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Document 62006CJ0194

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Besteuerung der an Anlageorganismen gezahlten Dividenden

(Art. 56 EG und 58 EG)

2. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Besteuerung der Anlageorganismen gezahlten Dividenden

(Art. 56 EG und 58 EG)

3. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Begriff – Gleiche Auslegung in den Beziehungen zu Drittländern und innerhalb der Gemeinschaft – Grenzen

(Art. 56 Abs. 1 EG)

4. Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen von Kapitalbewegungen nach oder aus Drittländern – Am 31. Dezember 1993 bestehende Beschränkungen von Kapitalbewegungen, die mit Direktinvestitionen verbunden sind – Begriff „Direktinvestitionen“

(Art. 57 Abs. 1 EG)

Leitsätze

1. Die Art. 56 EG und 58 EG stehen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die eine Ermäßigung, die einem im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen steuerlichen Anlageorganismus wegen in einem anderen Mitgliedstaat einbehaltener Quellensteuer auf die von diesem Organismus erhaltenen Dividenden zu gewähren ist, auf den Betrag beschränken, den eine im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats wohnende natürliche Person aufgrund eines mit dem anderen Mitgliedstaat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens wegen vergleichbarer Abzüge hätte anrechnen lassen können.

Derartige Rechtsvorschriften lassen zwar dadurch, dass sie von der Ermäßigung wegen der Quellensteuer auf im Ausland bezogene Dividenden solche aus bestimmten Mitgliedstaaten ausnehmen, die Anlage in diesen Mitgliedstaaten weniger attraktiv werden als die Anlage in den Mitgliedstaaten, deren Dividendenbesteuerung die betreffende Ermäßigung zur Folge hat. Sie können demnach einen Anlageorganismus von Anlagen in den Mitgliedstaaten abhalten, deren Dividendenbesteuerung nicht zu einer Ermäßigung führt, so dass sie eine durch Art. 56 EG grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen.

Mit den betreffenden Rechtsvorschriften soll aber die steuerliche Behandlung von Dividenden, die ein Anteilsinhaber bezieht, der eine unmittelbare Anlage getätigt hat, soweit wie möglich derjenigen von Dividenden angeglichen werden, die ein Anteilsinhaber erhält, der mittels eines steuerlichen Anlageorganismus investiert hat. Dadurch soll verhindert werden, dass die Anlage im Ausland durch einen solchen Organismus als weniger attraktiv angesehen wird als eine unmittelbare Anlage. Nach diesen Rechtsvorschriften ist die Situation eines steuerlichen Anlageorganismus, der Dividenden aus Mitgliedstaaten erhält, mit denen der Mitgliedstaat seiner Niederlassung ein Abkommen geschlossen hat, das für natürliche Personen als Anteilsinhaber einen Anspruch auf Anrechnung der von diesen Mitgliedstaaten auf die Dividenden erhobenen Einkommensteuer vorsieht, die sie im Mitgliedstaat der Niederlassung schulden, eine andere als die eines Anlageorganismus, der Dividenden aus Mitgliedstaaten bezieht, mit denen kein solches Abkommen geschlossen worden ist, Dividenden also, für die dieser Anspruch nicht vorgesehen ist. Nur wenn es um Anlagen in den Mitgliedstaaten geht, mit denen ein solches bilaterales Besteuerungsabkommen geschlossen worden ist, bestünde nämlich die Gefahr, dass ohne die vorgesehene Ermäßigung die Entscheidung für eine Anlage mittels eines steuerlichen Anlageorganismus für eine natürliche Person als Anteilsinhaber weniger attraktiv wäre als eine unmittelbare Anlage. Dagegen ist hinsichtlich der Mitgliedstaaten, mit denen der Mitgliedstaat der Niederlassung eines solchen Organismus kein derartiges Abkommen geschlossen hat, die Entscheidung einer natürlichen Person für eine Anlage mittels eines Anlageorganismus nicht mit der Gefahr verbunden, eine Vergünstigung zu verlieren, die ihr zugute gekommen wäre, wenn sie sich für eine unmittelbare Anlage in diesen Mitgliedstaaten entschieden hätte. Folglich ist diese Situation nicht objektiv vergleichbar mit der Situation, dass der Mitgliedstaat der Niederlassung des betreffenden Organismus ein solches Abkommen geschlossen hat.

