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Document C:2006:024:FULL

    Amtsblatt der Europäischen Union, C 24, 31. Januar 2006


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    ISSN 1725-2407

    Amtsblatt

    der Europäischen Union

    C 24

    European flag  

    Ausgabe in deutscher Sprache

    Mitteilungen und Bekanntmachungen

    49. Jahrgang
    31. Januar 2006


    Informationsnummer

    Inhalt

    Seite

     

    II   Vorbereitende Rechtsakte

     

    Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

     

    420. Plenartagung vom 28./29. September 2005

    2006/C 024/1

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Der Beitrag des Tourismus zur sozialen und wirtschaftlichen Erholung von Gebieten im Niedergang

    1

    2006/C 024/2

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Berichtigung der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge(KOM(2005) 214 endg. — 2005/0100 (COD))

    11

    2006/C 024/3

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte von Flugreisenden eingeschränkter Mobilität(KOM(2005) 47 endg. — 07/2005 (COD))

    12

    2006/C 024/4

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Unterrichtung von Fluggästen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens sowie den Austausch sicherheitsrelevanter Informationen zwischen den Mitgliedstaaten(KOM(2005) 48 endg. — 08/2005 (COD))

    15

    2006/C 024/5

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Gemeinschaftsmaßnahmen zur Bekämpfung der Geflügelpest und dem Entwurf eines Vorschlags für eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung 90/424/EWG des Rates über bestimmte Ausgaben im Veterinärbereich(KOM(2005) 171 endg. — 2005/0062 + 0063 (CNS))

    16

    2006/C 024/6

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92 über die gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak(KOM(2005) 235 endg. — 2005/0105 (CNS))

    18

    2006/C 024/7

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 3317/94 hinsichtlich der Weiterleitung von Anträgen auf Fanglizenzen an die Drittländer(KOM(2005) 238 endg. — 2005/0110 (CNS))

    19

    2006/C 024/8

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen(KOM(2005) 82 endg.)

    20

    2006/C 024/9

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71(KOM(2004) 830 endg. — 2004/0284 (COD))

    25

    2006/C 024/0

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen(KOM(2005) 81 endg. — 2005/0017 (COD))

    29

    2006/C 024/1

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Nördliche Dimension und ihr Aktionsplan

    34

    2006/C 024/2

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Bessere Rechtsetzung

    39

    2006/C 024/3

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts

    52

    2006/C 024/4

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Übergewichtigkeit in Europa — Rolle und Verantwortung der Partner der Zivilgesellschaft

    63

    2006/C 024/5

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsregelung

    73

    2006/C 024/6

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine gemeinsame Erklärung des Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission: Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union — Der europäische Konsens(KOM(2005) 311 endg.)

    79

    2006/C 024/7

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels

    90

    2006/C 024/8

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Armut unter Frauen in Europa

    95

    DE

     


    II Vorbereitende Rechtsakte

    Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

    420. Plenartagung vom 28./29. September 2005

    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/1


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der Beitrag des Tourismus zur sozialen und wirtschaftlichen Erholung von Gebieten im Niedergang“

    (2006/C 24/01)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Der Beitrag des Tourismus zur sozialen und wirtschaftlichen Erholung von Gebieten im Niedergang“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juli 2005 an. Berichterstatter war Herr MENDOZA.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 135 Stimmen gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat bereits mehrere Stellungnahmen abgegeben, um einen Beitrag zur Konzipierung einer europäischen Tourismuspolitik zu leisten. Nun möchte er in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme erarbeiten, die als Bezugspunkt für die Nutzung bestimmter Tourismusinitiativen im Rahmen der Tätigkeit der europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Institutionen, der Sozialpartner, weiterer Einrichtungen der Zivilgesellschaft sowie von im Tourismussektor aktiven Organisationen dienen kann. Zudem sollen dadurch Anstrengungen gebündelt sowie den betreffenden Gebieten — und insbesondere den Bürgern und Unternehmen, die dort ansässig sind und ihr Auskommen finden — eine alternative Erwerbstätigkeit mit den sich daraus ergebenden positiven Konsequenzen geboten werden.

    1.2

    Das vorliegende Dokument ist als Beitrag zur notwendigen Umstellung verschiedener Gebiete in ganz Europa gedacht, die aus ganz unterschiedlichen Gründen einen wirtschaftlichen und sozialen Niedergang erleben. Der Beitrag konzentriert sich auf die Alternative, die die Tourismusindustrie für diese Gebiete darstellen kann.

    1.3

    Bei der Erarbeitung der Stellungnahme wurde folgendermaßen vorgegangen:

    erste Studiengruppensitzung zur Festlegung des Themenkatalogs für die Stellungnahme;

    öffentliche Anhörung in Córdoba (Spanien) und zweite Studiengruppensitzung zur Bestimmung und Darlegung vorbildlicher Verfahrensweisen für Initiativen zur Erholung von Gebieten im Niedergang mit Hilfe touristischer Aktivitäten. Damit wird das Hauptziel dieser Stellungnahme verfolgt, Erfahrungen darzulegen, die sich als nützlich erweisen oder den genannten Aktivitäten Impulse verleihen bzw. weitere in Gebieten anstoßen können, die vor kurzem einen sozialen und wirtschaftlichen Niedergang erlebt haben, ihn gerade erleben oder möglicherweise in Zukunft erleben werden;

    dritte und letzte Sitzung zur Formulierung des endgültigen Dokuments für die Aussprache in der Fachgruppe und im Plenum des Ausschusses.

    1.4

    Zwei Gegebenheiten, zwei sich in positiver Weise ergänzende Aspekte, sind zu berücksichtigen:

    Der Tourismus stellt — wie in der gesamten Stellungnahme zu sehen sein wird — für Gebiete im Niedergang als Quelle wirtschaftlicher Aktivität mit einem großen Entwicklungspotenzial für Gesellschaft, Unternehmen und Arbeitsmarkt eine große Chance und Alternative dar. Die Umstellung von Gebieten im Niedergang kann und muss mit einem neuen Produktionssystem einhergehen, das nachhaltig ist und die Lebensqualität verbessern kann.

    Einige Gebiete im Niedergang können zu abwechslungsreichen und selbstverständlich nachhaltigen touristischen Zielen für die voraussichtlich weltweit steigende Zahl von Reisenden werden.

    2.   Umfang und Aufbau der Stellungnahme

    2.1

    In der Stellungnahme sollen weder die Prozesse dargelegt werden, die dazu geführt haben, dass sich die betreffenden Gebiete in einer bestimmten Lage befinden, noch soll eine Analyse der für unterschiedliche Umstellungen (z.B. in der Industrie, im Bergbau oder in der Landwirtschaft) getroffenen Maßnahmen vorgenommen werden. Allerdings wird es bei bestimmten Fragen für die Erarbeitung von Vorschlägen für den Tourismus erforderlich sein, auf sich aus diesen Umstellungen ergebende Aspekte einzugehen.

    2.2

    Bei der Analyse wird als Erstes festgestellt, ob das fragliche Gebiet einen konkreten Umstellungsprozess durchlaufen hat oder ob es sich um ein Gebiet mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten handelt, das noch keine wesentliche Produktionstätigkeit entwickelt hat und in dem der Tourismus zur Ausgangsaktivität und zum Motor für eine weiterreichende Entwicklung werden kann.

    2.3

    Angesichts dieser Überlegungen wird für die Stellungnahme folgender Aufbau vorgeschlagen:

    2.3.1

    Analyse der Lage der Gebiete im Niedergang und offenkundigste Feststellungen zu den wichtigsten Aspekten, die bei künftigen Vorschlägen für den Tourismus zu berücksichtigen sind: u.a. Soziales, Beschäftigung, Unternehmertätigkeit und Engagement der Institutionen. Vorrangig ist ganz genau zu definieren, was unter Gebieten im Niedergang zu verstehen ist, da die vielfältigen Umstände und Bedingungen zu verschiedenen Alternativen führen können.

    2.3.2

    Deshalb werden in der Stellungnahme folgende Aspekte betrachtet:

    2.3.2.1

    Die Situation von Gebieten im Niedergang: Definition ihrer Defizite ausgehend von den verschiedenen, sie beeinflussenden Aspekten: zuweilen von einer industriellen und unternehmerischen Monokultur herrührende Probleme; ungünstige bzw. sich verschlechternde Umweltfaktoren; fehlende bzw. unzureichende Infrastruktur für den Übergang zu neuen, touristischen Aktivitäten; Arbeitskräfte aus für den Tourismus ungeeigneten Berufssparten; für die Integration neuer Aktivitäten, einschließlich des Tourismus, unzulänglich bekanntes bzw. ungeeignetes soziales Umfeld. Es ist vor allem zu berücksichtigen, dass Industriegebiete im Niedergang grundsätzlich keine natürlichen Tourismusgebiete sind, weshalb es besonders schwierig ist, die passende Art von Tourismus für sie zu finden: Kultur-, Industriekultur-, Sport- oder Bildungstourismus oder eine weitere der zahlreichen alternativen Formen des Tourismus. Insbesondere wird das „positive Erlebnis“ als Grundlage jeglichen Tourismusprodukts angesehen und es gilt, dieses „Erlebnis“ ausfindig zu machen und dafür zu werben.

    2.3.2.2

    Das Engagement der Institutionen: Diese Stellungnahme stellt einen Aufruf zur und eine Darstellung des Ablaufs der unabdingbaren Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verwaltungen und Institutionen dar und beschreibt, welche Art, Szenarien und Modelle der Zusammenarbeit und welche öffentlichen Mittel zur Einleitung einer touristischen Aktivität beitragen können. Es wird insbesondere auf die Rolle der Europäischen Strukturfonds für die Erholung von Gebieten im Niedergang abgehoben. Den Institutionen kommt bei der notwendigen Umschulung der Arbeitskräfte aus Industriegebieten im Niedergang auf Stellen im Dienstleistungssektor eine wichtige Funktion zu.

    2.3.2.3

    Soziale Verwurzelung als Ziel: Die im Niedergang begriffenen Sektoren und die Gebiete, in denen sie sich zuerst entwickelten und dann ihren Niedergang erlebten, sind seit vielen Jahren miteinander verwachsen. Dies ermöglichte es den Einwohnern der dortigen Ortschaften (unterschiedlicher Größe), im Laufe der Jahre und seit Generationen über das Leben und die Arbeit eine Verbindung zu ihrer Umgebung aufzubauen. Die geplanten Tourismusinitiativen müssen durch die Schaffung entsprechender Bedingungen — wie Wohnraum, Dienstleistungen und Verkehrswege — weitgehend dazu beitragen, dass diese Verwurzelung erhalten bleibt. Eine weitere Möglichkeit hierfür ist die Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze, denn der Tourismus ist zwar eine bedeutende Beschäftigungsquelle, aber das große Problem der Saisonalität kann die soziale Verwurzelung behindern und während bestimmter Teile des Jahres zu einer unerwünschten Migration führen.

    2.3.2.4

    Der soziale DialogSchlüssel für die Analyse und Entwicklung von Alternativen: Gespräche und sozialer Dialog sollten den Dreh- und Angelpunkt für ein über ihre jeweiligen Organisationen zu erreichendes Engagement von Arbeitnehmern und Arbeitgebern darstellen, um Projekte und Initiativen in Angriff zu nehmen. Aus diesem zweiseitigen Dialog sollte durch die Einbindung der Behörden bei der Suche nach machbaren Alternativen ein dreiseitiger werden. Außerdem sollten von weiteren Organisationen der Zivilgesellschaft und des Tourismussektors Impulse zur Umsetzung der Projekte ausgehen.

    2.3.2.5

    Impulse für nachhaltige Tourismusinitiativen: Trotz des sozialen Dramas, das der soziale und wirtschaftliche Niedergang für große Gebiete bedeutete, soll dargelegt werden, dass es möglich ist, die bei der Konzipierung früherer Aktivitäten begangenen Fehler durch neue Entwicklungsalternativen nicht nur zu korrigieren, sondern auf die neuen Aktivitäten auch die vom Ausschuss verfochtenen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Parameter eines nachhaltigen Tourismus anzuwenden.

    2.3.2.6

    Die Umwelt als Schwerpunkt für die Erholung und für die Planung touristischer Aktivitäten:

    Auch wenn es nicht Ziel dieser Stellungnahme ist, die Entstehung des sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs eines Gebiets zu analysieren, so ist doch festzustellen, dass sich in vielen Gebieten im Niedergang aufgrund natürlicher, geografischer oder geologischer Gegebenheiten praktisch eine industrielle Monokultur entwickelt hat. Bei einer solchen Entwicklung wurde die Umwelt häufig nicht nur nicht berücksichtigt, sondern effektiv geschädigt. Die neuen ökologischen Anforderungen und Verpflichtungen ermöglichen die Erholung dieser Gebiete und erhöhen das touristische Potenzial der Projekte.

    In der Stellungnahme werden die Prioritäten für ökologische Initiativen festgelegt, die mit der Planung von Tourismusprojekten einhergehen sollen.

    2.3.2.7

    Erhaltung und Stärkung der Unternehmertätigkeit und Förderung produktiver Investitionen: Es soll ein möglichst konkreter Katalog von Initiativen zur Unterstützung der Unternehmertätigkeit erstellt werden. Das Unternehmertum in diesen Gebieten im Niedergang beruht auf einer Spezialisierung auf die ursprüngliche Wirtschaftsaktivität, entweder durch die direkte Beteiligung an den früheren Unternehmen oder den entsprechenden Zulieferbetrieben. Insofern werden in der Stellungnahme verschiedene Initiativen für die Erhaltung und Gründung von Unternehmen, für Ausbildung und Schulung von Unternehmern sowie für die Entwicklung von Kriterien für Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und Entwicklung, Design, Vermarktung usw. betrachtet. Zudem sollten Konzepte wie Werbung, Partnerschaften und Zusammenarbeit zwischen Unternehmen sowie zwischen diesen und den Behörden gefördert und Netzwerke zwischen Unternehmen, Gebieten und Sektoren aufgebaut werden. Dabei ist den Mikrounternehmen sowie den kleinen und mittleren Unternehmen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

    2.3.2.8

    Der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen als Priorität: Die größten sozialen Kosten des sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs von Unternehmen und Sektoren entstehen durch den Verlust von Arbeitsplätzen, weshalb das wichtigste Ziel der Initiativen für die Erholung dieser Gebiete der Erhalt und wenn möglich die Erhöhung der Beschäftigung sein muss. Deshalb wird — abgesehen von den vorübergehenden Sozialschutzmechanismen — vorgeschlagen, bei der Entwicklung von Tourismusinitiativen arbeitsplatzschaffende Investitionen, Ausbildung und Umschulung sowie eine Kultur der beruflichen Selbstständigkeit und der Sozialwirtschaft zu fördern.

    2.3.2.9

    Einbeziehung aller Aspekte einer Tourismuspolitik: Die Tourismusprojekte für die soziale und wirtschaftliche Erholung von Gebieten im Niedergang müssen allen Aspekten, die — außer den bereits genannten — Teil einer Tourismuspolitik sind, den optimalen Impuls geben. Deshalb ist festzustellen, inwiefern Aspekte aus Bereichen wie Kultur, Geschichte, Kulturerbe, Natur und Sport in diese Politik hineinspielen.

    2.3.2.10

    Eine wichtige Aufgabe, die in bestimmten Gebieten bereits mit positiven Ergebnissen bewältigt wurde, besteht darin, Elemente früherer Aktivitäten bei der Planung neuer Tourismusalternativen einzubeziehen.

    2.3.3

    Es ist wichtig, die in verschiedenen Staaten der Europäischen Union erfolgreich durchgeführten Projekte genau zu analysieren, und zwar nicht nur um sie in an ein anderes Umfeld angepasster Form zu wiederholen, sondern um sie zu unterstützen und zu stärken. Die positiv verlaufenden Projekte scheinen jedoch nicht sehr zahlreich zu sein, weshalb es nicht einfach ist, eine möglichst breite und vielfältige Palette erfolgreicher Projekte zu finden.

    2.3.4

    Insbesondere ist die — sinnvolle — Möglichkeit zu berücksichtigen, dass sich die verschiedenen touristischen Ziele in Gebieten im Niedergang in Netzwerken organisieren, die eine starke Basis für Werbung und gegenseitige Unterstützung bilden würden.

    2.3.5

    Die Stärkung und Förderung der beruflichen Selbstständigkeit ist zweifellos ein sehr wichtiger Faktor, um die Bedingungen für die Anpassung der Arbeitskräfte an neue Gegebenheiten zu verbessern. Die Untersuchung dieses Beitrags wird den Gebieten im Niedergang bei ihrer Umwandlung in Tourismusgebiete, vor allem in Gebiete für ländlichen Tourismus, sicher von großem Nutzen sein. Es ist zu untersuchen, welche Art von Unterstützung diese Beschäftigungsform benötigt, um in diesem schwierigen Anpassungsprozess ein wirksames Instrument zu sein.

    2.3.5.1

    Einige in diesem Bereich zu entwickelnde Initiativen:

    2.3.5.1.1

    In der Europäischen Union ist unter beruflicher Selbstständigkeit die Fähigkeit und die Entscheidung von Arbeitskräften zu verstehen, allein oder zusammen mit anderen eine selbstständige Tätigkeit auszuüben. Der Selbstständige ist in erster Linie eine Arbeitskraft, die durch die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit mit Lieferanten und Kunden kommerzielle und soziale Kontakte pflegt.

    2.3.5.1.2

    Jahrelang stellte die Selbstständigkeit eine wirksame Art und Weise dar, Wirtschaftskrisen in der Industrie zu begegnen, da sie den Erhalt von Arbeitsplätzen ermöglichte und den neuen Erfordernissen der Schaffung von Arbeitsplätzen gerecht wurde.

    2.3.5.1.3

    Derzeit vollziehen vor allem jüngere Erwerbspersonen und Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit.

    2.3.5.1.4

    Ein touristisches Angebot auf der Grundlage der Selbstständigkeit muss, um erfolgreich zu sein, Anreize für den Erwerb neuer beruflicher Qualifikationen bieten. Zu den neuen ländlichen Berufen können u.a. folgende gehören:

    auf lokale Erzeugnisse spezialisierter Handel;

    traditionelle Handwerks- und Lebensmittelprodukte;

    Sport- und Ökotourismusangebote;

    audiovisuelle und virtuelle Einrichtungen;

    Kulturförderung;

    Kinderkrippen, Campingplätze und Herbergen;

    Naturmedizin;

    Schönheitspflege;

    traditionelle Baukunst und Wiederbelebung von Handwerken;

    Internetcafés;

    Förderung des örtlichen Immobilienwesens;

    Beratung zu den neuen Aktivitäten;

    Herstellung der Güter und Erbringung der Dienstleistungen, die üblicherweise in touristischen Unterkünften benötigt werden;

    auf ältere Menschen ausgerichtete Betreuung.

    2.3.6

    Ebensoviel ließe sich über den Sozialtourismus sagen, der sicherlich künftig eine Alternative für viele Gebiete im Niedergang darstellen wird, die im Tourismus eine neue Wirtschaftstätigkeit suchen. Aufgrund seiner unterschiedlichen Merkmale ist der Sozialtourismus ein besonders geeignetes Instrument zur Bekämpfung der Saisonalität und zur Staffelung der Ferien.

    2.3.7

    Das neue europäische Szenario für den Anstoß von Tourismusalternativen in Gebieten im Niedergang: In der Stellungnahme wird auf die Chance abgehoben, die das erweiterte Europa bietet, um für diese Problematik umfassende Bezugsrahmen z.B. für Maßnahmen, Informationsaustausch, Projektpartnerschaften, den Anstoß vorbildlicher Verfahrensweisen oder die Entwicklung der öffentlich-privaten Zusammenarbeit zu erstellen.

    2.3.8

    Zudem ermöglicht es der Verfassungsvertrag mit seinen Verpflichtungen gegenüber den Bürgern, ihren Rechten sowie den am stärksten benachteiligten Regionen, in der Stellungnahme — neben den im Verfassungsvertrag enthaltenen Aussagen zum Tourismus — eine auf die nationalen, regionalen und lokalen Gegebenheiten abgestimmte europäische Antwort zu geben.

    2.4

    Berücksichtigung der Aktionslinien, die zu einer Alternative beitragen können: In der Stellungnahme werden die früheren Stellungnahmen des EWSA, die Initiativen der Kommission und des Europäischen Parlaments sowie die Erfahrungen von Institutionen wie der Welttourismusorganisation und des Internationalen Büros für Sozialtourismus betrachtet.

    2.5

    Erfahrungen als grundlegende Achse: Diese Stellungnahme ist auf Praxisnähe und Nutzen angelegt, insbesondere für die Gebiete, zu deren Erholung sie beitragen soll. Deshalb wird darin eine Liste vorbildlicher Verfahrensweisen für die Entwicklung dieser Art von Initiativen aufgeführt.

    3.   Die Gebiete im sozialen und wirtschaftlichen Niedergang

    3.1

    Es ist nicht einfach, genau zu definieren, was unter den im Titel dieser Stellungnahme genannten „Gebieten im Niedergang“ zu verstehen ist. Und zwar nicht nur wegen ihrer vielfältigen Merkmale, der Ursache und der Gründe für einen solchen Niedergang, der Reichweite und des Ausmaßes seiner Folgen oder der geografischen Streuung dieser Gebiete, sondern vor allem wegen der tiefgreifenden Konsequenzen für die dort lebenden Menschen und die dort ansässigen Unternehmen.

    3.2

    Vielleicht sollte zur Charakterisierung und Unterscheidung der Typologie der verschiedenen Gebiete im Niedergang als Erstes die Wirtschaftsgeschichte des entsprechenden Gebiets anhand verschiedener Indikatoren analysiert werden, die deutlich zeigen müsste, ob die derzeitige Situation erst vor kurzem und aufgrund äußerer technologischer, sozialer oder wirtschaftlicher Veränderungen entstanden ist oder ob es sich um eine ständige Situation handelt und das Gebiet zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte eine Wirtschaftsentwicklung gekannt hat, die seinen Einwohnern Reichtum und Wohlstand ermöglicht hätte. Zweifellos wirkt sich dieser Unterschied entscheidend darauf aus, wie das Problem des Niedergangs optimal zu lösen ist und wie am besten geeignete Alternativen zu finden sind. Die unternehmerische Erfahrung, die Ausbildung der Einwohner und schließlich die Möglichkeit, eine Ersatztätigkeit oder eine neue Tätigkeit zu finden, sind je nach Fall ganz unterschiedlich.

    3.3

    Im Fall der Gebiete, die noch keinen angemessenen wirtschaftlichen Entwicklungsstand erreicht haben, können die Gründe für die aktuelle Situation sehr vielfältig sein: geografische Randlage, extreme Umweltbedingungen, unzureichende Infrastruktur, geringer Unternehmergeist der örtlichen Bevölkerung und schließlich zahlreiche Gründe, die zur Abwanderung der örtlichen Bevölkerung in Gebiete mit besseren wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten sowohl im Landesinneren als auch in anderen Ländern führten und führen. Schließlich sind die allmähliche Entvölkerung und die sich daraus ergebende soziale Entwurzelung von Menschen aus großen, hauptsächlich ländlichen Gebieten Europas ein Problem, das die EU mit politischen Maßnahmen und Instrumenten für die regionale Entwicklung entschieden angeht. Der Tourismus und die mit ihm einhergehende Entwicklung sind Ziel verschiedener, wertvoller Aktionen in diese Richtung.

    3.4

    Im Falle der Gebiete, die zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Geschichte von einer starken Wirtschaftsaktivität auf der Grundlage verschiedener Tätigkeiten profitierten — Landwirtschaft, Bergbau oder ganz unterschiedlicher Industrien (wie Textil-, Metall- oder chemischer Industrie) — und die diese Tätigkeiten aus verschiedenen Gründen aufgeben mussten, besteht das Problem hauptsächlich im Bankrott des Gesellschaftsmodells mit allen Folgen für die Bevölkerung und die Unternehmensstruktur des Gebiets. In diesen Fällen erschweren es die wirtschaftliche Monokultur bzw. die geringe Diversifizierung der Wirtschaft zusätzlich, eine Alternative für den durch den wirtschaftlichen Niedergang bedingten Verlust von Arbeitsplätzen zu finden.

    3.5

    Die Gründe, die den Niedergang eines vormalig aktiven, rentablen und wettbewerbsfähigen Gebiets, das Arbeitsplätze und Wohlstand schuf, beeinflussen können und in der Tat beeinflussen sind sehr vielfältig, aber wahrscheinlich liegen insgesamt gesehen alle in der Globalisierung der Wirtschaftstätigkeit und den technologischen Veränderungen. Die Märkte entwickeln sich schnell, häufig unerwartet, und die Stabilität, die die Industrie denjenigen Nationen bot, die die industriellen Prinzipien in den vergangenen Jahrhunderten richtig anzuwenden wussten, ist verschwunden. An ihre Stelle sind der technologische und soziale Wandel, die Ausdehnung der Märkte, die weltweiten Echtzeitinformationen, der globale Wettbewerb sowie die Auslagerung der Produktion von Gütern und der Erbringung von Dienstleistungen getreten. Die Kosten des Faktors Arbeit wurden als ausschlaggebender Faktor für den Standort von Industrien dargestellt, aber es sind die Forschungskapazitäten, Entwicklung und Innovation, Nähe und Qualität von Dienstleistungen sowie Qualifikation der Führungskräfte und Professionalität des Personals, die zusammen mit dem Zugang zur Technologie die Wettbewerbsfähigkeit einer wirtschaftlichen Aktivität ausmachen. Die Bewältigung des Deindustrialisierungsprozesses in Europa und die erfolgreiche Suche nach arbeitsplatzschaffenden Alternativen ist vermutlich die größte Herausforderung, vor der Europa steht, was auch das Ziel der Lissabon-Strategie zeigt.

    3.6

    Die Auswirkungen des Niedergangs eines Gebiets auf seine Bevölkerung und seine Unternehmen sind vielfältig: Arbeitsplatzverluste, allgemeine Verarmung, demografische Veränderungen und Abwanderung der Bevölkerung, Verlust der Industriestruktur u.a.m. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich diese Auswirkungen mehrere Generationen lang und in sehr unterschiedlicher Form fortsetzen. Für die Generation, die den wirtschaftlichen Niedergang direkt erlebt, stellen häufig die Sozialschutzmechanismen eine unerwünschte, aber notwendige Form des Ersatzes dar, insofern als sie über die Sozialleistungen das nötige Einkommen bezieht. Dies ist bei der Schließung der großen Industrie- und Bergbauunternehmen der Fall, in denen junge und jüngere potenziell arbeitsfähige Menschen gezwungen sind, untätig zu sein und ihr Leben über Sozialleistungen zu fristen. Auch wenn dies keine wünschenswerte Situation ist, so ist das Problem der nachfolgenden Generation, die weder über Arbeit noch über Unterstützung verfügt, vielleicht noch beängstigender. In solchen Situationen sind Unternehmergeist, Diversifizierung der Aktivitäten sowie Aus- und Weiterbildung nicht nur Behelf, sondern unabdingbar.

    3.7

    Letzten Endes kann der Tourismus für diese Gebiete im Niedergang, in denen es bisher noch keine Wirtschaftsentwicklung gab bzw. in denen sie ins Stocken geraten ist, eine machbare Alternative darstellen, um ihre Wirtschaft über eine Industrie wie die des Tourismus, die sich als stark und stabil erwiesen hat, gute Zukunftsaussichten und Wachstumschancen bietet, Arbeitsplätze schafft sowie für ein nachhaltiges wirtschaftliches, soziales und ökologisches Gleichgewicht sorgen kann, anzukurbeln. Natürlich sind die kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungen, die das zweifellos mit sich bringt, nicht einfach und nicht immer erfolgreich zu bewältigen, aber die Gebiete im Niedergang haben nur wenige Alternativen, für die die Bedingungen möglicherweise noch schwerer zu schaffen sind.

    3.8

    Es darf auch nicht vergessen werden, dass zuweilen im nahen Umland großer Städte — auch in Städten mit florierender Wirtschaft — verwahrloste Randgebiete mit wenig oder gar keiner Wirtschaftstätigkeit entstehen. In solchen Fällen können verschiedene internationale Veranstaltungen zur Aufwertung und Wiederankurbelung der Wirtschaft beitragen. Beispiele hierfür sind die Weltausstellungen in Sevilla und Lissabon, die Olympischen Spiele in Barcelona oder vor kurzem in Athen, die sich als grundlegendes Element für eine Sanierung der Infrastruktur und einen neuen Impuls erwiesen haben — häufig mit den Merkmalen und unter den Bedingungen eines neuen Tourismusgebiets.

    4.   Ziele und Vorgehensweisen

    4.1

    Nach der Analyse der Lage, der Entstehung und der grundlegenden Merkmale von Gebieten im Niedergang ist es sinnvoll festzustellen, mit Hilfe welcher Ziele und Vorgehensweisen der — im Titel dieser Stellungnahme angekündigte — Beitrag des Tourismus zur wirtschaftlichen Erholung dieser im sozialen und wirtschaftlichen Niedergang befindlichen Gebiete ermittelt werden kann.

    4.1.1

    Als Erstes und grundsätzlich ist anzumerken, dass das elementare Ziel jeglicher Maßnahme für die wirtschaftliche Entwicklung nur darin bestehen kann, für die örtliche Bevölkerung geeignete Bedingungen für ihre persönliche und soziale Entwicklung zu schaffen, damit sie nicht gezwungen ist auszuwandern oder wegzuziehen, kurz, um die seit Generationen bestehende soziale Verwurzelung in ihrem unmittelbaren Umfeld zu erhalten. Deshalb müssen die als Alternative vorgeschlagenen Tourismusinitiativen nicht nur wirksam die erforderlichen Infrastrukturbedingungen, sondern auch die dauerhafte Beschäftigung der Menschen sichern, die im Tourismus im weitesten Sinne tätig sind. Die Einführung nachhaltiger und langfristig rentabler Tourismusprodukte ist ein entscheidendes Ziel, um eine Alternative zu der durch den sozialen und wirtschaftlichen Niedergang entstandenen Arbeitslosigkeit zu bieten, wenn die als grundlegendes Ziel angesehene soziale Verwurzelung erhalten bleiben soll.

    4.2

    Auch die Diversifizierung der Wirtschaftstätigkeit gehört zu den Zielen jeder Maßnahme für die wirtschaftliche Entwicklung in Gebieten im Niedergang. Wenn einer der Gründe für den Niedergang von durch die Monokultur einer Industrie gekennzeichneten Gebieten möglicherweise in technologischen Veränderungen oder Veränderungen des Marktes besteht, so scheint es auf der Hand zu liegen, dass eine ganze Palette sich ergänzender und verschiedenartiger Aktivitäten, die künftig das wirtschaftliche Fundament der Region bilden können, erforderlich ist, damit sich diese Situation nicht wiederholt. Der Tourismus ist als bereichsübergreifende Tätigkeit, an der zahlreiche Akteure, Unternehmen unterschiedlicher Größe, Familienunternehmen und multinationale Konzerne, Unternehmen mit ganz unterschiedlichen sozialen Zielen und verschiedenen geschäftlichen Schwerpunkten beteiligt sind, gut geeignet, das Produktionssystem eines Gebiets zu diversifizieren.

    4.3

    Ein weiteres Ziel jeder Entwicklungsmaßnahme für Gebiete im Niedergang ist das nachhaltige Gleichgewicht der dort ausgeübten Tätigkeiten in wirtschaftlicher, sozialer und insbesondere ökologischer Hinsicht. Sehr oft haben die im Niedergang begriffene Industrie- bzw. Bergbautätigkeit in dem betreffenden Gebiet großen Schaden angerichtet: baufällige und verlassene Gebäude, giftige Industrieabfälle, physischer Verfall und verseuchte Böden sind häufig das Ergebnis einer veralteten Industrietätigkeit und natürlich sind dies im Prinzip keine idealen Voraussetzungen für den Aufbau einer touristischen Aktivität, für die normalerweise Bedingungen gesucht werden, die die Natur von ihrer schönsten Seite zeigen.

    4.3.1

    Eigentlich obliegt es den in einem Gebiet ansässigen Industrieunternehmen, die ursprünglichen natürlichen Gegebenheiten wieder herzustellen oder das Gebiet zumindest so weit wie möglich zu sanieren. Natürlich ist es nicht einfach, diesen Grundsatz in der Praxis umzusetzen, da gerade der Niedergang der Unternehmen dem entgegensteht, und es ist Aufgabe der öffentlichen Hand an ihrer Stelle zu handeln, damit die Umgebung in ordentlichem Zustand bleibt. Eine Sanierung durch die Unternehmen ist besonders wichtig, wenn Unternehmen, die ihren Standort verlagern, bei ihrer Niederlassung öffentliche Beihilfen erhalten haben. Aufgrund ihrer sozialen Verantwortung sollten die Unternehmen diese zusätzlichen Kosten ihrer Aktivität tragen.

    4.4

    Zur Verwirklichung dieser — schwierigen — Ziele sind erfolgversprechende Methoden anzuwenden und dabei ist natürlich der soziale Dialog als wichtigste Arbeitsbedingung ein Schlüsselelement für die Entwicklung von Alternativen. Dieser soziale Dialog zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mittels Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ist Dreh- und Angelpunkt für die Planung von Projekten und Initiativen. Auch die Zivilgesellschaft kann und muss in ihren verschiedenen Ausprägungen von Verbänden — wie Verbraucherverbände oder Bürgervereine — an diesem Prozess mitwirken.

    4.4.1

    Insbesondere sind jedoch die öffentliche Verwaltung und ihr Engagement zu betrachten und ihre aktive Mitwirkung an der Förderung von Alternativen in Gebieten im Niedergang anzustreben, seien es die besagten Alternativen im Tourismus, in anderen Industrien oder im Dienstleistungsbereich. Über die Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen von Verwaltung und Behörden sind die allgemeinen Bedingungen für den Erfolg der Initiativen zu gewährleisten und erforderlichenfalls die wirtschaftliche Rentabilität der Projekte zu unterstützen. Die Strukturfonds der EU sind bevorzugte Instrumente für dieses koordinierte Vorgehen der europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Ebene bei der Suche nach für die Neubelebung von Gebieten im Niedergang geeigneten regionalen Entwicklungsprojekten und -initiativen und ihrer Umsetzung.

    4.5

    Die Aus- und Weiterbildung der Menschen in Gebieten im Niedergang ist eines der Schlüsselelemente im Umstellungsprozess dieser Gebiete. Zum einen ist die Umschulung der Arbeitslosen mit dem Ziel sicherzustellen, sie im Rahmen der alternativen Aktivitäten beschäftigen zu können, für die in der Regel ganz andere Fähigkeiten erforderlich sind als für die früheren Aktivitäten. Die Praxis zeigt, dass diese Umschulung eine große Herausforderung darstellt und es nur über umfassende und fortgesetzte Ausbildungsmaßnahmen möglich ist, Arbeitskräfte aus der Industrie für den Dienstleistungssektor umzuschulen. Dasselbe gilt für die nachfolgende Generation, die den Arbeitsplatzverlust nicht direkt erlebt hat, die jedoch in ihrer Umgebung keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz in der traditionellen örtlichen Industrie hat. Die Ausbildung ist die einzige Möglichkeit, dieser mangelnden Aussicht auf einen Arbeitsplatz abzuhelfen.

    4.6

    Der derzeitige europäische Erweiterungsprozess kann einerseits große Schwierigkeiten mit sich bringen, da die entwicklungsbedürftigen Gebiete zahlreicher sind und ihre Vergangenheit in Industrie, Bergbau und Landwirtschaft nur schwer zu bewältigen ist; andererseits ist es jedoch offensichtlich, dass die Nachfrage nach Mobilität zu Freizeit- und Tourismuszwecken beträchtlich ansteigen kann, was eine Stärkung der Tourismusindustrie bedeuten würde. Für einige Regionen im Niedergang können Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Tourismus in ganz Europa nach den Kriterien eines europäischen Tourismusmodells ein wirkungsvolles Instrument für die Entwicklung ihrer Wirtschaft sein.

    5.   Vorbildliche Verfahrensweisen rund um den Tourismus für die soziale und wirtschaftliche Umstellung von Gebieten im Niedergang

    5.1

    Eines der grundlegenden Ziele dieser Stellungnahme besteht darin, verschiedene vorbildliche Verfahrensweisen, mit deren Hilfe Gebiete im Niedergang erfolgreich auf den Tourismus umgestellt wurden, zu sammeln, zusammenzufassen und auszuwerten.

    5.1.1

    Dazu wurden neben den Erfahrungen, die der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in der von ihm zusammen mit der Regierung der Provinz in Córdoba veranstalteten Anhörung zusammengetragen hat, weitere Initiativen gesammelt, die aufgrund ihres pädagogischen Werts untersucht und analysiert werden sollten, um möglicherweise als Beispiel zu dienen.

    5.2

    Das Projekt von Asturien (Spanien): Hier handelt es sich um einen erfolgreichen Fall, in dem eine ganze, in der Vergangenheit stark durch Bergbau und Industrie geprägte Region angesichts des Niedergangs und der Arbeitsplatzverluste in den genannten Sektoren reagiert und sich entschließt, intensiv Tourismus zu betreiben. Dazu entwickelt sie verschiedene Tourismuslabel und -produkte, die eng mit dem Konzept Asturien und Natur verknüpft sind:

    Tourismus und Natur: Naturparadies Asturien

    Tourismus und Kultur: Kulturschatz Asturien

    Tourismus und Gastronomie: Asturien genießen

    Tourismus und Städte: Asturiens Städte

    Tourismus und Qualität: Asturiens Herrenhäuser

    Mesas de Asturias (Asturische Restaurants)

    Aldeas Asturias Calidad Rural (Asturische Dörfer mit ländlicher Lebensqualität)

    Asturias por la Excelencia Turística (Asturien für touristische Spitzenqualität)

    5.2.1

    Diese neue Strategie für die lokale Entwicklung ist sehr erfolgreich: Die Beschäftigungsquote in der Region ist in den letzten Jahren um 8 % gestiegen. Selbstverständlich stand in diesem Fall die ökologische Nachhaltigkeit im Mittelpunkt eines mit der Natur in Einklang stehenden Qualitätstourismus und sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Akteure und die öffentlichen Einrichtungen unterstützen diesen strategischen Wandel und dieses neue regionale Modell aktiv.

    5.3

    Das Projekt von Zabrze (Polen): In der gesamten Region Schlesien führten die Umgestaltung der Wirtschaft und Marktveränderungen zur Schließung zahlreicher Unternehmen, was den Verlust zehntausender von Arbeitsplätzen und die Verödung einer Landschaft mit zahlreichen verlassenen Industrieanlagen nach sich zog. Es wurden zahlreiche Anstrengungen zur Förderung des Tourismus unternommen, aber der Region haftet nach wie vor ihr traditionelles Image einer Industrieregion mit grauen Landschaften und einer zerstörten Umwelt an. Allerdings könnte dieses für Touristen wenig attraktive Bild zu einem positiven Element für das soziale und wirtschaftliche Leben der Region werden, wenn das Industrieerbe des Gebiets, wie von den Behörden gewünscht und geplant, touristisch genutzt würde. Es geht darum, industrielle Altstandorte umzugestalten, indem ihnen neue, insbesondere touristische Funktionen zugewiesen werden, die nicht saisonabhängig sind. So wird das Industrieerbe erhalten und der ursprüngliche Charakter der Städte und Regionen gewahrt.

    5.3.1

    Allerdings stößt dieses Vorhaben auf zahlreiche Schwierigkeiten. Zum schlechten technischen Zustand und der Verwahrlosung der Anlagen kommen Eigentumsprobleme, das Fehlen von Finanzmitteln, qualifiziertem Personal und touristischer Infrastruktur sowie weitere Faktoren, aufgrund derer nur eine begrenzte Zahl der Industriekulturstandorte die zur Umstellung auf rentable Tourismusprodukte erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Die europäischen Strukturfonds wie der EFRE und der ESF können bei der Überwindung der Hindernisse bei der Finanzierung von Kapital und der Ausbildung der Bevölkerung eine entscheidende Rolle spielen.

    5.3.2

    Auf regionaler Ebene wurde ein Projekt zur touristischen Nutzung industrieller Altstandorte erarbeitet: „Route der Industriekultur“, in der 30 nach unterschiedlichen Kriterien — wie Zugänglichkeit, Attraktivität, Aufnahmekapazität und Sicherheit der Besucher — ausgewählte Standorte zusammengefasst sind.

    5.3.3

    Im besonderen Fall der Gemeinde Zabrze, einer Stadt mittlerer Größe im Süden Polens, wussten die Kommunalbehörden die Bedeutung des Industrietourismus zu schätzen und seit 2003 gilt Zabrze als anerkanntes Modell des Industrietourismus, das bereits verschiedene wichtige Tourismuspreise erhalten hat. Zabrze ist es nicht nur gelungen, seine Alternative zum industriellen Niedergang seiner Bergbauindustrie umzusetzen, sondern auch zu einem Zentrum der Reflexion und Inspiration für künftige Projekte zur Entwicklung des Industrietourismus in Polen und ganz Europa zu werden. So veranstaltet die Stadt internationale Konferenzen zur Untersuchung der „Schätze des Industrieerbes für Tourismus und Freizeit“, beispielsweise im September 2004 und im Mai 2005. Ergebnis dieser Konferenzen sind die Entschließungen von Zabrze, die sehr wertvolle Einsichten zur Nutzung des Industrieerbes für Tourismus und Freizeit bieten. Hier ist auf die Bereitschaft der Welttourismusorganisation hinzuweisen, sich am Aufbau eines Netzwerks für Industrietourismus zu beteiligen, das zur Förderung des Produkts beitragen würde.

    5.3.4

    Insgesamt bietet das Projekt von Zabrze eine sehr wertvolle Palette an Erkenntnissen und Erfahrungen, die zweifellos an anderen, über vergleichbare Merkmalen verfügenden Orten, die touristisch aufgewertet werden sollen, von Nutzen sein können. Der Ausschuss erkennt den Wert dieser Erkenntnisse und Erfahrungen ausdrücklich an, unterstützt sie und wird sie bei entsprechender Gelegenheit verbreiten.

    5.4

    Das Projekt des Bergbaumuseums von Río Tinto in Huelva (Spanien): Das Bergwerk in Río Tinto war in der Antike eine reichhaltige Quelle für Edelmetalle, die bereits in der Zeit der Römer für Reichtum sorgten. 1982 wurde das Bergwerk geschlossen und das Gebiet lag wirtschaftlich darnieder. Im Bergbaumuseum von Río Tinto werden heute die Hinterlassenschaften all dieser Wechselfälle verwahrt. Das Museum ist ein Informationszentrum des Bergbauparks von Río Tinto, ein Themenpark, der die Dörfer und die Landschaft des Bergbaureviers mit einschließt. Im dem 900 Hektar großen Bergbaupark können die Besucher eine Zugfahrt entlang der alten Bahnstrecke machen, über die das Erz nach Huelva transportiert wurde, sowie alte Stollen, einen römischen Friedhof und das von der englischen Kompanie, der das Bergwerk Ende des 19. Jahrhunderts gehörte, erbaute Bergarbeiterviertel besichtigen. Kurz, ein zuvor nicht mehr genutzter Ort hat sich in eine Freizeitstätte verwandelt und wurde als Kulturgut zurückgewonnen. Das „Erlebnis“ als Grundlage jeder touristischen Attraktivität ermöglicht es den Betreibern in diesem Fall, wie in anderen auch, Gebiete, die sonst aufgegeben werden müssten, rentabel zu nutzen.

    5.5

    Das Bergbau- und Industriegebiet Peñarroya-Pueblonuevo (Spanien) verfügt über ein wertvolles Industrieerbe, Überrest eines Industriezentrums aus dem 20. Jahrhundert, das derzeit saniert wird, um es der örtlichen Bevölkerung und den Besuchern für verschiedene Freizeitaktivitäten zur Verfügung zu stellen. Es ist darauf hinzuweisen, dass mehrere Dörfer des Valle del Alto Guadiato in der Provinz Córdoba ein gemeinsames Projekt in Angriff genommen haben, um verschiedene Attraktionen, wie das Bergbaugeologiemuseum von Peñarroya-Pueblonuevo, aufzuwerten. Sie suchen nach einem Weg, den Tourismus anzuziehen, der für die wirtschaftliche Erholung einiger Dörfer sorgen könnte, in denen die Menschen durch die Schließung der Bergwerke ihre Arbeit verloren haben. Dieses Projekt fließt in ein koordiniertes Gesamtangebot ein, das ehemalige industrielle und geologische Zentren, ein gastronomisches, ein Sport- sowie ein Kulturangebot umfasst und an dem die Einwohner verschiedener Orte des Gebiets, wie Fuenteovejuna, Bélmez und anderen, mitwirken.

    5.6

    Der Verbund des Museums für Wissenschaft und Technik in Katalonien (Spanien) umfasst an die 20 Punkte, die für die Industriekultur der Region Katalonien von Interesse sind und verschiedene Bereiche, wie die Textil-, Papier-, Gerberei- und Verkehrsindustrie, betreffen. Zweifellos war die katalanische Industrie in den vergangenen Jahrhunderten nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell, architektonisch und gesellschaftlich außerordentlich präsent und bedeutsam und ist Teil der kollektiven Identität Kataloniens. Der Verbund des Museums für Wissenschaft und Technik ist so konzipiert, dass der Tourismus an allen 20 Punkten gefördert wird, und funktioniert letztlich wie ein aus verschiedenen Orten von touristischem und kulturellem Interesse bestehendes Netzwerk. Diese Vorgehensweise ist auch für andere Projekte mit vergleichbaren Merkmalen geeignet.

    5.7

    Ein weiteres interessantes Projekt wurde unter der Schirmherrschaft des Internationalen Büros für Sozialtourismus durchgeführt und hat zur alternativen Entwicklung eines im Niedergang begriffenen Kohlereviers in La Roche-en-Ardenne (Belgien) beigetragen: Dort wurde ein Ferienzentrum für Sozialtourismus eingerichtet, das in erheblichem Maß zur Beschäftigung in der Region beiträgt.

    5.8

    In ganz Europa werden verschiedene innovative Tourismusprojekte durchgeführt, mit deren Hilfe zumindest Teillösungen für Situationen des wirtschaftlichen Niedergangs gesucht werden. Als Beispiel ist das Projekt jener traditionellen Fischer zu nennen, die Touristen anbieten, aktiv an einem Arbeitstag an Bord ihres Schiffes teilzunehmen. Die Touristen erleben eine touristisch sehr attraktive berufliche und kulturelle Wirklichkeit und gleichzeitig lässt sich so das mit einer im Niedergang begriffenen Aktivität erzielte Einkommen aufbessern.

    5.9

    Der EWSA unterstützt die gemeinsame Erklärung der Europäischen Föderation der Gewerkschaften des Lebens-, Genussmittel-, Landwirtschafts- und Tourismussektors und verwandter Branchen (EFFAT) und des Verbands Hotels, Restaurants und Cafés in Europa (HOTREC) über Aktionslinien zum Erhalt und zur Entwicklung der Beschäftigung im Tourismussektor in ländlichen Gebieten.

    6.   Schlussfolgerungen

    6.1

    In den verschiedenen Sitzungen der mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme beauftragten Studiengruppe sowie in der fruchtbaren Anhörung in Córdoba konnten nicht nur Meinungen eingeholt werden, die im vorausgehenden Text zusammengefasst wurden, sondern auch sehr wertvolle Schlussfolgerungen und Empfehlungen.

    6.2

    Wie durch verschiedene Dokumente der Kommission und des EWSA selbst sowie durch zahlreiche Forschungsquellen belegt, ist der Tourismus eine Wirtschaftsaktivität, die nicht nur rein wirtschaftlich, sondern auch sozial und ökologisch von großer Bedeutung ist. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass der Tourismus eine leistungsstarke, stabile und zukunftsträchtige Industrie ist, die hochwertige Arbeitsplätze schafft, wenn sie sich kurz-, mittel- und langfristig an Nachhaltigkeitskriterien orientiert.

    6.3

    Die Gründe für den sozialen und wirtschaftlichen Niedergang von Gebieten in verschiedenen Ländern Europas und seine Ausprägungen sind unterschiedlich, aber in allen Gebieten ist der Beschäftigungsrückgang und das Fehlen wirtschaftlicher Alternativen die offensichtlichste Ausprägung und die schmerzlichste Folge für die örtliche Bevölkerung, die auf der Suche nach Alternativen zu den traditionellen Aktivitäten des Gebiets häufig gezwungen ist auszuwandern. Die Entvölkerung großer Agrar-, Industrie- oder Bergbaugebiete ist das unerwünschte Ergebnis der veränderten Wirtschaftsstruktur.

    6.4

    Die soziale Verwurzelung der örtlichen Bevölkerung ist das grundlegende Ziel jeder Politik, die darauf ausgerichtet ist, ein regionales Gleichgewicht zu schaffen, und diesen Gebieten im Niedergang daher gangbare Alternativen aufzeigen muss. Insofern spielen die Europäischen Strukturfonds als Instrumente dieser Politik der sozialen Verwurzelung eine entscheidende Rolle. Die Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen als Instrument der sozialen Eingliederung muss höchste Priorität haben.

    6.5

    Der Tourismus stellt möglicherweise in ganz unterschiedlichen Situationen des Niedergangs als Quelle einer Wirtschaftstätigkeit mit großem sozialem, unternehmerischem und beschäftigungspolitischem Entwicklungspotenzial eine gute Alternative dar. Verschiedene Erfahrungen auf allen Ebenen bestätigen dies.

    6.6

    Aber die Gebiete im Niedergang, die im Tourismus eine Alternative suchen, müssen große Schwierigkeiten und Hindernisse jeglicher Art überwinden. Insbesondere ist anzumerken, dass die Gebiete im Niedergang eigentlich keine „natürlichen“ Tourismusgebiete sind, sondern eher das Gegenteil, da es ihnen manchmal an touristischer Attraktivität mangelt: Es ist schwierig, die verwahrloste Umgebung zu sanieren und Bereiche zu schaffen, in denen sich der Tourismus in tragfähiger Form entwickeln kann. Dafür ist es wichtig, Produkte und Angebote zu schaffen, die Nachfrage generieren.

    6.7

    Die Hindernisse, die dem Tourismus als Alternative in den Gebieten im Niedergang — abgesehen von der schlechten Ausgangslage — im Weg stehen, sind ganz unterschiedlich und betreffen:

    die Finanzen, insofern als für die Schaffung von Produkten und einer Infrastruktur für den Tourismus Kapital erforderlich ist;

    die Bildung, da die örtliche Bevölkerung für touristische Dienstleistungen normalerweise nicht entsprechend ausgebildet ist;

    die Zugänglichkeit der Örtlichkeiten und die Mobilität der potenziellen Touristen, damit diese sicher zu den geschaffenen oder beworbenen touristischen Zielen gelangen können;

    die Sicherheit von Personen und Sachen;

    die fehlende Werbung bzw. mangelnde Koordinierung der Werbung für das touristische Ziel;

    die fehlende fachliche Beratung, die zur Festlegung der Parameter beiträgt, die die neuen Unternehmen überlebensfähig machen können.

    6.8

    Aber gerade die Möglichkeit, im Tourismus eine Alternative zu finden, und die dem Prozess innewohnenden Schwierigkeiten sollten sowohl die öffentlichen Einrichtungen als auch die sozialen Akteure sowie die Bürger im Allgemeinen mobilisieren und zur Annahme der Herausforderung bewegen, dieses Potenzial umzusetzen. Die europäische Regionalpolitik und auch die übrigen europäischen Politikbereiche — wie Tourismus, Kultur, Beschäftigung, Verkehr und Infrastruktur — sind die politischen Handlungsfelder, die die Bewältigung dieser Herausforderungen ermöglichen und dazu beitragen müssen. Die Situation der Gebiete im Niedergang zu ignorieren oder sich den Risiken und Hindernissen der im Tourismus bestehenden Alternative nicht zu stellen scheint keine sinnvolle Strategie zu sein. Andere Alternativen für die Gebiete im Niedergang als der Tourismus sind weder zahlreich noch unproblematisch.

    6.9

    Damit der Tourismus für die Gebiete im Niedergang eine gangbare Alternative ist, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein:

    Aufwertung der Kultur, des Kulturerbes und der Natur des Gebiets. Häufig sind die örtlichen Bevölkerungen auch in Gebieten im Niedergang Hüter eines unersetzlichen kulturellen Reichtums.

    Reaktion auf umfassende Problemstellungen, in deren Rahmen über ganzheitliche Entwicklungspläne die Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen geschaffen wird, die der Tourismus benötigt.

    Förderung touristischer Produkte, die Unterbringungskapazitäten in der Nähe der verschiedenen touristischen Attraktionen umfassen. Die Unterbringung der Touristen ist derjenige Bestandteil der Ausgaben, der für Stabilität im Tourismusgeschäft und eine ergänzende Unternehmensstruktur in der Umgebung sorgt. Um eine langfristige Tragfähigkeit zu gewährleisten, sind der Hoteltourismus oder die zeitweilige Unterbringung dem Residenztourismus vorzuziehen.

    Entwicklung unter wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen Bedingungen, so dass der Tourismus selbst Fundament für zahlreiche Unternehmen ist und damit Arbeit für Angestellte und Selbstständige schafft.

    Aufbau einer wettbewerbsfähigen und vielfältigen Unternehmensstruktur, damit die wechselnden Marktbedingungen, die Globalisierung der Wirtschaft und Unternehmensverlagerungen das Gebiet künftig nicht mehr beeinträchtigen.

    Förderung der Qualität jedweder Art mittels Berufsbildung: beim Dienst am Kunden, bei den Arbeitsbedingungen, beim Erhalt der Natur.

    Zusammenschlüsse mit touristischen Zielen mit vergleichbaren Merkmalen, um Netzwerke zur verstärkten gemeinsamen Werbung für das Produkt, Label oder Reiseziel aufzubauen.

    Angebot innovativer Produkte und Dienstleistungen. Die allgemeine und intensive Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ist zweifellos ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. Die Nutzung des Internet durch große, mittlere und kleine Touristikunternehmen, insbesondere jedoch durch letztere, ist für Werbung und Positionierung am Markt von entscheidender Bedeutung.

    Gewährleistung der Verbraucherrechte im Rahmen einer Aktivität wie dem Tourismus, die sektorenübergreifend ist und bei der die Dienstleistungen von kleineren Unternehmen erbracht werden.

    6.10

    Selbstverständlich weichen die für jedes Gebiet ausgewählten touristischen Produkte in Abhängigkeit zahlreicher Faktoren voneinander ab, und es ist schwer zu sagen, was im einzelnen Fall das Beste ist. Als Beispiel sind jedoch einige direkt oder indirekt mit dem Tourismus verknüpfte Aktivitäten zu nennen, die einen alternativen Tourismusbereich bilden können: der Agrartourismus und der ländliche Tourismus, die durch Handwerk sowie die Herstellung und den Vertrieb örtlicher Lebensmittel ergänzt werden, der Industrietourismus, für den verschiedene vorbildliche Verfahrensweisen dargelegt wurden, sowie der Gesundheitstourismus. Die Unterstützung des ländlichen Tourismus durch die Institutionen ist für seine langfristige Überlebensfähigkeit unabdingbar.

    6.11

    Die Typologie von Unternehmen, über die sich in Gebieten im Niedergang touristische Produkte und Aktivitäten entwickeln lassen, ist nicht anders als anderswo, dennoch ist Folgendes ausdrücklich hervorzuheben:

    Die berufliche Selbstständigkeit, mit der Wirtschaftskrisen in der Industrie wirksam begegnet werden konnte, und die — wenn es wieder darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen — für diejenigen jungen Menschen mit dem meisten Unternehmergeist geeignete Unternehmensformen bieten kann. Im ländlichen Tourismus sind die verschiedenen Formen der Selbstständigkeit und des Familienbetriebs stärker vertreten als in anderen Sektoren.

    Die Genossenschaften (sowohl Produktiv-, als auch Produktions-, Förder- und Verbrauchergenossenschaften), die sich um Unterkunftsmöglichkeiten — kleine Herbergen, Campingplätze, Hütten -, verschiedene touristische Dienstleistungen oder die Organisation von Reisen kümmern. Die Möglichkeit ein Netzwerk aufzubauen und in dessen Rahmen zu arbeiten stellt einen wichtigen Mehrwert dar, den verschiedene Länder — darunter Italien über Legacoop — zu nutzen wussten, um die Präsenz von Genossenschaften im Tourismus zu stärken.

    Für die Mikrounternehmen müsste in den Tarifverträgen eine Einzelfallregelung vorgesehen sein, um einerseits die Arbeitsplatzqualität, andererseits jedoch auch die Anpassung an eine vielfältige, veränderliche und vielschichtige Realität sicherzustellen.

    Die Organisationen, die in verschiedenen Ländern den Sozialtourismus verwalten, können sehr wirksam dazu beitragen, dass der Tourismus für die Gebiete im wirtschaftlichen Niedergang zu einer Alternative wird. Die Zahl der von ihnen jährlich betreuten Reisenden kann ein Anreiz dafür sein, in den genannten Gebieten touristische Routen und Produkte einzuführen. Die entsprechenden Erfahrungen des Internationalen Büros für Sozialtourismus — beispielsweise mit dem Ferienzentrum von Liguerre de Cinca in Spanien, das der Region einen sehr starken wirtschaftlichen Impuls verleiht — sind hier äußerst wertvoll. Auch in Portugal entfalten verschiedene von INATEL verwaltete Ferienanlagen in der gesamten Region eine beträchtliche Wirtschaftsaktivität.

    6.12

    Zur Gewährleistung der Überlebensfähigkeit der in den Gebieten im Niedergang als Alternative gegründeten Touristikunternehmen ist es von entscheidender Bedeutung, dass in der Umgebung verschiedene ergänzende Aktivitäten entstehen, die einen Beitrag zu dem gemeinsamen Ziel leisten können, einen echten „Tourismusverbund“ aufzubauen, in dem sich jedes Unternehmen als Teil eines touristischen Gesamtangebots verstehen muss. Dieser Verbund von Kultur, Gastronomie, Natur, Unterkünften und letztlich allen wirtschaftlichen Tätigkeiten, die die „touristische Attraktivität“ ausmachen, muss unter öffentlichen wie unter privaten Aspekten koordiniert werden. Im Fall der neuen Entwicklungen in Gebieten im Niedergang ist ein solcher Verbund, der teilweise auch im traditionellen Tourismus besteht, aufgrund der extremen Schwierigkeiten und der Schwäche der Unternehmen unabdingbar. Eine „Touristikroute“, an der zahlreiche Wirtschaftsakteure beteiligt sind, wäre eine konkrete Form eines solchen Verbunds. Auf jeden Fall muss die Unternehmenskooperation durch alle wirtschaftlichen und sozialen Akteure unterstützt werden.

    7.   Schlussbemerkungen

    7.1

    Die soziale und wirtschaftliche Erholung der europäischen Gebiete im Niedergang ist eine große und schwierige Herausforderung für alle Ebenen der öffentlichen Einrichtungen, für die wirtschaftlichen und sozialen Akteure sowie für die Bürger, aber die Bewältigung dieser Herausforderung ist unabdingbar, um die Entvölkerung einiger Regionen und ein Leben in Artmut oder die Auswanderung der Bevölkerung dieser Regionen zu verhindern. Der Tourismus ist eine von mehreren Alternativen, aber aufgrund seines Mehrwerts, seines Beschäftigungspotenzials und seiner Zukunftsperspektiven ist er den anderen vorzuziehen.

    7.2

    Sowohl in der EU-Politik als auch in den Dokumenten der EU-Institutionen wird diese Lösung verfochten: Die Europäische Kommission, das Parlament und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürworten und fördern diese Alternative, aber die finanzielle Unterstützung über die Strukturfonds für Maßnahmen in diese Richtung ist noch unzureichend, und es wird immer schwieriger, diese Fonds zur Verleihung neuer wirtschaftlicher Impulse einzusetzen. Der Ausschuss schlägt der Kommission vor, auf der Grundlage erfolgreicher Projekte ein Pilotprojekt durchzuführen, um in der Praxis zu prüfen, wie die Strukturfonds am besten zur Förderung des Tourismus in Gebieten im sozialen und wirtschaftlichen Niedergang eingesetzt werden können.

    7.3

    Andere Einrichtungen, wie die Welttourismusorganisation und das Internationale Büro für Sozialtourismus, führen Maßnahmen von großem strategischem Wert durch, insofern als sie die für die Überlebensfähigkeit von Tourismusprojekten in Gebieten im Niedergang unabdingbaren Netzwerke für Werbung und wechselseitige Kommunikation ausbauen und fördern.

    7.4

    In den Mitgliedstaaten sollte die Koordinierung von Maßnahmen der verschiedenen — nationalen, regionalen und lokalen — Verwaltungsebenen angestoßen werden. Tourismusbeobachtungsstellen, die die Möglichkeiten des Sektors analysieren sowie die verschiedenen integrierten Strategien und politischen Maßnahmen für die Entwicklung des Tourismus planen, sind ein gutes Diagnose- und Handlungsinstrument.

    7.5

    Der Ausschuss setzt sich im Rahmen verschiedener Stellungnahmen zum Tourismus für die Konzipierung einer europäischen Politik ein, in deren Mittelpunkt die Gestaltung eines Europäischen Tourismusmodells stehen soll. Dieses Modell soll nicht notwendigerweise auf Normen, sondern auf Werten und Prinzipien wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Qualität von Dienstleistungen, Produkten und Arbeitsplätzen, öffentlich-privater Zusammenarbeit, Zugänglichkeit für alle, Aufwertung des lokalen Kulturerbes und der lokalen Kultur sowie auf weiteren Werten beruhen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Tourismus innerhalb und außerhalb Europas kurz-, mittel- und langfristig die Grundsätze der Nachhaltigkeit wahrt. Diese Stellungnahme fließt in diese strategische und politische Dokumentation ein. In ihr wird der positive Beitrag des Tourismus zur sozialen und wirtschaftlichen Erholung von Gebieten im Niedergang als wesentlicher Bestandteil dieses Europäischen Tourismusmodells dargelegt.

    8.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird diese Stellungnahme veröffentlichen und unter dem Titel „Erklärung von Córdoba zum Beitrag des Tourismus zur sozialen und wirtschaftlichen Erholung von Gebieten im Niedergang“ als Beitrag auf dem Europäischen Tourismusforum 2005, das im Oktober diesen Jahres auf Malta stattfindet, einbringen.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/11


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Berichtigung der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge“

    (KOM(2005) 214 endg. — 2005/0100 (COD))

    (2006/C 24/02)

    Der Rat beschloss am 8. Juni 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juli 2005 an. Alleinberichterstatter war Herr PETRINGA.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 161 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Mit der Richtlinie 2004/18/CE vom 31. März 2004 soll die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge geregelt und sichergestellt werden. In ihr werden die vorausgegangenen einschlägigen Richtlinien zusammengefasst, und es werden inhaltliche Änderungen vorgenommen sowie ein Rechtsrahmen geschaffen, darüber hinaus werden Vereinfachungen vorgenommen.

    1.2

    In der Richtlinie sind einige Schwellenwerte vorgesehen, unterhalb derer die Richtlinie keine Anwendung findet, hierdurch soll ihr Anwendungsbereich eingegrenzt werden; des Weiteren ist ein spezielles Verfahren zur regelmäßigen Anpassung dieser Schwellenwerte vorgesehen.

    1.3

    Die in der Richtlinie genannten Schwellenwerte sind in Euro festgesetzt, während diejenigen, an die die Union im Rahmen des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen gebunden ist, in Sonderziehungsrechten (SZR) festgelegt sind. In Artikel 78 der Richtlinie ist vorgesehen, dass die Kommission die Schwellenwerte überprüfen und neu festsetzen kann, sofern dies aufgrund der Entwicklung der Wechselkurse SZR/Euro erforderlich ist. Auch bei einer Neufestsetzung sollte die Höhe der Schwellenwerte jedoch im Wesentlichen beibehalten werden.

    1.4

    Die Kommission hatte vorgesehen, insbesondere die Schwellenwerte von 249.000 EUR unverändert beizubehalten, welche für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, die zu mehr als 50 % von öffentlichen Auftraggebern direkt subventioniert werden (Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b), sowie für öffentliche Lieferaufträge gelten, die von anderen öffentlichen Auftraggebern als den in Anhang IV genannten (d.h. nicht von den zentralen Regierungsbehörden) vergeben werden.

    1.5

    Aufgrund eines sachlichen Fehlers ist in Artikel 78 vorgesehen, dass bei Aufträgen, die zu mehr als 50 % von öffentlichen Auftraggebern gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b subventioniert werden, der Schwellenwert an einen anderen Schwellenwert anzugleichen wäre, was dazu führen würde, dass der erstere Schwellenwert erheblich gesenkt würde.

    2.   Fazit

    2.1

    Durch den Vorschlag für eine Richtlinie soll lediglich der sachliche Fehler berichtigt werden. Mit der Berichtigung von Artikel 78 würde die Kohärenz zwischen dem in Artikel 8 festgelegten Schwellenwert, mit dem der Geltungsbereich der Richtlinie abgegrenzt wird, und dem in Artikel 78 vorgesehenen Mechanismus zur Überprüfung der Schwellenwerte wieder hergestellt.

    2.2

    Der EWSA kann diese Änderung nur begrüßen, durch die in diesem Rechtstext die Kohärenz wieder hergestellt wird.

    2.3

    Das Vorstehende gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die nächste Überprüfung der Schwellenwerte gemäß Artikel 78 Absatz 4 im November 2005 ansteht.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/12


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte von Flugreisenden eingeschränkter Mobilität“

    (KOM(2005) 47 endg. — 07/2005 (COD))

    (2006/C 24/03)

    Der Rat beschloss am 8. April 2005 gemäß Artikel 71 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 1. September 2005 an. Berichterstatter war Herr CABRA DE LUNA.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 160 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Die Kommission verfolgt mit der Vorlage ihres Vorschlags für eine Verordnung über die Rechte von Flugreisenden eingeschränkter Mobilität das Ziel, Menschen mit Behinderungen bzw. eingeschränkter Mobilität den gleichen Zugang zu Luftverkehrsdienstleistungen wie den anderen Bürgern zu ermöglichen.

    1.2

    Die Europäische Kommission vertritt die Auffassung, dass Flugreisen eine Möglichkeit zur Integration von Menschen mit Behinderungen und für ihre aktive Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben sind.

    1.3

    Die Europäische Kommission reiht diese Initiative in ihre Maßnahmen zur Nichtdiskriminierung ein, die in Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union als allgemeiner Grundsatz ausdrücklich verankert ist. Artikel 13 des EG-Vertrags gibt der Europäischen Gemeinschaft außerdem die Möglichkeit an die Hand, gegen Diskriminierung u.a. aus Gründen einer Behinderung vorzugehen.

    1.4

    Mit dieser Verordnung wird das Ziel verfolgt, die mit der Schaffung des Binnenmarktes eröffneten Möglichkeiten im Flugverkehr allen Flugreisenden zuteil werden zu lassen.

