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Document 62002CJ0167

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Nichtigkeitsklage — Natürliche oder juristische Personen — Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen — Auslegung contra legem des Erfordernisses individueller Betroffenheit — Unzulässigkeit — (Artikel 230 Absatz 4 EG)

    2. Nichtigkeitsklage — Natürliche oder juristische Personen — Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen — Handlung des Parlaments, die unterschiedslos für seine derzeitigen oder künftigen Mitglieder gilt — Unzulässigkeit — (Artikel 230 Absatz 4 EG; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments)

    3. Europäische Gemeinschaften — Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe — Handlungen mit allgemeiner Geltung — Erfordernis für natürliche oder juristische Personen, eine Einrede der Rechtswidrigkeit zu erheben oder ein Vorabentscheidungsersuchen zur Prüfung der Gültigkeit zu veranlassen — (Artikel 230 Absatz 4 EG, 234 EG und 241 EG)

    4. Gemeinschaftsrecht — Grundsätze — Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz — Unzulässigkeit der Klage einiger Mitglieder des Europäischen Parlaments gegen eine Handlung des Organs betreffend Änderungen seiner Geschäftsordnung im Zusammenhang mit den internen Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) — Kein Verstoß gegen den fraglichen Grundsatz

    Leitsätze

    1. Eine natürliche oder juristische Person ist nur befugt, eine Nichtigkeitsklage gegen eine nicht an sie gerichtete Entscheidung zu erheben, wenn sie von dieser nicht nur unmittelbar, sondern auch individuell betroffen ist. Mit einer Auslegung des Artikels 230 Absatz 4 EG, die zum Wegfall dieser letzteren, im EG‑Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzung führen würde, würden die den Gemeinschaftsgerichten im EG‑Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten.

    (vgl. Randnr. 25)

    2. Eine Handlung des Parlaments, die unterschiedslos für die Mitglieder dieses Organs gilt, die im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Abgeordnete sind, wie für diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt diese Funktion ausüben, betrifft einige dieser Abgeordneten nicht individuell im Sinne von Artikel 230 EG.

    Denn eine solche Handlung gilt unbefristet, hat einen objektiven Tatbestand und erzeugt Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen, ohne bestimmte Abgeordnete in besonderer Weise zu berühren.

    Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht die vom Gerichtshof für Personen, deren besondere Lage der Urheber einer Handlung mit allgemeiner Geltung berücksichtigen musste, zugelassene Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen diese Handlung, da man in Bezug auf eine Handlung wie die hier genannte nicht der Ansicht sein kann, dass einige Abgeordnete sich, auch unter dem Blickwinkel der Rechte und der Pflichten, die ihre Stellung ausmachen, in einer besonderen Lage befinden, durch die sie von anderen betroffenen Abgeordneten unterschieden werden können, und dass sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert sind wie ein Adressat.

    (vgl. Randnrn. 28-30, 33, 37)

    3. Der EG‑Vertrag mit den Artikeln 230 EG und 241 EG einerseits und Artikel 234 EG andererseits hat ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut ist, gewährleisten soll. Nach diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG generelle Gemeinschaftshandlungen nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach Artikel 241 EG vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen feststellen können, zu veranlassen, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

    (vgl. Randnr. 46)

    4. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass einige Mitglieder des Europäischen Parlaments keinen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz hätten, wenn eine Nichtigkeitsklage gegen einen Beschluss des Parlaments über die Änderungen seiner Geschäftsordnung im Anschluss an die Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die internen Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) vor dem Gemeinschaftsrichter nicht zulässig ist.

    Denn zum einen sehen die Vorschriften dieses Beschlusses über die Zusammenarbeit mit dem OLAF oder die Information von OLAF, was auch immer ihre genaue Bedeutung ist, nur solche Pflichten der Abgeordneten vor, bei denen es in erster Linie diesen obliegt, im Einzelfall zu entscheiden, ob sie ihnen nachkommen oder ihnen, wenn sie der Überzeugung sind, dass sie das ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht tun können, nicht nachkommen. Wenn im Einzelfall ein Abgeordneter diese letztere Haltung einnimmt, können eventuelle beschwerende Maßnahmen des Parlaments gegen diesen Abgeordneten grundsätzlich Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein.

    Zum anderen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass bei verschiedenen Maßnahmen, die das OLAF in Ausübung seiner Untersuchungsbefugnisse treffen könnte, ein Abgeordneter, der von diesen Maßnahmen besonders betroffen wäre, hiergegen keinen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz hätte, da die Vorschriften über die Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte – sei es über die Erhebung von Klagen bei ihnen oder über die Befassung des Gerichtshofes durch ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts – insbesondere im Licht des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes auszulegen sind.

    (vgl. Randnrn. 48-50)

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