Im Fall von Rechtsvorschriften, nach denen ein Mitgliedstaat, um unmittelbare Anlagen und solche, die mittels Anlageorganismen getätigt werden, soweit wie möglich steuerlich gleichzustellen, diesen Organismen eine Ermäßigung wegen der Quellensteuer auf Dividenden aus den Mitgliedstaaten gewährt, gegenüber denen er sich im Rahmen bilateraler Abkommen verpflichtet hat, natürlichen Personen die Anrechnung der Quellensteuer auf die Einkommensteuer zu ermöglichen, die sie aufgrund seines nationalen Rechts schulden, verbieten es die Art. 56 EG und 58 EG dementsprechend diesem Mitgliedstaat nicht, die betreffende Ermäßigung für Dividenden auszuschließen, die aus anderen Mitgliedstaaten stammen, mit denen er keine bilateralen Abkommen geschlossen hat, die derartige Bestimmungen enthalten, da es sich nicht um objektiv vergleichbare Situationen handelt.

(vgl. Randnrn. 56, 60-65, Tenor 1)

2. Die Art. 56 EG und 58 EG stehen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen eine Ermäßigung, die einem im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen steuerlichen Anlageorganismus wegen in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland einbehaltener Quellensteuer auf die von diesem Organismus erhaltenen Dividenden zu gewähren ist, beschränkt wird, wenn und soweit es sich bei dessen Anteilsinhabern um in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittändern ansässige natürliche oder juristische Personen handelt, da der Gesamtbetrag des zu verteilenden Gewinns reduziert wird und eine solche Herabsetzung daher eine unterschiedslose Benachteiligung aller Anteilsinhaber dieses Organismus zur Folge hat.

Eine solche Herabsetzung der Ermäßigung im Verhältnis des Anteils am Kapital, der von den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anteilsinhabern gehalten wird, führt nämlich zu einer durch Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, da sie einen steuerlichen Anlageorganismus daran hindern kann, Kapital in anderen Mitgliedstaaten als dem Mitgliedstaat seiner Niederlassung zu sammeln, und zudem Anleger aus diesen anderen Mitgliedstaaten möglicherweise davon abhält, Anteile an seinem Kapital zu erwerben.

Übt ein Mitgliedstaat seine Steuerhoheit in Bezug auf Dividenden aus, die die in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen steuerlichen Anlageorganismen sowohl an dort ansässige Anteilsinhaber ausschütten als auch an solche, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, ist es für den Fall, dass eine solche Ermäßigung vorgesehen ist, unabdingbar, sie auf steuerliche Anlageorganismen auszudehnen, bei denen ein Teil der Anteilsinhaber nicht in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig ist.

Auch wenn mit den betreffenden Rechtsvorschriften eine Unterscheidung zwischen gebietsansässigen und gebietsfremden Anteilsinhabern der Anlageorganismen bezweckt werden sollte, damit die Ermäßigung, die diesen Anteilsinhabern aufgrund der Ausschüttung der Gewinne durch die betreffenden Organismen zugute kommt, im Verhältnis zu den Steuersätzen steht, denen die Anteilsinhaber im Mitgliedstaat der Niederlassung dieser Organismen jeweils unterliegen, kann dieses Ziel nicht mit einer Herabsetzung der Ermäßigung im Verhältnis zum Anteil am Kapital der Organismen, der von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Anteilsinhabern gehalten wird, erreicht werden. Eine solche Herabsetzung hat nämlich eine unterschiedslose Benachteiligung aller Anteilsinhaber der steuerlichen Anlageorganismen zur Folge, da der Gesamtbetrag des zu verteilenden Gewinns reduziert wird.

Der Rückgang von Steuereinnahmen in Bezug auf Dividenden, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften gezahlt werden, kann nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden, der zur Rechtfertigung einer gegen eine Grundfreiheit verstoßenden Maßnahme angeführt werden kann.

Die Lösung für die Fälle, in denen ein Teil der Anteilsinhaber eines steuerlichen Anlageorganismus in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, kann daher auch dann gelten, wenn ein Teil der Anteilsinhaber eines Anlageorganismus in Drittländern ansässig ist.

