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Document 61993TJ0498

    Leitsätze des Urteils

    URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

    30. November 1994

    Rechtssache T-498/93

    Yvonne Dornonvüle de la Cour

    gegen

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften

    „Beamte — Zulage für unterhaltsberechtigte erwachsene Kinder, die dauernd gebrechlich sind oder an einer schweren Krankheit leiden — Rücknahme einer Entscheidung“

    Vollständiger Wortlaut in dänischer Sprache   II-813

    Gegenstand:

     

    Klage auf

    Aufhebung der Entscheidung der Kommission, mit der die Zahlung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder für ein an einer schweren Krankheit leidendes erwachsenes Kind an die Klägerin eingestellt wurde;

    Verurteilung der Kommission zur Zahlung der genannten Zulage und von Schadensersatz

    Ergebnis:

    Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit mit ihr die Zulage für August 1992 entzogen wurde, und Verurteilung der Kommission zur Zahlung von 5 610,55 DKR zuzüglich Verzugszinsen zum Satz von 8 % pro Jahr seit dem 1. September 1992; im übrigen Abweisung

    Zusammenfassung des Urteils

    Die Klägerin, eine ehemalige Beamtin der Kommission, bezieht seit 1983 ein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit. Seit ihrem Dienstantritt bezog sie die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder für ihre Tochter bis 1978, als diese das 26. Lebensjahr vollendete.

    Mit Schreiben vom 24. September 1988 beantragte die Klägerin die Gewährung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder mit der Begründung, daß ihre Tochter, nachdem sie sich eine Geisteskrankheit zugezogen und 1986 einen Selbstmordversuch unternommen habe, arbeitsunfähig sei und ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könne.

    Mit Entscheidung vom 9. Februar 1989 bewilligte die Kommission der Klägerin die genannte Zulage für die Zeit vom 1. Dezember 1988 bis 30. November 1991; diese Entscheidung führte dazu, daß die Tochter der Klägerin in den Genuß der Versicherung im Gemeinsamen Krankheitsfürsorgesystem kam.

    Mit Entscheidung vom 26. Oktober 1989 bewilligte die Kommission der Klägerin auf deren Antrag den doppelten Betrag der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder nach Artikel 67 Absatz 3 des Statuts für die Zeit vom 1. September 1989 bis 31. August 1992.

    Mit Schreiben vom 10. August 1992 teilte die Kommission der Klägerin mit, daß die für ihre Tochter gewährte Zulage nach dem 1. August 1992 nicht mehr gezahlt werden könne.

    Mit Schreiben vom 24. August 1992, das unbeantwortet blieb, beantragte die Klägerin bei der Kommission die Fortzahlung der doppelten Zulage für unterhaltsberechtige Kinder über den in der Entscheidung vom 26. Oktober 1989 vorgesehenen Zeitpunkt hinaus.

    Die Klägerin legte gegen die Entscheidung der Kommission vom 10. August 1992 eine Beschwerde ein, die ausdrücklich zurückgewiesen wurde.

    I — Zum Klageantrag auf Aufhebung der Entscheidung vom 10. August 1992, soweit mit dieser die Zahlung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder vom 1. September 1992 an eingestellt wird

    1. Zum Klagegrund der falschen Anwendung der einschlägigen Statutsbestimmungen durch die Kommission

    Das Gericht weist zunächst darauf hin, daß entgegen Artikel 2 Absatz 4 des Anhangs VII des Statuts die Absätze 3 und 5 dieser Bestimmung der zuständigen Stelle nur eine gebundene Zuständigkeit verleihen (Randnr. 31).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 7. Mai 1992, Rat/Brems, C-70/91 P, Slg. 1992, I-2973, Randnr. 5; Gericht, 14. Dezember 1990, Brems/Rat, T-75/89, Slg. 1990, H-899, Randnr. 23

    Das Gericht stellt erstens fest, daß aufgrund einer wörtlichen und systematischen Auslegung von Artikel 2 Absatz 5 des Anhangs VII des Statuts nicht auszuschließen ist, daß die Zahlung der in Rede stehenden Zulage unterbrochen werden kann, und daß die Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder einem sozialen Zweck dient, der durch die Kosten gerechtfertigt ist, die sich aus einem mit dem Vorhandensein des Kindes und seinem tatsächlichen Unterhalt verbundenen aktuellen und sicheren Bedürfnis ergeben. Es läßt sich nicht leugnen, daß dieser Zweck auch im Rahmen von Artikel 2 Absatz 5 Fälle erfassen kann, in denen die Zahlung der fraglichen Zulage unterbrochen wurde (Randnrn. 33 bis 35).