    1.5

    Der Kommissionsvorschlag stellt den ersten Rechtsakt im gesamten Regelwerk der Europäischen Union dar, der speziell auf Menschen mit Behinderungen abhebt, er wird sich jedoch auch positiv auf viele ältere Flugreisende und Flugreisende vorrübergehend eingeschränkter Mobilität auswirken.

    1.6

    Dieser Vorschlag zur Verhinderung einer ungerechten Behandlung beruht auf einigen Grundsätzen:

    Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität darf die Beförderung nur dann verweigert werden, wenn dies aus Sicherheitsgründen erforderlich ist.

    Eine angemessene Hilfeleistung sollte bereitgestellt werden, ohne die Kosten den Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität direkt zu berechnen.

    Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität sollten nahtlose Hilfeleistungen hoher Qualität geboten werden, um von ausgewiesenen Ankunftsorten zu ausgewiesenen Abfahrtsorten zu gelangen.

    Ausbau eines zentralisierten Hilfesystems.

    Bei Verstößen gegen die Verordnung sind wirksame Sanktionen festzulegen.

    1.7

    Die in den vergangenen Jahren eingegangenen freiwilligen Vereinbarungen von Luftfahrtunternehmen und Flughafenbetreibern müssen als erster positiver Schritt hin zur Beseitigung ungerechter Behandlung und Gewährleistung von Hilfeleistungen hoher Qualität für Flugreisende mit eingeschränkter Mobilität angesehen werden. Dennoch haben sich diese Vereinbarungen als unzureichend erwiesen. Es ist unbedingt erforderlich, die Verantwortlichkeiten in dieser zentralen Frage klar festzulegen und eindeutige Regeln aufzustellen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission und stimmt den zentralen Grundsätzen dieses Vorschlags uneingeschränkt zu.

    2.2

    Die vorgeschlagene Verordnung trägt eindeutig zur Beseitigung von Einschränkungen für Flugreisende mit eingeschränkter Mobilität im Luftreiseverkehr bei. Auch steht er im Zusammenhang mit der vor kurzem von der EU angenommenen Verordnung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (1), mit der die Rechte von Fluggästen gestärkt werden.

    2.3

    Ferner hat sich der EWSA in seinen jüngeren Stellungnahmen (2) für Rechtsvorschriften ausgesprochen, die über den Beschäftigungsbereich hinausgehen und sich mit Einschränkungen befassen, denen Menschen mit Behinderungen in anderen Lebensbereichen ausgesetzt sind. Mobilität ist ein wesentlicher Faktor für die gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen.

    2.4

    Der EWSA bedauert, dass die Rechtsvorschriften keine Bestimmungen über den Zugang von Menschen mit Behinderungen zur Flughafeninfrastruktur, zu den Fahrzeugen für die Beförderung der Fluggäste sowie zu den Flugzeugen beinhalten. Der EWSA weist darauf hin, dass die Gleichbehandlung im Luftverkehr nur durch derartige Maßnahmen sichergestellt werden kann. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, weitere Rechtsvorschriften vorzulegen, um dafür Sorge zu tragen, dass alle neuen Infrastruktureinrichtungen und Beförderungsmittel zugänglich sind und die bestehenden Hindernisse allmählich beseitigt werden.

    2.5

    Der Ausschuss begrüßt den allgemeinen Rahmen der Verordnung, insbesondere die Bestimmung für eine einzige zentrale Einrichtung für Hilfeleistungen auf Flughäfen, da ein solches System der zuverlässigste Ansatz ist, um Verantwortlichkeit, hohe Qualität und eine durchgängige Betreuung von Fluggästen mit eingeschränkter Mobilität zu gewährleisten.

    2.6

    Dennoch sollten nach Ansicht des Ausschusses einige Bestimmungen noch weiter ausformuliert werden, um dem Hauptziel bestmöglich Genüge zu tun.

    2.7

    Daneben betont der Ausschuss die Bedeutung einer umfassenden Konsultation repräsentativer Organisationen in der Zivilgesellschaft, um sicherzustellen, dass die Rechte aller Bürger — auch der Bürger mit eingeschränkter Mobilität — im Luftverkehr gewahrt werden. Um die bestmögliche Umsetzung der Verordnung zu gewährleisten, sollte auch ein Dialog zwischen Flughäfen, Diensteanbietern, Fluggesellschaften und Interessenvertretungen der Behinderten (einschließlich Personen mit eingeschränkter Mobilität) innerhalb des Flughafennutzerausschusses eingerichtet werden, in dessen Rahmen auch über die Sicherheitsstandards beraten werden sollte.

    Der Ausschuss begrüßt, dass die Hilfe Menschen mit Behinderungen unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, spricht sich jedoch gegen den in Erwägungsgrund 7 des Verordnungsvorschlags angeführten Vorschlag aus, die Hilfeleistung so zu finanzieren, dass die Last gleichmäßig auf alle Fluggäste, die einen Flughafen benutzen, verteilt wird. Der Ausschuss wiederholt, dass die Kosten für die Hilfeleistung auf alle Luftfahrtunternehmen, die den Flughafen benutzen, im Verhältnis zu der Zahl der Fluggäste aufgeteilt werden sollten. Sie sollten in keinem Fall zu höheren Flugpreisen für die Fluggäste führen.

    2.8

    Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass die Abweichung vom wesentlichen Grundsatz in Artikel 3 — die Verhinderung der Beförderungsverweigerung — die in Artikel 4 vorgesehen ist, der aufgrund von Sicherheitsanforderungen die Weigerung, eine Person mit beschränkter Mobilität an Bord zu nehmen, zulässt, verdeutlicht werden sollte, um willkürliche Weigerungen zu vermeiden. Auf EU-Ebene sollte ein Rahmen aufgestellt werden, der Sicherheitsanforderungen entweder durch einen Anhang zu dieser Verordnung oder durch eine Durchführungsverordnung spezifiziert und definiert. Derzeit werden diese Regeln von Luftfahrtunternehmen oder durch Rechtsvorschriften definiert und daher sind sie sehr unterschiedlich gestaltet und gelegentlich widersprüchlich. Der Vorschlag der Europäischen Kommission, Sicherheitsanforderungen über nationale Rechtsvorschriften zu regeln, würde dieses Problem nicht lösen. Informationen zu Sicherheitsanforderungen sollten außerdem allen Fluggästen öffentlich und nicht nur auf Nachfrage zugänglich gemacht werden.

    2.9

    Der Ausschuss macht ferner darauf aufmerksam, dass die vorgeschlagene Verordnung keine ausdrückliche Bestimmung enthält, die eine Fluggesellschaft dazu verpflichtet, eine Person im Falle der Nichtbeförderung gemäß der Verordnung auf eine ähnliche Art wie im Sinne der Verordnung über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen zu entschädigen bzw. umzuleiten und zu betreuen.

    2.10

    Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Bestimmungen zu der in Artikel 5 genannten Verpflichtung zur Hilfeleistung erweitert werden müssen. Die Verantwortung des Leitungsorgans des Flughafens sollte auch auf die Fluggäste ausgedehnt werden, die auf einen anderen Flug umgebucht werden bzw. einen Flughafen im Transit benutzen, solange dies 24 Stunden vorher gemeldet wird. Der derzeitige Wortlaut des Vorschlags — „bemüht sich nach besten Kräften“ — ist nicht zufriedenstellend. Außergewöhnliche Umstände, die außerhalb des Einflussbereichs des Leitungsorgans liegen, können jedoch berücksichtigt werden.

    2.11

    Der Ausschuss ist der Ansicht, dass alle europäischen Flughäfen durchgängige und Dienste hoher Qualität für Flugreisende mit eingeschränkter Mobilität vorhalten sollten, die über die in Anhang I der Verordnung enthaltenen Qualitätsstandards hinausgehen. Der im derzeitigen Vorschlag enthaltene Schwellenwert von zwei Millionen Fluggästen würde eine erhebliche Zahl europäischer Flughäfen von dieser generellen Verpflichtung ausnehmen. Der Ausschuss ist außerdem der Auffassung, dass auch für kleinere Flughäfen mit weniger als einer Million Fluggästen pro Jahr an ihre Größe angepasste Qualitätsstandards in enger Zusammenarbeit mit Interessenvertretungen der Behinderten (einschließlich Personen mit beschränkter Mobilität) auf lokaler Ebene aufgestellt werden sollten.

    2.12

    Der Ausschuss weist darauf hin, dass die zuständigen Mitarbeiter in Schulungen für Behinderungen sensibilisiert werden müssen, damit eine angemessene und auf die jeweilige Behinderung abgestimmte Hilfe geleistet werden kann. Auch die Anwendung neuer Technologien (z.B. Short Message Service (SMS) oder Pager für Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen) könnte die Beförderung von Fluggästen mit eingeschränkter Mobilität erleichtern.

    2.13

    Ein einfaches und kostenloses Verfahren zur Anmeldung von Hilfeleistungen sollte erwogen werden. Eine solche Benachrichtigung der Fluggesellschaften erfolgt im Allgemeinen bei der Buchung von Flügen. Daher ist eine zuverlässige Informationsweitergabe von den Fluggesellschaften an den Flughafen von grundlegender Bedeutung, um bestmögliche Hilfeleistungen sicherzustellen. Der Fluggast sollte einen Bestätigungscode erhalten, wenn Betreuungsbedarf angemeldet wurde. Außerdem sollte im Streitfall die Beweislast für die Nichtbenachrichtigung bei dem für die Buchung zuständigen Luftfahrtunternehmen und/oder Reiseveranstalter liegen.

    2.14

    Außerdem sollten Zugänglichkeitsanforderungen bei den Meldeverfahren berücksichtigt werden. Alternative Kommunikationsmittel: Telefon und Internet sollten verfügbar sein. Internetwebsites sollten den WAI-Standards (3) entsprechen, die telefonische Benachrichtigung sollte kostenlos sein.

    2.15

    Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass ein Verweis auf die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr in die Verordnung aufgenommen werden sollte, um sicherzustellen, dass die Privatsphäre geschützt wird, dass sich die angeforderten Informationen nur auf die Durchführung der in der Verordnung enthaltenen Verpflichtungen zur Hilfeleistung beziehen und sie nicht gegen den hilfsbedürftigen Fluggast verwandt werden.

    2.16

    Der Ausschuss befürchtet, dass durch die Benennung unterschiedlicher, für die Behandlung von Beschwerden zuständiger Stellen durch die Mitgliedstaaten wirksame Verstoßverfahren und der Zugang durch Fluggäste behindert werden könnten. Der EWSA betont, dass eine leicht zugängliche Stelle für die Behandlung von Beschwerden, die Kontrolle über die Umsetzung der Verordnung und ihre Durchsetzung erforderlich ist. Der EWSA ist der Ansicht, dass hierfür eine einzige Stelle in allen Mitgliedstaaten zuständig sein könnte, um so zu einem weniger komplizierten System als im vorliegenden Verordnungsvorschlag zu gelangen. Aufgrund der zunehmenden Globalisierung des Luftverkehrs und der steigenden Zahl der Fluggäste, die zwischen zwei anderen Ländern als ihrem Heimatland reisen, hält der EWSA die Einrichtung einer Stelle auf EU-Ebene für zweckmäßig.

    2.17

    Der EWSA fordert, dass Personen mit eingeschränkter Mobilität bei beschädigten oder verloren gegangenen Mobilitätshilfen vollen Schadenersatzanspruch haben sollten. Die umfassenden Auswirkungen auf die Mobilität, Selbstständigkeit und Sicherheit des Fluggasts müssen gebührend berücksichtigt werden. Der EWSA ist ferner der Auffassung, dass das Luftfahrtunternehmen für die Bodenabfertigung von Mobilitätshilfen zuständig sein sollte, um die Übereinstimmung mit dem durch das Montrealer Übereinkommen geschaffenen internationalen Rahmen für die Haftung von Luftfahrtunternehmen sicherzustellen.

    2.18

    Der Ausschuss weist ferner darauf hin, dass die Verantwortlichkeiten und die Haftung bei Unfällen oder der falschen Behandlung von hilfsbedürftigen Flugreisenden — sei es im Flughafen oder beim Besteigen des Flugzeugs — in der Verordnung im Einklang mit dem durch das Haager Protokoll und das Montrealer Übereinkommen geänderten Warschauer Abkommen eindeutig geregelt werden müssen. (4)

    2.19

    Der EWSA möchte auch einige Probleme in Bezug auf Hilfeleistungen an Bord von Flugzeugen ansprechen. Der EWSA schlägt vor, die vorgeschlagene Begrenzung der Beförderung von Begleithunden in der Kabine auf fünf Stunden zu streichen, da es diese Begrenzung in der Praxis nicht gibt. In die Verordnung sollte auch die Anforderung aufgenommen werden, dass Luftfahrtunternehmen über Einschränkungen bei der Beförderung von Mobilitätshilfen an Bord informieren müssen. Die Bestimmungen zum Zugang zu Informationen über Flüge sollten um Sicherheitsmaßnahmen erweitert werden.

    2.20

    Der EWSA ist ferner besorgt, dass die Verordnung nicht alle Probleme im Zusammenhang mit dem Luftverkehr behandelt. Vor allem ist wichtig, dass alle neuen Flughäfen für Personen eingeschränkter Mobilität zugänglich sind und dass die vorhandenen Flughäfen die Hindernisse, die einem gleichberechtigten Zugang im Wege stehen, allmählich abbauen.

    2.21

    Außerdem empfiehlt der EWSA Luftfahrtunternehmen, beim Kauf oder Chartern neuer Flugzeuge diejenigen Flugzeuge zu wählen, die den Zugänglichkeitsstandards entsprechen.

    3.   Schlussfolgerung

    3.1

    Der EWSA unterstützt den Vorschlag nachdrücklich, empfiehlt jedoch einige unter Ziffer 2 beschriebene Änderungen, um die Gleichbehandlung von Flugreisenden mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität konsequenter und wirksamer sicherzustellen.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. L 46 vom 17.2.2004, S. 1) – Stellungnahme des EWSA ABl. C 241 vom 7.10.2002, S. 29.

    (2)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen“ABl. C 241 vom 7.10.2002, S. 89 und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen: Ein europäischer Aktionsplan“ – ABl. C 110 vom 30.4.2004, S. 26.

    (3)  Die Web Accessibility Initiative (WAI) beinhaltet auf internationaler Ebene vereinbarte Leitlinien für den Zugang zu Websites, Browsern und Bearbeitungstools, um Menschen mit Behinderungen (z.B. Körper-, Seh- und Hörbehinderungen sowie kognitive oder neurologische Behinderungen) die Nutzung des Internets zu erleichtern. Nähere Informationen unter: http://www.w3.org/WAI sowie in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Zugang zu öffentlichen Webseiten und deren Inhalten“ vom 25. September 2001.

    (4)  Siehe Artikel 7, in dem die Verantwortlichkeiten von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- und Aussteigen eines Flugreisenden festgelegt werden.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/15


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Unterrichtung von Fluggästen über die Identität des ausführenden Luftfahrtunternehmens sowie den Austausch sicherheitsrelevanter Informationen zwischen den Mitgliedstaaten“

    (KOM(2005) 48 endg. — 08/2005 (COD))

    (2006/C 24/04)

    Der Rat beschloss am 30. März 2005 gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 1. September 2005 an. Berichterstatter war Herr MCDONOGH.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September 2005) mit 161 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Hintergrund

    1.1

    Die Sicherheitsaufsicht ist weltweit durch das Chicagoer Übereinkommen von 1944 über die Internationale Zivilluftfahrt geregelt und stützt sich auf Normen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, die mit diesem Übereinkommen eingerichtet wurde. Im Wesentlichen werden die Luftfahrtunternehmen in ihren Heimatländern überwacht, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften.

    1.2

    Außerhalb der EU hängt das Sicherheitsniveau von der Wirksamkeit der in Drittländern geltenden Überwachungsverfahren ab. Um einen hohen Sicherheitsstandard aller Luftfahrzeuge zu garantieren, die auf Strecken in die Gemeinschaft, aus oder innerhalb der Gemeinschaft verkehren, haben das Europäische Parlament und der Rat vor kurzem die Richtlinie 2004/36/EG (1) über die Sicherheit von Luftfahrzeugen aus Drittstaaten, die Flughäfen in der Gemeinschaft anfliegen, erlassen, die eine harmonisierte Regelung für die Inspektion ausländischer Flugzeuge bei der Benutzung europäischer Flughäfen einführt. Darüber hinaus sieht die Richtlinie einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Möglichkeit vor, die Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat gegenüber einem Luftfahrzeug oder Betreiber aus einem Drittstaat ergreift, wenn die internationalen Sicherheitsnormen nicht eingehalten werden, auf die gesamte Gemeinschaft auszudehnen.

    1.3

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der SAFA-Richtlinie verpflichtet sind, ein Verfahren zur Sammlung von Informationen einzurichten, das es ihnen ermöglicht, mit Sicherheitsrisiken behaftete Luftfahrtunternehmen zu erkennen.

    1.4

    Das Unglück im ägyptischen Sharm-El-Sheikh und die Flugzeugunglücke, die sich in diesem Jahr bereits ereigneten, haben deutlich gemacht, dass verschärfte Vorschriften erforderlich sind.

    1.5

    Vorfeldinspektionen sollen verbindlich vorgeschrieben und die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, einen umfassenderen Informationsaustausch zu betreiben und gemeinsame, auf Grundlage der Inspektionsergebnisse beschlossene Maßnahmen durchzuführen. Die Kommission sollte daher eine Liste von Fluggesellschaften vorlegen, die Sicherheitsprobleme aufweisen.

    1.6

    Mit Hilfe eines Simulators soll das Flugpersonal, das den europäischen Luftraum anfliegt, stichprobenartig auf seine Fähigkeit hin überprüft werden, in überfüllten Lufträumen zu fliegen.

    1.7

    Fluggäste müssen bereits bei der Buchung auf der Website einer Fluggesellschaft oder eines Reisebüros die Möglichkeit haben, den Namen des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu erfahren, und sie sollten vor Antritt der Reise informiert werden, wenn eine Änderung eintritt, der Flug beispielsweise durch ein drittes Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird. Sie sollten bei Unzufriedenheit volle Entschädigung erhalten.

    1.8

    Den Fluggästen sollte auf Wunsch Typ, Modell und Alter des Flugzeugs sowie das Land, in dem es registriert ist, mitgeteilt werden.

    1.9

    Es sollte darauf bestanden werden, dass dem Flugpersonal zwischen den Flügen angemessene Ruhezeiten zur Verfügung stehen.

    1.10

    Angemessene Beherrschung des Englischen sowie in Abhängigkeit der angeflogenen Ziele auch anderer europäischer Sprachen sollten bei den Kabinenbesatzungsmitgliedern obligatorisch sein, damit sie mit den Passagieren kommunizieren und Krisensituationen bewältigen können.

    1.11

    Flugzeuge, denen ein Mitgliedstaat aus Sicherheitsgründen ein Anflugverbot erteilt hat, sollten in sämtlichen Mitgliedstaaten Anflugverbot haben.

    2.   Schlussfolgerungen

    Der Ausschuss stimmt dem Kommissionsdokument weitestgehend zu, aber es geht nach seiner Ansicht noch nicht weit genug. Künftig wird die Flugsicherheit wegen der steigenden Anzahl an Flugbewegungen und zunehmend überfüllter Lufträume ein größeres Problem darstellen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Aus diesem Grunde kann die Überarbeitung der Verordnung in einem kürzeren Zeitraum als fünf Jahren erfolgen. Außerdem müssen die Sicherheitsvorkehrungen der europäischen Fluggesellschaften verschärft werden, z.B. bezüglich der Menge an Handgepäck, das mit an Bord genommen werden darf. Auch die Englischkenntnisse der Fluglotsen sind von Bedeutung, ferner die genaue Festlegung der Ruhezeiten für das Flugpersonal etc.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  ABl. L 143 vom 30.4.2004, S. 76 - EWSA-Stellungnahme: ABl. C 241 vom 7.10.2002, S. 33.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/16


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates mit Gemeinschaftsmaßnahmen zur Bekämpfung der Geflügelpest“ und dem „Entwurf eines Vorschlags für eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung 90/424/EWG des Rates über bestimmte Ausgaben im Veterinärbereich“

    (KOM(2005) 171 endg. — 2005/0062 + 0063 (CNS))

    (2006/C 24/05)

    Der Rat beschloss am 14. Juni 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 7. September 2005 an. Berichterstatter war Herr DONNELLY.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 160 gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Geflügelpest (aviäre Influenza/AI) ist eine hoch ansteckende Geflügelkrankheit, die sich auch auf andere Tiere und sogar auf Menschen übertragen kann. In den letzten Monaten hat China ein umfangreiches Impfprogramm durchgeführt, nachdem in der westlichen Provinz Quinghai mit dem Geflügelpestvirus infizierte Zugvögel (Wildgänse) tot aufgefunden wurden.

    1.2

    In jüngster Zeit kam es an mehreren Orten auf der Welt — so auch in einigen EU-Mitgliedstaaten — zu Ausbrüchen der hoch pathogenen Form der Geflügelpest, in deren Folge 200 Millionen Nutzvögel starben oder zwecks Seuchenbekämpfung getötet und vernichtet wurden. Diese Massenschlachtung und -vernichtung von Tieren hat insbesondere bei den EU-Bürgern erhebliche ethische, tierschutzbezogene, wirtschaftliche, soziale und ökologische Bedenken hervorgerufen.

    1.3

    Die Fähigkeit des Influenzavirus zur schnellen Mutation und Anpassung stellt eine besondere Bedrohung für die Gesundheit von Tieren und Menschen dar. Von den gering pathogenen Geflügelpestviren (LPAI-Viren) gehen zwar nach dem derzeitigen Kenntnisstand geringere Gesundheitsrisiken aus als von den hoch pathogenen (HPAI-Viren), doch entstehen letztere — vor allem die Subtypen H5 und H7 — durch Mutation aus bestimmten LPAI-Viren und können dann Geflügelseuchen mit einer sehr hohen Mortalitätsrate auslösen. Die verfügbaren Daten zeigen, dass für die überwiegende Mehrzahl der Infektionen und alle Todesfälle beim Menschen die HPAI-Stämme H5 und H7 verantwortlich waren. Obwohl die Übertragung des LPAI-Virus des Typs H9 von Schweinen und Geflügel auf Menschen nachgewiesen ist, bleibt unklar, wie groß die Gefahren für die menschliche Gesundheit tatsächlich sind.

    1.4

    Ausbrüche von Geflügelpest, die nicht unter Kontrolle gebracht werden, könnten zum Entstehen eines dem Menschen vollkommen angepassten Virus führen — und damit letztlich zu einer Grippepandemie, die verheerende gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Folgen für die Welt hätte.

    2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

    2.1

    Der erste Vorschlag bezweckt die Aufhebung der Geflügelpest-Richtlinie 92/40/EWG und ihre Ersetzung durch eine neue Richtlinie, die die geltenden Bestimmungen aktualisiert.

    2.2

    In dem Vorschlag wird die Definition der Geflügelpest dahingehend geändert, dass sie sowohl LPAI-Viren als auch HPAI-Viren umfasst. Die Bekämpfungsmaßnahmen variieren jedoch in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Risiken, die mit den LPAI- bzw. HPAI-Viren verbunden sind.

    2.3

    Der Vorschlag sieht die Einführung obligatorischer Überwachungs- und Bekämpfungsmaßnahmen für LPAI vor. Die Mitgliedstaaten sollen dazu aufgefordert werden, der Kommission Überwachungspläne für die LPAI-Früherkennung zur Genehmigung vorzulegen, damit die rasche Einleitung von Seuchenbekämpfungsmaßnahmen ermöglicht und die Mutation von LPAI- zu HPAI-Viren verhindert wird.

    2.4

    Ein positiver LPAI-Befund soll Bekämpfungsmaßnahmen nach sich ziehen, die auch die Möglichkeit der kontrollierten Schlachtung im Falle von Risiken, die als nicht signifikant eingestuft werden, vorsehen. Selbst die Bestandskeulung kann als Bekämpfungsmaßnahme in Betracht kommen, wenn sie als zweckmäßig erachtet wird.

    2.5

    Es sind neue und flexible Vorschriften für die Impfung von Geflügel und anderen Vögeln geplant. Dies beinhaltet die Möglichkeit der Durchführung von „Not-“ und „Schutzimpfungen“.

    2.6

    Es wird vorgeschlagen, in die Vorschriften für die LPAI- und HPAI-Bekämpfung auch andere Hausvögel als Geflügel aufzunehmen, z.B. Zoovögel. Allerdings soll es den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, ob sie sich auf der Grundlage von Risikoanalysen für Impfungen oder Keulungen entscheiden.

    2.7

    Die vorgeschlagenen Vorschriften über die Zusammenarbeit zwischen den Veterinär- und Gesundheitsbehörden im Falle der Feststellung der Geflügelpest zielen auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung ab.

    2.8

    Es soll eine Vorschrift zur Einführung eines schnellen Entscheidungsprozesses im Rahmen des Komitologieverfahrens erlassen werden.

    2.9

    Dem zweiten Vorschlag zufolge sollen die Bestimmungen über die Finanzhilfen der Gemeinschaft auf Tilgungsmaßnahmen, die die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit LPAI durchführen, ausgeweitet werden.

    2.10

    Zudem wird vorgeschlagen, dass die Kommission die Möglichkeit prüfen kann, eine Geflügelpest-Impfstoffbank einzurichten.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt diesen Vorschlag als wichtige Reaktion auf die zunehmenden Ausbrüche von Geflügelpest, die Infektion von Wildvögeln mit dem Influenzavirus, die bisherigen Erfahrungen mit dem Seuchenmanagement und die neuen Erkenntnisse bezüglich der Mutationsfähigkeit des Influenzavirus (einschließlich der LPAI-Viren).

    3.2

    Der Ausschuss ist sich auch der Gefahren vollkommen bewusst, die für die Gesundheit von Mensch und Tier entstehen können, wenn keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit ergriffen werden.

    3.3

    Der Ausschuss betrachtet die neue Definition der Geflügelpest und die Aufforderung zur Überwachung und Eindämmung von LPAI als wichtigen Schritt im Kampf gegen das Virus und seine möglichen negativen Folgen.

    3.4

    Der Ausschuss ist der Meinung, dass die negativen Reaktionen der Öffentlichkeit auf eine Politik, die die Massenschlachtung von Vögeln als einzige Maßnahme zur Eindämmung der Geflügelpest vorsieht, in Kauf genommen werden müssen.

    3.5

    Der Ausschuss stellt eine Zunahme des Wissens bezüglich Impfungen fest und begrüßt die Einführung einer Politik von Not- und Schutzimpfungen als zusätzliches Instrument zur Geflügelpestbekämpfung.

    3.6

    Der Ausschuss begrüßt die Pflicht zur Meldung von Geflügelpestfällen an die Gesundheitsbehörden.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1

    Der EWSA nimmt die potenziellen Risiken im Bereich der Tiergesundheit zur Kenntnis, die sich insbesondere aus den neuen Grenzen der EU nach der Erweiterung ergeben. Er empfiehlt deshalb, dass die Kommission genügend Mittel für die Kontrolle und Überprüfung der Durchführung und Umsetzung der einschlägigen Richtlinien zur Verfügung stellt.

    4.2

    Im Bewusstsein des internationalen Ausmaßes der Geflügelpest fordert der Ausschuss die Kommission auf, sich um die weltweite Äquivalenz der Geflügelpestbekämpfung zu bemühen.

    4.3

    Der Ausschuss begrüßt zwar das neu geschnürte Finanzpaket und den Beitrag der EU beim Einsatz der Keulung als Mittel zur LPAI-Bekämpfung, schlägt aber die Anhebung des Satzes für Entschädigungszahlungen von 30 auf 50 % vor.

    5.   Schlussfolgerungen

    5.1

    Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag der Kommission im Interesse des Schutzes der Gesundheit von Tieren und Menschen vor den Risiken, die von dem sich rasch verändernden und anpassenden Influenzavirus ausgehen.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/18


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92 über die gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak“

    (KOM(2005) 235 endg. — 2005/0105 (CNS))

    (2006/C 24/06)

    Der Rat beschloss am 14. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 7 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 7. September 2005 an. Alleinberichterstatter war Herr FAKAS.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 151 gegen 3 Stimmen bei 14 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    In Titel I und II der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92 des Rates über die gemeinsame Marktorganisation (GMO) für Rohtabak ist eine Prämien- bzw. eine Quotenregelung vorgesehen. Diese Stützungsregelung gilt zum letzten Mal für die Ernte 2005.

    Im Rahmen des im April 2004 vereinbarten zweiten Pakets der GAP-Reform in Bezug auf die Mittelmeererzeugnisse werden die Prämien- und die Quotenregelung ab der Ernte 2006 abgeschafft.

    Außerdem ist es für die Ernte 2005 nicht erforderlich, die Bestimmungen über das Programm zum Rückkauf von Quoten beizubehalten. Daher sind mehrere Artikel und der Anhang der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92 überholt und sollten im Interesse der Klarheit und Transparenz gestrichen werden.

    Dementsprechend legte die Kommission dem Rat im Gefolge der Reform im Tabaksektor von 2004 (1) am 3. Juni 2005 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92 vor.

    2.   Bemerkungen

    2.1

    Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der Vorschlag der Kommission von der im April beschlossenen Reform im Tabaksektor herrührt, die die Aufgabe des Prämien- und des Quotensystems sowie die Einführung eines neuen Systems der entkoppelten Beihilfen vorsieht.

    2.2

    Der EWSA hält es im Interesse der Vereinfachung im Gefolge der Reform von 2004 und aufgrund der in der Kommission stattfindenden Gespräche über die Verwaltung der „Direktzahlungen“ für angemessener und zweckmäßiger, wenn die Kommission anstatt der vorgeschlagenen Änderung und Streichung mehrerer Artikel einen Vorschlag für einen konsolidierten Text der Verordnung (EWG) Nr. 2075/92 unterbreiten würde.

    2.3

    Nach dem Dafürhalten des EWSA geht der Vorschlag, der formellen Charakter hat und in dem Bemühen um rechtliche Klarheit und Transparenz vorgelegt wird, in die richtige Richtung und kann akzeptiert werden.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Verordnung (ΕG) Nr. 864/2004 (ABl. L 161 vom 30.4.2004, S. 48).


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/19


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 3317/94 hinsichtlich der Weiterleitung von Anträgen auf Fanglizenzen an die Drittländer“

    (KOM(2005) 238 endg. — 2005/0110 (CNS))

    (2006/C 24/07)

    Der Rat beschloss am 16. Juni 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 7. September 2005 an. Berichterstatter war Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 162 gegen 2 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.

    Die Fischereiabkommen der Gemeinschaft mit Drittländern werden über die Aushandlung eines neuen Protokolls rechtzeitig erneuert, damit es zu keiner Unterbrechung der Aktivität der Fischereiflotten kommt.

    2.

    Zum Abschluss der Verhandlungen paraphieren die EG und das Drittland den Text und den Anhang des neuen Protokolls sowie einen Briefwechsel, in dem die vorläufige Anwendung des neuen Protokolls ab einem bestimmten Datum festgelegt wird, in der Regel ab dem Tag nach Auslaufen des vorherigen Protokolls.

    3.

    Zur Gültigkeitserklärung der Paraphierung all dieser Dokumente leiten die Kommissionsdienste ein Verfahren ein und übermitteln dem Rat einen förmlichen Vorschlag zur Annahme.

    4.

    Dieses Verfahren umfasst zwei Elemente:

    eine Verordnung des Rates (Verordnung), der die Stellungnahme des Europäischen Parlaments beigefügt ist;

    einen Beschluss des Rates (Beschluss), in dem Folgendes festgelegt wird:

    die Aufteilung der Fangmöglichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten,

    die Genehmigung des Briefwechsels über die vorläufige Anwendung des neuen Protokolls.

    5.

    Es kann mehrere Monate dauern, bevor der Rat den förmlichen Vorschlag der Kommission annimmt, und es kann vorkommen, dass der Rat dies mehrere Monate nach dem im Briefwechsel vorgesehenen Datum für die vorläufige Anwendung tut, da das Datum für den Abschluss der Verhandlungen vom Drittland abhängt.

    6.

    Ist dies der Fall, so entsteht ab dem Datum der vorläufigen Anwendung ein Zeitraum, in dem die im neuen Protokoll vorgesehenen Fangmöglichkeiten nicht genutzt werden können.

    7.

    Die Verfahren und Durchführungsvorschriften, die die Kommission und der Mitgliedstaat, dessen Flagge das Fischereifahrzeug der Gemeinschaft führt, bei der Verwaltung der Fischereitätigkeit der Fischereifahrzeuge der Gemeinschaft im Rahmen der Fischereiabkommen und bei der Bearbeitung der mit einem Drittstaat zu vereinbarenden Fanglizenzen zu befolgen haben, sind in der Verordnung (EG) Nr. 3317/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 (1) festgelegt.

    8.

    In dem vorliegenden Verordnungsvorschlag ist vorgesehen, in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 3317/94 einen Unterabsatz einzufügen, in dem die Bearbeitung der Fanglizenzen erläutert wird: Die Kommission hätte die Möglichkeit, die Anträge der Mitgliedstaaten auf Fangmöglichkeiten unverzüglich zu bearbeiten und sie ihrerseits dem entsprechenden Drittland zu übermitteln, ohne die Annahme des Rechtsakts zur vorläufigen Anwendung des neuen Protokolls durch den Rat abzuwarten.

    9.

    Der Ausschuss erklärt sich angesichts der Tatsache, dass es sehr wichtig ist, jegliche Aussetzung der Fischereitätigkeit zu vermeiden, dass der Vorschlag die Beibehaltung des Verteilungsschlüssels für die im vorigen Protokoll festgelegten Fanglizenzen und damit die Berücksichtigung des Grundsatzes der relativen Stabilität ermöglicht, und dass diese Bearbeitung unbeschadet der vom Rat später möglicherweise angenommenen Bestimmungen geschieht, mit dem von der Kommission vorgelegten Verordnungsvorschlag einverstanden.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  ABl. L 350 vom 31.12.1994.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/20


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen“

    (KOM(2005) 82 endg.)

    (2006/C 24/08)

    Die Europäische Kommission beschloss am 14. März 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Grünbuch über das anzuwendende Recht und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2005 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 161 gegen 4 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Erläuterung des Kommissionsvorschlags (mit Anmerkungen)

    1.1

    Die Kommission hat ein Grünbuch vorgelegt, mit dem eine Anhörung zu Zuständigkeit, Kollisionsrecht und gegenseitiger Anerkennung bei „internationalen“ Scheidungen eingeleitet wird; der Anwendungsbereich soll indes auf die Mitgliedstaaten der Union begrenzt sein (es sei darauf hingewiesen, dass in dem Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht ein Ansatz vorgeschlagen wird, bei dem auch Personen und Vermögen in Drittstaaten einbezogen werden).

    1.2

    Die Materie wird — mittelbar oder unmittelbar — in mehreren internationalen Rechtsquellen behandelt:

    Pakte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1966 und die europäischen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte, die — unter Androhung der Ungültigkeit einer Ehe — das Recht auf eine freie Eheschließung und das Erfordernis eines freien und vollen Einverständnisses proklamieren;

    das Haager Übereinkommen aus dem Jahr 1970 zur gerichtlichen Zuständigkeit, den Zuständigkeitskriterien und der gegenseitigen Anerkennung von Ehescheidungen und Ehetrennungen, das die folgenden Mitgliedstaaten unterzeichnet haben: Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Luxemburg und Zypern;

    die Verordnung „Brüssel II“ Nr. 2201(2003) über die Zuständigkeit und Anerkennung von Entscheidungen in Ehesachen und betreffend die elterliche Verantwortung in der Europäischen Union, die in Dänemark nicht anwendbar ist und die — mit Ausnahme von Dänemark — an die Stelle des vorgenannten Haager Übereinkommens tritt;

    die Übereinkommen zwischen dem Vatikan und Portugal, Spanien, Malta und Italien über die Ehe nach kanonischem Recht, deren Annullierung und die Anerkennung der Entscheidungen der vatikanischen Gerichtshöfe (Zuständigkeit des Gerichts der Römischen Rota für die Annullierung einer nach kanonischem Recht geschlossenen — im Prinzip unauflöslichen — Ehe aus Gründen, die das kanonische Recht zulässt) (1);

    bilaterale Abkommen — insbesondere das zwischen Finnland und Schweden geschlossene -, die in den Unterzeichnerstaaten anwendbar bleiben. Einige Mitgliedstaaten haben insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung von Eheschließungen und -scheidungen im Ausland auch Abkommen im Bereich des Familienrechts mit Drittstaaten geschlossen;

    Die „Opt-In“- und „Opt-Out“-Protokolle zu den Verträgen, nach denen Dänemark ausgenommen wird und das Vereinigte Königreich und Irland entscheiden können, ob sie an Rechtsvorschriften mit Auswirkungen auf das Zivilrecht gebunden sein wollen oder nicht.

    1.3

    Es wäre müßig, die Komplexität einer Frage zu leugnen, die an spezifische religiöse und kulturelle Besonderheiten anknüpft. Letztere sind im kollektiven Bewusstsein fest verankert, haben zugleich aber — wie das gesamte Familienrecht — seit mehreren Jahrzehnten tief greifende Veränderungen erfahren. Dennoch darf der europäische Gesetzgeber — im europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie angesichts des freien Personenverkehrs — nicht die Augen davor verschließen, dass ein wesentlicher Anteil aller Ehen durch eine Scheidung endet und eine zunehmende Zahl dieser Scheidungen internationale Züge aufweist.

    1.4

    Die heutige Entwicklung des nationalen Familienrechts basiert im Wesentlichen auf folgenden Begriffen: Demokratie (Gesetzgebungsbefugnis der Parlamente), Freiheit des Einzelnen sowie Gleichheit aller; diese Konzepte sind sowohl auf Gemeinschafts- wie auch auf einzelstaatlicher Ebene Teil der öffentlichen Ordnung. Somit lässt sich im Familienrecht eine Tendenz feststellen, mehr und mehr vertraglich zu regeln (Eheschließungen oder zivilrechtliche Verträge unter Gleichgeschlechtlichen, einvernehmliche Scheidungen, Erbverträge usw.).

    1.5

    Diese Entwicklung scheint unumkehrbar — auch wenn sie sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vollzieht. Die kulturelle Prägung mehr oder weniger fest verankerter religiöser Konzeptionen scheint einen Einfluss auf die Geschwindigkeit und inhaltliche Gestaltung der Veränderungen zu haben; letztere können mit Konzeptionen und Regeln in Konflikt geraten, die Ausdruck langer Traditionen sind.

    1.6

    Was die Rechtsvorschriften zur Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Voraussetzungen und Folgen der Auflösung einer Ehe betrifft, weist das nationale Recht der Mitgliedstaaten ein breites Spektrum auf, ein Mitgliedstaat (Malta) erkennt eine Ehescheidung überhaupt nicht an. In dem Grünbuch wird daher empfohlen, nicht den Weg der Harmonisierung des materiellen Rechts einzuschlagen, was zu begrüßen ist.

    1.7

    Es wird vorgeschlagen, bei Scheidungen, die eine internationale (europäische) Komponente aufweisen, in zwei Richtungen gesetzgeberisch tätig zu werden:

    bei der zuständigen Gerichtsbarkeit (Festlegung des örtlich zuständigen Gerichts und Anerkennung seiner Entscheidungen in allen Mitgliedstaaten) und

    bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das zuständige Gericht.

    1.8

    Da die Vorschriften der Verordnung „Brüssel II“ über die Bestimmung der zuständigen nationalen Gerichtsbarkeit und die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsentscheidungen ohne Exequatur-Verfahren in Scheidungssachen bereits anwendbar sind, stellt sich die Frage, ob sie in ihrer derzeitigen Fassung ausreichen; ferner ob ein Land der Vollstreckung eines Urteils, das ein zuständiges Gericht eines anderen Mitgliedstaats unter Anwendung eines unterschiedlichen (und nicht notwendigerweise seines eigenen innerstaatlichen Rechts) gefällt hat, ggf. einen Vorbehalt der innerstaatlichen öffentlichen Ordnung („ordre public“) entgegenhalten kann.

    1.9

    Ein größeres Problem stellt sich, da die innerstaatlichen Bestimmungen über die Zulässigkeit eines Scheidungsantrags, der einen internationalen Bezug aufweist, stark voneinander abweichen; in machen Fällen ist es sogar möglich, dass ein Scheidungsantrag vor gar keinem Gericht eines Mitgliedstaats zulässig ist. In einer solchen Situation wird den Parteien ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verwehrt, was im Widerspruch zu einem Grundrecht steht und folglich nicht hinnehmbar ist.

    1.10

    Es wäre angezeigt, eine Vorschrift zur Zuständigkeitszuweisung vorzusehen, um den Anspruch auf rechtliches Gehör zu gewährleisten — aber wie sollte diese aussehen?

    1.11

    Was das anwendbare Recht betrifft, kann es das Scheidungsverfahren bisweilen vereinfachen oder in die Länge ziehen bzw. komplexer, ja sogar angesichts zulässiger Scheidungsgründe oder -voraussetzungen restriktiv gestalten. Ist ausschließlich das Recht des Gerichtsorts anwendbar, könnte dies zu einem „Wettlauf vor Gericht“ führen, wenn nämlich der erste Antragsteller das für sein Begehren günstigste Gericht und nationale Recht wählen kann — dagegen könnte sich der Antragsgegner in seinen Rechten verletzt sehen, da dieses Recht nicht notwendigerweise seinen Erwartungen entspricht, wenn es zum Beispiel keine oder nur wenige Anknüpfungspunkte zu dem Eherecht und der Staatsangehörigkeit der Ehegatten aufweist.

    1.12

    Sollte folglich die Verweisung an ein anderes zuständiges Gericht zugelassen werden, wenn der Antragsgegner engere oder gleichwertige Anknüpfungspunkte an ein anderes Gericht vorbringt, oder wenn das erste befasste Gericht und das materielle Recht, das dieses bei einem Scheidungsantrag anwendet, nur wenige oder gar keine objektiven Anknüpfungspunkte hat?

    1.13

    Die Verweisung sollte erfolgen können (es sollte jedoch ein Hin-und-Her-Verweisen von Gericht zu Gericht verhindert werden) und hierüber sollte innerhalb einer angemessen kurzen Frist entschieden werden (Eilverfahren), um Verhaltensweisen zu verhindern, die die Entscheidung in der Sache verzögern können. Die Parteien haben Anspruch auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist, hierzu gehören auch die Fälle streitiger Scheidungen.

    1.14

    Im Hinblick auf das anzuwendende Recht wenden die innerstaatlichen Gerichte je nach Einzelfall entweder ihr innerstaatliches Zivilrecht oder das materielle Recht an, das sich nach den Regeln des internationalen Privatrechts ergibt. Die Frage (die in dem Grünbuch nicht aufgeworfen wird), ob das Recht eines Drittstaats (beispielsweise bei Ansprüchen der Ehegatten) zur Anwendung gelangt, ist dagegen dann bedeutsam, wenn mindestens einer der Ehegatten die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt, was in Europa recht häufig vorkommt.

    1.15

    Der Ausschuss begrüßt die in dem Grünbuch unterbreiteten Arbeitsvorschläge und spricht — falls ein Ehegatte eine europäische Staatsangehörigkeit besitzt — die Empfehlung aus, jedwedes Verweisungsverfahren an Drittstaaten zu vermeiden; und zwar unabhängig davon, welchem Recht die Ehe unterliegt.

    1.16

    Über die Anerkennung einer Scheidung hinaus sollte auch die Anerkennung der Ungültigerklärung einer Ehe und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes erörtert werden. Was deren Voraussetzungen und Folgen betrifft, weichen die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen voneinander ab (insbesondere im Hinblick auf das Problem der Putativehe). Außerdem sollte jeder Mitgliedstaat — selbst wenn sein nationales Recht eine Ehescheidung nicht vorsieht — in seinem Hoheitsgebiet nicht nur die Gültigkeit einer Ehescheidung, die in einem anderen Mitgliedstaat ausgesprochen wurde, sondern auch sämtliche güterrechtlichen und personenstandsrechtlichen Rechtsfolgen anerkennen.

    1.17

    Das Haager Übereinkommen führt — in der Reihenfolge ihrer Bedeutung — folgende Zuständigkeitskriterien auf: der gewöhnliche Aufenthalt des Antragstellers (im Common Law: domicile) oder ein gewöhnlicher Aufenthalt von mindestens einem Jahr in dem Land, in dem der Scheidungsantrag bei dem Gericht (2) gestellt wird; der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten vor dem Scheidungsantrag, die Staatsangehörigkeit beider Ehegatten oder zumindest eines der beiden.

    1.18

    In der Verordnung Nr. 2201(2003) ist bestimmt (achter Erwägungsgrund): „Bezüglich Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe sollte diese Verordnung nur für die Auflösung einer Ehe und nicht für Fragen wie die Scheidungsgründe, das Ehegüterrecht oder sonstige mögliche Nebenaspekte gelten.“ (Es ist jedoch einzuräumen, dass die wirtschaftlichen und sonstigen Folgen der Scheidung je nach dem örtlich zuständigen Gericht bzw. dem anwendbaren Recht voneinander abweichen können und die Ehegatten dies bei der Wahl eines Gerichts berücksichtigen können.)

    1.19

    Außerdem sollten die endgültigen Entscheidungen der nationalen Gerichte ohne weitere Verfahren automatisch unionsweit anerkannt werden, und zwar ohne ein Verfahren zur Gültigerklärung und ohne dass Einwände gegen die Vollstreckbarkeit erhoben werden können (3). Gegen eine Vollstreckbarkeitserklärung sollte demnach kein Rechtsbehelf statthaft sein.

    1.20

    Die allgemeine Zuständigkeit richtet sich nach dem Hoheitsgebiet (Mitgliedstaat oder im Fall des Vereinigten Königreichs, in dem für England, Wales, Schottland, Nordirland und Gibraltar unterschiedliche Rechtsvorschriften gelten, die rechtliche Untereinheit des Mitgliedstaats). Die Verordnung führt die Haager Kriterien praktisch in derselben Reihenfolge auf und ergänzt sie — sofern ein gemeinsamer Antrag gestellt wird — durch den gewöhnlichen Aufenthalt eines der Ehegatten. Wird der Antrag in einem Herkunftsland gestellt, müssen beide Ehegatten dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen; dies gilt unabhängig von dem gewöhnlichen Aufenthalt bzw. dem „domicile“ jedes der beiden Ehegatten. Die Frist beträgt lediglich sechs Monate, wenn der Antragsteller Staatsangehöriger des Landes ist, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

    1.21

    Artikel 7 Absatz 2 über die Restzuständigkeit ermöglicht einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, seinen Scheidungsantrag in dem Land, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und nach den dort geltenden Zuständigkeitsregeln zu stellen, sofern der Ehegatte Staatsangehöriger eines Drittstaats ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt („domicile“ im Sinne des „common law“) nicht in einem Mitgliedstaat hat. Es könnte sich jedoch ein positiver Zuständigkeitskonflikt ergeben, wenn der andere Ehegatte bereits ein Gericht in einem Drittstaat angerufen hat. Es lässt sich fragen, ob darüber hinaus nicht — bei folgender Konstellation im Hinblick auf einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats — eine Überprüfung von Brüssel II angezeigt wäre: Falls nicht ein Gericht eines Mitgliedstaats — sondern ein Gericht eines Drittstaats — zuständig ist, und mindestens einer der beiden Ehegatten Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort unlängst begründet hat und begehrt, dass ein ausländisches Urteil von allen Mitgliedstaaten oder zumindest von dem jeweiligen Land, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, anerkannt wird, würden die Ehegatten in diesen letztgenannten Ländern dem Recht, das auf ausländische Urteile Anwendung findet bzw. den Bestimmungen über eine gegenseitige Anerkennung gegebenenfalls geschlossener internationaler Übereinkommen unterliegen.

    1.22

    Im Vergleich zu den Bestimmungen des Haager Übereinkommens wird in der Verordnung eine größere Zahl Zuständigkeitskriterien aufgeführt, die konkreter formuliert sind. Die gemeinschaftlichen Bestimmungen sollten einer spezifischen Verordnung über Ehescheidungen als Grundlage dienen (beispielsweise Verweise auf diese Bestimmungen sowie auf die Rechtsvorschriften über die gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen).

    1.23

    Jedoch enthalten weder das Haager Übereinkommen noch die oben erwähnte „Brüssel-II“-Verordnung dahin gehende Bestimmungen, welchem Recht die Scheidung unterliegt. Zudem ist der Anwendungsbereich der Verordnung auf Ehescheidungen, auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe im engeren Sinne begrenzt; er erstreckt sich nicht auf die Gründe und Folgen der Eheauflösung; dies bleibt dem jeweils anwendbaren nationalen Recht überlassen.

    1.24

    In Deutschland weisen beispielsweise ungefähr 15 % der Anträge auf Scheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe eine internationale Komponente auf. Die Anzahl der Scheidungen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die unter anderem eine europäische Komponente besitzen, ist nicht bekannt.

    2.   Ergänzende Elemente und Empfehlungen des Ausschusses

    2.1

    Die Kollisionsnormen bestimmen sich derzeit nach den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sich das angerufene Gericht befindet; je nachdem, in welchem Land der Antrag gestellt wurde, können sich angesichts des auf denselben Sachverhalt anzuwendenden Rechts stark voneinander abweichende Lösungen ergeben.

    2.2

    In dem Grünbuch werden hierzu eine Reihe gut ausgewählter Beispiele aufgeführt: sowohl zur Zuständigkeit — die einen negativen Zuständigkeitsstreit hervorrufen und zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führen kann -, als auch zu den verschiedenen Lösungsmöglichkeiten. Es kann vorkommen, dass eine Lösung nicht den Erwartungen zumindest eines der Ehegatten entspricht. In jedem Fall kann dies bisweilen zu fehlender Rechtssicherheit und mangelnder Vorhersehbarkeit sowie angesichts der Rechtshängigkeitsvorschrift („litis pendans“) der Verordnung „Brüssel II“ (das erste befasste Gericht ist zuständig, sofern ein Anknüpfungspunkt gegeben ist) zu einem „forum shopping“ bzw. zu einem „Wettlauf vor Gericht“ führen.

    2.3

    Das Problem stellt sich insbesondere, wenn die Ehegatten weder dieselbe Staatsangehörigkeit noch einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort haben; oder aber, wenn sie zwar dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen, sich aber in anderen Ländern als dem ihrer Staatsangehörigkeit aufhalten.

    2.4

    Der Ausschuss teilt die Auffassung, den Parteien bei derartigen Sachverhalten eine gewisse Freiheit zur Wahl des anwendbaren Rechts zu lassen bzw. dem Antragsgegner zuzugestehen, seine diesbezüglichen Erwartungen entgegenzuhalten oder aber die Verweisung an ein anderes Gericht zu verlangen, zu dem die Ehe die meisten objektiven Anknüpfungspunkte aufweist. In Fällen, in denen sich der Antragsteller auf eine Gerichtsbarkeit und das einschlägige nationale Recht beruft, der Antragsgegner jedoch die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit oder ein anderes anwendbares Recht geltend macht, sollte die Vorabentscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts oder das anwendbare Recht der Überprüfung durch das Gericht erster Instanz unterliegen, das — im Wege eines Eilverfahrens — in erster Linie durch den Antragsteller anzurufen ist.

    2.5

    Ist die Staatsangehörigkeit einer der Parteien alleiniger Anknüpfungspunkt, ist nach der Verordnung das Gericht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts anzurufen, wo das anwendbare Recht möglicherweise nicht den gemeinsamen Erwartungen der Parteien entspricht (zum Beispiel: der Wunsch, das Recht des Landes anzuwenden, an das die Ehe engere Anknüpfungspunkte hat).

    2.6

    Eher sollte folglich die Parteiautonomie eine Rolle spielen können, als sich damit zufrieden zu geben, schematisch die Anknüpfungspunkte heranzuziehen. Beispielsweise könnte eine Wahl zwischen dem eigenen nationalen Recht und dem Recht des Gerichtsorts zugelassen, die Verweisung jedoch ausgeschlossen werden.

    2.7

    Bei der Aufhebung einer Ehe nach kanonischem Recht durch ein Kirchengericht haben einige Mitgliedstaaten erklärt, derartige Entscheidungen — entsprechend eines mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen Konkordats oder Abkommens (Italien, Portugal, Spanien, Malta (4)) — ihren Zivilgerichten zur Anerkennung vorzulegen. Die Aufhebung einer Ehe nach kanonischem Recht könnte in Bezug auf das nationale Recht anderer Mitgliedstaaten Konfliktstoff bergen, weil diese den jeweiligen Scheidungsgrund nach kanonischem Recht oder auch aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht anerkennen (5).

    2.8

    Im Fall einer materiell- oder verfahrensrechtlichen Kollision mit seiner internen öffentlichen Ordnung oder mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten müsste sich der betreffende Staat weigern, das Exequatur zu erteilen oder die Entscheidung des Kirchengerichts anzuerkennen. Ein gewöhnliches Verfahren vor dem Zivilgericht zur Ungültigerklärung, Trennung oder Scheidung einer Ehe sollte daher durch den Antragsteller eingeleitet werden können. Im anderen Fall bliebe den Antragstellern nur noch die Lösung, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzurufen, was die Verfahrensdauer ungerechtfertigt in die Länge ziehen könnte.

    2.9

    Selbst wenn sich vergleichsweise selten negative Kompetenzkonflikte ergeben sollten, ist der Ausschuss der Auffassung, dass eine Initiative der Gemeinschaft insofern gerechtfertigt ist, als eine solche Situation in eine Grundrechtsverletzung mündet, nämlich des Rechts auf den gesetzlichen Richter, der das Urteil verkündet und der die Folgesachen einer Scheidung, einer Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder der Ungültigerklärung einer Ehe regelt.

    2.10

    Dies sollte folglich dazu führen, dass eine Harmonisierung der Kollisions- und der Zuständigkeitsbestimmungen zugelassen wird, um derart den Anspruch auf rechtliches Gehör sicherzustellen.

    2.11

    Diese harmonisierten Bestimmungen sollten jedoch einen Vorbehalt der innerstaatlichen öffentlichen Ordnung („ordre public“) enthalten, wo es um die Anerkennung oder Vollstreckbarkeit einer Entscheidung geht, die einen europäischen Aspekt enthält und in einem Drittstaat gefällt wurde, wenn dadurch eine Partei in einem in Europa anerkannten Grundrecht beeinträchtigt oder andere zwingende Bestimmungen der öffentlichen Ordnung unterlaufen würden, die ein Richter von Amts wegen anwenden muss.

    2.12

    Das Gemeinschaftsrecht sollte darüber hinaus — ohne vorheriges Exequaturverfahren — keinerlei zwingende Anerkennung durch alle Mitgliedstaaten von Scheidungsurteilen, Entscheidungen über die Ungültigerklärung einer Ehe oder Urteilen über die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes zulassen, die in einem Drittstaat gefällt wurden und Ehegatten betreffen, die sich zwar in der Union aufhalten, nicht aber die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats haben, wenn ein anderer Mitgliedstaat ein solches Urteil — entsprechend einem mit dem betreffenden Drittstaat geschlossenen bilateralen Übereinkommen — zuvor anerkannt hat (6).

    2.13

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass bei gemeinsamen Scheidungsanträgen eine Gerichtsstandsvereinbarung zugelassen werden sollte, sofern ein Anknüpfungspunkt an das gewählte Gericht gegeben ist. Für diesen gemeinsamen Antrag auf eine Gerichtsstandsvereinbarung könnte das Formerfordernis einer öffentlichen (z. B. notariellen) Urkunde verlangt werden.

    2.14.

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die tatsächlichen Auswirkungen einer Scheidung im Hinblick auf das Eltern- und Sorgerecht für minderjährige Kinder sowie auf das eheliche Güterrecht Gegenstand einer Länder vergleichenden Studie sein sollten; angesichts eines möglichen „Wettlaufs vor Gericht“ dürfen diese Aspekte nicht vernachlässigt werden. In jedem Fall können Probleme entstehen, wenn — wie es in dem Grünbuch der Fall ist — die Frage der Scheidung von den familien- und güterrechtlichen Auswirkungen vollkommen losgelöst behandelt wird; denn diese Folgen differieren bisweilen je nach anwendbarem Recht oder der jeweils aktuellen nationalen Rechtsprechung (zum Beispiel im Hinblick auf das elterliche Sorgerecht).

    2.15

    Die Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, all ihre Möglichkeiten für die Einführung alternativer Verfahren zur Streitbeilegung, wie z.B. die Mediation (7) bei Scheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe mit europäischer Komponente zu prüfen, sofern sie dies noch nicht getan haben. Dies würde den Zugang zu Gerichten erleichtern und die Dauer der Verfahren für die Rechtsuchenden verkürzen.

    2.16

    Der Ausschuss zeigt sich in einer für die Bürgerinnen und Bürger und deren Mobilität wichtigen Frage aufgeschlossen und wird die Ergebnisse der von der Kommission eingeleiteten Konsultationen sowie die konkreteren Legislativvorschläge, die daraufhin möglicherweise unterbreitet werden, aufmerksam verfolgen. Eine Änderung der neuen Verordnung Brüssel II oder einer spezifischen Verordnung über Ehescheidungen könnte in Betracht gezogen werden. Der Ausschuss möchte darüber hinaus in Erfahrung bringen, wie viele Ehescheidungsbegehren in den einzelnen Mitgliedstaaten eine gemeinschaftliche Komponente besitzen und in wie vielen Fällen es zu negativen Zuständigkeitsstreits kommt, weitere sachdienliche Angaben sind erwünscht. Auf diese Weise könnte er die Probleme, die sich bei einem möglichen künftigen Legislativvorschlag mit Auswirkungen auf die Zuständigkeit und das anwendbare Recht ergeben können, konkreter prüfen.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Anm. d. Übers.: Der Begriff „séparation de corps“ wird in den deutschen Fassungen dieser Rechtsquellen (Haager Übereinkommen, Verordnung „Brüssel II“ und Grünbuch) unterschiedlich übersetzt; hier wird die Bezeichnung der Verordnung („Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“) verwendet, ausgenommen sind wörtliche Zitate. Das spanische Parlament war im Dezember 2004 mit einem Gesetzesentwurf befasst, mit dem das nationale Ehe- und Scheidungsrecht geändert wurde. Trotz heftiger Proteste der Kirche wurde in Spanien unlängst auch die Eheschließung unter Gleichgeschlechtlichen ermöglicht (die in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereits möglich ist). In Frankreich können zwei Personen, die aus rechtlichen Gründen nicht heiraten dürfen, einen zivilen Solidaritätspakt (PACS) schließen. Dieser wird von einem Richter eingetragen und stellt eine Art Ersatz für die Ehe dar. Unabhängig davon, ob man diesen als Rechtsinstitut und/oder Vertrag ansehen will, bleiben Eheschließung und Quasi-Eheschließung zwei Personen vorbehalten, die das gesetzlich vorgesehene Mindestalter erreicht haben, und das Inzestverbot besteht fort; es stellt sich die Frage, ob die Aufhebung eines zivilen Vertrags - wie des französischen PACS - in den Legislativvorschlag zum Scheidungsrecht aufgenommen werden sollte, der in dem Grünbuch vorschlagen wird, oder ob diese Aufhebung schlicht dem Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse unterfallen sollte?

    (2)  In einigen Mitgliedstaaten ist eine Aufenthaltsdauer von sechs Monaten ausreichend.

    (3)  Ausgenommen die Berufung auf einen möglichen Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, die restriktiv angewendet werden sollte.

    (4)  Polen hat sich nicht auf sein Konkordat mit dem Vatikan berufen.

    (5)  Siehe Rechtssache Nr. 30882/96 „Pellegrini v. Italien“ (Urteil vom 20.7.2001) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Aufhebung des Urteils eines italienischen Gerichts, in dem die durch das Gericht der Römischen Rota erklärte Nichtigkeit einer Ehe anerkannt wurde, da letzteres das Recht auf Verteidigung verletzt hat.

    (6)  Auch wenn dies ohne ausdrückliche Regelung funktioniert - zumal es sich um eine Verordnung handelt, die für sämtliche Gerichtsentscheidungen aller Mitgliedstaaten gilt - kann eine Präzisierung nur von Vorteil sein, um möglichen Auslegungsschwierigkeiten aller Art vorzubeugen.

    (7)  Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht (KOM(2002) 196 endg.).


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/25


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71“

    (KOM(2004) 830 endg. — 2004/0284 (COD))

    (2006/C 24/09)

    Der Rat beschloss am 14. Januar 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 251 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit den Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2005 an. Berichterstatter war Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 171 Stimmen ohne Gegenstimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sind seit ihrer Annahme mehrfach geändert worden, um der sukzessiven Weiterentwicklung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Leistungen, die diese umfassen, Rechnung zu tragen.

    1.2

    Grundsätzlich geht es darum, die Verordnungen an die legislativen Veränderungen anzupassen, die sich in den Mitgliedstaaten vollziehen, sowie sie mit den verschiedenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in Einklang zu bringen. Daher zielt der dem Ausschuss zur Stellungnahme vorgelegte Verordnungsvorschlag darauf ab, die Veränderungen in der nationalen Gesetzgebung vor allem der neuen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Zudem sollen die Verfahren zur Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung im Ausland weiter vereinfacht werden, und zwar durch eine Ausweitung der entsprechenden Änderung auf die Verfahren zur Inanspruchnahme von Leistungen im Zusammenhang mit Versicherungsfällen, die auf Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zurückzuführen sind.

    1.3

    Die jüngste Änderung beider Verordnungen erfolgte durch die Verordnung Nr. 631/2004 (1), mit der die vorgenannten Änderungen bezüglich der Verfahren zur Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung in einem anderen Mitgliedstaat eingeführt wurden. Zu diesem Verordnungsvorschlag hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bereits Stellung genommen (2).

    1.4

    Die tiefgreifendste Änderung im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der EU-Mitgliedstaaten brachte jedoch die Verordnung Nr. 883/2004 (3) des Europäischen Parlaments und des Rates, die nach sechsjährigem Legislativverfahren angenommen und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. Diese Verordnung, die die Verordnung Nr. 1408/71 ersetzen soll, ist noch nicht in Kraft getreten, da zuvor die entsprechende Durchführungsverordnung, die ihrerseits die geltende Verordnung Nr. 574/72 ersetzen wird, angenommen werden muss.

    Der EWSA verabschiedete eine Stellungnahme (4) zu dem seinerzeit von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.

    2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

    2.1

    Die Kommissionsvorlage beinhaltet Änderungsvorschläge zu zwei Verordnungen: zum einen zu der Verordnung Nr. 1408/71 und zum anderen zu der Verordnung Nr. 574/72 über deren Durchführung. Die beiden Änderungen sind nicht miteinander verknüpft, da sie — wie bereits in Ziffer 1.2 dieser Stellungnahme erwähnt — verschiedene juristische Aspekte zum Gegenstand haben.

    2.1.1

    In Bezug auf die Verordnung Nr. 1408/71 werden Änderungen in mehreren Anhängen des Textes vorgenommen. Diese Anhänge enthalten Angaben zu der besonderen Sachlage in den einzelnen Mitgliedstaaten, die dort ausdrücklich aufgeführt werden muss, damit die entsprechenden Bestimmungen für die Bürgerinnen und Bürger ihre Wirkung entfalten können.

    2.1.2

    Die in Bezug auf die Verordnung Nr. 574/72 vorgenommenen Änderungen bewirken eine Vereinfachung des Textes und eine Verringerung der Verwaltungsformalitäten, die derzeit für die Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung in einem anderen Mitgliedstaat bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten erforderlich sind. Somit werden auf diese Fälle dieselben Vereinfachungskriterien angewandt, die mit der Verordnung Nr. 631/2004 für die Verfahren zur Inanspruchnahme von allgemeiner medizinischer Versorgung eingeführt wurden.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wertet den Inhalt des Vorschlags positiv, da er der Ansicht ist, dass damit die Tendenz zur Verbesserung und Vereinfachung der Verfahren fortgesetzt wird, die im Hinblick auf eine bestmögliche Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Europäischen Union geschaffen wurden. Änderungen, die den Unionsbürgern zugute kommen und ihr Verhältnis zu den Behörden der Mitgliedstaaten erleichtern, wird der Ausschuss stets begrüßen.

    3.2

    Deshalb befürwortet der Ausschuss den Verordnungsvorschlag, da mit diesem ausdrücklich eine der vier Freiheiten, auf die sich die Europäische Union seit ihren Anfängen gründet, gefördert wird: nämlich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und jetzt durch Ausdehnung dieses Rechts der freie Verkehr aller Personen, die von der vorgeschlagenen Regelung erfasst werden. Aus diesem Grunde bekräftigt der Ausschuss erneut seine Forderung, dass sowohl seitens der verschiedenen EU-Instanzen als auch seitens der Mitgliedstaaten auf die Abschaffung aller bestehenden Hindernisse hingewirkt werden muss, damit ein echter Raum des freien Personenverkehrs innerhalb der Grenzen der EU sowie ein wirkliches Sozialrecht geschaffen werden kann. Der Ausschuss begrüßt den Inhalt des Vorschlags, da er einen weiteren Beitrag zur Förderung eines Grundrechts der Bürger leistet.

    3.3

    Das Mitentscheidungsverfahren kann angesichts seiner Dauer dazu führen, dass Vorschläge inhaltlich von Grund auf umgestaltet werden. In einer früheren Stellungnahme (5) zu einer Vorlage, die eine Teiländerung der beiden Verordnungen vorsah, hat der Ausschuss die Notwendigkeit einer zeitnahen Konsultation und Stellungnahmeerarbeitung betont, insbesondere, wenn es sich um Vorschläge wie den jetzigen handelt, die Änderungen arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften betreffen. Diesen Standpunkt bekräftigte der Ausschuss in einer weiteren späteren Stellungnahme (6), in der er anregte, ihm die Möglichkeit einzuräumen, sich zu sämtlichen Textänderungen im Verlauf des Beschlussfassungsprozesses zu äußern. Aus diesen Gründen dringt der Ausschuss erneut darauf, dass seiner Funktion innerhalb solcher Verfahren Rechnung getragen wird.

    3.4

    Noch deutlicher zeigte sich die in Ziffer 3.3 beschriebene Situation bei der Annahme und Veröffentlichung der Verordnung Nr. 883/2004 (7) zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. In seiner Stellungnahme (8) dazu betonte der Ausschuss, dass es angesichts der Komplexität der Vorlage und der zahlreichen Änderungen, die an dem Text im Zuge des Legislativverfahrens noch vorgenommen werden dürften, notwendig sei, den Fortgang des Vorschlags zu verfolgen. Vier Jahre nach Verabschiedung der Stellungnahme wurde die Verordnung angenommen, ohne dass der EWSA sich erneut zu dem Text äußern konnte.

    Angesichts der Tragweite solcher Regelungen und der großen Bedeutung einer wirklich zeitnahen Konsultation des EWSA fordert der Ausschuss, dass das Konsultationsverfahren dahingehend angepasst wird, dass der EWSA als Vertretung der organisierten Zivilgesellschaft seine Rolle im Legislativverfahren der EU effizienter wahrnehmen kann.

