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Document 62007CO0512

    Leitsätze des Beschlusses

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Rechtsmittel – Gründe – Rechtsfehler des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters – Akt zur Einführung der Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

    (Art 225 EG; Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, Art. 12; Satzung des Gerichtshofs, Art. 57 Abs. 2; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Art. 3 Abs. 3)

    2. Rechtsmittel – Gründe – Rechtsfehler des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters – Akt zur Einführung der Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

    (Art. 225 EG; Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, Art  6; Satzung des Gerichtshofs, Art. 57 Abs. 2; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Art. 3 Abs. 5, 4 Abs. 3 und 9)

    3. Rechtsmittel – Gründe – Rechtsfehler des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters – Akt zur Einführung der Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

    (Art. 225 EG; Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, Art. 12; Satzung des Gerichtshof, Art. 57 Abs. 2)

    4. Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird

    (Art. 242 EG; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 10 § 2)

    5. Vorläufiger Rechtsschutz – Aussetzung des Vollzugs – Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird

    (Art. 242 EG; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 104 § 2)

    Leitsätze

    1. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter begeht keinen offensichtlichen Rechtsfehler in Bezug auf die Reichweite der dem Europäischen Parlament nach Art. 12 des Akts von 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung in der durch den Beschluss 2002/772 geänderten und neu nummerierten Fassung zustehenden Befugnisse, wenn er den im genannten Artikel enthaltenen Ausdruck „zur Kenntnis [nehmen]“ dahin auslegt, dass das Parlament in Bezug auf die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse keinerlei Ermessen hat.

    Der genannte Artikel sieht ausdrücklich vor, dass das Parlament zum einen die von den Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegebenen Wahlergebnisse „zur Kenntnis [zu nehmen]“ hat und zum anderen über etwaige Anfechtungen nur „auf Grund der Vorschriften dieses Akts“, und zwar „mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird“, befinden darf. Folglich spricht der Wortlaut von Art. 12 des Akts von 1976 auf den ersten Blick für eine enge Auslegung dieser Bestimmung. Außerdem darf das Parlament, was die Prüfung der Mandate der Mitglieder des Parlaments angeht, nach Art. 12 des Akts von 1976 und Art. 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments über die Gültigkeit der Mandate seiner neu gewählten Mitglieder sowie über Anfechtungen befinden, die auf Grund der Vorschriften des Akts von 1976, aber „mit Ausnahme der innerstaatlichen Vorschriften, auf die darin verwiesen wird“, vorgebracht werden können, „nicht aber über diejenigen [Anfechtungen], die auf die nationalen Wahlgesetze gestützt werden“. Diese Ausnahmen sind ebenfalls klare Hinweise darauf, dass das Parlament nicht generell befugt ist, über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Wahlverfahren mit dem Gemeinschaftsrecht zu befinden.

    (vgl. Randnrn. 30-32, 35)

    2. Ein im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangener Beschluss ist im Hinblick auf die Auslegung des Art. 6 des Aktes von 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung in der durch den Beschluss 2002/772 geänderten und neu nummerierten Fassung nicht offensichtlich rechtsfehlerhaft wenn er feststellt, dass dieser Artikel nur Mitglieder des Europäischen Parlaments betrifft.

    Zum einen betrifft der Wortlaut des Art. 6 ausdrücklich „Mitglieder des Europäischen Parlaments“ und zum anderen geht es um das Stimmrecht der Mitglieder, das sich seinem Wesen nach nicht mit der Eigenschaft als Kandidat in Verbindung bringen lässt, der aufgrund des von ihm erreichten Listenplatzes amtlich für gewählt erklärt wird. Zwar darf bei der Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen – ohne Rücksicht auf ihren Zusammenhang und ihre Zielsetzung – nicht streng an ihrem Wortlaut gehaftet werden, jedoch darf dieser Artikel für sich genommen keine allgemeine Befugnis des Parlaments zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Wahlverfahren der Mitgliedstaaten im Hinblick auf alle Grundsätze begründen, die diesem Artikel zugrunde liegen sollen, insbesondere dem in Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK enthaltenen.

