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Document 61999CJ0400(01)
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Nichtigkeitsklage – Gegenstand – Antrag auf Nichtigerklärung einer Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Verfahrens zur Prüfung einer staatlichen Beihilfe nach Artikel 88 Absatz 2 EG, mit dem die Verpflichtung in Frage gestellt wird, die geprüften Maßnahmen bis zum Abschluss des betreffenden Verfahrens auszusetzen – Ergehen der das Verfahren abschließenden Entscheidung, die Bestandskraft erlangt – Fortbestehen des Klagegegenstands
2. Handlungen der Organe – Begründungspflicht – Umfang – Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG
(Artikel 88 Absatz 2 EG und 253 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates)
3. Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Entscheidung über die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG – Verpflichtung, die Beihilfemaßnahme zunächst mit dem betroffenen Mitgliedstaat zu erörtern und die Sachlage im Licht der von diesem mitgeteilten Gesichtspunkte zu prüfen – Verpflichtung dieses Mitgliedstaats zu loyaler Zusammenarbeit
(Artikel 10 EG und 88 Absatz 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Artikel 10 und 13)
4. Nichtigkeitsklage – Gründe – Ermessensmissbrauch – Begriff
(Artikel 230 EG)
5. Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Beurteilungsschwierigkeiten in Bezug auf die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt oder Bestehen von Zweifeln am Beihilfecharakter – Verpflichtung der Kommission zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG
(Artikel 87 EG und 88 Absätze 2 und 3 EG)
6. Staatliche Beihilfen – Prüfung durch die Kommission – Bestimmung des verfahrensrechtlichen Rahmens durch die vorherige Einstufung der fraglichen Maßnahmen als bestehende oder als neue Beihilfen – Kein Ermessen der Kommission – Verpflichtung des Mitgliedstaats, der die Einstufung als bestehende Beihilfen fordert, zu loyaler Zusammenarbeit
(Artikel 10 EG und 88 EG)
7. Staatliche Beihilfen – Von der Kommission genehmigte allgemeine Beihilferegelung – Einzelbeihilfe, die als in den Rahmen der Genehmigung fallend dargestellt wird – Prüfung durch die Kommission – Beurteilung in erster Linie im Hinblick auf die Genehmigungsentscheidung und nur hilfsweise im Hinblick auf den Vertrag
(Artikel 87 EG und 88 EG)
8. Staatliche Beihilfen – Bestehende und neue Beihilfen – Zahlungen zugunsten von Schifffahrtsgesellschaften, die im Rahmen von Verträgen über gemeinwirtschaftliche Dienste Linienverbindungen mit Inseln sicherstellen – Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3577/92 – Anwendung der Regelung über neue Beihilfen allein auf die Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung eines vertraglichen Gleichgewichts nicht erforderlich sind
(Artikel 88 Absätze 1 und 3 EG; Verordnung Nr. 3577/92 des Rates, Artikel 4 Absatz 3)
1. Eine gegen eine Entscheidung der Kommission, das Verfahren zur Prüfung einer staatlichen Beihilfe nach Artikel 88 Absatz 2 EG einzuleiten, gerichtete Klage, die im Kern auf die Feststellung abzielt, dass die betreffenden Maßnahmen nicht bis zum Abschluss dieses Verfahrens ausgesetzt zu werden brauchen, wird nicht dadurch gegenstandslos, dass nach ihrer Erhebung eine Entscheidung ergeht, die das genannte Verfahren abschließt und in der Zwischenzeit bestandskräftig geworden ist.
(vgl. Randnrn. 15-18)
2. Die in Artikel 253 EG aufgestellte Verpflichtung, eine beschwerende Entscheidung zu begründen, soll dem Gerichtshof ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen, und dem Betroffenen ausreichende Hinweise für die Feststellung geben, ob die Entscheidung begründet ist oder ob sie unter einem Mangel leidet, aufgrund dessen ihre Rechtmäßigkeit in Frage gestellt werden kann.
