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Document 62006TJ0208

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Wettbewerb – Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Wettbewerbswidriger Zweck – Hinreichende Feststellung

(Art. 81 Abs. 1 EG)

2. Wettbewerb – Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Abstimmung und dem Marktverhalten der Unternehmen – Vermutung für das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs

(Art. 81 Abs. 1 EG)

3. Wettbewerb – Kartelle – Komplexe Zuwiderhandlung, die Merkmale einer Vereinbarung und einer abgestimmten Verhaltensweise aufweist – Einheitliche Qualifizierung als „Vereinbarung und/oder abgestimmte Verhaltensweise“ – Zulässigkeit

(Art. 81 Abs. 1 EG)

4. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Art des Nachweises – Rückgriff auf ein Indizienbündel – Bei jedem einzelnen Indiz erforderlicher Grad der Beweiskraft

(Art. 81 Abs. 1 EG)

5. Wettbewerb – Kartelle – Teilnahme eines Unternehmens an wettbewerbswidrigen Initiativen – Stillschweigende Billigung ohne offene Distanzierung ausreichend für die Verantwortlichkeit des Unternehmens

(Art. 81 Abs. 1 EG)

6. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Heranziehung von Erklärungen anderer an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen als Beweise – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 81 EG und 82 EG)

7. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung – Verfahren in Wettbewerbssachen – Anwendbarkeit

(Art. 81 Abs. 1 EG)

8. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Verantwortlichkeit eines Unternehmens für die Gesamtzuwiderhandlung – Voraussetzungen

(Art. 81 Abs. 1 EG)

9. Gemeinschaftsrecht – Auslegung – Handlungen der Organe – Begründung – Berücksichtigung

10. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer

(Art. 81 Abs. 1 EG)

11. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Schwere der Beteiligung jedes einzelnen Unternehmens

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

12. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Konkrete Auswirkungen auf den Markt – Erfordernis des Nachweises solcher Auswirkungen für die Einstufung einer Zuwiderhandlung als sehr schwerwiegend – Fehlen

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

13. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Mildernde Umstände – Passive Mitwirkung oder Mitläufertum des Unternehmens

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

14. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Von den kartellinternen Vereinbarungen abweichendes Verhalten

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Art. 15 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

Leitsätze

1. Um zu beurteilen, ob eine abgestimmte Verhaltensweise nach Art. 81 Abs. 1 EG verboten ist, brauchen ihre konkreten Auswirkungen nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Markts bezweckt. Die Auswirkungen einer abgestimmten Verhaltensweise brauchen daher nicht geprüft zu werden, wenn feststeht, dass diese einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt.

(vgl. Randnr. 39)

2. Im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG setzt der Begriff „abgestimmte Verhaltensweise“ über die Abstimmung zwischen den Unternehmen hinaus zwar ein dieser entsprechendes Marktverhalten und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraus; doch gilt vorbehaltlich des den betroffenen Unternehmen obliegenden Gegenbeweises die Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

(vgl. Randnr. 40)

3. Die Begriffe „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhaltensweise“ im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG erfassen Formen der Kollusion, die in ihrer Art übereinstimmen, und unterscheiden sich nur in ihrer Intensität und ihren Ausdrucksformen.

Bei einer komplexen Zuwiderhandlung, an der über mehrere Jahre mehrere Hersteller beteiligt waren und deren Ziel die gemeinsame Regulierung des Marktes war, kann von der Kommission nicht verlangt werden, dass sie die Zuwiderhandlung für jedes Unternehmen zu den einzelnen Zeitpunkten entweder als Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise qualifiziert, da jedenfalls beide Formen der Zuwiderhandlung von Art. 81 EG umfasst werden.

In diesem Zusammenhang ist die doppelte Qualifizierung einer einheitlichen Zuwiderhandlung als „Vereinbarung und abgestimmte Verhaltensweise“ so zu verstehen, dass sie sich auf einen Komplex von Einzelakten bezieht, von denen einige als Vereinbarung und andere als abgestimmte Verhaltensweise im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG anzusehen sind, der für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine spezifische Qualifizierung vorschreibt.