    Desgleichen hält der Ausschuss die Ausarbeitung einer Initiativstellungnahme zu der neuen Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die die Verordnung Nr. 1408/71 ersetzen soll, für erforderlich, um der in der oben genannten Stellungnahme vertretenen Auffassung Substanz zu geben.

    3.5

    Ferner ist der Ausschuss der Auffassung, dass der beratenden Funktion des gemäß Titel V der Verordnung Nr. 1408/71 eingerichteten Beratenden Ausschusses für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer entsprechend den Bestimmungen der Verordnung genau Rechnung getragen werden muss. Dieser Ausschuss, der sich vor allem aus Gewerkschafts- und Unternehmensvertretern zusammensetzt, ist ein Forum, über das die Akteure des wirtschaftlichen und sozialen Lebens den Institutionen ihre Standpunkte unmittelbar zur Kenntnis bringen können. Dies geschieht durch Stellungnahmen bzw. Vorschläge zu Änderungen, die im Bereich der sozialen Sicherheit auf Gemeinschaftsebene vorgenommen werden sollen.

    3.6

    Artikel 90 der Verordnung Nr. 883/2004 sieht die Aufhebung der Verordnung Nr. 1408/71 — mit Ausnahme einiger Sonderfälle — vor; laut Artikel 91 tritt die neue Verordnung am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Im zweiten Satz dieses Artikels ist jedoch festgelegt, dass sie ab dem Tag des Inkrafttretens ihrer Durchführungsverordnung gilt.

    In Anbetracht dessen und im Hinblick auf das 2006 anstehende Europäische Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer fordert der Ausschuss die EU-Institutionen sowie die Mitgliedstaaten auf, den Prozess der Erarbeitung und Annahme der künftigen Durchführungsverordnung so schnell wie möglich und mit größter Effizienz bei der Behandlung des Vorschlags voranzutreiben, damit der verfügende Teil der neuen Koordinierungsverordnung möglichst rasch vollständig in Kraft treten und die komplexen Bestimmungen der derzeit geltenden Verordnung Nr. 1408/71 baldmöglichst ersetzen kann.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1

    Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern.

    4.1.1

    Die Anhänge I, II, IIa, III, IV und VI der Verordnung werden nach Maßgabe des Artikel 1 des Vorschlags geändert.

    4.1.2

    Anhang I Teil II (Persönlicher Geltungsbereich der Verordnung betreffend die Definition des Begriffes „Familienangehörige“) wird angepasst, um den Änderungen in der slowakischen Gesetzgebung Rechnung zu tragen.

    4.1.3

    Anhang II Teil I (Sondersysteme für Selbständige, die nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen) wird aufgrund von Änderungen in der französischen Gesetzgebung angepasst.

    4.1.4

    Infolge von Änderungen in der estnischen, lettischen und polnischen Gesetzgebung wird Anhang II Teil II (Besondere Geburts- oder Adoptionsbeihilfen, die nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen) geändert. Ferner wird in demselben Anhang eine Änderung in Bezug auf Luxemburg vorgenommen, die auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zurückgeht, dem zufolge Geburts- oder Adoptionsbeihilfen nicht aus dem Geltungsbereich der Verordnung auszuschließen, sondern vielmehr als ausführbare Familienleistung zu betrachten sind.

    4.1.5

    Anhang IIa der Verordnung (Beitragsunabhängige Sonderleistungen) wird aufgrund verschiedener Aktualisierungen und Anpassungen in den einschlägigen deutschen, slowakischen, lettischen und polnischen Rechtsvorschriften geändert.

    4.1.6

    Anhang III Teil A (Bestimmungen aus Abkommen über soziale Sicherheit, die trotz der Bestimmungen der Verordnung über deren Wegfall weiterhin gelten) wird zur Streichung gegenstandsloser Nummern und im Hinblick auf eine inhaltliche Vereinfachung geändert.

    Mit demselben Ziel wird Anhang III Teil B (Bestimmungen aus Abkommen, deren Geltungsbereich nicht alle Personen umfasst, auf die die Verordnung anzuwenden ist) parallel dazu geändert. Die Nummerierung wird entsprechend angepasst, und es werden bilaterale Vereinbarungen bzw. Abkommen aufgenommen, die die Voraussetzungen zur Aufnahme in den Anhang erfüllen.

    4.1.7

    Wegen einer entsprechenden Bestimmung in der Gesetzgebung der Tschechischen Republik wird Anhang IV Teil A geändert (nationale Rechtsvorschriften, nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität nicht von der Dauer der Versicherungszeiten abhängt).

    Aus demselben Grund wird Anhang IV Teil C (Fälle, in denen auf die doppelte Berechnung der Leistung verzichtet werden kann) in Bezug auf die Tschechische Republik und Estland geändert, da eine solche doppelte Berechnung nie zu einer höheren Leistung führen würde.

    Anhang IV Teil D (Leistungen und Abkommen, in denen das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art geregelt ist, auf die nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten Anspruch besteht) wird aufgrund von Änderungen in der slowakischen Gesetzgebung angepasst.

    4.1.8

    Anhang VI (Besondere Bestimmungen über die Anwendung der Rechtsvorschriften bestimmter Mitgliedstaaten) wird angepasst, um Änderungen in der niederländischen Gesetzgebung Rechnung zu tragen.

    4.1.9

    Die Änderungen, die in den verschiedenen Anhängen der Verordnung Nr. 1408/71 vorgenommen werden, erfüllen mehrere Funktionen, auf die der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nun eingehen möchte.

    Zunächst möchten wir herausstellen, dass diese Änderungen eine Reihe von Vereinfachungen des Textes bewirken, der somit leichter anwendbar und besser verständlich wird. In dieser Hinsicht wird die mit der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Sozialsysteme eingeschlagene Richtung weiterverfolgt, deren Ziel darin bestand, diese Koordinierung unter gleichzeitiger Achtung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit zu vereinfachen und zu modernisieren. Daher unterstützt der Ausschuss diese Änderungen.

    Zweitens ist festzustellen, dass einige Länder in ihrer nationalen Gesetzgebung für bestimmte Versicherungsfälle neue Beihilfen eingeführt haben, die weitere Fortschritte in der Sozialgesetzgebung der betreffenden Mitgliedstaaten darstellen. Solche Fortschritte im Bereich der sozialen Rechte in den verschiedenen Mitgliedstaaten kann der Ausschuss nur begrüßen. Er bedauert jedoch, dass sich die Bürger aus den jüngst beigetretenen Staaten besonderen administrativen Hindernissen gegenüber sehen.

    4.1.10

    Schließlich ist der Ausschuss der Auffassung, dass Anhang II Teil II der Verordnung gestrichen werden sollte. Die Mitgliedstaaten sollten sich an der Rechtsprechung des Gerichtshofs orientieren, der zufolge Geburts- und Adoptionsbeihilfen nicht als besondere Beihilfen zu betrachten sind, sondern als Familienleistungen gelten, die mithin ausführbar sind. Es ist zu wünschen, dass die Mitgliedstaaten diese Rechtswirklichkeit annehmen, bevor sie der Gerichtshof durch entsprechende Urteile offiziell auf die gesamte Union ausweitet.

    4.2

    Verordnung Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71.

    4.2.1

    Artikel 2 des Kommissionsvorschlags sieht die Änderung von vier Artikeln der Verordnung vor, die jeweils die medizinische Versorgung im Fall von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten betreffen.

    4.2.2

    Die Absätze 5 und 6 des Artikel 60 (Sachleistungen bei einem Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat) werden gestrichen. Die Streichung betrifft Vorschriften für die Meldung von Krankenhausaufenthalten, die in der Praxis nicht befolgt wurden.

    Der Ausschuss ist mit all diesen Maßnahmen einverstanden, da sie eine Vereinfachung und den Abbau eines unnötigen Verwaltungsaufwandes bedeuten.

    4.2.3

    Der Wortlaut von Artikel 62 (Sachleistungen bei Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat) wird ersetzt. Mit der Einführung der Krankenversicherungskarte werden überflüssige Formalitäten abgeschafft, die künftig zwischen den zuständigen staatlichen Trägern geregelt werden und nicht von der betreffenden Person. Daher wird der Wortlaut des Artikels entsprechend der Änderung durch die Verordnung Nr. 631/2004 an den gleichlautenden Artikel 21 der Verordnung angepasst.

    Der Ausschuss befürwortet alle Änderungen, die den Bürgern den Zugang zu den ihnen zustehenden Leistungen erleichtern.

    4.2.4

    In Artikel 63 (Sachleistungen an Arbeitnehmer oder Selbständige bei Wohnortwechsel oder Rückkehr in das Wohnland sowie an Arbeitnehmer oder Selbständige, die die Genehmigung haben, sich zur Behandlung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben) wird Absatz 2 geändert. Die Anpassung ist nötig, da in diesem Absatz auf die durch den neuen Verordnungsentwurf gestrichenen Absätze 5 und 6 des Artikel 60 Bezug genommen wird.

    4.2.5

    In Artikel 66 (Zweifel hinsichtlich eines Arbeitsunfalls bzw. einer Berufskrankheit) wird Absatz 1 geändert, um den Bezug auf den durch die Verordnung Nr. 631/2004 gestrichenen Artikel 20 der Verordnung zu entfernen.

    4.2.6

    Der Ausschuss bringt seine Unterstützung für sämtliche vorgeschlagenen Änderungen zum Ausdruck, da sie die Verordnung durch eine Vereinfachung des Wortlauts und den Abbau von Bürokratie insofern verbessern, als sie die Beziehungen der Bürger zu den Behörden erleichtern.

    5.   Schlussfolgerungen

    5.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Verordnungsvorschlag im Allgemeinen vorbehaltlich der Bemerkungen in dieser Stellungnahme. Seiner Ansicht nach ist die Vereinfachung und Verbesserung des Wortlauts der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 im Hinblick auf die Förderung der Freizügigkeit der Unionsbürger positiv zu werten. Noch positiver wäre allerdings ein Inkrafttreten der Verordnung Nr. 833/2004, die bereits an sich eine generelle und für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sehr umfassende Vereinfachung bedeutet.

    5.2

    Da der Ausschuss sich nicht zu dem endgültigen Wortlaut äußern konnte, den die Verordnung Nr. 883/2004 im Rahmen des langwierigen Legislativverfahrens erhalten hat, sollte seines Erachtens unverzüglich eine Initiativstellungnahme hierzu ausgearbeitet werden, und zwar noch vor Einleitung des Legislativverfahrens zu der neuen Durchführungsverordnung, deren Ausarbeitung die Kommission bald abschließen dürfte.

    5.3

    Der Ausschuss ersucht die Kommission, die Ausarbeitung des Vorschlags für eine Durchführungsverordnung baldmöglichst abzuschließen. Er ersucht den Rat und das Parlament, sich um eine rasche Abwicklung des Legislativverfahrens zur Annahme dieser Verordnung zu bemühen, damit sich die mit der Verordnung Nr. 883/2004 gemachte Erfahrung eines sehr langwierigen Legislativverfahrens nicht wiederholt. Dies sollte insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache geschehen, dass 2006 das Europäische Jahr der Mobilität der Arbeitnehmer sein wird.

    5.4

    In Bezug auf die vorgeschlagenen Anpassungen in den Anhängen der Verordnung Nr. 1408/71, fordert der Ausschuss, dass die Anpassung betreffend Anhang II Teil II über besondere Geburts- und Adoptionsbeihilfen mit Zustimmung der Mitgliedstaaten, die bislang noch am Ausnahmecharakter dieser Beihilfen festhalten, sobald wie möglich gestrichen wird.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  ABl. L 100 vom 6.4.2004.

    (2)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ (Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro), ABl. C 75 vom 15.3.2000.

    (3)  ABl. L 166 vom 30.4.2004.

    (4)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zwecks Angleichung der Ansprüche und Vereinfachung der Verfahren“ (Berichterstatter: Herr Boldt), ABl. C 32 vom 5.2.2004.

    (5)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 408/71“ (Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro), ABl. C 367 vom 20.12.2000.

    (6)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 408/71 zwecks Angleichung der Ansprüche und Vereinfachung der Verfahren“ (Berichterstatter: Herr Boldt), ABl. C 32 vom 5.2.2004.

    (7)  ABl. L 166 vom 30.4.2004.

    (8)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ (Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro), ABl. C 75 vom 15.3.2000.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/29


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen“

    (KOM(2005) 81 endg. — 2005/0017 (COD))

    (2006/C 24/10)

    Der Europäische Rat beschloss am 22. März 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Vorlage zu ersuchen.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2005 an. Berichterstatterin war Frau ŠTECHOVÁ.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 166 gegen 5 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses (1)

    1.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hebt erneut sein großes Interesse an der Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau hervor. Wie er in seinen jüngsten Stellungnahmen zu diesem Thema (2) wiederholt betont hat, ist es von grundlegender Bedeutung, sehr viel konkretere Fortschritte zu erzielen. Der Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Gleichstellung der Geschlechter) wird in der Politik der Europäischen Union Priorität eingeräumt, und das muss auch so bleiben. Obwohl in den vergangenen Jahren in der EU größere Anstrengungen zur Durchsetzung der Gleichstellung von Mann und Frau unternommen worden sind, bleiben Frauen doch in vielen Bereichen des Arbeitslebens benachteiligt (3) — diesen Zustand gilt es zu ändern. Es gibt andererseits, wenn auch in wesentlich geringerem Maße, auch Situationen, in denen Männer vom Standpunkt der Gleichberechtigung aus gesehen benachteiligt werden — auch dieses Problem gilt es zu lösen. Ferner müssen auch Probleme gelöst werden, die aufgrund von Diskriminierungen entstehen (wegen sexueller Orientierung, Alter, Gesundheit, Behinderung, Volkszugehörigkeit) und die unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellungsproblematik noch schwerer wiegen.

    1.1.1

    Es gibt also viele verschiedene Arten von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Sie kommen überall in der EU vor, und es ist dringend notwendig, sie zu erkennen, zu dokumentieren, zu sammeln und zu analysieren, um aus ihnen auf gemeinschaftlicher Ebene Lehren zu ziehen und nach entsprechenden Lösungen zu suchen.

    1.1.2

    Der EWSA begrüßt daher alle Instrumente, die dazu beitragen, die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Praxis zu beschleunigen.

    1.1.3

    Der EWSA unterstützt den Vorschlag zur Einrichtung eines Instituts für Gleichstellungsfragen (4) (im Folgenden „Institut“), das seiner Ansicht nach zu einem wirksamen Instrument mit großem Entwicklungspotenzial werden kann, um die Bemühungen von Seiten der EU sowie der Mitgliedstaaten zu unterstützen, die darauf abzielen, sowohl rechtlich als auch in der Praxis Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter zu erzielen.

    1.2

    Der EWSA pflichtet den Gründen für die Schaffung eines unabhängigen Instituts bei und begrüßt den Beschluss, dass das Institut weder die bestehenden und bewährten spezialisierten Agenturen noch die, deren Gründung auf gemeinschaftlicher Ebene vorbereitet wird, (5) ersetzen oder beeinträchtigen darf. Die Gründung des Instituts darf auch nicht dazu führen, dass das Prinzip des „Gender-Mainstreaming“ in den Gemeinschaftsorganen und in der gesamten Politik und allen Programmen der EU aufgeweicht wird: Der EWSA ist im Gegenteil der Überzeugung, dass das „Gender-Mainstreaming“ dadurch eine Stärkung erfährt.

    1.3

    Der EWSA ist der Ansicht, dass das Institut eine auf Objektivität, Neutralität, Unabhängigkeit und Erfahrung beruhende Autorität erlangen sowie durch die Möglichkeit, einschlägige Informationen an einem Ort zu bündeln, zu einem bedeutenden Instrument für ein weites Benutzerspektrum werden kann. Bei einer folgerichtigen Anwendung des Gender-Mainstreaming-Prinzips wird das Institut den unterschiedlichsten „Kunden“ dienen — von den breitesten Schichten der Zivilgesellschaft bis hin zu den Entscheidungsgremien der EU-Organe.

    1.3.1

    Überdies wird das Institut nicht nur innerhalb der EU seine Wirkung entfalten, sondern auch im weiteren europäischen Kontext, einschließlich der Vorbereitung auf zukünftige Erweiterungen der EU, und ebenso auf internationaler Ebene. Das Institut wird demnach auch zur Pflege multikultureller Beziehungen und als Stätte des Austausches dienen.

    1.4

    Der EWSA ist der Ansicht, dass es wegen des ambitionierten Vorhabens und der Aufgaben, vor denen das Institut steht, notwendig wäre, Zuständigkeiten und Pflichten mit Blick auf seine Funktionen in der Forschung, Verbreitung von Information, Öffentlichkeitsarbeit usw. genauer zu definieren, als es der Kommissionsvorschlag vorsieht. Es ist unerlässlich, genau zu präzisieren, zu welchem Zwecke die Daten gesammelt und verarbeitet werden, so dass das Institut seiner Rolle im europäischen Entscheidungsprozess in vollem Umfang gerecht werden kann. In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass sich alle Gemeinschaftseinrichtungen auf die statistischen Instrumente der einzelnen Mitgliedstaaten verlassen müssen. Das Institut sollte die Möglichkeit haben, die geplanten Projekte aus seiner Sicht zu erläutern. Das Institut müsste ebenso eine Vermittlerrolle in Fragen des „Gender-Mainstreaming“ übernehmen sowie die Möglichkeit erhalten, seine Ansichten zu den Gemeinschaftsinitiativen und gemeinschaftlichen Aktivitäten im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter darzulegen.

    1.4.1

    Der EWSA ist der Auffassung, dass eine genauere Definition der Zielsetzungen und Funktionen des Instituts seine Bedeutung unterstreichen und deutlich machen wird, dass zur Verwirklichung dieser Zielsetzungen die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen müssen.

    1.5

    Das Institut muss über eine starke moralische Autorität verfügen; es ist von grundlegender Bedeutung, seine Funktion transparent zu gestalten und wirklich effiziente Verbindungen zu den betroffenen, in Kapitel10 Absatz 1 Buchstaben a-c aufgeführten Kreisen der Zivilgesellschaft zu unterhalten, die im Hinblick auf die Gleichstellung von Männern und Frauen über große Erfahrungen bei der Analyse und Sachverstand verfügen und zugleich die Bedürfnisse der EU-Bürger unmittelbarer darstellen können. Der EWSA empfiehlt deshalb mit Nachdruck, dass die Vertreter dieser zivilgesellschaftlichen Kreise über eine höhere Anzahl an Sitzen im Verwaltungsrat des Instituts verfügen sollten (s.u. Ziffer 3.7.2 und 3.7.3). Der EWSA macht in diesem Zusammenhang erneut darauf aufmerksam, dass die Sozialpartner auf verschiedenen Ebenen eine maßgebliche Rolle bei der Lösung der Probleme der Gleichstellung zwischen Mann und Frau auf dem Arbeitsmarkt spielen.

    1.6

    Der EWSA besteht außerdem darauf, dass die Vertreter der europäischen Sozialpartner sowie der entsprechenden repräsentativen NRO im Verwaltungsrat den gleichen Status wie die anderen Mitglieder erhalten — also stimmberechtigt sein müssen (s.u. Ziffer 3.7.4).

    1.7

    Der EWSA hält es für grundlegend erforderlich, dass das Institut durch die Mittelzuweisungen in die Lage versetzt wird, seine Aufgaben in vollem Maße zu erfüllen, und zwar Seite an Seite mit den bestehenden Einrichtungen oder Gemeinschaftsprogrammen, die ebenso die Problematik der Gleichstellung von Mann und Frau zum Gegenstand haben, keinesfalls aber zu ihren Lasten.

    1.8

    Der Vorschlag für eine Verordnung legt den Sitz des Instituts nicht genauer fest; der EWSA spricht sich indes dafür aus, dass es in einem der Länder, die 2004 der EU beigetreten sind, eingerichtet werden müsste. Gründe dafür sind das diesbezügliche Interesse, das einige dieser Länder bereits bekundet haben, die Notwendigkeit einer ausgewogenen Dezentralisierung der EU-Einrichtungen wie auch die Möglichkeit, einen unmittelbaren Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern eines dieser Länder aufzubauen und sich stärker mit ihren Erfahrungen auf dem Gebiet der Chancengleichheit von Männern und Frauen vertraut zu machen.

    1.9

    Der EWSA ist davon überzeugt, dass eine enge Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Institut für beide Seiten von Nutzen sein wird, und erklärt, dass er bereit ist, mit ihm im Rahmen der Gemeinschaftsregelungen zusammenzuarbeiten.

    2.   Einführung — allgemeine Bemerkungen

    2.1

    Am 8. März 2005, hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen veröffentlicht (6) und in ihrer Presseerklärung unter anderem ausgeführt: (7)

    „Das Institut wird ein unabhängiges Exzellenzzentrum auf europäischer Ebene sein. Es wird zuverlässige und vergleichbare Forschungsdaten und Informationen, die von den politischen Entscheidern in Brüssel und in den Mitgliedstaaten benötigt werden, zusammentragen, analysieren und verbreiten. Ihm angeschlossen sein werden ein Dokumentationszentrum und eine Bibliothek — beide für die Öffentlichkeit zugänglich.

    Das Institut wird die Forschung und den Erfahrungsaustausch fördern durch Organisation von Sitzungen mit Politikern, Experten und Stakeholdern, und es wird mit Hilfe von Veranstaltungen wie Konferenzen, Informationskampagnen und Seminaren die Öffentlichkeit für Gleichstellungsfragen sensibilisieren. Eine weitere wichtige Aufgabe wird darin bestehen, Instrumentarien für das Gender-Mainstreaming in allen Politikbereichen der Gemeinschaft zu entwickeln.“

    2.2

    Die lange Zeitspanne, die zwischen der ersten Initiative zur Schaffung des europäischen Instituts 1995 (8) und der Veröffentlichung des Vorschlags für eine Verordnung im März 2005 liegt, diente der Durchführung fachlicher und politischer Forschungen, die es nun erlauben, die Verwirklichung des Projekts besonnen anzugehen.

    2.3

    Auf seiner Sitzung vom 1./2. Juni 2004 hat der Rat „Wettbewerb sowie Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ einstimmig seine Unterstützung für die Schaffung eines europäischen Instituts erklärt: (9)

    „Die Delegationen stimmten vom Grundsatz her der Einrichtung eines solchen Instituts voll und ganz zu und hoben gleichzeitig hervor, dass es einer Einrichtung bedürfe, die einen Mehrwert habe, aber keine Doppelarbeit zu bereits vorhandenen Tätigkeiten auf diesem Gebiet leiste. Es wurde ebenfalls darauf verwiesen, dass Haushaltsneutralität gegeben sein müsse.“

    Der Rat hat das Institut mit folgenden Aufgaben betraut:

    Koordinationsfragen;

    Bündelung und Verbreitung von Informationen;

    Steigerung des Bekanntheitsgrades der mit der Gleichstellung von Mann und Frau verbundenen Probleme;

    Bereitstellung von Instrumenten für eine Einbeziehung der Gleichstellungsfrage in die Politik.

    2.3.1

    Der Rat hat daraufhin die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag auszuarbeiten. (10)

    2.4

    Die Schaffung des Instituts wurde nach dem Beitritt der zehn neuen Staaten zur EU beschlossen. Der EWSA hält es für wichtig, dass die Tätigkeit des Instituts von Anfang an auf die erweiterte Union ausgerichtet ist, damit in größerem Rahmen die vielfältigen Erfahrungen, Situationen und Sachkenntnisse berücksichtigt werden können.

    2.5

    Der EWSA hat jüngst in seiner Stellungnahme „Peking +10: Bewertung der erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Gleichstellung von Mann und Frau“ (11) die Entwicklung und die Bandbreite der Aktivitäten der EU im Bereich der Gleichstellung von Mann und Frau noch einmal zusammengefasst. Der Ausschuss bezieht sich auf diese Stellungnahme und betont, dass ein Anstieg beim Bedarf an Gutachten, Analysen und Informationen zu verzeichnen ist und dabei höhere Qualitätsansprüche gestellt werden. Der EWSA zeigt sich darüber erfreut, da diese Entwicklung von einer umfassenderen Umsetzung des Prinzips des „Gender-Mainstreaming“ ausgeht.

    2.6

    In der Praxis treten fortbestehende und neue Probleme zu Tage, mit denen die EU und ihre Mitgliedstaaten konfrontiert sind und die dringend gelöst werden müssen. Sie stehen in direktem Zusammenhang mit der Problematik der Gleichstellung von Mann und Frau, und das Institut wird sich damit beschäftigen müssen:

    Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt, besonders berufliche Segregation, Unterschiede in der Vergütung, Risiken auf dem Arbeitsmarkt;

    Karriereverlauf der Frauen und ihr Zugang zu Positionen als Führungskräfte bzw. leitende Angestellte, Untersuchungen über die Situation von Frauen in Führungs- und Leitungspositionen;

    Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben;

    Zugang zu lebenslangem Lernen, Untersuchungen, auf welche Weise die berufliche Qualifikation von Frauen verbessert wird;

    die demografische Entwicklung in der EU;

    Frauen- (und Kinder-)handel und ihre sexuelle Ausbeutung;

    jegliche Art von Gewalt gegenüber dem anderen Geschlecht;

    Defizit hinsichtlich der Beteiligung von Frauen am Entscheidungsfindungsprozess;

    ein allgemein unzureichendes Bewusstsein über die mit der Gleichstellung von Mann und Frau verbundenen Probleme und fortwährende unzureichende Durchsetzung des „Gender-Mainstreaming“-Prinzips;

    die stereotype Darstellung der Frauen- bzw. Männerrolle (im Bildungswesen, in den Medien, im öffentlichen Leben, im Arbeitsleben);

    ein „unzureichendes Bewusstsein“ bei den Frauen selbst, welchen Platz sie in der Gesellschaft einnehmen können;

    interkulturelle Probleme;

    Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der verschiedenen Organe, Einrichtungen und Organisationen, einschließlich der Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft;

    usw.

    2.6.1

    Der EWSA verweist auf seine Stellungnahme „Peking +10: ...“, in der er bereits detailliert eine Vielzahl von Bereichen genannt hat, in denen gehandelt werden muss. (12)

    2.7

    Der EWSA ist sich — wie bereits betont wurde — bewusst, dass die Umsetzung des „Gender-Mainstreaming“-Prinzips sich ausweitet und weiter entwickelt. Aus diesem Grunde stimmt er zu, dass eine unabhängige Institution mit der Aufgabe betraut wird, die Bemühungen der Mitgliedstaaten und der interessierten Kreise der Zivilgesellschaft zu bündeln, um die gemeinschaftlichen Institutionen in diesem Bereich zu unterstützen; auf diese Weise wird auch der Synergieeffekt verstärkt. Zudem ist der EWSA der Ansicht, dass sich das Institut und die gemeinschaftlichen Agenturen gegenseitig ergänzen sollten und dass die Entwicklung des „Gender-Mainstreaming“-Prinzips im Rahmen der Agenturen und in reibungsloser Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Institut fortgesetzt wird. Ebenso muss die Zusammenarbeit mit den institutionellen Mechanismen für die Gleichstellung von Männern und Frauen die Regel sein.

    2.8

    Der EWSA erinnert daran, dass die Schaffung des Instituts ein Fortschritt ist. Die Notwendigkeit, Initiativen zur Durchsetzung der Chancengleichheit in der Praxis zu ergreifen, bleibt jedoch bestehen — auch im Hinblick auf die Erreichung aller in den Gemeinschaftsdokumenten festgeschriebenen Ziele. Es wird von außerordentlicher Bedeutung sein, dass sich das Institut aktiv für die Verwirklichung der Zielsetzungen von Lissabon einsetzt, die vor allen Dingen auf Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtet sind.

    2.9

    Der EWSA steht der Schaffung des Instituts positiv gegenüber, hält es allerdings für notwendig, dass es auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene durch die Zivilgesellschaft möglichst positiv aufgenommen wird, denn ohne deren Unterstützung könnte das Institut seine Arbeiten nicht ordentlich aufnehmen. Daher braucht es die nötigen Mittel, die ihm Glaubwürdigkeit verleihen und es zu einer vertrauenswürdigen Einrichtung machen. Auf diese Weise kann das Institut erfolgreich alle Arten von Aktivitäten entfalten und das Interesse hervorrufen, das es verdient.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1

    Der EWSA erkennt die Rechtsgrundlage an, auf die sich die Schaffung des Instituts gründet: Artikel 141 Absatz 3 und Artikel 13 Absatz 2 des EG-Vertrags. Er erkennt gleichermaßen die in den Erwägungsgründen dargelegten Motive an, aus denen hervorgeht, warum auch Artikel 5 des Vertrags anwendbar ist.

    3.2

    Der EWSA ist ebenso der Meinung, dass die Zusammenarbeit mit den vorhandenen Strukturen, Stiftungen und anderen Einrichtungen dem Wunsch des Rates entspricht, jede Art von Doppelarbeit zu vermeiden. Er stellt fest, dass sich der 12. Erwägungsgrund ausdrücklich auf die anderen europäischen Einrichtungen und Programminstanzen, wie z.B. Eurostat, bezieht. Der Ausschuss verweist auf die Mitteilungen der Kommission „Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen“ (13) und „Entwurf für eine Interinstitutionelle Vereinbarung zur Festlegung von Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen“ (14) und nimmt zur Kenntnis, dass in diesem Rahmen auch dem Institut unter den bisherigen Einrichtungen sein Platz zugewiesen wird.

    3.3

    Der EWSA weist darauf hin, dass der englische Name des Instituts (Artikel 1) „European Institute for Gender Equality“ seinen Aufgabenbereich genau umreißt und darüber hinaus deutlich macht, dass weitere Dimensionen (ethische, moralische, ästhetische, sexuelle etc.) berücksichtigt werden. Es hat sich herausgestellt, dass das Wort „gender“ in einer ganzen Reihe von EU-Sprachen keine genaue Entsprechung hat. Deswegen müsste bei der Übersetzung dieses Namens auf eine der Originalversion möglichst nahe Formulierung zurückgegriffen werden.

    3.4

    Bezüglich der Zielsetzungen für das Institut ist der EWSA der Ansicht, dass Artikel 2 einen deutlichen Hinweis auf die Durchsetzung des „Gender-Mainstreaming“-Prinzips enthalten sollte.

    3.4.1

    Der EWSA ist ferner der Meinung, dass dem Institut die Aufgabe übertragen werden sollte, Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerorganisationen sowie die anderen Teile der organisierten Zivilgesellschaft in ihrer Arbeit auf dem Gebiet der Gleichstellung von Mann und Frau zu unterstützen. Dieses Ziel müsste deutlich herausgestellt und in Erwägung gezogen werden.

    3.5

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Aufgaben des Instituts, wie in Artikel 3 beschrieben, genauso wichtig sind wie seine Ziele. Sie müssten demnach, wie in Ziffer 1.4 dieser Stellungnahme dargelegt, ergänzt werden.

    3.5.1

    Der EWSA fordert, dass in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a die Sozialpartner ausdrücklich erwähnt werden. In diesem Zusammenhang erinnert er daran, dass die europäischen Sozialpartner vor kurzem einen Aktionsrahmen für die Gleichstellung von Mann und Frau angenommen haben.

    3.5.2

    Der EWSA hebt hervor, dass das Institut, das durch seine Aktivitäten einen Beitrag zur Erfüllung der beispielsweise aus der Rahmenstrategie hinsichtlich der Gleichstellung von Mann und Frau hervorgehenden Aufgaben leistet, seinen Mehrwert auch dadurch unter Beweis stellt, dass es mit seinen Arbeiten auch über den Rahmen des Jahresberichts hinaus regelmäßig an die Öffentlichkeit tritt. Neben seinem Jahresbericht sollte das Institut unter anderem auch sein Arbeitsprogramm veröffentlichen (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe e).

    3.5.3

    Die vom Institut zu bearbeitenden Themen werden entsprechende Arbeitsmethoden erforderlich machen. Sie sollten auf die unterschiedlichen Arten von Ungleichheiten und Diskriminierungen zwischen den Geschlechtern abgestimmt werden, daher müssten u.a. vergleichende Methoden (Benchmarking), Fallstudien, vertikale (branchenspezifische) Erhebungen von Daten, Veranschlagung von Haushaltsmitteln für die Gleichstellung der Geschlechter, Monitoring u.ä. zur Anwendung kommen. Die Zusammenarbeit des Instituts mit den eigenständigen Agenturen und Einrichtungen muss auch in dieser Hinsicht eine Selbstverständlichkeit sein.

    3.5.4

    Der EWSA stellt fest, dass Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d vorsieht, dass das Institut in „Europa“ Erhebungen durchführt, wodurch auf sein Tätigwerden im breiteren Rahmen des EWR, im Hinblick auf die nächste Erweiterung sowie in den Mitgliedstaaten des Europarates hingewiesen wird.

    3.5.5

    Der EWSA möchte zu Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g die nationale und regionale Ebene hinzufügen, wodurch eine Öffnung für weitere Beteiligte erfolgen könnte, beispielsweise für Gebietskörperschaften, die dazu beitragen, in der breiten Öffentlichkeit Fragen der Gleichstellung von Mann und Frau zu thematisieren, was den in Artikel 2 aufgeführten Zielen entspricht und im Einklang mit der Präambel steht.

    3.6

    Der EWSA begrüßt, dass das Institut von nationalen Behörden und der Zivilgesellschaft unabhängig sein wird (Artikel 5). Der Ausschuss ist gleichwohl der Auffassung, dass es auch von den Gemeinschaftsinstitutionen unabhängig sein sollte, um auch ihnen gegenüber eine objektivere Haltung vertreten zu können. Der EWSA schlägt ferner vor, die Zahl der Vertreter aus der Zivilgesellschaft im Verwaltungsrat zu erhöhen, um eine stärkere Unabhängigkeit des Instituts zu gewährleisten.

    3.6.1

    Der EWSA befürwortet und unterstützt das Prinzip, dass das Institut den Behörden der Mitgliedstaaten gegenüber frei und unabhängig agieren wird. Er ist der Ansicht, dass es vorteilhaft wäre, den Mitgliedern des Beirats die Verantwortung dafür zu übertragen, Informationen rechtzeitig zu sammeln und weiterzugeben (s.u. Ziffer 3.8.2). In diesem Zusammenhang könnten die Einrichtungen eine wichtige Rolle übernehmen, die in den Mitgliedstaaten im Rahmen der Richtlinie zur Neufassung der Richtlinien zur Chancengleichheit ihre Tätigkeit ausüben (15).

    3.7

    Bezüglich der Verwaltungsstruktur des Instituts schätzt der EWSA die Bemühungen, den Verwaltungsrat zur operativen Zentrale zu machen, die in der Lage ist, das Institut so effizient zu leiten, dass dieses auf Veränderungen und Nachfragen flexibel reagieren kann.

    3.7.1

    Der EWSA geht gleichwohl von dem Grundsatz aus, dass die Kommission nur auf Vorschlag der erwähnten Organisationen Mitglieder des Verwaltungsrats als Vertreter der genannten Kreise ernennen kann. Dieser Grundsatz sollte in Artikel 10 Erwähnung finden.

    3.7.2

    Der EWSA betont, dass dazu auf gemeinschaftlicher Ebene eine wirksame und deutliche Vertretung der europäischen Sozialpartner und der entsprechenden NRO, die nach dem Wortlaut der Verordnung „ein legitimes Interesse daran hat, zur Bekämpfung der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts und zur Förderung der Geschlechtergleichstellung beizutragen“, erforderlich ist, damit der Verwaltungsrat in der Lage ist, in angemessener Weise auf die an ihn gestellten Anforderungen zu reagieren, d.h. seinen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten nachzukommen und gleichzeitig eine entsprechende Rückkopplung mit der Zivilgesellschaft zu gewährleisten. Außerdem gibt es keinen Grund, warum nicht Vertreter der Zivilgesellschaft für einen Sitz vorgeschlagen werden sollten. Im Gegensatz zum Usus in den dreiseitigen Gemeinschaftseinrichtungen wird die nationale Ebene der Sozialpartner nicht im Verwaltungsrat vertreten sein. Daher muss, und sei es über diesen Umweg, die aktive Beteiligung der Sozialpartner und der entsprechenden NRO gewährleistet werden.

    3.7.3

    Der EWSA fordert deshalb dringend eine Erhöhung der Mitgliederzahl im Verwaltungsrat. Seines Erachtens wäre es angemessen, ihre Anzahl auf jeweils sechs Vertreter jeder Seite (Rat, Kommission, Sozialpartner und entsprechende NRO auf Gemeinschaftsebene) zu erhöhen. Jede in Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a-c genannte Organisation könnte dann seine Kandidaten so auswählen, dass eine ausgewogene Vertretung von Männern und Frauen gewährleistet ist. Die erwähnten drei Organisationen sollten somit über je zwei Sitze verfügen.

    3.7.4

    Ebenso gibt es keinen Grund dafür, dass die Vertreter der Sozialpartner und der NRO nicht stimmberechtigt sein sollen. Um eine größere Unabhängigkeit des Instituts sowie die Autonomie und Objektivität seiner Aktivitäten zu gewährleisten, ersucht der EWSA die Kommission, jeder Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisation und den betreffenden NRO volles Stimmrecht zu gewähren. Dies steht im Einklang mit Absatz 4, in dem es heißt, dass „jedes Mitglied des Verwaltungsrats bzw., in dessen Abwesenheit, dessen Stellvertreter … über eine Stimme“ verfügt.

    3.7.5

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Direktoren der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, des Europäischen Zentrums für die Förderung der Berufsbildung sowie der Europäischen Grundrechteagentur unter Umständen die Möglichkeit haben sollten, direkt als Beobachter an den Sitzungen des Verwaltungsrats teilzunehmen (Artikel 10 Absatz 11); der Institutsdirektor sollte ebenfalls die Möglichkeit haben, im Namen des Verwaltungsrats oder aufgrund einer Übereinkunft im gegenseitigen Einvernehmen an den Sitzungen dieser Institutionen teilzunehmen.

    3.8

    Der EWSA respektiert, dass die Funktion des Beirats darin besteht, den Mitgliedstaaten die Hinzuziehung kompetenter Einrichtungen und den Aufbau eines Sachverständigennetzes zu ermöglichen. Dieses Organ verfügt nach Artikel 12 über keinerlei Entscheidungsbefugnis innerhalb des Instituts. Es ist daher unnötig hervorzuheben, dass die drei Mitglieder, die die interessierten Kreise auf europäischer Ebene vertreten, kein Stimmrecht haben. Es stellt sich ebenso die Frage, warum diese Vertreter von der Kommission ernannt werden. Es wäre eher angezeigt, dass sie direkt von den in Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a-c erwähnten Organisationen ernannt werden.

    3.8.1

    Es muss ein Weg gefunden werden, eine ausgewogene Verteilung von Männern und Frauen im Beirat zu gewährleisten.

    3.8.2

    Wie in Ziffer 3.6.1 beschrieben, sollten die Mitglieder des Beirates die Verantwortung bei der Realisierung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden ihrer Länder und dem Institut tragen (Artikel 12 Absatz 4).

    3.9

    Der EWSA hat Vorbehalte bezüglich der finanziellen Ausstattung des Instituts. In der Erklärung des Rates, die unter Ziffer 2.3 der vorliegenden Stellungnahme erwähnt wurde, gibt es Anzeichen für Widersprüche: Das Bemühen um die Erbringung eines Mehrwerts bedeutet, anspruchsvolle Aufgaben bei Einhaltung der Haushaltsneutralität zu erfüllen.

    3.9.1

    Es ist vorgesehen, dass die Finanzierung des Instituts teilweise aus den Finanzmitteln des Programms PROGRESS erfolgt. In Absatz 3.6 der Begründung des Verordnungsentwurfs heißt es: „Die Tätigkeit des Instituts wird sich unterscheiden von der im Rahmen der Geschlechtergleichstellungskomponente des Programms PROGRESS (2007-2013) geplanten Tätigkeit …“ Der EWSA erkennt darin ein Argument, das seine in der Stellungnahme zum Programm PROGRESS vertretene Position stützt:

    „Der EWSA regt in diesem Zusammenhang an, die für das Gender Institut veranschlagten Mittel bei der Erstellung des globalen PROGRESS-Finanzrahmens nichtwie allem Anschein nach beim vorliegenden Entwurf geschehenbudgetmindernd in Rechnung zu stellen, sondern eine eigenständige Finanzierung vorzusehen.“  (16)

    3.9.2

    Der EWSA empfiehlt deshalb, dass die für die Tätigkeiten und das reibungslose Funktionieren des Instituts erforderlichen Finanzmittel bei den Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau der Europäischen Union berücksichtigt werden und dass diese Mittel zumindest schrittweise zugeteilt werden, so dass das Institut in der Lage ist, die ihm übertragenen Aufgaben in rechtlicher und finanzieller Sicherheit zu erfüllen.

    3.9.3

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Konzentration der Arbeiten zur Gleichstellung von Mann und Frau an einer Stelle sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene zu Einsparungen führt. Die für das Programm PROGRESS veranschlagten Haushaltsmittel sollten demnach nicht um diese Beträge gekürzt werden, sondern im Gegenteil, falls keine Entscheidung über eine eigenständige Finanzierung des Instituts zustande kommt, angehoben werden.

    3.9.4

    Die Schaffung dieses Instituts darf keinesfalls als Vorwand dienen, Mittel für andere Institutionen, insbesondere für die Stiftung in Dublin zu kürzen, die sich unter anderem auch mit den Problemen der Chancengleichheit auseinandersetzt.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Alle in diesem Dokument enthaltenen Bezeichnungen von Positionen und Funktionen beziehen sich gleichermaßen auf Männer und Frauen.

    (2)  Stellungnahme des EWSA vom 10.12.2003: „Gleichstellung von Frauen und Männern - Förderprogramm europäischer Organisationen“, Berichterstatterin: Frau WAHROLIN; ABl. C 80 vom 30.3.2004;

    Stellungnahme des EWSA vom 3.6.2004: „Gleichbehandlung von Frauen und Männern/Zugang zu Gütern und Dienstleistungen“, Berichterstatterin: Frau CAROLL; ABl. C 241 vom 28.9.2004;

    Stellungnahme des EWSA vom 15.12.2004: „Neufassung Gemeinschaftsrecht Gleichbehandlung“, Berichterstatterin: Frau SHARMA (CESE 1641/2004);

    Stellungnahme des EWSA vom 9.2.2005: „10 Jahre nach Peking: Fortschritte bei der Gleichstellung von Mann und Frau“, Berichterstatterin: Frau FLORIO; ABl. C 221 vom 8.9.2005.

    (3)  KOM(2005) 44.

    (4)  Die Benennung stimmt nicht mit der offiziellen tschechischen Übersetzung überein - siehe den Kommentar über den Institutsnamen unter Ziffer 3.4.

    (5)  Dubliner Stiftung, die Agentur in Bilbao, CEDEFOP, die Agentur für Grundrechte.

    (6)  Vgl. Fußnote 3, die sich auf Ziffer 3.4 bezieht.

    (7)  Pressemitteilung der Europäischen Kommission IP/05/266 vom 8.3.2005, veröffentlicht lediglich in englischer, französischer und deutscher Sprache.

    (8)  „Rôle dun futur Institut européen du genre“ (Die Rolle eines zukünftigen europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen), Studie für das Europäische Parlament, endgültiger Bericht vom 15.6.2004.

    (9)  Rat der EU, Pressemitteilung 9507/04 vom 1./2.6.2004.

    (10)  Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes des Europäischen Rates vom 17./18. Juni 2004, Artikel 45 Absatz 11.

    (11)  Berichterstatterin: Frau FLORIO, Ziffer 4; ABl. C 221 vom 8.9.2005.

    (12)  Ebd., Ziffer 6, Schlussfolgerungen und Arbeitsvorschläge.

    (13)  KOM(2002) 718 vom 11.12.2002.

    (14)  KOM(2005) 59 vom 25.2.2005.

    (15)  KOM(2004) 279 vom 21.4.2004.

    (16)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 6.4.2005 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität - PROGRESS“, Berichterstatter: Herr GREIF ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 39.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/34


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Nördliche Dimension und ihr Aktionsplan“

    (2006/C 24/11)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Nördliche Dimension und ihr Aktionsplan“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2005 an. Berichterstatter war Herr HAMRO-DROTZ.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 163 gegen 2 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    Im Jahre 1999 hat die Europäische Union die Politik der Nördlichen Dimension (ND) in ihr Programm aufgenommen. Sie ist Teil ihrer Politik der Außenbeziehungen, deren Ziel es ist, den Wohlstand in Nordeuropa durch regionale grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu verbessern. Zur Nördlichen Dimension gehören der Ostseeraum und das Polargebiet. Die ND wird im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) mit Russland sowie des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR — Norwegen, Island) umgesetzt. Nach der Erweiterung der Europäischen Union hat die Nördliche Dimension die Zusammenarbeit mit Russland, insbesondere mit den nordwestlichen Regionen des Landes, intensiviert.

    Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind durch die Verabschiedung des Konzepts der „Vier gemeinsamen Räume“ enger geworden. Im Mai 2005 wurde hinsichtlich der Vorgehensweise bei der Schaffung dieser gemeinsamen Räume eine Übereinkunft erzielt (die „Fahrpläne“). Gegenwärtig steht Russland ebenfalls in Verhandlungen über eine Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO), die den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland erleichtern würde. Die allgemeine Entwicklung der Beziehungen EU-Russland verleiht auch der Nördlichen Dimension weitere Impulse.

    Es ist vorgesehen, die Nördliche Dimension stärker an die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland zu koppeln. Dieser Gedanke ist in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 16./17. Juni 2005 festgehalten: „Der Europäische Rat begrüßt die Ergebnisse des 15. Gipfeltreffens EU-Russland, das am 10. Mai 2005 stattgefunden hat, und insbesondere die Annahme der Fahrpläne für die Schaffung der vier gemeinsamen Räume ... Durch ihre Umsetzung kann die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Russland sowie die regionale Zusammenarbeit insbesondere im Rahmen der Nördlichen Dimension vertieft werden.“

    Auf die Nördliche Dimension wird auch in den Fahrplänen der EU und Russlands für die Schaffung der gemeinsamen Räume, insbesondere in Bezug auf den gemeinsamen Wirtschaftsraum, verwiesen: „... Die Durchführung von Maßnahmen im gemeinsamen Wirtschaftsraum und die innerhalb regionaler Organisationen und im Rahmen regionaler Initiativen gemeinsam ermittelten Prioritäten, wie Ostseerat, Nördliche Dimension usw. werden Berücksichtigung finden.“

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss im Frühjahr 2005 in Fortführung seiner früheren Arbeiten zur Nördlichen Dimension eine Stellungnahme zur Nördlichen Dimension auszuarbeiten. Diese Stellungnahme bildet den Beitrag des EWSA für die ND-Ministerkonferenz, die im November 2005 stattfinden wird.

    1.   Ziele und Prioritäten des Zweiten Aktionsplans für die Nördliche Dimension 2004-2006

    1.1

    Der Zweite Aktionsplan für die Nördliche Dimension (NDAP II) (1) trat im Januar 2004 in Kraft.

    1.2

    Der NDAP II erstreckt sich auf fünf vorrangige Bereiche:

    Wirtschaft, Unternehmen und Infrastruktur;

    Humanressourcen, Bildung, wissenschaftliche Forschung und Gesundheit;

    Umwelt, Nuklearsicherheit und natürliche Ressourcen;

    grenzüberschreitende Zusammenarbeit und regionale Entwicklung;

    Justiz und Inneres.

    1.3

    Besondere Aufmerksamkeit wird im Aktionsplan spezifischen Regionen wie Kaliningrad und der arktischen Region gewidmet. Der Plan fördert gemeinsame Maßnahmen aller beteiligten Partner zur Stärkung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik.

    1.4

    Im NDAP II werden verschiedene mögliche Maßnahmen in diesen Bereichen aufgezeigt, deren praktische Umsetzung den interessierten Beteiligten überlassen wird. Die Nördliche Dimension verfügt über kein eigenes Budget, sondern wird aus verschiedenen EU-Programmen (z.B. TACIS), durch die Regierungen der betroffenen Länder sowie die internationalen Finanzinstitutionen — die Nordische Investitionsbank (NIB), die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) etc. — finanziert.

    1.5

    Die Europäische Kommission erstellt jedes Jahr einen Bericht über den Stand der Umsetzung des Zweiten Aktionsplans für die Nördliche Dimension. Im Jahresbericht 2004 wird auf zahlreiche in den fünf vorrangigen Bereichen durchgeführte Maßnahmen verwiesen. Der Bericht nimmt auch Bezug auf die Schlussfolgerung des EWSA, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft wenig Kenntnis von den Aktivitäten der Nördlichen Dimension haben, und ruft zu einer besseren Informationspolitik in der Öffentlichkeit sowie zu verstärkter Einbeziehung der regionalen Organisationen in die Umsetzung und Überprüfung der Aktivitäten der Nördlichen Dimension auf.

    1.6

    Die Umsetzung des Zweiten Aktionsplans für die Nördliche Dimension wird jedes Jahr einer Überprüfung unterzogen: Im Jahr 2004 fand eine Zusammenkunft hoher Beamter statt, 2005 wurde eine Ministerkonferenz einberufen, und eine weitere Zusammenkunft hoher Beamter ist für das zweite Halbjahr 2006 vorgesehen.

    2.   Die Nördliche Dimension und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)

    2.1

    Im NDAP II wird um die Mitwirkung des EWSA bei der Umsetzung des Aktionsplans gebeten: „Um für eine umfassende Beteiligung zivilgesellschaftlicher Gruppen am Überprüfungsprozess im Rahmen des Aktionsplans zu sorgen, wäre es auch hilfreich, wenn der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in der Lage wäre, jährliche Foren über die Umsetzung des Aktionsplans zu veranstalten, in denen Vertreter der im Ausschuss vertretenen sozialen und wirtschaftlichen Organisationen zusammenkommen.“  (2)

    2.2

    Diesem Ersuchen liegen die früheren Beiträge des EWSA zugrunde, d.h. die Stellungnahmen „Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Ostsee-Anrainerstaaten“ (3), „Die Nördliche Dimension der EU einschließlich der Beziehungen zu Russland“ (4), „Die Nördliche Dimension: Aktionsplan für die Nördliche Dimension in den externen und grenzüberschreitenden Politikbereichen der Europäischen Union für den Zeitraum 2000-2003“ (5) und „Die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Russland: Wie geht es weiter?“ (6); ferner die Erklärungen des EWSA anlässlich der Ministerkonferenzen 1999, 2001 und 2002 sowie die Schlussfolgerungen zweier Foren zur Nördlichen Dimension, die der EWSA in den Jahren 2001 und 2003 durchführte.

    2.3

    Der EWSA entsprach der Bitte der Kommission und beschloss, Informationen über die Standpunkte der zivilgesellschaftlichen Organisationen zu folgenden Aspekten einzuholen:

    Wie hoch ist der Bekanntheitsgrad des Zweiten Aktionsplans bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen, und in welchem Maße sind sie in seine Umsetzung einbezogen (entweder auf Ersuchen oder auf eigene Initiative)?

    Wie lauten die Standpunkte und Empfehlungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen hinsichtlich der Inhalte des Zweiten Aktionsplans und seiner Umsetzung?

    2.4

    Die Standpunkte der zivilgesellschaftlichen Organisationen wurden 2004 mittels eines Fragebogens erfasst, der den EWSA-Partnerorganisationen in den betroffenen Staaten zugesandt wurde. Des Weiteren wurden Informationsreisen nach Gdansk, Kaliningrad und Riga unternommen.

    3.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen des EWSA im Jahre 2004

    3.1

    Der EWSA war auf dem Treffen hochrangiger Beamter im Oktober 2004 vertreten und formulierte in einem Bericht zu diesem Treffen Schlussfolgerungen und Empfehlungen (7).

    3.2

    Folgende allgemeine Schlussfolgerungen lassen sich in Bezug auf die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Zweiten Aktionsplan ziehen:

    Die Nördliche Dimension ist allgemein kaum bekannt.

    Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind kaum an der Umsetzung des Aktionsplans beteiligt.

    An der Kontrolle der Umsetzung wirken sie (mit Ausnahme der Aktivitäten des EWSA) nicht mit.

    In den „alten“ EU-Mitgliedstaaten der Region scheint die Situation in dieser Hinsicht erfreulicher zu sein als in den übrigen Staaten.

    Die kontaktierten zivilgesellschaftlichen Organisationen sind allgemein daran interessiert, mehr Informationen über die Nördliche Dimension und das Aktionsprogramm zu erhalten, auf nationaler und europäischer Ebene stärker an Projekten beteiligt zu werden sowie an den Kontrollmechanismen mitzuwirken.

    Nach Auffassung des EWSA sollte gezielt darauf hingearbeitet werden, den zivilgesellschaftlichen Organisationen mehr Informationen über das Aktionsprogramm zukommen zu lassen und sie stärker in Umsetzung und Kontrolle einzubeziehen.

    Der EWSA hat auch künftig für Informations- und Kontrollmaßnahmen auf europäischer Ebene seine Unterstützung angeboten, möchte jedoch gleichzeitig betonen, dass Aktivitäten im Zusammenhang mit der ND vorrangig auf subregionaler, nationaler und lokaler Ebene angesiedelt werden sollten, um die betroffenen Behörden sowie die interessierten zivilgesellschaftlichen Organisationen in eine konstruktive Interaktion einzubeziehen.

    Der EWSA unterstützt den im Zweiten Aktionsplan festgelegten Grundsatz, wonach die Vertreter der Zivilgesellschaft zur Teilnahme an den jährlichen Treffen hochrangiger Beamter ermuntert werden sollen (8).

    Die EU sollte überdies während der Laufzeit des Zweiten Aktionsprogramms einige zusätzliche Aspekte in Betracht ziehen:

    Das Profil der Nördlichen Dimension sollte in den Beziehungen EU/Russland und bei der Entwicklung der neuen Nachbarschaftspolitik der EU stärker hervorgehoben werden.

    Eine Konferenz zur Nördlichen Dimension könnte in der Region (einschließlich Kaliningrad) organisiert werden (zivilgesellschaftliche Organisationen in der Region würden davon in hohem Maße profitieren).

    Die Regelungen zur Finanzierung kleiner Projekte müssten erleichtert werden, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region stärker fördern zu können.

    Über die für Projekte im Zusammenhang mit der Nördlichen Dimension zur Verfügung stehenden EU-Mittel müsste besser aufgeklärt werden (viele zivilgesellschaftliche Organisationen haben große Schwierigkeiten, Finanzierungsmöglichkeiten ausfindig zu machen).

    Die EIB und andere Finanzierungsmöglichkeiten, die bei möglichen Projekten im Zusammenhang mit der Nördlichen Dimension von Nutzen sein könnten, müssten in der Region (einschließlich Kaliningrad) mehr bekannt gemacht werden.

    Eine angemessene Berücksichtigung der Nördlichen Dimension ist bei der Vorbereitung des neuen Finanzrahmens der EU für 2007-2013 in Erwägung zu ziehen.

    3.3

    Diese Empfehlungen sind nach wie vor relevant.

    4.   Die Pflege der Kontakte des EWSA zu zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von der Nördlichen Dimension betroffen sind

    4.1

    Der EWSA brachte in seinem Jahresbericht 2004 seine Absicht zum Ausdruck, sowohl zu der Ministerkonferenz 2005 als auch — auf Grundlage der gleichen Kriterien wie 2004 — zu dem Treffen hochrangiger Beamter 2006 einen Beitrag zu leisten.

    4.2

    Innerhalb der neu gebildeten Osteuropa-Kontaktgruppe führte der EWSA seine Aktivitäten im Bereich der Nördlichen Dimension fort. Die Kontaktgruppe besteht aus Mitgliedern des EWSA und befasst sich mit Aktivitäten des Ausschusses in Bezug auf osteuropäische Länder. Mit diesen Aktivitäten sollen die EU-Politik unterstützt und die Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern verbessert werden. In diesem Zusammenhang sollen der Standpunkt der zivilgesellschaftlichen Organisationen vermittelt sowie direkte Kontakte zu den zivilgesellschaftlichen Akteuren in diesen Ländern hergestellt werden.

    4.3

    Der EWSA hat mittels eigener Kontakte und unter Nutzung des Informationssystems der Kommission über die Nördliche Dimension Informationen über die Nördliche Dimension verbreitet.

    4.4

    Der EWSA hat im Rahmen der Erarbeitung der Stellungnahme im Juni 2005 einen Fragebogen an ca. 100 zivilgesellschaftliche Organisationen verschickt. Bei der Erarbeitung der Stellungnahme zum Thema „EU-Russland“ hat der Ausschuss die Nördliche Dimension ebenfalls mit zivilgesellschaftlichen Organisationen Russlands erörtert. Deshalb spiegeln die Schlussfolgerungen in dieser Stellungnahme auch die Ansichten der zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Partnerländern wider.

    5.   Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der 2005 durchgeführten Erhebung des EWSA

    5.1   Allgemeines Wissen über die Nördliche Dimension

    5.1.1

    Die Erhebung über den allgemeinen Bekanntheitsgrad des NDAP II in der Öffentlichkeit wurde im Juni 2005 durchgeführt. Die Fragebögen wurden verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft zugesandt, die in den Ländern tätig sind, die hauptsächlich von den Maßnahmen des Aktionsplans abgedeckt werden (die baltischen und nordischen Länder, Deutschland, Russland einschließlich Kaliningrad sowie Polen). Die Bögen enthielten Fragen zu denselben Aspekten, die auch im vergangenen Jahr Gegenstand einer Erhebung gewesen waren: a) Wie hoch ist der Bekanntheitsgrad der Nördlichen Dimension und des NDAP II bei den Akteuren der Zivilgesellschaft? b) Wie lautet der Standpunkt der zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Nördlichen Dimension? und c) Inwieweit werden die Organisationen der Zivilgesellschaft in die Umsetzung und Überwachung des NDAP II einbezogen?

    5.1.2

    Nur 20 der Fragebögen wurden zurückgesandt, was ein Anzeichen dafür ist, dass die Nördliche Dimension und der NDAP II allgemein immer noch kaum bekannt sind. Dies wurde durch die Ergebnisse der Fragebögen weiter bestätigt: während die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen angaben, über eine gewisse Kenntnis der Nördlichen Dimension und des NDAP II zu verfügen, waren nur in sehr wenigen Fällen klare und tiefer gehende Kenntnisse über den NDAP II festzustellen. Ein Drittel der Organisationen der Zivilgesellschaft gab an, von der Nördlichen Dimension und dem NDAP II gehört zu haben, hatte jedoch offenkundig nur eine begrenzte Vorstellung von den Zielen und Inhalten.

    5.1.3

    Einigen Akteuren schienen die wenigen öffentlich-privaten Partnerschaften (PPP) in der Nördlichen Dimension bekannt zu sein, vor allem die Umweltpartnerschaft (NDEP). Auch sind einige zivilgesellschaftliche Organisationen durch die verschiedenen regionalen Organisationen im Ostseeraum, namentlich den Ostseerat (Council of Baltic Sea States — CBSS), auf die Nördliche Dimension aufmerksam geworden. Ferner haben die Netzwerke der Arbeitgeberverbände (Business Advisory Council, BAC — Wirtschaftsberatungsorgan) und der Gewerkschaftsvereinigungen (Baltic Sea Trade Union Network, BASTUN) dazu beigetragen, die Nördliche Dimension bei ihren Mitgliedern bekannt zu machen.

    5.1.4

    Von einigen Akteuren wird der NDAP II als ein Programm angesehen, das nicht die Organisationen der Zivilgesellschaft betrifft, sondern vielmehr als politisches Projekt für die regionale Zusammenarbeit zwischen den Regierungen und den zuständigen Behörden konzipiert ist. Diese Sichtweise scheint trotz der Bemühungen der Kommission, die Öffentlichkeit durch die Initiative des Informationssystems für die Nördliche Dimension besser zu informieren, nach wie vor verbreitet zu sein.

    5.2   Unterrichtung zivilgesellschaftlicher Organisationen über die Maßnahmen der Nördlichen Dimension und Einbeziehung in deren Umsetzung durch die Lokalbehörden

    5.2.1

    Aus der Auswertung der Fragebögen geht eindeutig hervor, dass es seitens der Regierungen, Behörden oder sonstiger Verbände bislang sehr wenige Initiativen gegeben hat, die Organisationen der Zivilgesellschaft über den NDAP II zu informieren und sie in dessen Umsetzung einzubeziehen. Nur wenige der eingegangenen Antworten bestätigten ein solches Engagement. In einigen Ländern haben die zuständigen Behörden jedoch Seminare und Workshops über die Umsetzung des NDAP II durchgeführt. Dies gilt ebenfalls für regionale Stellen.

    5.2.2

    Nur einige wenige zivilgesellschaftliche Organisationen wurden auf eigenes Betreiben hin in die Umsetzung des NDAP II einbezogen. Dies war der Fall bei Maßnahmen in Zusammenhang mit der Verbesserung der Investitionsbedingungen im Gebiet der Nördlichen Dimension, der Zusammenarbeit mit anderen Verbänden in den Ländern der Nördlichen Dimension, der Debatte über die Zukunft der Nördlichen Dimension sowie allgemein bei der Verfolgung der Entwicklungen im Bereich der Nördlichen Dimension.

    5.3   Allgemeine Meinung über die Nördliche Dimension und den NDAP II

    Insgesamt herrscht über die Nördliche Dimension und den NDAP II eine recht positive Meinung, wenn auch mit einigen Ausnahmen. Die meisten zivilgesellschaftlichen Organisationen bewerteten die Nördliche Dimension und den NDAP II positiv oder relativ positiv, wenige Organisationen äußerten sich negativ, und einige gaben — in erster Linie aufgrund mangelnden Wissens über die Maßnahmen der Nördlichen Dimension und des NDAP II — keine Meinung dazu ab.

    5.4   Die wichtigsten Bereiche des NDAP II

    Es scheint allgemeines Einvernehmen hinsichtlich der Frage zu herrschen, welche Bereiche des NDAP II für die Länder, in denen die zivilgesellschaftlichen Organisationen tätig sind, die größte Bedeutung haben. Die Bereiche Wirtschaft, Unternehmen und Infrastruktur, Umwelt, Nuklearsicherheit und natürliche Ressourcen sowie grenzüberschreitende Zusammenarbeit und regionale Entwicklung wurden von den Organisationen der Zivilgesellschaft als die wichtigsten Bereiche innerhalb des NDAP II angegeben. Die Bereiche Justiz und Inneres, Kaliningrad und arktische Zusammenarbeit sind den zivilgesellschaftlichen Organisationen offenbar weniger wichtig.

    Bereiche des NDAP II

    Anzahl der Erwähnungen

    Wirtschaft, Unternehmen und Infrastruktur

    **************

    Humanressourcen, Bildung, wissenschaftliche Forschung und Gesundheit

    ******

    Umwelt, Nuklearsicherheit und natürliche Ressourcen

    ************

    grenzüberschreitende Zusammenarbeit und regionale Entwicklung

    **********

    Justiz und Inneres

    ***

    Kaliningrad

    *****

    Arktische Zusammenarbeit

    ****

    5.5   Prioritäre Maßnahmen

    Die Organisationen der Zivilgesellschaft waren der Auffassung, dass folgende Maßnahmen innerhalb der oben genannten Bereiche vorrangig behandelt werden sollten:

    Arbeitsmarktfragen, Beschäftigung und sozialer Dialog

    Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen

    Unterstützung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen

    Verbesserung der Bedingungen für grenzüberschreitende Investitionen

    Verknüpfung von Infrastruktur und Ausbau der Verkehrsnetze.

    Ferner betonten die zivilgesellschaftlichen Organisationen die Notwendigkeit weiterer ergänzender Maßnahmen:

    Maßnahmen zur Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure in die Umsetzung des NDAP II

    Einrichtung von Strukturen für die Umsetzung des NDAP II

    Bereitstellung ausreichender Mittel für den NDAP II

    Verbreitung von Fortschrittsberichten über die Umsetzung des NDAP II.

    6.   Empfehlungen des EWSA zur Nördlichen Dimension

    6.1

    Der EWSA unterstützt die Fortführung der regionalen Zusammenarbeit in Nordeuropa im Wege strukturierter, multilateraler und grenzüberschreitender Zusammenarbeit, die sich auch auf Nicht-EU-Staaten der Region erstreckt. Die Nördliche Dimension scheint im Hinblick auf dieses Ziel ein geeigneter Rahmen zu sein.

    6.2

    Der EWSA befürwortet Bestrebungen zur Verknüpfung der Nördlichen Dimension mit der Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland und den „Vier gemeinsamen Räumen“. In seiner jüngst verabschiedeten Stellungnahme zum Thema „Beitrag der Zivilgesellschaft zu den Beziehungen zwischen der EU und Russland“ (9) bemerkt der EWSA in Ziffer 3.2.5: „Ferner wäre gemeinsam mit Russland ... über eine Erneuerung der regionalen Zusammenarbeitim Rahmen der Nördlichen Dimension ...zu verhandeln. Der Ausschuss stellt mit Zufriedenheit fest, dass dieser Aspekt in den Fahrplänen gebührend gewürdigt wird und fordert zu weiteren Schritten auf, um die regionale Zusammenarbeit als Teil der Beziehungen EU/Russland auszubauen.

    6.3

    Eine erfolgreiche regionale Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension würde voraussetzen, dass Russland angemessen bei der Vorbereitung und Umsetzung der künftigen Politik der Nördlichen Dimension mitwirkt. Die Einrichtung von Verfahren für die Zusammenarbeit in diesem Bereich — beispielsweise eines gemeinsamen Lenkungsgremiums — sollte erwogen werden, wobei auch andere Nicht-EU-Länder der Region Berücksichtigung finden sollten.

    6.4

    Der EWSA bekräftigt die Empfehlungen aus seiner Stellungnahme zu den EU-Russland-Beziehungen, wonach den Angelegenheiten der Zivilgesellschaft in den Fahrplänen für die Beziehungen EU/Russland ein höherer Stellenwert beigemessen werden und eine Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure in die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland angestrebt werden sollte. Unter anderem sollte über Möglichkeiten nachgedacht werden, im Rahmen der künftigen Verfahren der Nördlichen Dimension eine strukturierte Konsultation zivilgesellschaftlicher Organisationen einzurichten.

    6.5

    Die fünf Bereiche der Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension sind relevant für die Zukunft. Vor allem sollten die positiven Erfahrungen mit dem Konzept der Partnerschaften innerhalb der Nördlichen Dimension (Umweltpartnerschaft, Partnerschaft im Bereich Soziales und Gesundheit sowie im Bereich der Informationstechnologie) genutzt werden. In dieser Hinsicht sollte ernsthaft über die Schaffung von Partnerschaften in folgenden Bereichen nachgedacht werden:

    Infrastruktur und Logistik

    Beschäftigung, Humanressourcen und Soziales, einschließlich des zivilen Dialogs

    grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Zusammenarbeit zwischen den Völkern, einschließlich Jugendpolitik, Bildung und Kultur.

    6.6

    Den bestehenden regionalen Gremien im Ostseeraum, insbesondere dem Ostseerat, sollte im nächsten Aktionsplan für die Nördliche Dimension eine zentrale Rolle zukommen. In diesem Zusammenhang würden die Organisationen der Zivilgesellschaft eine faire Chance erhalten, über ihre eigenen Netzwerke der regionalen Zusammenarbeit und durch ihre bestehenden Kontakte zu den genannten Gremien an der Nördlichen Dimension mitzuwirken und einen Beitrag dazu zu leisten.

