Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61999TJ0231

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Nichtigkeitsklage - Natürliche oder juristische Personen - Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen - Entscheidung der Kommission, mit der eine Einzelfreistellung für eine Vereinbarung erteilt wird - Klage eines an der Vereinbarung Beteiligten, der vor den nationalen Gerichten Schadensersatzklage erhoben hat - Zulässigkeit

(Artikel 230 Absatz 4 EG)

2. Nichtigkeitsklage - Klagebefugnis - Klagerecht einer natürlichen oder juristischen Person gegen eine Freistellungsentscheiung, die zahlreiche Personen betrifft - Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

(Artikel 230 EG)

3. Wettbewerb - Kartelle - Verbot - Freistellung - Voraussetzungen - Gerichtliche Nachprüfung - Grenzen

(Artikel 81 Absatz 3 EG)

4. Verfahren - Klageschrift - Formerfordernisse - Kurze Darstellung der Klagegründe - Entsprechende Erfordernisse für die zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachten Rügen - Rügen, die in der Klageschrift nicht dargestellt sind - Bezugnahme auf sämtliche Anlagen - Unzulässigkeit

(EG-Satzung des Gerichtshofes, Artikel 19 Absatz 1; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 44 § 1)

5. Verfahren - Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens - Voraussetzungen - Neues Vorbringen - Begriff - Entsprechende Anwendung auf die zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachten Rügen

(Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 48 § 2)

6. Handlungen der Organe - Begründungspflicht - Umfang - Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln

(Artikel 253 EG)

Leitsätze

1. Andere Rechtssubjekte als die Adressaten einer Entscheidung können nur dann geltend machen, individuell im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender tatsächlicher Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten.

Hat eine Person, die an einer Vereinbarung beteiligt ist, geltend gemacht, dass ihr durch diese Vereinbarung diskriminierende Preise aufgezwungen und sie dadurch an einem gleichberechtigten Wettbewerb mit anderen gehindert werde, und hat sie vor den nationalen Gerichten eine Schadensersatzklage gegen die andere Partei mit der Begründung erhoben, dass ihr durch die Vereinbarung Verpflichtungen auferlegt worden seien, die gegen Artikel 81 EG verstießen, so ist diese Person von einer Entscheidung über die Freistellung der Vereinbarung individuell betroffen.

( vgl. Randnrn. 28-30 )

2. Die Bürger haben nach dem Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, wobei im EG-Vertrag ein umfassendes System des Rechtsschutzes gegen Handlungen der Gemeinschaftsorgane geschaffen werden sollte, die Rechtswirkungen entfalten können.

Dieser Anspruch des Bürgers würde jedoch seine Bedeutung verlieren, wenn die Gültigkeit einer Handlung, gegen die gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG eine Nichtigkeitsklage zulässig ist, deshalb nicht in Frage gestellt werden könnte, weil diese Handlung zahlreiche weitere Personen betrifft und ihre Anfechtung deshalb gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen würde.

Wenn der Grundsatz der Rechtssicherheit dem Anspruch einer Vertragspartei entgegenstuende, eine Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung über die Freistellung einer Vereinbarung zu erheben, die diese Partei gemeinsam mit zahlreichen anderen Wirtschaftsteilnehmern geschlossen hat, dann wäre nach demselben Grundsatz auch ein nationales Gericht daran gehindert, dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG ein Vorabentscheidungsersuchen über die Gültigkeit dieser Entscheidung vorzulegen, wenn die betreffende Vertragspartei sich in einem Verfahren vor diesem Gericht auf deren Unwirksamkeit berufen würde. Die Feststellung der Ungültigkeit eines Rechtsakts durch den Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren hat nämlich eine vergleichbare Wirkung wie eine auf eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 230 EG hin ergangene Entscheidung des Gerichts, mit der der Rechtsakt für nichtig erklärt wird.

( vgl. Randnrn. 32-34 )

3. Der Gemeinschaftsrichter darf die komplexen wirtschaftlichen Bewertungen, die die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 81 Absatz 3 EG im Hinblick auf dessen vier Voraussetzungen vornimmt, nur daraufhin überprüfen, ob die Verfahrens- und Begründungsregeln beachtet wurden, ob der Tatbestand richtig festgestellt wurde, ob kein offenkundiger Beurteilungsfehler und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.

( vgl. Randnr. 36 )

4. Nach Artikel 19 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes und Artikel 44 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Klagegründe, die sich auf die Verletzung zwingenden Rechts beziehen, sind vom Gericht von Amts wegen zu prüfen. Die Angaben zu den Klagegründen müssen hinreichend klar und deutlich sein, damit der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht - gegebenenfalls ohne Einholung weiterer Informationen - über die Klage entscheiden kann. Entsprechende Erfordernisse gelten für eine zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachte Rüge. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, dass sich die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben. Zwar kann der Text der Klageschrift zu bestimmten Punkten durch Bezugnahmen auf in der Anlage beigefügte Aktenauszüge untermauert und ergänzt werden, doch kann eine pauschale Bezugnahme auf andere Schriftstücke, auch wenn sie der Klageschrift als Anlagen beigefügt sind, nicht das Fehlen der wesentlichen Bestandteile der rechtlichen Ausführungen ausgleichen, die nach den genannten Bestimmungen in der Klageschrift enthalten sein müssen. Im Übrigen ist es nicht Sache des Gerichts, die Klagegründe und Argumente, auf die sich die Klage möglicherweise stützen lässt, in den Anlagen zu suchen und zu bestimmen, denn die Anlagen haben eine bloße Beweis- und Hilfsfunktion.

( vgl. Randnr. 154 )

5. Aus Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ergibt sich, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Allerdings ist ein Vorbringen, das eine Erweiterung eines bereits unmittelbar oder mittelbar in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und in engem Zusammenhang mit diesem steht, als zulässig anzusehen. Das Gleiche gilt für eine zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachte Rüge.

( vgl. Randnr. 156 )

6. Die nach Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung muss die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können, damit sie ihre Rechte vertreten können und der Gemeinschaftsrichter seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.

Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse der Adressaten oder anderer durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffener Personen an Erläuterungen zu beurteilen. Die Begründung braucht nicht sämtliche tatsächlich oder rechtlich erheblichen Gesichtspunkte zu enthalten, da die Frage, ob die Begründung einer Entscheidung den Erfordernissen des Artikels 253 EG genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln, zu beurteilen ist.

Insbesondere braucht die Kommission nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte einzugehen, die im Verwaltungsverfahren behandelt worden sind. Die Kommission muss auch nicht zu allen Argumenten Stellung nehmen, die die Betroffenen für ihren Antrag vorbringen; vielmehr reicht es aus, dass sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach der Systematik der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt.

( vgl. Randnrn. 164-166 )

Top