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Document 62004CJ0393

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofes – Grenzen

    (Artikel 234 EG)

    2. Staatliche Beihilfen – Begriff

    (Artikel 87 Absatz 1 EG)

    3. Staatliche Beihilfen – Beihilfevorhaben – Verbot der Durchführung vor der abschließenden Entscheidung der Kommission – Unmittelbare Wirkung

    (Artikel 87 EG und 88 Absatz 3 EG)

    4. Freier Warenverkehr – Zölle – Abgaben gleicher Wirkung – Vertragsvorschriften

    5. Freier Warenverkehr – Zölle – Abgaben gleicher Wirkung – Begriff

    (Artikel 25 EG)

    6. Steuerrecht – Inländische Abgaben – Verbot der Ungleichbehandlung gleichartiger eingeführter oder ausgeführter und inländischer Waren

    (Artikel 90 EG)

    Leitsätze

    1. Im Rahmen des durch Artikel 234 EG eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es Aufgabe des Gerichtshofes, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben.

    Es ist Sache der mit einem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte, sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Dieser kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts jedoch u. a. dann ablehnen, wenn die von diesem erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht.

    (vgl. Randnrn. 23-24)

    2. Artikel 87 EG soll verhindern, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch von staatlichen Stellen gewährte Vergünstigungen beeinträchtigt wird, die in verschiedenartiger Weise durch die Bevorzugung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.

    Die Bedingungen, von denen nach Artikel 87 Absatz 1 EG die Qualifizierung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe abhängt, sind erstens Finanzierung dieser Maßnahme durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln, zweitens Vorliegen eines Vorteils für ein Unternehmen, drittens Selektivität dieser Maßnahme und viertens Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und daraus resultierende Verfälschung des Wettbewerbs.

    Was die erste und die zweite Bedingung betrifft, so ist der Begriff der Beihilfe weiter als der der Subvention; er umfasst nicht nur positive Leistungen wie etwa die Subventionen selbst, sondern auch staatliche Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, und die somit, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen nach Art und Wirkung gleichstehen. Daraus folgt, dass eine Maßnahme, mit der die staatlichen Stellen bestimmten Unternehmen eine Steuerbefreiung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, aber die Begünstigten finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG ist.

    Was die dritte Bedingung in Bezug auf die Selektivität der in Rede stehenden Maßnahmen angeht, so können Steuervorteile, die nicht für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, sondern die nur Unternehmen gewährt werden, die Tätigkeiten bestimmter Art ausüben, nicht als allgemeine steuer- oder wirtschaftspolitische Maßnahmen angesehen werden.

    Hinsichtlich der vierten Bedingung schließlich, die verlangt, dass die fragliche Maßnahme den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, bedarf es nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der Beihilfe auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen. Der innergemeinschaftliche Handel wird dann von einer von einem Mitgliedstaat gewährten Beihilfe beeinflusst, wenn sie die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern in diesem Handel stärkt. Das begünstigte Unternehmen braucht zudem nicht selbst am innergemeinschaftlichen Handel teilzunehmen. Schließlich wird die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten weder durch den verhältnismäßig geringen Umfang einer Beihilfe noch durch die verhältnismäßig geringe Größe des begünstigten Unternehmens von vornherein ausgeschlossen.

    Sind diese vier Bedingungen erfüllt, kann die Befreiung von einer Kommunal- oder Provinzialsteuer auf Motorkraft, die nur für Motoren gilt, die in Erdgasanlagen verwendet werden, nicht aber für Motoren, die für andere Industriegase eingesetzt werden, als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 EG qualifiziert werden.

    (vgl. Randnrn. 27-36, 38, Tenor 1)

    3. Ein Mitgliedstaat darf gemäß Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG die beabsichtigten Beihilfemaßnahmen nicht durchführen, bevor sie für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden sind.

    Insoweit können die nationalen Gerichte im System der Kontrolle staatlicher Beihilfen nur tätig werden, wenn sich dies aus der unmittelbaren Wirkung ergibt, die dem Verbot der Durchführung staatlicher Beihilfen nach Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG von der Rechtsprechung zuerkannt ist. Es ist insbesondere Sache der nationalen Gerichte, die Rechte des Einzelnen dagegen zu schützen, dass staatliche Stellen das Verbot der Durchführung der Beihilfen verletzen.

    In Bezug auf die Maßnahmen, die getroffen werden können oder müssen, um diesen gerichtlichen Schutz sicherzustellen, müssen die nationalen Gerichte aus einer solchen, von den Einzelnen entsprechend dem innerstaatlichen Verfahrensrecht geltend gemachten Verletzung sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Beitreibung der unter Verstoß gegen Artikel 88 Absatz 3 EG gewährten finanziellen Unterstützungen ziehen.