    6.7

    Der EWSA bekräftigt seine im Jahr 2004 geäußerte Empfehlung, wonach eine stärkere Verbreitung öffentlicher Informationen über die Nördliche Dimension stattfinden sollte. Zu diesem Zweck muss dem Informationssystem der Nördlichen Dimension ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Der EWSA betont ferner, dass die Informationsverbreitung vor allem auf nationaler und lokaler Ebene erfolgen sollte, da sie in den Zuständigkeitsbereich der Regierungen und zuständigen Stellen in den betroffenen Staaten fällt. Eine bessere Informationspolitik würde ein breiteres Interesse für die Nördliche Dimension wecken und zivilgesellschaftliche Akteure ermuntern, sich verstärkt zu beteiligen und einzubringen.

    6.8

    Über die Finanzierung der Partnerschaften im Rahmen der Nördlichen Dimension sollte von Fall zu Fall entschieden werden, und auch den Regierungen sowie den internationale Finanzinstitutionen (IFI) sollte in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zukommen. Auch die Finanzierungsinstrumente Norwegens und des EWR könnten insbesondere für die Förderung gemeinsamer Maßnahmen der Nördlichen Dimension mit grenzüberschreitendem Bezug von Nutzen sein. Das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) sollte ab Anfang 2007 zur Anwendung kommen.

    6.9

    Der EWSA wird seine Tätigkeit in Zusammenhang mit der Nördlichen Dimension fortsetzen und beabsichtigt, einen Beitrag zu dem Treffen hochrangiger Beamter im Jahr 2006 zu leisten. In diesen Beitrag werden gegebenenfalls auch Schlussfolgerungen einfließen, die sich aus Gesprächen des Ausschusses mit Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen in den Partnerländern ergeben haben. Der EWSA wäre bereit, sich konstruktiv an weiteren Überlegungen zur künftigen Umsetzung der Nördlichen Dimension zu beteiligen.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Quelle: NDAP II, unter: http://europa.eu.int/comm/external_relations/north_dim/ndap/com03_343.pdf.

    (2)  KOM(2003) 343 endg., 10.6.2003, S. 16.

    (3)  ABl. C 73 vom 9.3.1998, S. 57.

    (4)  ABl. C 368 vom 20.12.1999, S. 39.

    (5)  ABl. C 139 vom 11.5.2001, S. 42.

    (6)  ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 39.

    (7)  EWSA-Bericht 2004 zu den Ergebnissen des Zweiten Aktionsplans Nördliche Dimension (NDAP II).

    (8)  KOM(2003) 343 endg., S. 16.

    (9)  ABl. C 294 vom 25.10.2005, S. 21.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/39


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bessere Rechtsetzung“

    (2006/C 24/12)

    Am 7. Februar 2005 ersuchte Dr. Denis McSHANE, Staatsminister für Europafragen des Vereinigten Königreichs, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, im Namen des britischen EU-Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Bessere Rechtsetzung“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juli 2005 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 105 gegen 3 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

    1.1   Was bedeutet eine bessere Rechtsetzung?

    1.1.1

    Die Forderung nach einer besseren Rechtsetzung geht von der gesamten Gesellschaft aus, und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss trägt diese Forderung weiter, indem er bei den europäischen Institutionen und den Regierungen die Bedürfnisse der Zivilgesellschaft, der Adressaten der Rechtstexte, geltend macht.

    1.1.2

    Eine bessere Rechtsetzung setzt vor allem das Bemühen voraus, sich in den Personenkreis hineinzuversetzen, der die Rechtsnorm anzuwenden hat. Aus diesem Grund ist ein partizipatorisches Verfahren unerlässlich, in dessen Rahmen die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Sozialpartner und die unmittelbar von einem Legislativvorhaben betroffenen Kreise vorab konsultiert, die Repräsentativität der Organisationen der Zivilgesellschaft berücksichtigt werden und bei dem konstruktiv auf die Ressourcen und Fähigkeiten der beratenden Gremien zurückgegriffen wird.

    1.1.3

    Eine bessere Rechtsetzung bedeutet auch, weniger Rechtsvorschriften zu erlassen, gegen eine Inflation von Rechtsvorschriften vorzugehen und den Besitzstand zu vereinfachen, da ein Zuviel an Rechtsvorschriften zu einem undurchdringlichen Gesetzesdschungel führt, der wiederum Ursprung von Handelshemmnissen ist; und schließlich bedeutet eine bessere Rechtsetzung auch, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Rechtsvorschrift wirksam und einfach umgesetzt werden kann.

    1.1.4

    Eine bessere Rechtsetzung bedeutet Beschränkung auf das Wesentliche und dabei die angestrebten Ziele klar vor Augen zu haben. Es bedeutet auch eine flexible, anpassungsfähige Gesetzgebung anzustreben, die dennoch eine ausreichende Langlebigkeit aufweist, was Genauigkeit, vor allem aber Stimmigkeit, vom ersten Entwurf bis hin zur Anwendung vor Ort erfordert.

    1.1.5

    Vereinfachung der Rechtsetzung heißt, die Komplexität des Rechts so weit wie möglich zu vermindern, dies ist jedoch nicht zwingend gleichbedeutend damit, die gemeinschaftliche Gesetzgebung drastisch zu verringern oder zu deregulieren, dies stünde im Widerspruch zu den Erwartungen an Rechtssicherheit der Zivilgesellschaft sowie zu dem Verlangen der Wirtschaft, vor allem der KMU, nach Rechtssicherheit und Stabilität.

    1.1.6

    Jede obsolet gewordene Rechtsvorschrift und jeder obsolet gewordene Teil einer Rechtsvorschrift müssen ausdrücklich aufgehoben werden.

    1.2   Wie kann die Qualität des Gemeinschaftsrechts gesteigert werden?

    1.2.1

    Entsprechend der Gesamtzahl und der Komplexität (die zum Beispiel an Hand der Gesamtzeilenzahl, der Gesamtzahl der Bezugnahmen auf frühere Rechtsvorschriften und der daraus entstehenden administrativen Verpflichtungen gemessen werden kann) der in ihre Zuständigkeit fallenden Rechtstexte muss jede Generaldirektion (GD) der Kommission ein dazu im Verhältnis stehendes Vereinfachungsprogramm vorschlagen, das in das Gesamtprogramm der Kommission eingeht. Dabei muss sie angeben, warum die Notwendigkeit zur Vereinfachung besteht und welche voraussichtlichen Auswirkungen diese auf die Adressaten des zur Vereinfachung anstehenden Rechtstextes haben wird. In diesem Programm müssen die für jede Gruppe ausgewählter Texte vorgeschlagenen Maßnahmen (Aufhebung, Änderung, Kodifizierung ...) festgehalten und die Mittel abgeschätzt werden, die für seine Durchführung aufzuwenden sind.

    1.2.2

    Die Kommission stellt in einem konsolidierten Jahresbericht mit dem Titel „Vereinfachung des Besitzstandes und bessere Rechtsetzung“ das von ihr für das betreffende Jahr festgelegte Programm vor und erläutert zum einen, wie weit das Vorjahresprogramm tatsächlich durchgeführt werden konnte, und zum anderen erläutert sie den sich daraus ergebenden Stand ihres fortlaufenden mittelfristigen Vereinfachungsprogramms sowie ihres Arbeitsprogramms. In diesem Bericht werden darüber hinaus die Entwicklungen auf gemeinschaftlicher und nationaler Ebene zur Vereinfachung und Verbesserung der Rechtsetzung analysiert, gegebenenfalls werden neue Vorschläge oder Empfehlungen dazu vorgelegt. Ziel ist es, zu verhindern, dass Berichte und Mitteilungen verteilt werden, die sich inhaltlich überschneiden oder überlappen.

    1.2.3

    Das Initiativrecht zu haben, ist nicht gleichbedeutend mit Neutralität: es beinhaltet einen wesentlichen Einfluss bei der Festlegung der Prioritäten und Ziele der Rechtsetzung, bei der Erstellung der entsprechenden Entwürfe, der Festlegung des Wortlauts und dessen Neuformulierung, wenn der Gesetzgeber Änderungen vornimmt. Bei einem Legislativvorschlag wirken sich Qualität und Angemessenheit des Entwurfs direkt auf die Dauer und den Ausgang des Verfahrens zur Annahme aus. Ist das Vorhaben schlecht vorbereitet, so führt dies für alle beteiligten Organe und Institutionen und alle dazu konsultierten Organisationen zu Zeitverlusten und einem unnötigen Aufwand an Ressourcen.

    1.2.4

    Die Qualität des am Ende des Gesetzgebungsverfahrens verabschiedeten Gesetzestextes und der Umsetzung von Richtlinien wirken sich ebenfalls aus: weisen die Texte Unzulänglichkeiten auf oder führen zu Schwierigkeiten bei der Auslegung, so werden Verfahren vor den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof der Gemeinschaft anhängig gemacht, und den nationalen Verwaltungen und den Rechtsuchenden entstehen Kosten.

    1.2.5

    Die Kommission und der Gesetzgeber sind nicht allwissend; die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten sind sehr komplex und unterliegen ständigen Veränderungen. Wird eine Rechtsvorschrift, deren praktische Wirkung nicht dem verfolgten Ziel entspricht oder deren Durchführung für die Verwaltung oder ihre Adressatengruppe mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist, grundlegend geändert oder weiter ausgestaltet, so bedeutet dies keine Schwächung der Autorität des Gesetzgebers, sondern zeugt vielmehr von politischer Intelligenz, die dazu angetan ist, das Vertrauen der Adressatengruppe zu stärken und für eine bessere Einhaltung der Rechtsvorschrift zu sorgen.

    1.2.6

    Die Evaluierung, die bereits im Vorfeld der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs einsetzt, sollte daher mit der Untersuchung (oder Abschätzung) der Folgen (impact assessment — Folgenabschätzung) enden und messen, wie eine Rechtsvorschrift tatsächlich von den Adressaten aufgenommen werden kann, wie sie sich in den bereits bestehenden Korpus an Rechtstexten einfügt, und die etwaigen Probleme bei der Durchführung.

    1.2.7

    Falls die Kommission Gesetzgebungsvorschläge, die bereits geprüft werden, zurückzieht, sollte sie ihre Entscheidung, das bereits eingeleitete Legislativverfahren einzustellen, begründen und die legislativen und beratenden Organe sowie die Organisationen der Zivilgesellschaft, um deren Stellungnahme ersucht worden war bzw. deren Interessen von diesem Rückzieher betroffen sind, konsultieren.

    1.2.8

    Die ex ante und ex post durchzuführende Gesetzesevaluierung ist nur als pluralistische, partizipatorische Aufgabe denkbar, nur auf diese Weise ist sie politisch und praktisch unstrittig zu legitimieren. Während die Ex-ante-Evaluierung der Ausarbeitung eines Legislativvorschlags vorausgeht und begleitend dazu durchgeführt wird, erfolgt die Ex-post-Evaluierung in zwei Phasen: da ist zunächst einmal die Phase der Umsetzung einer Richtlinie beziehungsweise der Durchführung einer Verordnung, während der bereits erste Schwierigkeiten bezüglich der Akzeptanz und der Ausführung deutlich werden können, und in einer zweiten Phase erfolgt dann die Folgenabschätzung im eigentlichen Sinne nach einem vorher festgelegten Zeitraum der Durchführung vor Ort, bei der unvorhergesehene oder gar unliebsame Folgen festgestellt werden können. Die Folgenbewertung kann eine Rückmeldung (feed back) in Bezug auf die Rechtsvorschrift oder die Durchführungsmodalitäten implizieren (1).

    1.2.9

    Es können negative oder unvorhergesehene Folgen unterschiedlichster Art auftreten, die Bewertung dieser Folgen unter dem Gesichtspunkt unverhältnismäßig hoher Kosten für die Verwaltungen oder die Adressaten der Rechtsvorschrift ist dabei um eine Bewertung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen und gegebenenfalls um eine Abschätzung der Auswirkungen auf die Grundrechte zu ergänzen.

    1.2.10

    Zu bewerten sind die Ausübung der Durchführungsbefugnisse, und zwar sowohl die der bei der Gemeinschaft liegenden (direkte Durchführung, Regulierungskomitologie und Regulierungsbehörden) als auch die der bei den Einzelstaaten liegenden (Ministerien, dezentralisierte Behörden, unabhängige Verwaltungsbehörden), ihre Auswirkungen (von den Adressaten einer Rechtsvorschrift durchzuführende Verwaltungsverfahren, Kosten, Komplexität) und die Wirksamkeit der Kontrolle oder etwaiger Sanktionen. Der Gesetzgeber muss Folgemaßnahmen zu dieser Evaluierung, bei der Regulierung und Ausführung kombiniert werden, durchführen können.

    1.2.11

    Auch die Mitgliedstaaten müssen für die Weiterentwicklung und Verbesserung ihrer eigenen Evaluierungsinstrumente sorgen und dann der Kommission und dem nationalen Gesetzgeber über die Ergebnisse berichten, wobei sie besonders herausstellen, was gelungen ist und welche Probleme aufgetreten sind.

    1.2.12

    Eine wirksame Kontrolle und die Durchführung von Korrekturen werden durch Abstimmung und Information sowie durch den Austausch von Informationen über nationale Vorgehensweisen und deren Wirksamkeit, durch die regelmäßige Veröffentlichung von Umsetzungstabellen — wie im Kommissionsbeschluss vorgesehen — sowie durch den Binnenmarktanzeiger ermöglicht.

    1.2.13

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird seiner im Oktober 2000 eingegangenen Verpflichtung (Verhaltenskodex) gemäß auch weiterhin der Kommission einmal jährlich eine Stellungnahme zu dem Gesamtbericht „Vereinfachung des Besitzstandes und bessere Rechtsetzung“ sowie zu den Mitteilungen und den verschiedenen sektorenbezogenen Berichten der Kommission zur Vereinfachung des Besitzstandes und zur Qualität der Gesetzgebung abgeben.

    1.3   Fazit

    1.3.1

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die Aufgabe, die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft einfacher, stimmiger und einheitlicher zu machen, nicht nur eine Frage der Vorgehensweise und Technik ist, sondern eine sehr politische Frage, die die intensive gemeinschaftliche Mitwirkung aller Organe und eine intensive sowie partizipative Unterstützung durch die organisierte Zivilgesellschaft notwendig macht.

    STELLUNGNAHME

    2.   Einleitung

    2.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist vom britischen Ratsvorsitz um eine Stellungnahme zum Thema „Bessere Rechtsetzung“ ersucht worden; er ist ebenfalls mit einer Stellungnahme zu dem 12. Bericht der Kommission zur Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts befasst worden. Dabei hat er der Mitteilung der Kommission „Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in Europa“ Rechnung getragen, die im Anschluss an die Tagung des Europäischen Rates, die die Neuausrichtung der Lissabonner Strategie zum Thema hatte, erarbeitet wurde. Der Ausschuss hat auch den jüngsten Beschluss der Kommission zur Umsetzung von Richtlinien berücksichtigt.

    2.2

    Durch die Vorschläge des Ausschusses soll die Gemeinschaftsmethode, die auf dem Rechtstaatlichkeitsprinzip (rule of law) basiert und die in dem Entwurf des Verfassungsvertrags bestätigt und konsolidiert und durch ein Verfahren ergänzt wurde, das eine direkte Einbeziehung der Zivilgesellschaft auf der Ebene des über das Vorschlagsrecht verfügenden Organs erlaubt, nicht in Frage gestellt werden. Die Vorschläge des Ausschusses stützen sich im Wesentlichen auf die Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates in Edinburgh (1992), das Weißbuch zum europäischen Regieren, die Lissabon-Strategie (2000-2001) sowie auf die Interinstitutionelle Vereinbarung vom 16. Dezember 2003 und berücksichtigen die im Rahmen der Initiative der sechs Vorsitze und des Rates (Wettbewerbsfähigkeit) begonnene Arbeit.

    2.3

    Der Ausschuss setzt sich in seinen Empfehlungen allerdings nachdrücklich für eine Mitwirkung der Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung von Rechtstexten sowie bei ihrer späteren Evaluierung und Revision ein. Mit seinen Stellungnahmen und Vorschlägen zum Gegenstand und zur Qualität von Legislativvorhaben zielt er darauf ab, auf konstruktive Art und Weise eine Verbesserung des juristischen und administrativen Umfelds für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.

    2.4

    Der EWSA sieht das Erfordernis einer besseren Rechtsetzung und begrüßt jede diesbezügliche Initiative. Er betont jedoch, dass nicht jede Rechtsvorschrift als unzweckmäßig oder hinderlich angesehen werden darf, wenn sich die EU an die Herausforderungen, vor die sie gestellt wird, anpassen soll. Auch könnte der Ausschuss keinen Prozess unterstützen, der dazu führte, dass die Kommission als Hüterin des Gemeinschaftsinteresses und Motor der europäischen Integration auf die Ausübung ihres Initiativrechts und somit darauf verzichtete, zur Schaffung 'einer immer engeren Union der Völker Europas' beizutragen.

    I.   WAS MACHT EINE BESSERE RECHTSETZUNG AUS?

    3.   Bessere Rechtsetzung: eine Gemeinschaftsstrategie, die Priorität genießt

    3.1

    Eine bessere Rechtsetzung ist ein Beitrag zu einer verantwortungsvollen Staatsführung und bedeutet, dass die Vorschriften einfacher und verständlicher werden, was wiederum dazu führt, dass die Zivilgesellschaft sich ein positives Bild von der Fähigkeit der europäischen Institutionen macht, effizient zu handeln; sie ist also ein Weg, das Vertrauen der Zivilgesellschaft in die Rechtsnormen setzenden Institutionen wieder herzustellen.

    3.2

    Zur Zeit ist das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz in Frage gestellt: nicht nur durch die Komplexität und die Vielzahl der geltenden Vorschriften, sondern auch dadurch, dass es schwierig ist, Zugang zum geltenden und zu dem im Entstehen begriffenen Recht zu bekommen; bei der Vereinfachung des Besitzstandes und genauso bei der Ausarbeitung neuer Gesetzesvorhaben muss somit die Forderung nach Verständlichkeit und Zugänglichkeit der Rechtsvorschriften im Vordergrund stehen.

    3.3

    In der 2000 in Nizza feierlich proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union heißt es, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf eine gute Verwaltung haben. Damit dieses Recht aus der Sicht der Zielgruppe, an die es gerichtet ist, auch wirksam wird, müssen folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein: die Adressaten des Legislativvorschlags müssen informiert und einbezogen werden, die Notwendigkeit des Gesetzesentwurfs muss begründet werden, es müssen unabhängige und vertrauenswürdige Experten einbezogen werden, die Grundsätze Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität müssen beachtet werden, die Qualität der Gesetzgebung, ihrer Umsetzung und Anwendung muss gewahrt sein, und es muss auf eine Verringerung des Verwaltungsaufwands hingewirkt werden.

    3.4

    Die vorrangigen Ziele „Vereinfachung des Besitzstandes“ und „Bessere Rechtsetzung“ sowie die zu diesem Zweck ergriffenen Maßnahmen der Gemeinschaft wurden im Hinblick auf eine gute Staatsführung festgelegt, und für ihre Umsetzung müssen ausreichend finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Sie müssen in den Prozess der Ausarbeitung und der Anwendung der Rechtsvorschriften einbezogen werden. Sind sie erst in dem Verfahren verankert, so muss auch auf lange Sicht für politische Unterstützung und eine angemessene Mittelausstattung gesorgt sein.

    3.5

    Die Vereinfachung des Besitzstandes und die Verbesserung der Qualität und der Wirksamkeit der Rechtsetzung sind für die Gemeinschaft zu absolut vorrangigen Zielen geworden, wenn es darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, Wachstum und Beschäftigung zu steigern, auf eine nachhaltige Entwicklung hinzuwirken, die Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger der Union zu verbessern und darüber hinaus die Wirtschaftstätigkeit der europäischen Unternehmen im Binnenmarkt und beim Handel mit Drittländern zu erleichtern.

    3.6

    Die bereits durchgeführten Maßnahmen und eingeleiteten Initiativen sind noch weit davon entfernt, ihre volle Wirkung entfaltet zu haben; der derzeitige mangelnde Erfolg der Lissabon-Strategie, die Feststellungen und Vorschläge des Kok-Berichts und die Neubelebung der Strategie durch den Europäischen Rat führen zwingend dazu, dass die Organe und Institutionen sowie die Mitgliedstaaten eine Neubewertung dieser 1992 eingeleiteten und seit 2001 mit erheblich größerem Nachdruck verfolgten Strategie vornehmen müssen, um die Rechtsetzung und die Anwendung der Rechtsvorschriften zu verbessern.

    3.7

    Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass eine umfassende Neubewertung der Bedürfnisse und der verfügbaren Ressourcen vonnöten ist, auch auf einzelstaatlicher Ebene.

    3.8

    Europa kämpft zur Zeit mit Schwierigkeiten im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und beim Aufbau einer wissensbasierten Wirtschaft, und im politischen Bereich steht es vor Problemen in Bezug auf die Transparenz, die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und die Wirksamkeit der Rechtsvorschriften sowie ihre Akzeptanz bei den Bürgern und der Wirtschaft; deshalb ist es erforderlich, die Vorgehensweise entscheidend zu verbessern, ja, unter bestimmten Gesichtspunkten sogar neu zu definieren, und neue Mittel bereitzustellen, um im Europa der 25 Mitgliedstaaten, das auch für die Zukunft die Aufnahme neuer Mitglieder plant, die Rechtsetzung zu verbessern.

    3.9

    Die beiden Mitteilungen der Kommission, die sie im März 2005 veröffentlicht hat (2), geben eindeutig Aufschluss über die derzeit von ihr verfolgte Strategie. Die beiden Mitteilungen sollen im Laufe des Jahres durch einen Vorschlag für Rahmenbedingungen für Agenturen ergänzt werden. In diesen Rahmenbedingungen sollten nach der Meinung des EWSA lediglich Leitlinien festgelegt und die Autonomie der Agenturen, deren Haushaltsausführung ohnehin bereits durch den Rechnungshof kontrolliert wird und die im Falle eines Rechtsstreits der Kontrolle durch die Justizbehörde unterliegen, nicht beschnitten werden.

    3.10

    In dem Bericht der Kommission „Bessere Rechtsetzung 2004“ (12. Bericht) (3) werden in Erinnerung gerufen: der Aktionsplan der Kommission zur Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds, die Interinstitutionelle Vereinbarung (AII) „Bessere Rechtsetzung“ vom Dezember 2003 (4) und die Strategie der Mitgliedstaaten, die in dem zwischenstaatlichen Programm, das im Mai 2002 von den Ministern für die öffentliche Verwaltung verabschiedet worden ist, festgelegt wurde. In dem Bericht „Bessere Rechtsetzung 2003“ (11. Bericht) (5) hatte die Kommission noch einmal ihre Ziele ausgeführt, die außerdem in acht einschlägigen Mitteilungen (6) noch eingehender erläutert werden.

    3.11

    Der Aktionsplan der Kommission ist zum einen das Ergebnis von Vorberatungen von Experten und ergibt sich zum anderen aus dem Weißbuch der Europäischen Kommission „Europäisches Regieren“ von 2001 sowie aus den Beratungen der Gruppe für die Qualität der Rechtsetzung, die im November 2000 von den Ministern für die öffentliche Verwaltung eingesetzt wurde; es besteht ein relativ breiter Konsens.

    3.12

    Für die Kommission ist die Verbesserung des Besitzstands der Gemeinschaft durch Vereinfachung ein wichtiges Ziel, und sie hat eine Vorgehensweise festgelegt und die notwendigen Mittel bereitgestellt, um dieses Ziel auch zu erreichen.

    3.13

    Seit der Tagung des Europäischen Rates in Edinburgh 1992, auf der ein Prozess zur Vereinfachung der Rechtsetzung unter Wahrung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität begonnen wurde, hat die Kommission Rahmenbestimmungen für die Modalitäten der Verfahren zur Vorabkonsultation, die Durchführung von Folgenabschätzungen sowie für die Qualität und die Redaktionsmodalitäten für neue Rechtsvorschriften festgelegt. Zu dem in Edinburgh begonnenen Prozess hat die Kommission bereits zwölf Jahresberichte über Folgemaßnahmen und die erzielten Fortschritte vorgelegt. Allerdings ist festzuhalten, dass zwar Fortschritte gemacht wurden, dass sie aber für die Adressaten der Rechtstexte noch längst nicht völlig überzeugend sind.

    3.14

    Unter irischem Vorsitz hat der Rat eine Initiative für eine bessere Rechtsetzung eingeleitet, zu der 2004 die Gemeinsame Erklärung von sechs Präsidentschaften (frühere, derzeitige, künftige) über die Fortschritte der Reform der Rechtsetzung in Europa (7) vorgelegt wurde. Der Rat (Wettbewerbsfähigkeit) hat auf seiner Tagung im November 2004 etwa 20 Rechtsakte (mit 15 Prioritätsstufen) benannt, die zur Vereinfachung anstehen, und auf seiner Tagung im Februar 2005 die entsprechenden Beratungen fortgesetzt. Die Kommission hat damit begonnen, diese Leitlinien in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Nun besteht ein Erfolgszwang.

    3.15

    Im Kontext der neu ausgerichteten Lissabon-Strategie hat die Kommission in ihrer Mitteilung „Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union“ (8) ihren 2002 definierten Ansatz revidiert.

    3.16

    Als institutioneller Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft hat der EWSA seinerseits beschlossen, sich bereits im Vorfeld und sehr viel aktiver an der Initiative zu beteiligen, die Rechtsetzung in Europa zu verbessern und sie klarer, stimmiger und wirksamer zu gestalten, um so den berechtigten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen gerecht zu werden. Das mit der Kommission vereinbarte Protokoll (9) ermöglicht es dem EWSA, Konsultationen zu Legislativvorschlägen durchzuführen. Seine Stellungnahmen zu Legislativvorhaben müssen wirkungsvoller werden, und in ihnen muss vorrangig der Sichtweise der Adressaten einer Rechtsvorschrift Rechnung getragen werden.

    4.   Grundlagen einer Strategie für eine bessere Rechtsetzung in Europa

    4.1

    Kraft des in den Verträgen festgelegten Rechtsrahmens ist für die Gemeinschaft die Rechtsetzung das vorrangige Mittel ihres Handelns, im Unterschied zu den Mitgliedstaaten, denen für ihr Handeln eine umfangreichere Auswahl von Instrumenten zur Verfügung steht.

    4.2

    Bei der Verbesserung der bestehenden und der künftigen Rechtsetzung sollte nicht nur auf Vereinfachung, sondern auch auf eine stimmige Anwendung der Rechtsbegriffe und auf Klarheit des Wortlauts hingewirkt werden, und dies vorrangig in den Bereichen, in denen sich die Rechtsetzung am schnellsten weiterentwickelt oder in denen die meisten oder sehr komplexe Rechtsvorschriften bestehen. Als Beispiel sind hier die Rechtsvorschriften zum Binnenmarkt, zum Umweltbereich und zur Verkehrspolitik sowie der Bereich Statistik zu nennen.

    4.3

    Die Lissabon-Strategie, und hier insbesondere die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sowie das Ziel, das europäische Regieren zu verbessern (10), machen es erforderlich, die Regelungstätigkeit und die Ausübung dieser Funktion zu untersuchen; gleichzeitig muss geprüft werden, wie sich die europäischen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten auswirken (Gesetzgebung, Verwaltung), damit für eine einheitlichere Anwendung des Rechts und für rechtliche Kohärenz in einem Binnenmarkt, der allen gleiche Ausgangsvoraussetzungen bietet, gesorgt werden kann. Deshalb dürfen durch die Umsetzung keine weiteren unnötigen Bestimmungen hinzugefügt oder die Richtlinien komplizierter gefasst werden.

    4.4

    Der Europäische Rat hatte bereits auf seiner Tagung in Lissabon die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten aufgerufen, bis 2001 eine Strategie für koordinierte Maßnahmen zur Vereinfachung des Regelwerks festzulegen (11). Der Europäische Rat hat ebenfalls verdeutlicht, dass neue und flexiblere Regelungskonzepte notwendig werden können.

    4.5

    Nach Auffassung des EWSA machen diese neuen Regelungskonzepte, die er unterstützt (12), es erforderlich, die Zivilgesellschaft unmittelbarer und nachhaltiger in die Rechtsvorschriften einzubeziehen, wobei die Zivilgesellschaft entweder mit den Organen zusammenarbeiten könnte, oder aber mit mehr Eigenständigkeit im Wege der Koregulierung und der Selbstregulierung tätig sein könnte, wie in der Interinstitutionellen Vereinbarung von Dezember 2003 vorgesehen.

    4.6

    In einer Zeit, in der die Globalisierung der Wirtschaft immer stärker voranschreitet und sich die Wirtschaft immer stärker entmaterialisiert (digitale Wirtschaft, Wissensgesellschaft, Problematik des gewerblichen Rechtsschutzes und der Urheberrechte, Finanzkontrolle von Unternehmen, neue Finanzinstrumente und Finanzdienstleistungen) (13) müssen neue Partnerschaften mit Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft entstehen (die Beschäftigungsausschüsse und die Ausschüsse für den sozialen Dialog besser mobilisiert, vielleicht jedoch auch sektorale Ausschüsse oder thematische Arbeitsgruppen gegründet werden), weswegen die traditionellen Verfahren und Instrumente neu überdacht und in jedem Fall Möglichkeiten dafür gefunden werden müssen, dass diese Verfahren und Instrumente künftig an die raschen Entwicklungen des Marktes, den wachsenden Innovationsbedarf oder den wachsenden Bedarf an Investitionen in Forschung und Bildung angepasst werden können.

    4.7

    Die Kommission führt entsprechend ihrem jährlich veröffentlichen Fahrplan bereits Konsultationsverfahren durch und nimmt Folgenabschätzungen vor, insbesondere unter Anwendung des Kosten-Nutzen-Vergleichs, der durch andere Instrumente ergänzt wird, so durch die Mehrkriterienanalyse. Die Kosten-Nutzen-Analyse als einziges Instrument ist nach Auffassung des EWSA nicht für alle Bereiche uneingeschränkt geeignet und ermöglicht es somit auch nicht, alle Wirkungen und Folgen eines Legislativvorhabens (zum Beispiel für Gesundheit und Umwelt) gleichermaßen abzuschätzen. In die Abschätzung sind die Durchsetzung der Grundrechte und unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten per definitionem schwer einzuschätzende allgemeine Überlegungen einzubeziehen.

    4.8

    Neben der Mitteilung „Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire“ (14), in der der Aktionsrahmen festgelegt wird, sind zwei speziellere Initiativen auf den Weg gebracht worden: die erste betrifft die Vereinfachung der Agrarrechtsvorschriften (15) und seit 2004 auch der Rechtsetzung im Bereich der Fischerei (16), die beide ausgesprochen unübersichtlich und schnelllebig sind, die zweite betrifft die Vereinfachung des Binnenmarkts. Sie lief seit 1996 und lieferte zwar keine vollständigen, aber ermutigende Ergebnisse, auch wenn sie von Rat und Parlament nicht sehr intensiv verfolgt und inzwischen anscheinend ganz aufgegeben wurde (17).

    4.9

    Mit der Interinstitutionellen Vereinbarung (AII) vom 16. Dezember 2003 (18) zwischen der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat wird das Ziel verfolgt, bei den Organen ein neues Konzept der Legislativfunktion durchzusetzen, das mehr Raum für eine vertragliche Regelung, Koregulierung und Selbstregulierung eröffnet. Im Anschluss an die Vereinbarung hat der EWSA eine Stellungnahme verabschiedet, die sich mit der Vereinfachung befasst (19), der oben erwähnte Informationsbericht befasst sich mit alternativen Formen der Regelung (20). Zunächst hatte sich der EWSA in der Binnenmarktbeobachtungsstelle vor allem auf die Maßnahmen zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften im Binnenmarkt (SLIM) konzentriert. Die Umsetzung der AII sollte nach Ansicht des Ausschusses unter besonderer Berücksichtigung der KMU und der Anwendung der Europäischen Charta für Kleinunternehmen erfolgen.

    4.10

    Bisweilen wird behauptet, dass über die Hälfte der in den Mitgliedstaaten anzuwendenden Rechtsvorschriften ihren Ursprung in der Gemeinschaftsrechtsetzung hat. Im Jahr 2000 ist bei der vorbereitenden Arbeit zum Thema Staatsführung und Regieren der Besitzstand der Gemeinschaft mit 80.000 Seiten angegeben worden, aktuelle Studien zeigen eine moderatere Entwicklung: etwa 10 % der neuen internen Rechtsvorschriften gehen auf die Gemeinschaftsrechtsetzung zurück.

    4.11

    In jedem Fall entstehen durch die Anwendung dieser Rechtsvorschriften Kosten, sowohl bei der Ausarbeitung und der Umsetzung als auch bei der Durchführung, und das nicht nur für die Union und die Mitgliedstaaten, sondern auch für Unternehmen und Privatpersonen, die die Vorschriften kennen und einhalten müssen und bestimmte Verwaltungsverfahren befolgen müssen (compliance costs — Durchsetzungskosten).

    4.12

    Die Kosten für die Ausarbeitung der Rechtsvorschriften, für die Sicherstellung ihrer Einhaltung und die verwaltungstechnischen und bürokratischen Auswirkungen sind schwer abzuschätzen, es wird jedoch insbesondere seitens der Wirtschaft immer häufiger Kritik laut, in der auf Anforderungen, Probleme und Hindernisse sowie auf die zu unternehmenden, manchmal überflüssigen Demarchen hingewiesen wird, die bestimmten Quellen zufolge einen solchen Umfang erreicht haben, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft erheblich beeinträchtigen, was genau der Punkt ist, der dem Rat und der Kommission Sorge bereitet. Diese Kosten müssen ermittelt werden, um eine objektive Bewertung der Qualität der Gesetzgebung durchführen zu können. Die OECD schätzt die Durchsetzungskosten von Rechtsvorschriften auf 3 bis 4 % des europäischen BIP (21).

    4.13

    Allerdings wird bei dem Ansatz, bei dem die Anpassungskosten und die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit analysiert werden, nur ein Aspekt betrachtet, ein Aspekt zwar, der nicht zu vernachlässigen ist, der jedoch in keiner Weise der einzige oder vorrangigste des Problems ist (22). Dennoch wäre es möglich, einen Ansatz ins Auge zu fassen, bei dem die beste Rechtsetzung von der Anwendungsseite her definiert würde: die beste Rechtsetzung wäre dann diejenige, die zur Erreichung ihrer Ziele die geringsten Durchführungs- und Einhaltungskosten verursachen würde. Dieser Vorschlag wurde dem Mandelkern-Bericht entnommen, und der EWSA würde es begrüßen, wenn er versuchsweise bei Legislativvorhaben verwirklicht würde, die sich auf die Unternehmen, und besonders auf die kleinen und mittleren Unternehmen, auswirken. Die Kommission berücksichtigt die administrativen Kosten bei ihrem Ansatz bereits und arbeitet derzeit an einem Pilotprojekt zur Modellierung (EU Net Admin. Costs model).

    4.14

    Rechtsetzung ist immer auch politisches Handeln, das über die Organe der Gemeinschaft und die Regierungen hinaus auch die organisierte Zivilgesellschaft und alle Bürgerinnen und Bürger Europas betrifft. Deshalb wird häufig die Undurchdringlichkeit und die Komplexität der Verfahren zur Ausarbeitung der europäischen Rechtsvorschriften und ihre mangelnde Transparenz kritisiert; kritisiert wird ebenfalls die unergiebige Einführung von Anforderungen oder Verfahren, die in der Richtlinie gar nicht vorgesehen sind, im Rahmen ihrer Umsetzung („gold plating“). Hieraus resultiert die „Rätselhaftigkeit“ der Verwaltungsverfahren, die für die Adressaten Probleme schaffen, Papierkrieg nach sich ziehen und Kosten verursachen — kurz gesagt: bürokratischen Aufwand schaffen. Ferner beklagen sich Nichtregierungsorganisationen und Sozialpartner häufig über den formellen Charakter und die engen Grenzen der Verfahren zur Vorabkonsultation, die für die NGOs jedoch sehr zeitaufwendig sind und von ihnen einen sehr hohen Einsatz auf Expertenebene verlangen — beides sehr kostentreibende Faktoren.

    4.15

    Es handelt sich hier um ein Problem des äußeren Erscheinungsbilds der Organe der Union, um ein Problem des Regierens und um ein Problem der Demokratie, sowohl für die Organe und Institutionen der EU als auch die Mitgliedstaaten; das Ansehen Europas und seiner Organe — heute mehr denn je gezwungen, schnelle und wirksame Lösungen zu finden — steht auf dem Spiel. Zugleich geht es darum, dass sich Europa besser auf die Herausforderungen Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit einstellt. Auch die Mitgliedstaaten müssen eine Reform von Staat und Verwaltung in Betracht ziehen, da sie direkt von der Kritik betroffen sind und ihren Beitrag aktiv leisten müssen, damit insgesamt ein besseres Regieren erreicht werden kann.

    4.16

    Dies wirkt sich unmittelbar auf den Fortschritt bei der Verbreitung des Europagedankens und auf das Fortschreiten des europäischen Integrationsprozesses aus, und dies insbesondere zu einem Zeitpunkt, da die politische Debatte über den Verfassungsvertrag im Mittelpunkt des Interesses der Bürgerinnen und Bürger steht. Es muss also etwas getan werden, um den Erwartungen gerecht zu werden, die die Bürgerinnen und Bürger und die Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Verbesserung der juristischen Qualität und der Verständlichkeit der Gemeinschaftsrechtsetzung und im Hinblick auf ihre Vereinfachung hegen. Dies schließt auch eine Überprüfung des bürokratischen Aufwands ein, den Verwaltung und Wirtschaft zu bewältigen haben, wenn es um die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften geht.

    II.   QUALITATIVE VERBESSERUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS

    5.   Vereinfachung des Besitzstandes

    5.1

    Im Februar 2003 lancierte die Kommission einen Aktionsrahmen, um den Umfang des acquis communautaire zu verringern, den Zugang zum Gemeinschaftsrecht zu verbessern und die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu vereinfachen. Auf dieser Grundlage hat die Kommission ein fortlaufendes Vereinfachungsprogramm erarbeitet und ca. 30 Initiativen vorgelegt, die zur Vereinfachung für die Wirtschaftsakteure, die Bürger und die nationalen Behörden beitragen sollen. Bislang werden noch 15 Legislativvorschläge vom Gesetzgeber im Hinblick auf ihre Verabschiedung geprüft.

    5.2

    Der EWSA erwartet für Oktober 2005 die neue Phase des Vereinfachungsprogramms der Kommission. In dieser neuen Phase sollen u.a. die Standpunkte der Beteiligten berücksichtigt (siehe die öffentliche Anhörung auf der Europa-Website vom 1. Juni 2005) und ein sektoraler Ansatz aufgenommen werden.

    5.3

    Der EWSA verweist auf die Bedeutung der Umsetzung der im Dezember 2003 geschlossenen Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“, insbesondere auf Ziffer 36 zu den Arbeitsmethoden des Rates und des Europäischen Parlaments für die Prüfung der Vorschläge für vereinfachte Rechtsakte.

    5.4

    Eines der wesentlichen Instrumente zur Vereinfachung ist die Kodifizierung, durch sie müssen die in verschiedenen Rechtstexten enthaltenen Rechtsvorschriften in einem Text harmonisiert und zusammengefasst werden. Die früheren Rechtsvorschriften müssen dann ausdrücklich außer Kraft gesetzt werden, damit der durch die Kodifizierung entstandene Rechtstext die Rechtssicherheit bietet, die die Adressaten und Anwender eines Rechtstextes erwarten können. Dies bedeutet, dass kodifizierte Texte vom Gesetzgeber formell verabschiedet werden müssen, im Gegensatz zu konsolidierten Texten, die vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften erstellt werden. Bei der Konsolidierung handelt es sich um einen rein technischen Vorgang, der nicht dieselbe Rechtssicherheit zu bieten vermag, der es jedoch erleichtert, Klarheit über das geltende Recht zu gewinnen. Die Konsolidierung ist schon eine Vorbereitung zur Kodifizierung.

    5.5

    Der kodifizierte Bereich muss einen hohen Grad an Vollständigkeit bzw. Rechtsstabilität aufweisen, wenn eine Kodifizierung bei unverändertem Recht durchgeführt wird. Es spricht jedoch nichts dagegen, in bestimmten Bereichen eine andere Form der Kodifizierung durchzuführen, wenn eine teilweise Neufassung des geltenden Rechts notwendig geworden ist.

    5.6

    Kann eine Vorschrift in mehr als einen kodifizierten Rechtstext eingehen, so sollte sie in einem der kodifizierten Texte als Hauptvorschrift und in den anderen kodifizierten Texten in einem anderen, speziellen Schriftbild erscheinen, wobei der kodifizierte Text, in dem sie als Hauptvorschrift enthalten ist, genannt werden muss.

    5.7

    Werden bei der Konsolidierung eines Rechtstextes interne Widersprüche festgestellt, zum Beispiel bei den Begriffsbestimmungen, oder werden in den Texten unterschiedliche Begriffe verwendet, so sollte dem Gesetzgeber so rasch wie möglich eine Gesamtneufassung als Ersatz für den konsolidierten Text vorgelegt werden.

    5.8

    Eventuelle Fehler bei der Aufhebung oder Kodifizierung werden so rasch wie möglich berichtigt und die Berichtigung so rasch wie möglich veröffentlicht.

    5.9

    Die systematische Nutzung der Konsolidierung ist ein ständig einsetzbares, effizientes Instrument zur Vereinfachung, da es die Notwendigkeit einer Kodifizierung oder Überarbeitung der Rechtsvorschriften im Hinblick auf mehr Klarheit und Kohärenz deutlich machen kann; so wird der Zugang zum geltenden Recht erheblich vereinfacht.

    5.10

    Die Website EURlex soll Zugang zum gesamten geltenden Recht geben. Sämtliche kodifizierten und konsolidierten Texte des geltenden Rechts müssen ständig über EURlex verfügbar bleiben.

    5.11

    Tatsache ist aber, dass die geltenden Rechtstexte aufgrund des Verfahrens, das Zugang zum Amtsblatt der Europäischen Union gibt, nach Ablauf einer bestimmten Frist weniger leicht konsultierbar sind. Hierdurch wird es erschwert, Kenntnis vom gesamten Besitzstand zu erhalten; deshalb muss dieses technische Problem gelöst werden.

    6.   Wie kann eine verbesserte Rechtsetzung erreicht werden? Vorschläge des EWSA zur Vorgehensweise

    6.1

    Die Website PRElex sollte Zugang zum gesamten in der Entstehung begriffenen Recht geben, wobei Letzteres in den Kontext gestellt werden muss (es müssen Bewertungen, Konsultationen, Studien und Erläuterungen dazu abrufbar sein); wird in einem in der Vorbereitung befindlichen Rechtstext auf weitere Richtlinien oder Verordnungen Bezug genommen, so sollte ein Hypertext-Link den direkten Zugriff auf diese Richtlinien oder Verordnungen ermöglichen, und zwar unabhängig vom Datum ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union.

    6.2

    Frühere Vorschriften, die im Widerspruch zu einer neuen Rechtsvorschrift stehen, müssen ausdrücklich aufgehoben oder geändert werden.

    6.3

    Die meisten der hier vorgeschlagenen Vorgehensweisen werden bereits angewendet, einige von ihnen allerdings sind noch verbesserungswürdig. Andere Vorgehensweisen oder andere Arten der Ausgestaltung sind denkbar, jedoch darf insgesamt durch die gewählte Vorgehensweise das an sich schon sehr komplexe Rechtsetzungsverfahren nicht noch zusätzlich belastet oder verzögert werden. Dies gilt umso mehr, als durch das Inkrafttreten des Verfassungsvertrags das Mitentscheidungsverfahren als normales Gesetzgebungsverfahren festgelegt würde.

    6.4

    Die Kommission schlägt vor, zwei neue Arbeitsgremien bei sich einzusetzen (KOM(2005) 97):

    eine Gruppe von hochrangigen nationalen Rechtsetzungssachverständigen zur Unterstützung der Umsetzung der „besseren Rechtsetzung“;

    ein Netz von externen wissenschaftlichen Sachverständigen, das auf Einzelfallbasis Gutachten zur gewählten Methodik (vor allem Folgenabschätzungen) abgibt.

    6.5

    Die Kommission nutzt solches Fachwissen bereits bei Legislativvorhaben; die Erfahrung wird zeigen, ob die Festschreibung des Rückgriffs auf Fachwissen im Vergleich zur derzeitigen Praxis einen Mehrwert liefert.

    7.   Bevor ein Legislativvorhaben auf den Weg gebracht wird:

    a)

    Festlegung der Ziele, die mit der Rechtsvorschrift erreicht werden sollen, unter Berücksichtigung des primären Rechts und der geltenden Rechtsvorschriften einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in dem betreffenden Bereich; Prüfung, welche Möglichkeiten bestehen, um die angestrebten Ziele unter Wahrung der Grundsätze Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität bestmöglich zu erreichen, ohne dass es zu einer Flut von Rechtsvorschriften kommt;

    b)

    Aufstellung einer Rangfolge der Ziele und Festlegung von Prioritäten mittels sektorbezogener oder sektorenübergreifender Maßnahmen; Rolle des Rates hierbei; Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift erforderlich ist und ob nicht bereits in den Verträgen oder im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht die Mittel enthalten sind, die es ermöglichen, dieselben Ziele zu erreichen;

    c)

    Mittelfristige Planung (Terminplanung, Arbeitsprogramm), um die festgelegten Ziele zu erreichen, wobei zur Erreichung der Ziele auch neue Partnerschaften einbezogen werden können;

    d)

    Festlegung des oder der am besten zur Erreichung der festgelegten Ziele geeigneten Rechtsakte(s): Richtlinie (Rahmengesetz), Verordnung (Gesetz), Vereinfachung (Verschmelzung des neuen Rechtsakts mit früher erlassenen Rechtsakten mit Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe und der Begriffsbestimmungen, systematische Konsolidierung durch Einfügung der Änderungen in den vorherigen Text, Kodifikation, restatement — oder Verschmelzung von Rechtsvorschriften, die in verschiedenen Rechtsakten enthalten sind, in ein überarbeitetes und vereinfachtes Rechtsinstrument) oder andere Form der Regulierung durch alternative Verfahren (Mitentscheidung, Koregulierung, kontrollierte oder nicht kontrollierte Selbstregulierung, vertragliche Festlegung); bei jedem neuen Gesetzesvorhaben Einbeziehung des Ziels der Vereinfachung und der Klarstellung;

    e)

    Erste Folgenabschätzungen über die unter rein finanziellen Gesichtspunkten durchgeführte Kosten-Nutzen-Analyse hinaus, insbesondere in Bereichen, in denen eine Quantifizierung von Kosten oder Nutzen schwierig ist (zum Beispiel bei Maßnahmen zum Umweltschutz: Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung, die biologische Vielfalt, die Luft- oder Wasserqualität; bei Maßnahmen im sozialen Bereich: Partizipation, Lebens- und Arbeitsbedingungen und ihre vorhersehbaren Auswirkungen auf Produktivität, wirtschaftliche Effizienz und das soziale Wohlergehen); die Gesamtbilanz für das Allgemeininteresse und das Allgemeinwohl muss positiv ausfallen (Beispiel: Wirksamkeit wirtschaftlicher und sozialer Rechte), und bei den Durchführungsbestimmungen muss vermieden werden, dass es im Verhältnis zu dem verfolgten Ziel zu starken Einschränkungen, unverhältnismäßig hohen Einhaltungskosten (compliance costs) oder überflüssigen Kontrollen kommt bzw. überflüssige Bestimmungen vorgesehen werden; die Berechnung der Kosten bleibt zwar unerlässlich, kann aber in bestimmten Fällen im Hinblick auf einige prioritäre politische Ziele relativiert werden.

    f)

    Partizipative Demokratie: Wahl alternativer Formen der Regelung, die eine direkte Einbeziehung der Adressaten eines Legislativvorhabens bewirken; bei Rechtsinstrumenten bedeutet dies die Durchführung von Konsultationen, bei denen die am unmittelbarsten betroffenen Akteure der Zivilgesellschaft vorrangig, effizient und in ausreichendem Umfang einzubeziehen sind, sei es unmittelbar oder mittelbar durch die sie vertretenden Organisationen; eventuell Einholen von Sondierungsstellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und/oder des Ausschusses der Regionen, im Rahmen der Vorarbeiten und zur breit angelegten Konsultation von Zivilgesellschaft und Institutionen Verwendung von Grün- oder Weißbüchern; Einrichtung von Partnerschaften mit den Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft; Einsatz der Kommunikationsmittel zur Erläuterung der Zielsetzungen und der Inhalte der Legislativvorhaben.

    8.   Erarbeitung des Legislativvorhabens im Sinne des EWSA

    8.1   Folgenabschätzungen

    8.1.1

    Der EWSA nimmt die Annahme der neuen internen Leitlinien für die Folgenabschätzung, die seit dem 15. Juni 2005 in der Kommission gelten, zur Kenntnis.

    8.1.2

    Beabsichtigen eine oder mehrere Generaldirektionen, ein Vorhaben auf den Weg zu bringen, so sollten sie — unter Einsatz des in dieser/diesen Generaldirektion(en) vorhandenen Personals und dessen Fähigkeiten — eine vorläufige Folgenabschätzung durchführen, sobald die mit dem geplanten Rechtsakt zu erreichenden Ziele auf politischer Ebene festgelegt sind. Diese Folgenabschätzung, die im Verhältnis zu Umfang und Komplexität der angestrebten Ziele stehen sollte, wäre ein erster Schritt.

    8.1.3

    Bei den dabei verwendeten Kriterien und Arbeitsmethoden kann es sich um vorab festgelegte, standardisierte Arbeitsmethoden handeln, die jedoch sodann an jede Generaldirektion angepasst werden, im Bedarfsfall auch an das zu untersuchende Vorhaben. Zu diesem Zeitpunkt können einige der repräsentativsten bzw. am stärksten betroffenen Organisationen und nationale Experten informell zu Anwendungsbereich und Zielen, zur Art des zu wählenden Instruments und zu den vorhersehbaren Auswirkungen konsultiert werden, ohne dass hierdurch der Grundsatz der offenen Konsultation beeinträchtigt würde.

    8.1.4

    Das, was der EWSA als „vorläufige Folgenabschätzung“ (23) einstuft, könnte auf der Grundlage des von der Kommission vorgeschlagenen Modells dann intern und im Bedarfsfall unter Rückgriff auf unabhängige externe Experten oder nationale Experten weiter ausgefeilt werden (24).

    8.1.5

    Der Ausschuss fordert nachdrücklich, bei den Folgenabschätzungen auf eine ausgewogene Berücksichtigung der drei Dimensionen der Lissabon-Strategie (Wirtschaft, Soziales und Umwelt) zu achten.

    8.1.6

    Der EWSA hält es für wichtig, dass die Folgenabschätzung ein grundlegender Bestandteil der Ausarbeitung und Anwendung einer Rechtsvorschrift wird; sie muss mehr sein als eine vorgeschriebene Verwaltungsübung ohne jeglichen zusätzlichen Nutzen.

    8.1.7

    Er betont, dass eine Folgenabschätzung zumindest für jedes Legislativvorhaben vorgeschrieben werden sollte, das die Unternehmen oder Arbeitnehmer in den einzelnen Wirtschaftssektoren betrifft, sowie für jeden Vorschlag, der dem Mitentscheidungsverfahren unterliegt. Es sollte begründet werden, warum ein Rechtsinstrument oder eine alternative Lösung (Koregulierung, vertragliche Regelung, Selbstregulierung) gewählt wurde, wie es in der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ vom Dezember 2003 vorgesehen ist, und welcher Beitrag zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften bzw. zur Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Adressaten geleistet wurde. Die Ergebnisse der Folgenabschätzung allein reichen jedoch nicht aus, um die Einbringung eines Gesetzgebungsvorschlags zu begründen, wie bereits aus Ziffer 4.7 hervorgeht.

    8.2   Konsultationen und Abfassung des Textes

    8.2.1

    Die nächste Phase ist die eigentliche Erstellung des Entwurfs des Rechtsakts. Sie würde zunächst ebenfalls intern unter Anwendung der Arbeitsmethoden der Kommission, insbesondere des Leitfadens für die Abfassung von Dokumenten erfolgen, wobei der Entwurf unter Mitwirkung von Juristen- und Sachverständigenausschüssen der Kommission jedoch noch weiter ausformuliert werden kann; dieser Entwurf sollte noch gewisse Optionen offen lassen, da in der Phase der Konsultationen noch kein Text vorgelegt werden muss, der bis ins letzte Detail „festgeschrieben“ ist, sondern die Beteiligten zu den verschiedenen politischen Optionen konsultiert werden sollten.

    8.2.2

    Die beratenden Organe der Gemeinschaft sollten bei Legislativvorhaben mit einer bestimmten Bedeutung in dieser Phase herangezogen werden oder aus eigener Initiative tätig werden; so sollten zum Beispiel der Ausschuss der Regionen, der die lokalen Behörden und Gebietskörperschaften vertritt, und der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft über die Grün- und Weißbücher hinaus um Stellungnahmen zu Legislativvorschlägen ersucht werden können, die insbesondere den Binnenmarkt, die Wirtschaft, die Unternehmen, den internationalen Handel, die Außenbeziehungen, die Umwelt, soziale Fragen, die Einwanderungsproblematik, den Verbraucherschutz oder die Reform der Rechtsvorschriften zur Landwirtschaft zum Gegenstand haben. Die Stellungnahme sollte sich auf die vorläufige Folgenabschätzung sowie auf die verfolgten Ziele und die hierfür genutzten Instrumente beziehen.

    8.2.3

    Werden Stellungnahmen zu Gesetzestexten abgegeben, die bereits im Detail ausformuliert sind und über die bereits erste Grundentscheidungen gefallen sind, so kommen sie in der Regel zu spät, um den Inhalt noch wirklich beeinflussen zu können. Bei rechtzeitiger Konsultation der Ausschüsse kann mit deren Fachwissen somit frühzeitig ein wesentlich konstruktiverer Beitrag zu einer besseren Rechtsetzung, die von ihren Adressaten besser verstanden und akzeptiert wird, geleistet werden.

    8.2.4

    In dieser Phase sollte eine direkte Konsultation der interessierten Kreise und der nationalen und lokalen Institutionen oder Organisationen durchgeführt werden, bei der die klassischen Mittel (Anhörungen, Seminare, Ersuchen um Stellungnahmen) mit elektronischen Mitteln (E-Mail, Fragebogen auf der Homepage der hauptsächlich zuständigen Generaldirektion) kombiniert werden sollten. Gemäß den mit den beratenden Einrichtungen und Gremien vereinbarten Protokollen können letztere bestimmte Konsultationsverfahren selbst organisieren, ein Umstand, der öfter genützt werden sollte.

    8.2.5

    Die Durchführung einer offenen Konsultation über eine Homepage der Gemeinschaft setzt voraus, dass die geeigneten Kommunikations- und Informationsmittel eingesetzt werden, damit Art und Inhalt der Konsultation und die entsprechende Homepage der größtmöglichen Zahl von Privatpersonen, Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft, Unternehmen oder lokalen Verwaltungen, die von dem Legislativvorhaben betroffen sind, bekannt werden. Ein Register der europäischen und nationalen Organisationen, der kommunalen Verwaltungen, der nationalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialräte könnte aufgestellt werden, um diese per E-Mail über den Beginn einer Konsultation zu unterrichten. Auch die einschlägigen Medien (allgemeine Presse, Fachpresse usw.) könnten informiert werden, damit sie diese Information verbreiten.

    8.2.6

    Zum Abschluss der Konsultationen sollte eine objektive Zusammenfassung der Ergebnisse zusammen mit eventuellen Antworten auf der Website der Kommission veröffentlicht werden. Diese Zusammenfassung darf keinerlei vorgefasste Urteile enthalten und darf auch nicht tendenziös vorrangig das wiedergeben, was den ursprünglich von der Kommission verfolgten Zielen am ehesten entspricht; ihr Inhalt darf auch nicht durch den Druck von Interessengruppen bestimmt werden, damit das Allgemeinwohl, nicht die Interessen Einzelner im Vordergrund stehen und die tatsächlichen Gegebenheiten, und nicht ideologische Konzepte, berücksichtigt werden.

    8.2.7

    Geschieht dies nicht, so können in der Folge schwer auszuräumende Schwierigkeiten auftreten, wie es zum Beispiel bei den beiden Vorhaben im Rahmen des Hafenpakets (fehlende Folgenabschätzung, fehlende Bezugnahmen auf internationale Seeschifffahrtsübereinkommen der ILO, die von den Mitgliedstaaten ratifiziert wurden), bei dem Richtlinienentwurf zu Dienstleistungen im Binnenmarkt (Verzicht auf eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften) oder bei dem Vorschlag für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen (25) (die erhebliche Verwirrung stiftete, zu juristischen Unsicherheiten führte, der gegenüber der EWSA sehr starke Bedenken vorbrachte und die schließlich in zweiter Lesung vom Parlament abgelehnt wurde) der Fall war.

    8.2.8

    Für eine Abschätzung der Auswirkungen auf die nationalen Verwaltungen, die die Hauptverantwortlichen für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts sind, wäre es angebracht, auf die bereits in zahlreichen Ländern angewandten Methoden zurückzugreifen. Dies kann geschehen, indem Kontakt zwischen der Generaldirektion und den zuständigen Dienststellen der nationalen Verwaltung aufgenommen wird, und zwar zwischen den für juristische Fragen zuständigen Direktionen sowie zwischen den jeweiligen für Sachfragen zuständigen Direktionen. Eine Zusammenarbeit und Evaluierungen der internen Verfahren zur Folgenabschätzung (Benchmarking) sollten vorgesehen werden, damit vergleichbare Kriterien festgelegt werden und die endgültigen Adressaten einer Rechtsvorschrift nicht aus den Augen verloren werden.

    8.2.9

    Die Kriterien zur Qualitätsbewertung und zur Abschätzung der Folgen einer Rechtsvorschrift sollten, wie im Mandelkern-Bericht (26) vorgeschlagen, einfach sein und so festgelegt werden, dass die auf europäischer und auf einzelstaatlicher Ebene zur Verfügung stehenden statistischen Mittel sowie die Erfahrung, die bei den für Kontrolle und Prüfung zuständigen Dienststellen vorhanden ist, bestmöglich genutzt werden können. Bei diesen Kriterien sollte die Konsultation des ausführenden und überwachenden Personenkreises, der die Rechtsvorschrift in der Praxis anwendet, nicht vernachlässigt werden. Berücksichtigt werden sollte ebenfalls der Bedarf an Informationen und eventuell auch an ergänzenden Fortbildungsmaßnahmen oder an Neueinstellungen/Versetzungen, der entsteht, damit die Rechtsvorschrift vor Ort wirksam angewendet werden kann.

    8.2.10

    Es sollten also unter Berücksichtigung der in dem Bereich bereits geltenden Rechtsvorschriften auf jeder betroffenen Ebene sowohl die durch die Durchführung einer Rechtsvorschrift entstehenden Kosten als auch die dafür erforderlichen technischen Voraussetzungen so genau wie möglich festgestellt werden. So könnte man bessere Kenntnis von den voraussichtlichen Folgen eines Legislativvorhabens unter verschiedenen Aspekten erhalten und die Durchführungskosten so weit wie möglich reduzieren.

    8.2.11

    Das Netz der wissenschaftlichen Sachverständigen, das bei der Kommission eingesetzt wird, könnte sich damit befassen, die derzeitigen von der Kommission verwendeten Arbeitsmethoden zu verbessern, um so deren Wirksamkeit zu erhöhen. Die Gruppe müsste vielleicht ebenfalls spezielle Folgenabschätzungen prüfen, die ihr im Zusammenhang mit einem Projekt oder mit Änderungsanträgen vorgelegt werden.

    8.2.12

    Da die verschiedenen Schritte festgelegt und eventuell bestehende Terminzwänge festgestellt werden müssen und darüber hinaus eine Gesamtzeitplanung für jedes Vorhaben berücksichtigt werden muss, die es ermöglicht, ein Legislativvorhaben in einer angemessenen Frist auf den Weg zu bringen, muss ein Arbeitsplan erstellt werden, in dem eventuelle Auswirkungen oder Dringlichkeiten berücksichtigt werden.

    8.2.13

    Es muss möglich sein, Folgenabschätzungen, die als unvollständig oder unzureichend betrachtet werden, zu überarbeiten, gegebenenfalls auch unter Rückgriff auf externes Fachwissen. Das Europäische Parlament hat kürzlich auf seiner Website OEIL (27) eine neue Rubrik eingerichtet, die die Analyse von Folgenabschätzungen betrifft und durch die die Veröffentlichungen der Kommission (Fahrplan und spezielle Bewertungen für alle unter das Mitentscheidungsverfahren fallende Vorhaben, die die Kommission ab 2005 umsetzen will) — vielleicht sogar kritisch — ergänzt werden könnten.

    8.2.14

    Somit könnten nun ein Gesetzesentwurf, eine Folgenabschätzung (28) und ein Finanzbogen sowie ein erläuternder Teil erstellt werden, um den Adressaten, den Rechtsexperten und den gemeinschaftlichen und nationalen Gesetzgebern so verständlich wie möglich den Zweck, die Tragweite und die praktischen Folgen eines Legislativvorschlags zu erläutern. Eine „Qualitätskontrolle“ der Rechtsvorschriften sollte insbesondere in dieser Phase stattfinden; die diesbezüglichen praktischen Modalitäten sind noch festzulegen.

    8.2.15

    Die Mitteilung, die die Kommission den Gesetzgebern und beratenden Organen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten beziehungsweise den für die Anwendung und die Kontrolle zuständigen kommunalen Stellen übermittelt, sollte alle diese Bestandteile enthalten.

    8.2.16

    Ist festgelegt, um welche Art von Rechtsakt es sich handeln soll, so sollte der Anwendungsbereich dieses Rechtsaktes eindeutig festgelegt werden. Hierbei sollte deutlich zwischen dem, was unter das geplante Rechtsinstrument (Richtlinie) fällt, und dem, was mit einem anderen Rechtsinstrument (Verordnung) geregelt oder durch eine alternative Form der Regulierung gelöst werden könnte, unterschieden werden.

    8.2.17

    Der Wortlaut sollte klar und eindeutig sein, über die Rechtsgrundlage hinaus sollte ausdrücklich auf alle weiteren zutreffenden Artikel der Verträge und auf früher erlassene Rechtsvorschriften Bezug genommen werden (eine einfache Bezugnahme auf eine Amtsblattausgabe ist nicht ausreichend. Die vollständige Bezeichnung sowie eine Kurzzusammenfassung von Inhalt und Geltungsbereich der Rechtsinstrumente, auf die Bezug genommen wird, ist erforderlich, damit auch die Adressaten eines Rechtsaktes diesen verstehen können, und nicht nur Fachjuristen). Die Erwägungs- oder Entscheidungsgründe sind besonders wichtig, um die Ziele und den Inhalt des verfügenden Teils klar und eindeutig zu machen, folglich sollten sie verständlich formuliert sein und keinerlei störende Exkurse enthalten.

    8.2.18

    Gesetzgeberische Entwicklungen oder spätere Änderungen eines Rechtsaktes könnten in den Rechtsakt selbst integriert werden (Vorlage eines Berichtes durch die Kommission nach einem festgelegten Zeitraum der Anwendung des Rechtsaktes — wie es bereits jetzt in einigen Fällen vorgesehen ist, oder — besser noch — Aufnahme einer Standard-Revisionsklausel („sunset clause“) (29), gemäß der nach einem bestimmten Zeitraum, von z.B. drei Jahren, automatisch eine Revision erfolgt); dies setzt voraus, dass ein System zur Weitergabe von Informationen, ein System für Rückmeldungen besteht, das es ermöglicht, Informationen und Vorschläge seitens der Zivilgesellschaft einzuholen, und dass die Zivilgesellschaft für diese Zwecke einen Ansprechpartner bei der Gemeinschaft hat (eine einzige Kontaktstelle bei den Vertretungen der Gemeinschaft in den Mitgliedstaaten oder eine bestimmte Dienststelle der Kommission, die in dem Rechtstext selbst festgelegt ist).

    8.2.19

    In Anwendung der Revisionsklausel müsste die Kommission innerhalb einer festgelegten Frist entweder Änderungen vorschlagen, einen Vorschlag vorlegen oder aber erläutern, warum ihres Erachtens keine Änderungen erforderlich sind.

    8.2.20

    Einige „Think Tanks“ empfehlen die Einsetzung einer europäischen Agentur oder Behörde zur Kontrolle der Qualität bzw. der Sachdienlichkeit der Gesetzgebung. Es stünde im Missverhältnis, ja sogar im Widerspruch zum Wortlaut und zum Geist der Verträge, eine solche übergeordnete Überwachungsstelle für die Rechtsetzung zu schaffen, die auch noch Änderungsbefugnis hätte. Damit würde das Vorschlagsrecht — und die Vorschlagspflicht — der Kommission in Frage gestellt. Der Ausschuss ist in jedem Fall gegen die Einsetzung einer solchen Superbehörde oder Superagentur zur Kontrolle der Ausübung des Vorschlagsrechts der Kommission. Er setzt sich jedoch nachdrücklich für die Durchführung von Ex-ante-Konsultationsverfahren sowie für eine Verbesserung der Folgenabschätzungen und für die Durchführung von Ex-post-Konsultationen ein.

    8.2.21

    Die Stellen mit autonomer oder delegierter Regelungsbefugnis müssen ebenfalls evaluiert werden, da die Tätigkeit der Regelungsausschüsse und -behörden verglichen mit den normalen Rechtsetzungsverfahren nur sehr wenig transparent ist. Der Gesetzgeber muss die Ausübung dieser Befugnis kontrollieren können. In den Verwaltungsräten dieser Behörden sollten im Übrigen die Sozialpartner paritätisch vertreten sein.

    8.2.22

    Es bestehen verschiedentlich Probleme in Bezug auf die Qualität der Übersetzungen in die Amtssprachen der Gemeinschaft. Die Zahl und die Zuständigkeiten der Rechts- und Sprachsachverständigen der Kommission müssen erhöht und ihre Kompetenzen erweitert werden, um der Erweiterung Rechnung zu tragen. Beamte, die an der Erstellung von Legislativvorschlägen und der Vereinfachung des Besitzstandes beteiligt sind, müssten intern geschult werden, um ihre Fähigkeiten in der Abfassung und Evaluierung von Rechtstexten zu verbessern. Diese Fertigkeiten müssen außerdem auf nationaler Ebene in der universitären Ausbildung von Juristen mehr Gewicht erhalten, damit der EU und ihren Mitgliedstaaten künftig auf diesen Gebieten qualifizierte Beamte zur Verfügung stehen. Einige Universitäten betreiben in diesen beiden Bereichen bereits Lehre und Forschung, ihr Fachwissen kann nutzbar gemacht werden.

