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Document 61994TJ0235

Leitsätze des Urteils

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

27. Februar 1996

Rechtssache T-235/94

Roberto Galtieri

gegen

Europäisches Parlament

„Beamte — Haushaltszulage — Rückforderung zuviel gezahlter Beträge — Überschreitung von Befugnissen — Berechtigtes Vertrauen — Schadensersatz“

Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache   II-129

Gegenstand:

 

Klage auf

Aufhebung der mit Schreiben vom 19. Januar 1994 mitgeteilten Entscheidung des Europäischen Parlaments, die dem Kläger ohne rechtlichen Grund als Haushaltszulage gezahlten Beträge zurückzufordern

Verurteilung des Europäischen Parlaments zur Erstattung der von seinen Monatsbezügen einbehaltenen Beträge

Verurteilung des Europäischen Parlaments zur Zahlung von Schadensersatz und Verzugszinsen

Ergebnis:

Abweisung

Zusammenfassung des Urteils

Der Kläger ist Bediensteter auf Zeit des Parlaments. Er war seit Juli 1980 in die Besoldungsgruppe B 2 eingestuft. Seit Januar 1990 besetzt er einen Dienstposten der Laufbahngruppe A. Er ist seit Juli 1984 verheiratet; seine Frau gehört ebenfalls dem Personal der Gemeinschaftsorgane an. Gemäß Artikel 1 des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) wurde ihm vom 1. Juli 1984 bis zum 30. November 1993 die Haushaltszulage gewährt.

Nachdem das Parlament Informationen über die Übernahme der Ehefrau des Klägers vom Dienst des Rates in den Dienst des Parlaments erhalten hatte, vertrat es die Auffassung, daß dem Kläger seit dem 1. Januar 1992 der Ansprach auf die Haushaltszulage nicht mehr zustehe, da seine Ehefrau rückwirkend zu diesem Zeitpunkt nach Besoldungsgruppe C 3 befördert worden sei. Das Parlament beschloß, die Beträge zurückzufordern, die seiner Ansicht nach dem Kläger ohne rechtlichen Grund gezahlt worden waren und die sich insgesamt auf 267628 BFR beliefen, und unterrichtete den Kläger darüber. Nachdem das Parlament diese Entscheidung auf den Widerspruch des Klägers hin bestätigt hatte, legte dieser eine förmliche Beschwerde gemäß Artikel 90 des Statuts ein.

Nach der Klageerhebung und der Einreichung eines Antrags auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung ist das Verfahren zur Hauptsache vor dem Gericht gemäß Artikel 91 Absatz 4 des Statuts bis zu einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde ausgesetzt worden. Mit Beschluß vom 14. Juli 1994 hat der Präsident des Gerichts festgestellt, daß sich der Antrag auf einstweilige Anordnung erledigt hat, da die Parteien inzwischen eine Vereinbarung getroffen hatten, nach der der Beklagte auf die sofortige Erstattung des restlichen, nach seiner Auffassung noch geschuldeten Betrages verzichtet.

Obwohl der Kläger gemäß Artikel 100 der Verfahrensordnung zur mündlichen Verhandlung geladen worden war, war er in der Sitzung nicht vertreten. Der Anwalt des Klägers hat daraufhin beim Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mit der Begründung beantragt, daß er infolge einer falschen Adressierung durch den Zustellungsbevollmächtigten, der den Empfang der Ladung bestätigt habe, diese Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht erhalten habe.

Verfahren

Ist eine ordnungsgemäß geladene Partei in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten, so kann dies die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nur dann rechtfertigen, wenn die Säumnis auf einen Fall höherer Gewalt zurückzuführen ist, worunter ungewöhnliche Schwierigkeiten zu verstehen sind, die nicht vom Willen der Partei, die sich auf höhere Gewalt beruft, abhängen und selbst bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbar erscheinen. Der Kläger hat aber nur auf einen Fehler bei der Übermittlung zwischen dem Bevollmächtigten, den er für die Entgegennahme aller Zustellungen benannt hat, und seinem Anwalt hingewiesen, was nicht als Fall höherer Gewalt angesehen werden kann (Randnr. 17).

Verweisung auf: Gericht, 29. Mai 1991, Bayer/Kommission, T-12/90. Slg. 1991, II-219, Randnr. 44

Zulässigkeit

Das Gericht erinnert daran, daß eine Klage, die erhoben wird, bevor die Frist für die Beantwortung der Beschwerde gegen die stillschweigende Ablehnungsentscheidung abgelaufen ist, grundsätzlich verfrüht und daher unzulässig ist. Doch wird die in Artikel 91 Absatz 2 des Statuts festgelegte Verpflichtung zur vollständigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens durch Absatz 4 dieses Artikels begrenzt. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, daß nach Einreichung einer Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 bei der Anstellungsbehörde unverzüglich Klage beim Gericht erhoben werden kann, wenn dieser Klage ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Handlung oder auf sonstige einstweilige Anordnungen beigefügt wird (Randnr. 28).

