Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61993CJ0280

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    ++++

    1. Handlungen der Organe ° Verfahren des Zustandekommens ° Erlaß einer Verordnung durch den Rat auf Vorschlag der Kommission ° Vorschlag, der gemäß einem politischen Kompromiß geändert wurde, dem das zuständige Kommissionsmitglied im Namen der Kommission zustimmte und der von dieser gebilligt wurde ° Fehlende Schriftform des geänderten Vorschlags ° Unbeachtlich

    (EWG-Vertrag, Artikel 149 Absatz 3)

    2. Handlungen der Organe ° Begründungspflicht ° Umfang ° Handlungen des Rates, für die ein Vorschlag der Kommission erforderlich ist

    (EWG-Vertrag, Artikel 190)

    3. Handlungen der Organe ° Verfahren des Zustandekommens ° Anhörung des Parlaments ° Erneute Anhörung im Falle einer wesentlichen Änderung des ursprünglichen Vorschlags

    4. Landwirtschaft ° Gemeinsame Agrarpolitik ° Ziele ° Ausgleich ° Ermessen der Organe ° Gewährleistung eines angemessenen Einkommens für die Erzeuger ° Steigerung der Produktivität ° Stabilisierung des Marktes ° Sicherstellung der Versorgung ° Angemessene Verbraucherpreise ° Verordnung über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen ° Rechtmässigkeit

    (EWG-Vertrag, Artikel 39 bis 43; Verordnung Nr. 404/93 des Rates)

    5. Landwirtschaft ° Gemeinsame Agrarpolitik ° Regelung über Produktion und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die die Verwirklichung der Ziele des Artikels 39 EWG-Vertrag bezweckt ° Rechtsgrundlage ° Artikel 43 des Vertrages ° Gleichzeitige Verfolgung anderer Ziele ° Unbeachtlich

    (EWG-Vertrag, Artikel 39 und 43; Viertes AKP°EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989)

    6. Landwirtschaft ° Gemeinsame Agrarpolitik ° Vorrang vor den Zielen des Vertrages im Wettbewerbsbereich ° Ermessen des Rates hinsichtlich der Anwendung der Wettbewerbsregeln

    (EWG-Vertrag, Artikel 42 Absatz 1)

    7. Landwirtschaft ° Gemeinsame Marktorganisation ° Bananen ° Einfuhrregelung ° Zollkontingent ° Einführung und Aufteilung ° Keine Diskriminierung ° Eigentumsrecht ° Wohlerworbene Rechte ° Freie Berufsausübung ° Grundsatz der Verhältnismässigkeit ° Kein Verstoß

    (Verordnung Nr. 404/93 des Rates)

    8. Völkerrechtliche Verträge ° Viertes AKP°EWG-Abkommen von Lomé ° Bestimmungen über die Zusammenarbeit im Handelsbereich ° Allgemeine Handelsregelung ° Erhebung einer Abgabe auf die über ein bestimmtes Volumen hinausgehenden nichttraditionellen Einfuhren von AKP-Bananen ° Rechtmässigkeit

    (Viertes AKP°EWG-Abkommen von Lomé vom 15. Dezember 1989, Artikel 168 und Protokoll Nr. 5; Verordnung Nr. 404/93 des Rates)

    9. Nichtigkeitsklage ° Klagegründe ° Keine Möglichkeit der Berufung auf die Vorschriften des GATT, um die Rechtmässigkeit einer Gemeinschaftshandlung zu bestreiten ° Ausnahmen ° Gemeinschaftshandlung, die die Durchführung von Vorschriften des GATT bezweckt, indem sie sich ausdrücklich und speziell auf sie bezieht

    (EWG-Vertrag, Artikel 173 Absatz 1; Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen)

    10. Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete ° Durchführungsabkommen nach Artikel 136 des Vertrages ° Protokoll über das Zollkontingent für die Einfuhr von Bananen ° Aufhebung, für die nicht die Einhaltung der Bestimmungen über eine Änderung des Vertrages erforderlich ist

    (EWG-Vertrag, Artikel 43 Absatz 2, 136 und 236; Protokoll über das Zollkontingent für die Einfuhr von Bananen, Absatz 4 Unterabsatz 3)

    Leitsätze

    1. Im Verfahren des Erlasses einer Verordnung durch den Rat ist die Tatsache, daß der Vorschlag der Kommission, der gemäß einem politischen Kompromiß geändert worden war, dem das zuständige Kommissionsmitglied auf einer Tagung des Rates im Namen der Kommission zugestimmt hatte und der vom Kollegium der Kommissionsmitglieder gebilligt worden war, keine Schriftform hatte, nicht von Bedeutung.