(vgl. Randnrn. 34, 41-42)

4. Was den Nachweis für die Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG angeht, hat die Kommission die Beweismittel beizubringen, die das Vorliegen der eine solche Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend beweisen. Hierzu muss sie hinreichend aussagekräftige und übereinstimmende Beweise beibringen, um die feste Überzeugung zu begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde.

Jedoch muss nicht jeder der von der Kommission vorgelegten Beweise diesen Kriterien notwendig hinsichtlich jedes Merkmals der Zuwiderhandlung genügen. Es reicht aus, dass das von der Kommission angeführte Indizienbündel bei einer Gesamtwürdigung dieser Anforderung genügt.

Die Indizien, die die Kommission in der Entscheidung anführt, um einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG zu beweisen, sind nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen.

(vgl. Randnrn. 43-45)

5. Weist die Kommission nach, dass das betreffende Unternehmen an Sitzungen teilnahm, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, ohne sich offen dagegen auszusprechen, so ist dies ein ausreichender Beleg für die Teilnahme dieses Unternehmens am Kartell. Ist die Teilnahme an solchen Sitzungen erwiesen, so obliegt es dem fraglichen Unternehmen, Indizien vorzutragen, die zum Beweis seiner fehlenden wettbewerbswidrigen Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen geeignet sind, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber darauf hingewiesen hatte, dass es an den Sitzungen mit einer anderen Zielsetzung als diese teilnahm.

Diesem Rechtsgrundsatz liegt zugrunde, dass ein Unternehmen, das an dem genannten Treffen teilgenommen hat, ohne sich offen von dessen Inhalt zu distanzieren, den übrigen Teilnehmern den Eindruck vermittelt hat, dass es sich dem Ergebnis dieses Treffens anschließe und entsprechend verhalten werde.

Zudem kann der Umstand, dass ein Unternehmen die Ergebnisse einer Sitzung mit wettbewerbswidrigem Gegenstand nicht umsetzt, es nicht von seiner Verantwortung für die Teilnahme an einem Kartell entlasten, sofern es sich nicht offen von dessen Inhalt distanziert hat.

Der Begriff der offenen Distanzierung ist als Element der Entlastung von der Verantwortlichkeit überdies restriktiv auszulegen. Schweigt ein Wirtschaftsteilnehmer bei einem Treffen, bei dem eine rechtswidrige Abstimmung über eine bestimmte Frage erfolgt, die die Preispolitik berührt, so kann dieses Schweigen insbesondere nicht der Bekundung einer entschiedenen und klaren Missbilligung gleichgesetzt werden.

(vgl. Randnrn. 47-50)

6. In Wettbewerbssachen gibt es keine Bestimmung und keinen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, die es der Kommission verbieten, sich gegenüber einem Unternehmen auf Erklärungen anderer beschuldigter Unternehmen zu berufen. Den Erklärungen, die im Rahmen der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen abgegeben werden, kann daher nicht allein aus diesem Grund der Beweiswert abgesprochen werden.

Gegenüber den freiwilligen Angaben der Hauptteilnehmer an einem rechtswidrigen Kartell ist ein gewisses Misstrauen verständlich, da diese Teilnehmer die Bedeutung ihres eigenen Tatbeitrags als so klein wie möglich und den der anderen als so groß wie möglich darstellen könnten. Nach der inneren Logik des in der Mitteilung über Zusammenarbeit vorgesehenen Verfahrens jedoch begründet das Antragsbegehren, durch die Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit eine Herabsetzung der eigenen Geldbuße zu erwirken, nicht zwangsläufig einen Anreiz zur Vorlage verfälschter Beweise gegen die übrigen Beteiligten an dem inkriminierten Kartell. Denn jeder Versuch einer Irreführung der Kommission ist geeignet, die Aufrichtigkeit und Vollständigkeit der Kooperation des Unternehmens in Frage zu stellen und damit die für dieses bestehende Möglichkeit zu gefährden, ungeschmälert in den Genuss der Mitteilung über Zusammenarbeit zu gelangen.