Verweisung auf: Gericht, 7. Februar 1991, Tagaras/Gerichtshof, T-18/89 und T-24/89, Slg. 1991, II-53, Randnrn. 49 und 50

Artikel 91 Absatz 4 des Statuts legt keine Frist für die Anrufung des Gerichts fest und kann deshalb nicht einschränkend ausgelegt werden. Durch diese Vorschrift soll nicht eine Ausschlußfrist für die Klageerhebung beim Gericht bestimmt, sondern die Anrufung des Gerichts vor Abschluß des vorprozessualen Verfahrens unter der Voraussetzung ermöglicht werden, daß mit der Klage ein Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht wird. Das Gericht kann nicht entscheiden, daß dem Kläger die Berufung auf die Ausnahme gemäß Artikel 91 Absatz 4 des Statuts deshalb verwehrt war, weil er erst mehr als drei Monate nach der Einlegung seiner Beschwerde bei der Anstellungsbehörde Klage beim Gericht erhoben hat. Dieser Unzulässigkeitsgrund ist daher zurückzuweisen (Randnr. 29).

Das Gericht weist darauf hin, daß der Kläger weiterhin ein Interesse an der Aufhebung der Entscheidung über die Rückforderung der zuviel gezahlten Beträge hat. Denn durch die Antwort des Parlaments auf die Beschwerde wurde die ursprüngliche Entscheidung geändert, der Anspruch des Klägers aber nur zum Teil erfüllt. Dieser Unzulässigkeitsgrund kann folglich nicht durchgreifen (Randnr. 30).

Da das Gericht den Aufhebungsantrag für zulässig erklärt hat, ist der Unzulässigkeitsgrund, den das Parlament aus der Regel herleitet, daß die Unzulässigkeit des Auf hebungsantrags zur Unzulässigkeit des Schadensersatzantrags führt, ebenfalls zurückzuweisen. Demnach ist die Klage für zulässig zu erklären (Randnrn. 31 und 32).

Begründetheit

Der Aufliebungsantrag

Zum ersten Klagegrund: Verletzung des Artikels 85 des Statuts

Nach Artikel 85 des Statuts ist jeder ohne rechtlichen Grund gezahlte Betrag zurückzuerstatten, wenn der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung kannte oder der Mangel so offensichtlich war, daß er ihn hätte kennen müssen. In Anbetracht des Vorbringens der Parteien braucht nur geprüft zu werden, ob der Mangel des rechtlichen Grundes der in Rede stehenden Zahlungen so offensichtlich war, daß der Kläger ihn hätte kennen müssen (Randnr. 45).

Der in dieser Vorschrift enthaltene Begriff „so offensichtlich“ bedeutet nicht, daß der Beamte, dem rechtsgrundlose Zahlungen gewährt werden, nicht die geringste Mühe auf Überlegungen oder auf eine Nachprüfung zu verwenden braucht. Vielmehr besteht eine Rückerstattungspflicht, sobald es sich um einen Irrtum handelt, der einem die übliche Sorgfalt beachtenden Beamten, von dem anzunehmen ist, daß' er die Vorschriften über seine Dienstbezüge kennt, nicht entgehen würde. Bei der Beurteilung der Frage, ob der betroffene Beamte genügend Sorgfalt an den Tag gelegt hat, ist seine Fähigkeit zur Vornahme der erforderlichen Überprüfungen zu berücksichtigen (Randnr. 46).

Verweisung auf: Gericht, 10. Februar 1994, White/Kommission, T-107/92, Slg. ÖD 1994, II-143, Randnr. 33; Gericht, 24. Februar 1994, Burck/Kommission, T-93/92, Slg.ÖD 1994, II-201, Randnr. 29; Gericht, 24. Februar 1994, Stahlschmidt/Parlament, T-38/93, Slg. ÖD 1994, II-227, Randnr. 19

Artikel 1 Absatz 3 des Anhangs VII des Statuts, wonach der Betroffene die Haushaltszulage nicht erhält, wenn sein Ehegatte eine berufliche Erwerbstätigkeit ausübt und die Einkünfte aus dieser Tätigkeit vor Abzug der Steuern das Jahresgehalt eines Beamten der Besoldungsgruppe C 3, Dienstaltersstufe 3, überschreiten, ist als so eindeutig anzusehen, daß ein Beamter der Laufbahngruppe A, der seit 1980 bei den Gemeinschaftsorganen arbeitet, die entscheidende Obergrenze feststellen kann, bei deren Überschreitung ihm, vorbehaltlich einer besonderen Verfügung der Anstellungsbehörde, die Haushaltszulage nicht mehr zusteht (Randnrn. 47 und 48).