    Verweisung auf: Rat/Brems, a. a. O., Randnr. 9; Gericht, 8. März 1990, Schwedler/Parlament, T-41/89, Slg. 1990, II-79, Randnr. 18

    Das Gericht ist zweitens der Ansicht, daß auch die einschränkende Bedingung, wonach die schwere Krankheit oder das dauernde Gebrechen des Kindes nur dann einen Anspruch auf eine Zulage nach Artikel 2 Absatz 5 eröffnen kann, wenn sie vor dem 18. bzw. 26. Lebensjahr eingetreten sind, im Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung nicht zum Ausdruck kommt. Was den Zweck dieser Bestimmung angeht, so läßt sich nicht leugnen, daß die gleichen Erwägungen, wie sie im Zusammenhang mit dem Vorhandensein des Kindes und den Kosten für seinen tatsächlichen Unterhalt angestellt worden sind, auch dann gelten können, wenn sich eine schwere Krankheit oder ein dauerndes Gebrechen erstmals in fortgeschrittenerem Alter zeigt (Randnr. 37).

    Schließlich ist in bezug auf die Deckung durch das dänische System der sozialen Sicherheit, die die Tochter der Klägerin seit 1989 genießt, daraufhinzuweisen, daß Artikel 2 Absatz 5 den Anspruch auf die Zulage nur unter der Voraussetzung eröffnet, daß es die schwere Krankheit oder das dauernde Gebrechen dem Kind unmöglich macht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Da die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die Ansprüche auf Geldleistungen begründen, eng auszulegen sind, ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob der mit der Zahlung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder, deren Weiterzahlung nur nach Artikel 2 Absatz 5 gewährt wird, verfolgte soziale Zweck erreicht wird. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn sich herausstellt, daß die schwere Krankheit oder das dauernde Gebrechen einen selbständigen Anspruch auf nationale Leistungen in einer Höhe eröffnet, die es nicht mehr erlaubt, diese Person als bedürftig im Sinne von Artikel 2 Absatz 5 zu betrachten. Die Festsetzung dieses Betrages durch das Kollegium der Verwaltungschefs auf 40 % der Dienstbezüge eines Beamten der Besoldungsgruppe D 4, Dienstaltersstufe 1, stellt eine zutreffende Auslegung dieses Absatzes 5 dar (Randnra. 38 und 39).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 6. Mai 1982, BayWau. a., 146/81, 192/81 und 193/81, SIg. 1982, 1503, Randnr. 10; Schwedler/Parlament, a. a. O., Randnr. 23

    Nach Ansicht des Gerichts beruht der Umstand, daß nur Kosten, die 20 % der Dienstbezüge oder des Ruhegehalts des Beamten übersteigen, als erhebliche Ausgaben im Sinne von Artikel 67 Absatz 3 des Statuts eingestuft werden, auf einer zutreffenden Auslegung dieser Bestimmung durch das genannte Kollegium (Randnr. 41).

    Da die Eigenmittel der Tochter der Klägerin die Obergrenze der genannten 40 % weit übersteigen und da die von der Klägerin an ihre Tochter gezahlten monatlichen Unterhaltsbeiträge die Mindestgrenze der 20 % nicht übersteigen, wird der Klagegrund der falschen Anwendung der einschlägigen Statutsbestimmungen durch die Kommission zurückgewiesen.

    2. Zu den Klagegründen des Verstoßes der Kommission gegen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit, des Schutzes wohlerworbener Rechte und des Vertrauensschutzes

    Nach ständiger Rechtsprechung steht das Recht auf Vertrauensschutz jedem einzelnen zu, bei dem die Verwaltung begründete Erwartungen geweckt hat; jedoch kann ein Verstoß gegen diesen Grundsatz nicht geltend gemacht werden, wenn die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat. Da im vorliegenden Fall der Anspruch auf die in Rede stehende Zulage auf die Zeit bis zum 31. August 1992 begrenzt war, kann die Klägerin hieraus keine Zusicherung der Kommission ableiten, daß die Zulage nach diesem Zeitpunkt weitergezahlt würde (Randnr. 46).

