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Document 61998CJ0390
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. EGKS - Beihilfen für den Steinkohlenbergbau - Bestimmungen über diskriminierende Unterscheidungen zwischen Erzeugern - Beihilfen und Sonderlasten - Unterscheidung
(EGKS-Vertrag, Artikel 4 Buchstaben b und c; Allgemeine Entscheidung Nr. 3632/93)
2. EGKS - Beihilfen für den Steinkohlenbergbau - Bestimmungen über diskriminierende Unterscheidungen zwischen Erzeugern - Beihilfen und Sonderlasten - Situation des Steinkohlenbergbaus im Vereinigten Königreich nach der Umstrukturierung
(EGKS-Vertrag, Artikel 4 Buchstaben b und c)
3. EGKS - Beihilfen für den Steinkohlenbergbau - Bestimmungen über diskriminierende Unterscheidungen zwischen Erzeugern - Unmittelbare Wirkung von Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag und Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 der Entscheidung Nr. 3632/93 - Keine unmittelbare Wirkung von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag - Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die Konsequenzen aus einem Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 der Entscheidung Nr. 3632/93 - Situation des Steinkohlenbergbaus im Vereinigten Königreich nach der Umstrukturierung - Rückzahlung der Beihilfe - Maßnahme, die nicht zur Wiederherstellung der früheren Situation geeignet ist
(EGKS-Vertrag, Artikel 4 Buchstaben b und c; Allgemeine Entscheidung Nr. 3632/93, Artikel 9 Absatz 4)
4. EGKS - Beihilfen für den Steinkohlenbergbau - Bestimmungen über diskriminierende Unterscheidungen zwischen Erzeugern - Unmittelbare Wirkung von Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag und Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 der Entscheidung Nr. 3632/93 - Unternehmen, das in einer bei der Kommission eingelegten Beschwerde Verstöße gegen diese Bestimmungen gerügt hat - Fehlen einer Entscheidung der Kommission - Unternehmen, das keine Untätigkeitsklage erhoben hat - Recht, dieselben Verstöße vor den nationalen Gerichten zu rügen
(EGKS-Vertrag, Artikel 4 Buchstabe b, 35 und 86 Absätze 1 und 2; Allgemeine Entscheidung Nr. 3632/93, Artikel 9 Absatz 4)
1. Eine Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag und der Entscheidung Nr. 3632/93 über die Gemeinschaftsregelung für staatliche Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus besteht in einer Verringerung der Belastungen, die normalerweise den Etat der Unternehmen in Anbetracht der Natur oder des Aufbaus der fraglichen Lastenregelung treffen, während eine Sonderlast eine zusätzliche, über diese normalen Belastungen hinausgehende Last ist. Folglich kann eine Maßnahme nicht zugleich eine Beihilfe und eine Sonderlast im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag sein.
Eine mit Belastungen verbundene Maßnahme kann unter Umständen auch dann eine Diskriminierung im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag darstellen, wenn sie weder die Merkmale einer Beihilfe noch die einer Sonderlast im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c dieses Vertrages aufweist. Umgekehrt stellt eine Beihilfe nicht unbedingt eine diskriminierende Maßnahme dar, und es ist auch nicht völlig ausgeschlossen, dass eine Maßnahme, mit der eine Sonderlast geschaffen wird, nicht diskriminierend ist.
( vgl. Randnrn. 33-34, 36 )
2. Unter Umständen, wie sie im Steinkohlenbergbau des Vereinigten Königreichs seit dem Tag der Umstrukturierung bis zur Übertragung der Anteile an den im Eigentum der Krone stehenden Gesellschaften, die der British Coal Corporation als Betreiber nachfolgten, auf die privaten Zuschlagsempfänger bestanden - unterschiedliche Behandlung der Bergbauunternehmen, die als Gegenleistung für das Recht zur Ausbeutung der Kohleminen Gebühren zahlen müssen, und der Unternehmen, die von diesen Gebühren befreit sind -, liegen Beihilfen im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag, nicht aber Sonderlasten im Sinne dieser Bestimmung vor. Unter solchen Umständen kann auch eine Diskriminierung zwischen Erzeugern im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag vorliegen. Dies wäre dann der Fall, wenn keine gewichtigen objektiven Unterschiede zwischen der Situation der British Coal Corporation und der im Eigentum der Krone stehenden Gesellschaften, die ihr als Betreiber nachfolgten, und der Situation der übrigen Betreiber die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen von Erzeugern rechtfertigten.
Unter Umständen, wie sie seit der Übertragung der Anteile an den im Eigentum der Krone stehenden Gesellschaften, die der British Coal Corporation als Betreiber nachfolgten, auf die privaten Zuschlagsempfänger bestehen, liegen weder Beihilfen oder Sonderlasten im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag noch eine Diskriminierung zwischen Erzeugern im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag vor, da es beim Zugang zu den verschiedenen Formen des Erwerbs von Lizenzen und Nutzungsrechten keine Diskriminierung gab oder gibt.
( vgl. Randnrn. 46, 51, Tenor 1 )
3. Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag, soweit er sich auf Diskriminierungen zwischen Erzeugern bezieht, und Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 der Entscheidung Nr. 3632/93 über die Gemeinschaftsregelung für staatliche Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus lassen unmittelbar in der Person des Einzelnen Rechte entstehen, die die nationalen Gerichte zu schützen haben. Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag lässt dagegen, soweit er sich auf die Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt bezieht, selbst keine derartigen Rechte entstehen. Die nationalen Gerichte sind jedoch befugt, den Begriff der Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag und von Artikel 1 der Entscheidung Nr. 3632/93 auszulegen, um die Konsequenzen aus einer etwaigen Verletzung von Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 dieser Entscheidung zu ziehen.