    Artikel 149 Absatz 3 EWG-Vertrag sieht nämlich vor, daß die Kommission, solange ein Beschluß des Rates nicht ergangen ist, ihren Vorschlag jederzeit im Verlauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Verfahren ändern kann, und verlangt nicht, daß diese geänderten Vorschläge notwendigerweise Schriftform aufweisen. Solche geänderten Vorschläge sind Teil des gemeinschaftlichen Rechtsetzungsverfahrens, das sich durch eine gewisse Flexibilität auszeichnet, die erforderlich ist, um zwischen den Organen eine Meinungsübereinstimmung zu erreichen, und unterscheiden sich grundlegend von den Rechtsakten, die die Kommission erlässt und die die einzelnen unmittelbar betreffen, so daß für die Annahme dieser Vorschläge nicht die strikte Einhaltung der Förmlichkeiten verlangt werden kann, die für den Erlaß der Rechtsakte, die die einzelnen unmittelbar betreffen, vorgeschrieben sind.

    2. Nach Artikel 190 EWG-Vertrag hat zwar der Rat in den Rechtsakten, die er nur auf Vorschlag der Kommission erlassen kann, auf den Kommissionsvorschlag Bezug zu nehmen, jedoch wird keine Bezugnahme auf die Änderung verlangt, die dieser Vorschlag später gegebenenfalls erfahren hat. Anders verhielte es sich nur dann, wenn die Kommission ihren Vorschlag zurückgezogen und durch einen neuen Vorschlag ersetzt hätte.

    3. Ist die Anhörung des Europäischen Parlaments vorgesehen, so schließt dies das Erfordernis ein, das Parlament immer dann erneut anzuhören, wenn der endgültig verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von demjenigen abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört worden ist, es sei denn, die Änderungen entsprechen im wesentlichen dem vom Parlament selbst geäusserten Wunsch.

    4. Die Gemeinschaftsorgane müssen bei der Verfolgung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik für den ständigen Ausgleich sorgen, den etwaige Widersprüche zwischen diesen Zielen, wenn sie isoliert betrachtet werden, erforderlich machen können, und gegebenenfalls dem einen oder anderen unter ihnen den zeitweiligen Vorrang einräumen, den die wirtschaftlichen Tatsachen oder Umstände, im Hinblick auf die sie ihre Entscheidungen erlassen, gebieten.

    Der Gemeinschaftsgesetzgeber, der auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik über ein weites Ermessen verfügt, das der politischen Verantwortung entspricht, die ihm die Artikel 40 und 43 übertragen, konnte so ohne Verstoß gegen Artikel 39 EWG-Vertrag eine gemeinsame Marktordnung für Bananen einführen, die bezweckt, das Einkommen der betroffenen landwirtschaftlichen Bevölkerung zu sichern, indem sie das Niveau der bestehenden Gemeinschaftserzeugung gewährleistet und bestimmte Mechanismen, die geeignet sind, deren Produktivität zu steigern, vorsieht, den Markt durch die Gewährleistung einer Gemeinschaftserzeugung und die Steuerung der Einfuhren zu stabilisieren und durch eben diese Mechanismen, ergänzt um die Möglichkeit einer Erhöhung des Einfuhrkontingents, die Versorgung sicherzustellen.

    Die Tatsache, daß die Einführung der gemeinsamen Marktorganisation in bestimmten Mitgliedstaaten zu einer Erhöhung der Preise führen konnte, begründet keinen Verstoß gegen Artikel 39. Denn zum einen bewirkt der Umstand, daß eine gemeinsame Marktorganisation an die Stelle nationaler Regelungen tritt, die durch bedeutende Preisunterschiede gekennzeichnet sind, unausweichlich eine Anpassung der Preise in der ganzen Gemeinschaft, und zum anderen ist das Ziel angemessener Verbraucherpreise im Hinblick auf den gesamten Gemeinsamen Markt zu verstehen; schließlich kann der Gemeinschaftsgesetzgeber anderen Zielen zeitweilig den Vorrang einräumen.

