Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 61989TJ0012

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    ++++

    1. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird - Zulässige Beweismittel

    (EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

    2. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Anhörungen - Vorläufiger Charakter der dem Beratenden Ausschuß und der Kommission vorgelegten Niederschrift - Kein Verfahrensfehler

    (Verordnung Nr. 99/63 der Kommission)

    3. Wettbewerb - Kartelle - Vereinbarungen zwischen Unternehmen - Begriff - Willensübereinstimmung bezueglich des künftigen Marktverhaltens

    (EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

    4. Wettbewerb - Kartelle - Verbot - Kartelle, deren Wirkungen über ihr formelles Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen - Anwendung von Artikel 85 EWG-Vertrag

    (EWG-Vertrag, Artikel 85)

    5. Wettbewerb - Kartelle - Abgestimmte Verhaltensweise - Begriff - Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit - Treffen von Wettbewerbern zum Zwecke des Austauschs von Informationen, die von entscheidender Bedeutung sind für die Ausarbeitung der Geschäftsstrategie der Teilnehmer

    (EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

    6. Wettbewerb - Kartelle - Komplexe Zuwiderhandlung, die Merkmale der Vereinbarung und der abgestimmten Verhaltensweise aufweist - Einheitliche Qualifizierung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" - Zulässigkeit - Beweisrechtliche Folgen

    (EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

    7. Wettbewerb - Verwaltungsverfahren - Entscheidung über eine Reihe von rechtswidrigen Handlungen, die nicht allen Unternehmen, die Adressaten der Entscheidung sind, in gleicher Weise zuzurechnen sind, im Rahmen einer einzigen Entscheidung - Zulässigkeit - Voraussetzung - Möglichkeit des einzelnen Unternehmens, die gegen es erhobenen Vorwürfe zu erkennen

    (EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 1)

    8. Handlungen der Organe - Begründungspflicht - Umfang - Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln

    (EWG-Vertrag, Artikel 190)

    9. Wettbewerb - Geldbussen - Höhe - Festsetzung - Kriterien - Schwere der Zuwiderhandlungen - Beurteilungskriterien - Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen - Zulässigkeit - Voraussetzungen

    (Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

    10. Handlungen der Organe - Gültigkeitsvermutung - Widerlegung - Voraussetzungen

    Leitsätze

    1. In einer an ein Unternehmen gerichteten Entscheidung nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag können gegenüber diesem Unternehmen nur die Schriftstücke als Beweismittel verwendet werden, von denen schon im Stadium der Mitteilung der Beschwerdepunkte und aufgrund ihrer Erwähnung in dieser Mitteilung oder in deren Anlagen erkennbar war, daß die Kommission sich auf sie berufen wollte, und zu deren Beweiskraft sich das Unternehmen somit rechtzeitig äussern konnte.

    2. Der Umstand, daß dem Beratenden Ausschuß für Kartell- und Monopolfragen und der Kommission eine vorläufige Anhörungsniederschrift vorgelegen hat, kann nur dann einen Fehler des Verwaltungsverfahrens darstellen, der die Rechtswidrigkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung nach sich ziehen könnte, wenn die Fassung dieser Niederschrift für ihre Adressaten irreführend war.

    3. Eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag liegt schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dies ist dann der Fall, wenn es zwischen mehreren Unternehmen eine Willensübereinstimmung zur Erreichung von Preis- und Verkaufsmengenzielen gab.

    4. Artikel 85 EWG-Vertrag ist auch auf ausser Kraft getretene Kartelle anwendbar, deren Wirkungen über das formelle Ausserkrafttreten hinaus fortbestehen.

    5. Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, anhand deren sich der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise bestimmen lässt, sind im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EWG-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt. Dieses Selbständigkeitspostulat beseitigt zwar nicht das Recht der Unternehmen, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Konkurrenten mit wachem Sinn anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potentiellen Konkurrenten zu beeinflussen oder einen solchen Konkurrenten über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in Erwägung zieht.

    Die Teilnahme an Sitzungen, deren Zweck es ist, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen, und in denen die Wettbewerber Informationen über die Preise, die sie zu praktizieren beabsichtigen, über ihre Rentabilitätsschwelle, über die von ihnen für notwendig gehaltenen Beschränkungen der Verkaufsmengen oder über ihre Verkaufszahlen austauschen, stellt eine abgestimmte Verhaltensweise dar, da die teilnehmenden Unternehmen die so weitergegebenen Informationen zwangsläufig bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen.

    6. Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag sieht keine spezifische Subsumtion für eine Zuwiderhandlung vor, die zwar komplex, aber doch einheitlich ist, weil sie aus einem kontinuierlichen Verhalten besteht, das durch eine einzige Zielsetzung gekennzeichnet ist und sowohl Einzelakte aufweist, die als "Vereinbarungen" anzusehen sind, als auch Einzelakte, die "abgestimmte Verhaltensweisen" dargestellt haben. Daher kann eine solche Zuwiderhandlung als "eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise" qualifiziert werden, ohne daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis erforderlich ist, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfuellt.

    7. Der Kommission ist es nicht verboten, über eine Reihe von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 EWG-Vertrag, an denen die einzelnen Unternehmen, die Adressaten der Entscheidung sind, nicht in derselben Weise beteiligt sind, eine einzige Entscheidung zu erlassen, sofern die Entscheidung jedem Adressaten die Möglichkeit bietet, genau festzustellen, welche Vorwürfe gegen ihn erhoben worden sind.

    8. Die Kommission hat gemäß Artikel 190 EWG-Vertrag ihre Entscheidungen mit Gründen zu versehen und dabei die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Maßnahme abhängt, sowie die Erwägungen aufzuführen, die sie zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlasst haben, sie braucht jedoch bei einer Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden.

    9. Bei der für die Festsetzung der Geldbusse erforderlichen Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung hat die Kommission nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls, sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen und sicherzustellen, daß ihr Vorgehen vor allem in bezug auf solche Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft besonders beeinträchtigen, die notwendige abschreckende Wirkung hat.

    Die Kommission wird dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in einer bestimmten Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Sie kann insbesondere dann das Niveau der Geldbussen anheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken, wenn eine bestimmte Art von Zuwiderhandlungen wegen des Gewinns, den eine Reihe der betroffenen Unternehmen daraus ziehen kann, immer noch verhältnismässig häufig ist, obwohl ihre Rechtswidrigkeit von Beginn der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik an festgestanden hat.

    10. Da ein Rechtsakt, der zugestellt und veröffentlicht worden ist, als gültig anzusehen ist, ist es Sache desjenigen, der die formelle Gültigkeit eines Rechtsakts anzweifelt oder sich auf dessen Inexistenz beruft, dem Richter Gründe vorzutragen, die den Anschein der Gültigkeit in Frage stellen.

    Top