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Document 62004CJ0113
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verpflichtungen der Kommission
(Verordnung Nr. 17 des Rates)
2. Rechtsmittel – Gründe – Fehlerhafte Tatsachenwürdigung – Unzulässigkeit – Überprüfung der Würdigung der Beweismittel durch den Gerichtshof – Ausschluss außer bei Verfälschung
(Artikel 225 EG; Satzung des Gerichtshofes, Artikel 58 Absatz 1)
3. Rechtsmittel – Gründe – Unzureichende oder widersprüchliche Begründung
4. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Beweis
5. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Beweis
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
6. Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die als einheitliche Zuwiderhandlung eingestuft werden können
(Artikel 81 Absatz 1 EG)
7. Rechtsmittel – Zuständigkeit des Gerichtshofes
(Artikel 81 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)
8. Rechtsmittel – Zuständigkeit des Gerichtshofes
1. Die Einhaltung einer angemessenen Frist bei der Abwicklung der Verwaltungsverfahren auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik stellt einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, dessen Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat.
Die Feststellung, dass das Verfahren übermäßig lang dauerte, ohne dass dies den betroffenen Unternehmen anzulasten wäre, kann nur dann zur Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, wegen Verstoßes gegen den genannten Grundsatz führen, wenn sich die Verfahrensdauer durch eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte der Unternehmen auf den Ausgang des Verfahrens auswirken konnte.
Bei seiner Analyse muss der Gemeinschaftsrichter das gesamte Verfahren vom Beginn der Ermittlungen der Kommission bis zum Erlass der abschließenden Entscheidung berücksichtigen.
Es muss nämlich verhindert werden, dass die Verteidigungsrechte aufgrund der übermäßigen Dauer der Ermittlungsphase vor der Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte in nicht wieder gutzumachender Weise beeinträchtigt werden und dass die Verfahrensdauer der Erbringung von Beweisen dafür entgegensteht, dass keine Verhaltensweisen vorlagen, die die Verantwortung der betroffenen Unternehmen auslösen könnten. Aus diesem Grund darf sich die Prüfung einer etwaigen Beeinträchtigung der Ausübung der Verteidigungsrechte durch die übermäßige Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht auf dessen zweiten Abschnitt beschränken, sondern muss sich auch auf die Phase vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte erstrecken; insbesondere muss geklärt werden, ob seine übermäßige Dauer die künftigen Verteidigungsmöglichkeiten der betroffenen Unternehmen beeinträchtigen konnte.
(vgl. Randnrn. 40, 47-48, 54-56)
2. Nach den Artikeln 225 EG und 58 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ist allein das Gericht zuständig für die Feststellung des Sachverhalts – sofern sich nicht aus den Prozessakten ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind – und für dessen Würdigung. Hat das Gericht den Sachverhalt festgestellt oder gewürdigt, so ist der Gerichtshof gemäß Artikel 225 EG zur Kontrolle der rechtlichen Qualifizierung dieses Sachverhalts und der vom Gericht aus ihm gezogenen Rechtsfolgen befugt.
Der Gerichtshof ist somit nicht für die Feststellung des Sachverhalts zuständig und grundsätzlich nicht befugt, die Beweise zu prüfen, auf die das Gericht seine Feststellungen gestützt hat. Sind diese Beweise ordnungsgemäß erhoben und die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die Vorschriften über die Beweislast und das Beweisverfahren eingehalten worden, so ist es nämlich allein Sache des Gerichts, den Beweiswert der ihm vorgelegten Beweismittel zu beurteilen. Diese Beurteilung stellt somit, sofern die Beweismittel nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt.
(vgl. Randnrn. 82-83)
3. Die Frage, ob die Begründung eines Urteils des Gerichts widersprüchlich oder unzulänglich ist, stellt eine Rechtsfrage dar, die als solche im Rahmen eines Rechtsmittels aufgeworfen werden kann.
Dabei verlangt die Begründungspflicht nicht, dass das Gericht bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend behandelt. Die Begründung kann daher implizit erfolgen, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die zur Stützung der Entscheidung herangezogenen Gründe zu erfahren, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrolle wahrnehmen kann.