Insbesondere kann daraus, dass eine Person zugibt, eine Zuwiderhandlung begangen zu haben, und damit Tatsachen einräumt, die über die den fraglichen Unterlagen unmittelbar zu entnehmenden Tatsachen hinausgehen, a priori , sofern keine bestimmten Anhaltspunkte für das Gegenteil bestehen, der Schluss gezogen werden, dass sich der Betreffende entschlossen hat, die Wahrheit zu sagen. Erklärungen, die den Interessen des Erklärenden zuwiderlaufen, sind daher grundsätzlich als besonders verlässliche Beweise anzusehen.

Gleichwohl kann eine Erklärung, die ein der Beteiligung an einer Absprache beschuldigtes Unternehmen abgibt und deren Richtigkeit von mehreren beschuldigten Unternehmen bestritten wird, nicht als hinreichender Beweis für die Begehung einer Zuwiderhandlung durch diese anderen Unternehmen angesehen werden, wenn sie nicht durch andere Beweismittel untermauert wird.

Um den Beweiswert der Erklärungen der Unternehmen zu prüfen, die einen Antrag auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit gestellt haben, berücksichtigt das Gericht vor allem die Bedeutung der übereinstimmenden Indizien, die die Relevanz dieser Erklärungen stützen, und das Fehlen von Anhaltspunkten dafür, dass sie die Neigung haben könnten, die Bedeutung ihres eigenen Tatbeitrags als so klein wie möglich und den der anderen Unternehmen als so groß wie möglich darzustellen. Auch beeinflusst die Richtigkeit einer Aussage gegebenenfalls den Grad, in dem eine Erhärtung zu verlangen ist.

Die Tatsache, dass eine Erklärung in einem sehr fortgeschrittenen Verfahrensstadium vorgelegt worden ist, nämlich in der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, erlaubt für sich genommen nicht, dieser Erklärung den Beweiswert abzusprechen, der im Licht sämtlicher relevanter Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist. Der Beweiswert einer solchen Erklärung ist allerdings geringer, als wenn sie aus eigenem Antrieb abgegeben worden wäre, und zwar unabhängig von der von einem anderen Unternehmen abgegebenen Erklärung. Kennt das Unternehmen, das einen Antrag auf Geldbußenerlass stellt, die von der Kommission im Rahmen ihrer Ermittlungen zusammengetragenen Informationen, gilt die innere Logik des in der Mitteilung über Zusammenarbeit vorgesehenen Verfahrens, wonach jeder Versuch einer Irreführung der Kommission geeignet ist, die Aufrichtigkeit und Vollständigkeit der Kooperation des Unternehmens in Frage zu stellen, nicht in demselben Maße, wie wenn eine freiwillige Erklärung ohne Kenntnis der von der Kommission herangezogenen Beschwerdepunkte abgegeben wird. Auch kann die Erwägung, dass die Erklärungen nach der Mitteilung über Zusammenarbeit den Interessen des Erklärenden zuwiderlaufen und grundsätzlich als besonders verlässliche Beweise anzusehen sind, nicht ohne Einschränkung für die Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eines Unternehmens gelten, das einen Antrag auf Geldbußenerlass stellt.

(vgl. Randnrn. 52-56, 97, 108-109)

7. Was den Umfang der gerichtlichen Kontrolle anbelangt, hat das Gericht bei einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung nach Art. 81 Abs. 1 EG generell eine umfassende Prüfung der Frage vorzunehmen, ob die Tatbestandsmerkmale von Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt sind.

