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Document 61993TJ0003

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

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    1. Nichtigkeitsklage ° Anfechtbare Handlungen ° Begriff ° Handlungen mit verbindlicher Rechtswirkung ° Der Kommission zurechenbare Erklärung, nach der ein Zusammenschluß nicht unter die Gemeinschaftsregelung fällt

    (EWG-Vertrag, Artikel 173)

    2. Nichtigkeitsklage ° Anfechtbare Handlungen ° Begriff ° Handlungen mit verbindlicher Rechtswirkung ° Handlung von ungewöhnlicher Form ° Einschluß

    (EWG-Vertrag, Artikel 173)

    3. Nichtigkeitsklage ° Klage eines Dritten gegen eine Erklärung der Kommission, nach der ein Zusammenschluß nicht unter die Gemeinschaftsregelung fällt ° Zulässigkeit ungeachtet des Umstandes, daß der Dritte der Kommission eine Frist dafür setzen könnte, die Anmeldung des Zusammenschlusses zu fordern

    (EWG-Vertrag, Artikel 173 und 175)

    4. Nichtigkeitsklage ° Anfechtbare Handlung und Weigerung, diese zu ändern ° Möglichkeit einer Klage gegen die Handlung und gegen die Weigerung

    (EWG-Vertrag, Artikel 173)

    5. Nichtigkeitsklage ° Selbständigkeit gegenüber einem nationalen Rechtsweg

    (EWG-Vertrag, Artikel 173)

    6. Nichtigkeitsklage ° Natürliche und juristische Personen ° Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen ° Erklärung der Kommission, nach der ein Zusammenschluß nicht unter die Gemeinschaftsregelung fällt ° Klage eines Unternehmens, das mit den Parteien des Zusammenschlusses im Wettbewerb steht ° Zulässigkeit

    (EWG-Vertrag, Artikel 173 Absatz 2)

    7. Wettbewerb ° Zusammenschlüsse ° Zusammenschluß von gemeinschaftsweiter Bedeutung ° Begriff ° Zu berücksichtigender Umsatz ° Tätigkeit, die Gegenstand des Erwerbs ist

    (Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 1 und 5 Absatz 2)

    8. Wettbewerb ° Zusammenschlüsse ° Art und Weise, in der die Kommission ihre Befugnisse nach Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 4064/89 ausübt ° Umfang der gerichtlichen Nachprüfung

    (Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 8 Absatz 2)

    9. Handlungen der Organe ° Verfahren des Zustandekommens ° Keine Pflicht zu systematischen Anhörungen

    Leitsätze

    1. Für die Feststellung, ob Maßnahmen Handlungen im Sinne des Artikels 173 EWG-Vertrag sind, ist auf ihr Wesen abzustellen. Alle Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung erheblich beeinträchtigen, sind Handlungen oder Entscheidungen, gegen die die Nichtigkeitsklage gegeben ist.

    Im Rahmen der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nach der Verordnung Nr. 4064/89 ist gegen eine im Namen der Kommission abgegebene Erklärung des Pressesprechers des für Wettbewerbsfragen zuständigen Mitglieds der Kommission, daß ein beabsichtigter Zusammenschluß zweier Unternehmen nicht unter diese Verordnung falle, da er keine gemeinschaftsweite Bedeutung im Sinne von deren Artikel 1 habe, die Nichtigkeitsklage gegeben.

    Die derart bekanntgemachte Entscheidung, die die Kommission nach Prüfung ihrer Zuständigkeit im Hinblick auf den beabsichtigten Zusammenschluß erließ, erzeugt nämlich Rechtswirkungen

    ° gegenüber den Mitgliedstaaten, indem sie zum einen mit Sicherheit die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, deren Gebiet besonders betroffen ist, zur Beurteilung des fraglichen Zusammenschlusses nach ihrem nationalen Recht bestätigt, und zum anderen jede Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Erfuellung der Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 22 Absatz 3 der Verordnung durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten beseitigt;

    ° gegenüber den am Zusammenschluß beteiligten Unternehmen, die von der Pflicht befreit werden, der Kommission den fraglichen Zusammenschluß gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung anzumelden, und denen die sofortige Durchführung ihres Projekts ermöglicht wird;

    ° gegenüber Mitbewerbern, deren Marktstellung somit durch die Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar berührt werden kann.

    2. Die Wahl der Form ändert nichts am Wesen einer Organhandlung. Die Form, in der eine Handlung ergeht, ist grundsätzlich ohne Einfluß auf ihre Anfechtbarkeit im Wege der Nichtigkeitsklage. Daß eine Handlung von ungewöhnlicher Form ist, insbesondere ausser der von einem Dritten bewirkten Niederschrift kein schriftlicher Beleg existiert und sie nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde, steht somit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage nicht entgegen, soweit die Handlung Rechtswirkungen gegenüber Dritten gezeitigt hat. Das ist bei einer Erklärung im Namen eines Mitglieds der Kommission, wie sie von einer Presseagentur berichtet wurde, der Fall.