Was die Tatsache angeht, daß der Kläger das Parlament nicht über die Beförderung seiner Ehefrau unterrichtet hat, so ist darauf hinzuweisen, daß nach dem erwähnten Urteil White/Kommission ein Beamter, der der Verwaltung eine Änderung seiner familiären Verhältnisse verspätet mitgeteilt und sich damit durch sein eigenes Verhalten in eine regelwidrige Lage gebracht hat, nicht unter Berufung auf seine Gutgläubigkeit verlangen kann, von seiner Verpflichtung zur Rückzahlung einer weiterhin ohne rechtlichen Grund empfangenen Zulage befreit zu werden. Das Gericht hat in diesem Urteil zwar entschieden, daß das Erfordernis, daß der Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlungen offensichtlich ist, unter den Umständen dieses Falles nicht erfüllt war, zu denen, außer anderen Gründen, die zu dieser Schlußfolgerung führten, auch der Umstand gehörte, daß sich die Überschreitung der Obergrenze in engen Grenzen hielt; es hat aber die Auffassung vertreten, daß eine Überschreitung von 110000 BFR pro Jahr „bedeutend“ war und einem Beamten, der die übliche Sorgfalt beachtet, nicht entgehen konnte (Randnrn. 49 und 50).

Verweisung auf : White/Kommission, a. a. O., Randnrn. 38 und 50

Zur Überschreitung der Obergrenze im vorliegenden Fall, zu der die Parteien divergierende Berechnungen vorgelegt haben, stellt das Gericht fest, daß der Kläger keine Angaben gemacht hat, die die Unrichtigkeit der Berechnungen des Parlaments belegen könnten. Unter diesen Umständen ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß sich die in Rede stehende Überschreitung auf mindestens 87000 BFR pro Jahr und damit auf einen Betrag belief, der nicht als unerheblich anzusehen ist und einem Beamten, der die übliche Sorgfalt beachtet, nicht entgehen kann (Randnrn. 51 bis 55).

Das Gericht ist deshalb der Ansicht, daß der Kläger bei Beachtung der üblichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, daß für die in Rede stehenden Zahlungen offensichtlich kein rechtlicher Grand gegeben war. Das Parlament war daher berechtigt, die ohne rechtlichen Grund vom 1. November 1992 bis zum 30. November 1993 als Haushaltszulage gezahlten Beträge zurückzufordern. Außerdem hat sich der Kläger durch sein eigenes Verhalten - indem er nämlich der Verwaltung die am 1. November 1992 erfolgte Beförderung seiner Ehefrau nach Besoldungsgruppe C 4, Dienstaltersstufe 4, nicht mitgeteilt hat - in eine regelwidrige Lage gebracht und kann nicht unter Berufung auf seine Gutgläubigkeit verlangen, von seiner Verpflichtung zur Erstattung der zuviel gezahlten Beträge befreit zu werden. Aus all diesen Gründen ist der Klagegrund zurückzuweisen (Randnrn. 56 und 57).

Zum zweiten Klagegrund: Überschreitung oder Mißbrauch von Befugnissen

Das Gericht stellt fest, daß der Kläger mit diesem Klagegrund im wesentlichen nur dartun will, daß das Parlament gegen Artikel 85 des Statuts verstoßen habe. Da das Gericht die Anwendung des Artikels 85 des Statuts für zutreffend erachtet hat, entbehrt der Klagegrund aber jeder Grundlage und muß zurückgewiesen werden (Randnr. 60).

Zum dritten Klagegrund: Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes

Das Recht auf Vertrauensschutz steht jedem einzelnen zu, bei dem die Verwaltung begründete Erwartungen geweckt hat. Dagegen kann ein Verstoß gegen diesen Grundsatz nicht geltend gemacht werden, wenn die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat (Randnr. 63).

Verweisung auf: Gericht. 30. November 1994. T-498/93, Dornonvillede la Cour/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-813, Randnr. 46

Das Abrechnungsschreiben, auf das sich der Kläger bezieht, besagt aber nur, daß die Verwaltung von der geänderten Tätigkeit der Ehefrau des Klägers Kenntnis genommen hat. Es kann nicht dahin ausgelegt werden, daß es beim Kläger begründete Erwartungen hinsichtlich des Fortbestehens seines Anspruchs auf die Haushaltszulage wecken konnte, noch kann darin eine bestimmte Zusicherung der Verwaltung gesehen werden. Selbst wenn dieses Schreiben als eine bestimmte Zusicherung hätte ausgelegt werden können, hätte es beim Kläger kein berechtigtes Vertrauen begründen können, da eine solche Zusicherung den Bestimmungen des Statuts nicht entsprochen hätte (Randnrn. 64 und 65).

Zum Anspruch des Klägers auf Monatsbezüge ist zu bemerken, daß die Durchführung einer rechtmäßigen Entscheidung über die Erstattung zuviel gezahlter Beträge nicht als eine Beeinträchtigung dieses Rechts angesehen werden kann. Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen (Randnrn. 66 und 67).

Der Erstattungsantrag und der Antrag auf Verzugszinsen

Diese Anträge setzen voraus, daß die Nichtigkeit der angefochtenen Handlung festgestellt worden ist. Da das Gericht den Aufhebungsantrag zurückgewiesen hat, fehlt den vorliegenden Anträgen aber die Grundlage; ihnen kann folglich nicht stattgegeben werden (Randnr. 69).

Der Schadensersatzantrag

Das Gericht hat entschieden, daß die Anwendung des Artikels 85 des Statuts nicht rechtswidrig war. Auch dem Schadensersatzantrag, der auf dieser angeblichen Rechtswidrigkeit beruht, kann nicht stattgegeben werden (Randnr. 71).

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

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