Verbleiben dem Richter Zweifel, so müssen sie gemäß dem Grundsatz der Unschuldsvermutung, der als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts insbesondere in Verfahren wegen der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln anwendbar ist, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, dem Unternehmen, an das die eine Zuwiderhandlung feststellende Entscheidung gerichtet ist, zugutekommen.

(vgl. Randnrn. 57-58)

8. Die Verantwortlichkeit für die Begehung von Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln ist angesichts von deren Art sowie der Art und der Schwere der derentwegen verhängten Sanktionen von persönlicher Natur.

Die Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG ergeben sich notwendigerweise aus einem Zusammenwirken mehrerer Unternehmen, die zwar alle Mittäter an der Zuwiderhandlung sind, deren Beteiligung aber insbesondere gemäß den Merkmalen des betroffenen Marktes und der Stellung des einzelnen Unternehmens auf diesem Markt, den verfolgten Zielen und der gewählten oder vorgesehenen Art und Weise der Durchführung verschiedene Formen aufweisen kann.

Jedoch kann die Verantwortung des einzelnen Unternehmens für die Gesamtzuwiderhandlung einschließlich des Verhaltens, das zwar von anderen beteiligten Unternehmen an den Tag gelegt worden ist, aber dieselbe wettbewerbswidrige Bestimmung oder Wirkung hat, nicht schon allein deshalb ausgeschlossen sein, weil jedes Unternehmen sich auf eine ihm eigene Art und Weise an der Zuwiderhandlung beteiligt.

Ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG kann sich im Übrigen nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder auch aus einem fortlaufenden Verhalten ergeben. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortlaufenden Verhaltens auch für sich genommen einen Verstoß gegen Art. 81 EG darstellen könnten. Fügen sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes in einen „Gesamtplan“ ein, so ist die Kommission berechtigt, die Verantwortung für diese Handlungen anhand der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes aufzuerlegen, auch wenn das betroffene Unternehmen nachweislich nur an einem oder mehreren Bestandteilen der Zuwiderhandlung unmittelbar mitgewirkt hat. Auch bedeutet die bloße Tatsache, dass das Unternehmen in einem der betreffenden Produktsektoren nicht tätig gewesen ist, nicht unbedingt, dass es nicht für die gesamte einheitliche Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogen werden könnte.

Um die Teilnahme eines Unternehmens an einer solchen einzigen Zuwiderhandlung darzutun, muss die Kommission beweisen, dass das Unternehmen durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele hat beitragen wollen und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte sowie bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

Ein Unternehmen kann daher nur dann für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, wenn es wusste oder zwangsläufig wissen musste, dass die Absprache, an der es insbesondere durch die Teilnahme an regelmäßig über Jahre stattfindenden Sitzungen beteiligt war, Teil eines Gesamtsystems war, das auf die Verfälschung des normalen Wettbewerbs gerichtet war, und wenn sich dieses System auf sämtliche Bereiche des Kartells erstreckte. Die bloße Tatsache, dass eine Vereinbarung, an der ein Unternehmen teilnimmt, und ein Gesamtkartell den gleichen Gegenstand haben, genügt nicht, um diesem Unternehmen die Beteiligung am Gesamtkartell zur Last zu legen. Nur wenn das Unternehmen, als es an dieser Vereinbarung teilnahm, wusste oder hätte wissen müssen, dass es sich damit in das Gesamtkartell eingliederte, kann seine Teilnahme an der betreffenden Vereinbarung nämlich Ausdruck seines Beitritts zum Gesamtkartell sein.