Soweit zum einen ein Mitgliedstaat Dividenden besteuert, die ein steuerlicher Anlageorganismus mit Sitz in seinem Hoheitsgebiet an in Drittländern ansässige Anteilsinhaber ausschüttet, und zum anderen die diesem Organismus gewährte Ermäßigung im Verhältnis des Anteils an dessen Kapital herabgesetzt wird, der von solchen Anteilsinhabern gehalten wird, ohne dass es insoweit auf die steuerliche Behandlung der betreffenden Anteilsinhaber in den Drittländern ankäme, rechtfertigt das Erfordernis, die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle zu gewährleisten, keine derartige Beschränkung von Kapitalbewegungen nach oder aus Drittländern.

Selbst wenn die Vermeidung des Rückgangs von Steuereinnahmen angeführt werden könnte, um eine Beschränkung von Kapitalbewegungen nach oder aus Drittländern zu rechtfertigen, kann eine derartige Rechtfertigung nicht in Betracht gezogen werden, da die betreffende Herabsetzung unterschiedslos gegenüber allen Anteilsinhabern des betroffenen Anlageorganismus wirkt, gleichgültig, ob sie in Mitgliedstaaten oder in Drittländern ansässig sind.

Im Zusammenhang mit solchen Rechtsvorschriften spielt es keine Rolle, dass die ausländischen Anteilsinhaber eines steuerlichen Anlageorganismus in einem Staat ansässig sind, mit dem der Mitgliedstaat der Niederlassung dieses Organismus ein Abkommen geschlossen hat, das die gegenseitige Anrechnung der Quellensteuer auf Dividenden vorsieht.

(vgl. Randnrn. 72, 74, 79, 82, 84, 92-97, 108, 113-114, Tenor 2)

3. Der Begriff der Beschränkungen des Kapitalverkehrs muss in den Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern in der gleichen Weise ausgelegt werden wie in den Beziehungen der Mitgliedstaaten untereinander. Zwar können mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs mit Drittländern durchaus andere Ziele verfolgt werden als die Verwirklichung des Binnenmarkts, wie insbesondere die Ziele, die Glaubwürdigkeit der einheitlichen Gemeinschaftswährung auf den Weltfinanzmärkten und die Aufrechterhaltung von Finanzzentren mit weltweiter Bedeutung in den Mitgliedstaaten sicherzustellen, doch haben die Mitgliedstaaten, als der Grundsatz des freien Kapitalverkehrs durch Art. 56 Abs. 1 EG auf den Kapitalverkehr zwischen Drittländern und den Mitgliedstaaten erstreckt wurde, sich dafür entschieden, diesen Grundsatz in demselben Artikel und mit den gleichen Worten für den Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft und für den die Beziehungen mit Drittländern betreffenden Kapitalverkehr festzulegen.

Allerdings laufen Kapitalbewegungen nach oder aus Drittländern in einem anderen rechtlichen Rahmen ab als solche, die innerhalb der Gemeinschaft stattfinden, denn aufgrund des Grades der unter den Mitgliedstaaten der Union bestehenden rechtlichen Integration, insbesondere angesichts der gesetzgeberischen Maßnahmen der Gemeinschaft in Bezug auf die Zusammenarbeit zwischen nationalen Steuerbehörden, ist die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten mit grenzüberschreitenden Bezügen innerhalb der Gemeinschaft nicht immer mit der Besteuerung wirtschaftlicher Tätigkeiten vergleichbar, die die Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern berühren. Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat beweisen kann, dass eine Beschränkung der Kapitalbewegungen nach oder aus Drittländern aus einem bestimmten Grund gerechtfertigt ist, auch wenn dieser Grund keine überzeugende Rechtfertigung für eine Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen Mitgliedstaaten darstellen würde.

(vgl. Randnrn. 87-90)

4. Eine Beschränkung fällt als Beschränkung von Kapitalbewegungen, die mit Direktinvestitionen verbunden sind, unter Art. 57 Abs. 1 EG, soweit sie sich auf Investitionen jeder Art durch natürliche oder juristische Personen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmen, für die diese Mittel zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind, bezieht.

(vgl. Randnr 102, Tenor 3)

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