Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61995TJ0196

    Leitsätze des Urteils

    URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

    3. Juni 1997

    Rechtssache T-196/95

    H

    gegen

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    „Beamte — Von Amts wegen erfolgte Versetzung in den Ruhestand — Errichtung und Tätigkeit des Invaliditätsausschusses — Artikel 53 und 59 Absatz 2 des Statuts — Mitteilung der Entscheidung“

    Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache   II-403

    Gegenstand:

    Aufhebung des Gutachtens des Invaliditätsausschusses vom 13. September 1994, der Entscheidung der Kommission vom 27. September 1994, mit der die Klägerin von Amts wegen in den Ruhestand versetzt wurde, und der Entscheidung der Kommission vom 27. Juni 1995, mit der die Beschwerde gegen diese Entscheidung zurückgewiesen wurde

    Ergebnis:

    Abweisung

    Zusammenfassung des Urteils

    Die Klägerin, eine frühere Beamtin der Besoldungsgruppe B 3 der Kommission, wurde mit Entscheidung vom 17. März 1993 vom Vertrauensarzt der Kommission gemäß Artikel 59 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (Statut) von Amts wegen aus Krankheitsgründen beurlaubt.

    Am 15. Juni 1993 legte sie eine Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.

    Mit Schreiben vom 17. Juni 1993, das mit einfacher Post an die Adresse der Klägerin in Brüssel gesandt wurde, teilte ihr die Kommission mit, sie werde die Angelegenheit gemäß Artikel 59 Absatz 3 des Statuts dem Invaliditätsausschuß vorlegen, und forderte sie auf, einen Arzt ihrer Wahl zu benennen, um sie in diesem Invaliditätsausschuß zu vertreten. Diese Aufforderung wurde mit Schreiben vom 15. Juli 1993, das ebenfalls mit einfacher Post versandt wurde, wiederholt.

    Da die Klägerin keinen Arzt ihrer Wahl benannte, ersuchte die Kommission mit Schreiben vom 17. Dezember 1993 den Präsidenten des Gerichtshofes, nach Artikel 7 Absatz 2 des Anhangs II des Statuts von Amts wegen einen Arzt zu bestellen.

    Mit Klageschiift, die am 14. Januar 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht wurde, beantragte die Klägerin die Aufhebung der Entscheidung vom 17. März 1993 (Rechtssache T-8/94). Am 29. März 1994 beantragte die Kommission die Aussetzung des Verfahrens in der Rechtssache T-8/94, da der Invaliditätsausschuß noch nicht das in Artikel 59 Absatz 3 des Statuts vorgesehene Gutachten abgegeben habe. Mit Beschluß vom 2. Juni 1994 setzte das Gericht das Verfahren in der Rechtssache T-8/94 bis zur Erstellung des Gutachtens des Invaliditätsausschusses aus.

    Mit Schreiben vom 20. Juni 1994 benannte der Präsident des Gerichtshofes von Amts wegen einen Arzt zur Vertretung der Klägerin im Invaliditätsausschuß. Durch mit einfacher Post versandtem Schreiben vom gleichen Tag informierte der von der Kommission benannte Arzt die Klägerin von der Errichtung und der Zusammensetzung des Invaliditätsausschusses.

    Am 13. September 1994 gelangte der Invaliditätsausschuß zu dem Ergebnis, daß bei der Klägerin eine dauernde, als vollständig zu betrachtende Dienstunfähigkeit vorliege, die es ihr unmöglich mache, ein Amt ihrer Laufbahn wahrzunehmen, und daß sie deshalb ihren Dienst bei der Kommission einstellen müsse. Mit Schreiben vom 27. September 1994 beschloß die Anstellungsbehörde unter Bezugnahme auf das Gutachten des Invaliditätsausschusses, die Klägerin mit Wirkung zum 1. Oktober 1994 gemäß Artikel 53 des Statuts in den Ruhestand zu versetzen (Entscheidung der Anstellungsbehörde oder angefochtene Entscheidung). Nach dem Vorbringen der Kommission wurde ein Schreiben, dem die angefochtene Entscheidung beigefügt gewesen sei und das einen Empfangsschein der Verwaltung beinhaltet habe, am gleichen Tag von den Beamten des Sicherheitsbüros an der Privatadresse der Klägerin abgegeben. Da die Klägerin nicht anwesend war, wurde der Empfangsschein von ihr nicht unterzeichnet.