Bei einer Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 88 Absatz 2 EG in Bezug auf vermutete staatliche Beihilfen könnte die Nichterwähnung der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] oder einer ihrer Vorschriften in dieser Entscheidung nur dann möglicherweise einen Begründungsmangel darstellen, wenn die Kommission Vorschriften dieser Verordnung angewendet hätte, die sich nicht unmittelbar aus dem EG-Vertrag ergeben.
(vgl. Randnrn. 22-23)
3. In Anbetracht der rechtlichen Folgen einer Entscheidung, das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG einzuleiten, indem die betreffenden Maßnahmen vorläufig als neue Beihilfen eingestuft werden, obwohl der betroffene Mitgliedstaat mit dieser Einstufung womöglich nicht einverstanden ist, muss die Kommission die fraglichen Maßnahmen zunächst mit dem betroffenen Mitgliedstaat erörtern, damit dieser ihr gegebenenfalls mitteilen kann, dass diese Maßnahmen seiner Auffassung nach keine Beihilfen darstellen oder dass sie bestehende Beihilfen darstellen. Die Artikel 10 und 13 der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] sind mit diesem Erfordernis vereinbar und machen es für die Kommission deshalb nicht entbehrlich, eine Maßnahme mit dem betroffenen Mitgliedstaat zu erörtern, bevor das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG eingeleitet wird.
Die Kommission muss, wenn der Beihilfecharakter bestritten wird, die Frage ausreichend auf der Grundlage der ihr von dem betreffenden Staat in diesem Stadium übermittelten Informationen prüfen, auch wenn diese Prüfung nicht zu einer abschließenden Beurteilung führt. Im Rahmen des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Organen, wie er sich aus Artikel 10 EG ergibt, und um das Verfahren nicht zu verzögern, obliegt es dem Mitgliedstaat, dessen Auffassung nach die fraglichen Maßnahmen keine Beihilfen darstellen, seinerseits, der Kommission ab dem Zeitpunkt, zu dem sie ihn mit den betreffenden Maßnahmen konfrontiert, so früh wie möglich die Gesichtspunkte mitzuteilen, die für diese Auffassung sprechen. Wenn diese Gesichtspunkte es erlauben, die Zweifel dahin auszuräumen, dass die geprüften Maßnahmen keine Beihilfeelemente aufweisen, kann die Kommission das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG nicht einleiten. Wenn diese Gesichtspunkte es dagegen nicht erlauben, die Zweifel am Vorliegen von Beihilfeelementen auszuräumen, und wenn ferner Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt bestehen, muss die Kommission dieses Verfahren einleiten.
(vgl. Randnrn. 29-30, 48)
4. Der Begriff des Ermessensmissbrauchs betrifft den Fall, dass eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisse zu einem anderen Zweck einsetzt als demjenigen, zu dem sie ihr übertragen worden sind. Eine Entscheidung ist nur ermessensmissbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie zu solch einem anderen Zweck getroffen wurde.
(vgl. Randnr. 38)
5. Die Kommission ist bei der Prüfung von Beihilfemaßnahmen anhand von Artikel 87 EG zwecks Feststellung, ob diese mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind, gehalten, das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG einzuleiten, wenn sie nach der Vorprüfungsphase nicht alle Schwierigkeiten hat ausräumen können, die der Annahme der Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt entgegenstehen. Natürlich müssen diese Grundsätze ebenso Anwendung finden, wenn die Kommission auch noch Zweifel an der Einstufung der geprüften Maßnahme als Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG an und für sich hat.
(vgl. Randnr. 47)
6. Die Verpflichtung, unter bestimmten Umständen das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG einzuleiten, bestimmt nicht vorab den prozeduralen Rahmen, in den diese Entscheidung einzusetzen ist, d. h. denjenigen der ständigen Prüfung der bestehenden Beihilferegelungen, wie er sich aus Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 des Artikels 88 EG ergibt, oder denjenigen der Kontrolle der neuen Beihilfen, wie er sich aus Absatz 3 in Verbindung mit Absatz 2 des Artikels 88 EG ergibt.
