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Document 62004CJ0027
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Nichtigkeitsklage — Anfechtbare Handlungen — Nichtannahme einer von der Kommission empfohlenen Entscheidung durch den Rat — Erforderliche Mehrheit nicht erreicht — Unzulässigkeit — (Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG und 230 EG)
2. Nichtigkeitsklage — Anfechtbare Handlungen — Handlung mit verbindlichen Rechtswirkungen — Schlussfolgerungen des Rates, mit denen die Verfahren bei einem übermäßigen Defizit ausgesetzt und die Empfehlungen der Kommission geändert werden — Zulässigkeit — (Artikel 104 Absätze 7 und 9 EG und 230 EG)
3. Wirtschafts- und Währungspolitik — Verfahren bei einem übermäßigen Defizit — Ermessen des Rates — Grenzen — (Artikel 104 EG; Verordnung Nr. 1467/97 des Rates)
4. Wirtschafts- und Währungspolitik — Verfahren bei einem übermäßigen Defizit — Entscheidung des Rates, das Verfahren auszusetzen — Wirkungen — Grenzen der dem Rat durch Artikel 104 Absatz 9 EG verliehenen Befugnisse — Rechtswidrigkeit — (Artikel 104 Absätze 7 und 9 EG; Verordnung Nr. 1467/97 des Rates, Artikel 9)
5. Wirtschafts- und Währungspolitik — Verfahren bei einem übermäßigen Defizit — Initiativrecht der Kommission — Änderung zuvor vom Rat angenommener Empfehlungen — Voraussetzungen — Erneute Empfehlung der Kommission — Einhaltung der in Artikel 104 Absatz 7 EG vorgesehenen Abstimmungsregeln — (Artikel 104 Absätze 7, 9 und 13 EG)
1. Die Nichtannahme der in Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG vorgesehenen und von der Kommission empfohlenen Rechtsakte durch den Rat führt nicht zu anfechtbaren Handlungen im Sinne von Artikel 230 EG. Empfiehlt die Kommission dem Rat die Annahme von Entscheidungen nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG und wird im Rat die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, so kommt nämlich keine Entscheidung im Sinne dieser Bestimmung zustande.
(vgl. Randnrn. 29, 31, 34)
2. Die Schlussfolgerungen des Rates, wonach er übereinkommt, die Defizitverfahren vorerst auszusetzen, und sich bereithält, eine Entscheidung nach Artikel 104 Absatz 9 EG zu treffen, falls der betroffene Mitgliedstaat die von ihm übernommenen, in diesen Schlussfolgerungen dargelegten Verpflichtungen nicht einhalten sollte, zielen zumindest insofern auf die Entfaltung von Rechtswirkungen ab, als die laufenden Defizitverfahren ausgesetzt und die zuvor vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen inhaltlich geändert werden. Der Rat macht damit eine etwaige Entscheidung, nach Artikel 104 Absatz 9 EG tätig zu werden, von einer Beurteilung abhängig, die als Bezugsparameter nicht mehr den Inhalt der nach Absatz 7 dieser Bestimmung angenommenen Empfehlungen, sondern die einseitigen Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats hat.
(vgl. Randnrn. 46, 48, 50)
3. Aus dem Wortlaut und der Systematik der durch den Vertrag geschaffenen Regelung des Defizitverfahrens ergibt sich, dass sich der Rat nicht von den Vorschriften in Artikel 104 EG und denjenigen, die er sich in der Verordnung Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit selbst gesetzt hat, lösen darf. Somit kann er nicht auf ein alternatives Verfahren zurückgreifen, um z. B. einen anderen Rechtsakt als eben die auf einer bestimmten Stufe des genannten Verfahrens vorgesehene Entscheidung anzunehmen oder einen Rechtsakt unter anderen als den nach den anwendbaren Bestimmungen geltenden Voraussetzungen zu erlassen.
(vgl. Randnr. 81)
4. Mit seinen Schlussfolgerungen, wonach er „überein[kommt], das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit hinsichtlich [des betroffenen Mitgliedstaats] … auszusetzen“, und „sich bereit[hält], auf der Grundlage der Empfehlung der Kommission eine Entscheidung nach Artikel 104 Absatz 9 [EG] zu treffen, falls [der betroffene Mitgliedstaat] nicht gemäß den in diesen Schlussfolgerungen dargelegten Verpflichtungen handeln sollte“, beschränkt sich der Rat nicht auf die Feststellung eines tatsächlichen Ruhens des Defizitverfahrens, das sich aus dem Unvermögen ergibt, eine von der Kommission empfohlene Entscheidung anzunehmen, wobei diesem Unvermögen jederzeit abgeholfen werden könnte. Eine solche Aussetzungsentscheidung verletzt Artikel 104 EG und Artikel 9 der Verordnung Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit.
Soweit diese Schlussfolgerungen die Aussetzung unter den Vorbehalt stellen, dass der betroffene Mitgliedstaat seine Verpflichtungen einhält, schränken sie nämlich die Befugnis des Rates ein, den Mitgliedstaat nach Artikel 104 Absatz 9 EG auf der Grundlage der früheren Empfehlung der Kommission in Verzug zu setzen, solange die Verpflichtungen als eingehalten angesehen werden. Damit sehen sie zudem vor, dass die Beurteilung, die der Rat im Hinblick auf eine Entscheidung über die Inverzugsetzung, d. h. auf die Fortsetzung des Defizitverfahrens vornimmt, als Bezugsparameter nicht mehr den Inhalt der bereits nach Artikel 104 Absatz 7 EG an den betroffenen Mitgliedstaat gerichteten Empfehlungen, sondern einseitige Verpflichtungen dieser Staaten hat.
(vgl. Randnrn. 87-89)
5. Nimmt der Rat Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG an, so kann er sie später nicht ohne erneute Empfehlung der Kommission ändern, die im Rahmen des Defizitverfahrens über ein Initiativrecht verfügt, da gemäß Artikel 104 Absatz 13 EG Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG nur auf ihre Empfehlung angenommen werden können.
Die – gemäß den für Entscheidungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 9 EG geltenden Abstimmungsregeln, d. h. unter Teilnahme allein der Mitgliedstaaten der Euro-Zone an der Abstimmung, ergangene – Entscheidung über die Annahme von Empfehlungen des Rates, die von den zuvor nach Artikel 104 Absatz 7 EG ergangenen Empfehlungen abweichen, ohne dass ihnen Empfehlungen der Kommission vorausgingen, sie auf der Grundlage der letztgenannten Bestimmung anzunehmen, ist rechtswidrig.
(vgl. Randnrn. 91-92, 94-96)