    Zur Zulässigkeit der Klage

    Die in den Artikeln 90 und 91 des Statuts festgelegten Beschwerde- und Klagefristen sind zwingendes Recht und stehen nicht zur Disposition der Parteien (Randnr. 28).

    Verweisung auf: Gericht, 23. April 1996, Mancini/Kommission, Tl 13/95, Slg. ÖD 1996, II-543, Randnr. 20

    Die Klage wurde gemäß Artikel 91 Absatz 3 des Statuts innerhalb von drei Monaten ab dem Tag der Mitteilung der Entscheidung erhoben, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wurde (Randnr. 29).

    Die Partei, die geltend macht, daß die Klage nicht innerhalb der im Statut vorgesehenen Fristen erhoben wurde, hat den Beweis für das Datum der Mitteilung der angefochtenen Entscheidung zu erbringen (Randnr. 30).

    Verweisung auf: Gericht, 9. Juni 1994, X/Kommission, T-94/92, SIg. ÖD 1994, II-481, Randnr. 22

    Die Mitteilung muß es dem Betroffenen gestatten, von der Entscheidung und ihrer Begründung Kenntnis zu nehmen. Eine Entscheidung ist im Sinne des Statuts ordnungsgemäß mitgeteilt, sobald sie ihrem Adressaten bekanntgegeben worden ist und dieser von ihr Kenntnis nehmen konnte (Randnr. 31).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 15. Juni 1976, Jänsch/Kommission, 5/76, Slg. 1976, 1027, Randnr. 10; Gericht, 8. Juni 1993, Fiorani/Parlament, T-50/92, Slg. 1993, II-555, Randnr. 16; X/Kommission, a. a. O., Randnr. 24

    Die Formulierang „an dem Tag, an dem [der Empfänger] Kenntnis davon erhält“ ist dahin auszulegen, daß die in Artikel 90 Absatz 2 des Statuts vorgesehene Frist erst mit dem Tag beginnt, an dem der Beamte von der Begründung und dem Inhalt des verfügenden Teils der Entscheidung Kenntnis genommen hat (Randnr. 35).

    Zum Antrag auf Aufhebung der Entscheidung vom 27. Juni 1995, mit der die Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen wurde

    Jede bloße stillschweigende oder ausdrückliche Zurückweisung einer Beschwerde bestätigt nur die vom Beschwerdeführer beanstandete Maßnahme oder Unterlassung und ist als solche keine anfechtbare Maßnahme. Nur die Entscheidung, mit der der Beschwerde ganz oder teilweise stattgegeben wird, kann selbst eine Maßnahme darstellen, die im Klagewege angefochten werden kann. Eine Klage, die gegen eine bloße Zurückweisung erhoben wird, ist also als Klage gegen die beschwerende Maßnahme, im vorliegenden Fall die Entscheidung der Ansiellungsbehörde, anzusehen (Randnr. 40).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 28. Mai 1980, Kuhner/Kommission, 33/79 und 75/79, Slg. 1980, 1677, Randnr. 9; Gerichtshof, 16. Juni 1988, Progoulis/Kommission, 371/87, Slg. 1988, 3081, Randnr. 17

    Zum Antrag auf Aufhebung des Gutachtens des Invaliditätsausschusses

    Vorbereitende Maßnahmen, wie das Gutachten des Invaliditätsausschusses im Rahmen eines Verfahrens zur Versetzung in den Ruhestand von Amts wegen nach Artikel 53 des Statuts, sind nicht im Klagewege anfechtbar. Der Kläger kann nur mit einer Klage, die gegen die dieses Verfahren abschließende Verfügung gerichtet ist, die Rechtswidrigkeit der dieser Verfügung vorausgehenden und mit ihr in einem engen Zusammenhang stehenden Maßnahmen geltend machen (Randnrn. 48 und 49).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 24. Mai 1988, Santarelli/Kommission, 78/87 und 220/87, Slg. 1988, 2699, Randnr. 13; Gericht, 22. März 1995, Kotzonis/WSA, T-586/93, Slg. 1995, II-665, Randnr. 28