Insoweit erlaubt der bloße Umstand, dass das Unternehmen die wettbewerbswidrigen Ziele im Hinblick auf eines der relevanten Erzeugnisse des relevanten Sektors kannte und verfolgte, nicht den Schluss, dass diese Kenntnis auch bezüglich des einzigen Ziels bestand, das vom einheitlichen Kartell in diesem gesamten Sektor verfolgt wurde. Der Begriff des einzigen Ziels kann nämlich nicht durch einen allgemeinen Verweis auf die Verzerrung des Wettbewerbs in einem bestimmten Sektor bestimmt werden, da die Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Ziel oder Wirkung jedem von Art. 81 Abs. 1 EG erfassten Verhalten eigen ist. Eine solche Definition des Begriffs des einzigen Ziels könnte dem Begriff der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung teilweise seinen Sinn nehmen, da sie zur Folge hätte, dass mehrere einen Wirtschaftssektor betreffende Verhaltensweisen, die nach Art. 81 Abs. 1 EG verboten sind, systematisch als Bestandteile einer einheitlichen Zuwiderhandlung eingestuft werden müssten.

(vgl. Randnrn. 125-128, 143-144, 149)

9. Der verfügende Teil eines Rechtsakts ist untrennbar mit seiner Begründung verbunden und muss erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der Gründe ausgelegt werden, die zu seinem Erlass geführt haben.

(vgl. Randnr. 131)

10. Die Zuwiderhandlungsdauer ist ein Tatbestandsmerkmal des Begriffs der Zuwiderhandlung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG, für das hauptsächlich die Kommission beweispflichtig ist. Soweit es an Beweisen fehlt, mit denen die Dauer einer Zuwiderhandlung direkt belegt werden kann, muss die Kommission zumindest Beweise beibringen, die sich auf Fakten beziehen, die zeitlich so nahe beieinanderliegen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung begangen worden ist.

Ferner erlaubt der Umstand, dass das Kartell als solches nicht unterbrochen wurde, es nicht, auszuschließen, dass ein oder mehrere Kartellteilnehmer ihre Beteiligung für eine bestimmte Zeit unterbrochen haben.

Auch wenn der Zeitraum, der zwischen zwei Ausdrucksformen einer Zuwiderhandlung liegt, ein relevantes Kriterium für den Nachweis der Kontinuität einer Zuwiderhandlung ist, kann die Frage, ob dieser Zeitraum hinreichend lang ist, um als Unterbrechung der Zuwiderhandlung zu gelten, nicht abstrakt beantwortet werden. Sie ist im Gegenteil im Zusammenhang der Funktionsweise des fraglichen Kartells, gegebenenfalls einschließlich der spezifischen Modalitäten der Beteiligung des betreffenden Unternehmens an diesem Kartell zu beurteilen.

(vgl. Randnrn. 155-156, 159)

11. Bei der Bemessung einer wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße nach den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden, ist zwischen der Bewertung der Schwere der Zuwiderhandlung, die den allgemeinen Ausgangsbetrag der Geldbuße bestimmen soll, und der Bewertung der relativen Schwere des Tatbeitrags jedes betroffenen Unternehmens zu unterscheiden, die im Rahmen der eventuellen Berücksichtigung erschwerender oder mildernder Umstände zu prüfen ist.

Die Nrn. 2 und 3 der genannten Leitlinien sehen nämlich eine Anpassung des Grundbetrags der Geldbuße nach Maßgabe bestimmter erschwerender und mildernder Umstände vor, die dem jeweils betroffenen Unternehmen zuzuordnen sind. Nr. 3 enthält insbesondere unter dem Titel „Mildernde Umstände“ eine nicht abschließende Liste von Umständen, die zu einer Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße führen können. Genannt werden dort die passive Mitwirkung eines Unternehmens, die tatsächliche Nichtanwendung der Vereinbarungen, die Beendigung der Verstöße nach dem ersten Eingreifen der Kommission, der Nachweis berechtigter Zweifel des Unternehmens an der Rechtswidrigkeit seines wettbewerbswidrigen Verhaltens, fahrlässige Verstöße und die aktive Mitwirkung des Unternehmens an dem Verfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über Zusammenarbeit.