    3. Hört ein Dritter von formlosen Kontakten zwischen einem Unternehmen und der Kommission im Rahmen der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nach der Verordnung Nr. 4064/89, so kann er der Kommission eine Frist dafür setzen, das Unternehmen zur förmlichen Anmeldung des beabsichtigten Zusammenschlusses zu zwingen. Damit ist ihm im Falle des Schweigens der Kommission die Untätigkeitsklage, im Falle ihrer Weigerung die Nichtigkeitsklage eröffnet. Diese Klagewege schließen jedoch andere nicht aus. Insbesondere machen sie eine Nichtigkeitsklage unmittelbar gegen die bekanntgemachte Stellungnahme der Kommission nicht unzulässig, ein beabsichtigter Zusammenschluß falle nicht in ihre Zuständigkeit. Eine solche Klage kann nämlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie wie unter dem der Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle gerechtfertigt sein.

    4. Macht die Kommission im Rahmen ihrer Befugnisse nach der Verordnung Nr. 4064/89 bekannt, daß ein beabsichtigter Zusammenschluß ihres Erachtens nicht in ihre Zuständigkeit falle, so kann ein Dritter eine Nichtigkeitsklage gegen diese Beurteilung richten und braucht sich nicht gegen die Weigerung zu wenden, diese Beurteilung zu ändern oder sie zurückzunehmen.

    5. Die Möglichkeit nationalen Rechtsschutzes schließt es nicht aus, die Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag unmittelbar vor dem Gemeinschaftsrichter anzufechten. Das gilt um so mehr, wenn die Überprüfung aufgrund der nationalen Rechtsordnungen in ihren Bedeutungen und in ihren Wirkungen der Überprüfung durch die Gemeinschaftsorgane nicht gleichgestellt werden kann. So verhält es sich bei Unternehmenszusammenschlüssen.

    6. Eine Erklärung der Kommission, daß ein beabsichtigter Unternehmenszusammenschluß keine gemeinschaftsweite Bedeutung habe und deshalb nicht in ihre Zuständigkeit nach der Verordnung Nr. 4064/89 falle, gestattet rechtlich und tatsächlich die sofortige Durchführung des Zusammenschlusses und ändert daher die Lage auf dem oder den betroffenen Märkten unmittelbar, die dann nur noch vom alleinigen Willen der Parteien abhängt. Damit betrifft sie die auf diesem oder diesen Märkten tätigen Unternehmen unmittelbar, zumal sie ihnen Verfahrensrechte aus Artikel 18 Absatz 4 der Verordnung nimmt, die ihnen zustuenden, wenn der fragliche Zusammenschluß als ein solcher von gemeinschaftsweiter Bedeutung anmeldungspflichtig gewesen wäre.

    Eine solche Erklärung betrifft ein auf demselben Markt wie die Parteien des Zusammenschlusses tätiges Unternehmen individuell, wenn dieses seine Marktstellung erheblich geändert sieht, weil einer seiner Mitbewerber die seine wesentliche verstärkt.

    7. Sowohl nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen wie nach der allgemeinen Systematik ihres Artikels 5 soll die Kommission nach dem Willen des Rates nur tätig werden, wenn der beabsichtigte Zusammenschluß eine gewisse wirtschaftliche Grösse erreicht, also gemeinschaftsweite Bedeutung hat. Im Falle eines teilweisen Erwerbs eines Unternehmens ist daher in Anbetracht des Ziels des Artikels 5 Absatz 2, die wirkliche Bedeutung des Zusammenschlusses zu erfassen, bei der Beurteilung der Bedeutung des beabsichtigten Zusammenschlusses nur der Umsatz zu berücksichtigen, der mit den tatsächlich erworbenen Teilen des Unternehmens erzielt wurde. Die Begriffe "Teilveräusserung" und "teilweise Aufgabe" von Tätigkeiten sind einander nämlich gleichzustellen, da sie beide erlauben, den Gegenstand, den Zustand und den Umfang des beabsichtigten Zusammenschlusses genau zu bestimmen.

    8. Es ist nicht Sache des Richters im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, seine Würdigung an die Stelle derjenigen der Kommission zu setzen und über die Frage zu entscheiden, ob diese gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 4064/89 eine Aufgabe der Tätigkeit hätte anordnen müssen, anstatt nur von der Verpflichtung einer der Parteien des Zusammenschlusses Kenntnis zu nehmen, einen Teil ihrer Tätigkeiten vor der Durchführung dieses Zusammenschlusses aufzugeben, zumal Artikel 8 Absatz 2 die materielle Prüfung der Vereinbarkeit des beabsichtigten Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt betrifft, die die Kommission bei einem angemeldeten Zusammenschluß vornimmt.

    9. Die Kommission würde zu übertriebenem Formalismus verpflichtet und die Ermittlung in den betreffenden Verfahren unnütz verzögert, wenn sie auch dann Anhörungen vornehmen müsste, wenn weder die einschlägigen Vorschriften noch ein allgemeiner Rechtsgrundsatz ihr eine solche Verpflichtung auferlegen.

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