fraglichen Zeitraum aufgrund der von diesem Mitarbeiter im Rahmen seiner früheren Tätigkeit gewonnenen Informationen die im Rahmen des Kartells getroffenen Vereinbarungen umgesetzt und daher auf dem Markt nicht selbständig agiert hätte.

(vgl. Randnrn. 88-89, 91-93, 95)

4. Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, unterscheiden minder schwere, schwere und besonders schwere Zuwiderhandlungen (Nr. 1 A Abs. 2 und 3 der Leitlinien). Die zwischen den Unternehmen vorgenommene Differenzierung besteht darin, im Einklang mit Nr. 1 A Abs. 3, 4 und 6 der Leitlinien den individuellen Beitrag jedes Unternehmens, gemessen an der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, zum Erfolg des Kartells im Hinblick auf seine Einstufung in die passende Kategorie zu ermitteln.

Der individuelle Beitrag jedes Unternehmens, gemessen an der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, zum Erfolg des Kartells ist von den tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung zu unterscheiden, auf die sich Nr. 1 A Abs. 1 der Leitlinien bezieht. Im letztgenannten Fall werden die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung, soweit sie messbar sind, berücksichtigt, um die Zuwiderhandlung als minder schwer, schwer oder besonders schwer einzustufen. Der individuelle Beitrag jedes Unternehmens als solcher wird berücksichtigt, um die anhand der Schwere der Zuwiderhandlung bestimmten Beträge zu gewichten.

Selbst bei Fehlen eines konkreten, messbaren Einflusses der Zuwiderhandlung kann die Kommission daher gemäß Nr. 1 A Abs. 3, 4 und 6 der Leitlinien und nach Einstufung der Zuwiderhandlung als minder schwer, schwer oder besonders schwer beschließen, zwischen den betroffenen Unternehmen zu differenzieren.

(vgl. Randnrn. 122-124)

5. Aus der Beschreibung der besonders schweren Zuwiderhandlungen in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Art. 65 § 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ergibt sich, dass Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die insbesondere auf die Festlegung von Preiszielen oder die Aufteilung von Marktanteilen gerichtet sind, allein schon aufgrund ihrer Natur als „besonders schwer“ eingestuft werden können, ohne dass die Kommission eine konkrete Auswirkung der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen muss. Ferner gehören horizontale Preisabsprachen zu den schwersten Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht und können daher bereits als solche als besonders schwer eingestuft werden.

(vgl. Randnr. 126)

6. Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens vor der Kommission verlangt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs insbesondere, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die die Kommission an ein Unternehmen richtet, gegen das sie eine Sanktion wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen beabsichtigt, die wesentlichen diesem Unternehmen zur Last gelegten Gesichtspunkte wie den ihm vorgeworfenen Sachverhalt, dessen Einstufung und die von der Kommission herangezogenen Beweismittel enthält, damit sich das Unternehmen im Rahmen des ihm gegenüber durchgeführten Verwaltungsverfahrens sachgerecht äußern kann. Was die Berechnung der Geldbußen betrifft, erfüllt die Kommission ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden sei. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen.

(vgl. Randnr. 128)

7. Wenn die Kommission die betroffenen Unternehmen zur Festsetzung der Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG in Kategorien einteilt, muss die Bestimmung der Schwellenwerte für jede der auf diese Weise gebildeten Kategorien schlüssig und objektiv gerechtfertigt sein. Zudem können zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung nach ständiger Rechtsprechung je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den Markt ausüben konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass die Kommission bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl den Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch den Teil dieses Umsatzes berücksichtigen darf, der mit dem Verkauf der Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung bezog, und der somit einen Anhaltspunkt für deren Ausmaß liefern kann. Andererseits folgt daraus, dass weder die eine noch die andere Zahl im Verhältnis zu den anderen Bewertungskriterien überbewertet werden darf, damit die Festlegung des Betrags einer angemessenen Geldbuße nicht das Ergebnis einer reinen Berechnung auf der Grundlage des Weltumsatzes ist.

Ist auf den Umsatz der an ein und derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen abzustellen, um das Verhältnis zwischen den festzusetzenden Geldbußen zu bestimmen, so muss im Übrigen der zu berücksichtigende Zeitraum so abgegrenzt werden, dass die ermittelten Umsatzzahlen so weit wie möglich miteinander vergleichbar sind. Folglich kann ein bestimmtes Unternehmen nur dann verlangen, dass die Kommission bei ihm auf einen anderen als den im allgemeinen herangezogenen Zeitraum abstellt, wenn es nachweist, dass der von ihm im letztgenannten Zeitraum erzielte Umsatz aus für dieses Unternehmen spezifischen Gründen weder für seine wirkliche Größe und seine Wirtschaftskraft noch für das Ausmaß der von ihm begangenen Zuwiderhandlung einen Anhaltspunkt bietet.

(vgl. Randnrn. 131, 133)

8. Die Befugnis der Kommission, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 81 EG verstoßen, gehört zu den Mitteln, mit denen sie ausgestattet worden ist, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe umfasst die Pflicht, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag niedergelegten Grundsätze in Wettbewerbssachen anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken. Daraus folgt, dass die Kommission bei der für die Bemessung der Geldbuße erforderlichen Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung sicherstellen muss, dass ihr Vorgehen vor allem in Bezug auf Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft besonders beeinträchtigen, abschreckende Wirkung hat.

Dies verlangt, dass die Geldbuße angepasst wird, um der gewünschten Auswirkung auf das Unternehmen, gegen das sie verhängt wird, Rechnung zu tragen, damit sie im Einklang mit den Anforderungen, die sich aus der Notwendigkeit, ihre Wirksamkeit zu gewährleisten, und der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Finanzkraft des betreffenden Unternehmens weder zu niedrig noch zu hoch ausfällt. Ein großes Unternehmen, das verglichen mit den übrigen Mitgliedern eines Kartells über beträchtliche finanzielle Ressourcen verfügt, kann die zur Zahlung seiner Geldbuße erforderlichen Mittel leichter aufbringen; dies rechtfertigt es im Hinblick auf eine hinreichende Abschreckungswirkung der Geldbuße, insbesondere durch Anwendung eines Multiplikators eine entsprechend höhere Geldbuße festzusetzen als für die gleiche Zuwiderhandlung eines Unternehmens, das nicht über derartige Ressourcen verfügt. Insbesondere ist die Berücksichtigung des Weltumsatzes jedes an einem Kartell beteiligten Unternehmens für die Festlegung der Geldbuße relevant.

Das Abschreckungsziel, das die Kommission bei der Bemessung einer Geldbuße verfolgen darf, besteht darin, zu gewährleisten, dass Unternehmen die im Vertrag für ihre Tätigkeiten in der Gemeinschaft oder im Europäischen Wirtschaftsraum festgelegten Wettbewerbsregeln beachten. Folglich wird der Abschreckungsfaktor, der in die Berechnung der Geldbuße einbezogen werden kann, unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten und nicht nur der besonderen Situation des betreffenden Unternehmens ermittelt. Dieser Grundsatz gilt insbesondere dann, wenn die Kommission für die gegen ein Unternehmen verhängte Geldbuße einen „Abschreckungsmultiplikator“ bestimmt hat.

(vgl. Randnrn. 148-151)

9. Die den betroffenen Unternehmen für die Bereitstellung einer Bankbürgschaft zur Deckung des Betrags der gegen sie verhängten Geldbuße entstandenen Kosten stellen keine für das Verfahren notwendigen Aufwendungen der Parteien dar und gelten daher nicht als erstattungsfähige Kosten nach Art. 91 der Verfahrensordnung.

(vgl. Randnr. 172)

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