Dagegen ist die Kommission im Zusammenhang der Bemessung des Ausgangsbetrags der Geldbuße nicht verpflichtet, die Wirkungen des Verhaltens eines konkreten Unternehmens zu beurteilen. Für die Festsetzung der allgemeinen Höhe der Geldbußen sind nämlich nicht die Auswirkungen des von einem Unternehmen behaupteten tatsächlichen Verhaltens, sondern die der gesamten Zuwiderhandlung, an der das Unternehmen beteiligt war, zu berücksichtigen.

Ist das Unternehmen aber nicht für das gesamte Kartell verantwortlich, sondern kann ihm nur ein Teil des Kartells zur Last gelegt werden, ist dies bei der Ermittlung des Ausgangsbetrags der Geldbuße zu berücksichtigen. In einem solchen Fall ist der Verstoß gegen die Vorschriften des Wettbewerbsrechts nämlich notwendigerweise weniger schwer als der, der den Zuwiderhandelnden zur Last gelegt wird, die an sämtlichen Teilen der Zuwiderhandlung teilgenommen haben und die in höherem Maße zur Wirksamkeit und zur Schwere dieses Kartells beigetragen haben als ein Zuwiderhandelnder, der nur an einem Teil desselben Kartells beteiligt war. Gegen ein Unternehmen kann aber keine Geldbuße verhängt werden, deren Betrag nach Maßgabe einer Teilnahme an einer Absprache festgesetzt wurde, für die es nicht verantwortlich gemacht worden ist.

(vgl. Randnrn. 183-185, 197-200)

12. Bei der Beurteilung der Schwere eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft im Rahmen der Ermittlung des Ausgangsbetrags der gegen ein Unternehmen verhängten Geldbuße ergibt sich aus den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden, dass die horizontalen Preisabsprachen oder Marktaufteilungen allein aufgrund ihrer Art als besonders schwere Verstöße angesehen werden können, ohne dass die Kommission konkrete Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen müsste. Derartige Kartelle verdienen aufgrund ihres Wesens nämlich die schwersten Geldbußen. Die Frage nach ihren möglichen konkreten Auswirkungen auf den Markt, insbesondere die Frage, inwieweit die Wettbewerbsbeschränkung zu einem höheren Marktpreis geführt hat als dem, der ohne Kartell zu erzielen gewesen wäre, ist für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium.

(vgl. Randnr. 189)

13. Eine passive Mitwirkung impliziert, dass sich das betroffene Unternehmen nicht hervorgetan hat, d. h. nicht aktiv an der Ausarbeitung der wettbewerbswidrigen Absprachen teilgenommen hat. Unter den Faktoren, aus denen die passive Mitwirkung eines Unternehmens an einem Kartell abgeleitet werden kann, kann berücksichtigt werden, dass es im Vergleich zu den gewöhnlichen Mitgliedern des Kartells deutlich seltener an den Zusammenkünften teilgenommen hat, dass es später in den Markt, der Gegenstand der Zuwiderhandlung gewesen ist, eingetreten ist, unabhängig davon, wie lange es an der Zuwiderhandlung mitgewirkt hat, oder dass es entsprechende ausdrückliche Aussagen von Vertretern dritter an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen gibt.

(vgl. Randnr. 224)

14. Bei der Zubilligung mildernder Umstände wegen effektiver Nichtanwendung der rechtswidrigen Vereinbarungen und Praktiken gemäß Nr. 3 zweiter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden, ist zu prüfen, ob die von dem betreffenden Unternehmen vorgebrachten Umstände belegen können, dass es sich im Zeitraum seiner Teilnahme an den rechtswidrigen Vereinbarungen tatsächlich deren Durchführung entzog, indem es sich auf dem Markt wettbewerbskonform verhielt, oder dass es sich zumindest den Verpflichtungen zur Umsetzung dieses Kartells so eindeutig und nachdrücklich widersetzte, dass dadurch sogar dessen Funktionieren selbst gestört wurde.

(vgl. Randnr. 231)

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