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Document 61996TJ0042

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1 Handlungen der Organe - Zeitlicher Geltungsbereich - Sofortige Anwendung einer neuen Verfahrensvorschrift - Rückwirkung einer materiell-rechtlichen Vorschrift - Voraussetzungen - Regelung des Erlasses von Einfuhrabgaben

    (Verordnungen des Rates Nr. 1430/79, Artikel 13, und 2913/92, Artikel 239)

    2 Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 - Entscheidungsbefugnis der Kommission - Anhörungsrecht des Betroffenen - Umfang

    (Verordnung Nr. 1430/79 des Rates, Artikel 13)

    3 Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 - Bedeutung - Entscheidungsbefugnis der Kommission - Ausübungsmodalitäten - "Besonderer Umstand" - Begriff - Erhebliches Fehlverhalten der Kommission

    (Verordnung Nr. 1430/79 des Rates, Artikel 13)

    4 Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Erfuellung des Tatbestands des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 durch den Abgabepflichtigen - Verpflichtung der zuständigen Behörden zur Erstattung oder zum Erlaß der Abgaben - Erfuellung der Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 - Nicht erforderlich

    (Verordnungen des Rates Nr. 1430/79, Artikel 13, und Nr. 1697/79, Artikel 5 Absatz 2)

    Leitsätze

    5 Zwar ist bei Verfahrensvorschriften im allgemeinen davon auszugehen, daß sie auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, nicht aber bei materiell-rechtlichen Vorschriften. Diese werden vielmehr im allgemeinen so ausgelegt, daß sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, wenn aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrer Struktur eindeutig hervorgeht, daß ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist.

    Das ist bei der Vorschrift des Artikels 239 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, der mit Wirkung vom 1. Januar 1994 die Regelung des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben ersetzt hat, über den Erlaß von Eingangsabgaben nicht der Fall, so daß ein Erlassantrag im Licht dieser letzteren Bestimmung zu untersuchen ist, wenn diese im Zeitpunkt der Einfuhren und der Annahme der Erklärungen der Abfertigung zum freien Verkehr der fraglichen Waren in Kraft war.

    6 Die Beachtung der Verfahrensrechte in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ist ein elementarer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der auch dann sichergestellt werden muß, wenn es an einer Regelung für das betreffende Verfahren fehlt. Angesichts des Beurteilungsspielraums, über den die Kommission bei der Anwendung der auf Billigkeitserwägungen beruhenden Generalklausel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 verfügt, ist die Beachtung des Rechts auf Anhörung in den Verfahren nach dieser Verordnung von besonderer Bedeutung. Dieser Grundsatz erfordert in diesem Zusammenhang nicht nur, daß der Betroffene die Gelegenheit erhält, sich zur Relevanz der Sachumstände zu äussern, sondern auch, daß er zumindest zu den Unterlagen Stellung nehmen kann, auf die sich die Kommission stützt oder, wenn der Kommission schwerwiegende Versäumnisse vorgeworfen werden, daß er Einsicht in alle nicht vertraulichen Verwaltungspapiere hat, die die angefochtene Entscheidung betreffen.

    Beabsichtigt die Kommission insbesondere, von der Stellungnahme der zuständigen nationalen Behörden in der Frage abzuweichen, ob der Betroffene im Sinne des Artikels 13 offensichtlich fahrlässig gehandelt hat, ist sie verpflichtet, ihn hierzu anhören zu lassen, da eine solche Entscheidung eine komplexe rechtliche Würdigung voraussetzt, die nur aufgrund aller relevanten Tatsachen vorgenommen werden kann.

    7 Nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 können die Eingangsabgaben bei Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel, die andere als die praktisch häufig vorkommenden Fälle erfassen soll, für die bei Erlaß der Verordnung Nr. 1430/79 eine besondere Regelung geschaffen werden konnte. Sie findet insbesondere Anwendung, wenn es angesichts des Verhältnisses zwischen Wirtschaftsteilnehmer und Verwaltung unbillig wäre, den Wirtschaftsteilnehmer einen Schaden tragen zu lassen, den er bei rechtem Gang der Dinge nicht erlitten hätte.

    Bei der Entscheidung, ob besondere Umstände im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, hat die Kommission den gesamten Sachverhalt zu würdigen. Sie verfügt insoweit zwar über einen Beurteilungsspielraum, muß dabei aber das Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, gegeneinander abwägen. Daher darf sie sich bei der Prüfung der Berechtigung eines Erlassantrags nicht damit begnügen, das Verhalten der Importeure in Rechnung zu stellen. Sie muß auch die Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens oder Fehlverhaltens auf die fragliche Situation würdigen.

    Wenn es auch keine besonderen Umstände darstellt, die einen Erlaß der Einfuhrabgaben rechtfertigen, daß gutgläubig Papiere zur Erlangung einer Zollpräferenzbehandlung für zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren vorgelegt worden sind, die sich später als gefälscht erweisen, so steht diese Regelung einem Erlaß der Einfuhrabgaben doch dann nicht entgegen, wenn bei einem für die abgabenfreie Einfuhr eröffneten Zollkontingent die Kommission ihre Verpflichtung, eine ordnungsgemässe Durchführung des Kontingents sicherzustellen und darüber zu wachen, daß dieses nicht überschritten werde, durch Unterlassung einer wirksamen Überwachung der Verwendung des Kontingents erheblich verletzt hat.

    8 Nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 können die zuständigen Behörden die Eingangsabgaben bei Vorliegen besonderer Umstände erstatten oder erlassen, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat. Sind diese beiden Tatbestandsmerkmale erfuellt, so hat der Abgabenpflichtige Anspruch auf die Erstattung oder den Erlaß der Einfuhrabgaben; andernfalls verlöre diese Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit.

    Daher kann ein Erlaß der Einfuhrabgaben nicht davon abhängig gemacht werden, daß die drei Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 betreffend die Nacherhebung der fraglichen Abgaben - die Nichterhebung beruht auf einem Irrtum der zuständigen Behörden; der Abgabenschuldner hat gutgläubig gehandelt, der Irrtum der zuständigen Behörden ist für ihn also nicht erkennbar gewesen; und er hat alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet - kumulativ erfuellt sind. Zwar verfolgen die beiden angezogenen Bestimmungen dasselbe Ziel, die Nachentrichtung von Ein- oder Ausfuhrabgaben auf Fälle zu beschränken, in denen eine solche Zahlung gerechtfertigt und mit einem elementaren Grundsatz wie dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar ist; sie sind jedoch nicht deckungsgleich. Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 soll das berechtigte Vertrauen des Abgabenpflichtigen in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen, die in die Entscheidung über die Nachforderung der Zölle eingehen; Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 stellt hingegen eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel dar und verlöre diesen seinen Charakter, wenn der Tatbestand des Artikels 5 Absatz 2 stets erfuellt sein müsste.

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