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Document 62004TJ0277

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)

2. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)

3. Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers einer für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b)

4. Gemeinschaftsmarke – Beschwerdeverfahren

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Artikel 63 und 74 Absatz 1)

Leitsätze

1. Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/09 über die Gemeinschaftsmarke hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere vom Bekanntheitsgrad der Marke auf dem fraglichen Markt. Das Vorliegen einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft infolge der Bekanntheit einer Marke auf dem Markt setzt notwendig voraus, dass die Marke zumindest einem erheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise bekannt ist, ohne dass sie zwangsläufig im Sinn von Artikel 8 Absatz 5 der Verordnung Nr. 40/94 bekannt sein muss. Es kann nicht allgemein, beispielsweise durch Rückgriff auf bestimmte Prozentsätze in Bezug auf den Bekanntheitsgrad der Marke bei den beteiligten Verkehrskreisen, festgelegt werden, ab wann eine Marke infolge ihrer Bekanntheit eine erhöhte Kennzeichnungskraft besitzt. Jedoch ist eine gewisse Wechselbeziehung zwischen der Bekanntheit einer Marke beim Publikum und ihrer Kennzeichnungskraft in dem Sinn anzuerkennen, dass die Kennzeichnungskraft der Marke umso größer ist, je weiter deren Bekanntheit bei den angesprochenen Verkehrskreisen reicht.

Bei der Prüfung der Frage, ob einer Marke infolge ihrer Bekanntheit bei den Verkehrskreisen eine erhöhte Kennzeichnungskraft zukommt, sind alle relevanten Umstände des Falles zu berücksichtigen, also insbesondere der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Ausdehnung und die Dauer ihrer Benutzung, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke, der Teil der beteiligten Verkehrskreise, der die Waren oder Dienstleistungen aufgrund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennt, sowie die Erklärungen von Industrie- und Handelskammern oder anderen Berufsverbänden.

(vgl. Randnrn. 33-35)

2. Einer älteren Marke kann eine erhöhte Kennzeichnungskraft wegen ihrer etwaigen Bekanntheit beim Publikum nur zukommen, wenn sie diesem am Anmeldetag der angemeldeten Marke oder gegebenenfalls am für die Anmeldung beanspruchten Prioritätstag bekannt war. Jedoch lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass eine einige Zeit vor oder nach diesem Datum erstellte Studie sachdienliche Hinweise enthalten kann, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass ihr Beweiswert danach variieren kann, wie mehr oder minder nahe der untersuchte Zeitraum dem Anmelde- oder Prioritätstag der angemeldeten Marke war.

(vgl. Randnr. 38)

3. Für die ein Heimtier haltenden deutschen Durchschnittsverbraucher besteht keine Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/09 über die Gemeinschaftsmarke zwischen dem Zeichen VITACOAT, dessen Eintragung für „Shampoos, Conditioner, Präparate für das Haar und die Haut, Deodorants; alles für Tiere“, „Mittel zur Vertilgung von Milben, Läusen, Flöhen und anderen Parasiten; alles für Tiere“ und „Bürsten und Kämme für Tiere“ der Klassen 3, 5 und 21 im Sinne des Abkommens von Nizza beantragt wird, und der älteren, in Deutschland für zum Teil identische und zum Teil ähnliche Waren eingetragenen Marke VITAKRAFT. Denn da das Wort „Kraft“ für die deutschen Verbraucher eine eindeutige und unmittelbar verständliche Bedeutung hat, wohingegen das Wort „coat“ für sie keinen Sinn ergibt oder allenfalls als ein englisches Wort mit einer anderen Bedeutung erkannt wird, besteht ein ausgeprägter begrifflicher Unterschied zwischen den Zeichen, der die schwachen visuellen und klanglichen Ähnlichkeiten der fraglichen Zeichen weitgehend neutralisieren kann. Die Zeichen sind daher insbesondere in begrifflicher Hinsicht hinreichend unterschiedlich, um selbst in Bezug auf identische Waren eine Verwechslungsgefahr auszuschließen, und zwar selbst unter Berücksichtigung des geringen Aufmerksamkeitsgrads, der bei der Auswahl der fraglichen Waren aufgebracht wird.

(vgl. Randnrn. 61, 68)

4. Die beim Gericht gegen die Entscheidungen der Beschwerdekammern des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) erhobene Klage dient der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der genannten Entscheidungen im Sinn von Artikel 63 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke. Tatsachen, die vor dem Gericht geltend gemacht werden, ohne dass sie vorher den Dienststellen des Amtes zur Kenntnis gebracht worden sind, können jedoch die Rechtmäßigkeit einer solchen Entscheidung nur berühren, wenn das Amt sie von Amts wegen hätte berücksichtigen müssen.

Insoweit ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Satz 2 der genannten Verordnung, wonach das Amt in einem Verfahren betreffend relative Eintragungshindernisse bei der Sachverhaltsermittlung auf das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten beschränkt ist, dass das Amt nicht verpflichtet ist, von Amts wegen Tatsachen zu berücksichtigen, die von den Beteiligten nicht vorgetragen worden sind. Solche Tatsachen können demnach die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Beschwerdekammer nicht in Frage stellen

Demgegenüber sind weder die Verfahrensbeteiligten noch das Gericht selbst daran gehindert, in ihre Auslegung des Gemeinschaftsrechts Elemente einzubeziehen, die sich aus der gemeinschaftlichen, nationalen oder internationalen Rechtsprechung ergeben. Ein Verfahrensbeteiligter hat daher die Möglichkeit, erstmals vor dem Gericht auf nationale Urteile Bezug zu nehmen, denn es geht in diesem Zusammenhang nicht darum, der Beschwerdekammer vorzuwerfen, sie habe in einem bestimmten nationalen Urteil genannte Tatsachen außer Betracht gelassen, sondern um die Rüge, dass sie gegen eine Vorschrift der Verordnung Nr. 40/94 verstoßen habe, wobei Rechtsprechung zur Untermauerung dieser Rüge herangezogen wird.

(vgl. Randnrn. 69-71)

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