    8.2.23

    Bei der Kommission oder innerhalb der Kommission selbst einzusetzende Ad-hoc-Expertenausschüsse hätten die Aufgabe, vor der Veröffentlichung eines Legislativvorschlags Vorschläge im Sinne einer größeren Klarheit, Widerspruchsfreiheit und Sachdienlichkeit des Inhalts und Wortlauts eines Legislativvorhabens zu unterbreiten und gleichzeitig auf die Einheitlichkeit der in verschiedenen Legislativvorschlägen verwendeten Rechtsbegriffe und auch auf Stimmigkeit in Bezug auf die geltenden Rechtsvorschriften zu achten. Die Kommission hat bereits einen einheitlichen Leitfaden für alle Personen, die bei den Organen an der Redaktion von Legislativvorhaben mitwirken, herausgegeben, um für Einheitlichkeit der verwendeten Rechtsbegriffe und Stimmigkeit des Rechts zu sorgen. Diese Redaktionsvorschriften müssen nun auch korrekt angewendet werden.

    8.2.24

    Die Qualität der Rechtsetzung wird daher in großem Maße von den Folgenabschätzungen und den Verfahren zur Vorabkonsultation bestimmt, die bewirken, dass an dem ursprünglichen Entwurf nicht zu zahlreiche oder zu umfangreiche Abänderungen vorgenommen werden müssen. Auch die Qualität der Änderungsvorschläge beeinflusst die Qualität des endgültigen Wortlauts. Handelt es sich bei den Änderungsvorschlägen um einen wenig klaren Konsens oder um eine vage Formulierung, mit der alle Parteien zufrieden gestellt werden sollen, so könnte sich auch dies auf die Klarheit und Wirksamkeit der Rechtsvorschriften auswirken. Ein Terminologieausschuss (bestehend aus Rechts- und Sprachsachverständigen und Experten) könnte die Kommission bei der Neuformulierung der vorgeschlagenen Änderungen unterstützen, um die Klarheit und Stimmigkeit derjenigen Abänderungen sicherzustellen, die sie im Hinblick auf eine erneute Lesung des Textes akzeptieren kann.

    8.2.25

    Der Ausschuss nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass die Kommission ihre Leitlinien für Folgenabschätzungen überarbeitet, indem sie klarere Vorgaben für Wirtschafts- und Wettbewerbsfragen aufstellt und eine Überprüfung der Vereinbarkeit mit der Charta der Grundrechte vorsieht (30). Mit diesem überarbeiteten Ansatz wird einigen Empfehlungen dieser Stellungnahme Rechnung getragen, der Ausschuss wird ihre Umsetzung verfolgen.

    8.2.26

    Auch für Änderungsanträge, die der europäische Gesetzgeber vorlegt, sollten Folgenabschätzungen durchgeführt werden, sofern es sich um wesentliche inhaltliche Änderungen handelt. Hierfür sollte das von der Kommission bereits erarbeitete Verfahren genutzt werden, allerdings sollte das Annahmeverfahren dadurch nicht über Gebühr verlängert werden. In diesem Zusammenhang hofft der EWSA, dass die drei Organe im Rahmen der Umsetzung der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ zur Festlegung eines gemeinsamen Ansatzes für die Folgenabschätzung gelangen.

    9.   Beitrag des Gerichtshofs der Gemeinschaft

    9.1

    Es sollte darauf hingewirkt werden, dass nur in Ausnahmefällen eine Auslegung erforderlich ist, um einen Gesetzestext verstehen zu können, auch wenn natürlich die Auslegung durch den Gerichtshof, ergänzt durch die Auslegung nach Lehrmeinung und die Auslegung durch die Angehörigen der Rechtsberufe, für die Anwendung des Rechts auf den Einzelfall unerlässlich ist. Eine vage oder unbestimmte Rechtsetzung schadet jedoch der Rechtssicherheit und verursacht hohe Durchsetzungskosten, da ständig juristische und für die Materie zuständige Sachverständige und eventuell auch die Gerichte zur Klärung herangezogen werden müssen; darüber hinaus macht eine solche Rechtsetzung lange Durchführungsfristen erforderlich und führt zu einer fehlerhaften Umsetzung. Die Gerichte sehen sich unter Umständen sogar gezwungen, an die Stelle des Gesetzgebers zu treten, und es besteht die Gefahr, dass sie in einer Art und Weise mit Rechtssachen überlastet werden, die dem Recht des Bürgers auf Zugang zur Justiz, zumindest aber seinem Recht, innerhalb einer angemessenen Frist ein gerechtes Verfahren zu bekommen, abträglich ist.

    9.2

    Durch seine Entscheidungen in den zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen bereitet der Gerichtshof der Gemeinschaft einer Vereinheitlichung des einzelstaatlichen Rechts den Weg. Die möglicherweise geringe Qualität der Rechtstexte zwingt den Gerichtshof bei Bestimmungen, bei denen Auslegungsunsicherheiten bestehen, den Inhalt und die rechtliche Bedeutung zu klären und so eine Schwäche des Gesetzgebers auszugleichen.

    9.3

    Die Möglichkeit, beim Gericht erster Instanz Fachkammern zu bilden, sollte optimal genutzt werden, damit der Gerichtshof in erster Instanz binnen kurzer Fristen Entscheidungen treffen und sich in zweiter Instanz seiner Aufgabe, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen und das primäre und abgeleitete Gemeinschaftsrecht klar zu interpretieren, bestmöglich und ohne Zeitverzögerung widmen kann.

    10.   Die Rolle der Mitgliedstaaten

    10.1

    Die Regierungen und ihre Vertreter im Ausschuss der Ständigen Vertreter, in den verschiedenen Zusammensetzungen des Rates und in den Regelungsausschüssen tragen aufgrund der gemeinsam mit der Kommission wahrgenommenen legislativen und exekutiven Funktion eine besondere Verantwortung bei der Ausarbeitung und Durchführung von Rechtsakten.

    10.2

    Die Zusammenarbeit zwischen den Verhandlungsführern und den von der Umsetzung und Anwendung des geplanten Rechtsaktes betroffenen Abteilungen der zuständigen Ministerien sollte verbessert werden, sie sollte bereits in der Phase der Prüfung des Entwurfs beginnen, um bereits im Vorhinein tätig werden und die Durchführungsbestimmungen besser vorbereiten und so die Ausführungsfristen verkürzen zu können.

    10.3

    Die Mitgliedstaaten sind heute nicht nur in das institutionelle Gefüge der Gemeinschaft eingebunden und haben ihre Zuständigkeiten in bestimmten Bereichen auf die Gemeinschaft übertragen oder einer gemeinsamen Ausübung unterworfen, sondern sie haben sich auch intern gewandelt: Durch die Dezentralisierung und Entflechtung der Verwaltungen und öffentlichen Dienste, durch die Übertragung von Zuständigkeiten auf lokale Gebietskörperschaften oder auf unabhängige Verwaltungsorgane und Behörden, die Regelungs- und Verwaltungskompetenz haben, haben sich die Stellen, an denen Entscheidungen getroffen werden, vervielfacht, mit den entsprechenden haushaltsrechtlichen Konsequenzen. Über den Rechtsrahmen der Europäischen Union hinaus sind die Mitgliedstaaten weiteren supranationalen Rechtsordnungen unterworfen (die sie akzeptiert haben und denen sie deshalb getreu dem Grundsatz „Pacta sunt servanda“ verpflichtet sind), und ihre wirtschaftliche Steuerungsmacht ist in einigen Bereichen geschmälert (Globalisierung und WTO, Binnenmarkt, Privatisierungen).

    10.4

    Die Reform von Staat und Verwaltung geht jedoch nicht immer mit der gewünschten Geschwindigkeit voran, und Überlappungen bei den Zuständigkeiten führen bei der Wirtschaft, den staatlichen Diensten und den Gebietskörperschaften, die eine Rechtsvorschrift umzusetzen haben, zu für sie schädlichen Unsicherheiten und zu juristischen Problemen.

    10.5

    Die Staaten sind nicht mehr die einzige Quelle des Rechts, setzen das Gemeinschaftsrecht aber nach ihren Durchführungs- und Kontrollbestimmungen um, wobei sie ihre Zuständigkeiten nicht immer eindeutig von den Zuständigkeiten der lokalen Gebietskörperschaften oder der dezentralisierten Behörden abgrenzen. So kann es bei der Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und der Erfüllung der gemeinschaftlichen Verwaltungsanforderungen von einem Land zum anderen zu starken Unterschieden kommen, was zu Lasten der notwendigen Harmonisierung geht. Dies wirkt sich vor allem auf dem Binnenmarkt aus, wo Wettbewerbsverzerrungen entstehen können.

    10.6

    Wenn die Mitgliedstaaten sich nicht sowohl auf der politischen als auch auf der praktischen Ebene aktiv und entschieden für eine Vereinfachung und Verbesserung der europäischen Rechtsetzung einsetzen, kann diese von den europäischen Bürgerinnen und Bürgern nicht wahrgenommen werden, und somit wären letztendlich alle in dieser Richtung unternommenen Bemühungen vergeblich. Die Konzepte einer zentralen Anlaufstelle und elektronischer Behördendienste sowie die Grundsätze der Vereinfachung und Vereinheitlichung von Formularen beginnen, wie zum Beispiel im Zollwesen, sich langsam — wenn auch eher zu langsam — durchzusetzen. Bei der Festlegung der Art und Weise der Übermittlung von Informationen an die Adressaten einer Rechtsnorm muss auch das mögliche Bestehen einer digitalen Kluft berücksichtigt werden.

    10.7

    Zahlreiche Regierungen und nationale Parlamente haben allerdings erkannt, dass eine bessere Rechtsetzung und eine bessere Verwaltung erforderlich sind. Sie setzen oftmals spezielle Gremien ein, die bestimmte Bereiche der Zivilgesellschaft zu Wort kommen lassen und die Qualität der Rechtsvorschriften bei deren Ausarbeitung oder Umsetzung überwachen. Die hierbei gemachten Erfahrungen sollten gesammelt und ausgewertet werden, was dazu führen sollte, dass Erfahrungen ausgetauscht und die angewendeten Kriterien und Vorgehensweisen harmonisiert werden.

    10.8

    Auch die Rolle der nationalen Gerichte, die in begründeten Fällen Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen, muss berücksichtigt werden. Die von den Gerichten erbrachten öffentlichen Leistungen müssen generell verbessert werden: die Verfahrensdauer sollte verkürzt und in bestimmten Fällen der Zugang zum Recht für den Rechtsuchenden erschwinglich gemacht werden.

    10.9

    Das Mandat der zur Unterstützung der Kommission agierenden Sachverständigen (die Gruppe der nationalen Sachverständigen und das Netz von der Kommission empfohlener unabhängiger Sachverständiger) (31), die zur Verbesserung der Qualität der Gesetzgebung beitragen sollen, könnte auch — in beratender Funktion — die Überprüfung der Qualität der Umsetzung von Rechtsakten umfassen. Hier könnte eine Art Warnsystem durch die nationalen Organisationen der Zivilgesellschaft und durch die Adressaten des Rechtsaktes ins Leben gerufen werden (spezifische Kontaktstellen, Euro-Info-Zentren usw.)

    10.10

    Der EWSA könnte ebenfalls erwägen, durch seine Fachgruppen (insbesondere zum Beispiel durch die Fachgruppen Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz und Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit seiner Binnenmarktbeobachtungsstelle und der überarbeiteten PRISM-Datenbank) als Bindeglied zu den Organisationen der Zivilgesellschaft zu fungieren. Somit könnte er die Berichte, die die Kommission zum Thema Vereinfachung und Verbesserung der Rechtsetzung vorlegt, evaluieren und dabei die Bedürfnisse der Adressaten der Rechtsvorschriften so eingehend wie möglich berücksichtigen, was seinen Verbesserungsvorschlägen mehr Wirkung verleihen würde.

    11.   Schlussbetrachtungen

    11.1

    Die Mitgliedstaaten werden auch in die Verbesserung der Rechtsetzung einbezogen, mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit in der OECD zu verbessern. Aus verschiedenen Berichten der OECD geht hervor, dass in den meisten Fällen im Vergleich zu den Zielsetzungen nur begrenzte Ergebnisse erzielt werden konnten. Einige dieser Zielsetzungen entsprechen jedoch denjenigen der Gemeinschaft (Qualität der Rechtsvorschriften, Vereinfachung der Kontakte zu den Behörden und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren (zentrale Anlaufstellen), die Schaffung neuer Instrumente zur Entscheidungsfindung, durchsichtigere Entscheidungsverfahren (Transparenz, Teilhabe), elektronische Verwaltung, Dezentralisierung, usw.).

    11.2

    Die OECD macht sich dafür stark, dass in jedem Land eine Stelle eingerichtet wird, die mit der Kostenabschätzung, der Qualitätsbewertung und der Folgenabschätzung für neue Rechtsvorschriften betraut wird. Auch wenn — aufgrund der Vielfalt der von den 25 Mitgliedstaaten gemeinschaftlich wahrgenommenen Kompetenzen und aufgrund der mit der Rechtsetzung der Gemeinschaft verfolgten Ziele — die in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht voranzubringenden Vorhaben und die durchzusetzenden Kriterien nicht vollkommen denen der OECD entsprechen, so bestehen dennoch gewisse Synergien zwischen diesen beiden Ansätzen (32).

    11.2.1

    Derzeit wird im Übrigen ein gemeinsames Vorhaben der Europäischen Union und der OECD, das die Integration des Gemeinschaftsrechts in den zehn neuen Mitgliedstaaten zum Thema hat, erarbeitet. Verstärkte Synergien zwischen der EU und der OECD sind daher durchaus erwägenswert.

    11.3

    Die bei der Umsetzung bestehenden Probleme haben ihren Ursprung mehrheitlich bei den nationalen Regierungen und ihren Zentralverwaltungen. Bei der Umsetzung sollte der Qualität absoluter Vorrang gegeben werden. Die Einhaltung von Fristen ist natürlich ebenfalls von Bedeutung, um eine zeitweilige Fragmentierung des Binnenmarktes zu verhindern.

    11.4

    Die im Verfassungsvertrag vorgesehene Erweiterung des Anwendungsbereichs des Mitentscheidungsverfahrens ist unter dem Aspekt der Demokratie sehr wichtig, die Verfahren könnten jedoch aufgrund der zu verschiedenen Zeitpunkten und auf verschiedenen Ebenen durchzuführenden Konsultations- und Evaluierungsverfahren immer länger und komplexer werden. So gesehen kann die Qualität des ersten Vorschlags und die Qualität der Umsetzung einer Richtlinie ein Faktor sein, der das Risiko längerer Erarbeitungswege kompensiert. Daher kommt der Festlegung der Indikatoren für die Qualität einer Rechtsvorschrift grundlegende Bedeutung zu (33).

    11.5

    Der schwierigste Punkt ist ohne Zweifel die Vereinfachung des Besitzstandes. Die zu bewältigende Aufgabe ist enorm, und der EWSA bezweifelt, dass die erforderlichen Mittel dafür bereitgestellt werden können, ohne dass die dafür notwendigen politischen Entscheidungen und ihre finanziellen Auswirkungen vollständig von den Mitgliedstaaten mitgetragen werden. Der EWSA richtet daher einen entsprechenden Appell an die Mitgliedstaaten.

    11.6

    Es sei darauf hingewiesen, dass der partizipatorische Ansatz die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Institutionen und ihre Bediensteten sowie die Regierungen und ihre Verwaltungen vor nicht unbeträchtliche Anforderungen stellt. Lösungen, die diesen Ansatz nur formal oder auf technokratische Weise berücksichtigen, werden hier allein nicht weiterhelfen, selbst wenn die Instrumente der Gesetzgebungstechnik und die Indikatoren für die Folgenabschätzungen ausgereift sind.

    11.7

    In den Fällen, in denen die Kommission befugt ist, im Namen der Gemeinschaft internationale Verträge abzuschließen (WTO usw.), müssen die Konsultation und Beteiligung der Organisationen der Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft und anderer Bereiche der Zivilgesellschaft sowohl auf einzelstaatlicher Ebene als auch auf Gemeinschaftsebene stattfinden können. Diesbezügliche Grundsätze und Verfahren sollten erwogen werden.

    11.8

    Die Vereinfachung des acquis communautaire und eine verbesserte Qualität der Rechtsvorschriften darf nicht mit einer wirtschaftlichen oder sozialen Deregulierungsideologie verwechselt werden; sie sind geprägt von einem Ansatz der good governance, der das Ziel verfolgt, die Komplexität des Gesetzgebungsverfahrens einer Staatenunion gemäß demokratischen, partizipativen und rationellen Verfahren sowohl technisch als auch politisch besser bewältigen zu können.

    11.9

    Abschließend drängt sich eine Frage auf: die Problemstellung ist eindeutig, die Lösungsmöglichkeiten sind deutlich aufgezeigt worden, die unternommenen Bemühungen sind dergestalt, dass das Ziel erreicht werden sollte. Warum also sind nur so geringe praktische Fortschritte feststellbar? Gibt es Widerstände, und wenn ja, welche? Stehen ausreichend Ressourcen zur Verfügung, oder müssen sie umgeschichtet werden? Haben alle beteiligten Akteure ausreichend politischen Willen zum Erfolg? Können etwaige Hindernisse überwunden werden? Antworten auf diese Fragen gibt es noch nicht; damit aber das Unterfangen „Vereinfachung des Besitzstandes und bessere Rechtsetzung in Europa“ erfolgreich abgeschlossen werden kann, muss unbedingt ein fester politischer Wille vorhanden sein, dem auf lange Sicht auch entsprechende Maßnahmen folgen.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Das hier vorgeschlagene Verfahren unterscheidet sich vom Verfahren der Kommission, das die Folgenabschätzung im Wesentlichen für die Konzeptions- und Planungsphase des Legislativvorhabens ins Auge fasst. Der EWSA ist seinerseits der Ansicht, dass durch eine partizipative Bewertung der Umsetzung in nationale Rechtsvorschriften und der tatsächlichen Auswirkungen der Gesetzgebung nach einer gewissen Zeit der Anwendung das Bewertungssystem ergänzt und verbessert werden könnte, indem Kenntnisse über die Gegebenheiten vor Ort mit berücksichtigt werden. Auf diese Art wäre es möglich zu überprüfen, ob eine Rechtsetzungsmaßnahme die gesetzten Ziele erreicht hat.

    (2)  KOM(2005) 97 endg. vom 16.3.2005 und KOM(2005) 98 endg. vom 21.3.2005.

    (3)  KOM(2005) 98 endg. vom 21.3.2005.

    (4)  ABl. C 321 vom 31.12.2003.

    (5)  KOM(2003) 770 endg. vom 12.12.2003.

    (6)  Insbesondere in der Mitteilung „Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen“ KOM(2002) 718 endg.

    (7)  Fortschritte der Reform der Rechtsetzung in Europa, Gemeinsame Erklärung vom 7. Dezember 2004.

    (8)  KOM(2005) 97 endg.

    (9)  Vom 24. September 2001.

    (10)  Weißbuch der Europäischen Kommission „Europäisches Regieren“, KOM(2001) 428 endg.

    (11)  Die Kommission ist diesem Aufruf des Europäischen Rates mit der Mitteilung „Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung“ (KOM(2002) 275) und der Mitteilung „Aktionsplan ‚Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds‘“(KOM(2002) 278 vom 6.2.2002 nachgekommen.

    (12)  Vgl. den vom EWSA im Februar 2005 verabschiedeten Informationsbericht zum Thema „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“, CESE 1182/2004 fin vom 10.2.2005.

    (13)  Beispiel des Lamfalussy-Verfahrens bei der Regulierung der Finanzmärkte.

    (14)  KOM(2003) 71 endg. vom 11.2.2003.

    (15)  KOM(2001) 48 endg., Bericht über die Vereinfachung der Agrargesetzgebung.

    (16)  KOM(2004) 820 endg. vom 15.12.2004.

    (17)  SLIM bezog sich nur auf den Binnenmarkt; die Kommission plant die Festlegung einer horizontalen Methodik für alle Sektoren; die Veröffentlichung neuer Angaben ist für Oktober 2005 vorgesehen.

    (18)  ABl. C 321 vom 31.12.2003.

    (19)  ABl. C 112/4 vom 30.4.2004.

    (20)  CESE 1182/2004 fin.

    (21)  Der IWF schätzt die Kosten auf 3 % des BIP; das belgische föderale Planungsbüro (Bureau Fédéral du Plan) schätzte im Jahr 2000 die Kosten für Belgien auf 2,6 %. Doch werden sie in dem Bericht „Less is More“ (März 2005) der Better Regulation Task Force auf 10 bis 12 % des BIP im Vereinigten Königreich geschätzt, wobei ca. 30 % der Gesamtkosten für die Einhaltung der Rechtsvorschriften auf Verwaltungskosten entfallen.

    (22)  Auch keine Rechtsetzung zu erlassen kann Kosten verursachen, auch wenn hierfür keine Folgenabschätzung durchgeführt werden kann. In einem vor kurzem vorgelegten Dokument der Kommission (Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen) werden die Kosten für die Nichtanwendung der Leitlinien von Lissabon abgeschätzt.

    (23)  Der terminologische Unterschied zwischen EWSA und Kommission, die von „Folgenabschätzungen“ und nicht, wie der EWSA, von „vorläufigen Folgenabschätzungen“ spricht, illustriert die vom EWSA angestrebte unterschiedliche Methodik.

    (24)  (KOM(2005) 97 endg. vom 16.3.2005.

    (25)  ABl. C 61 vom 14.3.2003 und ABl. C 294 vom 25.11.2005.

    (26)  Festlegung von Kostenindikatoren für Adressaten und Verwaltung jeweils für homogene Gruppen von Rechtsvorschriften; Verwendung einer geringen Anzahl von Rubriken: Komplexität, Textlänge, Bezugnahmen auf andere Gesetzestexte, Zahl und Umfang der Meldeverpflichtungen für Adressaten der Vorschrift oder meldepflichtige Dritte, für die Verwaltung der Rechtsvorschrift erforderliche Zahl von Mitarbeitern, Umfang der entstehenden Streitsachen.

    (27)  Observatoire législatif (http://www.europarl.eu.int/oeil/); die Seite „Folgenabschätzungen“ ist derzeit noch im Aufbau.

    (28)  Die Kommission verfügt bereits jetzt über die Möglichkeit, ihre Folgenabschätzung im Lichte neuer oder zuvor noch nicht verfügbarer Informationen zu aktualisieren.

    (29)  Seit der Vorlage des Aktionsplans „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ im Jahr 2002 (KOM(2002) 278) nimmt die Kommission in ihre Rechtsvorschläge immer eine auf die Materie abgestimmte Überprüfungsklausel auf. Der Gesetzgeber sollte die Beibehaltung dieser Bestimmung bei der Annahme von Rechtstexten sicherstellen.

    (30)  IP/05/733.

    (31)  KOM(2005) 97 endg. vom 16.3.2005.

    (32)  Die OECD hat sich die Privatisierung der öffentlichen Versorgungsdienste und eine Staatsreform (Verschlankung der Verwaltung) auf die Fahnen geschrieben. Ihre Empfehlungen sind jedoch oftmals eher ideologisch geprägt, als dass sie wirklich praktisch durchführbar wären. Die nationalen Verwaltungen müssen ohne Zweifel effizienter arbeiten, das Ziel der Reform darf jedoch nicht sein, den Staat durch die Kräfte des Marktes zu ersetzen. Der Staat muss in der Lage bleiben, seine Aufgaben wahrzunehmen.

    (33)  Die Kommission hat bei der Universität Bradford eine Studie zu diesen Indikatoren in Auftrag gegeben, der EWSA sieht der Veröffentlichung dieser Studie mit Spannung entgegen. Eine vorläufige Fassung ist auf der Website der Universität verfügbar (http://www.bradford.ac.uk).


    ANHANG

    zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Der folgende Änderungsantrag wurde Verlauf der Debatte abgelehnt, hatte jedoch mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigt:

    Ziffer 8.2.7

    Diese Ziffer ersatzlos streichen

    Begründung

    Dass diese Vorschläge nicht angenommen wurden, hat nichts mit den in den voranstehenden Absätzen beschriebenen Schwächen zu tun. Meiner Auffassung zufolge — die von vielen geteilt wird — sind diese Probleme nicht durch das Fehlen einer Folgenabschätzung oder einer objektiven Zusammenfassung der Ergebnisse entstanden. Im Falle der Hafenrichtlinie sind es zwar kleine, aber äußerst mächtige Partikularinteressen, die eine Annahme der Richtlinie bisher verhindert haben. Dass der Dienstleistungsrichtlinienvorschlag bislang nicht angenommen wurde, liegt auch an mächtigen Partikularinteressen, die in Form protektionistischer unheiliger Allianzen versuchen, dem Gesamtinteresse der Dienstleistungsfreiheit entgegenzuwirken. Die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Kommissionsvorschlag zur Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen rühren wohl daher, dass das Risiko unterschätzt wurde, dass ein begrenztes Partikularinteresse im politischen Prozess die Tatsache ausnutzen könnte, dass der Richtlinienvorschlag (der vorgelegt worden war, um das geltende Recht zu harmonisieren und deutlicher zu gestalten) technisch sehr kompliziert war.

    Die Ansichten darüber, warum es unterschiedlichen Interessen gelungen ist, die genannten Richtlinienvorschläge zu verzögern bzw. zu stoppen, können zwar auseinandergehen, doch hat es sich in allen Fällen bei der Erörterung im EWSA gezeigt, dass die Vorschläge sehr umstritten waren.

    Die sehr strittige Formulierung von Ziffer 8.2.7 bringt dieser im Übrigen sehr ausgewogenen, guten und teilweise sogar hervorragenden Stellungnahme keinen zusätzlichen Nutzen. Daher sollte diese Ziffer gestrichen werden, was die Zustimmung der Mitglieder zu der Stellungnahme sicher erhöhen würde.

    Abstimmungsergebnis:

    Ja-Stimmen: 31

    Nein-Stimmen: 61

    Stimmenthaltungen: 13


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/52


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts“

    (2006/C 24/13)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Möglichkeiten einer besseren Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juli 2005 an. Berichterstatter war Herr VAN IERSEL.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 90 gegen 6 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    Durchführung und Durchsetzung

    Zusammenfassung

    In dieser Stellungnahme argumentiert der EWSA, dass eine bessere Rechtsetzung eng mit der Durchführung und Durchsetzung des Rechts zusammenhängt: Ein Gesetz ist gut, wenn es durchsetzbar ist und auch durchgesetzt wird. Die Kommission beschäftigt sich wie auch der Rat und der Europäische Gerichtshof regelmäßig mit den Problemen bei der Anwendung des EU-Rechts. Die Folgemaßnahmen sind jedoch begrenzt, was auf die unterschiedlichen Rechtskulturen und Zuständigkeiten sowie auf eine unterschiedlich starke Einbindung in die effiziente Durchführung des EU-Rechts in der Union zurückzuführen ist. Der EWSA unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten und der Kommission unternommen werden sollten. In den Mitgliedstaaten ist in erster Linie der politische Wille entscheidend. Die Einstellung der einzelstaatlichen Verwaltungen muss nach außen hin deutlich machen, dass sie sich mit der EU identifizieren und voll und ganz hinter den Entscheidungen der Union stehen. Dies setzt Änderungen in einigen spezifischen Bereichen voraus, beispielsweise die Sicherstellung ausreichender Verwaltungskapazitäten, die Überprüfung der innerstaatlichen Regelungen und Verfahrensweisen, den Verzicht auf eine übergenaue Umsetzung („gold-plating“) oder das „Rosinenpicken“ sowie die Verbesserung der Informationsstrukturen. Auf der Ebene der Mitgliedstaaten ist es wünschenswert, dass zwischen allen betroffenen Behörden innerhalb der EU eine systematische Diskussion stattfindet sowie Ex-post-Bewertungen und Rechenschaftslegungen der nationalen Behörden gegenüber ihren Partnern in anderen Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Es ist ebenfalls erforderlich, dass die der nationalen Ebene nachgeordneten Körperschaften mit eigenen Gesetzgebungsbefugnissen einbezogen werden. Der EWSA befürwortet eine aktive Rolle der Kommission, um das Vertrauen zwischen den für die Durchsetzung des EU-Rechts zuständigen Behörden zu fördern und die Netze der einzelstaatlichen Behörden, die systematische Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit und damit die Ermittlung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu unterstützen. Eine Ausweitung der bestehenden Fortbildungsprogramme für Richter und Beschäftigte öffentlicher Verwaltungen sollte in Erwägung gezogen werden. Einige der in dieser Stellungnahme gemachten Vorschläge werden bereits in der Kommission diskutiert und einige Veränderungen bereits von den Mitgliedstaaten in die Praxis umgesetzt. Das gegenwärtige Gesamtbild der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zeigt jedoch gravierende Unzulänglichkeiten auf. Auch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sollten mit einbezogen werden. Nach Ansicht des EWSA ist ein Wandel in der Rechtskultur erforderlich, wobei nicht mehr der Erlass neuer Rechtsvorschriften, sondern die effiziente Anwendung des bestehenden EU-Rechts im Mittelpunkt steht, also sichergestellt wird, dass verabschiedetes Gemeinschaftsrecht und die gemeinsame Politik ihre volle Wirkung entfalten. Dies wird dazu beitragen, das reibungslose Funktionieren der EU-25 zu gewährleisten und darüber hinaus die notwendige Kohäsion zu fördern.

    1.   Das EU-Recht als Grundlage der europäischen Integration

    1.1

    Ein gut funktionierender Binnenmarkt mit entsprechenden Sozial-, insbesondere Arbeitnehmerschutz-, Konsumentenschutz- und Umweltnormen ist das Kernstück der europäischen Integration. Er legitimiert die Integration, weil er den Bürgern und Bürgerinnen und Unternehmen erhebliche Vorteile bietet.

    1.2

    Die Europäische Union ist auf Rechtsstaatlichkeit gegründet. Das Recht stärkt die Grundlagen des Binnenmarktes und verhindert jegliche Diskriminierung von Waren, Personen oder Unternehmen aus Gründen der Herkunft oder Nationalität. Eine effiziente Anwendung des EU-Rechts stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die europäische Politik und die europäischen Verfahren und unterstreicht die Bedeutung der EU im Zusammenhang mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. Das setzt allerdings eine rechtzeitige und korrekte Umsetzung des EU-Rechts auf nationaler Ebene voraus.

    1.3

    Ferner muss die EU-Rechtsetzung EU-weit von allen zuständigen Behörden auf nationaler und regionaler Ebene unverzüglich und kohärent angewandt und effizient durchgesetzt werden, wenn durch sie Hemmnisse jeder Art abgebaut und gleiche Bedingungen für alle geschaffen werden sollen.

    1.4

    Der Binnenmarkt entfaltet erst dann seine Wirkung und wird zu einer Quelle für Wachstum und Wohlstand, wenn für Bürger und Unternehmen keine diskriminierenden oder verdeckten Hemmnisse einschließlich schwerfälliger und langwieriger Verwaltungsverfahren bestehen. Die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen sind oft zu restriktiv, zu komplex und nicht angemessen, was Jahr für Jahr zu zahlreichen Klagen von Seiten der Bürger und Unternehmen führt. (1) Der Grund dafür liegt zum Teil in einer übergenauen Umsetzung („gold-plating“) der EU-Rechtsetzung in nationales Recht. Durch das „gold-plating“ werden nationale Vorschriften hinzugefügt, die die Ziele der EU- Rechtsetzung verschleiern können.

    1.5

    Eine bessere Rechtsetzung ist integraler Bestandteil der Agenda von Lissabon. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 22./23. März 2005 wird ausdrücklich der positive Einfluss eines verbesserten Regelungsumfeldes auf die Wettbewerbsfähigkeit hervorgehoben. In diesem Sinne sprach sich auch der Rat für Wettbewerbsfähigkeit vom 6./7. Juni 2005 aus. (2) In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass eine bessere Rechtsetzung eng mit der Durchführung und Durchsetzung des Rechts verbunden ist: Ein gutes Gesetz ist ein durchsetzbares und auch durchgesetztes Gesetz.

    1.6

    Damit ein Gesetz durchsetzbar ist, muss es hinreichend präzise formuliert sein, und um wirksam zu sein, muss es die passende Antwort auf spezielle Probleme bieten. Wird ein Gesetz zu komplex und zu allgemein formuliert, weil beispielsweise keine angemessene Folgenabschätzung durchgeführt wurde, so werden bei seiner Umsetzung unweigerlich Probleme auftreten. Zur Lösung dieser Probleme sind dann wieder weitere Gesetze erforderlich. Schlechte Gesetze führen zu einer Flut weiterer Gesetze und übermäßig vielen Regelungen, durch die den Unternehmen unnötige Auflagen gemacht und die Bürger verunsichert werden. (3)

    1.7

    Um Gesetze erfolgreich durchsetzen zu können, müssen die Behörden über die erforderlichen Verwaltungskapazitäten verfügen. Schwachstellen in der Verwaltung haben andererseits zur Folge, dass bei der Durchführung und Durchsetzung Probleme entstehen.

    1.8

    Gleichzeitig verbessert eine effiziente Durchführung des EU-Rechts die Wettbewerbsfähigkeit und erleichtert die grenzübergreifende Zusammenarbeit — beides grundlegende Ziele der Agenda von Lissabon.

    1.9

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Union ein Problem mit der Durchführung und Einhaltung des Gemeinschaftsrechts hat. Statistiken über den Stand der Durchführung des EU-Rechts zeigen, dass die Mitgliedstaaten bei der fristgerechten Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht zurückliegen. Statistiken über Vertragsverletzungsverfahren machen deutlich, dass die Umsetzung häufig unkorrekt oder unvollständig erfolgt. 78 % der von der Europäischen Kommission in den Jahren 2002-2005 gegen Mitgliedstaaten eingeleiteten Verfahren betreffen die Umsetzung und Durchführung von Richtlinien. Das bedeutet, dass es für die Mitgliedstaaten problematisch ist, ihre eigene Methode zur effizienten Umsetzung der Richtlinien festzulegen.

    1.10

    In mehreren Entschließungen hat sich der Rat mit den Problemen der Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts beschäftigt. (4) In der interinstitutionellen Vereinbarung aus dem Jahre 2003 über bessere Rechtsetzung wurde ebenfalls auf eine „bessere Umsetzung und Anwendung“ hingewiesen.

    1.11

    In mehreren Fällen hat der Europäische Gerichtshof über die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer effizienten Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts entschieden. (5)

    1.12

    Die Kommission hat in verschiedenen Dokumenten ausgeführt, wie die Mitgliedstaaten ihre Leistungsfähigkeit bei der Umsetzung und Durchführung des EU-Rechts verbessern könnten. (6) In ihrem Weißbuch zum Europäischen Regieren stellt die Kommission fest: „Wie sich die Regeln der Europäischen Union auswirken, hängt letztlich von der Bereitschaft und Fähigkeit der Behörden in den Mitgliedstaaten ab, für eine effiziente und rechtzeitige Um- und Durchsetzung zu sorgen.“ (7) In jüngster Zeit stellte sie in ihrer Mitteilung vom 16. März 2005 über „Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union“ einen Aktionsplan vor, mit dem die regulatorischen Rahmenbedingungen der Gemeinschaft ohne übermäßig hohen Verwaltungsaufwand verbessert werden sollen.

    1.13

    Seit 1985 hat sich das neue Konzept als zunehmend nützliches Instrument zur Verbesserung einer effizienten Harmonisierung von Standards und Regulierungskonzepten erwiesen. Es schafft einen festen, übersichtlichen und transparenten Rechtsrahmen, in dem durch die Anwendung der zahlreichen in den Richtlinien definierten Instrumente entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für die Behörden sowie eine erhebliche Verantwortung für Hersteller und Dritte enthalten sind. In Bezug auf die Umsetzung kommt die Kommission in erster Linie auf Grundlage einer eingehenden Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die „Erfahrung … aber auch gezeigt [hat], dass sich die Umsetzung dieser Richtlinien in vielerlei Hinsicht verbessern lässt“. (8) Dieses Dokument deckt schwerwiegende Mängel auf.

    1.14

    In ihrem Zweiten Bericht über die Umsetzung der Binnenmarktstrategie 2003-2006 (9) analysiert die Kommission die Mängel in der Durchführung und Durchsetzung auf zahlreichen Gebieten. Sie verdeutlicht auch Absichten und Ziele im Hinblick auf eine Verbesserung der Lage. Unter anderem wird ein stärkeres direktes Engagement, mithin ein politischer Wille der Mitgliedstaaten vorausgesetzt. In der „Empfehlung der Kommission zur Umsetzung binnenmarktrelevanter Richtlinien in innerstaatliches Recht“ (10) werden einige Verfahren aufgezeigt, deren Übernahme den Mitgliedstaaten dringend empfohlen wird. Die wichtigsten dieser Verfahren bestehen darin, die Verantwortung für die Überwachung und Koordinierung einem einzigen Minister bzw. Ministerium zu übertragen, eine nationale Datenbank mit Informationen über umgesetzte Richtlinien einzurichten sowie die enge Zusammenarbeit zwischen den an den Verhandlungen in Brüssel beteiligten nationalen Beamten und jenen, die die einzelstaatlichen Maßnahmen durchführen, zu fördern.

    1.15

    Anzeiger zur Durchführung des Gemeinschaftsrechts decken die Mängel bei seiner formalen Umsetzung auf. Zwar scheinen die einzelnen europäischen Institutionen die Probleme zu kennen, aber die Art und Weise, wie die vereinbarten Regelungen in einzelstaatliche Rechts- und/oder Verwaltungsvorschriften umgesetzt werden, ist bislang nicht der Gegenstand einer systematischen Untersuchung oder einer Folgediskussion im Rat gewesen. Während Unterschiede bei der Durchführung des EU-Rechts in verschiedenen Teilen eines Mitgliedstaates rasch den Ruf der Öffentlichkeit nach Abhilfemaßnahmen laut werden lassen würden, steht die unterschiedliche Durchführung von einem Mitgliedstaat zum anderen nicht einmal auf der politischen Tagesordnung.

    1.16

    Zweifellos haben die Anzeiger dazu beigetragen, die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten transparenter zu gestalten. Es gibt indes noch keine entsprechenden Anzeiger, um die Transparenz in Bezug auf die Anwendung des EU-Rechts und der EU-Politik durch die einzelstaatlichen Behörden zu erhöhen.

    1.17

    Obwohl über Verbesserungsvorschläge diskutiert wird, sind sich die öffentlichen Akteure in ganz Europa immer noch zu wenig der Tatsache bewusst, dass das EU-Recht als Grundlage der europäischen Integration nur dann seine Wirksamkeit entfalten wird, wenn der ganze Prozess — Annahme von Richtlinien, Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung — korrekt beachtet wird. In vielen Fällen dürfte es auch an dem entsprechenden Willen fehlen, den ganzen Prozess konsequent durchzuführen. Die Kommissionsdokumente, zahlreiche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs sowie die Forschungsliteratur zum Thema geben den Mitgliedstaaten genügend Hilfen an die Hand, um die Erfüllung ihrer Rechtsverpflichtungen stetig zu verbessern.

    1.18

    Eine effiziente Umsetzung des EU-Rechts erfordert besondere Aufmerksamkeit sowie Schutzmechanismen in einer EU mit einer steigenden Anzahl von Mitgliedstaaten. Der EU-Integrationsprozess darf nicht durch eine Aufweichung der Wirksamkeit der in der EU geltenden Vorschriften gefährdet werden.

    2.   Zusammenhänge und Entwicklungen

    2.1

    Während im EG-Vertrag eine Reihe von Maßnahmen für die Annäherung und Angleichung von Vorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarktes vorgesehen sind (11), haben Erfahrungen in den 70er und frühen 80er Jahren deutlich gemacht, dass eine vollständige Harmonisierung ein zeitraubender, mühseliger und in einigen Fällen unnötiger Prozess ist. Maßnahmen, die auf gegenseitiger Anerkennung sowie auf einzelstaatlicher Kontrolle beruhen, lassen sich leichter aushandeln und umsetzen. Sie sind auch effizienter, wenn es darum geht, Handel und Investitionstätigkeit zu erleichtern, ohne übermäßige Auflagen für die Unternehmen. Es muss indes darauf hingewiesen werden, dass die EU in eine neue Phase eingetreten ist, die durch zunehmende Unterschiede der Regierungskulturen gekennzeichnet ist. Das könnte zu dem Wunsch führen, weitere Verordnungen zu erlassen, um Konvergenz und die Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu gewährleisten.

    2.2

    Trotz der Hinwendung zu neuen politischen Instrumenten war das Anwachsen des Gemeinschaftsrechts zum Teil die natürliche Folge einer vertieften und ausgedehnten Integration, teilweise jedoch auch das Ergebnis einer unvollständigen oder mangelhaften Umsetzung des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten. Neue Verordnungen wurden hinzugefügt, um zu vermeiden, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen oder die einzelstaatlichen Vorschriften zu sehr verkomplizieren. (12) Ein anschauliches Beispiel sind die Liberalisierungsrichtlinien der Kommission auf der Grundlage von Artikel 86 Absatz 3 EGV in Bereichen wie den Telekommunikationsdiensten und -geräten.

    2.3

    Angesichts der in vielen Mitgliedstaaten aufgetretenen Umsetzungsschwierigkeiten (13) erfordert eine bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts koordinierte Anstrengungen auch von Seiten der einzelstaatlichen Behörden. Diese sind bisher nicht unternommen worden, gleichermaßen fehlt es auch an Bemühungen von Seiten der Mitgliedstaaten, die Umsetzung und Kontrolle der Politik mit weniger Einmischung und leichter zu handhabenden Instrumenten durchzuführen.

    2.4

    Der Europäische Rat von Lissabon im Jahre 2000, auf dem der Prozess zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Union eingeleitet wurde, führte die Methode der offenen Koordinierung mit dem Ziel ein, die Umsetzung und Durchführung durch qualitative und quantitative Kriterien, Leistungsvergleiche (Benchmarking) und bewährte Verfahrensweisen zu verbessern. Die Mitgliedstaaten haben bislang nicht systematischer und intensiver auf solche bewährten Praktiken zurückgegriffen, um ihre Ergebnisse bei der Durchführung der Politik zu verbessern.

    2.5

    Zu Beginn wurden durch die Methode der offenen Koordinierung wie auch den angestrebten Leistungsvergleich und den Rückgriff auf bewährte Praktiken hohe Erwartungen geweckt. Die Erfahrungen lassen indes keine positive Schlussfolgerung zu. Ohne verbindliche Verpflichtungen scheinen die Mitgliedstaaten einfach nicht bereit zu sein, das Gemeinschaftsrecht zu übernehmen, von Durchführung und Durchsetzung ganz zu schweigen.

    2.6

    Bis zum Jahre 2004 hatten die zehn Beitrittskandidaten den Acquis communautaire in ihr nationales Recht übernommen. Formell ist dieser Termin demnach eingehalten worden. Veränderungen im Recht aber bedeuten noch längst nicht, dass diese auch korrekt durchgeführt werden. Außerdem erfordern Durchführung und Durchsetzung angemessene Verwaltungsstrukturen und -verfahren, die in einigen Fällen auf eine ganz neue Grundlage gestellt werden mussten, da es in der EU noch an den notwendigen Erfahrungen im Hinblick auf die effiziente Anwendung des EU-Rechts mangelt. Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden und den Gemeinschaftsinstitutionen sollte dazu beitragen, eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts innerhalb der EU zu erleichtern. (14)

    2.7

    Obwohl die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU darauf abzielen, gemeinsame Bedingungen in einem offenen europäischen Markt zu schaffen, können die Instrumente zu dessen Verwirklichung je nach Anwendungsbereich beträchtlich voneinander abweichen. Das Prinzip mag in allen Bereichen dasselbe sein, aber der erwünschte Integrationsgrad kann ganz unterschiedlich sein. Das führt zu mehr oder weniger strengen Gemeinschaftsvorschriften und folglich zu unterschiedlichen Perspektiven und juristischen Ansätzen.

    2.8

    Diese Unterschiede liegen in den verschiedenen Integrationszielen begründet, die beispielsweise zwischen Bereichen wie dem Binnenmarkt und der Umweltpolitik und Bereichen wie der hauptsächlich nationalen Sozial- und Gesundheitspolitik bestehen. Der Vertrag selbst verwendet auch Ausdrücke, die im Bereich der öffentlichen Gesundheit oder der Bildung weniger hochgesteckte Ziele erkennen lassen. In diesen Politikbereichen besteht die Aufgabe der EU darin, eher zu „koordinieren“ und zu „ermutigen“ denn zu integrieren.

    2.9

    Folglich zeigen die derzeitigen Entwicklungen ein farblich vielschichtiges Bild, in dem auf EU-Ebene verschiedene Rechtsinstrumente nebeneinander existieren, welche sich ihrerseits wieder auf einzelstaatliche Ansätze auswirken. Dazu gehören:

    die EU-Instrumente zur vollständigen Harmonisierung der Rechtsvorschriften;

    die EU-Instrumente zur Gewährleistung eines Minimums an Harmonisierung. Durch sie bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, strengere Vorschriften zu erlassen (die in einem grenzübergreifenden Zusammenhang nur bei gegenseitiger Anerkennung angewandt werden können);

    die Richtlinien des neuen Konzepts, die darauf abzielen, grundlegende Anforderungen festzulegen, denen die Produkte auf dem EU-Markt genügen müssen;

    die EU-Gesetzgebung, die auf dem Ursprungslandprinzip basiert;

    Rahmenrichtlinien, die den Mitgliedstaaten einen recht großen Ermessensspielraum bei der Durchführung einräumen;

    Empfehlungen, die in das Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden können;

    Beschlüsse.

    2.10

    Diese breite Palette von Gemeinschaftsinstrumenten, die Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung in den Mitgliedstaaten erfordern, lässt häufig Raum für einzelstaatliche und folglich unterschiedliche Interpretationen darüber, was auf nationaler Ebene durchgeführt und durchgesetzt werden muss und wie dies zu geschehen hat.

    2.11

    Die praktischen Auswirkungen des Modells in seiner jetzigen Form ziehen im Hinblick auf die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße folgende Elemente in Betracht:

    unterschiedliche nationale Rechtskulturen und -systeme

    unterschiedliche Zuständigkeiten innerhalb der einzelstaatlichen Verwaltungen und Ministerien

    spezifische regionale und lokale Zuständigkeiten in den Mitgliedstaaten

    Einflüsse durch die nationalen politischen, sozioökonomischen und gesellschaftlichen Interessengruppen

    innenpolitische Bedürfnisse/Wünsche, die zu einer übergenauen Durchführung der EU-Richtlinien („gold-plating“) oder zu einer selektiven Umsetzung der Bestimmungen („cherry-picking“) führen

    finanzielle und organisatorische Mittel zur korrekten Durchführung des EU-Rechts.

    2.12

    Der EU-Ansatz respektiert selbstredend die Vielfalt der Mitgliedstaaten und ihr reiches Erbe im Bereich der Verwaltungsstrukturen, der Rechtskultur und der politischen Systeme. Dabei handelt es sich um eine Grundsatzfrage. Die unterschiedlichen Traditionen und Kulturen müssen jedoch eine effiziente Durchführung des EU-Rechts gewährleisten, um Verzerrungen oder Diskriminierungen zu verhindern. Die Komplexität dieser Aufgabe wird durch die Ausweitung der Zuständigkeiten der Union und den laufenden Erweiterungsprozess noch verdeutlicht.

    2.13

    Die Kommission stellte einige besondere Elemente heraus, die Auswirkungen auf das Endergebnis haben:

    fachlich und juristisch mangelhafte Formulierung der Rechtsvorschriften (einschließlich Übersetzungsprobleme);

    unterschiedlich strikte Anwendung der mehr oder weniger verbindlichen Instrumente als Folge von Ratsbeschlüssen;

    unterschiedlich starke Einbindung in die Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts innerhalb der Kommission; es gibt wichtige Unterschiede zwischen den Generaldirektionen;

    mitunter fehlende Klarheit über die Vorrechte der Mitgliedstaaten und/oder die Vorrechte der Kommission aufgrund der Auswirkungen der Subsidiarität;

    mitunter personelle Engpässe in der Kommission;

    sprachliche Probleme (bei der Durchführung der Überwachung in den neuen Mitgliedstaaten);

    Bedeutung und Auswirkungen der Vertragsverletzungsverfahren.

    2.14

    Gemeinsam mit dem Anwachsen des Gemeinschaftsrechts ist eine entsprechende Erweiterung der Instrumente und Verfahrensweisen außerhalb der Rechtsetzung zu verzeichnen, die darauf abzielen, die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, EU-Recht fristgerecht und korrekt umzusetzen. Hierzu gehören die regelmäßigen Berichte und Anzeiger, die über die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten informieren.

    2.15

    Darüber hinaus hat die Kommission verschiedene Aktionen eingeleitet, um Bürger und Bürgerinnen und Unternehmen über ihre Rechte zu informieren und sie zu ermutigen, diese Rechte bei den einzelstaatlichen Behörden und vor nationalen Gerichten auch wahrzunehmen. Beispielsweise ist es das Ziel der Kontaktstellen für Bürger und Unternehmen sowie der SOLVIT-Zentren, die Schwierigkeiten zu ermitteln, die Einzelpersonen und Unternehmen bislang entstanden sind, die sich in anderen Mitgliedstaaten aufhalten bzw. dort tätig sind.

    2.16

    Der jüngste Bericht über die Fälle, mit denen die SOLVIT-Zentren konfrontiert wurden, macht deutlich, dass über 50 % aller Probleme die Anerkennung der beruflichen Qualifikation, den Marktzugang für Produkte, die Zulassung von Kraftfahrzeugen sowie Aufenthaltsgenehmigungen betreffen. Zwar konnten 80 % der Fälle erfolgreich abgeschlossen werden, aber die statistischen Daten zeigen, dass die Probleme nicht neu sind. Bürger und Unternehmen sehen sich vor allem deswegen großen Schwierigkeiten ausgesetzt, weil die Verfahren bürokratisch und die einzelstaatlichen Behörden nicht bereit sind, ihre Anforderungen zu rationalisieren. Ungeachtet des Erfolgs der SOLVIT-Zentren werden 20 % der Probleme nicht gelöst. Die Mitgliedstaaten sollten darauf hinwirken, dass dieser Prozentsatz reduziert wird und die nationalen SOLVIT-Büros sowie das europäische SOLVIT-Netzwerk — bei Unternehmen und Bürgern gleichermaßen — im Bekanntheitsgrad steigen.

    2.17

    Die Erweiterung der Europäischen Union stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Die Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten kann nur dann erfolgreich vonstatten gehen, wenn die Konsultations- und Überwachungsmechanismen entsprechend ausgebaut werden.

    2.18

    Dieser Ausbau der Konsultations- und Überwachungsmechanismen wurde insbesondere im Zuge der jüngsten Erweiterung und bei den Parametern deutlich, die auf dem Europäischen Rat von Brüssel im Dezember 2004 bezüglich der künftigen Erweiterungen beschlossen wurden. Künftige Mitgliedstaaten werden durch die Kommission einer genaueren Überprüfung unterzogen, und es wird erwartet, dass sie den Acquis communautaire zum großen Teil umgesetzt haben, bevor sie der EU beitreten. Es wird ferner erwartet, dass Übergangsregelungen, die ihnen zugestanden wurden, schneller zum Abschluss gebracht werden.

    3.   Notwendige Überlegungen

    3.1

    Eine effiziente Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts sind von großer Bedeutung für Bürger und Unternehmen. Sie sind integraler Bestandteil der Rechtsstaatlichkeit. Die häufig unterschiedlichen Auslegungen der gemeinsam verabschiedeten Rechtsvorschriften haben Fragen der Bürger und Bürgerinnen und der Unternehmen zur Folge, wie beispielsweise: Wo kann ich mich beschweren? Wer ist zuständig? Was kann kurzfristig unternommen werden? Grundlegender noch ist aber die Frage: In welchem Ausmaße führt eine ineffektive Durchführung zu Verzögerungen oder Veränderungen des Investitionsverhaltens und zu einem Vertrauensverlust bei den Bürgern? Diese Frage berührt auch die Legitimität, Kohärenz und Vorhersehbarkeit der EU-Politik. Eine weiterhin schleppende Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts kann nicht länger hingenommen werden.

    3.2

    Die große Komplexität und die undurchsichtigen Entwicklungen bei der genauen Durchführung der auf EU-Ebene verabschiedeten Richtlinien erfordern eine allumfassende SWOT-Analyse des bestehenden Systems: Wo stehen wir? Wo liegen die Gründe für bestehende Probleme? Mit welchen Herausforderungen sind die Mitgliedstaaten konfrontiert? Was streben die Mitgliedstaaten an, wie soll das Verhältnis und die Interaktion zwischen Subsidiarität und EU-Kontrolle aussehen? Anders ausgedrückt: Wer überprüft was und nach welchen Kriterien? In welchem Maße entsprechen die Rechtsinstrumente und die derzeitigen Verfahren den Zielen der europäischen Integration? Wie werden die EU und die Mitgliedstaaten auf Unternehmen und Bürger reagieren, die sich über die mangelhafte und mitunter kontraproduktive Art der Umsetzung, Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts in einzelstaatlichen Vorschriften und Praktiken beschweren?

    3.3

    Zusätzlich zu den Diskussionen über Verbesserungen in den Mitgliedstaaten müssen diese bohrenden Fragen gestellt werden, um zwischen den politischen Entscheidungsträgern und Beamten auf der einen Seite und der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite eine breit angelegte und offene Debatte über wünschenswerte Anpassungen der Verfahren und Methoden auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene anzuregen. Dadurch soll das Bewusstsein über die Auswirkungen einer korrekten Umsetzung, Durchführung und Durchsetzung der gesamten EU-Politik geweckt werden.

    3.4

    Es ist notwendig, Überlegungen über die Auswirkungen anzustellen, die künftige Erweiterungen auf die Kohärenz und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts innerhalb der EU haben. Die EU sollte auch darüber nachdenken, wie vermieden werden kann, dass eine Union von 27 oder mehr Mitgliedstaaten, die eine noch größere Vielfalt aufweist, sich selbst in eine Lage manövriert, in der Handel, Investitionen und die Niederlassung erschwert werden.

    3.5

    Es gibt verschiedene Ansichten, wie das Problem einer fehlerhaften Anwendung des EU-Rechts gelöst werden kann, das aus einer politischen Perspektive mit dem Spannungsverhältnis zwischen Subsidiarität und einem gemeinschaftlichen Ansatz zusammenhängt. Zum einen gibt es die Ansicht, die zwar die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Recht gänzlich anerkennt, von der Kommission aber erwartet, dass sie diese genau verfolgt. Ein zweiter Ansatz basiert auf der Subsidiarität: Den Mitgliedstaaten soll Freiraum gewährt werden, und jeder soll sich um seine eigenen Probleme kümmern. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass die Mitgliedstaaten größere Verantwortung übernehmen, indem sie einander zur Rechenschaft ziehen, während die Kommission genau auf die Einhaltung achtet und nötigenfalls von ihren rechtlichen Befugnissen Gebrauch macht.

    3.6

    Als Hüterin der Verträge und als Initiatorin der Rechtsetzung spielt die Kommission eine wichtige Rolle, nämlich das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten. Sie trägt die Verantwortung, einfache und durchsetzbare Rechtsvorschriften vorzuschlagen, durch die die Probleme im Binnenmarkt gelöst werden, ohne den Mitgliedstaaten und Unternehmen übermäßige Kosten aufzubürden. Die Kommission hat in den vergangenen Jahren große Anstrengungen zur Vereinfachung der Rechtsetzung und zur Folgenabschätzung der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften unternommen. Gleichzeitig muss sie auch bei Zuwiderhandlungen schnell und entschieden handeln. Die Kommission sollte der Frage nachgehen, wie die Empfehlungen zur fristgerechten und korrekten Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, die sie 2004 (siehe oben) abgegeben hat, auch auf die Durchführung und Durchsetzung ausgedehnt werden könnten.

    3.7

    Die Mitgliedstaaten sind als Anteilseigner der Union verpflichtet, der Union gegenüber loyal zu sein, ihren Verpflichtungen nachzukommen, die Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben zu erleichtern und von einer Gefährdung der Vertragsziele gemäß Artikel 10 EG-Vertrag Abstand zu nehmen. Es liegt auf der Hand, dass durch die Einstellung der Mitgliedstaaten nach außen hin deutlich werden muss, dass sie sich mit der EU identifizieren und sie voll und ganz hinter den Entscheidungen der Union stehen (15).

    3.8

    Der Europäische Gerichtshof hat durch zahlreiche Urteile deutlich gemacht, dass Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung mangelhafter oder ungenauer Durchführung des Gemeinschaftsrechts nicht auf interne Verwaltungsschwierigkeiten verweisen können. Diese Urteile können dazu beitragen, die für die Zukunft vorgesehenen Verfahrensweisen zu verbessern.

    3.9

    Es wird ferner notwendig sein darüber nachzudenken, welche rechtlich bindenden und außerrechtlichen Instrumente und Verfahren am ehesten geeignet sind, eine effiziente Umsetzung der Politik in einer Union mit mehr als 30 Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

    3.10

    Der Einsatz außerrechtlicher Instrumente und Verfahren zeitigte eher unterschiedliche Ergebnisse. Die Methode der offenen Koordinierung hat offensichtlich trotz eines vielversprechenden Anfangs nicht zum Erfolg geführt. Dagegen waren die SOLVIT-Zentren in der Lage, 80 % der Probleme zu lösen, mit denen sie befasst wurden.

    3.11

    Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit hat in seinen Beschlüssen vom März 2005 die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre interne Gesetzgebung auf Kompatibilität mit dem EU-Recht hin zu überprüfen, um Markthemmnisse abzubauen und den Wettbewerb zu ermöglichen. Das Europäische Parlament hat ebenfalls anerkannt, wie vorteilhaft es ist, wenn einzelstaatliche Verwaltungen die Übereinstimmung mit dem EU-Recht in ihren Ländern überwachen. Durch eine derartige Überprüfung werden Handelshemmnisse identifiziert und abgebaut, ob sie nun von falscher Durchführung oder einem Mangel bei der Durchsetzung des EU-Rechts oder aber einfach von den administrativen Vorgehensweisen herrühren, die nicht im Einklang mit den EU-Anforderungen stehen.

    4.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    4.1   Allgemeines

    4.1.1

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts unverzichtbare Bestandteile einer besseren Rechtsetzung sind und deshalb zu den politischen Prioritäten gehören (16). Dies ist bisher trotz einer in die richtige Richtung weisenden Änderung des Ansatzes in einigen Mitgliedstaaten und innerhalb der Kommission noch nicht der Fall. Die Gesetzgeber haben die Erfordernisse zur Durchführung und Durchsetzung bislang oft nur in unzureichendem Maße berücksichtigt. Beständige Folgenabschätzungen für eine bessere Rechtsetzung werden auch in Betracht ziehen müssen, auf welche Weise das Gemeinschaftsrecht entwickelt werden sollte und es durchgesetzt werden muss. Der gesamte Prozess ist eine Voraussetzung, um gleiche Bedingungen für alle Beteiligten zu schaffen und die Legitimität der EU zu stärken.

    4.1.2

    Grundsätzlich liegt es in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, für eine korrekte Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts Sorge zu tragen. Die Aufgabe der Kommission als der Hüterin der Verträge besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen auch nachkommen. Die Kommission kann jede Fehlentwicklung durch Vertragsverletzungsverfahren oder andere Maßnahmen bekämpfen, die für angemessen erachtet werden, Probleme im Zusammenhang mit der fehlerhaften Anwendung von EU-Recht zu lösen.

    4.1.3

    Als Folge der interinstitutionellen Vereinbarung aus dem Jahre 2003 berät der Rat derzeit über eine Verbesserung der Rechtsetzung und eine Vereinfachung des Rechts. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine effizientere Anwendung nicht nur der Richtlinien, die in den Mitgliedstaaten durchzusetzen sind, sondern aller EU-Rechtsvorschriften im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen muss.

    4.1.4

    Der EWSA ist der Meinung, dass der Rat für Wettbewerbsfähigkeit, der den Binnenmarkt zum zentralen Bestandteil des Integrationsprozesses erklärt hat, der natürliche Partner der Kommission auf EU-Ebene sein sollte, wenn es um Fragen der Durchführung und Durchsetzung von EU-Recht geht.

    4.1.5

    Ein sehr wichtiger und häufig entscheidender Aspekt ist, dass die internen verwaltungsrechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten außerhalb des Anwendungsbereichs der Verträge liegen. Doch folgt aus Artikel 10 des EG-Vertrags sowie aus der Rechtsprechung, dass die nationalen Behörden dafür Sorge tragen müssen, dass das EU-Recht korrekt durchgeführt und durchgesetzt wird. In diesem Zusammenhang verweist der EWSA mit Nachdruck auf die Mitverantwortung der Mitgliedstaaten der EU.

    4.1.6

    Der Erlass neuer EU-Rechtsvorschriften stand viel zu lange im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der EWSA ist wie die Kommission der Meinung, dass in der EU-25 das Hauptaugenmerk auf die Durchführung und Durchsetzung des geltenden Gemeinschaftsrechts gerichtet werden sollte und nicht auf die Hinzufügung neuer Regelungen. Ein neues Gemeinschaftsrecht bietet keine echte Alternative, weil es viel Zeit in Anspruch nehmen und beträchtliche Ressourcen erfordern würde. Aber auch der ausschließliche Einsatz von Rechtsmitteln, um die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, die Probleme anzugehen, wäre genauso zeitraubend und würde knappe Ressourcen binden. Vielmehr ist ein Wandel der Rechtskulturen vonnöten, wobei sich Mitgliedstaaten und Kommission nicht mehr auf neue Verordnungen konzentrieren, sondern mehr auf Durchführung und Durchsetzung des bestehenden Rechts, also dafür Sorge tragen, dass verabschiedetes Gemeinschaftsrecht und die gemeinsame Politik ihre volle Effizienz erlangen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Betonung auf Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts als ein Alibi verwendet werden kann, wenn in Bereichen, in denen neue Rechtsvorschriften benötigt werden, nichts unternommen wird.

    4.1.7

    Die Überprüfung des bestehenden und bereits umgesetzten EU-Rechts — siehe auch die Erfahrungen in Dänemark — wird sich positiv auf den Prozess einer besseren Rechtsetzung auswirken. Es handelt sich um ein anschauliches Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Vereinfachung und Verbesserung der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts.

    4.1.8

    Die Alternativen, d.h. Selbstregulierung und Koregulierung (17), müssen von Fall zu Fall überprüft werden, um herauszufinden, wo diese Systeme greifen und wo nicht. Trotz des erforderlichen Anreizes für Selbst- und Koregulierungsinitiativen muss die Durchführbarkeit dieser Alternativen im Zuge der konkreten Anwendung geprüft werden.

    4.1.9

    Nach Ansicht des EWSA liegt es ebenfalls auf der Hand, dass die wachsenden Schwierigkeiten bei der Durchführung und Durchsetzung auf nationaler Ebene durch eine engere Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden und den Gemeinschaftsinstitutionen angegangen und gelöst werden müssen.

    4.1.10

    Der EWSA ist der Ansicht, dass eine derart intensivierte Zusammenarbeit auch zur Vermeidung überflüssigen Gemeinschaftsrechts dient, das kaum der richtige Weg ist, einzelstaatliche Umsetzungsverfahren zu optimieren. Diese sind zu langsam und schwerfällig und suchen oft mit unverhältnismäßigen Mitteln nationale politische Zielsetzungen zu verfolgen.

    4.2   Die Mitgliedstaaten

    4.2.1

    Nach Ansicht des EWSA sollten die Mitgliedstaaten auch weiterhin nach ihrem Ermessen eigene Methoden und Verfahren zur Durchführung des EU-Rechts festlegen können. Diese Methoden und Verfahren könnten von den Mitgliedstaaten und der Kommission auch in ihren Folgenabschätzungen zur Sprache kommen.

    4.2.2

    Welche Methoden oder Verfahren die Mitgliedstaaten auch immer wählen, um EU-Recht oder nationales Recht, das Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes hat, durchzuführen, so müssen sie nach Ansicht des EWSA doch innerhalb der gesamten EU zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Außerdem müssen es die Ergebnisse ermöglichen, dass das primäre und abgeleitete Recht der EU tatsächlich seine Wirkung entfaltet.

    4.2.3

    Nach Ansicht des EWSA ist es im Zusammenhang mit den Mitgliedstaaten auch angebracht, dass die der nationalen Ebene nachgeordneten Körperschaften einbezogen werden, die mit Gesetzgebungsbefugnissen ausgestattet und/oder für die Umsetzung von Rechtsvorschriften verantwortlich sind (z.B. Länder, Provinzen, Regionen).

    4.2.4

    Der nächste Schritt in der Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen und den einzelstaatlichen Behörden zur Durchführung des EU-Rechts und der europäischen Politik sollte nach Meinung des EWSA darin bestehen, die nationalen Verwaltungskapazitäten zur Anwendung und Durchsetzung der Politik zu stärken oder zu rationalisieren, wie dies zur Zeit in einigen Mitgliedstaaten diskutiert wird.

    4.2.5

    Die Verwaltungskapazitäten sind eine Angelegenheit gemeinsamen Interesses, und die Mitgliedstaaten sollten nachweisen, dass ihre Behörden zur Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts über solche Kapazitäten auf hoher Ebene verfügen. Für den EWSA setzt dies unter anderem eine enge Zusammenarbeit zwischen den in Brüssel tätigen Beamten und den Legislativorganen auf der einzelstaatlichen Ebene voraus.

    4.2.6

    Eine besondere Maßnahme ist in den Augen des EWSA der Einsatz nationaler Regulierungsbehörden auf einigen Gebieten wie dem der Telekommunikation. Nationale Regulierungsbehörden sind gleichzeitig dem europäischen Recht und den nationalen Überwachungsinstanzen verpflichtet. Auch diese Verfahren müssen einer genauen Untersuchung unterzogen werden.

    4.2.7

    Die Mitgliedstaaten sollten dazu angeregt werden, interne Regelungen und Verfahrensweisen einer Überprüfung zu unterziehen (was einige Staaten, wie z.B. Dänemark, bereits tun). Probleme bei der Umsetzung des EU-Rechts entstehen häufig deswegen, weil einzelstaatliche Regelungen und Verfahrensweisen nicht genügend auf den großen europäischen Markt abgestimmt sind.

    4.2.8

    Eine besondere Art der Umsetzung des EU-Rechts ist das „gold-plating“ und das „cherry-picking“, die übergenaue und die selektive Umsetzung der EU-Gesetzgebung. Der EWSA ist der Ansicht, dass eine allgemeine Regelung festgelegt werden könnte, nach der Mitgliedstaaten, wenn sie über ihre nationalen Umsetzungsmaßnahmen berichten, der Kommission durch Umsetzungstabellen formell begründen, dass diese in vollständigem Einklang mit dem EU-Recht stehen.