In Anbetracht der Rechtsfolgen dieser prozeduralen Entscheidung im Fall von bereits in der Durchführung befindlichen Maßnahmen kann die Kommission nicht ohne weiteres den zweiten prozeduralen Rahmen wählen, wenn der betroffene Mitgliedstaat geltend macht, der erste müsse angewandt werden. In einem solchen Fall muss die Kommission die Frage auf der Grundlage der ihr in diesem Stadium von dem Mitgliedstaat übermittelten Informationen ausreichend prüfen, auch wenn diese Prüfung zu einer nicht endgültigen Einstufung der geprüften Maßnahmen führt.
Ebenso wie in dem Fall, in dem sich die Frage stellt, ob überhaupt Beihilfeelemente vorliegen, obliegt es dem Mitgliedstaat, nach dessen Auffassung es sich um eine bestehende Beihilfe handelt, im Rahmen des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Organen, wie er sich aus Artikel 10 EG ergibt, und um das Verfahren nicht zu verzögern, seinerseits der Kommission ab dem Zeitpunkt, zu dem diese ihn mit der betreffenden Maßnahme konfrontiert, so früh wie möglich die Gesichtspunkte mitzuteilen, die für diese Auffassung sprechen. Wenn diese Gesichtspunkte im Rahmen einer vorläufigen Prüfung die Annahme zulassen, dass die streitigen Maßnahmen wahrscheinlich tatsächlich bestehende Beihilfen darstellen, muss die Kommission sie in dem prozeduralen Rahmen der Absätze 1 und 2 des Artikels 88 EG behandeln. Erlauben die von dem Mitgliedstaat übermittelten Informationen dagegen nicht diese vorläufige Schlussfolgerung oder übermittelt der Mitgliedstaat insoweit keine Informationen, muss die Kommission diese Maßnahmen in dem prozeduralen Rahmen der Absätze 3 und 2 dieses Artikels behandeln.
(vgl. Randnrn. 53-55)
7. Es würde gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verstoßen, wenn die Kommission, nachdem sie eine Beihilferegelung genehmigt hat, Maßnahmen zur Durchführung dieser Regelung erneut als neue Beihilfen prüfen würde. Daher kann die Kommission, wenn der betroffene Mitgliedstaat behauptet, Maßnahmen seien aufgrund einer zuvor genehmigten Regelung gewährt worden, nicht ohne weiteres das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG in Bezug auf diese Maßnahmen einleiten und diese als neue Beihilfen ansehen, was ihre Aussetzung implizierte, sondern sie muss zunächst feststellen, ob diese Maßnahmen durch die betreffende Regelung gedeckt sind und, wenn ja, ob sie die in der Entscheidung über die Genehmigung dieser Regelung aufgestellten Voraussetzungen erfüllen. Nur wenn die Kommission dies nach Abschluss dieser Prüfung verneint, kann sie das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG einleiten und die betreffenden Maßnahmen als neue Beihilfen behandeln. Wenn sie dies dagegen bejaht, muss sie diese Maßnahmen als bestehende Beihilfen nach dem Verfahren des Artikels 88 Absätze 1 und 2 EG behandeln.
(vgl. Randnr. 57)
8. In Anbetracht dessen, dass Verträge über gemeinwirtschaftliche Dienste nach Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) von Natur aus finanzielle Bestimmungen enthalten, die erforderlich sind, um die darin vorgesehenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu gewährleisten, und angesichts dessen, dass Absatz 3 dieses Artikels seinem Wortlaut nach die Aufrechterhaltung der genannten Verträge bis zu ihrem Ablaufdatum vorsieht, ohne den Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf bestimmte Aspekte dieser Verträge zu beschränken, sind die finanziellen Regelungen zur Gewährleistung der darin enthaltenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen durch diesen Artikel 4 Absatz 3 gedeckt.
Dagegen können etwaige Beihilfen, die über das hinausgehen, was zur Gewährleistung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erforderlich ist, die Gegenstand der fraglichen Verträge sind, nicht in den Anwendungsbereich der letztgenannten Bestimmung fallen, eben weil sie nicht für die Ausgeglichenheit und damit die Aufrechterhaltung solcher Verträge erforderlich sind, und sie können daher nicht auf der Grundlage dieser Bestimmung als bestehende Beihilfen anerkannt werden.
(vgl. Randnrn. 64-65)