    Verweisung auf: Gericht, 27. März 1990, Chomel/Kommission, T-123/89, Slg. 1990, II-131, Randnrn. 25 und 26

    Da außerdem der Betrag der der Tochter der Klägerin nach dem dänischen System der sozialen Sicherheit gewährten Invaliditätsrente die für die Gewährung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder festgesetzte Obergrenze der Eigenmittel übersteigt, war die Entscheidung vom 26. Oktober 1989 als falsch und ihre Aufhebung für die Zukunft als möglich zu betrachten (Randnr. 47).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 9. März 1978, Herpels/Kommission, 54/77, Slg. 1978, 585, Randnr. 38

    II — Zum Klageantrag auf Aufhebung der Entscheidung vom 10. August 1992, soweit mit dieser die Zulage für August 1992 entzogen wird

    Da die in Rede stehende Zulage durch die Entscheidung vom 26. Oktober 1989 für die Zeit vom 1. September 1989 bis 31. August 1992 bewilligt wurde und die Einstellung der Zahlung zum 1. August 1992 der Klägerin erst im Laufe des Monats August 1992 mitgeteilt wurde, bewirkte diese Handlung die rückwirkende Rücknahme eines Verwaltungsakts, von dem das Gericht vorher entschieden hat, daß er rechtswidrig war. Das Recht der Verwaltung, einen rechtswidrigen Rechtsakt rückwirkend zurückzunehmen, wird jedoch durch das Erfordernis eingeschränkt, das berechtigte Vertrauen des Empfängers zu beachten, der auf die Rechtmäßigkeit des Rechtsakts vertrauen durfte (Randnr. 53).

    Verweisung auf : Gerichtshof, 20. Juni 1991, CargilI/Kommission, C-248/89, Slg. 1991, I-2987, Randnr. 20

    Hierzu vertritt das Gericht die Ansicht, daß die Kommission dadurch, daß sie die Geltungsdauer ihrer Entscheidung über die Bewilligung der Zulage ausdrücklich bis zum 31. August 1992 beschränkte, bei der Klägerin die Erwartung geweckt hat, daß die Zulage bis zu diesem Zeitpunkt gezahlt würde. Im vorliegenden Fall erfolgte die Einstellung der Zulage zu plötzlich, weshalb sie als übermäßige Maßnahme zu betrachten und somit aufzuheben ist (Randnra. 54 und 56).

    III — Zum Klageantrag auf Zahlung von Verzugszinsen

    Das Gericht ist der Auffassung, daß diesem Antrag, der seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung unterliegt, stattzugeben ist und daß der Satz der Verzugszinsen auf 8 % pro Jahr festzusetzen ist. Da jede monatliche Zahlung der in Rede stehenden Zulage rückwirkend für den vorhergehenden Monat erfolgte, sind die Verzugszinsen ab 1. September 1992 zu zahlen (Randnr. 60).

    Verweisung auf: Gericht, 30. März 1993, Vardakas/Kommission, T-4/92, Slg. 1993, II-357, Randnr. 49

    IV — Zum Klageantrag auf Schadensersatz

    Das Gericht ist der Ansicht, daß die Klägerin für die Begründetheit ihres Antrags auf Schadensersatz dartun muß, daß die Kommission einen Amtsfehler begangen hat, der ihr einen immateriellen Schaden verursacht hat. Die Entscheidung, die Zahlung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder einzustellen, war jedoch rechtmäßig und kann daher keinen Amtsfehler begründen; die Einstellungsentscheidung erging einige Tage vor dem Ablauf der Geltungsdauer der Entscheidung vom 26. Oktober 1989 über die Bewilligung der Zulage, was ebenfalls die Feststellung eines Amtsfehlers ausschließt. In bezug auf die Einstellung der Zulage für August 1992, die aufgehoben worden ist, vertritt das Gericht, das auf diesem Gebiet zur unbeschränkten Nachprüfung befugt ist, die Auffassung, daß es sich nicht um einen Umstand handelt, der von dem Schock, den die völlige Einstellung der Gewährung der fraglichen Zulage verursacht hat, losgelöst werden kann.und daß sie daher der Klägerin keinen gesonderten immateriellen Schaden zufügen konnte (Randnrn. 63 bis 65).

    Tenor:

    1)

    Die Entscheidung, mit der die Kommission die Zahlung der Zulage für unterhaltsberechtigte Kinder an die Klägerin für August 1992 eingestellt hat, wird aufgehoben.

    2)

    Die Kommission wird verurteilt, an die Klägerin 5 610,55 DKR nebst Verzugszinsen zum Satz von 8 % pro Jahr seit dem 1. September 1992 zu zahlen.

    3)

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

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