(vgl. Randnrn. 84-85)
4. Es genügt als rechtlich hinreichender Beweis für die Kartellteilnahme eines Unternehmens, wenn die Kommission dartut, dass dieses Unternehmen an Zusammenkünften, bei denen wettbewerbswidrige Absprachen getroffen wurden, teilnahm, ohne sich ihnen eindeutig zu widersetzen. Steht fest, dass ein Unternehmen an solchen Zusammenkünften teilnahm, so obliegt es ihm, Umstände darzutun, aus denen sich ergibt, dass ihm dabei jede wettbewerbswidrige Einstellung fehlte, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber auf seine andere Zielsetzung bei der Teilnahme hingewiesen hatte.
(vgl. Randnr. 114)
5. In den meisten Fällen muss das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Indizien und Koinzidenzen abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können.
Solche Indizien und Koinzidenzen können nämlich nicht nur Aufschluss über das bloße Bestehen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen oder Vereinbarungen geben, sondern auch über die Dauer fortgesetzter wettbewerbswidriger Verhaltensweisen oder über den Anwendungszeitraum einer unter Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln getroffenen Vereinbarung.
Das Gericht begeht daher keinen Rechtsfehler, wenn es seine Beurteilung des Vorliegens und der Dauer einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung auf eine Gesamtbewertung aller relevanten Beweise und Anhaltspunkte stützt. Die Frage, welche Beweiskraft das Gericht jedem einzelnen dieser von der Kommission vorgelegten Beweise und Anhaltspunkte beigemessen hat, betrifft jedoch die Tatsachenwürdigung und ist als solche der Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels entzogen.
Auch wenn der Beweis für die Existenz einer fortgesetzten Zuwiderhandlung für bestimmte Zeiträume nicht erbracht wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Zuwiderhandlung während eines größeren Gesamtzeitraums fortbestand, sofern eine solche Feststellung auf objektiven und übereinstimmenden Indizien beruht. Im Rahmen einer solchen Zuwiderhandlung, die sich über mehrere Jahre erstreckt, bleibt die Tatsache, dass sich das Kartell während verschiedener Zeitabschnitte manifestiert, die durch mehr oder weniger lange Zwischenräume voneinander getrennt sein können, ohne Einfluss auf den Bestand dieses Kartells, sofern mit den verschiedenen Maßnahmen, die Teil dieser Zuwiderhandlung sind, im Rahmen einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung das gleiche Ziel verfolgt wird.
(vgl. Randnrn. 165-167, 169)
6. Ein Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG kann sich nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem fortgesetzten Verhalten ergeben. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein oder mehrere Teile dieser Reihe von Handlungen oder dieses fortgesetzten Verhaltens auch für sich genommen und isoliert betrachtet einen Verstoß gegen die genannte Bestimmung darstellen könnten. Fügen sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zweckes der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes in einen „Gesamtplan“ ein, so ist die Kommission berechtigt, die Verantwortung für diese Handlungen anhand der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes aufzuerlegen.
Die konkreten Auswirkungen solcher Handlungen brauchen nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken.
(vgl. Randnrn. 178, 183)
7. Allein das Gericht ist zuständig, die Art und Weise, wie die Kommission im Einzelfall die Schwere der rechtswidrigen Verhaltensweisen anhand der Wettbewerbsregeln des Vertrages beurteilt hat, zu überprüfen. Im Rechtsmittelverfahren richtet sich die Kontrolle durch den Gerichtshof zum einen darauf, inwieweit das Gericht rechtlich korrekt alle Faktoren berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Schwere eines bestimmten Verhaltens anhand der Artikel 81 EG und 15 der Verordnung Nr. 17 von Bedeutung sind, und zum anderen darauf, zu prüfen, ob das Gericht auf alle zur Stützung des Antrags auf Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße vorgebrachten Argumente rechtlich hinreichend eingegangen ist.
(vgl. Randnr. 196)
8. Es ist nicht Sache des Gerichtshofes, bei der Entscheidung über Rechtsfragen im Rahmen eines Rechtsmittels die Beurteilung des Gerichts, das in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis über den Betrag der gegen Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht festgesetzten Geldbußen entscheidet, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen.
(vgl. Randnr. 210)