In diesem Zusammenhang ist unter Umständen, wie sie im Steinkohlenbergbau des Vereinigten Königreichs nach dessen Umstrukturierung und der Übertragung der Anteile an den im Eigentum der Krone stehenden Gesellschaften, die der British Coal Corporation nachfolgten, auf die privaten Zuschlagsempfänger bestehen, davon auszugehen, dass durch die Rückerstattung der Beihilfe nicht für die Wiederherstellung der früheren Situation gesorgt werden kann. Zum einen kann von den Zuschlagsempfängern nicht verlangt werden, das betreffende Beihilfeelement zurückzuzahlen, wenn sie die fraglichen Gesellschaften unter nicht diskriminierenden Wettbewerbsbedingungen und definitionsgemäß zum Marktpreis erworben haben und somit nicht als Nutznießer eines Vorteils gegenüber den übrigen Marktteilnehmern angesehen werden können. Zum anderen könnte die Rückerstattung der Beihilfe durch den Verkäufer der begünstigten Gesellschaften keine Wirkungen entfalten, denn unter den fraglichen Umständen ist er wirtschaftlich gesehen mit demjenigen identisch, der die Beihilfe gewährt hat.
Die Feststellung, dass eine rechtswidrige, weil von der Kommission bei ihrer Gewährung nicht genehmigte Beihilfe und gegebenenfalls eine Diskriminierung zwischen Erzeugern im Sinne von Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag vorliegt, die darin besteht, dass bestimmte Erzeuger Gebühren zu zahlen haben, während andere davon befreit sind, kann allerdings nicht dazu führen, dass die mit diesen Gebühren belegten Erzeuger rückwirkend von ihnen befreit werden.
( vgl. Randnrn. 77-79, 93-94, Tenor 2 )
4. Der Umstand, dass ein Bergbauunternehmen und ein Verband, dem dieses Unternehmen angehört, nicht gemäß Artikel 35 EGKS-Vertrag vorgegangen sind, um die Kommission zu verpflichten, zu angeblichen, in einer von ihnen bei der Kommission eingelegten Beschwerde gerügten Verstößen gegen Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag, soweit er Diskriminierungen zwischen Erzeugern betrifft, oder gegen Artikel 9 Absatz 4 Satz 1 der Entscheidung Nr. 3632/93 über die Gemeinschaftsregelung für staatliche Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus Stellung zu nehmen, hindert das Unternehmen nicht daran, vor den nationalen Gerichten die genannten Verstöße zu rügen.
Die Pflicht der nationalen Gerichte, diese Bestimmungen anzuwenden, kann nämlich nicht allein deshalb eingeschränkt werden, weil bei der Kommission eine Beschwerde in Bezug auf ähnliche Fragen erhoben wurde; dies gilt auch dann, wenn der Beschwerdeführer, der am Rechtsstreit vor den nationalen Gerichten beteiligt ist, gemäß Artikel 35 EGKS-Vertrag hätte vorgehen können. Auch wenn die Kommission und die nationalen Gerichte nebeneinander für die Anwendung bestimmter Vorschriften des EGKS-Vertrags zuständig sein können, haben sie nicht zwangsläufig die gleichen Befugnisse, um auf diesen Vorschriften beruhenden Anträgen Einzelner stattzugeben. Daher kann von einem Einzelnen, der bei der Kommission eine auf eine derartige Vorschrift gestützte Beschwerde eingelegt hat, nicht verlangt werden, dass er sein Vorgehen bei der Kommission unter allen Umständen fortsetzt und gegebenenfalls ein Verfahren gemäß Artikel 35 EGKS-Vertrag einleitet, bis die Kommission zu seiner Beschwerde Stellung nimmt, obwohl diese keine Anstalten macht, sich mit der Beschwerde zu befassen, und der Einzelne unter den gegebenen Umständen ein Interesse daran haben oder dazu gezwungen sein kann, einer Klage vor dem nationalen Gericht Vorrang einzuräumen.
Insoweit haben die Gerichte der Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Mitwirkungspflicht nach Artikel 86 Absätze 1 und 2 EGKS-Vertrag den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt. In Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist es Sache der internen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Modalitäten dürfen jedoch weder ungünstiger sein als bei entsprechenden Klagen, die innerstaatliches Recht betreffen, noch die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
Schließlich sind im Bereich der staatlichen Beihilfen, soweit das im nationalen Recht vorgesehene Verfahren auf die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe anwendbar ist, die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften so anzuwenden, dass die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich gemacht wird. Die gleichen Grundsätze sind anzuwenden, wenn ein Einzelner zu Recht andere Maßnahmen als die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe verlangt, nachdem er das Vorliegen eines Verstoßes gegen Artikel 4 Buchstabe b EGKS-Vertrag, etwa in Form einer Diskriminierung zwischen Erzeugern, oder eines Verstoßes gegen Artikel 9 Absatz 4 der Entscheidung Nr. 3632/93 in Form der Gewährung einer von der Kommission nicht genehmigten Beihilfe dargetan hat.
( vgl. Randnrn. 117-123 )