Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61994TJ0293

Leitsätze des Urteils

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

18. Juni 1996

Rechtssache T-293/94

Juana de la Cruz Vela Palacios

gegen

Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europäischen Gemeinschaften

„Beamte — Zulässigkeit — Beschwerende Maßnahme — Zwischenbeurteilung — Treuepflicht — Disziplinarstrafe“

Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache    II-893

Gegenstand:

Klage auf Aufhebung Entscheidungen vom 6. Dezember 1993 und vom 22. Juni 1994 des Generalsekretärs des Wirtschafts- und Sozialausschusses, mit denen gegen die Klägerin die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt und ihre Beschwerde gegen diese Disziplinarstrafe zurückgewiesen wurde, sowie Aufhebung der vom früheren Vorgesetzten der Klägerin erstellten Beurteilung vom 5. Juli 1993 oder deren Entfernung aus der Personalakte

Ergebnis:

Teilweise Aufhebung

Zusammenfassung des Urteils

Am 26. Oktober 1993 weigerte sich die Klägerin, eine Beamtin des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Europäischen Gemeinschaften (WSA), den Empfang eines Schreibens des Generalsekretärs des WSA vom 4. Oktober 1993 zu bestätigen, in dem dieser ihr mitteilte, daß ihr früherer Vorgesetzter am 5. Juli 1993 einen „Beurteilungsvermerk“ über die Qualität ihrer Leistungen erstellt habe. In dem Schreiben vom 4. Oktober 1993 wurde der Klägerin für die Erhebung von Einwänden gegen den „Beurteilungsvermerk“ eine Frist von 20 Tagen gesetzt. Da die Klägerin diese Möglichkeit nicht nutzte, teilte ihr der Generalsekretär des WSA mit Schreiben vom 17. Dezember 1993 mit, daß der „Beurteilungsvermerk“ in ihre Personalakte aufgenommen werde, damit ihn der neue Beurteilende berücksichtigen könne, sofern er dies bei der Erstellung der nächsten Beurteilung für erforderlich halte.

Wegen der Weigerung der Klägerin, den Empfang des Schreibens vom 4. Oktober 1993 zu bestätigen, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Am 16. November 1993 wurde die Klägerin angehört. Am 18. November 1993 reichte der Anwalt der Klägerin schriftliche Erklärungen ein, die vom WSA als verspätet zurückgewiesen wurden. Am 6. Dezember 1993 verhängte der Generalsekretär des WSA gegen die Klägerin die Disziplinarstrafe des Verweises. Gegen diese am 14. Dezember 1993 mitgeteilte Entscheidung wurde am 11. März 1994 Beschwerde eingelegt, die am 22. Juni 1994 zurückgewiesen wurde.

Zur Zulässigkeit

Das Gericht weist darauf hin, daß nur die Maßnahmen Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein können, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Klägers unmittelbar und sofort beeinträchtigen, indem sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise verändern. Im vorliegenden Fall kann die angefochtene Beurteilung aufgrund ihres Charakters als Zwischenbeurteilung, der insbesondere darin zum Ausdruck kommt, daß ihr Inhalt vom Verfasser der nächsten Beurteilung nur insofern berücksichtigt zu werden braucht, als er dies für erforderlich hält, die Interessen der Klägerin nicht unmittelbar und sofort beeinträchtigen. Außerdem steht es dem Gericht nicht zu. Anordnungen an die Gemeinschaftsorgane zu richten. Folglich ist es nicht befugt, die Entfernung der streitigen Beurteilung aus der Personalakte der Klägerin anzuordnen. Soweit die Klägerin jedoch die Entfernung der streitigen Beurteilung aus ihrer Personalakte begehrt, enthalten ihre Beschwerde und ihre Klage einen Antrag auf Aufhebung der Entscheidung des Beklagten, die Beurteilung in die Personalakte der Klägerin aufzunehmen. Diese Entscheidung stellt eine endgültige Handlung der Verwaltung dar, deren Rechtmäßigkeit das Gericht überprüfen kann (Randnrn. 22 bis 24).