    5. Die Tatsache, daß die Verordnung Nr. 404/93 über die gemeinsame Marktorganisation für Bananen sowohl agrarpolitische Ziele als auch eine Entwicklungspolitik zugunsten der AKP-Staaten verfolgt, schließt keineswegs aus, daß diese Verordnung nur auf Artikel 43 EWG-Vertrag gestützt wird.

    Zum einen ist Artikel 43 EWG-Vertrag nämlich auch dann die geeignete Rechtsgrundlage für jede Regelung über Produktion und Vermarktung der im Anhang II des Vertrages aufgeführten landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die zur Verwirklichung eines oder mehrerer der in Artikel 39 EWG-Vertrag genannten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik beiträgt, wenn gleichzeitig andere Ziele verfolgt werden.

    Zum anderen erfordert die Schaffung einer gemeinsamen Marktorganisation neben der Regelung der Gemeinschaftserzeugung die Errichtung einer Einfuhrregelung, um die Stabilisierung der Märkte und den Absatz der Gemeinschaftserzeugung zu gewährleisten, wenn der interne und der externe Aspekt der gemeinsamen Politik ° wie im Fall der Bananen ° unlösbar miteinander verbunden sind, wobei die Organe bei der Ausübung ihrer Verordnungsgewalt nicht die internationalen Verpflichtungen ausser acht lassen dürfen, die die Gemeinschaft aufgrund des Abkommens von Lomé übernommen hat.

    6. Artikel 42 Absatz 1 EWG-Vertrag erkennt sowohl den Vorrang der Agrarpolitik vor den Zielen des Vertrages im Wettbewerbsbereich als auch die Befugnis des Rates an, darüber zu entscheiden, inwieweit die Wettbewerbsregeln im Agrarsektor Anwendung finden.

    7. In der Regelung für den Handel mit dritten Ländern, wie sie in der durch die Verordnung Nr. 404/93 eingeführten gemeinsamen Marktorganisation für Bananen enthalten ist, insbesondere in dem für die Einfuhren und ihre Aufteilung vorgesehenen Zollkontingent, liegt kein Verstoß gegen die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze.

    Hinsichtlich des Diskriminierungsverbots trifft es zwar zu, daß zwei verschiedene Gruppen von Marktbeteiligten ° nämlich einerseits die Marktbeteiligten, die zuvor auf offenen Inlandsmärkten tätig waren und sich frei mit Drittlandsbananen versorgen konnten, und andererseits die Marktbeteiligten, die auf geschützten Inlandsmärkten tätig waren, wo gewährleistet war, daß sie trotz des höheren Preises Gemeinschafts- und traditionelle AKP-Bananen absetzen konnten ° von den genannten Maßnahmen nicht in gleicher Weise betroffen sind, da den Erstgenannten Beschränkungen ihrer Einfuhrmöglichkeiten auferlegt werden, während die Letztgenannten von nun an bestimmte Mengen Drittlandsbananen einführen können.

    Diese unterschiedliche Behandlung ist jedoch in Anbetracht der unterschiedlichen Situation, in der sich die verschiedenen Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern vor der Einführung der gemeinsamen Marktorganisation befunden haben, naturgemäß mit dem Ziel einer Integration bisher abgeschotteter Märkte verbunden und ermöglicht die Herstellung eines gewissen Gleichgewichts zwischen den beiden Gruppen von Marktbeteiligten, das erforderlich ist, um den Absatz der Gemeinschaftserzeugung und der traditionellen AKP-Erzeugung zu sichern, den die gemeinsame Marktorganisation gewährleisten soll.

    Die gleichen Erwägungen rechtfertigen den Eingriff in das Recht der Marktbeteiligten, die zuvor auf den offenen Märkten tätig waren, auf freie Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit, durch den dieses Recht nicht in seinem Wesensgehalt angetastet wird.

    Das Eigentumsrecht dieser Marktbeteiligten kann durch den Verlust von Marktanteilen nicht beeinträchtigt werden, da der vor Einführung einer gemeinsamen Marktorganisation gehaltene Marktanteil nur eine augenblickliche wirtschaftliche Position darstellt, die den mit einer Änderung der Umstände verbundenen Risiken ausgesetzt ist, und nicht unter das Eigentumsrecht fällt. Ebenso kann für eine Marktposition, die sich aus einer bestehenden Situation ergibt, besonders wenn diese Situation mit den Regeln des Gemeinsamen Marktes unvereinbar ist, nicht der Schutz wohlerworbener Rechte oder des berechtigten Vertrauens geltend gemacht werden.