    4.2.9

    Es mag wünschenswert sein, dass die Mitgliedstaaten sowohl ihren eigenen Verwaltungen als auch der Öffentlichkeit ausführlichere und bessere Informationen über Rechte und Pflichten zukommen lassen. Häufig ist fehlende Information der Grund für die Nichteinhaltung des Gemeinschaftsrechts. Der EWSA regt an, nationale Sanktionen für Nichteinhaltung des EU-Rechts durch Bürger oder Unternehmen in Erwägung zu ziehen.

    4.2.10

    Zur Zeit sind die Verhandlungen über Umsetzung und Durchführung des EU-Rechts im Wesentlichen auf bilaterale Kontakte zwischen den Regierungen und der Kommission beschränkt. Hier ist eine stärkere Interaktion und Flexibilität gefragt. Der Einfluss multilateraler Gespräche, die bereits mit Blick auf Umsetzung und Anwendung in Gruppen nationaler Sachverständiger stattfinden, sollte verstärkt werden. Es ist notwendig, dass alle betroffenen Behörden innerhalb der EU in allen politischen Bereichen eine regelmäßige und sachliche Diskussion über die erreichten Ergebnisse und über die Erfahrungen der einzelnen Mitgliedstaaten führen. In gleicher Weise sind auch Ex-post-Bewertungen wünschenswert.

    4.2.11

    Im Zuge der bilateralen Kontakte zwischen den Mitgliedstaaten sollte der Austausch von Beamten im Rahmen der erfolgreichen Partnerschaften in Betracht gezogen werden, die den neuen Mitgliedstaaten und den Bewerberländern eine große Hilfe sind.

    4.2.12

    Ex-post-Bewertungen von Richtlinien und angewandtem EU-Recht müssen systematisch durchgeführt werden. Da Konsultationen eine der Grundvoraussetzungen für eine bessere Rechtsetzung sind, müssen ähnliche Verfahren auch für den Prozess der Ex-post-Bewertungen vorgesehen werden (18). Die eigentlichen Legislativorgane sollten nicht für diese Bewertungen zuständig sein, aus denen gegebenenfalls auch hervorgehen kann, dass bestimmte Vorschriften künftig notwendig und relevant sind.

    4.2.13

    Diese Diskussionen werden nach Ansicht des EWSA dazu führen, systematisch bewährte Verfahrensweisen zu ermitteln, die von den Behörden in der ganzen EU übernommen werden können. In den Fällen, in denen Unterschiede in der Verwaltungsstruktur der einzelnen Mitgliedstaaten die Übernahme derartiger bewährter Praktiken verhindern, sollten die nationalen Behörden nachweisen müssen, wie sie durch Anwendung eigener Methoden und Verfahren zu Ergebnissen gelangen, die mit denen anderer Mitgliedstaaten, die bewährte Verfahrensweisen anwenden, vergleichbar sind. Die Beachtung einer „Vorrangregelung“ beispielsweise ist ein derartiges bewährtes Verfahren, das in einigen Mitgliedstaaten angewandt wird. Dabei gilt das Prinzip, dass die Umsetzung des EU-Rechts immer Vorrang vor der Durchführung nationalen Rechts hat.

    4.2.14

    Die nationalen Behörden sind in der Regel der Regierung oder Ministern und gegebenenfalls auch dem Parlament rechenschaftspflichtig. Da mangelhafte oder fehlende Umsetzung des EU-Rechts sich auch nachteilig auf die Interessen der Bürger und Bürgerinnen sowie der Unternehmen anderer Mitgliedstaaten auswirken kann, sollte die EU nach Ansicht des EWSA ein neues Konzept der gegenseitigen Verantwortlichkeit gegenüber den entsprechenden Behörden in anderen Mitgliedstaaten entwickeln. (19)

    4.2.15

    Die einzelstaatlichen Behörden müssen ihren Partnern ihre Verwaltungsverfahren, formale Entscheidungen und andere mit der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zusammenhängende Aktionen erläutern, wenn die Partner in anderen Mitgliedstaaten den Eindruck gewinnen, dass diese Praktiken, Entscheidungen und Aktionen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes behindern.

    4.2.16

    Für den EWSA ist es von großer Wichtigkeit, dass die Mitgliedstaaten regelmäßig die Leistungsfähigkeit ihrer mit der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts beauftragten Behörden sowie die Übereinstimmung der internen Regelungen, Verordnungen und Verwaltungspraktiken mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts überprüfen.

    4.2.17

    Im Zuge der künftigen Erweiterung der EU müssen Kandidatenländer den gesamten Acquis communautaire umgesetzt haben. Der EWSA hält es für wünschenswert, dass sie über angemessene Verwaltungskapazitäten verfügen, um ihn vor dem Beitritt zur EU korrekt umzusetzen.

    4.2.18

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten bereit sein müssen, zur ernsthaften Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts umfangreichere Human- und Finanzressourcen einzusetzen. Der Ausschuss verweist auf den auffallenden Unterschied zwischen den für die Methode der offenen Koordinierung zur Verfügung gestellten Mitteln (Beamte, Tagungen, Dokumente) und den finanziellen und personellen Schwierigkeiten in vielen Mitgliedstaaten bei der Unterstützung derart wichtiger Netze wie SOLVIT. Eine positive Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang beispielsweise Schweden.

    4.2.19

    Große Aufmerksamkeit verdient die Arbeitsweise der Gerichte — der Organe, die in großem Umfang dafür zuständig sind, das Gemeinschaftsrecht (Verordnungen) und das daraus resultierende Recht (Richtlinien) auszulegen und unmittelbar anzuwenden, und bei denen erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Vereinheitlichung der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Schnelligkeit seiner Anwendung auf konkrete Fälle festzustellen sind. Daraus erwächst die besondere Notwendigkeit der Ausbildung von Richtern und Anwälten auf dem Gebiet des Gemeinschaftsrechts, vor allem in den Bereichen Wettbewerb, Gesundheitswesen und Verbraucherschutz.

    4.3   Die Kommission

    4.3.1

    Der EWSA ist der Meinung, dass es auch Aufgabe der Kommission ist — neben ihren Bemühungen, in ihren eigenen Diensten eine bessere Rechtsetzung auf den Weg zu bringen –, das Vertrauen zwischen den für die Durchsetzung des EU-Rechts zuständigen Behörden zu fördern und die Netze der einzelstaatlichen Behörden, die systematische Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit und damit die Ermittlung und Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu unterstützen. Durch besondere Instrumente wie Informationssysteme kann sie dazu beitragen, die tägliche administrative Zusammenarbeit zwischen den Beamten zu erleichtern. In diesem Zusammenhang stellt der Beratende Ausschuss für den Binnenmarkt für Kommission und Mitgliedstaaten ein nützliches Forum dar. Das gleiche gilt für den geplanten Informationsdienst zu Fragen des Binnenmarkts, mit dem die Kommission die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördern will.

    4.3.2

    Zusätzlich zu den Instrumenten, die die Kommission in ihrer Mitteilung zur besseren Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts  (20) im Hinblick auf die Vermeidung von Vertragsverletzungen aufführt, ist nach Ansicht des EWSA eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden von großer Bedeutung. Die Kommission kann dabei behilflich sein, nationale Verfahrensweisen — selbst wenn diese nicht zu formellen Vertragsverletzungsverfahren geführt haben — zu überprüfen sowie das Lösen von Problemen zu vereinfachen und die Anwendung bewährter Verfahren in den Mitgliedstaaten zu fördern.

    4.3.3

    Der EWSA empfiehlt, dass die Kommission aufgefordert wird, die Durchführungsstrukturen in den Mitgliedstaaten zu überprüfen — gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines neutralen Partners — und regelmäßig in Form von Anzeigern über Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zu berichten.

    4.3.4

    Von der EU finanzierte Fortbildungsprogramme, die auf nationalen Studien und Erfahrungen beruhen und Beteiligte aus ganz Europa an einen Tisch bringen, müssen gefördert werden. Die jüngst erfolgte und von der Kommission finanzierte Weiterbildungsmaßnahme für Richter im Wettbewerbsrecht zeitigte positive Ergebnisse. Derartige Fortbildungsprogramme für Richter an unteren und regionalen Gerichten sowie für Beschäftigte öffentlicher Verwaltungen müssen auf allen relevanten Gebieten ausgeweitet werden, da die notwendigen Sachkenntnisse häufig immer noch fehlen. Auch die Rolle der Ombudsmänner könnte berücksichtigt werden.

    4.3.5

    Die Kommission sollte sich ernsthaft um Alternativen für formale rechtliche Schritte bemühen, die für den Kläger oft zu zeitraubend sind. 50 % der Vertragsverletzungsverfahren dauern mehr als vier Jahre! Alternativen umfassen Paketsitzungen und Instrumente wie SOLVIT. Die Kommission könnte eine Veröffentlichung der Ergebnisse der Paketsitzungen in Erwägung ziehen.

    4.3.6

    Das Hauptanliegen sollte darin bestehen, die angemessensten Maßnahmen zu ermitteln, durch die die Politik zum gewünschten Erfolg geführt werden kann. In besonderen Fällen und um verlässliche Resultate in den Mitgliedstaaten zu erhalten, könnte die Kommission erwägen, Vorschläge für eine Verordnung anstatt Vorschläge für eine Richtlinie zu machen. Allgemein gesprochen sollte die Kommission die Probleme berücksichtigen, die aus den verschiedenen einzelstaatlichen Umsetzungsverfahren für das EU-Recht erwachsen.

    4.3.7

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Kommission mit den nötigen Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden sollte, damit sie ihre traditionelle Aufgabe erfüllen und die Umsetzung des EU-Rechts überwachen kann, gleichzeitig aber auch in der Lage ist, ihre neue Aufgabe wahrzunehmen, nämlich die Ermittlung und Verbreitung bewährter Praktiken zu fördern. Der EWSA begrüßt die von der Kommission für das Jahr 2006 geplante interne Überprüfung, um die bestehenden Verfahrensweisen und Arbeitsmethoden auf diesem Gebiet zu analysieren.

    4.3.8

    Die Kommission sollte ermutigt werden, ihre Bemühungen um eine Überwachung der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts zu rationalisieren. Dazu könnten auch umfangreichere Ressourcen in der Kommission erforderlich sein. In diesem Zusammenhang ist eine größere Kohärenz zwischen den Ansätzen der verschiedenen Generaldirektionen vonnöten.

    4.4   Gutes Regieren und die Gesellschaft

    4.4.1

    Nach Ansicht des EWSA dürfen Berichterstattung und Beratung über Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts sowie deren Überwachung nicht auf Verwaltungen und Beamte beschränkt bleiben. Das Europäische Parlament wie auch die nationalen Parlamente sollten in diesen Prozess mit einbezogen werden. Der EWSA begrüßt die kürzlich vom Europäischen Parlament ergriffene Initiative, Durchführung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts auf seine Tagesordnung zu setzen. Diese Maßnahme wird sicherlich dazu beitragen, die dringend erforderliche politische Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken.

    4.4.2

    Im Rahmen der Initiative für besseres Regieren hat die Kommission weitreichende Konsultationen durchgeführt. (21) Gleiches wurde auch von den Mitgliedstaaten erwartet. Einige abgeleitete Rechtsvorschriften wie Verordnungen zum Wettbewerb oder Richtlinien zur Telekommunikation setzen voraus, dass die einzelstaatlichen Behörden die betroffenen Parteien stets anhören, bevor sie Maßnahmen treffen. In einigen Mitgliedstaaten werden traditionell Volksbefragungen durchgeführt, um die Politik besser gestalten und beurteilen zu können. Die meisten Mitgliedstaaten führen eine Art von Folgenabschätzung in Bezug auf finanzielle Auswirkungen oder Folgen für die Umwelt durch. Bei der Folgenabschätzung gibt es beide Phasen — eine Konsultation und eine Bewertungskomponente. Derartige Konsultationen und Bewertungen, durch die im Grunde die Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen und der Unternehmen sowie die Auswirkungen der Politik auf sie ermittelt werden, sorgen nach Ansicht des EWSA für ein besseres Verständnis politischer Maßnahmen, stärken ihre Legitimität und bilden die Grundlage für Verbesserungen der Politik.

    4.4.3

    Wegen der Komplexität dieser Prozesse setzt gutes Regieren voraus, dass in ganz Europa erklärt wird, dass ungeachtet der Subsidiarität und besonderer Verwaltungstraditionen die Regierungen verpflichtet sind, die Rechtsvorschriften umzusetzen, über die sie sich auf EU-Ebene geeinigt haben. Das bedeutet gleichermaßen, dass neben der Kommission und den Mitgliedstaaten auch ein Engagement des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft höchst willkommen ist, um Verbesserungen und vorbildliche Verfahrensweisen zu verbreiten.

    4.4.4

    Nach Ansicht des EWSA ist eine ausgewogene Öffentlichkeitsarbeit erforderlich, sobald Kommission und Mitgliedstaaten konkrete Vorstellungen darüber entwickelt haben, wie die Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts als integraler Bestandteil einer besseren Rechtsetzung präsentiert werden können.

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Die Ergebnisse einer vom EWSA durchgeführten Umfrage über mögliche Mängel und Defizite bei der Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten sind in Anhang B zusammengefasst.

    (2)  Unter Ziffer 11 der Schlussfolgerungen heißt es, dass der Rat die Mitgliedstaaten auffordert, ihre Anstrengungen zur Reduzierung der Umsetzungsdefizite zu verdoppeln sowie eine Überprüfung ihrer internen Gesetzgebung auf Kompatibilität mit dem EU-Recht hin in Erwägung zu ziehen.

    (3)  An dieser Stelle soll auf die British Better Regulation Task Force hingewiesen werden, die in den Jahren 2003 und 2004 drei nützliche Dokumente über die Gesetzgebung auf nationaler und europäischer Ebene sowie deren Umsetzung veröffentlicht hat. Die Untersuchungen und Empfehlungen heben unter anderem die Notwendigkeit einer präzisen und effizienten Gesetzgebung hervor, um die notwendige Interaktion zwischen den verschiedenen Prozessen zum Erfolg zu führen.

    (4)  Entschließungen des Rates vom 16. Juni 1994, 29. Juni 1995 and 8 Juli 1996, siehe Hans Petter Graver: „National Implementation of EU Law and the Shaping of European Administrative Policy“, in: ARENA Working Papers WP 02/17, S. 6.

    (5)  Ebd. S. 21.

    (6)  Siehe die Empfehlung der Europäischen Kommission vom 12. Juli 2004, 2005/309/EG.

    (7)  Weißbuch über Europäisches Regieren, KOM(2001) 428 endg., S. 25.

    (8)  Verbesserte Umsetzung der Richtlinien des neuen Konzepts, KOM(2003) 240 endg., S. 3.

    (9)  KOM(2005) 11 endg., 27. Januar 2005.

    (10)  ABl. L 98/47 vom 16.4.2005.

    (11)  Artikel 94 - 97 des EG-Vertrages.

    (12)  Siehe das Weißbuch über Europäisches Regieren, KOM(2001) 428 endg.

    (13)  Z.B. 21. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, KOM(2004) 839, 30.12.2004.

    (14)  Siehe auch: J. Vervaele: Compliance and Enforcement of European Community Law, The Hague, Kluwer Law International, 1999; Ph. Nicolaides, From Graphite to Diamond: The Importance of Institutional Structure in Establishing Capacity for Effective and Credible Application of EU Rules, European Institute of Public Administration, 2002 sowie darin angeführte Referenzen.

    (15)  Eine Analyse der gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden macht deutlich, in welch enttäuschendem Ausmaß das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und „Brüssel“ von der öffentlichen Meinung und einigen Politikern (!) durch die Verwendung der Ausdrücke „wir hier“ und „die da“ charakterisiert wird.

    (16)  Diese Meinung steht vollkommen im Einklang mit den Ansichten, die in den Stellungnahmen des EWSA seit dem Jahre 2000 bezüglich der Aktualisierung, Vereinfachung und Verbesserung des Acquis communautaire sowie des Regelungsumfeldes geäußert wurden.

    (17)  „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“, Berichterstatter: Herr Vever, CESE 1182/2004.

    (18)  In den Ergebnissen der EWSA-Fragebogenaktion – siehe Anhang B – werden Beispiele aufgeführt, die die Notwendigkeit derartiger Ex-post-Bewertungen unterstreichen.

    (19)  Zumal kürzlich das Vereinigte Königreich ein Gremium für die Rechenschaftspflicht der Regionen in Sachen Rechtsetzung eingerichtet hat. Aus diesem Gremium könnten auch nützliche, auf der EU-Ebene zu verwendende Elemente hervorgehen.

    (20)  KOM(2002) 725 endg. vom 11.12.2002.

    (21)  Siehe KOM(2002) 713 endg. vom 11.12.2002.


    ANHANG

    zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Folgende Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

    Ziffer 1.2

    ergänzen wie folgt:

    „Die Europäische Union ist auf Rechtsstaatlichkeit gegründet. Das Recht stärkt die Grundlagen des Binnenmarktes und verhindert jegliche Diskriminierung von Waren, Personen oder Unternehmen aus Gründen der Herkunft oder Nationalität. Eine effiziente Anwendung des EU-Rechts unter strikter Beachtung der bestehenden Sozial-, Konsumentenschutz- und Umweltschutznormen stärkt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die europäische Politik und die europäischen Verfahren und unterstreicht die Bedeutung der EU im Zusammenhang mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen. Das setzt allerdings eine rechtzeitige und korrekte Umsetzung des EU-Rechts auf nationaler Ebene voraus.“

    Begründung

    Nur ein durch obige Rahmenbedingungen geordneter Binnenmarkt wird die gewünschten Ergebnisse für den überwiegenden Teil der Bevölkerung sicherstellen. Die Volksabstimmungen (zur EU-Verfassung in FR, NL) und Umfragen (Eurobarometer) der letzten Zeit zeigen, dass die Bevölkerung deutlich eine Politik wünscht, in der sie sich insgesamt wiederfinden kann.

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen: 43

    Nein-Stimmen: 45

    Stimmenthaltungen: 7

    Ziffer 2.1

    ändern wie folgt:

    „2.1

    Während im Im EG-Vertrag sind eine Reihe von Maßnahmen für die Annäherung und Angleichung von Vorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarktes vorgesehen. sind.  (1) , haben Die Erfahrungen in den 70er und frühen 80er Jahren haben deutlich gemacht, dass eine vollständige Harmonisierung ein zeitraubender, mühseliger und unnötiger Prozess ist. eine große Herausforderung darstellt. Maßnahmen, die auf gegenseitiger Anerkennung sowie auf einzelstaatlicher Kontrolle beruhen, lassen sich in manchen Fällen zwar leichter aushandeln und umsetzen. Sie sind auch effizienter, wenn es darum geht, Handel und Investitionstätigkeit zu erleichtern, ohne übermäßige Auflagen für die Unternehmen. Für einem flächendeckenden Ansatz des Herkunftslandprinzips müssen jedoch erst die Voraussetzungen geschaffen werden, indem ein differenzierter Ansatz mit dem Vorrang auf Harmonisierung mit hohen Arbeitnehmer-, Verbraucher- und Umweltstandards in den einzelnen Sektoren verfolgt wird. Nur so lässt sich der Binnenmarkt insgesamt auf einem angemessenen Qualitätsniveau verwirklichen. Dies entspricht auch der Forderung des EWSA in seiner Stellungnahme zur Dienstleistungsrichtlinie, die im Februar 2005 (2) verabschiedet wurde. Es muss indes auch darauf hingewiesen werden, dass die EU in eine neue Phase eingetreten ist, die durch zunehmende Unterschiede der Regierungskulturen gekennzeichnet ist. Das könnte zu dem Wunsch führen, weitere Verordnungen zu erlassen, um Konvergenz und die Verbreitung bewährter Verfahrensweisen zu gewährleisten.“

    Begründung

    In der aktuellen Stellungnahme die Harmonisierung der Vorschriften weitgehend in Frage zu stellen, wäre nach der langen Diskussion im Rahmen der Stellungnahme zur Dienstleistungsrichtlinie, nach dem schließlich obiger Konsens gefunden wurde, unangebracht. Die Erkenntnisse aus dieser Diskussion hier anzuführen trägt nicht nur zur besseren Abstimmung der Stellungnahmen des EWSA bei, sondern ist auch eine hilfreiche inhaltliche Ergänzung zum hier angesprochenen Thema der Harmonisierung.

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen: 44

    Nein-Stimmen: 48

    Stimmenthaltungen: 9

    Der folgende Text der Stellungnahme der Fachgruppe, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde zugunsten eines Änderungsantrags abgelehnt:

    Ziffer 1.1

    „1.1

    Ein gut funktionierender Binnenmarkt ist das Kernstück der europäischen Integration. Er legitimiert die Integration, weil er den Bürgern und Unternehmen erhebliche Vorteile bietet.“

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen: 38

    Nein-Stimmen: 44

    Stimmenthaltungen: 10


    (1)  Artikel 94-97 des EG-Vertrages.

    (2)  ABl. C 221 vom 8.9.2005.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/63


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Übergewichtigkeit in Europa — Rolle und Verantwortung der Partner der Zivilgesellschaft“

    (2006/C 24/14)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 18. Februar 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Übergewichtigkeit in Europa — Rolle und Verantwortung der Partner der Zivilgesellschaft“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2005 an. Berichterstatterin war Frau Sharma.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 28. September) mit 83 gegen 4 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Übergewichtigkeit — Verantwortung der Gesellschaft

    1.1

    Es ist ein sehr betrüblicher Fakt, dass die beiden großen ernährungsbedingten Probleme, mit denen die Welt heute konfrontiert ist, darin bestehen, dass einerseits 600 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind, während andererseits 310 Millionen Menschen mit Übergewicht zu kämpfen haben.

    1.2

    Die unzähligen Dokumente, Untersuchungen, Diskussionsrunden und Berichte zum Thema Ernährung, körperliche Betätigung und Übergewichtigkeit, die von Fachleuten und großen internationalen Organisationen stammen, haben zu keinen Lösungen oder konkreten Aktionen geführt, um diesem Phänomen, das großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schaden anrichtet, Einhalt zu gebieten.

    1.3

    Übermäßige Nahrungsenergieaufnahme bei verringertem Energieverbrauch ergibt einen Energieüberschuss, der in Form von Körperfett gespeichert wird. Auf diese Art und Weise entsteht Übergewichtigkeit. In den vergangenen Jahrzehnten haben wirtschaftliche, soziale und psychologische Faktoren ein Übriges getan, um Übergewichtigkeit zu einem der größten Gesundheitsprobleme werden zu lassen.

    1.4

    Die Zahl der Übergewichtigen ist in den letzten 30 Jahren drastisch angestiegen. Im Jahr 2000 erklärte die WHO das Problem zur „größten Gesundheitsbedrohung, der sich der Westen gegenübersieht“.

    Es gibt in der gesamten EU-25 14 Millionen übergewichtige Kinder, von denen 3 Millionen fettleibig sind. Diese Zahl steigt jährlich um 400.000, nahezu jedes vierte Kind ist betroffen.

    10-20 % der Kinder in Nordeuropa sind übergewichtig; in Südeuropa, Irland und dem Vereinigten Königreich liegt die Zahl bei 20-35 %.

    In vielen EU-Mitgliedstaaten ist mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig, und 20-30 % der Erwachsenen werden als fettleibig eingestuft.

    Fettleibigkeit in den mittleren Lebensjahren steigert das Risiko einer späteren Demenz.

    Sechs der sieben bedeutendsten Risikofaktoren für ein vorzeitiges Ableben sind direkt auf unsere Ess- und Trinkgewohnheiten sowie mangelnde Bewegung zurückzuführen (der siebte ist das Rauchen).

    In den Industriestaaten werden 2-7 % der Gesamtkosten des Gesundheitswesens für die Behandlung von Übergewichtigkeit bzw. Fettleibigkeit und ihren Folgen aufgewendet.

    1.5

    Die stetige Zunahme des Phänomens und die negativen Folgen von Übergewichtigkeit für den Einzelnen und für die Gesellschaft machen heute einen interdisziplinären Ansatz notwendig, der allen Faktoren Rechnung trägt und koordinierte Maßnahmen zwischen dem Staat, dem unmittelbaren gesellschaftlichen Umfeld des Einzelnen und dem Einzelnen vorsieht. Die Behörden spielen dabei eine zentrale Rolle, um in Zusammenarbeit mit anderen Interessenträgern ein Umfeld zu schaffen, das den Einzelnen, die Familien und deren näheres gesellschaftliches Umfeld in die Lage versetzt und ermuntert, positive, lebensbejahende Entscheidungen zugunsten einer gesunden Lebensweise zu treffen.

    2.   Beteiligte Faktoren

    Die Zunahme der sitzenden Tätigkeiten, die stärkere Nutzung motorisierter Verkehrsmittel, weniger körperliche Aktivität und der Anstieg des Verzehrs energiereicher und in ihrer Zusammensetzung unausgewogener Lebensmittel und Getränke sind vermutlich die Schlüsselfaktoren, die zur heutigen Epidemie der Fettleibigkeit beitragen.

    2.1   Allgemeine Faktoren

    Die Hauptschuld an der rasanten Zunahme der Übergewichtigkeit tragen kulturelle Leitbilder und Verhaltensweisen der Wohlstandsgesellschaft. Eine Lösung des Problems kann einzig durch koordinierte Informations- und Präventionsmaßnahmen (auf nationaler und lokaler Ebene, aber auch durch den Einzelnen) gefunden werden, die Veränderungen bei den gesellschaftlichen Vorstellungen und den gravierendsten Verhaltensweisen herbeiführen, ohne dem Irrtum einer „Medizinalisierung“ der Übergewichtigkeit aufzusitzen bzw. diese zu instrumentalisieren.

    2.2

    Zu den Hauptansatzpunkten gehören somit eine Reihe von Sektoren und Aktivitäten, die zu folgenden Bereichen zusammengefasst werden können:

    Gesellschaft: Ernährungserziehung (hierbei müssen nicht nur quantitative Aspekte der Ernährung, sondern auch der allgemeine Nährwert von Lebensmitteln thematisiert werden) und Erziehung zu einer gesünderen Lebensweise, insbesondere im Hinblick auf körperliche Betätigung;

    Schule: Vermittlung von Kenntnissen über den Nährwert von Lebensmitteln, Ursachen und Folgen von Übergewichtigkeit, ein neuer Lehrplan für die Hauswirtschaft und den sozialwissenschaftlichen Fachbereich, der auf eine Verinnerlichung einer gesünderen Lebensweise abzielen sollte, sowie Aufwertung körperlicher Tätigkeiten auch in der Freizeit;

    Industrie: Ermunterung zu ethischem Handeln in der Lebensmittelindustrie, insbesondere im Bereich Marketing und Werbung in den Medien, sowie Förderung von Personalpolitik, die gesunde Ernährung und angemessene körperliche Betätigung begünstigt;

    Verkehrsmittel: der übermäßigen Benutzung von Verkehrsmitteln entgegenwirken, die körperliche Betätigung ersetzen, und Ermittlung von Ansätzen, durch die die Vertriebskosten besonders von frischen Lebensmitteln nicht weiter gesteigert werden;

    Medien: Kontrolle der Werbepraktiken im Hinblick darauf, dass nicht zu übermäßigen oder falschen Konsumgewohnheiten verleitet wird, und Sensibilisierung der Eltern hinsichtlich der Risiken, die der zu häufige und zu lange Konsum von Fernsehen, Videospielen und Internet auch in körperlicher Hinsicht für ihre Kinder mit sich bringt;

    Gesundheitsdienste: Schaffung eines wirklichen Informationsdienstes für alle Bürger und Durchführung von Informations- und Präventionskampagnen statt verspäteter und häufig wirkungsloser Therapien;

    Politik: verantwortungsvolle und angemessene Investitionen in konkrete Initiativen von der nationalen bis zur lokalen Ebene, die auf alle Schichten der Bevölkerung, insbesondere aber auf die bildungs- und einkommensschwächsten Gruppen ausgerichtet sind.

    3.   Schluss mit den Schuldzuweisungen

    3.1

    Die heutige industrialisierte Welt schafft ein Umfeld, das Übergewichtigkeit in sehr starkem Maße fördert. Einige Ursachen liegen auf der Hand, andere sind weniger augenfällig. Die meisten werden von der Gesellschaft unterschätzt. Besorgniserregend ist der mangelnde Weitblick (Konsequenzen für künftige Generationen) und die Ablehnung jeglicher Verantwortung bzw. die Abwälzung der Schuldfrage auf andere.

    3.2

    Die der Übergewichtigkeit zugrunde liegenden Faktoren sind der Verzehr energiereicher, nährstoffarmer Nahrungsmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt, geringe körperliche Aktivität zu Hause, in der Schule, bei der Arbeit, in der Freizeit und bei der Fortbewegung. Variationen bei den Risikoniveaus und den damit einhergehenden Folgen für die Gesundheit können zum Teil auf die unterschiedliche Intensität und die zeitliche Verschiebung der wirtschaftlichen, demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen auf nationaler und weltweiter Ebene zurückgeführt werden.

    3.3

    Um eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsmuster und eine gesunde Lebensweise herbeizuführen, sind Bemühungen zahlreicher Interessenträger — öffentlicher wie privater — über mehrere Jahrzehnte erforderlich. Es ist eine Veränderung der Denkweise, eine Schärfung des Problembewusstseins und Aufklärung über eine Kombination aus effektiven und effizienten Aktionen auf sämtlichen Ebenen sowie psychologische Unterstützung, eine engmaschige Überwachung und Bewertung ihrer Auswirkungen vonnöten. Darüber hinaus muss auch jeder Einzelne für die Veränderungen eintreten und Verantwortung übernehmen.

    3.4

    Der EWSA hält es für notwendig, eine die gesamte Gesellschaft einbeziehende Strategie zu entwickeln, um das Problem mit vereinten Kräften anzupacken. Es sollen von oben nach unten gerichtete Maßnahmen ergriffen werden, die von „Bottom-up“-Strategien begleitet werden, wodurch horizontale und vertikale Aktionen gefördert werden und ein jeder sich einbringt, sei es durch finanzielles oder zeitliches Engagement oder durch Beiträge in Form von Sachleistungen. Auch wenn dies alles andere als einfach erscheinen mag, so besteht das Ziel doch darin, ein Umfeld zu schaffen, das in ganz Europa eine gesunde, ausgewogene Ernährung und körperliche Bewegung fördert, ohne Schuldzuweisungen vorzunehmen.

    4.   Stopp der Übergewichtigkeit — „Obesity Check“

    4.1

    Der Vorschlag des EWSA hat zum Ziel, europaweit eine Kampagne zur Prävention von Übergewicht („Obesity Check“-Kampagne) zu fördern, mit der das Bewusstsein für den Nutzen einer gesunden Lebensweise in den Vordergrund gerückt und die Verantwortung aller Beteiligten für die Prävention von Adipositas und ihren Vorstufen gestärkt werden soll. Die Kampagne soll eine einzige, einfache Botschaft vermitteln, mit der sich die folgenden zehn Herausforderungen bewältigen lassen, und sie soll den öffentlichen und privaten Sektor, die Zivilgesellschaft und die Bürger über deren Engagement zur Unterstützung der Kampagne mit einbeziehen. Es geht darum, die Gewohnheiten einer gesunden Lebensweise zu fördern, ohne sich dabei in die persönlichen Vorlieben der Bürger einzumischen.

    4.2

    Die zehn Herausforderungen bestehen darin,

    in der Bevölkerung den Aufklärungsprozess weiterzuführen und zu verbessern,

    zusammenzuarbeiten, um zu einer effizienten Kommunikation und Eigenverantwortung zu gelangen,

    zu gewährleisten, dass JEDER EINZELNE in Europa erreicht wird,

    alle dazu zu bewegen, Verantwortung zu übernehmen und die Dynamik aufrechtzuerhalten,

    Einzelpersonen und Organisationen davon zu überzeugen, dass sie auf andere einwirken können,

    zu akzeptieren, dass alle Aktionen in eine breite Palette von EU- und einzelstaatlichen Maßnahmen eingebettet sein müssen,

    zu akzeptieren, dass es dabei um die soziale Verantwortung von Unternehmen geht,

    einen vielschichtigen, horizontalen und vertikalen Ansatz auf allen Ebenen zu gewährleisten,

    Transparenz und Uneigennützigkeit zu gewährleisten und unausgesprochene Interessen aus dem Weg zu räumen,

    darauf aufmerksam zu machen, dass die negativen Folgen der Übergewichtigkeit für die Gesundheit durch gesundes Essen und körperliche Betätigung rückgängig gemacht werden können.

    4.3

    Im Zentrum der Kampagne, die von Politikgestaltern und Interessenträgern unter Leitung der GD Gesundheit und Verbraucherschutz klar definiert werden muss, stünde eine einfache Botschaft, die der europäischen Öffentlichkeit die Notwendigkeit von gesunder Ernährung und mehr Bewegung vor Augen führt und sich in der Verpflichtung niederschlägt, die Politiken und Verfahrensweisen aller Akteure auf das Thema Übergewichtsprävention auszurichten. Alle einschlägigen Organisationen — von der Europäischen Kommission bis hin zu einzelnen Familienmitgliedern — können aufgefordert werden, sich an der Kampagne zu beteiligen, um ihre Tätigkeiten einer kritischen Prüfung zu unterziehen und herauszufinden, wie diese verändert werden können, um der Gefahr von Übergewichtigkeit und Fettleibigkeit vorzubeugen.

    4.4

    Frühere Kampagnen, wie die zum Thema Anschnallen beim Autofahren, Rauchen, Stillen oder „keine Drogen im Sport“ waren einfach, aber wirkungsvoll und wurden von allen Bevölkerungsteilen getragen. Sie waren alle durch eine erfolgreiche Kombination aus Verbraucheraufklärung, Rechtsvorschriften, geänderten Vorgehensweisen und Vor-Ort-Programmen gekennzeichnet.

    5.   Die „Obesity Check“-Kampagne

    Es wurde ein Fragebogen entwickelt, um Einzelpersonen und Organisationen/Unternehmen dazu aufzufordern, nach freier Wahl eine bestimmte Zeit innerhalb ihrer Organisation bzw. ihres Unternehmens oder externer Gremien aufzuwenden, um die GD Gesundheit und Verbraucherschutz bei ihrer Arbeit zur Förderung der Idee der Fettsuchtprävention mit der „Obesity Check“-Kampagne zu unterstützen. Der Fragebogen liegt dieser Stellungnahme bei. Er kann abgeändert werden, damit ihn jede beliebige Organisation verwenden kann).

    Ziel: Zweckgerichtete Ergebnisse erzielen und die Fortschritte überwachen

    Kurzfristig: Die ausgefüllten Fragebogen zeugen vom Engagement und der Bereitschaft von Einzelpersonen und Organisationen/Unternehmen, andere in Bezug auf die Notwendigkeit einer veränderten Lebensweise zu sensibilisieren, aufzuklären und zu informieren. Die Erreichung des Ziels kann daran gemessen werden, wie viel Zeit oder Ressourcen die Befragten für die Kampagne zur Verfügung stellen wollen. Es können auch Beispiele für vorbildliche Praktiken gesammelt werden.

    Mittelfristig: eigentliches Tätigwerden. Der zugesagte Zeit- und Ressourcenaufwand wird effektiv genutzt, u.a. nehmen sich die Organisationen/Unternehmen des Themas Übergewichtsprävention an. Dies würde auch die Veröffentlichung und Verbreitung von Beispielen für vorbildliche Praktiken beinhalten, die im kurzfristigen Rahmen gesammelt wurden. Die Erreichung der Ziele kann anhand des positiven Feedbacks und der Folgemaßnahmen zu allen Originalfragebögen sowie der Überwachung der Fortschritte der EU-Plattform gemessen werden.

    Langfristig: Bewertung der tatsächlichen Fortschritte mithilfe einer EWSA-Stellungnahme in Form eines Berichts an andere EU-Institutionen. Dies erleichtert das Feedback und verleiht zusätzliche Dynamik.

    5.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss

    5.1.1

    Dem EWSA obliegt es, mit Kommission, Parlament und Rat zusammenzuarbeiten, um der Zivilgesellschaft den Beschlussfassungsprozess innerhalb der EU näher zu bringen. Ausgehend von diesem Auftrag kann der EWSA — zusammen mit allen Interessenträgern — Zeit darauf verwenden, durch freiwillige Aktionen seiner Mitglieder zur Förderung einer gesünderen Lebensweise effektive Veränderungen herbeizuführen. Die Mitglieder des EWSA wurden aufgefordert, den Fragebogen auszufüllen und z.B. auf folgende Weise mit gutem Beispiel voranzugehen:

    Arbeitgeber könnten sich Gedanken über eine gesündere Lebensweise am Arbeitsplatz machen, unter anderem durch die Schaffung von Anreizen (im Rahmen konsequenter Ernährungsstrategien), gesündere Lebensmittel zu wählen, sowie durch die Einrichtung von Sportstätten oder Fitnessräumen/Gymnastiksälen. Kleinere Unternehmen könnten die Arbeitnehmer zu einer gesünderen Lebensweise anspornen und ihnen entsprechende Unterstützung bieten. Ein Engagement außerhalb des Unternehmens, insbesondere im Bildungsbereich, wäre ebenfalls eine willkommene Unterstützung für die Kampagne. In der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen (September 2000) heißt es, dass das Wirtschaftswachstum begrenzt ist, wenn die Menschen nicht gesund sind.

    Arbeitnehmerorganisationen könnten ihren Mitgliedern eine ähnliche Botschaft vermitteln, z.B. die Arbeitnehmer auffordern, körperliche Aktivitäten wie Gehen oder Radfahren in ihren Alltag einzubinden. Die Arbeitnehmer könnten dann für ihre Familien und ihr gesellschaftliches Umfeld sozusagen im Zuge der Fortbildung als Multiplikatoren fungieren.

    Nichtregierungsorganisationen und insbesondere Verbraucherverbände könnten sich gemeinsam mit ihren Mitgliedern Zeit nehmen und ihren Beitrag dazu leisten, die Botschaft in anderen Einrichtungen und Gesellschaftsbereichen zu verbreiten. Jugend- und Familienorganisationen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, zu ausgewogener Ernährung und Bewegung anzuspornen. Sie alle können nachdrücklich auf die Erschwinglichkeit von gesundem Essen und gesundheitsfördernden Alternativen hinweisen und das entsprechende Wissen vermitteln.

    5.1.2

    Der EWSA arbeitet in allen 25 Mitgliedstaaten auf sämtlichen Ebenen der Zivilgesellschaft. Er trägt dadurch in erheblichem Maße zur Verbreitung der Botschaft der „Kampagne“ bei und stellt die Weichen, damit andere folgen.

    5.2   Europäische Kommission und Parlament

    Die Mitglieder der Generaldirektionen der Kommission und das Parlament würden ebenfalls gebeten, den Fragebogen auszufüllen, um „mit gutem Beispiel voranzugehen“.

    5.2.1

    Die GD Gesundheit und Verbraucherschutz ist zur Einführung der neuen „Europäischen Aktionsplattform“ auf dem Gebiet der Adipositas zu beglückwünschen. Es steht zu hoffen, dass die Mitglieder der Plattform eine einfache Devise/Botschaft für die Kampagne ersinnen, die europaweit verwendet würde, um eine gesunde Lebensweise zu fördern. Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Basisorganisationen und die Wirtschaft sollten konsistente, kohärente und deutliche Botschaften erarbeiten und vermitteln. Diese Botschaften sollten über zahlreiche Kanäle verbreitet werden, und zwar in einer mit der jeweiligen Kultur vor Ort zu vereinbarenden, alters- und geschlechtsspezifischen Form. Verhalten kann beeinflusst werden — vor allem in Schulen, am Arbeitsplatz, in Bildungsstätten und Glaubensgemeinschaften, von Führungspersönlichkeiten auf lokaler Ebene und über die Massenmedien.

    5.2.2

    Nach den Worten des Vorsitzenden der Plattform, Robert Madelin, muss die Plattform alle ihre Aktionen in eine breite Palette von EU-Politikbereichen einbetten, wenn sie in ihrem Kampf gegen Übergewicht und Fettsucht erfolgreich sein will. Aus allen weltweiten Berichten geht hervor, dass es sich hier um ein langfristiges Problem handelt, das auf kurze, mittlere und lange Sicht nachhaltige, wirksame Strategien und Aktionen sowie eine sektorenübergreifende, interdisziplinäre und multifaktorielle Einbindung erforderlich macht. Das bedeutet, dass auch die am stärksten Betroffenen gehört werden müssen — Familien, Eltern und Kinder.

    5.2.3

    Die GD Gesundheit und Verbraucherschutz sorgt dafür, dass die Plattform mit Beamten aus anderen Politikbereichen der Kommission — der GD Landwirtschaft, Unternehmen, Bildung, Forschung und Verkehr — in Dialog tritt. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten schon in das konzeptionelle Stadium der Strategie mit einbezogen werden; sobald sie feststeht, sollte eine konsultative Folgenabschätzung vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass die Strategie keiner bestimmten Institution eine Schuld zuweist und sie sanktioniert, sondern deutlich zum Ausdruck bringt, dass ihre Vorschläge darauf abzielen, alle einzubeziehen.

    5.2.4

    Auf der Grundlage des Subsidiaritäts- und Komplementaritätsprinzips können Sensibilisierungsmaßnahmen auf Gemeinschaftsebene die Auswirkungen der von den nationalen Behörden, dem Privatsektor und Nichtregierungsorganisationen ergriffenen Initiativen noch verstärken. Es sollten verschiedene Finanzierungsquellen — zusätzlich zu den einzelstaatlichen Haushalten — ermittelt werden, um zur Umsetzung einer Strategie und der „Obesity Check“-Kampagne beizutragen.

    5.2.5

    Die GD Bildung und Kultur wird insbesondere im Bereich des Sports Mittel benötigen, um zusammen mit den einzelstaatlichen Regierungen Schlüsselstrategien entwickeln zu können. In ihren Botschaften sollte jedoch berücksichtigt werden, dass nicht immer finanzielle Ressourcen notwendig sind, um die körperliche Bewegung zu steigern, d.h. nicht alle Schulen benötigen neue Turngeräte, und viele ausgebildete Sportler sind auf Arbeitssuche und könnten ermutigt werden zu unterrichten. Für die Sportförderung zuständige Gremien könnten Sportidole dazu anhalten, positive Botschaften zu vermitteln.

    5.2.6

    Die GD Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit hat umfangreiche Forschungen auf dem Gebiet der körperlichen Aktivität junger Menschen angestellt. Doch auch die Freizeitaktivitäten von Erwachsenen sollten untersucht werden. So sollten die familiären Bande nicht außer Acht gelassen werden, d.h. Eltern, die am Wochenende Sport treiben, würden ihre Kinder mitnehmen und zur Teilnahme anspornen, wodurch ein Familienerlebnis entstünde und die Tendenzen in puncto Lebensweise umgekehrt würden.

    5.2.7

    Die GD Landwirtschaft verfügt über ein Förderbudget, das als Investition in die Werbung für frisches Obst und Gemüse verwendet werden könnte; die GD könnte dies nutzen, um ihren Teil zur „Obesity Check“-Kampagne beizutragen, ähnlich wie die frühere Unterstützung nationaler Stellen im Rahmen lokaler Werbekampagnen für Lebensmittel aus der Landwirtschaft.

    5.2.8

    Auch die Rolle der internationalen Partner bei der Erreichung der Ziele sollte in Betracht gezogen werden. Es ist eine koordinierte Zusammenarbeit zwischen UN-Organisationen, zwischenstaatlichen Gremien, Nichtregierungsorganisationen, Berufsverbänden, Forschungseinrichtungen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen erforderlich.

    5.3   Mitgliedstaaten

    Europaweit würden alle Regierungsbehörden gebeten, den Fragebogen auszufüllen und „mit gutem Beispiel voranzugehen“. Sie könnten auch darum ersucht werden, spezifische Finanzmittel für die Förderung der „Kampagne“ bereitzustellen. Es ist wichtig, dass die Regierungen ein gemeinsames Vorgehen an den Tag legen und wirtschaftliche, soziale und ökologische Faktoren berücksichtigen.

    5.3.1

    Gleichzeitig müssen alle Partner, insbesondere die Regierungen, eine Reihe von Fragen angehen. Im Zusammenhang mit dem Thema Essen gehören dazu sämtliche Aspekte der Ernährung und Lebensmittelsicherheit (u.a. Zugänglichkeit, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit gesunder Lebensmittel). Körperliche Bewegung muss am Arbeitsplatz, zu Hause und in der Schule gefördert werden, wobei Fragen im Zusammenhang mit der Stadtplanung, dem Verkehr sowie der Sicherheit und der Möglichkeit der körperlichen Betätigung während der Freizeit berücksichtigt werden müssen. Ausschlaggebend dafür, welche Prioritäten für Maßnahmen der Regierungen in Bezug auf das Thema Übergewichtigkeit als Teil der „Obesity Check“-Kampagne festgelegt werden, sind die jeweiligen einzelstaatlichen Gegebenheiten. Es gibt in und zwischen den einzelnen Ländern große Unterschiede, und die regionalen Gremien sollten bei der Formulierung regionaler Strategien zusammenarbeiten.

    5.3.2

    Unterstützung sollte durch die geeignete Infrastruktur, Umsetzungsprogramme, ausreichende Finanzierung, Überwachung und Bewertung sowie kontinuierliche Forschung bereitgestellt werden. Die Strategien müssen auf den besten verfügbaren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und -erkenntnissen beruhen und Politiken, Aktionen und Zeitpläne umfassen.

    5.3.3

    Den Vorrang sollten Aktivitäten haben, die positive Auswirkungen auf die ärmsten Bevölkerungskreise haben. Für solche Aktivitäten ist generell ein Handeln vor Ort mit starker Unterstützung und Begleitung von Regierungsseite erforderlich.

    5.3.4

    Ähnlich wie die „Europäische Plattform“ sollten die einzelstaatlichen Regierungen Kommunikationswege und „Rundtischgespräche“ einsetzen, an denen Ministerien und Einrichtungen aus den Bereichen Lebensmittel, Landwirtschaft, Jugend, Freizeit, Sport, Bildung, Handel und Industrie, Finanzen, Verkehr, Medien und Kommunikation, soziale Angelegenheiten und Umwelt sowie Stadtplanung teilnehmen, um Überlegungen über Aktionen zur Bekämpfung von Übergewichtigkeit anzustellen. Dazu könnten Diskussionsrunden mit „Eltern“ und Jugendlichen gehören, damit auch die Beiträge der am stärksten Betroffenen einfließen können. Die Mitarbeit und das Einverständnis aller Interessenträger sind unverzichtbar, und unausgesprochene Interessen dürfen keine Rolle spielen. Die Internationale Taskforce für Adipositas ist eine forschungsbasierte Denkfabrik mit einer Beratungs- und Katalysatorrolle, die relevante Daten für entsprechende Diskussionen liefern kann. Diese Kommunikationskanäle sollten auf öffentlich-private Partnerschaften ausgeweitet werden. Dabei dürfen KEINE Ressourcen durch einen Anstieg der Verwaltungskosten oder eine Überschneidung mit der Arbeit bereits vorhandener Gremien vergeudet werden.

    5.3.5

    Die Regierungen müssen Aktionen in Betracht ziehen, die zur Bereitstellung einfacher, ausgewogener Informationen für die Verbraucher führen, um es ihnen zu ermöglichen, mühelos auf Informationen beruhende Entscheidungen zu treffen, und sicherstellen, dass geeigneten Gesundheitsförderungs- und -erziehungsprogramme aufgestellt werden können. Damit die Informationen für alle Bevölkerungsschichten verständlich sind, sollten das Lesekompetenzniveau, Kommunikationshemmnisse und die Kultur vor Ort berücksichtigt werden.

    5.3.6

    Die Regierungen spielen — unter uneingeschränkter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips — eine zentrale Rolle und müssen in Zusammenarbeit mit anderen Interessenträgern dafür sorgen, dass Einzelpersonen, Familien und deren unmittelbares gesellschaftliches Umfeld dazu befähigt und angespornt werden, positive, lebensbejahende Entscheidungen zugunsten einer gesunden Lebensweise zu treffen.

    5.4   Bildungswesen

    In allen Bildungseinrichtungen würden Einzelpersonen gebeten, den Fragebogen auszufüllen. Die staatlichen Bildungsstellen könnten gefragt werden, ob sie bereit sind, konkrete Mittel für die Bekanntmachung der Kampagne in allen Einrichtungen des Bildungsspektrums bereitzustellen.

    5.4.1

    Für die Prävention und Eindämmung von Übergewicht und Fettsucht ist eine lebenslange Perspektive von wesentlicher Bedeutung — eine einfache Checkliste zum Thema Übergewichtigkeit, die sowohl von jungen als auch älteren Menschen verstanden wird. Dieser Ansatz beginnt mit der Gesundheit der Mutter und der Ernährung im Mutterleib, der Schwangerschaft, dem Stillen und der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, richtet sich an Kinder in der Schule, an Erwachsene am Arbeitsplatz und in anderen Umfeldern sowie an ältere Menschen und spornt sie zu einer gesünderen Lebensweise von der Kindheit bis ins Alter an.

    5.4.2

    In Bildungsprogramme für Erwachsene sollten auch Kenntnisse in Gesundheitsfragen aufgenommen werden. Solche Programme bieten die Gelegenheit, dass Angehörige der Heilberufe und Dienstleister des Gesundheitswesens Erkenntnisse über Ernährung und Bewegung vermitteln und randständige Gesellschaftsgruppen erreichen. Auch die Medienkompetenz kann geschult werden, damit die Verbraucher beim Treffen ihrer Wahl in der Lage sind, die Etiketten und Werbeanzeigen zu verstehen und praktische Ratschläge für die Zubereitung von Speisen erhalten.

    5.4.3

    Die Schulen beeinflussen das Leben der meisten Kinder. Sie sollten die Gesundheit der Kinder schützen, indem sie Gesundheitsinformationen bereitstellen, die Gesundheitskompetenz verbessern, eine Erziehung im Schmecken von Lebensmitteln entwickeln und eine gesunde Lebensweise fördern. Die Schulen müssen den Schülern täglich ein Mindestmaß an Sportunterricht (mind. 2 Std./Woche) und eine ausgewogene Ernährung anbieten. Sie sollten mit den geeigneten Anlagen ausgestattet werden, aber auch erkennen, dass sie selbst unter den gegebenen Voraussetzungen und trotz budgetärer Engpässe tätig werden können.

    Die Ausgaben für Sportanlagen müssen sorgfältig überwacht werden, um sicherzustellen, dass die sportlichen Aktivitäten Mädchen und Jungen gleichermaßen zugute kommen — vor allem, weil die Fettleibigkeitsraten bei Mädchen schneller ansteigen als bei Jungen.

    5.4.4

    Die Behörden werden aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um eine ausgewogene Ernährung in den Schulen zu fördern und das Angebot an Lebensmitteln mit hohem Salz-, Zucker- und Fettgehalt einzuschränken. Die Schulen sollten zusammen mit den Eltern und den zuständigen Behörden darüber nachdenken, Verträge für Schulessen an örtliche Erzeuger zu vergeben, um einen örtlichen Markt für gesunde Lebensmittel zu gewährleisten. In Absprache mit dem Personal, den Schülern, den Eltern und den zuständigen Behörden sollte eine konsequente Lebensmittel- und Ernährungsstrategie verfolgt werden.

    5.4.5

    Dort, wo die unternehmerische Initiative unter den Schülern angeregt wird, sollte dies nicht in Form von „Snackshops“ erfolgen, in denen die traditionellen Chips und Süßigkeiten verkauft werden. Als Alternative könnten Biolebensmittel bereitgestellt werden.

    5.4.6

    Besonderes Augenmerk muss auch älteren Menschen gelten, da auch die über 60-Jährigen von Fettleibigkeit betroffen sind. Zudem verfügen ältere Menschen über eine Fülle von Informationen und Erfahrungen zum Thema traditionelle Ernährungsweisen und Zubereitungsmethoden und können einen Beitrag zur Erziehung ihrer Nachkommen leisten.

    5.5   Gesundheitsdienste

    In allen öffentlichen Gesundheitsdiensten würden Einzelpersonen gebeten, den Fragebogen auszufüllen. Die Abteilungen könnten ersucht werden, konkrete Mittel zur Bekanntmachung der Kampagne bei den einzelnen Komponenten des Gesundheitswesens (z.B. Kliniken, Krankenhäuser, Personalkantinen, Patientengruppen) bereitzustellen.

    5.5.1

    Die Regierungen spielen eine ausschlaggebende Rolle dabei, nachhaltige Veränderungen im Gesundheitswesen herbeizuführen. Ihnen kommt eine führende Rolle bei der Einleitung und Entwicklung einer Strategie zur Reduzierung von Übergewicht zu, die Teil einer breiter angelegten, umfassenderen und koordinierten Anstrengung im Bereich der öffentlichen Gesundheit ist. Die Öffentlichkeit muss durch einfache, direkte Botschaften darüber informiert werden, wie viel und wie intensiv körperliche Bewegung notwendig ist, um einen spürbaren gesundheitlichen Nutzeffekt zu erzielen. Die regionalen und lokalen Behörden müssen ihrerseits eingebunden werden und sich aktiv an dem Informationsprozess beteiligen.

    5.5.2

    Im Rahmen der routinemäßigen Kontakte mit dem Personal von Gesundheitsdiensten sollten die Patienten auch praktische Ratschläge über die Vorteile von gesunder Ernährung und mehr Bewegung erhalten und dabei unterstützt werden, mithilfe einer Checkliste zum Thema Übergewichtigkeit gesundheitsfördernde Verhaltensweisen zu erlernen und beizubehalten. Die Behörden sollten Anreize zur Förderung von Präventivdiensten erwägen, und innerhalb bestehender klinischer Dienste sollten Möglichkeiten ermittelt werden (durch eine verbesserte Finanzierungsstruktur), um den Angehörigen der Heilberufe — insbesondere in der primären Gesundheitsfürsorge, aber auch in anderen Diensten (u.a. den Sozialdiensten und Apotheken) — Präventivarbeit zu ermöglichen und sie dabei zu unterstützen. Dabei könnte es sich um eine einfache, positive und anspornende Botschaft handeln, wie z.B. „mehr gehen — weniger essen“.

    5.5.3

    Unterstützungs- und Informationsmaßnahmen sollten bei den Eltern ansetzen und diese über die richtigen und besten ernährungsspezifischen Entscheidungen für die jüngsten Altersstufen (Säuglinge und Kleinkinder) aufklären. Es ist heute wissenschaftlich erwiesen, dass mit Muttermilch ernährte Babys später weniger häufig übergewichtig werden als mit Fertigmilch ernährte. Die Prävention sollte demnach mit der Förderung der geeigneten Säuglingsernährung beginnen.

    5.5.4

    Die Unterstützungs- und Informationsmaßnahmen sollten außerdem bei älteren Personen, insbesondere bei Alleinstehenden, Armen und Personen am Rand der Gesellschaft ansetzen, um die verbreiteten, ungesunden Ernährungsweisen zu vermeiden, die solche Lebenssituationen häufig mit sich bringen.

    5.6   Lokale Gebietskörperschaften

    In allen regionalen und lokalen Gebietskörperschaften würden Fragebogen ausgefüllt, und es würden Aktionen vorgeschlagen, um ihre Tätigkeit auf das Thema Übergewichtsprävention auszurichten und die „Obesity Check“-Kampagne zu unterstützen. Die Referate und Abteilungen könnten gefragt werden, ob sie über konkrete Mittel zur Förderung der Kampagne verfügen.

    5.6.1

    Die lokalen Gebietskörperschaften sollten auf die Einsetzung sektorenübergreifender und interdisziplinärer beratender Ausschüsse von Sachverständigen, darunter technische Sachverständige und Vertreter von Regierungsstellen, hinwirken. Diese müssten einen unabhängigen Vorsitz haben, um eine Auslegung der wissenschaftlichen Erkenntnisse ohne Interessenkonflikt zu gewährleisten.

    5.6.2

    Nationale, regionale und lokale Behörden sollten Anreize schaffen, damit Gehen, Radfahren und andere Formen der körperlichen Betätigung für alle zugänglich und sicher werden; verkehrspolitische Maßnahmen müssen auch nicht motorisierte Beförderungsarten berücksichtigen; arbeits- und arbeitsplatzpolitische Maßnahmen sollten zu körperlicher Aktivität ermuntern; Sport- und Freizeitanlagen sollten das Konzept „Sport für alle“ verkörpern.

    5.7   Die Wirtschaft

    Zur „Wirtschaft“ gehören sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer, die zum gegenseitigen Wohl zusammenarbeiten.

    In der gesamten Wirtschaft würden die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebeten, den Fragebogen auszufüllen, um die „Obesity Check“-Kampagne zu unterstützen. Zusätzlich dazu könnten Unternehmen gebeten werden, als Teil ihrer sozialen Verantwortung konkrete (finanzielle) Mittel zur Verfügung zu stellen; auch Gewerkschaften könnten um einen Beitrag ersucht werden.

    5.7.1

    Der private Sektor kann einen bedeutenden Beitrag leisten, vor allem, weil viele Unternehmen weltweit tätig sind und innerhalb ein und desselben Konzerns Maßnahmen auf allen Ebenen in verschiedene Länder übertragen können. Zur sozialen Verantwortung von Unternehmen könnten viele verschiedene Partner gehören, die mit örtlichen Schulen arbeiten, um die Bildungsstrategie zur Schärfung des Bewusstseins für die Bedeutung von gesunder Ernährung und mehr Bewegung zu unterstützen. Zur Sicherheit muss anfangs eine Konsultation stattfinden, um potenzielle Interessenkonflikte zu erörtern.

    5.7.2

    Die Lebensmittelindustrie, Einzelhändler, Cateringunternehmen, Sportartikelhersteller, Werbe- und Freizeitunternehmen, Versicherungen und Banken, Pharmaunternehmen und die Medien spielen alle eine wichtige Rolle als verantwortungsbewusste Arbeitgeber und Verfechter einer gesunden Lebensführung. Sie alle könnten — in Partnerschaft mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen — an der Umsetzung von Maßnahmen mitwirken, die darauf abzielen, dass positive und kohärente Botschaften vermittelt werden, um integrierte Bemühungen zur Förderung einer gesunden Lebensweise zu erleichtern und herbeizuführen.

    5.8   Lebensmittelindustrie

    5.8.1

    Die Lebensmittelhersteller haben proaktiv daran gearbeitet, zahlreiche Initiativen ins Leben zu rufen, um den Fett-, Zucker- und Salzgehalt von verarbeiteten Lebensmitteln zu reduzieren, die Portionsgrößen zu verringern und die Einführung innovativer, gesunder und nährstoffreicher Alternativen voranzubringen.

    5.8.2

    Die Industrie ist sich bewusst, dass die Kaufentscheidungen der Verbraucher und ihre Ernährungsgewohnheiten durch Lebensmittelwerbung beeinflusst werden, und sie muss dafür sorgen, dass die Werbung nicht die Unerfahrenheit oder Leichtgläubigkeit von Kindern ausnutzt. Die Regierungen sollten mit Verbrauchergruppen und dem privaten Sektor zusammenarbeiten, um für das Problem der Vermarktung von Lebensmitteln an Kinder geeignete sektorübergreifende Konzepte entwickeln zu können; dabei sollten Themen wie Sponsoren, Verkaufsförderung und Werbung behandelt werden. Gemeinsam sollte eine Einigung über sozial verantwortliche Vorgehensweisen gefunden werden, die die Wahlfreiheit nicht beeinträchtigen, die aber akzeptieren, dass Kinder nicht in der Lage sind, den Nährwertgehalt von Lebensmitteln zu erkennen.

    5.8.3

    Von aktuellen Plänen zur Einführung von rasch greifenden, allzu simplen Maßnahmen wie „Ampel“-Indikatoren auf Lebensmitteln sollte abgesehen werden. Empfehlungen müssen vor ihrer Umsetzung mit der Lebensmittelindustrie und den Verbrauchern abgestimmt werden. Dies kann mit Beiträgen zur Medienkompetenz, u.a. Informationen zum besseren Verständnis von Lebensmitteletiketten und Werbebotschaften, unterstützt werden, die an der Verkaufsstelle und über Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen bereitgestellt werden.

    5.8.4

    Die Verbraucher benötigen präzise, standardisierte und verständliche Informationen zum Inhalt von Lebensmitteln, um gesundheitsfördernde Entscheidungen treffen zu können. Die Regierungen brauchen gegebenenfalls Informationen über wichtige Ernährungsaspekte, wie diese in den Codex-Leitlinien über die Lebensmitteletikettierung vorgeschlagen werden.

    5.8.5

    In dem Maße, wie das Interesse der Verbraucher an Gesundheitsfragen steigt und den Ernährungsaspekten von Lebensmitteln mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, setzen die Erzeuger zunehmend gesundheitsbezogene Werbebotschaften ein. Solche Botschaften dürfen für die Öffentlichkeit in Bezug auf den Nutzen bzw. die Risiken nicht irreführend sein.

    5.8.6

    Zu den Empfehlungen an die Lebensmittelindustrie, die von den Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützt werden könnten, gehören u.a.:

    die Förderung einer gesunden Lebensweise in Einklang mit den europäischen Leitlinien und den Gesamtzielen der globalen Strategie;

    die Begrenzung des Gehalts an gesättigten Fettsäuren, trans-Fettsäuren, freiem Zucker und Salz in Lebensmittelprodukten;

    die kontinuierliche Entwicklung und Bereitstellung erschwinglicher, gesunder und nährstoffreicher Alternativen für die Verbraucher;

    die Verfügbarmachung geeigneter und verständlicher Produkt- und Nährstoffinformationen für die Verbraucher;

    ein verantwortungsvolles Marketing, das die „Obesity Check“-Initiative unterstützt, vor allem mit Blick auf die Verkaufsförderung und Vermarktung von Lebensmitteln mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren, Zucker oder Salz, insbesondere an Kinder;

    die Einführung einfacher, kohärenter Lebensmitteletiketten und eines wissenschaftlichen Nachweises von Gesundheitsbehauptungen, so dass die Verbraucher besser informiert werden und auf dieser Basis gesundheitsfördernde Entscheidungen treffen können;

    die Versorgung der einzelstaatlichen Behörden mit Informationen über die Zusammensetzung von Lebensmitteln;

    die Unterstützung bei der Konzipierung und Durchführung von Programmen für gesunde Ernährung und körperliche Aktivität.

    5.9   Landwirtschaft

    5.9.1

    Die einzelstaatliche Lebensmittel- und Agrarpolitik sollte mit dem Schutz und der Förderung der Gesundheit der Bevölkerung vereinbar sein. Es sollte über Maßnahmen nachgedacht werden, die eine gesunde Ernährung erleichtern und auch die nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln, deren Unbedenklichkeit sichergestellt wird, umfassen.

    5.9.2

    Die Wahl der Verbraucher wird vom Preis beeinflusst. Die Politik kann die Preise durch Besteuerung, Beihilfen oder direkte Preisfestsetzung so beeinflussen, dass der Verzehr gesundheitsstärkender Lebensmittel gefördert wird.

    5.10   Medien

    5.10.1

    Die Medienindustrie hat mit den größten Einfluss, da sie auf den Alltag der Menschen einwirkt, und das häufig über das Unterbewusstsein. Durch das Engagement aller Medien, zusammen an einer einheitlichen europäischen „Kampagne“ zu arbeiten und bei ihrem Publikum über einen längeren Zeitraum hinweg auf einfache, aber kohärente Weise für sie zu werben, würde sichergestellt, dass die Kampagnenbotschaft schließlich jeden Einzelnen in Europa erreicht.

    5.10.2

    In einer Gesellschaft, in der Prominente, darunter auch Olympiasieger, als Vorbilder dienen, kann mehr getan werden, um sie in die Vermittlung der „Kampagnenbotschaft“ einzubeziehen.

    5.10.3

    Neue Medien, einschließlich Computerspiele und Internet, spielen bei Kindern und Jugendlichen eine wesentliche Rolle, vor allem auch, weil ihre Anwendung mit dem Anstieg der Zahl von Übergewichtigen in Verbindung steht.

    5.10.4

    Bei der Produktplatzierung und –werbung im Zusammenhang mit Filmen sollten gründliche Überlegungen über das mögliche Publikum angestellt werden. Dies gilt insbesondere für Kinderfilme.

    5.11   Die Gesellschaft

    5.11.1

    Nichtregierungsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft würden gebeten, den Fragebogen auszufüllen. Die Organisationen könnten ersucht werden, konkrete Ressourcen, auch in Form von Sachleistungen, für die Bekanntmachung der Kampagne unter ihren Mitgliedern und Mitgliedsorganisationen bereitzustellen. Die wertvolle Arbeit dieser Organisationen vor Ort wird anerkannt und ist für das Gelingen jeder Initiative von wesentlicher Bedeutung.

    5.11.2

    Viele glauben, das Thema Übergewichtigkeit liege im Bereich der persönlichen Verantwortung. Zum Teil haben sie zwar Recht; es ist darüber hinaus jedoch auch eine Verantwortung der Gesellschaft, insbesondere der engagierten Kräfte auf örtlicher Ebene. Die Zivilgesellschaft und die Nichtregierungsorganisationen haben die wichtige Aufgabe, die Bürger zu einer vorausschauenden Einstellung zu bewegen und durch gemeinsamen Gedankenaustausch und örtliche Initiativen auf ihr Handeln einzuwirken. Dies könnte ganz einfach folgende Beispiele beinhalten: Schulen, die die Anlagen von Sportvereinen nutzen, örtliche Medien, die Kampagnen vor Ort fördern, ortsansässige Hersteller, die mit den Kommunalbehörden zusammenarbeiten, um Ausbildungshilfsmittel bereitzustellen, örtliche Landwirte, die die Schulen mit frischen Erzeugnissen beliefern. Ihr Ziel kann es sein zu gewährleisten, dass gesunde Lebensmittel verfügbar, erschwinglich, angemessen und nachhaltig sind.

    5.11.3

    Nichtregierungsorganisationen können die Strategie wirksam unterstützen, wenn sie mit nationalen und internationalen Partnern zusammenarbeiten, insbesondere um

    die Mobilisierung der Basis anzuführen und dafür zu plädieren, dass das Thema gesunde Lebensführung in die öffentliche Agenda aufgenommen wird;

    die weite Verbreitung von Informationen darüber, dass sich Übergewicht und Fettleibigkeit durch ausgewogene, gesunde Ernährung und körperliche Aktivität vorbeugen lässt, zu unterstützen;

    Netzwerke und Aktionsgruppen zu bilden, um die Verfügbarkeit gesunder Lebensmittel und die Möglichkeiten für körperliche Betätigung zu fördern und für gesundheitsfördernde Programme und Aufklärungskampagnen zu plädieren;

    Kampagnen und Veranstaltungen zu organisieren, die zum Handeln bewegen;

    die Rolle der Regierungen bei der Förderung einer gesunden Lebensweise zu betonen, Fortschritte bei der Erreichung der Ziele zu überwachen und mit anderen Interessenträgern wie privatwirtschaftlichen Unternehmen zusammenzuarbeiten;

    eine aktive Rolle beim Voranbringen der „Obesity Check“-Kampagne der EU zu spielen;

    einen Beitrag zur Umsetzung von Wissen und Erkenntnissen in die Praxis zu leisten;

    Vorbildfunktionen und vorbildliche Praktiken zu fördern, insbesondere im Zusammenhang mit der Rolle der Familie und der Eltern. Dabei ist es wichtig, dass sich die Vorbildfunktion auf die positiven Aspekte der Gesundheit und nicht auf das Körperbild konzentriert.