    Allerdings können die Schuldner einer Abgabe sich nicht darauf berufen, dass die Befreiung anderer Unternehmen eine staatliche Beihilfe darstelle, um sich der Zahlung dieser Abgabe zu entziehen oder deren Erstattung zu erwirken, denn selbst dann, wenn die in Rede stehende Steuerbefreiung eine Beihilfe im Sinne des Artikels 87 EG darstellte, könnte die etwaige Rechtswidrigkeit dieser Beihilfe die Rechtmäßigkeit der Steuer selbst nicht beeinträchtigen. Artikel 88 Absatz 3 Satz 3 EG legt nämlich eine Verpflichtung fest, die gewährleisten soll, dass eine Beihilfe nicht gewährt wird, bevor die Kommission sie für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt hat. In diesem Rahmen sind die Befugnisse der nationalen Gerichte naturgemäß im Wesentlichen präventiver Art und können nicht weiter reichen als diejenigen, die der Kommission verliehen sind, wenn sie im Anschluss an eine gründliche Prüfung eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer staatlichen Beihilfe trifft. Schließlich würde eine Ausweitung des Kreises der potenziellen Begünstigten auf andere Unternehmen es auch nicht zulassen, die Wirkungen einer unter Verstoß gegen Artikel 88 Absatz 3 EG gewährten Beihilfe zu beseitigen, sondern hätte vielmehr zur Folge, die Wirkungen dieser Beihilfe zu verstärken, da kein zwingender Zusammenhang zwischen einer Abgabe und der Befreiung von dieser Abgabe zugunsten einer Gruppe von Unternehmen besteht, denn die Anwendung einer Abgabenbefreiung und deren Umfang hängen nicht vom Aufkommen aus der Abgabe ab.

    (vgl. Randnrn. 40-46, 48, Tenor 2)

    4. Die Vorschriften des Vertrages über Abgaben gleicher Wirkung und diejenigen über diskriminierende inländische Abgaben sind nicht kumulativ anwendbar, so dass dieselbe Abgabe nach dem System des Vertrages nicht zugleich in beide Kategorien fallen kann.

    (vgl. Randnr. 50)

    5. Jede den Waren wegen des Überschreitens einer Grenze einseitig auferlegte noch so geringe finanzielle Belastung stellt, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung, eine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 25 EG dar.

    Eine Motorkraftsteuer, die insbesondere auf Motoren erhoben wird, die für den Transport von Industriegas unter sehr hohem Druck in Rohrleitungen eingesetzt werden, stellt keine Abgabe gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 25 EG dar, da der Betrieb dieser Motoren und ihr Energieverbrauch den steuerbegründenden Tatbestand darstellen, unabhängig davon, durch welchen Stoff oder durch welche Energiequelle sie angetrieben werden, und nicht das Überschreiten einer Grenze, so dass diese Steuer nicht im Zusammenhang mit der Ein- oder Ausfuhr von Waren steht.

    (vgl. Randnrn. 51, 53-54, Tenor 3)

    6. Artikel 90 EG bildet im Aufbau des Vertrages eine Ergänzung der Bestimmungen über die Abschaffung der Zölle und Abgaben gleicher Wirkung. Er soll den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten unter normalen Wettbewerbsbedingungen dadurch gewährleisten, dass jede Form des Schutzes, die aus einer Waren aus anderen Mitgliedstaaten diskriminierenden inländischen Abgabe folgen könnte, beseitigt wird.

    Finanzielle Belastungen fallen unter Artikel 90 EG, wenn sie zu einem allgemeinen inländischen Abgabensystem gehören, das Erzeugnisgruppen systematisch nach objektiven Kriterien unabhängig vom Ursprung oder der Bestimmung der Erzeugnisse erfasst.

    Eine Motorkraftsteuer, die insbesondere auf Motoren erhoben wird, die für den Transport von Industriegas unter sehr hohem Druck in Rohrleitungen eingesetzt werden, stellt keine diskriminierende inländische Abgabe im Sinne des Artikels 90 EG dar, denn sie belastet nicht in spezifischer und differenzierter Weise ausgeführte oder eingeführte Erzeugnisse, da sie an die wirtschaftlichen Tätigkeiten industrieller, gewerblicher, finanzwirtschaftlicher oder landwirtschaftlicher Betriebe, nicht aber an die Erzeugnisse als solche anknüpft und im Übrigen die mit ihr verbundene Steuerbefreiung die Motoren betrifft, die für den Transport von Erdgas eingesetzt werden, was nicht zum Nachweis des diskriminierenden Charakters dieser Steuer genügt, da es sich bei diesem Gas nicht um ein dem Industriegas entsprechendes oder mit diesem im Wettbewerb stehendes Erzeugnis handelt.

    (vgl. Randnrn. 55-59, Tenor 4)

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