    Zum Antrag auf Aufhebung der Entscheidung der Anstellungsbehörde

    Zur Rüge eines Verstoßes gegen Artikel 59 Absatz 2 äes Statuts

    Die in Artikel 59 Absatz 2 des Statuts über die Beurlaubung eines Beamten von Amts wegen vorgesehene Untersuchung muß keine körperliche ärztliche Untersuchung umfassen, sondern kann im Einzelfall auch in einer rein psychologischen Untersuchung und somit nur aus Gesprächen bestehen (Randnr. 62).

    Zur Rüge von Unregelmäßigkeiten bei der Errichtung und der Tätigkeit des Invaliditätsausschusses

    Zwar kann sich die gerichtliche Kontrolle nicht auf die eigentlichen ärztlichen Beurteilungen des Invaliditätsausschusses beziehen, die als endgültig anzusehen sind, wenn sie unter ordnungsgemäßen Bedingungen vorgenommen wurden, sie kann sich jedoch auf die Ordnungsmäßigkeit der Errichtung und der Tätigkeit des Ausschusses erstrecken (Randnr. 75).

    Verweisung auf: Gericht, 27. Februar 1992, Plug/Kommission, T-165/89, Slg. 1992, II-367, Randnr. 75

    Was seine Errichtung angeht, so stellt die Bestellung eines Arztes zur Vertretung eines Beamten in einem Invaliditätsausschuß durch den Präsidenten des Gerichtshofes nach Artikel 7 Absatz 2 des Anhangs II des Statuts, die einer Untätigkeit des betroffenen Beamten abhelfen soll, kein gerichtliches Verfahren, sondern einen Verwaltungsakt dar; das Verfahren braucht daher nicht „kontradiktorisch“ zu sein (Randnr. 80).

    Im übrigen ist es Sache des Ausschusses, zu entscheiden, inwieweit zuvor erstellte ärztliche Gutachten zu berücksichtigen sind. Der Umstand, daß der Invaliditätsausschuß zu einem anderen Ergebnis gelangt als einer der Ärzte, die die Klägerin zuvor untersucht hatten, reicht als solcher nicht aus, um dieses in Frage zu stellen (Randnr. 86).

    Verweisung auf: Gericht, 23. März 1993, Gill/Kommission, T-43/89 RV, Slg. 1993, II-303, Randnr. 39

    Die Frage schließlich, ob der Invaliditätsausschuß allein aufgrund der in der Akte der Klägerin befindlichen Schriftstücke eine Feststellung über deren Gesundheitszustand treffen konnte, nachdem diese sich geweigert hatte, vor ihm zu erscheinen, fällt in das ärztliche Ermessen der Mitglieder des Ausschusses (Randnr. 87).

    Zur Rüge eines Verstoßes gegen Artikel 25 des Statuts

    Die Pflicht zur Begründung eines Gutachtens des Invaliditätsausschusses muß mit den Erfordernissen des ärztlichen Berufsgeheimnisses in Einklang gebracht werden, nach denen jeder Arzt — von außergewöhnlichen Umständen abgesehen — beurteilen muß, ob er Personen, die er behandelt oder untersucht, die Art ihrer etwaigen Leiden mitteilen kann. Dies wird dadurch erreicht, daß der Betroffene beantragen kann, daß die Gründe für seine mangelnde Eignung einem Arzt seiner Wahl mitgeteilt werden (Randnr. 95).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 27. Oktober 1977, Moli/Kommission, 121/76, Slg. 1977, 1971, Randnrn. 14 und 15; Gericht, 14. April 1994, A/Kommission, T-10/93, Slg. 1994, II-179, Randnr. 35

    Tenor:

    Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie auf die Aufhebung der Entscheidung vom 27. Juni 1995 über die Zurückweisung der Beschwerde vom 6. April 1995 und auf die Aufhebung des Gutachtens des Invaliditätsausschusses vom 13. September 1994 gerichtet ist.

    Im übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.

    Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

    Top