    Nach dem Grundsatz der Normenhierarchie kann eine Bestimmung der Geschäftsordnung des Parlaments, wie deren Art. 3 Abs. 5, 4 Abs. 3 und 9, keine Abweichung von den Vorschriften des Akts von 1976 erlauben. Diese Geschäftsordnung ist nämlich eine Maßnahme der internen Organisation, die zugunsten des Parlaments keine Zuständigkeiten einführen kann, die nicht ausdrücklich durch einen Rechtsakt, im vorliegenden Fall den Akt von 1976, verliehen werden. Demzufolge sind – zumindest im Rahmen einer Prüfung des fumus boni iuris – die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments vielmehr im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Bestimmungen des Akts von 1976 auszulegen und nicht umgekehrt.

    (vgl. Randnrn. 40-43, 45-46)

    3. Eine Auslegung, nach der Art. 12 des Akts von 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung in der durch den Beschluss 2002/772 geänderten und neu nummerierten Fassung weder eine Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Behörden und dem Parlament noch die Ausübung dieser Zuständigkeiten im Rahmen getrennter Verfahren vorsieht, sondern einen einheitlichen Entscheidungsprozess, an dem sowohl das Parlament als auch die nationalen Behörden beteiligt sind, scheint mit der genannten Bestimmung auf den ersten Blick nicht im Einklang zu stehen. Etwaige Fehler der Handlung einer nationalen Behörde, die Teil eines gemeinschaftlichen Entscheidungsprozesses ist und aufgrund der die in diesem Bereich geltende Zuständigkeitsverteilung die gemeinschaftliche Beschlussinstanz in der Weise bindet, dass sie den Inhalt der zu treffenden Gemeinschaftsentscheidung bestimmt, können sich nämlich keinesfalls auf die Gültigkeit der Gemeinschaftsentscheidung auswirken. Dieser Schluss ist wichtig für die Auslegung der Zuständigkeitsverteilung nach Art. 12 des Akts von 1976.

    Folglich ist ein im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangener Beschluss, der feststellt, dass eventuelle Fehler in einer Entscheidung eines nationalen Wahlbüros, das einen Kandidaten zum Mitglied des Parlaments benannt hat, keine Auswirkungen auf den Beschluss des Parlaments zur Prüfung von dessen Mandat haben, weder mit einem offensichtlichen Rechtsfehler noch mit einem Begründungsmangel behaftet.

    (vgl. Randnrn. 50-51, 53-54)

    4. Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Sicherung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache. Zur Erreichung dieses Ziels müssen die begehrten Maßnahmen in dem Sinne dringlich sein, dass sie zur Verhinderung eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers bereits vor der Entscheidung zur Hauptsache erlassen werden und ihre Wirkungen entfalten müssen. Hieraus folgt, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter bei der Beurteilung der Dringlichkeit der Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird, allein die Interessen des Antragstellers zu berücksichtigen hat, insbesondere die Gefahr des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens für diese Interessen, ohne anderen Gesichtspunkten allgemeiner Art, wie im vorliegenden Fall der Kontinuität der politischen Vertretung, Rechnung zu tragen, die allenfalls im Rahmen der Interessenabwägung Berücksichtigung finden können.

    (vgl. Randnrn. 57-58)

    5. Gelangt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes wegen Aussetzung des Vollzugs einer Handlung des Europäischen Parlaments, mit der das Mandat eines seiner Mitglieder wegen fehlender Legitimation für ungültig erklärt wird, zu dem Ergebnis, dass die besonderen und unmittelbaren Interessen dieses Mitglieds und dessen Stellvertreters gleichgewichtig sind, berücksichtigt er allgemeinere Interessen – denen in einer solchen Situation besondere Bedeutung zukommt – wie das des betroffenen Mitgliedstaats an der Beachtung seiner wahlrechtlichen Vorschriften durch das Parlament und daran, dass im Europäischen Parlament diejenigen Abgeordneten vertreten sind, die nach den innerstaatlichen Vorschriften gewählt und von einem der höchsten Gerichte dieses Mitgliedstaats benannt worden sind, und dasjenige des Parlaments an der Aufrechterhaltung seiner Entscheidungen, an seiner politischen Legitimität und sein Interesse daran, dass derjenige Kandidat den Sitz innehat, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt hat. Erst nachdem er festgestellt hat, dass sowohl die besonderen als auch die allgemeinen betroffenen Interessen gleichgewichtig sind, stellt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter auf das Gewicht der für die Voraussetzung des fumus boni iuris vorgetragenen Gründe ab.

    (vgl. Randnrn. 66-67, 70)

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