Verweisung auf: Gericht. 30. November 1994. Düchs/Kommission, T-558/93, Slg. ÖD 1994, II-837, Randnr. 36; Gericht, 22. Marz 1995. Kotzonis/WSA.T-586/93, Slg. ÖD 1995. II-203. Randnr. 28; Gericht. 8. Juni 1995, Allo/Kommission. T-496/93. Slg. ÖD 1995, II-405. Randnrn.31 und 32

Zur Begründetheit

Zur Aufiiahme der Beurteilung in die Personalakte der Klägerin

Nach Artikel 26 Absatz 1 Buchstabe a des Statuts enthält die Personalakte des Beamten sämtliche sein Dienstverhältnis betreffenden Schriftstücke sowie jede Beurteilung seiner Befähigung, Leistung und Führung. Der Zweck dieser Bestimmung besteht darin, die Verteidigungsrechte des Beamten dadurch zu gewährleisten, daß verhindert wird, daß Entscheidungen der Verwaltung, die sein Dienstverhältnis und seine Laufbahn berühren, auf seine Führung betreffende Tatsachen gestützt werden, die in seiner Personalakte nicht erwähnt sind. Im vorliegenden Fall kann die streitige Beurteilung zur Erstellung der nächsten Beurteilung der Klägerin herangezogen werden. Folglich hat das beklagte Organ diese Beurteilung gemäß dem erwähnten Grundsatz in die Personalakte der Klägerin aufzunehmen (Randnrn. 36 bis 38).

Verweisung auf: Gericht, 5. Dezember 1990, Marcato/Kommission.T-82/89, Slg. 1990. II-735, Randnr. 78: Gericht. 29. Februar 1996, Lopes/Gerichtshof.T-547/93. Slg. ÖD 1996. II-185. Randnr. 80

Zur Disziplinarstrafe

Wird gegen einen Beamten eine Disziplinarstrafe verhängt, so müssen sich aus der Begründung der Entscheidung in eindeutiger Weise die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen sowie die Erwägungen ergeben, die die Anstellungsbehörde zur Verhängung dieser Disziplinarstrafe veranlaßt haben. Im vorliegenden Fall stützt sich die Disziplinarentscheidung lediglich auf die Weigerung der Klägerin, den Empfang eines Schreibens zu bestätigen, mit dem die Zwischenbeurteilung übermittelt werden sollte (Randnrn. 40 bis 41).

Verweisung auf: Gericht, 28. März 1995, Daffix/Kommission, T-12/94, SIg. ÖD 1995, II-233, Randnr. 33

Artikel 26 Absatz 3 des Statuts soll gewährleisten, daß der Beamte alle ihn betreffenden Schriftstücke tatsächlich erhält. Die Klägerin hat durch ihre Weigerung, den Empfang des streitigen Schriftstücks zu bestätigen, nicht gegen eine Pflicht aus dem Statut verstoßen, sondern allenfalls auf ein Recht verzichtet, ohne daß dadurch das ordnungsgemäße Funktionieren der Verwaltung beeinträchtigt werden kann (Randnr. 42).

Gemäß Artikel 11 Absatz 1 und 21 Absatz 1 des Statuts trifft jeden Beamten gegenüber dem Organ, dem er angehört, und seinen Vorgesetzten eine Mitwirkungsund Treuepflicht. Aufgrund der Treuepflicht hat der Beamte Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Würde des Organs und seiner Funktionsträger sowie den Respekt ihnen gegenüber beeinträchtigen. Im vorliegenden Fall ist bei der Beurteilung des angeblich treuwidrigen Verhaltens der Klägerin zu berücksichtigen, daß das Schriftstück, mit dem die Klägerin konfrontiert wurde, außerhalb der üblichen Verwaltungspraxis des Organs lag. Der Ausnahmecharakter des Vorgehens des beklagten Organs gegenüber der Klägerin schließt es aus, in ihrer Weigerung eine Beeinträchtigung der Würde des Organs und seiner Funktionsträger sowie des Respekts ihnen gegenüber zu sehen (Randnr. 43).

Verweisung auf: Gericht, 26. November 1991. Williams/Rechnungshof, T-146/89. SIg. 1991, II-1293. Randnr. 72

Tenor:

Die Entscheidung des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 6. Dezember 1993, mit der gegen die Klägerin die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt wurde, und die Entscheidung des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 22. Juni 1994, mit der ihre Beschwerde gegen die Entscheidung vom 6. Dezember 1993 zurückgewiesen wurde, werden aufgehoben.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Top