    5.11.4

    Körperliche Betätigung und Ernährungsweise unterscheiden sich je nach Geschlecht, Kultur und Alter. Die Entscheidungen über Essen und Ernährung werden häufig von Frauen getroffen und beruhen auf kulturellen Gegebenheiten und traditionellen Ernährungsweisen. In einzelstaatlichen Strategien und Aktionsplänen sollten solche Unterschiede deshalb berücksichtigt werden.

    6.   Zukunftsaussichten im Falle der Untätigkeit

    6.1   Folgeschäden

    6.1.1

    Die Übergewichtigkeit von Kindern ist eines der schwerwiegendsten Gesundheitsprobleme der Industrienationen und zunehmend auch der Entwicklungsländer. Die Prävalenz der Übergewichtigkeit nimmt bei Kindern sämtlicher Altersstufen zu.

    6.1.2

    Übergewichtige und vor allem fettleibige Kinder leiden an zahlreichen Begleiterkrankungen, von denen einige unmittelbar augenfällig sind und andere als Warnzeichen auf künftige Krankheiten hindeuten. Obwohl die Primärprävention letzten Endes die wirksamste Strategie zur Eindämmung der Epidemie ist, bedarf es auch einer Behandlung der heute fettleibigen Kinder, damit nicht nur ihre unmittelbare, sondern auch ihre langfristige Gesundheit verbessert wird.

    6.1.3

    Die Übergewichtigkeit bei Jugendlichen geht mit einer Reihe psychosozialer und medizinischer Komplikationen einher. Die häufigsten Folgen sind psychosoziale Störungen und soziale Isolation. Querschnittstudien legen ein umgekehrtes Verhältnis zwischen Gewicht einerseits und Selbstbewusstsein und Körpergefühl andererseits nahe, insbesondere bei Heranwachsenden. Bei weiblichen Teenagern führt Übergewicht häufig zu Körperunzufriedenheit, Schlankheitsdrang und Bulimie.

    6.1.4

    Die wichtigste Begleiterkrankung ist Typ-2-Diabetes, der zu Kreislaufstörungen, Nierenversagen und Blindheit führt. Einige Krebsarten (insbesondere Brustkrebs), Herz-Kreislauf-Erkrankungen einschließlich Bluthochdruck, Atemwegserkrankungen einschließlich Schlafapnoe, Lebererkrankungen, Depressionen sowie Gelenk- und Hautprobleme sind samt und sonders auf Fettleibigkeit zurückzuführen.

    6.1.5

    Einige gesundheitliche Auswirkungen der Übergewichtigkeit scheinen reversibel zu sein, wenn der Betreffende abnimmt.

    6.2   Finanzielle Folgekosten

    6.2.1

    Übergewichtigkeit stellt eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für die schon jetzt stark angeschlagenen Gesundheitssysteme dar und bürdet der Gesellschaft enorme finanzielle Kosten auf. Die Gesundheit ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung und ein Wegbereiter des Wirtschaftswachstums. Die Oberste Rechnungskontrollbehörde des Vereinigten Königreichs (UK National Audit Office) beziffert die wirtschaftlichen Folgen jährlich auf ca. 500 Mio. GBP an direkten Gesundheitskosten und weitere 2 Mrd. GBP an Folgekosten für die Wirtschaft.

    6.2.2

    Übergewichtigkeit ist in allen Gesellschaftsschichten anzutreffen, besonders häufig aber in sozial benachteiligten Gruppen, die am wenigsten Zugang zu sicheren Straßen und Parks haben und die preisgünstigsten Lebensmittel konsumieren, die häufig auch die mit dem höchsten Fett- und Zuckergehalt sind.

    6.2.3

    In den Industriegesellschaften weisen die Frauen, die als ältere Jugendliche oder junge Erwachsene übergewichtig waren, eine größere Tendenz zu niedrigen Familieneinkommen und geringeren Eheschließungsraten auf. Darüber hinaus können Übergewichtige auf soziale Ablehnung und Diskriminierung am Arbeitsplatz stoßen.

    6.2.4

    Proaktive Aktionen und Erziehungsmaßnahmen können heute dafür sorgen, dass die finanziellen Kosten in späteren Jahren reduziert werden können, wodurch mehr Investitionen in die nachhaltige Entwicklung Europas möglich werden.

    6.3   Hin zur sozialen Verantwortung

    Maßnahmen zur Bekämpfung von Übergewichtigkeit und Fettsucht entspringen — wie andere Maßnahmen auch — der zunehmenden Einsicht, dass die verschiedenen Schichten der Gesellschaft eine gemeinsame Verantwortung tragen, wobei die individuelle Freiheit gebührend respektiert werden muss. Dies umfasst u.a. Folgendes:

    6.3.1   auf politischer Ebene

    eine EU-Kommission und Regierungen der Mitgliedstaaten mit bilateralen Kommunikationsstrategien, verantwortungsbewussten Investitionen oder aktionsorientierten Initiativen zur Bekämpfung der Übergewichtigkeit;

    Bildungssysteme, die eine gesunde Lebensweise fördern;

    Gesundheitsdienste mit Ressourcen zur Förderung guter Gesundheit;

    Planungsbehörden, die für Fahrradwege, Parks und Sportanlagen eintreten;

    6.3.2   in der Wirtschaft

    eine Lebensmittelindustrie, die sich am Bedarf der Verbraucher an erschwinglichen, nährstoffreichen Lebensmitteln ausrichtet;

    Einzelhandelstrends, die dafür sorgen, dass gesunde Lebensmittel für alle verfügbar sind, auch in benachteiligten Gesellschaftsbereichen;

    eine Landwirtschaft, die erschwingliche, frische und gesunde Erzeugnisse in ausreichender Menge liefert;

    eine Verkehrsindustrie, die von der übermäßigen Pkw-Nutzung abrät und zu sicherem Gehen und Radfahren anregt;

    eine Medienkultur, die von passivem Konsum abrät und für körperliche Bewegung wirbt;

    6.3.3   in der Gesellschaft

    eine familienorientierte Kultur, die dazu beiträgt, dass die Mahlzeiten zu Hause zubereitet und eingenommen werden können, sowie gesünderes Essen in Schulen, Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen und Kantinen;

    eine Veränderung hin zu nachhaltigen Verbrauchsmustern, mit denen die natürlichen Ressourcen bewahrt werden und die körperliche Aktivität gefördert wird;

    ein sichereres städtisches Umfeld mit weniger Kriminalität und kontrolliertem Verkehr;

    mehr Gleichbehandlung und soziale Integration, um zu gewährleisten, dass jeder Haushalt Zugang zu gesunden Lebensmitteln und sicheren Freizeitinfrastrukturen hat;

    Unterstützung für Eltern und Fürsorgepersonen, um sicherzustellen, dass sie gesundheitsfördernde Entscheidungen für sich selbst und ihre Kinder treffen können.

    6.3.4

    Die Regierungen werden von den Menschen gewählt; die Menschen sind die wichtigste Einflussgröße der Gesellschaft — als Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen — und können etwas bewegen. Die Kosten müssen nicht immer finanzieller Art sein. Zusammen können wir etwas verändern, wenn die Frage nach der Schuld nicht gestellt und Verantwortung übernommen wird.

    7.   Schlussfolgerung

    Fettleibigkeit ist ein „gordischer Knoten“, in den psychologische, soziologische, wirtschaftliche, kulturelle, historische Aspekte und individuelle Verhaltensweisen hineinspielen.

    Die WHO erklärte die krankhafte Fettsucht 1997 zur Krankheit und stufte die Fettleibigkeit 2005 als Krankheit ein. Krankhafte Fettsucht und Fettleibigkeit gehen aufgrund von gesundheitlichen Folgeschäden wie Typ-II-Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit einer erhöhten Sterblichkeit einher.

    7.1

    Es besteht die einmalige Chance, eine wirksame Strategie zur Verbesserung der Ernährung und Förderung körperlicher Aktivität zu formulieren und umzusetzen, wodurch die Sterbe- und Erkrankungsrate erheblich gesenkt werden könnte. Vieles deutet darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen den beiden genannten Aspekten eines gesundheitsgerechten Verhaltens und dem Auftreten späterer Erkrankungen und Beschwerden besteht. Effektive Maßnahmen, deren Ziel es ist, den Menschen ein längeres und gesünderes Leben zu ermöglichen, Ungleichheiten zu verringern und die Entwicklung voranzubringen, lassen sich mithilfe einer einfachen, deutlichen Kampagne konzipieren und umsetzen, bei der alle mitmachen und eingebunden sind und die im Nachhinein einer Bewertung unterzogen wird.

    7.2

    Um eine Veränderung der Gewohnheiten in Bezug auf die Ernährung und die körperliche Betätigung sowie eine gesunde Lebensweise herbeizuführen, sind Bemühungen zahlreicher Interessenträger — öffentlicher wie privater — über mehrere Jahrzehnte erforderlich. Es ist eine Veränderung der Denkweise, eine Schärfung des Problembewusstseins und Aufklärung über eine Kombination aus effektiven und effizienten Aktionen auf sämtlichen Ebenen sowie psychologische Unterstützung, eine engmaschige Überwachung und Bewertung ihrer Auswirkungen vonnöten. Darüber hinaus muss auch jeder Einzelne für die Veränderungen eintreten und Verantwortung übernehmen.

    7.3

    Durch die Mobilisierung des gesamten Potenzials der Zivilgesellschaft und der wichtigsten Interessenträger kann diese Vision zur Realität werden. „Ihr müsst die Veränderung sein, die ihr in die Welt bringen wollt“ Gandhi.

    8.   Fragebogen im Vorfeld der Erarbeitung der EWSA-Initiativstellungnahme zum Thema Übergewichtigkeit — Verantwortung der Gesellschaft

    Dieser Fragebogen dient gegenwärtig ausschließlich Sondierungszwecken; um Beantwortung und Rücksendung wird dennoch gebeten.

    Die industrialisierte Welt des 21. Jahrhunderts schafft ein Umfeld, das Übergewichtigkeit in sehr starkem Maße fördert. Einige Ursachen liegen auf der Hand, andere sind weniger augenfällig. Die meisten werden von der Gesellschaft unterschätzt. Den größten Anlass zur Sorge geben der mangelnde Weitblick (Konsequenzen für künftige Generationen) und die Ablehnung jeglicher Verantwortung bzw. die Abwälzung der Schuldfrage auf andere.

    Die Zahl übergewichtiger und fettleibiger Menschen ist in den letzten 30-50 Jahren drastisch angestiegen:

    In der EU-25 gibt es 14 Millionen übergewichtige Kinder, von denen 3 Millionen fettleibig sind.

    In vielen EU-Ländern ist mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig, 20-30 % der Erwachsenen werden als fettleibig eingestuft.

    Die Zahl der von Übergewicht und Fettleibigkeit betroffenen Kinder in den Ländern der Europäischen Union steigt jährlich um 400.000. In der gesamten EU-25 ist nahezu jedes vierte Kind betroffen.

    10-20 % der Kinder in Nordeuropa sind übergewichtig; in Südeuropa und Großbritannien liegt die Zahl bei 20-35 %.

    Kurzfristig: Die ausgefüllten Fragebogen zeugen vom Engagement und der Bereitschaft von Einzelpersonen und Organisationen/Unternehmen, andere in Bezug auf die Notwendigkeit einer veränderten Lebensweise zu sensibilisieren, aufzuklären und zu informieren. Die Erreichung der Ziele kann anhand der Zeit oder Ressourcen gemessen werden, die die Befragten für die Kampagne zur Verfügung stellen wollen. Beispiele für vorbildliche Praktiken können der Berichterstatterin zugeleitet werden.

    Mit der Stellungnahme des EWSA soll der Versuch unternommen werden, eine die gesamte Gesellschaft einbeziehende Strategie zu entwickeln, um das Problem mit vereinten Kräften anzupacken. Es sollen von oben nach unten gerichtete Maßnahmen ergriffen werden, die von „Bottom-up“-Strategien begleitet werden, wodurch horizontale und vertikale Aktionen gefördert werden und ein jeder sich einbringt, sei es durch finanzielles oder zeitliches Engagement oder durch Beiträge in Form von Sachleistungen.

    Ich möchte Ihr Engagement und das Ihrer Organisationen/Ihres Unternehmens ermitteln und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den vorliegenden Fragebogen auch an andere Personen weiterleiten würden, die sich äußern oder sich engagieren möchten.

    Bitte senden Sie diesen Fragebogen ausgefüllt zurück, und zwar per E-Mail (madi.sharma@esc.eu.int), per Fax (0115 979 93 33) oder per Post (Madi Sharma, EESC, C/o 40 Ridge Hill, Lowdham, Notts. NG14 7EL, Großbritannien).

    Zweck des folgenden Fragebogens ist es, dass Einzelpersonen und Organisationen/Unternehmen sich bereit erklären, eine gewisse Zeit (nach freier Wahl) bzw. eine anderweitige Leistung innerhalb ihrer Organisationen/ihres Unternehmens oder externer Gremien zur Verfügung zu stellen, um die Arbeit der GD Gesundheit und Verbraucherschutz zu unterstützen und für eine Kampagne zu werben, durch die das Bewusstsein der Menschen für eine gesunde Lebensführung geweckt werden soll. Um den Fortschritt messen zu können, ist es wichtig, dass dies quantifizierbar ist.

    Beispiele:

    Arbeitgeber und Arbeitgeberorganisationen könnten sich Gedanken über eine gesündere Lebensführung am Arbeitsplatz machen, unter anderem durch ein gesünderes Lebensmittelangebot — dies gilt insbesondere für Waren in Verkaufsautomaten -, sowie durch die Einrichtung von Sportstätten, Turnhallen oder Fitnessräumen. Kleinere Unternehmen könnten die Arbeitnehmer zu einer gesünderen Lebensweise ermuntern und ihnen entsprechende Unterstützung bieten. Ein Engagement außerhalb der Unternehmen, insbesondere im Bildungsbereich, wäre ebenfalls ein willkommene Unterstützung für die Kampagne. Dies stellt ein zeitliches Engagement von x Stunden/Monat dar.

    Gewerkschaften und Arbeitnehmerorganisationen könnten ihren Mitgliedern eine ähnliche Botschaft vermitteln und die Arbeitnehmer auffordern, körperliche Aktivitäten wie Gehen oder Radfahren in ihren Alltag einzubinden. Die Arbeitnehmer könnten dann für ihre Familien und ihr gesellschaftliches Umfeld als Multiplikatoren fungieren.

    Nichtregierungsorganisationen und insbesondere Verbraucherorganisationen könnten sich gemeinsam mit ihren Mitgliedern Zeit nehmen und ihren Beitrag dazu leisten, die Botschaft in anderen Einrichtungen und Gesellschaftsbereichen zu verbreiten.

    Ich investiere 30 Minuten pro Monat, um in Schulen das Bewusstsein für eine gesündere Lebensweise zu wecken und mit Hilfe von Frauenorganisationen die Botschaft an Eltern weiterzugeben. Ich mache auch auf meine veränderte Lebensweise aufmerksam, nachdem ich durch Laufen und bewusste Ernährung 10 kg abgenommen habe.

    Image

    Brüssel, den 28. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/73


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsregelung“

    (2006/C 24/15)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsregelung“.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. Juni 2005 an. Berichterstatter war Herr Etty, Mitberichterstatter war Herr SIMONS.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 29. September) mit 92 gegen 7 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Ausgehend von dem ehrgeizigen Ziel der Europäischen Kommission, das große Potenzial der europäischen Binnenschifffahrt entwickeln zu wollen, stand im Mittelpunkt der Initiativstellungnahme aus dem Jahr 2004 (1) das geltende zersplitterte Regelwerk. Dieser Stellungnahme zufolge müssen die Rechtsvorschriften harmonisiert und vereinheitlicht werden, zumal da die Erweiterung der Europäischen Union noch zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte (Abstimmung und Zusammenführung der Regelwerke der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, der EU und der Donaukommission). Im Rahmen der neuen Politik der Europäischen Kommission wurde ein neues Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern angestrebt. In diesem Zusammenhang wurde die Binnenschifffahrt als Instrument zur Herbeiführung eines ausgewogeneren Verkehrsmarktes genannt. Um die Vorteile dieses Verkehrsträgers voll nutzen zu können, mussten allerdings einige Hindernisse beseitigt werden, die einer echten Entfaltung dieses Sektors bislang im Wege standen.

    1.2

    Im Zusammenhang mit den sozialen Aspekten und der Arbeitsmarktsituation wurde in der Stellungnahme u.a. auf folgende Punkte hingewiesen:

    den Grundsatz der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und der damit zusammenhängenden Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit;

    den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften für den Binnenschifffahrtssektor in den 15 alten EU-Mitgliedstaaten, dem ein Überschuss an qualifizierten Arbeitskräften in den neuen und künftigen EU-Mitgliedstaaten gegenübersteht;

    die Unterschiede bei den Qualifikationen und Befähigungsnachweisen und in der Folge die Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Binnenschifffahrt sowie die unterschiedlichen Schiffsbesetzungsvorschriften in der Rhein- und Donauschifffahrt (u.a. verbindliche Vorschriften einerseits und Empfehlungen andererseits);

    die Koppelung der Bemannungsvorschriften an die technischen Anforderungen, denen die Schiffe genügen müssen;

    die Notwendigkeit der Harmonisierung der Ausbildung als wichtigen Bestandteil einheitlicher europäischer Schiffsbesatzungsvorschriften;

    mögliche Verständigungsschwierigkeiten sowohl zwischen den Besatzungsmitgliedern untereinander als auch zwischen den zahlreichen europäischen Binnenschiffsverkehrsteilnehmern und die Zweckmäßigkeit, diese Probleme zur Verbesserung der Schiffverkehrssicherheit anzugehen;

    die Gültigkeit der ZKR-Besatzungsvorschriften für alle Besatzungsmitglieder (Arbeitnehmer und Selbstständige) gleichermaßen, wobei diese jedoch keine spezifischen Bestimmungen betreffend die Arbeitnehmer enthalten — ganz im Gegensatz zu den EU-Vorschriften, die auf den Schutz der Arbeitnehmer ausgerichtet sind, den besonderen Gegebenheiten und den geltenden Schiffbesatzungsvorschriften in der Binnenschifffahrt jedoch nicht Rechnung tragen. Ein sozialer Dialog auf Gemeinschaftsebene ist daher erforderlich, um diese beiden Regelwerke aufeinander abzustimmen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1

    Die technischen und sozialen Rechtsvorschriften für die Binnenschifffahrt sind traditionell aneinander gekoppelt, insbesondere in Bezug auf Besatzungsvorschriften, die in engem Zusammenhang mit den nautisch-technischen Schiffsnormen sowohl auf die Sicherheit als auch den Schutz der Besatzung abstellen.

    2.2

    Die technischen Vorschriften für die Rheinschifffahrt sind in der Mannheimer Akte festgelegt, für deren Einhaltung die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) mit Sitz in Straßburg zuständig ist. In einigen Mitgliedstaaten gelten die ZKR-Vorschriften für sämtliche Binnenwasserwege.

    In Verbindung mit dem Belgrader Abkommen, das für die Donausschifffahrt gilt und ganz anders angelegt ist (die Donaukommission gibt Empfehlungen und macht keine Vorschriften), sowie den ansonsten nicht sehr umfangreichen einschlägigen EU-Vorschriften ergibt sich für Europa allerdings ein komplexer und uneinheitlicher Regulierungsrahmen im Binnenschifffahrtsbereich.

    Die Mannheimer Akte könnte einer der Eckpfeiler ausgereifter technischer Vorschriften der EU für die Binnenschifffahrt werden.

    2.3

    Neben den Besatzungsvorschriften sind die Vorschriften über die Fahrzeiten der Schiffe und die Ruhezeiten der Besatzung die wichtigsten von der ZKR geregelten sozialen Aspekte der Binnenschifffahrt.

    2.4

    Das Belgrader Übereinkommen wird derzeit von den Mitgliedstaaten der Donaukommission in dem Anliegen überarbeitet, die Donaukommission mit Befugnissen auszustatten, die den Kompetenzen der ZKR vergleichbar sind. Das revidierte Übereinkommen müsste in absehbarer Zeit verabschiedet werden und allen interessierten Ländern offen stehen.

    2.4.1

    Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Interessen (aufgrund der rasanten Zunahme des Verkehrsaufkommens auf der Donau) erachten die Mitglieder der Donaukommission dies als vorrangige Aufgabe. Die Donaukommission hat dabei folgende vier Hauptziele vor Augen:

    a)

    Gegenseitige Anerkennung von Schiffspatenten, Berufsqualifikationen und Schiffsattesten;

    b)

    Gleichwertigkeit der Parameter für die Binnenschifffahrt;

    c)

    Öffnung des europäischen Binnenschifffahrtsmarktes sowie

    d)

    Integration sozialer Aspekte.

    2.4.2

    Ein großes Problem für die Donauschifffahrt ist der verhältnismäßig schlechte technische Zustand der Donauflotte. Dies ist u.a. auf die veralteten Schiffe und deren Ausrüstung sowie auf die wegen der Blockade bei Novi Sad lange Zeit fast völlig zum Erliegen gekommene Donauschifffahrt zurückzuführen.

    In der Rheinschifffahrt wiederum herrscht ein beträchtlicher Mangel an Arbeitskräften aus den Rheinanrainer-Staaten.

    2.4.3

    Laut Donaukommission bestehen abgesehen vom Empfehlungscharakter des Belgrader Übereinkommens zwischen dem Regelwerk der ZKR und der Donaukommission keine großen Unterschiede in Bezug auf die technischen Anforderungen und Sozialvorschriften. Sozialpolitische Aspekte werden weitgehend der einzelstaatlichen Gesetzgebung und Tarifverhandlungen anheim gestellt.

    Nach Ansicht der Donaukommission stellt die sehr starke Beschränkung des Zugangs von Kapitänen aus Mitgliedstaaten der Donaukommission zur Rheinschifffahrt das größte Problem im Zusammenhang mit den Sozialvorschriften dar.

    2.4.4

    Die Donaukommission hat niemals eine Vergleichsstudie über die Sozialvorschriften und -regelungen der Mitgliedstaaten für die Binnenschifffahrt durchgeführt. Offensichtlich fehlte bislang das Interesse bezüglich dieses Aspekts der Binnenschifffahrt, obwohl es doch um einen Faktor geht, der in die Wettbewerbsverhältnisse hineinspielt.

    2.5

    Die größten sozialen Probleme für die Arbeitnehmer in der Rhein- wie auch der Donauschifffahrt sind Ermittlungen der Gewerkschaften zufolge neben den Problemen im Zusammenhang mit den Vorschriften für Schiffsbesatzungen sowie deren Einsatz- und Ruhezeiten die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Sozialversicherungsbestimmungen und die ungenügende Kenntnis der verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Regelungen und Tarifvereinbarungen.

    Nach Auffassung der Arbeitgeber in den ZKR-Mitgliedstaaten sind die Hauptschwierigkeiten im Sozialbereich auf die starren und komplexen Vorschriften sowie die Diskrepanzen zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zurückzuführen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf ihre Wettbewerbsposition, weshalb manche Unternehmen auf „Schnäppchenjagd“ nach günstigeren Rechtsvorschriften gehen und/oder ihre Arbeitnehmer zur Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften in andere Länder „verlagern“ und so die aufgrund der unterschiedlichen Lohn- und Sozialversicherungskosten entstehenden Vorteile auszunutzen versuchen.

    2.6

    In der Binnenschifffahrt sind ca. 40.000 Arbeitnehmer beschäftigt, und zwar in den „alten“ Mitgliedstaaten 30.000 und in den „neuen“ EU-Mitgliedstaaten 10.000, von denen derzeit wiederum rund 3.000 in der Rheinschifffahrt tätig sind. Mehr oder weniger die Hälfte aller in der Binnenschifffahrt Beschäftigten in den „alten“ Mitgliedstaaten sind Lohnempfänger, der Rest ist selbstständig.

    2.7

    In der ZKR werden die Sozialpartner zu Fragen konsultiert, die den sozialpolitischen Bereich berühren. Den Gewerkschaften gehen diese Konsultierungen jedoch nicht weit genug.

    In den Mitgliedstaaten der Donaukommission gibt es keinerlei derartige Konsultation. Ein Großteil der Arbeitnehmer ist zwar gewerkschaftlich organisiert, doch befinden sich die Unternehmen aufgrund des Privatisierungsprozesses in einer Übergangsphase.

    2.7.1

    Den sozialen Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Binnenschifffahrt gibt es in den „alten“ Mitgliedstaaten nur ansatzweise und in den „neuen“ Mitgliedstaaten überhaupt nicht. Für einen echten sozialen Dialog sind unabhängige, repräsentative Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen erforderlich. Dieser Aspekt sollte in den Donaustaaten unbedingt Augenmerk gewidmet werden.

    2.7.2

    In Verbindung mit den traditionell vorherrschenden technischen Vorschriften und Regelungen erklärt dieser Umstand, warum dem Faktor Mensch in der Binnenschifffahrt in der Vergangenheit kein besonderer Stellenwert beigemessen wurde. Diesbezüglich sehen die Reeder die Dinge folgendermaßen. Da die meisten in den Binnengewässern zum Einsatz kommenden Schiffe in privater Hand sind, lag es schon immer im Interesse der Besitzer, alle betrieblichen Risiken einschl. des Faktors Mensch unter Kontrolle zu halten. Daher war der Bedarf an Rechtsvorschriften über die Qualifikationsanforderungen im Vergleich zu anderen Verkehrssektoren bisher relativ gering.

    2.8

    Besteht angesichts des wachsenden Interesses, der Binnenschifffahrt in der künftigen EU-Verkehrspolitik einen höheren Stellenwert einzuräumen, und der zunehmenden Kohärenz zwischen den verschiedenen Binnenschifffahrtsregelungen die Aussicht auf eine Änderung im positiven Sinne? Drei vor Kurzem veröffentlichte Berichte und die Schlussfolgerungen einer wichtigen europäischen Konferenz über die Zukunft dieses Verkehrssektors deuten darauf hin, dass dies wohl nicht der Fall ist.

    2.8.1

    In dem 2002 veröffentlichten ZKR-Bericht „Schiffe der Zukunft“ (2) wird die Zukunft der Binnenschifffahrt in erster Linie unter dem technologischen Aspekt untersucht.

    2.8.1.1

    In Bezug auf soziale Fragen wird fast ausschließlich nur auf die Aufgabe des Schiffsführers der Zukunft eingegangen, der als „Operator“ beschrieben wird, der kaum noch selbst Hand anlegt, aber in der Lage sein muss, in Notsituationen die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist aus heutiger Sicht kein realistisches Bild, unterstreicht jedoch den starken Einfluss der technologischen Entwicklungen auf die sozialen Rahmenbedingungen in der Binnenschifffahrt. Auf der Grundlage dieser Theorie sprechen sich die Autoren für eine aktive Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt aus.

    2.8.1.2

    Nach dem im Bericht skizzierten Szenario scheint die Binnenschifffahrt nur mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte zu benötigen. Dies ist jedoch ebenso wenig realistisch, denn wenn auch die Beschäftigungsmöglichkeiten für weniger qualifizierte Arbeitnehmer zurückgehen mögen, ganz wird die Binnenschifffahrt auf diese Kategorie von Arbeitnehmern aber nicht verzichten können.

    2.8.1.3

    Im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt wird in diesem Bericht auf die Bedeutung regelmäßiger Freizeit sowie auf die Erweiterung des Berufsangebots und die Stärkung der Mobilität der Arbeitnehmer eingegangen.

    2.8.2

    In der PINE-Studie (3) wird die Zukunft der Binnenschifffahrt in erster Linie unter dem wirtschaftlichen Aspekt betrachtet. Der wichtigste sozialpolitische Gesichtspunkt, der in dieser Studie angesprochen wird, sind die Folgen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU für die finanziellen und wirtschaftlichen Parameter des Binnenschifffahrtssektors.

    Des Weiteren wird auch etwas auf das Problem des derzeitigen und künftigen Arbeitskräftemangels in der Binnenschifffahrt eingegangen.

    2.8.3

    Im EFIN-Bericht (4) werden die Möglichkeiten zur Schaffung eines grundlegenden Rahmens für die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Ländern und Einrichtungen untersucht. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird sich mit den in diesem Bericht dargelegten Vorschlägen demnächst in einer gesonderten Stellungnahme auseinandersetzen. Die Rolle der Sozialpartner bleibt im EFIN-Bericht völlig außen vor, was darauf schließen lässt, dass sie für die in dem Bericht erörterten Themen als unbedeutend erachtet wird.

    2.8.4

    Auch auf dem Kongress „The power of Inland Navigation“, der vom 10. bis 12. November 2004 vom niederländischen EU-Ratsvorsitz in Den Haag veranstaltet wurde, um den Beitrag der Binnenschifffahrt zum Wirtschaftswachstum und zum Fortschritt der Gesellschaft insgesamt herauszustreichen, wurden soziale Fragen einmal mehr kaum gestreift.

    2.9

    Der Inhalt dieser drei Studien sowie die Debatten auf dem oben genannten Kongress scheinen ein klares Zeichen dafür zu sein, dass die Regierungen und zahlreiche Akteure in der Binnenschifffahrt immer noch die Auffassung vertreten, dass sozialpolitische Fragen für die Binnenschifffahrt nur von geringer Bedeutung sind. Dies lässt sich auch daraus schließen, dass die Autoren der Studien bzw. die Kongressorganisatoren die Sozialpartner in der Binnenschifffahrt nicht kontaktiert haben. So gesehen war die PINE-Studie eine Ausnahme.

    Die Europäische Kommission hat die Sozialpartner in die Konzipierung dieser Studie sehr wohl eingebunden, wenngleich — wie bereits erwähnt — sozialen Fragen, denen die Sozialpartner (und gewisslich die Gewerkschaften) große Bedeutung beimessen, in der Studie wenig Augenmerk gewidmet wird.

    2.10

    In der Ausschussstellungnahme zum Thema „Streben nach einer gesamteuropäischen Regelung der Binnenschifffahrt“ wurde die Sozialpolitik in diesem Sektor aufgrund seiner komplexen Struktur nicht eingehend erörtert, sondern es wurde auf diese Anschlussstellungnahme verwiesen. Die oben angeführten Punkte sind ein weiteres Argument dafür, diese Frage unter die Lupe zu nehmen. Es ist allmählich an der Zeit, von der traditionell von technischen Gesichtspunkten beherrschten Betrachtung der Thematik abzukommen und zu einer ausgewogeneren Behandlung dieses Fragenkomplexes zu gelangen, die alle betroffenen Akteure umfassend einbindet, d.h. die Akteure in den Mitgliedstaaten der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt ebenso wie der Donaukommission, in den „alten“ und die „neuen“ EU-Mitgliedstaaten wie auch in den Kandidatenländern und, ggf. in anderen interessierten Ländern.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1

    Dem Ausschuss schwebt eine Sozialpolitik mit einem breit angelegten einheitlichen Ansatz vor, der aber zugleich Raum lässt für regionale bzw. lokale Besonderheiten. Bei dieser Politik müssen die Sozialpartner sehr eingebunden werden.

    3.2   Besatzungsvorschriften

    3.2.1

    Die wesentlichen in den ZKR-Mitgliedstaaten geltenden Besatzungsvorschriften sind in Kapitel 23 der Rheinschiffsuntersuchungsordnung enthalten. Betriebsform und Einsatzzeit des Schiffes bestimmen Größe und Zusammensetzung der Besatzung. Es ist äußerst wichtig, dass die Einhaltung dieser Besatzungsvorschriften sorgfältig kontrolliert wird, da — wie sich in der Praxis zeigt — diese Regeln bisweilen übertreten werden.

    3.2.2

    Die Europäische Kommission hat bereits vor zwanzig Jahren die Schaffung eines diesbezüglichen europäischen Rechtsinstruments in Angriff genommen, doch wurden bislang kaum Fortschritte erzielt. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass vor Jahren die betreffenden Mitgliedstaaten erst die Überarbeitung des Kapitels 23 abwarten wollten. Dieses europäische Instrument sollte sich auf Vorschriften für die Zusammensetzung der Besatzung, die Einsatzzeit der Schiffe und verbindliche Ruhezeiten für Besatzungsmitglieder erstrecken.

    3.2.3

    In den ZKR-Mitgliedstaaten sind Besatzungsvorschriften ein strittiger Punkt zwischen den Regierungen sowie den Arbeitgebern und Selbstständigen einerseits und den Gewerkschaften andererseits. Die von der ZRK aufgestellten überarbeiteten Besatzungsvorschriften von Juli 2002, sind nach Meinung der Gewerkschaften unzureichend, da die Mindestbesatzungsvorschriften zu lasch und die Anforderungen hinsichtlich der beruflichen Bildung und Qualifikation nicht zufriedenstellend sind. In Verbindung mit den vorherrschenden Arbeits- und Ruhezeiten stellen diese Vorschriften nach ihrer Einschätzung eine echte Bedrohung für die Sicherheit in der Binnenschifffahrt dar.

    Die Arbeitgeberverbände behaupten jedoch, dass die Sicherheit in der Binnenschifffahrt durch die geltenden Besatzungsvorschriften voll und ganz gewährleistet wird und dass noch mehr Flexibilität wünschenswert ist. Dies könnte die Aufnahme von Arbeitnehmern aus anderen maritimen Wirtschaftszweigen vereinfachen. Außerdem könnten Besatzungsvorschriften für Schiffe, die über modernste Ausrüstung verfügen, gelockert werden.

    3.2.4

    In den Mitgliedstaaten der Donaukommission stellen Mindestvorschriften für Besatzungen offenbar kein Problem dar. In den einschlägigen Abschnitten der Belgrader Donaukonvention wird hauptsächlich auf Kapitäne und Maschinisten, kaum jedoch auf Besatzungsmitglieder der unteren Ränge eingegangen. Im Vergleich zu den entsprechenden Besatzungskategorien in den ZKR-Mitgliedstaaten verfügen die Kapitäne und Maschinisten über ein hohes Ausbildungsniveau.

    Die Mitgliedstaaten der Donaukommission beabsichtigen, ab 2005 die Vereinheitlichung der einzelstaatlichen Besatzungsvorschriften in Angriff zu nehmen. Sie wollen die Arbeitgeberverbände als Beobachter in ihre Arbeiten einbeziehen, denn ihrer Meinung nach werden die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer vertreten. Dies sehen die Gewerkschaften in den betreffenden Ländern ganz anders.

    3.2.5

    In den ZKR-Mitgliedstaaten sind Verstöße gegen Besatzungsvorschriften keine Ausnahme, was laut Binnenschifffahrtsgewerkschaften die von ihnen geäußerten Sicherheitsbedenken unterstreicht. Die Einhaltung der Vorschriften in der Praxis wird kaum kontrolliert.

    Die Verbände der Arbeitgeber und Selbstständigen betonen, dass die angemessene Handhabung der Besatzungsvorschriften nicht nur im Hinblick auf die Gewährleistung der Sicherheit, sondern auch eines fairen Wettbewerbs wichtig ist. Sie unterstreichen außerdem, dass diese Vorschriften derart gestaltet sein müssen, dass die Innovationstätigkeit in der Binnenschifffahrt nicht behindert, sondern vielmehr gefördert wird.

    3.3   Einsatz- und Ruhezeiten

    3.3.1

    Wie bereits erwähnt sind die Vorschriften über Einsatz- und Ruhezeiten der Besatzung der zentrale sozialpolitische Aspekt in der Rheinschifffahrtsakte. Nach den bestehenden Vorschriften gelten als Arbeitsstunden lediglich diejenigen, in denen das Schiff in Fahrt ist, und nicht die tatsächlichen Arbeitsstunden. Deswegen werden letztere bei den Überprüfungen auch nicht berücksichtigt.

    3.3.2

    Arbeitszeitregelungen mit sehr langen Tagesarbeitszeiten sind für die Binnenschifffahrt kennzeichnend. In der Regel bleibt die Besatzung über einen festgelegten Zeitraum von beispielsweise zwei Wochen an Bord, manche Besatzungsmitglieder „leben“ jedoch fortwährend an Bord. Wenngleich in den einschlägigen Vorschriften Ruhezeiten vorgegeben sind, so muss die Besatzung während dieser Ruhezeiten doch (auf Abruf) bereitstehen.

    3.3.3

    Die Gewerkschaften haben, als sie von der ZKR gehört wurden, angeprangert, dass lediglich die Fahrzeiten der Schiffe, nicht aber die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden kontrolliert werden. Diese Einwände wurden von den Vertragsstaaten jedoch bislang ignoriert.

    3.3.4

    In den bestehenden Binnenschifffahrtvorschriften und -regelungen, die sowohl für Selbstständige als auch für Arbeitnehmer gelten, sind die Einsatzzeiten nicht festgelegt. In den ZKR-Vorschriften sind die Schiffsfahrzeiten, die Zusammensetzung der Besatzung und die verpflichtenden Ruhezeiten für die Besatzung aneinander gekoppelt.

    3.3.4.1

    Nach Auffassung der betroffenen Akteure trägt die derzeit in Überarbeitung befindliche EU-Richtlinie über die Arbeitszeitgestaltung den besonderen Bedingungen der Binnenschifffahrt nicht genügend Rechnung. Daher haben sie sich gegen diese Richtlinie ausgesprochen. Die Sozialpartner in der Binnenschifffahrt auf EU-Ebene haben sich dazu verpflichtet, im Rahmen des nach längerem Mauerblümchendasein wieder in Gang gekommenen sozialen Dialogs vorrangig eine Einigung in dieser Frage zu suchen.

    3.3.5

    Auf dem Rhein wie auch auf einigen anderen Wasserwegen der ZKR-Mitgliedstaaten ist eine Mindestruhezeit von 8 Stunden pro 24 Stunden vorgeschrieben, wovon 6 Stunden ohne Unterbrechung einzuhalten sind.

    3.3.6

    Für die Donauschifffahrt bestehen keinerlei Vorschriften über die Fahrzeiten der Schiffe oder die Einsatzzeiten der Besatzung. In der Praxis sind immer mindestens vier Besatzungsmitglieder im Einsatz, und das Schiff kann mit dieser Besatzung rund um die Uhr betrieben werden. Es bestehen keinerlei verpflichtende Bestimmungen über Ruhezeiten oder anderweitige Einschränkungen der Einsatzzeiten.

    3.3.7

    Diese Abweichungen zwischen den verschiedenen Regelungen für die europäischen Wasserstraßen machen gemeinsame Mindestnormen unbedingt erforderlich. Für dieses Vorhaben kann etwa auch die von den Sozialpartnern angestrebte Übereinkunft, die in Ziffer 3.2.4.1 angesprochen wird, von großem Nutzen sein.

    Zur Gewährleistung gleicher Bedingungen für alle Akteure sind vergleichbare Vorschriften für die Schifffahrt auf dem Rhein, der Donau und den anderen Wasserstraßen dringend erforderlich. Ferner sollten diese Vorschriften miteinander kompatibel und transparent gestaltet werden.

    3.4   Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz

    3.4.1

    Genau wie andere Aspekte der bisherigen Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt sind auch die Vorschriften über den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz eng mit den technischen Anforderungen an die Schiffe verbunden. Die Vorschriften in diesem Bereich wurden überwiegend in der Rheinschiffsuntersuchungsordnung und einschlägigen einzelstaatlichen Bestimmungen in Form von Bau- und Ausrüstungsvorschriften für Schiffe festgelegt.

    3.4.2

    Für den Schutz der Arbeitnehmer in der EU bestehen Richtlinien über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, aufgrund derer die Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, eine Risikoanalyse und -bewertung vorzunehmen. In der Binnenschifffahrt ist dies aber nicht immer der Fall.

    3.4.3

    Die europäischen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften stehen in der Kritik einiger Akteure in der Binnenschifffahrt, die die Nichtberücksichtigung wichtiger Gegebenheiten und besonderer Umstände in der Binnenschifffahrt sowie die fehlende Abstimmung auf die geltenden Binnenschifffahrtsvorschriften bemängeln, die für alle Besatzungsmitglieder gelten, während die EU-Richtlinien auf den Schutz der Lohnempfänger beschränkt sind und somit Selbstständige nicht erfassen. Für den Kraftverkehr wurde etwa eine spezifische Richtlinie über die Regelung der Arbeitszeit auf der Grundlage von Artikel 71 und Artikel 137 Absatz 2 des EG-Vertrags (5) erlassen.

    3.5   Arbeitsaufsicht

    3.5.1

    Neben einem einheitlichen und durchsetzbaren Regelwerk ist eine gewissenhafte, regelmäßige und kompetente Arbeitsaufsicht in einem Sektor, in dem zahlreiche Selbstständige (oder Semi- bzw. Quasi-Selbstständige) Seite an Seite mit Unternehmen, die Lohnempfänger beschäftigen, arbeiten und das Risiko eines geringeren Schutzes für letztere und/oder eines unlauteren Wettbewerbs besteht, von großer Bedeutung.

    3.5.2

    Die Arbeitsaufsicht in der Binnenschifffahrt wird jedoch nicht streng gehandhabt und hat mit den diesem Sektor eigenen besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein besonderes Problem für die Arbeitsaufsicht ist die wohl einzigartige Situation an Bord der Schiffe, wo es im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen schwer ist, zwischen Privatem und Beruflichem zu trennen. Bei dieser Sachlage kommt es durchaus vor, dass Inspektoren unfreundlich behandelt werden.

    3.5.3

    In zahlreichen Ländern ist die Arbeitsaufsicht mit starken Mängeln behaftet (Deutschland und die Schweiz sind noch als verhältnismäßig positive Ausnahme unter den ZKR-Mitgliedstaaten anzusehen). Den mit der Arbeitsaufsicht beauftragten Einrichtungen fehlt es an Personal, was insbesondere in den Niederlanden und Belgien zu einer sehr dürftigen Arbeitsaufsicht führt (in der Praxis erfolgt lediglich alle zwei bis drei Jahre eine Inspektion). An dieser Stelle ist ferner darauf hinzuweisen, dass der Bau und die Ausrüstung von Schiffen von der nationalen Schifffahrtsaufsicht überwacht werden, während die Kontrolle der Anwendung der Rechtsvorschriften der einzelstaatlichen Wasserschutzpolizei obliegt.

    In der Donauschifffahrt gibt es so gut wie überhaupt keine Inspektionen.

    3.5.4

    In der Binnenschifffahrt werden nicht nur die gesetzlichen Anforderungen missachtet, sondern es gibt auch Probleme bei der Einhaltung der Tarifverträge.

    3.5.5

    Bei großangelegten Überprüfungen werden bei zahlreichen Schiffen Verletzungen der Rechtsvorschriften festgestellt.

    3.5.6

    Trotz des Rufes der Binnenschifffahrt, ein relativ sicherer Verkehrsträger zu sein, kommt es natürlich auch hier zu Unfällen, es werden jedoch nur Unfälle mit Todesopfern und andere Katastrophen registriert. Es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs „Unfall“ in der Binnenschifffahrt. Im Hinblick auf die Intensivierung der Binnenschifffahrt und angesichts der oben festgehaltenen Bemerkungen zur Einhaltung der Besatzungsvorschriften sind dies Aspekte, denen alle Akteure, denen die größere Rolle dieses Verkehrsträgers in der Zukunft ein Anliegen ist, gebührend Rechnung tragen müssen.

    3.6   Allgemeine und berufliche Bildung, Prüfungen

    3.6.1

    Für die Sicherstellung der Beschäftigung in der Binnenschifffahrt und die Gewährleistung ihres Rufes als relativ sicherer Sektor ist eine gute allgemeine und berufliche Bildung unerlässlich. Hierfür sind klare und einheitliche Standards sowie deren strikte Einhaltung erforderlich.

    In den Mitgliedstaaten der Donaukommission ist das (Aus)Bildungsniveau (insbesondere der Schiffskapitäne) durchaus hoch, in den ZKR-Mitgliedstaaten hingegen bestehen große Qualitätsunterschiede.

    Daher erscheint die Einführung gemeinsamer Mindestnormen, vorzugsweise auf gesamteuropäischer Ebene, notwendig.

    3.6.2

    Die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt hat die Aufgabe übernommen, die Vorbereitungen für die Ausarbeitung aufeinander abgestimmter Berufsprofile für Matrosen und Kapitäne zu treffen. Die Sozialpartner werden in diese Vorbereitungen eingebunden. Diese Profile, die noch dieses Jahr vorgelegt werden sollen, können als Grundlage für die Harmonisierung der beruflichen Bildung in den europäischen Binnenschifffahrtsnationen dienen. Hierdurch kann auch die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen gefördert werden.

    3.6.3

    Im Rahmen des sozialen Dialogs in der Binnenschifffahrt wurden unlängst Informationen über die Ausbildung in diesem Sektor in den neuen EU-Mitgliedstaaten eingeholt.

    3.6.4

    Im Rahmen der Harmonisierung der Ausbildung muss die Binnenschifffahrt als Wirtschaftszweig beworben werden, der jungen Menschen interessante Berufsperspektiven bietet.

    3.7   Kommunikation

    3.7.1

    In der PINE-Studie wird richtigerweise festgestellt, dass die Sprachkenntnisse und die Kenntnisse über ausländische Wasserwege aufgrund der Migration der Arbeitnehmer und des zunehmenden Anteils des internationalen Ost-West-Verkehrs mangelhaft sind, was zu erheblichen Sicherheitsrisiken in der Binnenschifffahrt führen könnte.

    3.7.2

    Es scheint an der Zeit, eine gemeinsame Binnenschiffverkehrssprache für die internationale Rhein- und Donauschifffahrt festzulegen, und zwar sowohl für die Kommunikation zwischen Schiffen, als auch zwischen Schiff und Landseite.

    3.8   Sozialer Dialog

    3.8.1

    Die Sozialpartner waren bislang kaum in die Gestaltung der Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt seitens der ZKR und der Donaukommission eingebunden. Dies ist eine unbefriedigende Situation, an der zu aller erst die Sozialpartner selbst etwas zu ändern versuchen sollten. Allerdings müssen auch die Regierungen der Mitgliedstaaten, die bislang kein offenes Ohr für die Forderungen der Sozialpartner hatten, ihre bisherige Haltung kritisch hinterfragen.

    3.8.2

    Bei der Entwicklung der sozialen Dimension einer Binnenschifffahrtspolitik für die erweiterte EU, mit der durch die Stärkung der Binnenschifffahrt eine neue Ausgewogenheit im Verkehr herbeigeführt werden soll, kann die Europäische Kommission mit ihrer bewährten Tradition der Konsultierung der Sozialpartner und des sozialen Dialogs mehr erreichen als die ZKR und die Donaukommission.

    3.8.3

    In diesem Zusammenhang ist es zu begrüßen, dass die Sozialpartner ihren sozialen Dialog, der in diesem Sektor über Jahre ein Schattendasein führte, geöffnet haben. Dies geschieht gemäß einer auf Ersuchen der Sozialpartner erlassenen Entscheidung der Europäischen Kommission im Ausschuss für den sozialen Dialog in der Binnenschifffahrt.

    Bedauerlicherweise ist dieser Ausschuss jedoch bislang nur langsam vorangekommen. So wurde im Frühjahr 2004 die Arbeit zum Thema „Organisation der Arbeitszeit“ aufgenommen, die erste Plenarsitzung fand im Juni 2005 statt.

    3.8.4

    Ein weiteres Thema von vorrangiger Bedeutung im Rahmen des sozialen Dialogs ist die Funktionsweise des europäischen Arbeitsmarktes in der Binnenschifffahrt, einschl. der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

    3.8.5

    Der soziale Dialog ist allein Sache der Sozialpartner selbst. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache wäre es sinnvoll, wenn die Europäische Kommission gewisse Anreize zur Förderung des sozialen Dialogs gäbe. Zu denken wäre etwa an gezielte Stellungnahmeersuchen an die Sozialpartner und die Aufforderung, diese Stellungnahmen innerhalb einer vertretbaren Frist abzugeben, z.B. durch das Setzen einer konkreten Frist.

    3.8.6

    Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf EU-Ebene nach Artikel 139 EGV können zu besonderen Vorschriften für die Binnenschifffahrt führen, um speziellen Anforderungen der Binnenschifffahrt gerecht zu werden. Solche Vereinbarungen auf der Grundlage von Mindestvorschriften, die vom Rat nach Artikel 137 erlassen werden, kommen aber erst dann in Betracht, wenn die Sozialpartner sich darin einig sind, dass zusätzliche spezifische Vorschriften wünschenswert sind.

    4.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    4.1

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Zeit nun reif ist für die Schaffung einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik für die Binnenschifffahrt, vorzugsweise in einem gesamteuropäischen Kontext. Eine solche Politik sollte für alle europäischen Wasserstraßen gelten. Sie sollte eine möglichst breite und einheitliche Grundlage aufweisen, die aber Raum für regionale bzw. lokale Besonderheiten lässt. Die Sozialpartner müssen hier eng eingebunden werden.

    4.2

    Die früheren allgemeinen Aussagen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum europäischen Regelwerk für die Binnenschifffahrt sind a fortiori auch für die Sozialvorschriften und -regelungen zu diesem Sektor gültig: Das Regelwerk ist stark zersplittert und sollte gerade jetzt entsprechend harmonisiert und vereinheitlicht werden, da die Erweiterung der Europäischen Union noch zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen dürfte.

    4.3

    Bislang war die Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt immer nur zweitrangig. Sie ist im Wesentlichen in die technischen Schiffsvorschriften und -regelungen integriert. Der Faktor „Mensch“ in der Binnenschifffahrt muss endlich dieser Zweitrangigkeit enthoben werden.

    4.4

    Dies erfordert einen tiefgreifenden Sinneswandel aller betroffenen Akteure, insbesondere in Bezug auf die Rolle der Sozialpartner bei der Gestaltung einer modernen Sozialpolitik, neben Bemühungen zur Anpassung weiterer Aspekte der Binnenschifffahrt in Europa an die heutigen Verhältnisse.

    4.5

    Zahlreiche Aspekte müssen einer umfassenden Analyse unterzogen werden und erfordern eine gut vorbereitete und ausgewogene Entscheidungsfindung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt dürften Besatzungsvorschriften, Einsatz- und Ruhezeiten sowie die Schaffung eines echten und aktiven sozialen Dialogs die vorrangig anzugehenden Punkte sein.

    4.6

    Die Europäische Kommission ist der geeignete Akteur, um diesen Prozess voranzubringen. Sie kann dabei auf die lange Tradition, die Erfahrung und das Sachwissen der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und der Donauschifffahrt zurückgreifen. Angesichts der jahrzehntelangen Funktionsweise dieser beiden Kommissionen, des Stellenwerts, den sie der Sozialpolitik in ihrer Arbeit eingeräumt haben, und ihrer Art und Weise, die Sozialpartner einzubeziehen, ist klar, dass es keinesfalls ausreicht, die Regelwerke für die Rhein- und für die Donauschifffahrt zusammenzuführen, um optimale Bedingungen für die Entwicklung einer modernen Sozialpolitik in der Binnenschifffahrt zu schaffen.

    4.7

    Bei der Konzipierung einer Sozialpolitik neuen Stils für die europäische Binnenschifffahrt sollte die Europäische Kommission eng mit den Sozialpartnern, der ZKR, der Donaukommission und der internationalen Arbeitsorganisation zusammenarbeiten. Diese Vorgehensweise erfordert jedoch, dass die Mitgliedstaaten der ZKR und der Donaukommission den Zuständigkeitsbereich ihrer Entscheidungsgremien auf sozialpolitische Fragen ausweiten und somit deren Befugnisse stärken, damit sie möglichst nutzbringend mit der Europäischen Kommission zusammenarbeiten können. Die Europäische Kommission sollte sich ihrerseits stärker um Fachwissen in Bezug auf die Binnenschifffahrt bemühen.

    4.8

    Wenn die derzeitigen Probleme in der Sozialpolitik in der europäischen Binnenschifffahrt auf diese Weise angegangen werden, wird es möglich sein, ein Regelwerk für diesen Politikbereich zu schaffen, in dem die besonderen Merkmale und Probleme der Binnenschifffahrt und die Interessen aller betroffenen Akteure in gleichem Maße berücksichtigt werden.

    4.9

    Die Gewährleistung gleicher Bedingungen für alle Akteure und die Steigerung der Attraktivität dieses Sektors für die Arbeitnehmer sowie für all diejenigen, die sich für eine künftige Berufslaufbahn in der Binnenschifffahrt interessieren, müssen bei der Überprüfung und Überarbeitung im Mittelpunkt stehen, insbesondere im Hinblick auf die erwartete Verschärfung des Wettbewerbs sowohl innerhalb der Binnenschifffahrt als auch zwischen der Binnenschifffahrt und anderen Verkehrsträgern.

    4.10

    Dieser Wandel wird sehr viel Zeit sowie die umfassende Einbindung und das volle Engagement der Sozialpartner erfordern. Der soziale Dialog in diesem Sektor (sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene) ist das wichtigste Instrument, um einen Bogen zwischen den Ansichten der Arbeitgeber, der Selbstständigen und der Arbeitnehmer sowie den Zielen der EU zu spannen. Dies ist vor allem für die Vorschriften und Regelungen über die Zusammensetzung der Schiffsbesatzungen sowie die Einsatz- und Ruhezeiten für Besatzungsmitglieder von Bedeutung.

    4.11

    Für die Zukunft der europäischen Binnenschifffahrt sollte der allgemeinen und beruflichen Bildung unbedingt zusätzliche Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Sozialpartner sollten hierzu ihren Beitrag leisten.

    4.12

    Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf EU-Ebene nach Artikel 139 EGV können zu besonderen Vorschriften für die Binnenschifffahrt führen. Solche Vereinbarungen kommen aber erst dann in Betracht, wenn die Sozialpartner sich darin einig sind, dass die besonderen Anforderungen dieses Sektors ergänzende Bestimmungen zu den Mindestvorschriften, die der Rat nach Artikel 137 des EG-Vertrags erlassen hat, nötig machen.

    Brüssel, den 29. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Diese Initiativstellungnahme ist eine Folgemaßnahme zu der Initiativstellungnahme zum Thema „Streben nach einer gesamteuropäischen Regelung der Binnenschifffahrt“, ABl. C 10, 14.1.2004,S. 49.

    (2)  ZKR-Schlussbericht an die Zentralkommission: Schiffe der Zukunft, 2002.

    (3)  „PINE: Prospects for Inland Navigation within the enlarged Europe“ (Perspektiven der Binnenschifffahrt im erweiterten Europa) (März 2004), von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie.

    (4)  Bericht der EFIN-Gruppe (European Framework for Inland Navigation.): „Neuer institutioneller Rahmen für die Europäische Binnenschifffahrt“ (2004). Dieser Bericht wurde von der niederländischen Regierung mit Unterstützung Belgiens, Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz in Auftrag gegeben.

    (5)  Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 35-39).


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/79


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine gemeinsame Erklärung des Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission: Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union — Der europäische Konsens“

    (KOM(2005) 311 endg.)

    (2006/C 24/16)

    Die Kommission beschloss am 29. Juli 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 8. September 2005 an. Berichterstatter war Herr ZUFIAUR.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 29. September) mit 84 gegen 5 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1

    Die Initiative der Kommission und des Rates, die Erklärung zur Entwicklungspolitik aus dem Jahr 2000 zu überarbeiten und allgemein diese Politik für die Zukunft neu zu justieren, ist in jeder Hinsicht von großer Bedeutung. Angesichts der Entwicklungen auf internationaler Ebene, der neuen Positionen und Übereinstimmungen hinsichtlich der Entwicklungspolitik in der internationalen Gemeinschaft sowie der Veränderungen in der Union selbst erscheint diese Überarbeitung angezeigt. Darüber hinaus empfiehlt sich eine Reform der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik wegen der Verschärfung der Probleme des Entwicklungsrückstands, vor allem in Afrika, und des zunehmenden Gefälles zwischen einzelnen Ländern durch die Globalisierung.

    1.2

    Zu den Entwicklungen auf internationaler Ebene, die sich auf die eine oder andere Weise auf die Entwicklungspolitik ausgewirkt haben, zählen: die zunehmende Besorgnis über die Sicherheitslage nach dem 11. September; die Ergebnisse des WTO-Treffens in Doha 2001 und der anschließende Prozess der sog. Entwicklungsagenda; der neue internationale Konsens in Entwicklungsfragen, der auf dem Millenniumsgipfel erreicht wurde und sich u.a. auf den Konferenzen von Monterrey, Johannesburg und Kairo bei Themen wie Finanzierung, Umwelt, Förderung der Geschlechtergleichstellung und HIV/AIDS widerspiegelte; der vom Entwicklungshilfeausschuss (Development Assistance Committee/DAC) der OECD eingeleitete Prozess der Harmonisierung der Entwicklungspolitik der Geberländer; und die Konsolidierung einiger neuer Instrumente für die Planung und Umsetzung der Hilfe, z.B. der Strategiepapiere zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction Strategy Papers/PRSP), der sektorbezogenen Hilfe (Sector-Wide Approaches/SWAP) oder der Haushaltstützung. Ein weiterer Fortschritt wurde in jüngerer Zeit im Rahmen des Hochrangigen Forums über die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe im März 2005 in Paris dadurch erzielt, dass die Geberländer eine Reihe von Verpflichtungserklärungen über Teilhabe (ownership), Harmonisierung, ergebnisorientiertes Management und geteilte Verantwortung unterzeichneten.

    1.3

    Diese Entwicklungen wurden auch durch die eher mageren Fortschritte beeinflusst, die den meisten Indikatoren zufolge bei der Verwirklichung der im Rahmen der Millenniums-Entwicklungsziele vor fünf Jahren definierten Zielvorgaben bisher erreicht wurden. Um zu verhindern, dass diese Ziele bis 2015, der offiziellen Frist, verfehlt werden, muss die internationale Gemeinschaft ihre einschlägigen Politiken überprüfen und einen wirklichen Krisenplan vorlegen. Durch diesen Plan sollten zusätzliche Mittel für die öffentliche Entwicklungshilfe aufgebracht und neben der Wirtschaftshilfe auch die Themen Handelspolitik, Schulden, geistiges Eigentum, Folgenabschätzung der Migration und Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft berücksichtigt werden.

    1.4

    Im gleichen Zeitraum haben auf Ebene der Gemeinschaft wichtige Veränderungen stattgefunden, die für die Entwicklungszusammenarbeit ebenfalls relevant sind: der 2000 mit der Konsolidierung von EuropeAid und der Aufgliederung und Dezentralisierung der Kommissionsdelegationen begonnene Reformprozess der Außenhilfe; das Inkrafttreten des Cotonou-Abkommens im Jahr 2003 (gerade wurde die überarbeitete Fassung dieses Abkommens unterzeichnet, dem zufolge die AKP-Staaten von einem garantierten Mindestbetrag profitieren werden, unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau 2007-2013) und der laufende Prozess zur Aufnahme des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) in den Haushaltsplan. Allgemeiner betrachtet verleihen die Erweiterung der EU auf 25 Mitgliedstaaten, die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie die Diskussion über den Verfassungsvertrag, der die Einbindung der Entwicklungspolitik in den policy mix der EU-Außenbeziehungen vorsieht, der Entwicklungshilfe eine neue Dimension, die wiederum einen neuen Ansatz erforderlich macht. Schließlich könnte die Diskussion über die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 die Gelegenheit bieten, alle vorgenannten Entwicklungen und ihre Folgen in konkrete Abkommen zu übertragen.

    1.5

    Der Konsultationsprozess, der im Hinblick auf diese Neuausrichtung der Entwicklungspolitik eingeleitet wurde, ist insofern zu begrüßen, als er die demokratische Beteiligung aller betroffenen Akteure stärkt.

    1.6

    Zu Beginn dieses Reflexionsprozesses im Januar 2005 wurde die Erarbeitung einer Kommissionsmitteilung im ersten Quartal des Jahres ins Auge gefasst. Diese Mitteilung wurde schließlich im Juli 2005 veröffentlicht, zu der die Kommission den EWSA um Stellungnahme ersuchte. Die vorliegende Stellungnahme entspricht diesem Ersuchen (1). Da auf der Konferenz der Vereinten Nationen im September der Stand der Umsetzung der Millenniumsziele überprüft wird, hält es der Ausschuss für zweckmäßig, wenn die Kommission nach Bekanntwerden der Schlussfolgerungen dieser Konferenz den Konsultationsprozess erneut anstieße, bevor sie den Inhalt der Erklärung, die auf der Tagung des Europäischen Rates im November vorgelegt werden soll, endgültig festlegt. Die Tatsache, dass dieser Prozess mit der Erarbeitung anderer Positionspapiere der Gemeinschaftsinstitutionen zusammenfällt — der EWSA hat ein eigenes Positionspapier zu den (auch als MDG package bezeichneten (2)) Millenniums-Entwicklungszielen erarbeitet, deren Verwirklichung nach Auffassung des Rates vorangetrieben werden sollte — könnte darüber hinaus das Engagement der gesamten Europäischen Union für die Lösung der Entwicklungsprobleme verstärken und eine Gelegenheit darstellen, die Führungsrolle der EU in den Entwicklungsländern auszubauen. Der EWSA hält den Konsens aller Gemeinschaftsinstitutionen hinsichtlich der Leitlinien der Entwicklungspolitik für sehr wichtig.

    1.7

    Die im Jahr 2000 verabschiedete Erklärung zur Entwicklungspolitik wurde von Kommission und Rat gemeinsam erarbeitet, was ein erhebliches Maß an Unterstützung und Übereinstimmung hinsichtlich dieses Dokuments erkennen lässt. Dieses Mal beabsichtigt die Kommission, auch das Europäische Parlament einzubinden. Der EWSA beteiligt sich mit großem Interesse an diesem Prozess, da er der Auffassung ist, dass die Entwicklungspolitik die größtmögliche Unterstützung durch die Bürger und die repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft verdient.

    1.8

    Nach Auffassung des EWSA hätten in dem Reflexionspapier der Kommission über die Zukunft der Entwicklungspolitik der Europäischen Union — einer aktuellen Zusammenfassung der einschlägigen Konsultation und Diskussion — die Effizienz der Gemeinschaftshilfe seit ihren Anfängen ausführlicher untersucht sowie die Engpässe und Probleme, die die Wirksamkeit über die Jahre hinweg geprägt haben, genauer analysiert werden sollen (3). Diese Probleme sind nach Einschätzung des EWSA u.a. die Langsamkeit bei der Durchführung der Programme, die hohen Verwaltungs- und sonstige Kosten im Verhältnis zu den Mittelzuweisungen für die Vorhaben, die Bindung der Hilfe, die Nebenrolle der Empfängerländer sowie die Unvorhersehbarkeit und Unbeständigkeit der Hilfszahlungen. Positiv wäre auch gewesen, wenn die Kommission eine (egal wie kurze) Bewertung der Auswirkungen der Erklärung von 2000 und der verschiedenartigen Schwierigkeiten bei der Gemeinschaftszusammenarbeit sowie der in diesem Zeitraum erzielten Ergebnisse und gesammelten Erfahrungen vorgenommen hätte. Es gibt jedoch andere aktuelle mit Unterstützung der Kommission angefertigte Untersuchungen (4), die sehr hilfreiche Quellen zu diesem Thema darstellen. Nach Ansicht des EWSA macht die Tatsache, dass sich die Entwicklungspolitik bei der Bekämpfung der Armut als nur begrenzt wirksam erwiesen hat, ein gewisses Maß an Selbstkritik und eine Reform der künftigen Entwicklungspolitik sowie die Fortführung der Anstrengungen seitens der Kommission im Bereich der Verbesserung der Qualität und der Effizienz der Gemeinschaftshilfe erforderlich.

    2.   Ziele der europäischen Entwicklungspolitik

    2.1

    Sowohl die Mitteilungen über die Millenniums-Entwicklungsziele als auch über die 2002 in Barcelona eingegangenen Verpflichtungen zur Verwirklichung der Ziele von Monterrey behandeln zwei grundlegende Aspekte der Entwicklungshilfepolitik: den Umfang der bereitgestellten öffentlichen Mittel und ihre Wirksamkeit. In dieser Frage besteht ein deutlicher internationaler Konsens, der in den von 189 Ländern unterstützten Millenniums-Entwicklungszielen Ausdruck findet (5). Die Verringerung der Armut und — auf längere Sicht — ihre Beseitigung müssen die Orientierungspunkte sämtlicher Entwicklungsmaßnahmen sein. Allerdings verkommt der Konsens über die Millenniumsziele mitunter zu bloßer Rhetorik — nämlich dann, wenn vergessen wird, dass es hier um acht Ziele für die soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung (in erster Linie die Verringerung der Armutsrate um 50 % bis 2015) geht und sich diese Ziele in 18 quantifizierbaren Zielvorgaben mit einem oder mehreren spezifischen Indikatoren konkretisieren. Das europäische Engagement für die Millenniumsziele muss in Einklang mit ihrer jeweiligen praktischen und operationellen Dimension stehen. Die Existenz konkreter Zielvorgaben und Indikatoren für die Millenniumsziele kann auch zur Stärkung der dringend erforderlichen Rechenschaftspflicht und Transparenz der Zusammenarbeit im Allgemeinen und der europäischen Entwicklungshilfe im Besonderen beitragen (6).

    2.2

    Zum ersten Mal seit Jahrzehnten verfügen die entwickelten Länder und die Entwicklungsländer über eine gemeinsame Entwicklungsagenda mit dem Ziel, die Globalisierung möglichst im Sinne der sozialen Integration und des sozialen Zusammenhalts zu gestalten. In jedem Falle erfordert die Entwicklungspolitik einen integrativen und umfassenden Ansatz, der dem Einfluss der verschiedenen Politikbereiche — von der Handelspolitik über die Umweltpolitik bis zur Einwanderungs- und Sicherheitspolitik — auf die Armutsbekämpfung Rechnung trägt. Ebenso ist die Geschlechter-Dimension bei jeder Maßnahme zur Armutsbekämpfung zu berücksichtigen.

    3.   Leitlinien und Träger der europäischen Entwicklungspolitik

    3.1

    Die tatsächlichen Ursachen der Armut sind zahlreich, verschiedenartig und kontextabhängig. Zudem ist Armut nicht nur durch ein bestimmtes Einkommensniveau definiert. Es handelt sich vielmehr um eine Situation äußerster Anfälligkeit, die aus einem Mangel an physischen, finanziellen und humanen Ressourcen resultiert. Um die Armut zu bekämpfen, reicht es nicht aus, den Gesamtumfang der Hilfszahlungen zu erhöhen. Zusätzlich ist Folgendes notwendig: die Schaffung von Bedingungen, die die Mehrung des Wohlstands und seine gerechte Verteilung ermöglichen; die Reform der Handels- und Finanzpolitiken der entwickelten Länder; die Ausweitung der lokalen Märkte der armen Länder; die Förderung demokratischer Institutionen; die Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft; und die Verwirklichung einer effektiven und fairen Wechselbeziehung zwischen der Rolle des Staats und der Rolle des Markts. In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass die Entwicklung nicht gefördert werden kann, solange die Staaten unfähig sind, materielle und immaterielle Infrastrukturen bereitzustellen.