    Schließlich kann kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit aufgrund der Tatsache angenommen werden, daß das Ziel einer Unterstützung der AKP-Erzeuger und einer Sicherung der Einkommen der Gemeinschaftserzeuger durch Maßnahmen hätte erreicht werden können, die den Wettbewerb und die Interessen bestimmter Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern weniger beeinträchtigen, da nichts dafür ersichtlich ist, daß der Rat, der sich veranlasst sah, bei der Verwirklichung einer gemeinsamen Marktorganisation einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen herbeizuführen und auf diese Weise im Rahmen der in seine eigene Verantwortung fallenden politischen Entscheidungen eine Auswahl zu treffen, Maßnahmen erlassen hat, die im Hinblick auf das verfolgte Ziel offensichtlich ungeeignet waren.

    8. Die Einfuhr von Bananen aus den AKP-Staaten fällt im Hinblick auf die Einführung eines Zollkontingents unter Artikel 168 Absatz 2 Buchstabe a Ziffer ii des Vierten AKP°EWG-Abkommens von Lomé, das dem Abkommen von Lomé beigefügte Protokoll Nr. 5 betreffend Bananen und die Anhänge LXXIV und LXXV in bezug auf dieses Protokoll. Nach diesen Vorschriften ist die Gemeinschaft nur verpflichtet, bezueglich des Zugangs der AKP-Bananen zum Gemeinschaftsmarkt diejenigen Vorteile der AKP-Staaten aufrechtzuerhalten, die vor diesem Abkommen bestanden, so daß die Verordnung Nr. 404/93 ohne Verstoß gegen Absatz 1 des vorgenannten Artikels 168 die Erhebung einer Abgabe auf die über ein bestimmtes Volumen hinausgehenden nichttraditionellen Einfuhren von AKP-Bananen vorsehen konnte.

    9. Die Besonderheiten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, das durch eine grosse Flexibilität seiner Bestimmungen gekennzeichnet ist, insbesondere derjenigen, die die Möglichkeiten einer Abweichung, die Maßnahmen, die bei aussergewöhnlichen Schwierigkeiten getroffen werden können, und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien betreffen, schließen es aus, daß der Gerichtshof die Bestimmungen des GATT für die Beurteilung der Rechtmässigkeit einer Verordnung im Rahmen einer von einem Mitgliedstaat nach Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag erhobenen Klage berücksichtigt. Diese Besonderheiten lassen nämlich erkennen, daß die Vorschriften des GATT keinen unbedingten Charakter haben und daß die Verpflichtung, ihnen die Bedeutung von Vorschriften des internationalen Rechts beizumessen, die in den internen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar anwendbar sind, nicht auf Sinn, Aufbau oder Wortlaut des Abkommens gestützt werden kann. Bei Fehlen einer solchen, aus dem Abkommen selbst folgenden Verpflichtung hat der Gerichtshof die Rechtmässigkeit der fraglichen Gemeinschaftshandlung nur dann im Hinblick auf die Vorschriften des GATT zu prüfen, wenn die Gemeinschaft eine bestimmte, im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung erfuellen wollte oder wenn die Gemeinschaftshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen dieses Abkommens verweist.

    10. Das Protokoll über das Zollkontingent für die Einfuhr von Bananen ist zwar als Anhang des in Artikel 136 EWG-Vertrag vorgesehenen Durchführungsabkommens über die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete mit der Gemeinschaft tatsächlich Bestandteil des EWG-Vertrags; es wurde jedoch als Übergangsmaßnahme, bis zur Vereinheitlichung der Bedingungen für die Einfuhr von Bananen auf den Gemeinsamen Markt beschlossen. Folgerichtig sieht dieses Protokoll in Absatz 4 Unterabsatz 3 vor, daß der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission über die Aufhebung oder Änderung dieses Kontingents entscheidet, ohne einen Vorbehalt hinsichtlich der zeitlichen Geltung einer Aufhebungsentscheidung zu machen. Dies bedeutet, daß dieses Protokoll ° das im übrigen nicht zur Folge haben kann, daß von einer grundlegenden Bestimmung des EWG-Vertrags wie Artikel 43 Absatz 2 abgewichen wird ° und das in ihm vorgesehene Kontingent aufgehoben werden können, ohne daß die in Artikel 236 EWG-Vertrag niedergelegten Bestimmungen über eine Änderung des Vertrages eingehalten werden müssen.

    Top