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Document 62003CJ0470

Leitsätze des Urteils

Rechtssache C-470/03

A.G.M.-COS.MET Srl

gegen

Suomen valtio und Tarmo Lehtinen

Vorabentscheidungsersuchen des Tampereen käräjäoikeus

„Richtlinie 98/37/EG — Maßnahmen gleicher Wirkung — Maschinen, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie 98/37/EG vermutet wird — Öffentlich geäußerte Kritik eines staatlichen Beamten“

Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott vom 17. November 2005   I-2753

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 17. April 2007   I-2798

Leitsätze des Urteils

  1. Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 98/37 – Behinderung des Inverkehrbringens von Maschinen, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie vermutet wird

    (Richtlinie 98/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1)

  2. Rechtsangleichung – Maschinen – Richtlinie 98/37 – Behinderung des Inverkehrbringens von Maschinen, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie vermutet wird

    (Richtlinie 98/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1 und Art. 7)

  3. Gemeinschaftsrecht – Dem Einzelnen verliehene Rechte – Verletzung durch einen Mitgliedstaat

    (Richtlinie 98/37 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1)

  4. Gemeinschaftsrecht – Dem Einzelnen verliehene Rechte – Verletzung durch einen Mitgliedstaat

  5. Gemeinschaftsrecht – Dem Einzelnen verliehene Rechte – Verletzung durch einen Mitgliedstaat

  1.  Die Äußerungen eines Beamten sind dem Staat zurechenbar, wenn aufgrund ihrer Form und der Umstände bei den Empfängern der Äußerungen der Eindruck entsteht, dass es sich um offizielle staatliche Verlautbarungen und nicht um die private Meinung des Beamten handelt. Um Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechnen zu können, kommt es entscheidend darauf an, ob die Empfänger dieser Äußerungen den Umständen nach annehmen dürfen, dass der Beamte diese Äußerungen mit Amtsautorität macht.

    Sofern die Äußerungen eines Beamten, die eine Maschine, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde, als gegen die für sie geltende harmonisierte Norm verstoßend und gefährlich darstellen, dem Staat zurechenbar sind, verletzen sie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 für Maschinen. Solche Äußerungen sind nämlich geeignet, zumindest mittelbar und potenziell das Inverkehrbringen einer derartigen Maschine zu behindern.

    Zwar greift das Verbot des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur, wenn die betreffende Maschine den Bestimmungen der Richtlinie entspricht. Insoweit bedeutet die Konformitätsvermutung gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie in Bezug auf Maschinen, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde und die mit der CE-Konformitätskennzeichnung nach Art. 10 versehen wurden, jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht eingreifen können, wenn Gefahren auftreten. Nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie ist ein Mitgliedstaat im Gegenteil gehalten, alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Maschine aus dem Verkehr zu ziehen, wenn er feststellt, dass sie trotz bestimmungsgemäßer Verwendung die Sicherheit von Personen oder Gütern zu gefährden droht. In einem solchen Fall hat der Mitgliedstaat nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie die Kommission unverzüglich von einer solchen Maßnahme zu unterrichten und seine Entscheidung zu begründen.

    Da die zuständigen Behörden des fraglichen Mitgliedstaats weder das Vorliegen einer Gefahr festgestellt noch Maßnahmen ergriffen haben, um die betreffenden Maschinen aus dem Verkehr zu ziehen, und erst recht nicht die Kommission von solchen Maßnahmen unterrichtet haben, muss dieser Staat jedoch das in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie enthaltene Verbot von Beschränkungen des freien Verkehrs der Maschinen beachten.

    (vgl. Randnrn. 61-66, Tenor 1)

  2.  Eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 für Maschinen durch das Verhalten eines Beamten kann, sofern es dem Mitgliedstaat, dem er angehört, zurechenbar ist, weder mit dem Gesundheitsschutz noch mit der Meinungsäußerungsfreiheit der Beamten gerechtfertigt werden.

    Da nämlich die für den freien Warenverkehr relevanten Vorschriften über die Sicherheitsanforderungen für das Inverkehrbringen von Maschinen auf Gemeinschaftsebene abschließend harmonisiert sind, kann sich ein Mitgliedstaat außerhalb des durch Art. 7 der Richtlinie geschaffenen Rahmens nicht auf den Gesundheitsschutz als Rechtfertigung berufen.

    Die Meinungsäußerungsfreiheit wird zwar allen Personen garantiert, die der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterliegen, und stellt eine wesentliche Grundlage jeder demokratischen Gesellschaft dar, doch können sich die Mitgliedstaaten nicht auf die Meinungsäußerungsfreiheit ihrer Beamten berufen, um eine Behinderung zu rechtfertigen und sich dadurch ihrer gemeinschaftsrechtlichen Verantwortung zu entziehen.

    (vgl. Randnrn. 70, 72-73, Tenor 2)

  3.  Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 für Maschinen ist dahin auszulegen, dass er im Fall von Maschinen, die richtlinienkonform sind oder deren Konformität vermutet wird, Einzelnen Rechte verleiht und den Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum einräumt. Die Nichtbeachtung dieser Bestimmung durch Äußerungen eines Beamten eines Mitgliedstaats stellt, sofern sie diesem Staat zurechenbar sind, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, um die Haftung dieses Staats auszulösen.

    (vgl. Randnr. 86, Tenor 3)

  4.  Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, dass im nationalen Recht eines Mitgliedstaats besondere Voraussetzungen für den Ersatz von anderen Schäden als Personen- und Sachschäden vorgesehen werden, sofern sie so ausgestaltet sind, dass sie eine Entschädigung für den Schaden, der durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstanden ist, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Bei einem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist daher der vollständige Ausschluss des Einzelnen entgangenen Gewinns vom ersatzfähigen Schaden insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur nicht zulässig.

    (vgl. Randnrn. 95-96, Tenor 4)

  5.  Im Fall eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht steht dieses der Möglichkeit der Haftung eines Beamten neben derjenigen des Mitgliedstaats nicht entgegen, verlangt sie aber nicht.

    (vgl. Randnr. 99, Tenor 5)

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