This document is an excerpt from the EUR-Lex website
Document 62001TJ0277
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)
5. Dezember 2002
Rechtssache T-277/01
Romuald Stevens
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
„Beamte — Disziplinarverfahren — Strafrechtliche Verurteilung — Entfernung aus dem Dienst ohne Verlust der Ruhegehaltsansprüche — Anhörung gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs IX des Statuts“
Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache II-1273
Gegenstand:
Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 14. Dezember 2000, den Kläger ohne Verlust seiner Ruhegehaltsansprüche aus dem Dienst zu entfernen.
Entscheidung:
Die Klage wird abgewiesen. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Leitsätze
Beamte – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Entscheidung der Anstellungsbehörde, mit der ohne vorherige Anhörung des Betroffenen eine Disziplinarstrafe verhängt wird – Dem Betroffenen zuzuschreibendes Fehlen einer vorherigen Anhörung – Rechtmäßigkeit
(Beamtenstatut, Anhang IX, Artikel 7 Absatz 3)
Beamte – Beschwerende Verfügung – Disziplinarstrafe – Begründungspflicht – Umfang
(Beamtenstatut, Artikel 25)
Beamte – Disziplinarordnung – Strafe – Entfernung aus dem Dienst – Ermessen der Anstellungsbehörde – Gerichtliche Nachprüfung – Tragweite – Grenzen
(Beamtenstatut, Artikel 86 bis 89)
Beamte – Disziplinarordnung – Strafrechtliche Verurteilung des Betroffenen durch ein nationales Gericht – Recht der Anstellungsbehörde, sich auf die Tatsachenfeststellungen in der rechtskräftigen Entscheidung des Strafgerichts zu stützen
(Beamtenstatut, Artikel 88 Absatz 5)
Beamte – Disziplinarordnung – Strafe – Ermessen der Anstellungsbehörde – Gesamtbeurteilung aller Tatsachen und Umstände des jeweiligen Einzelfalls
(Beamtenstatut, Artikel 86 und 89)
Der Umstand, dass der Betroffene entgegen Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs IX des Statuts nicht vor Erlass der Entscheidung der Anstellungsbehörde von dieser gehört wurde, führt nicht zur Aufhebung der Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarstrafe gegen ihn, wenn dieses Versäumnis dem Betroffenen selbst zuzuschreiben ist. Die Anstellungsbehörde ist nämlich nicht verpflichtet, den Zeitpunkt dieser Anhörung unbegrenzt hinauszuschieben, bis der Betroffene in der Lage ist, daran teilzunehmen. Im Gegenteil, die das Disziplinarverfahren abschließende Entscheidung darf sowohl im Interesse des Beamten als auch im Interesse der Verwaltung nicht ohne Grund verzögert werden. Darin liegt der Zweck der in Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Einmonatsfrist, die eine „Regel guter Verwaltungsführung“ darstellt.
(Randnr. 41)
Vgl. Gerichtshof, 4. Februar 1970, Van Eick/Kommission, 13/69, Slg. 1970, 3, Randnr. 4; Gerichtshof, 27. November 2001, Z/Parlament, C-270/99 P, Slg. 2001, I-9197, Randnr. 21; Gericht, 18. Dezember 1997, Daffix/Kommission, T-12/94, Slg. ÖD 1997, I-A-453 und II-1197, Randnrn. 130 und 131; Gericht, 16. Mai 2000, Irving/Kommission, T-121/99, Slg. ÖD 2000, I-A-85 und II-357, Randnr. 53
Die Begründung einer beschwerenden Entscheidung muss dem Betroffenen die erforderlichen Hinweise für die Feststellung geben, ob die Entscheidung in der Sache begründet ist, und es dem Gemeinschaftsrichter ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen.
Die Frage, ob die Begründung der Entscheidung der Anstellungsbehörde über die Verhängung einer Disziplinarstrafe diesen Anforderungen entspricht, ist nicht nur anhand ihres Wortlauts, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften zu prüfen, die für den betreffenden Bereich gelten. Der Disziplinarrat und die Anstellungsbehörde sind insoweit zwar verpflichtet, die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu deren Erlass veranlasst haben; es ist aber nicht erforderlich, dass sie auf alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte eingehen, die der Betroffene im Laufe des Verfahrens vorgebracht hat. Entscheidet sich die Anstellungsbehörde für die vom Disziplinarrat vorgeschlagene Strafe, so ist keine zusätzliche Begründung hinsichtlich der Angemessenheit der Strafe erforderlich.
(Randnr. 70 und 71)
Vgl. Gerichtshof, 20. November 1997, Kommission/V, C-188/96P, Slg. 1997, I-6561, Randnrn.26 bis 29; Gericht, 16. Juli 1998, Y/Parlament, T-144/96, Slg. ÖD 1998, I-A-405 und II-1153; Gericht, 19. Mai 1999, Connolly/Kommission, T-34/96 und T-163/96, Slg. ÖD 1999, I-A-87 und II-463, Randnr. 93
Sind die Tatsachen, auf denen der gegen den Beamten erhobene Vorwurf beruht, festgestellt, so ist es Sache der Anstellungsbehörde, die angemessene Disziplinarstrafe zu wählen. Eine Entscheidung, mit der die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst verhängt wird, ist angesichts ihrer ernsten Folgen zwangsläufig mit schwierigen Überlegungen seitens des Organs verbunden. Die Anstellungsbehörde verfügt insoweit über ein weites Ermessen, und die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich auf die Prüfung der Frage, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend festgestellt worden ist, ob keine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung dieses Sachverhalts vorliegt und ob kein Ermessensmissbrauch gegeben ist.
(Randnr. 73)
Vgl. Gericht, 15. Mai 1997, N/Kommission, T-273/94, Slg. ÖD 1997, I-A-97 und II-289, Randnr. 125
Die Anstellungsbehörde ist berechtigt, sich auf die Tatsachenfeststellungen zu stützen, die in einer rechtskräftigen strafrechtlichen Entscheidung getroffen worden sind, auch wenn der betreffende Beamte das Vorliegen dieser Tatsachen im Disziplinarverfahren bestreitet. Artikel 88 Absatz 5 des Statuts, in dem der Grundsatz verankert ist, dass das Strafverfahren das Disziplinarverfahren in der Schwebe hält, ist insbesondere dadurch gerechtfertigt, dass die nationalen Strafgerichte über weiter gehende Untersuchungsbefugnisse verfügen als die Anstellungsbehörde. Diese kann sich daher auf die in einer rechtskräftigen strafrechtlichen Entscheidung getroffenen Tatsachenfestellungen stützen.
(Randnr. 76)
Vgl. Gericht, 19. März 1998, Tzoanos/Kommission, T-74/96, Slg. ÖD 1998. I-A-129 und II-343, Randnr. 34; Gericht, 21. November 2000, A/Kommission, T-23/00, Slg. ÖD 2000. I-A-263 und II-1211, Randnr. 37
Die Bestimmung der zu verhängenden Strafe beruht auf einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls durch die Anstellungsbehörde, da die Artikel 86 und 89 des Statuts das Verhältnis zwischen den Disziplinarstrafen und den verschiedenen Arten von Pflichtverletzungen, die bestraft werden können, nicht festlegen und nicht regeln, inwiefern sich das Vorliegen von erschwerenden oder mildernden Umständen auf die Wahl der Strafe auswirkt.
(Randnr. 78)
Vgl. Gericht, 7. März 1996, Williams/Rechnungshof, T-146/94, Slg. ÖD 1996, I-A-103 und II-329, Randnr. 107