    3.2

    Die Erfahrungen mit der Formalisierung der Eigentumsrechte für die ärmsten Sektoren (einschließlich Fragen des Eigentums von offenkundig geringem Wert, z.B. die favelas in einigen lateinamerikanischen Ländern) haben gezeigt, dass die gesetzlich verankerten Eigentumsrechte für die Entwicklung positive Folgen haben können. Deshalb sollten diese Erfahrungen nach Auffassung des EWSA in der europäischen Entwicklungspolitik Berücksichtigung finden.

    3.3

    Der EWSA unterstreicht auch die Bedeutung der schulischen und beruflichen Bildung als öffentliches Gut. Bildung hat positive Folgen für die gesamte Gesellschaft — und nicht nur für den Einzelnen. Sie bedeutet in jeder Hinsicht einen Zuwachs des Humankapitals, das zur Verbesserung des Wachstums-, Beschäftigungs- und Einkommensniveaus beiträgt. Nach der Verwirklichung der in Punkt 2 der Millenniums-Entwicklungsziele behandelten allgemeinen Grundschulbildung sollte so schnell wie möglich auf andere Elemente der mittleren und beruflichen Bildung hingewirkt werden. Die Bildungszusammenarbeit der Gemeinschaftsinstitutionen und der Mitgliedstaaten sollte ihre diesbezüglichen Anstrengungen verdoppeln.

    3.4

    Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung der armen Länder. Wachstum ist jedoch nur möglich mit einem Mindestmaß an Infrastrukturen, Einkommensverteilungssystemen, Möglichkeiten des Zugangs zum Bildungs- und Gesundheitswesen, institutioneller Qualität und sozialem Zusammenhalt. Ohne dieses soziale Kapital gibt es kein Wirtschaftswachstum mit sozialem Zusammenhalt. Armut ist ihrerseits ein unüberwindbares Hindernis für Wachstum. Die Schaffung eines Produktionsgefüges, die Unterstützung der Entwicklung der informellen Wirtschaft (Förderung der Selbstständigkeit und der Sozialwirtschaft, Aufbau von KMU, angemessene Sozialschutzsysteme) und die Errichtung eines relevanten lokalen und regionalen Markts sind nach dem Dafürhalten des EWSA einige der Maßnahmen, die zur Wirtschaftsentwicklung der armen Länder betragen können.

    3.5

    Die Öffnung des Welthandels bietet viele Möglichkeiten, um den am wenigsten entwickelten Ländern bei der Überwindung der Armut und des Entwicklungsrückstands zu helfen. Dennoch ist festzustellen, dass die derzeitigen Regeln des Welthandels die Länder mit dem höchsten Entwicklungsniveau begünstigen — auf Kosten der ärmsten Länder. Darauf hat der EWSA in mehreren Stellungnahmen eindringlich hingewiesen, z.B. in seiner jüngsten Stellungnahme zur sozialen Dimension der Globalisierung (7). Folglich sollten im Rahmen der derzeitigen Verhandlungsrunde der WTO, deren nächste Ministersitzung im Dezember in Hongkong stattfinden soll, und im Rahmen der bilateralen Verhandlungen der EU der Zugang der Entwicklungsländer zu den Märkten der entwickelten Länder verbessert, sämtliche Subventionen (einschließlich der Agrarsubventionen), die den Handelsaustausch verfälschen, abgebaut oder beseitigt, die Hemmnisse für die Ausfuhren der Entwicklungsländer konsequent zurückgeführt sowie das Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights/TRIPs) überarbeitet werden. In diesem Sinne sollte auch vermieden werden, die Entwicklungshilfe der EU von den Positionen, die die Entwicklungsländer in den multilateralen Handelsverhandlungen verfechten, abhängig zu machen — und sich damit so zu verhalten wie einige internationale Finanzinstitutionen.

    3.6

    Die ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder sind zudem sehr anfällig für die Integration in Außenmärkte und verfügen nicht über die Mittel, um die Phasen der wirtschaftlichen Umgestaltung zu bewältigen. Demzufolge sollte die Entwicklungspolitik auf eine schrittweise Integration in die Weltmärkte gerichtet sein, und zwar durch Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit, die Entwicklung demokratischer Institutionen und die Errichtung gut funktionierender Binnenmärkte und regionaler Märkte in diesen Ländern.

    3.7

    Der EWSA hat sich mehrfach für die Berücksichtigung sozialer Aspekte in den Assoziationsabkommen der EU über Handel, Politik und Zusammenarbeit ausgesprochen (8). Dieses Mindestmaß an sozialen Aspekten sollte die Förderung menschenwürdiger Arbeit, die Entwicklung öffentlicher und privater Sozialschutzsysteme sowie die tatsächliche Achtung der Arbeitsrechte (der acht grundlegenden ILO-Konventionen (9) und der Konvention Nr. 168 über Beschäftigungsförderung, Nr. 183 über Mutterschutz und Nr. 155 über Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz) umfassen.

    3.8

    Angesichts der Bedeutung menschenwürdiger Arbeit — d.h. humaner Arbeitsbedingungen, sowohl was die vertraglichen Verpflichtungen als auch die Ausübung der Arbeit betrifft — für die Entwicklung sollte nach Auffassung des EWSA ein Sozialkapitel in die Normen der WTO aufgenommen werden, um die Achtung dieser Menschenrechte am Arbeitsplatz zu gewährleisten.

    3.9

    In den Millenniums-Entwicklungszielen werden diese fundamentalen Aspekte hingegen nur unzureichend berücksichtigt, obgleich die Folgen der Globalisierung für die sozialen Bedingungen im Allgemeinen und die Arbeitsbedingungen im Besonderen augenfällig sind. Der EWSA schlägt deshalb vor, im Rahmen der bereits eingeleiteten Zwischenbewertung dieser Ziele auch die Situation der Sozial- und Arbeitsrechte zu untersuchen und menschenwürdige Arbeit zum neunten Millenniums-Entwicklungsziel zu erklären.

    3.10

    Entwicklung und menschliche Sicherheit müssen komplementäre Konzepte sein, die die Entwicklungspolitik der EU stärken. Sicherheit und ein konfliktfreies Umfeld sind sicherlich Voraussetzungen für eine Entwicklungspolitik, die auf die Beseitigung der Armut ausgerichtet ist. Andererseits ist die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ein wesentlicher Garant für Sicherheit. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Achtung der Menschenrechte, vor allem der Rechte der Frauen im Kontext der Armutsbekämpfung, eine der Hauptprioritäten der Entwicklungspolitik der EU sein muss. Damit würde ein wesentlicher Beitrag zur Verringerung der Armut und zur Verbesserung der weltweiten Sicherheitslage geleistet.

    3.11

    Deshalb bekräftigt der EWSA (10) die Notwendigkeit, in die Entwicklungspolitik der EU Maßnahmen zum Schutz von Personen, die sich weltweit für die Menschenrechte (einschließlich der Menschenrechte am Arbeitsplatz (11)) einsetzen, aufzunehmen.

    3.12

    Die hohe Anfälligkeit zahlreicher Bevölkerungsgruppen und die Existenz andauernder und neuer Bedrohungen haben das Risiko von Katastrophen natürlichen oder menschlichen Ursprungs verstärkt. Die Entwicklungspolitik muss diesem Umstand Rechnung tragen und stärker auf Prävention setzen. In für Gewalt anfälligen Bereichen erscheint es sinnvoll, im Rahmen der Planung der entwicklungspolitischen Maßnahmen die Konfliktfaktoren eingehend zu untersuchen und einen Großteil dieser Maßnahmen darauf auszurichten, die Organisationen der Zivilgesellschaft bei ihren Anstrengungen zur Friedenssicherung und zur Beseitigung oder Vermeidung von Spannungen und Bedrohungen zu unterstützen.

    3.13

    Der EWSA ist der Auffassung, dass der Umweltschutz als eine der drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung mit den Dimensionen Wirtschaft und Soziales gleichgestellt werden sollte. Er hält es deshalb für notwendig, Umweltaspekte in die Indikatoren aufzunehmen, die zur Bewertung der Effizienz der Umsetzung der Entwicklungsstrategien herangezogen werden. Darüber hinaus sollten Umweltverträglichkeitsprüfungen vor der Realisierung von Projekten und Maßnahmen einer bestimmten Größenordnung verpflichtend sein.

    3.14

    Der EWSA ist auch der Ansicht, dass die weltweiten ökologischen Herausforderungen mit den nationalen Strategien der Empfängerländer allein nicht bewältigt werden können. Die entwickelten Länder müssen Verantwortung übernehmen und das Gros der Kosten für die Lösung dieser Probleme tragen. Die EU sollte ihrerseits zusätzliche Finanzmittel für entsprechende Umweltprogramme zur Verfügung stellen.

    3.15

    Zur Beseitigung von Armut und Ungleichheit in den Entwicklungsländern dürfte ihre bloße Integration in den Welthandel kaum genügen. Dazu wäre es vielmehr erforderlich, in diesen Ländern entwicklungsfördernde Bedingungen durch wirtschaftliche und politische Fortschritte zu schaffen und eine Politik der Umverteilung des Wohlstands von den reichen Ländern in die armen zu verfolgen. Gleichzeitig müsste den Geberländern begreiflich gemacht werden, dass die Entwicklungshilfe nicht nur den armen Ländern zugute kommt, sondern auch für die Zukunft der reichen Länder entscheidend ist, und dass Armut und Ungleichheit Gefahren für die Sicherheit und das Entwicklungspotenzial dieser Länder darstellen. Dieser letzte Punkt ist nach Auffassung des EWSA eine der Aufgaben, die die organisierte Zivilgesellschaft am besten erfüllen kann.

    3.16

    Die Entwicklungspolitik der EU kann demzufolge einen positiven Beitrag zur Lenkung der Migrationsströme und zur Förderung einer Politik der gemeinsamen Entwicklung mit den Herkunftsländern der Migranten leisten (12). Die Zusammenarbeit mit Herkunftsländern ist eine wesentliche Voraussetzung für die Steuerung der Migration durch legale Kanäle und für die Aufnahme der Migranten unter Wahrung ihrer sämtlichen Rechte als Einwanderer und als Bürger (13). Darüber hinaus muss die Migration zur Entwicklung der Herkunftsstaaten der Migranten beitragen (14). Deshalb ist es erforderlich, Maßnahmen zur Kompensation der Abwanderung von Fachleuten (brain drain) zu ergreifen, die Erhebung maßloser Gebühren auf Überweisungen von Einwanderern an ihre Familienmitglieder in den Herkunftsländern zu unterbinden und die Rückkehr von Migranten zu erleichtern, damit sie die Entwicklung in ihren Herkunftsstaaten durch die Gründung von Unternehmen fördern.

    4.   Handlungskriterien der europäischen Entwicklungspolitik

    4.1

    Die Frage der Kohärenz der verschiedenen Politiken, die sich in Bezug auf die EU-Entwicklungshilfe traditionsgemäß stellt und in den Verträgen rechtlich verankert ist, nimmt in dem neuen, von der sicherheitspolitischen Agenda und den Auswirkungen der Globalisierung u.a. auf Handel, Landwirtschaft, Beschäftigung und Migrationsbewegungen geprägten internationalen Kontext eine neue Bedeutung an. Die jüngst veröffentlichte Mitteilung der Kommission verdeutlicht die Relevanz des Themas und den Willen der EU, in angemessener Weise darauf einzugehen. Im Rahmen der Initiative „Alles außer Waffen“ musste das Konzept der Kohärenz in Bezug auf die Handelspolitik zugunsten der ärmsten Länder neu überdacht werden.

    4.2

    Die Entwicklungspolitik der EU soll kein „Linderungsmittel“ darstellen, das darauf ausgerichtet ist, mögliche Schäden für die Entwicklung armer Länder zu verringern, die durch andere Politiken, wie z.B. die Handels- oder Sicherheitspolitik, verursacht werden. Um diese Ausrichtung effektiver zu gestalten, wäre nach Auffassung des EWSA eine bessere Koordinierung zwischen den zuständigen Generaldirektionen der Europäischen Kommission (beispielsweise zwischen der GD Handel und der GD Beschäftigung) sowie eine regelmäßige Bewertung der Auswirkungen der Gemeinschaftspolitiken auf den sozialen Zusammenhalt in den Entwicklungsländern angezeigt, wobei die organisierte Zivilgesellschaft maßgeblich einbezogen werden sollte.

    4.3

    Diese für jeden Politikbereich der Union wünschenswerte Kohärenz darf jedoch nicht als Freibrief für eine Verwässerung der Inhalte der Entwicklungspolitik dienen. Sie darf weder in den Dienst anderer Gemeinschaftsmaßnahmen gestellt werden, noch dürfen die Besonderheit und die Ziele der Entwicklungshilfemaßnahmen aus den Augen verloren werden. In einer Union, in der das auswärtige Handeln immer wichtiger wird und sich rasch weiter entwickelt, muss die Entwicklungspolitik eine gewisse Autonomie gegenüber den übrigen Komponenten der Außenbeziehungen wahren, um ihre Ziele erreichen zu können.

    4.4

    Nach Ansicht des EWSA müssen die Bemühungen um Harmonisierung der Entwicklungspolitik der Union mit denen der 25 Mitgliedstaaten verstärkt werden. Dies dürfte dadurch erleichtert werden, dass sämtliche EU-Mitgliedstaaten die Millenniums-Entwicklungsziele sowie die Standpunkte des Entwicklungshilfeausschusses (DAC) der OECD unterstützen. Eine bessere Harmonisierung der in vielen Punkten widersprüchlichen Politiken der Geberländer sowie die Herstellung von Kohärenz zwischen diesen entwicklungspolitischen Ansätzen ist unbedingt erforderlich. Ein Mangel an Kohärenz führt zu hohen „Transaktionskosten“: Misswirtschaft, Doppelarbeit, inkohärente Ansätze und erhebliche Schwierigkeiten für die Empfängerländer. Auf dem Europäischen Rat von Barcelona im März 2002 verpflichtete sich die EU, bis 2004 sowohl auf Ebene der Europäischen Union als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten konkrete Maßnahmen zur Koordinierung der Politiken und zur Harmonisierung der Verfahren anzunehmen. Die aufgrund dieser Verpflichtung ausgesprochenen Empfehlungen wurden jedoch in der Praxis kaum umgesetzt. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine effiziente Harmonisierung der Entwicklungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten und der EU für die künftige Entwicklungspolitik der Gemeinschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Der EWSA wird sich im Rahmen seiner Möglichkeiten darum bemühen, eine Debatte mit den Organisationen der europäischen Zivilgesellschaft über die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Plattform für die Entwicklungspolitik anzuregen. Der EWSA unterstützt zudem die Haltung der Kommission in Bezug auf die Zweckmäßigkeit einer Entwicklungspolitik auf europäischer Ebene, die für die Mitgliedstaaten und die Kommission verbindlich ist.

    4.5

    Der wesentliche Mehrwert einer Entwicklungspolitik der EU sollte in der Verbesserung der Koordinierung und Komplementarität mit den jeweiligen Politiken der Mitgliedstaaten bestehen. Gegenüber diesen verfügt die EU über einige komparative Vorteile — Größenordnung, Neutralitätscharakter, Beitragszahler weltweiter Fonds — die unbedingt genutzt werden sollten.

    4.6

    Gleichzeitig spricht sich der EWSA dafür aus, die Beteiligung der EU an allen multilateralen Foren zu Entwicklungsthemen voranzutreiben, damit die Union in diesem Rahmen eine eigene Stimme erhält. Die EU muss sich unter Berufung auf einen gemeinsamen Standpunkt aktiv an der Reform des multilateralen Systems beteiligen. Dies muss — im Rahmen des vom UN-Generalsekretär angestoßenen Prozesses — sowohl für das System der Vereinten Nationen gelten, als auch für die internationalen Finanzinstitutionen sowie sonstige multilaterale Foren wie DAC (Development Aassistance Committee — Entwicklungshilfeausschuss), den Club von Paris, die G8 oder die WTO. Die Einflussmöglichkeiten der EU als Akteur mit wirklichem Gewicht auf der Weltbühne hängen von dieser Fähigkeit der Bündelung von Standpunkten im Rahmen der multilateralen Organe ab. Desgleichen muss sich die EU zusammen mit den Sonderorganisationen der Vereinten Nationen und anderen Gebern um eine Stärkung der Verfahren zur Abstimmung und Koordinierung vor Ort bemühen.

    4.7

    Die institutionelle Dimension der Entwicklung und der Ausbau der Kapazitäten der lokalen Institutionen zur Erreichung von Entwicklungsfortschritten ist von grundlegender Bedeutung. Die Stärkung der Institutionen ist ein Schlüsselfaktor für das Erreichen einer guten Regierungsführung und für die Lösung der Probleme durch die Zuweisung und Verwaltung der Mittel unter den Gesichtspunkten der Partizipation, der Transparenz, der Rechenschaftspflicht, der Korruptionsbekämpfung, der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit. Die Erweiterung der Kapazitäten und die Aufstockung der Mittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen ist in diesem Sinne von ebenso entscheidender Bedeutung, damit diese Länder den Entwicklungsprozess eigenverantwortlich in die Hand nehmen können.

    4.8

    Die EU sollte in dieser Hinsicht die Erfahrungen und Lehren aus den Programmen der Zusammenarbeit mit den neuen Mitgliedstaaten nutzen, die innerhalb kurzer Zeit von Hilfeempfängern zu Mitgliedern einer Gebergemeinschaft geworden sind. Das Einfühlungsvermögen und das Verständnis dieser Staaten für die Sichtweise des Partners Empfängerland kann bei der Erlernung neuer Methoden für die Verwaltung der Entwicklungshilfe von großem Nutzen sein.

    4.9

    Das hohe Maß an Dezentralisierung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit der EU macht eine Verbesserung der Mechanismen zur Beteiligung der verschiedenen Partner sowie die Schaffung von Formen der Koordinierung vor Ort erforderlich, die diesen Bottom-Up-Ansatz für die Zusammenarbeit nutzen.

    4.10

    Die Verbesserung der Mechanismen zur Koordinierung und Abstimmung sollte sich in einer Steigerung der Effizienz der Hilfen niederschlagen, da die Transaktionskosten verringert werden. Die Effizienz wird jedoch durch viele weitere Faktoren beeinträchtigt, und Folgemaßnahmen im Anschluss an die geleistete Hilfe sollten ein wesentlicher Teil jeder gemeinschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit sein. Die anspruchsvollen Systeme für die Bewertung und Kontrolle der Qualität der Hilfen, die die Kommission entwickelt hat, müssten allgemeiner gestaltet werden und nicht nur im Rahmen der erforderlichen Rechenschaftslegung genutzt werden, sondern auch für den Erwerb neuer Kenntnisse. Andere allgemeinere Fragen, wie Untersuchungen über die Fungibilität (15) der Entwicklungshilfe, müssten in die von den EU-Institutionen durchgeführte Analyse der Hilfsmaßnahmen einfließen.

    4.11

    Der Grundsatz der Eigenverantwortung, der bislang in unterschiedlichen geografischen Kontexten verschiedenartig angewandt wurde, sollte unter Nutzung eventuell bestehender bewährter Verfahrensweisen und unter Anwendung der Lehren aus seiner Umsetzung nach und nach harmonisiert werden. Die Grundsätze der Partizipation und Eigenverantwortung sollten in allen Planungsphasen der Maßnahmen, Programme und Projekte — von der Erörterung nationaler Richtprogramme bis hin zur Ex-post-Bewertung durchgeführter Maßnahmen — berücksichtigt werden.

    5.   Akteure der Entwicklungspolitik

    5.1

    Die Entwicklungspolitik der EU ist eine offene Politik, an der zahlreiche Akteure beteiligt sind. Diesem breiten Spektrum an Akteuren sollte seitens der EU-Institutionen stärker Rechnung getragen werden, indem den verschiedenen europäischen Organisationen mehr Möglichkeiten zur Beteiligung an dieser Politik eröffnet werden. Die Abstimmung zwischen den unterschiedlichen — öffentlichen und privaten — Akteuren ist eine Voraussetzung für die Effizienz und Kohärenz der Entwicklungspolitik.

    5.2

    Durch die Umsetzung des Partnerschaftsprinzips sowie der Grundsätze der Partizipation und Eigenverantwortung ist die Entwicklungszusammenarbeit verbessert worden. Diese Verbesserungen müssen weitergeführt und vertieft werden, wobei nicht nur Regierungsakteure, sondern auch weitere Kräfte des gesellschaftlichen Lebens, einschließlich der Gewerkschafts- und Unternehmerverbände sowie der Organisationen der Sozialwirtschaft, stärker einbezogen werden sollten.

    5.3

    Voraussetzung für die Definition einer langfristigen Politik zur Armutsbekämpfung und für eine optimale Nutzung der im Rahmen der Entwicklungshilfe zugewiesenen Gelder ist ein echter Kompromiss zwischen den demokratischen Behörden der Empfängerstaaten und den wirtschaftlichen und sozialen Kräften dieser Länder.

    5.4

    Nach Ansicht des EWSA sollte die Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft (Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Verbraucherverbände, Menschenrechtsorganisationen etc.) in den südlichen Ländern ein vorrangiges und zentrales Anliegen der EU-Entwicklungspolitik werden. Die Verringerung von Armut und Ungleichheit kann in großem Maße über die Erweiterung der Kapazitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Geltendmachung ihrer Forderungen, den Ausbau ihrer Verhandlungskapazitäten, die Erhöhung ihrer Kompromissbereitschaft und die Verbesserung ihrer Beteiligungskapazitäten erreicht werden. Dementsprechend müsste die Entwicklungspolitik der EU nicht nur um die tatsächliche Partizipation dieser Organisationen am entwicklungspolitischen Handeln bemüht sein, sondern auch um die Stärkung echter zivilgesellschaftlicher Organisationen. Ebenso gefördert werden müssten Impulse zur Anerkennung dieser Organisationen als grundlegende Akteure der Entwicklungspolitik innerhalb der jeweiligen Gesellschaft, die sie vertreten (16). Im Hinblick auf diese Zielsetzung müssten spezifische Haushaltslinien geschaffen werden.

    5.5

    Zum Anderen sollte sich die EU-Entwicklungspolitik in den Empfängerländern für die Schaffung eines Rechtsrahmens einsetzen, der die Partizipation der zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Entwicklung ihrer Länder ermöglicht. Zweckdienliche Maßnahmen wären in diesem Zusammenhang die Bereitstellung wirtschaftlicher Mittel für den Kapazitätsaufbau und für die Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft, der Ausbau von partizipationsfördernden und den ständigen Dialog begünstigenden Strukturen, die Einrichtung von Verfahren zur Konsultation der Organisationen der Zivilgesellschaft in allen Phasen der nationalen und regionalen Richtprogramme sowie die Verbreitung bewährter Verfahrensweisen. Auch sollten die europäischen Organisationen bezüglich der von der Union unterstützten Maßnahmen konsultiert werden.

    5.6

    Bislang wird nur in den AKP-Staaten eine formelle Einbindung der Akteure der organisierten Zivilgesellschaft in sämtlichen Phasen der Entwicklungszusammenarbeit anerkannt. Diese im Cotonou-Abkommen vorgesehene Verpflichtung besteht nicht bei der Zusammenarbeit mit anderen Regionen, in denen lediglich informelle Konsultationen durchgeführt werden (17). Der EWSA plädiert dafür, diese Erfahrung in der künftigen EU-Entwicklungspolitik auf weitere Regionen auszuweiten und formelle Verfahren für die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Planung, Umsetzung und Bewertung der Entwicklungspolitik einzurichten.

    5.7

    Ferner bietet das Cotonou-Abkommen den nichtstaatlichen Akteuren die einmalige Möglichkeit, Zugang zu einem Teil der EU-Mittel zu erhalten, die den einzelnen Ländern zugewiesen werden (Gelder aus dem EEF für die nationalen und regionalen Richtprogramme). Diese Mittel sollen dem Ausbau der Kapazitäten der Zivilgesellschaft dienen und deren aktive Beteiligung an der Umsetzung der regionalen und nationalen Strategien zur Armutsbegrenzung ermöglichen.

    Der EWSA fordert mit Nachdruck, das beschriebene Modell zur Konsultation der Zivilgesellschaft in den Beziehungen der EU zu anderen Regionen — wie z.B. Lateinamerika und den Ländern der Partnerschaft Europa-Mittelmeer — anzuwenden.

    5.8

    Des Weiteren sollte sich die EU bei der Neuausrichtung ihrer Entwicklungspolitik ernsthaft um die Schaffung echter Partizipationsrechte bemühen, und zwar auch über Bereiche hinaus, in denen sie bereits anerkannt sind. In der Praxis bestehen gravierende Defizite bei der Umsetzung entsprechender Regelungen, was den Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft die Erlangung einer ausreichenden Kenntnis der Abkommen erschwert und eine effektive Konsultation behindert. Zudem mangelt es an einer Definition der Repräsentativitätskriterien für die Organisationen der Zivilgesellschaft, und es bestehen Hindernisse für den Zugang zur Gemeinschaftsfinanzierung.

    5.9

    Die Schaffung eines stabilen und demokratischen Rahmens für die Arbeitsbeziehungen ist eine wesentliche Vorbedingung für die Förderung des Ziels menschenwürdiger Arbeit. Darüber hinaus ist das Bestehen eines solchen Rahmens jedoch auch eine unabdingbare Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung. Daher ist der EWSA der Auffassung, dass die Unterstützung eines ausgewogenen sozialen Dialogs zu einem Ziel der europäischen Entwicklungspolitik werden sollte. Angesichts des großen Erfahrungsschatzes, über den Europa in diesem Bereich verfügt, hält es der EWSA für erforderlich, die europäischen Gewerkschafts- und Unternehmerverbände bei dieser Aufgabe einzubeziehen.

    5.10

    Den Unternehmen muss eine zunehmende, positive Rolle zukommen, damit das Ziel der nachhaltigen Entwicklung erreicht werden kann. Dies wird auch von der OECD im Rahmen ihres Verhaltenskodexes für multinationale Unternehmen (18) anerkannt. Nach Ansicht des EWSA sollte die EU-Entwicklungspolitik einen Beitrag zur Förderung der sozialen Verantwortung der Unternehmen in den Empfängerländern der Entwicklungshilfe leisten; dies gilt namentlich für europäische Unternehmen. Im Einklang mit früheren Stellungnahmen (19) ist der EWSA der Auffassung, dass die Unternehmen einen gewichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Empfängerländer von Entwicklungshilfe leisten könnten, wenn sie in diesen Ländern zumindest genauso handeln und dieselben arbeitsrechtlichen, sozialen und umweltbezogenen Kriterien anwenden würden wie sie dies (in der Regel) in Europa tun.

    5.11

    Die Entwicklungspolitik kann nur bestehen und sich entfalten, wenn sie über einen angemessenen Rückhalt in der Gesellschaft verfügt. Der EWSA ist der Auffassung, dass große Anstrengungen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema Entwicklungspolitik unternommen werden müssen. Die Herausbildung eines „weltweiten öffentlichen Bewusstseins“, das vor allem in Bezug auf Umweltfragen besteht, müsste gestärkt und auch auf Themen wie Armut, Ungleichheit und globale Kollektivgüter erweitert werden. Nach Ansicht des EWSA müssen die Schulen, die Kommunikationsmittel und natürlich die Organisationen der Zivilgesellschaft in diese Aufgabe eingebunden werden. Der EWSA wird sich seinerseits in Zusammenarbeit mit den übrigen EU-Institutionen in den Dienst dieser Politik stellen.

    6.   Prioritäten, Schwerpunkte und Differenzierung in der Entwicklungspolitik der Europäischen Union

    6.1

    Zwecks größtmöglicher Effizienz und Wirksamkeit der Hilfen erscheint eine Konzentration auf bestimmte Achsen und Maßnahmen sinnvoll, in deren Rahmen die EU gegenüber anderen Gebern einen erheblichen Mehrwert erbringen oder einen unterschiedlichen Aspekt abdecken kann. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es nicht immer im Vorfeld möglich ist, diese Prioritäten festzulegen und den potenziellen Mehrwert des gemeinschaftlichen Handelns zu bestimmen. In jedem Fall erscheint es zweckdienlich, die Planung auf Landesebene als Instrument für die Verhandlung zwischen den Partnern zu nutzen. Die Grundachse dieser Arbeit sollten die nationalen Strategiepapiere zur Armutsverringerung bilden.

    6.2

    Nach Ansicht des EWSA sind in der Entwicklungspolitik nicht nur ethische, sondern auch politische Beweggründe von Belang. Denn ohne die Behebung der gegenwärtig herrschenden Ungleichheiten kann die Globalisierung nicht funktionieren. Daher ist eine EU-Entwicklungspolitik, die allein auf die Beseitigung der durch Unterentwicklung entstandenen Schäden ausgerichtet ist, nach Meinung des Ausschusses nicht ausreichend. Einer der Faktoren, mit denen die Union einen Mehrwert erbringen kann, sollte ihr Engagement zur Förderung globaler strategischer Ziele mit sektorübergreifender Ausrichtung sein, wie z.B. Gesundheit — einschließlich reproduktiver Gesundheit -, Bildung, Gleichstellung der Geschlechter, Umweltschutz, Schaffung produktiver Unternehmungen und Förderung von Beschäftigung sowie menschenwürdige Arbeit. Im Hinblick darauf wird es unabdingbar sein, die Entwicklungspolitik mit zusätzlichen wirtschaftlichen Mitteln aus neuen Finanzierungsinstrumenten auszustatten.

    6.3

    Die gemeinschaftliche Entwicklungszusammenarbeit war seit ihren Anfängen durch eine starke Ausrichtung auf geografische Schwerpunkte gekennzeichnet und ist hinsichtlich der AKP-Länder durch das Cotonou-Abkommen sehr komplex geworden. Die Erfahrungen, die im Rahmen der Lomé-Abkommen und in der Folge mit dem Cotonou-Abkommen gesammelt wurden, dürften für andere Regionen, insbesondere in Asien, oder für Länder, die sich zur Erreichung der Millenniumsziele verpflichtet haben, von Nutzen sein. So sollten gemeinsam mit anderen Empfängerregionen von Entwicklungshilfe in der Welt flexiblere, beständigere und besser strukturierte Verfahren angeregt werden, die über die übliche Form von Gipfeln und Abkommen hinausgehen und eine strategischere Vision der Zusammenarbeit eröffnen. Gleichzeitig sollte die Entwicklungshilfe der Gemeinschaft alle armen Länder umfassen.

    6.4

    Der EWSA befürwortet die Absicht, dem Afrika südlich der Sahara bei der EU-Entwicklungshilfe eine Vorrangstellung einzuräumen. Doch muss diese verstärkte Hilfe, um effizient zu sein, von einer Verbesserung der afrikanischen Regierungsstrukturen sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene begleitet werden. Dies betrifft sowohl zwischenstaatliche Organisationen in Afrika als auch die einzelnen Staaten und die Organisationen der Zivilgesellschaft. Letztere sind durch ihre Unabhängigkeit, ihre Nähe zur Bevölkerung und ihre Reaktionsfähigkeit imstande, eine wirkliche Mitgestaltung entwicklungspolitischer Maßnahmen durch die direkt betroffene Bevölkerung zu fördern.

    6.5

    Dementsprechend schlägt der EWSA vor, den afrikanischen Organisationen der Zivilgesellschaft den Zugang zur Gemeinschaftsfinanzierung zu erleichtern, indem ihnen diese auf nationaler Ebene unmittelbar zugänglich gemacht wird. Desgleichen müsste ein horizontales Programm zur Finanzierung der Tätigkeit nichtstaatlicher Akteure eingerichtet werden. Ferner sollte die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Definition und Umsetzung der Politiken und Strategien der Zusammenarbeit verstärkt und systematisiert werden.

    6.6

    Damit die wirtschaftliche Entwicklung einem möglichst großen Bevölkerungsanteil zugute kommt und nicht zu Missständen führt, würde sich der EWSA wünschen, dass den Grundsätzen des sozialen Zusammenhalts und der menschenwürdigen Arbeit für alle bei den Entwicklungshilfemaßnahmen in Afrika Rechnung getragen wird. Die Einhaltung dieser Grundsätze kann am besten durch einen echten sozialen Dialog und allgemein einen Dialog mit den Vertretungsorganisationen der Zivilgesellschaft gewährleistet werden. Im Hinblick darauf wird der EWSA — wie in der Kommissionsmitteilung (20) vorgeschlagen — in Bereichen, die als einschlägig erachtet werden, zwecks Austausch von Erfahrungen und Wissen mit dem Afrikanischen Wirtschafts-, Kultur- und Sozialausschuss zusammenarbeiten.

    6.7

    Die EU-Entwicklungspolitik sollte solchen Ländern mehr Aufmerksamkeit schenken, die zwar als Staaten mit mittlerem Volkseinkommen gelten, jedoch innerstaatlich mit erheblichen Problemen in Verbindung mit Armut und Ungleichheiten konfrontiert sind. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Anteil der EU-Hilfen für Lateinamerika — einer Region, in der Ungleichheiten in hohem Maß vorhanden sind und in der Länder mit mittlerem Volkseinkommen wie Brasilien, Uruguay und Mexiko in bestimmten Regionen mit massiven Armutsproblemen zu kämpfen haben — konstant rückläufig ist. Es müsste ein Indikatorensystem geschaffen werden, mit dem die Entwicklung der Lage in solchen Ländern verfolgt werden könnte. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die EU Lateinamerika in ihrer Entwicklungspolitik mehr Gewicht beimisst.

    6.8

    Der Vorschlag der Kommission zur Schaffung spezifischer Maßnahmen für Länder im Übergang, durch die die Verflechtung zwischen Hilfen, Rehabilitation und Entwicklung verstärkt wird und die gleichzeitig eine Anpassung an sich verändernde Bedingungen und die Gegebenheiten in anfälligen Staaten ermöglichen, erscheint dem EWSA angemessen und im Einklang mit der notwendigen Differenzierung. Ebenso müssten die Präventiv- und Frühwarnkomponenten bei der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich gefördert werden.

    7.   Finanzierung

    7.1

    Die Europäische Union hat sich dazu verpflichtet, mindestens die in Monterrey vereinbarten Ziele einzuhalten, und alles deutet darauf hin, dass dieses Engagement aufgestockt werden müsste, um die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen. Die auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates im März 2002 in Barcelona gewährte Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe auf 0,39 % des BIP im Jahr 2006 scheint im Vergleich zum heutigen Durchschnitt von 0,22 % zwar eine beachtliche Verpflichtung darzustellen, liegt aber weit unter dem Beitrag, den die EU-Mitgliedstaaten bereits 1990 leisteten, nämlich 0,44 %. Auf der Ratstagung vom 23./24. Mai 2005 wurden neue, ehrgeizigere Ziele gesteckt: das Erreichen von durchschnittlich 0,56 % des BIP der EU im Jahr 2010 und die Unterscheidung zwischen den 15 alten und den 10 neuen Mitgliedstaaten. Zur Erreichung der Millenniumsziele ist jedoch eindeutig ein wesentlich umfangreicheres Engagement erforderlich.

    7.2

    Die von den G-8-Staaten im Juli 2005 eingegangene Verpflichtung eines 100 %igen Erlasses der multilateralen Schulden der 18 ärmsten Ländern ist ein bedeutender Vorstoß in diese Richtung, der weiter vorangetrieben werden sollte. Es muss abgewartet werden, bis ihre endgültige Bestätigung vorliegt sowie — wie bereits angekündigt -, ob weitere ca. 20 Länder von entsprechenden Maßnahmen profitieren werden. Nach Auffassung des EWSA sollten diese Aktionen nicht nur auf alle weniger entwickelten Länder ausgeweitet, sondern auch effektiv mit zusätzlichen Ressourcen — und nicht durch eine einfache Neuausrichtung der für die öffentliche Entwicklungspolitik bestimmten Mittel — finanziert werden.

    7.3

    Folglich müssen die finanziellen Verpflichtungen, die für die Erfüllung der Millenniumsziele erforderlich sind, klarer und konkreter in die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 aufgenommen werden.

    7.4

    Die Finanzierungsformen der Entwicklungshilfe haben sich weiterentwickelt und an die notwendige Eigenverantwortung der Partner angepasst. Die Gemeinschaftszusammenarbeit muss in Richtung einer langfristigen Vorhersehbarkeit und mehrjähriger Planungsmechanismen voranschreiten, mit denen die möglichen negativen Auswirkungen der Veränderungen der Haushaltsausstattungen und der „Unbeständigkeit“ der Hilfe auf ein Mindestmaß reduziert werden.

    7.5

    Die Notwendigkeit einer vorhersehbaren und beständigen Hilfe kollidiert mit dem Prinzip der Jährlichkeit der einzelstaatlichen Haushaltspläne. Dies ist einer der Gründe, die für die Notwendigkeit zusätzlicher Finanzierungsquellen sprechen. Der zweite wesentliche Grund ist das Erfordernis, zusätzliche Ressourcen für die Entwicklung bereitzustellen, die zu den traditionellen Finanzmitteln hinzukommen. Durch die fehlende Einigung der Mitgliedstaaten über neue Finanzierungsquellen in Ergänzung der offiziellen Entwicklungshilfe — als Möglichkeit, neue Ressourcen in die Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele einfließen zu lassen — verzögert sich ihre Umsetzung. Es gibt prinzipiell zwei mögliche Neuerungen in Bezug auf zusätzliche Finanzierungsinstrumente für die Entwicklungshilfe. Zum einen die Internationale Finanzierungsfazilität (International Finance Facility, IFF), zum anderen die Einführung internationaler Steuern. Abgesehen von der Schwierigkeit, das politische Engagement für den Einsatz dieser Instrumente zu erwirken, bleiben in Bezug auf den ersten Ansatz noch einige große Fragen hinsichtlich der Verwaltung und Anwendung der Mittel offen. Was den zweiten Ansatz betrifft, besteht die Hauptschwierigkeit darin, einen internationalen Konsens bezüglich seiner Anwendung zu erlangen. Der EWSA ist der Auffassung, dass beide Instrumente ausführbar und komplementär sein können, und hält ihren Einsatz für dringend erforderlich, wobei gleichzeitig sichergestellt werden muss, dass ihr zusätzlicher Charakter auch effektiv erhalten bleibt.

    7.6

    Das Erreichen der vollständigen Aufhebung der Konditionalität der Entwicklungshilfe muss eines der Entwicklungsziele der nächsten Jahre sein. Im Gefolge zahlreicher dahingehender Vorschläge (21) ersucht der EWSA den Rat, die Verordnung über die Aufhebung der Konditionalität der Hilfe sowie die Folgemaßnahmen der Mitgliedstaaten zu diesem Thema entscheidend voranzutreiben und über die Empfehlungen des Entwicklungshilfeausschusses (DAC) sogar noch hinauszugehen.

    7.7

    Die Position der Geberländer — und konkret die Politik der Europäischen Union — ist derzeit darauf ausgerichtet, die Hilfe für Projekte zu reduzieren und stattdessen die Haushalte der Regierungen der Empfängerländer zu finanzieren, um diesen Mittel für die Entwicklung eigener Maßnahmen an die Hand zu geben. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass dies niemals die Verwirklichung der Ziele, für die die EU Hilfsgelder bereitstellt, beeinträchtigen sollte. Allerdings kann diese Art der Finanzierung das Prinzip der Eigenverantwortung fördern, vorausgesetzt, die bisherige Projektüberwachung wird nicht durch die Einführung neuer — politischer — Bedingungen ersetzt, mit denen die Ausrichtung der wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen gelenkt werden soll.

    7.8

    Die Instrumente zur Entwicklungsfinanzierung müssen mit den Zielen, die sie erreichen wollen, kohärent sein. Angesichts der langen Fristen für die Verwaltung der Projekt- oder Aktionszyklen, die für die europäische Hilfe bisher kennzeichnend waren, wäre mehr Beweglichkeit und Flexibilität bei der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit erforderlich. Anderseits erscheint es nicht zweckmäßig, Instrumente der allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit denen der Entwicklungszusammenarbeit zu vermischen. Die Entwicklungspolitik hat einen gewissen Grad an Autonomie in Bezug auf ihre Zielsetzungen, was sowohl bei der Planung als auch bei der Verwirklichung der Ziele eine Spezialisierung ihrer Instrumente verlangt.

    7.9

    Flexibilität ist noch notwendiger im Falle eines Wiederaufbaus nach Kriegen und Katastrophen oder in Krisensituationen, wenn Langsamkeit und Starrheit ein Handeln gänzlich unmöglich machen. Initiativen wie die des Friedensfonds für Afrika sind besser auf die Realität dieser Situationen eingestellt.

    7.10

    Die EU hat die Entschuldungsinitiative für HIPC (hochverschuldete arme Länder) zur Verringerung der externen Schulden insgesamt relativ gut befolgt. Auf kurze Sicht jedoch kann diese Initiative das langfristige Schulden- und Schuldendienstproblem nicht lösen; hierfür müssen andere Alternativen gefunden werden. Die Kommission hat konjunkturelle Maßnahmen für Länder vorgeschlagen, die von Kriegen oder schweren Katastrophen betroffen waren, doch das Problem bleibt langfristig ungelöst. Der EWSA schlägt aktivere Maßnahmen im Bereich der Schulden vor, wie den Tausch „Schulden gegen Bildung“ oder „Schulden gegen soziale Investitionen“ oder die Prüfung eines Schuldenerlasses in Regionen, die von großen Katastrophen heimgesucht wurden.

    7.11

    Die zunehmende Besorgnis um die so genannten internationalen Kollektivgüter dürfte eine spezielle, an ihren Schutz geknüpfte Finanzierung ermöglichen. Zu diesem Zweck müsste die EU einen Aktionsplan über die Bedeutung und Finanzierung dieser Kollektivgüter aufstellen und sich bei der Mittelzuweisung flexibel zeigen. Die weltweiten Fonds und Initiativen, die in den letzten Jahren für konkrete Fälle (Aids, Wasser, Impfstoffe usw.) auf den Weg gebracht wurden, scheinen dieses Element der Flexibilität aufzuweisen, und deshalb sollte die Unterstützung der Gemeinschaft für derartige Initiativen, wie sie bereits von einigen Mitgliedstaaten ergriffen wurden, auch fortgesetzt werden (22).

    7.12

    Der EWSA schlägt wie bereits erwähnt vor, in die europäische Entwicklungsstrategie die besonderen Probleme der Länder mit mittlerem Volkseinkommen einzubeziehen, in denen es jedoch zahlreiche Armutszonen gibt und weite Teile der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Geeignete Möglichkeiten der Unterstützung wären in diesem Fall allerdings nicht nur (nicht rückzahlbare) Zuschüsse, sondern auch Darlehen oder andere kombinierte Beihilfeformen. Die Parameter hierfür sollten komplementär zu den Millenniumszielen sein und auch — wie beim Gipfeltreffen EU/Lateinamerika und Karibik in Guadalajara 2004 vorgesehen — die Verwirklichung des sozialen Zusammenhalts als Ziel einschließen (23), was unter anderem Reformen in der Haushaltsführung und ein progressives Steuersystem erfordert.

    8.   Vorschläge

    8.1

    Nach Auffassung des EWSA muss der Kampf gegen die Armut ein wesentliches Element des Handelns der EU zugunsten einer gerechteren, sichereren und ökologisch verantwortungsvollen Globalisierung sein. Gleichzeitig muss er die logische Fortsetzung ihres internen Modells für wirtschaftliche Entwicklung und soziales Zusammenleben nach außen sein (24).

    8.2

    Der EWSA ist der Meinung, dass die europäische Entwicklungspolitik sowohl in Bezug auf die Verbreitung der wesentlichen Werte der EU als auch auf die Abwendung der negativen Folgen von Armut und Ungleichheit (Unsicherheit, Raubbau an den natürlichen Ressourcen, unkontrollierbare Migrationsströme) eine fundamentale Rolle spielen muss. Daher schlägt er vor, der europäischen Entwicklungspolitik denselben Stellenwert wie der Sicherheitspolitik einzuräumen.

    8.3

    Folglich schlägt der EWSA vor, dass die Förderung des europäischen Sozialmodells — soziale Regelung, Verpflichtungssysteme zwischen den Sozialpartnern, universelle Sozialschutzsysteme — im neuen Kontext der wirtschaftlichen Globalisierung einen zentralen Platz in der Entwicklungspolitik der EU einnehmen soll.

    8.4

    Der EWS vertritt die Auffassung, dass die Senkung der Zollschranken für die Ausfuhren der Entwicklungsländer und der Beihilfen, unter anderem der an die Ausfuhrpreise geknüpften Agrarsubventionen, zur Verringerung der Armut beitragen könnte (25); allerdings hat sie kurzfristig möglicherweise ambivalente Folgen, da die Entwicklungsländer, die zu den Nettoimporteuren gehören, von einem Preisanstieg betroffen sein können. Ebenso ersucht er um eine Reform des Abkommens über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums. Gleichzeitig plädiert der EWSA dafür, den wirtschaftlichen Öffnungsprozess der Entwicklungsländer auf ihre schrittweise Integration in die Weltmärkte auszurichten und mit Programmen zur strukturellen Konsolidierung dieser Länder zu begleiten.

    8.5

    Der EWSA schlägt vor, in die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und verschiedenen Ländern und Regionen der Welt eine soziale Dimension aufzunehmen, die zumindest die Förderung der menschenwürdigen Arbeit, die Entwicklung der öffentlichen und privaten Sozialschutzsysteme und die in den grundlegenden ILO-Konventionen festgeschriebene effektive Achtung der Arbeitnehmerrechte umfasst. Der EWSA schlägt außerdem vor, in diesen Abkommen Mechanismen für die Teilhabe der organisierten Zivilgesellschaft festzulegen.

    8.6

    Die menschenwürdige Arbeit ist — entsprechend der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) — ein mit der Beseitigung der Armut und der Zunahme des sozialen Zusammenhalts untrennbar verbundenes Element. Der EWSA schlägt daher vor, die Durchsetzung von menschenwürdiger Arbeit zum neunten Millenniums-Entwicklungsziel zu machen.

    8.7

    Die Verteidigung von Menschenrechten ist einer der Vektoren der Entwicklungspolitik der EU. Dementsprechend schlägt der EWSA vor, dass im Rahmen dieser Politik in den Regionen, in denen die Zusammenarbeit stattfindet, Maßnahmen zum effektiven Schutz der Verfechter von Menschenrechten, einschließlich der Menschenrechte am Arbeitsplatz, ergriffen werden.

    8.8

    Der EWSA schlägt vor, bei der Anwendung der Entwicklungsstrategie die Umweltdimension zu den Effizienzindikatoren hinzuzunehmen, und ist der Auffassung, dass die Durchführung ökologischer Folgenabschätzungen eine unerlässliche Vorbedingung für größere Aktionen sein muss.

    8.9

    Nach dem Dafürhalten des EWSA muss die Entwicklungspolitik der EU zur gesteuerten und rechtlich abgesicherten Integration der Migrantenströme beitragen. Desgleichen muss gemeinsam mit den Herkunftsländern der Migranten eine Politik der gemeinsamen Entwicklung konzipiert werden, und zwar mithilfe von Ausgleichszahlungen für die Abwanderung von Spitzenkräften, der Beseitigung von Hindernissen für die Überweisung von Einkünften der Migranten und der Unterstützung rückkehrender Migranten bei der Gründung produktiver Unternehmungen. Die Migrationspolitik darf in keinem Fall zu einem neuen Bedingungsgerüst für die Entwicklungspolitik werden.

    8.10

    Der EWSA plädiert für die Kohärenz aller EU-Politiken mit der Entwicklungsstrategie und die notwendige Autonomie und Spezifizität der Entwicklungspolitik verglichen mit anderen Politikfeldern. Nach dem Dafürhalten des EWSA gewinnt die Harmonisierung der gemeinschaftlichen und der einzelstaatlichen Entwicklungspolitik immer mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass eine gemeinsame europäische Plattform bzw. Agenda für die europäische Entwicklungspolitik eingerichtet wird, die die Fristen und Systeme für die Folgemaßnahmen seitens der Mitgliedstaaten festlegt und konkretisiert. Der EWSA hält es auch für richtig, dass die Mitgliedstaaten und die EU mit gemeinsamen Standpunkten an den multilateralen Foren teilnehmen. Der EWSA unterstützt die Haltung der Kommission in Bezug auf die Zweckmäßigkeit einer Entwicklungspolitik auf europäischer Ebene, die für die Mitgliedstaaten und die Kommission verbindlich ist.

    8.11

    Die Beseitigung der Armut setzt unter anderem eine anders geartete Macht- und Chancenverteilung voraus. Um hier Fortschritte zu machen, ist die Festigung der Institutionen des sozialen und demokratischen Rechtsstaats von grundlegender Bedeutung. Auch die Stärkung der Organisationen der Zivilgesellschaft spielt hierbei eine große Rolle. Deshalb schlägt der EWSA vor, Haushaltslinien zur Erreichung dieses Ziel einzurichten.

    8.12

    Angesichts des konsolidierten Beispiels der Beziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten ersucht der EWSA die Europäische Kommission, den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, die Ausweitung der Rolle des EWSA im Rahmen der Beziehung zu den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren anderer Regionen, wie etwa in Lateinamerika und den Ländern des Mittelmeerraums, zu fördern. Der EWSA appelliert an die politischen Instanzen, folgende Maßnahmen zu unterstützen: das politische Mandat und die Zuweisung von Mitteln, die eine Teilnahme der wirtschaftlichen und sozialen Akteure ermöglichen; die institutionelle Anerkennung des Dialogs der Zivilgesellschaft und ihre offizielle und regelmäßige Teilnahme an den Folgemaßnahmen zu den Assoziierungsabkommen, den Gipfeltreffen, den paritätischen parlamentarischen Ausschüssen und den für die Zivilgesellschaft relevanten Politikbereichen wie dem sozialen Zusammenhalt und der menschenwürdigen Arbeit; die Bemühungen des EWSA um Förderung der beratenden Funktion und des sozialen Dialogs in Zusammenarbeit mit der ILO und anderen internationalen Organisationen. In diesem Zusammenhang ersucht der EWSA die Europäische Kommission, den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, unter Ziffer 2.2 der Gemeinsamen Erklärung über die Entwicklungspolitik der EU eine konkrete Bezugnahme auf den EWSA als effektiver und notwendiger Vermittler des Dialogs mit den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren aufzunehmen.

    8.13

    Der EWSA vertritt die Meinung, dass wesentliche Ziele der europäischen Entwicklungspolitik die Förderung eines stabilen und demokratischen Rahmens für die Arbeitsbeziehungen und den sozialen Dialog und die Stärkung der sozialen Verantwortung von Unternehmen sind.

    8.14

    Der EWSA ist der Auffassung, dass sich der Mehrwert des gemeinschaftlichen Handelns an globalen strategischen Zielen mit sektorübergreifender Ausrichtung orientieren sollte. Andererseits teilt er die Absicht, die Unterstützung für das Afrika südlich der Sahara zu einer Priorität zu machen unter der Bedingung, dass die Voraussetzungen für ein besseres Regieren in diesem Gebiet geschaffen werden. Gleichzeitig plädiert der EWSA dafür, die Gemeinschaftsbeihilfe an alle armen Länder zu zahlen.

    8.15

    Nach dem Dafürhalten des EWSA sollte den Ländern mit mittlerem Volkseinkommen, in denen große interne Probleme mit Armut und Ungleichheit bestehen, im Rahmen der europäischen Entwicklungspolitik größere Aufmerksamkeit geschenkt werden; darunter fallen einige Länder Lateinamerikas — einer Region, mit der die EU eine strategische Assoziierung einzugehen beabsichtigt — und Asiens.

    8.16

    Der EWSA schlägt vor, die von den G-8-Staaten bewilligten Maßnahmen zum Schuldenerlass auf alle armen Länder auszuweiten und mit Mitteln zu finanzieren, bei denen es sich auch effektiv um zusätzliche Ressourcen handelt.

    8.17

    Der EWSA stellt fest, dass zur Erreichung der Entwicklungsziele und zur Bewahrung der globalen Kollektivgüter zusätzliche Finanzierungsquellen erforderlich sind. Er vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass sowohl die IFF-Initiative als auch die Einführung zuvor abgestimmter internationaler Steuern (die, um wirkungsvoll zu sein, auf einem breiten politischen Konsens beruhen müssen) für diesen Zweck brauchbar und komplementär sein können.

    8.18

    Die Aufhebung der Konditionalität bei der Entwicklungshilfe muss nach Ansicht des EWSA eines der zentralen Ziele der europäischen Entwicklungsstrategie sein. Er appelliert an den Rat, die Änderung der Verordnung über die Aufhebung der Konditionalität der Hilfe voranzutreiben und sogar über die Empfehlungen des Entwicklungshilfeausschusses (DAC) hinauszugehen.

    8.19

    Der EWSA schlägt den Einsatz neuer Umschuldungsformen vor, wie den Tausch gegen Bildung oder gegen Ziele sozialer Art (Rückkehr der Migranten, Stärkung sozialer Organisationen usw.).

    8.20

    Die Verbesserung der Effizienz der Beihilfe stellt alle beteiligten Akteure weiterhin vor eine große Aufgabe. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bemühungen um ein besseres Erreichen der Entwicklungsziele fortgesetzt und ausgeweitet werden sollten.

    8.21

    Die Gestaltung einer Politik, mit der die soziale Unterstützung für die entwicklungspolitischen Maßnahmen verstärkt und gleichzeitig das weltweite Bewusstsein für diese Fragen geschärft werden soll, ist nach Auffassung des EWSA unerlässlich. Er bietet sich daher an, in Zusammenarbeit mit den Gemeinschaftsinstitutionen als Instrument für diese Politik zu fungieren.

    Brüssel, den 29. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Die „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Vorschlag für eine gemeinsame Erklärung des Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission: Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union - ‚Der europäische Konsens‘“ (SEK(2005) 929) wurde am 13. Juni 2005 veröffentlicht.

    (2)  Dieses im April 2005 vorgelegte „Paket“ besteht aus drei Mitteilungen: KOM(2005) 132 über den Beitrag der EU, KOM(2005) 133 über die Finanzierung der Entwicklung und Wirksamkeit der Hilfe und KOM(2005) 134 über die Kohärenz der Maßnahmen.

    (3)  Bemerkenswert sind aber auch die zum Kommissionsvorschlag gehörende Folgenabschätzung, der Jahresbericht über die Entwicklungspolitik und Außenhilfe der Gemeinschaft sowie die thematischen und geografischen Untersuchungen der Kommission, in denen die praktische Umsetzung der Entwicklungspolitik systematisch berücksichtigt wird.

    (4)  ODI/ICEI/ECDPM: Assessment of the EC Development Policy. DPS Study Report. Februar 2005.

    (5)  Entschließung der Vollversammlung A/RES/55/2 vom 8. September 2000.

    (6)  Die Millenniums-Entwicklungsziele lauten: (1) Eindämmung von Armut und Hunger weltweit, (2) Grundschulbildung für alle, (3) Gleichstellung, (4) Eindämmung der Kindersterblichkeit, (5) Verbesserung der Müttergenesung, (6) Bekämpfung von HIV/AIDS und anderen Erkrankungen, (7) Gewährleistung eines zukunftsfähigen Umweltschutzes, (8) Mitwirkung in einer weltweiten Partnerschaft im Dienste der Entwicklung.

    (7)  Stellungnahme zum Thema „Die soziale Dimension der Globalisierung - der politische Beitrag der EU zu einer gleichmäßigen Verteilung des Nutzens“ (ABl. C 234 vom 22.9.2005).

    (8)  Stellungnahme zum Thema „Möglichkeiten der Berücksichtigung sozialer Aspekte in den Verhandlungen über die wirtschaftlichen Assoziationsabkommen“ (ABl. C 255 vom 14.10.2005; Anm.d.Übers.: Provisorischer Titel, da diese Stellungnahme noch nicht auf Deutsch vorliegt); Stellungnahme zum Thema „Sozialer Zusammenhalt in Lateinamerika und der Karibik“ (ABl. C 110 vom 30.4.2004); Stellungnahme zum Thema „Menschenrechte am Arbeitsplatz“ (CESE 933/2001).

    (9)  Konvention Nr. 87: Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts; Konvention Nr. 98: Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen; Konvention Nr. 29: Zwangsarbeit; Konvention Nr. 105: Abschaffung der Zwangsarbeit; Konvention Nr. 111: Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf); Konvention Nr. 100: Gleichheit des Entgelts; Konvention Nr. 138: Mindestalter; Konvention Nr. 182: Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Folgen der Kinderarbeit.

    (10)  Stellungnahme zum Thema „Sozialer Zusammenhalt in Lateinamerika und der Karibik“, ABl. C 110 vom 30.4.2004, S. 55.

    (11)  Besonders bemerkenswert ist hier die Verletzung der Gewerkschaftsrechte, die in vielen Regionen der Welt (vor allem Lateinamerika) anzutreffen ist und durch die Verfolgung, Verhaftung und oftmals auch Ermordung von Gewerkschaftern gekennzeichnet ist.

    (12)  Stellungnahme zum „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (ABl. C 255 vom 14.10.2005).

    (13)  Stellungnahme zum Thema „Zuerkennung der Unionsbürgerschaft“ (ABl. C 208 vom 3.9.2003).

    (14)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Migration und Entwicklung: Konkrete Leitlinien“ (KOM(2005) endg.).

    (15)  Dieser Begriff bezeichnet die unangemessene Verwendung der im Rahmen der Entwicklungshilfe bereitgestellten Mittel durch den Empfängerstaat.

    (16)  Der EWSA ist sich der Bedeutung der Repräsentativität zivilgesellschaftlicher Organisationen bewusst und hat daher einen Unterausschuss eingerichtet, der sich mit diesem Thema befasst. Das Cotonou-Abkommen zwischen den AKP-Staaten und der EU enthält ebenfalls einige Kriterien für die Förderfähigkeit von Nichtregierungsorganisationen, wobei es in diesem Fall um den Zugang zu Mitteln aus dem EEF geht. Ferner werden die Kriterien für die Beurteilung der Repräsentativität von Organisationen der europäischen Zivilgesellschaft in der Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die organisierte Zivilgesellschaft und europäische Governance - Beitrag des Ausschusses zur Erarbeitung des Weißbuchs“ aufgeführt.

    (17)  Beispielsweise die von der GD RELEX veranstalteten Foren der organisierten Zivilgesellschaft über die Beziehungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft, Zentralamerika, Mexiko oder dem Mercosur.

    (18)  Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen, OECD, 2000.

    (19)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Grünbuch: Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“ (ABl. C 125 vom 27.2.2002) sowie zu der „Mitteilung der Kommission - Sozialpolitische Agenda“ (ABl. C 294 vom 25.11.2005).

    (20)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss: „Beschleunigte Verwirklichung der entwicklungspolitischen Millenniumsziele - Der Beitrag der Europäischen Union“ (KOM(2005) 132 endg.).

    (21)  Vgl. hierzu die Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zur Außenhilfe der Gemeinschaft“ (ABl. C 157 vom 28.6.2005).

    (22)  Die Europäische Kommission hat im April 2005 eine Untersuchung zur zusätzlichen Entwicklungsfinanzierung „Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen. Neue Quellen für die Entwicklungsfinanzierung: Übersicht über die Optionen“ (SEK(2005) 467; Anm.d.Übers.: Provisorischer Titel, da die deutsche Fassung noch nicht vorliegt) und die Mitteilung „Stärkeres Engagement für die Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele - Entwicklungsfinanzierung und Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ (KOM(2005) 133 endg.) vorgelegt. Darin werden die verschiedenen Initiativen und die einschlägigen Positionen der Mitgliedstaaten wiedergegeben. Auch wenn diese Positionen noch nicht endgültig sind, verfolgen die Mitgliedstaaten bereits fortschrittlichere Ansätze hinsichtlich der neuen Finanzierungsquellen (z.B. globale Fonds).

    (23)  Vgl. hierzu die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Sozialer Zusammenhalt in Lateinamerika und der Karibik“ (ABl. C 112 vom 30.4.2004).

    (24)  Vgl. hierzu die derzeit erarbeitete Stellungnahme des EWSA zum Thema „Das auswärtige Handeln der EU: Die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr Koryfidis - ABl. C 74 vom 23.3.2005).

    (25)  In Untersuchungen verschiedener internationaler Institutionen wurde festgestellt, dass die Auswirkungen der Verringerung der Ausfuhrbeihilfen auf die Wirtschaft der Entwicklungsländer schwierig zu bewerten sind und in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation dieser Länder und der Struktur ihrer Handelsbeziehungen variieren.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/90


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels“

    (2006/C 24/17)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Der soziale Dialog und die Einbeziehung der Arbeitnehmer, Schlüssel zur Antizipierung und Kontrolle des industriellen Wandels“.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 12. September 2005 an. Berichterstatter war Herr ZÖHRER.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 29. September) mit 138 gegen 2 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung und Ziele

    1.1

    Der industrielle Wandel ist ein ständiger Prozess, in dem sich ein Industriesektor auf die sich verändernden Bedingungen innerhalb seines Wirtschaftsumfelds anpasst, um wettbewerbsfähig zu bleiben und Wachstumschancen zu schaffen.

    1.2

    Industrieller Wandel ist somit eine notwendige Anpassung an Änderungen der Märkte, der Technologien, der rechtlichen, sozial- oder wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sowie der Gesellschaft insgesamt. Im Idealfall werden solche Veränderungen vorhergesehen oder bewusst herbeigeführt, so dass der jeweilige Sektor pro aktiv handeln, einen allmählichen Anpassungsprozess herbeiführen und negative Folgen des Anpassungsprozesses minimieren kann.

    1.3

    Wird auf die Veränderungen zu spät oder gar nicht reagiert, führt das zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und zur Gefährdung von Arbeitsplätzen. Umstrukturierungen, die erst als Reaktion darauf erfolgen, sind zumeist mit schmerzlichen Auswirkungen vor allem auf die Beschäftigung und die Arbeitsbedingungen verbunden. Eine schlecht gemanagte Umstrukturierung kann zu einem Imageverlust des Unternehmens oder eines ganzen Sektors führen sowie zu einer Stimmung, die sich generell gegen den Wandel richtet.

    1.4

    In welcher Form auch immer, industrieller Wandel ist ein stetiger Prozess in der Wirtschaft, der aber im Wesentlichen von den Beteiligten gestaltet werden kann und muss. Er vollzieht sich in den Unternehmen mit Auswirkungen auf alle Betroffenen in deren Umfeld (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Regionen ...).

    1.5

    Der Erfolg dieses Prozesses misst sich an der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Unternehmen oder eines Sektors auf der einen Seite und an der Sicherung von Arbeitsplätzen sowie der sozialen Bewältigung negativer Folgen auf der anderen Seite.

    1.6

    Dieser Erfolg kann zweifellos am besten erzielt werden, wenn die Betroffenen in die Gestaltung des Wandels mit einbezogen werden. Dass die Gestaltung des Wandels sich auf allen Ebenen in den Sektoren wie im Unternehmen vollzieht und nicht nur auf der Ebene der Unternehmensleitung, ist nicht nur für einen erfolgreichen und einvernehmlichen Anpassungsprozess von Bedeutung, sondern auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit. Der soziale Dialog sowie die Einbeziehung und Mitwirkung der Arbeitnehmer sind daher ein wesentlicher Bestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells.

    1.7

    Auch eine Bestandsaufnahme der Initiativen der Europäischen Kommission im Bereich Industriepolitik der letzten Zeit genügt, um zu erkennen, dass diese der Ermittlung von Synergien und der Einbeziehung aller Betroffenen für eine erfolgreiche Verwirklichung des strukturellen Wandels zunehmend eine wichtige Bedeutung beimisst. Diese Maßnahmen können eine sozialverträgliche Gestaltung des industriellen Wandels ermöglichen, wenn die systematische Einbeziehung der Sozialpartner bei der Antizipierung und Gestaltung der Veränderungen gewährleistet ist und das Doppelziel der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie der Minimierung negativer sozialer Folgen konsequent verfolgt wird.

    1.8

    Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme zum Thema „Der industrielle Wandel: Bilanz und Aussichten“ (1) unter anderem folgende künftige Arbeitsfelder der CCMI empfohlen:

    Suche nach gemeinsamen Ansätzen, um den industriellen Wandel vorwegzunehmen und zu bewältigen, sowie nach Wegen, wie die EU und die Mitgliedstaaten die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität von Unternehmen durch den sozialen Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten stärken können.

    Suche nach gemeinsamen Ansätzen für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung und die Verbesserung des sozialen und territorialen Zusammenhalts, um der Lissabon-Strategie neuen Schwung zu verleihen und den Rahmen und die Bedingungen dafür zu stärken, dass der industrielle Wandel sich so vollzieht, dass er sowohl mit dem Erfordernis der Wettbewerbsfähigkeit für die Unternehmen als auch mit dem wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt vereinbar ist (2).

    1.9

    Natürlich sind zur erfolgreichen Bewältigung des Wandels eine Vielzahl von Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Auf der Ebene der Gemeinschaft muss der Wandel von einer horizontalen Perspektive betrachtet und von mehreren Maßnahmen (beispielsweise im Bereich der makroökonomischen Rahmenbedingungen, der Beschäftigungs- und Sozialpolitik, der finanziellen Förderinstrumente, der Industriepolitik usw.) begleitet werden.

    1.10

    Ziel dieser Stellungnahme ist es, die Bedeutung des sozialen Dialogs sowie der Einbeziehung und Mitwirkung der Arbeitnehmer als Schlüssel für die erfolgreiche Bewältigung des industriellen Wandels darzustellen und Schlussfolgerungen für die künftige Entwicklung des sozialen Dialogs und Gemeinschaftsmaßnahmen zu ziehen.

    2.   Der Beitrag des sozialen Dialogs zur Gestaltung des industriellen Wandels

    2.1

    Der soziale Dialog wird auf verschiedenen Ebenen mit jeweils unterschiedlichen Akteuren praktiziert. Jede Ebene, sei es national, regional, europäisch, betrieblich, sektoral oder sektorübergreifend, kann ihren eigenen bedeutenden Beitrag bei der Vorbereitung auf den Wandel und dessen sozialverträglicher Bewältigung leisten. Um seiner Rolle gerecht zu werden, muss der soziale Dialog jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllen und es gilt, die verschiedenen Handlungsebenen aufeinander abzustimmen.

    2.1.1

    Um den Wandel vorausschauend zu gestalten, ist es notwendig, dass die Sozialpartner gemeinsam langfristige Perspektiven entwickeln. Voraussetzung dafür ist eine gefestigte und vertrauensvolle Partnerschaft und Dialogkultur, die es ermöglicht, langfristige Handlungsansätze aber auch einvernehmliche Lösungen in Krisenzeiten zu erzielen. Das Vorhandensein repräsentativer und stabiler Strukturen der Organisationen der Sozialpartner ist eine wichtige Handlungsvoraussetzung.

    2.1.2

    Es ist deshalb auch von entscheidender Bedeutung, die neuen EU-Mitgliedsländer beim Aufbau und der Stärkung der Strukturen des sozialen Dialogs zu unterstützen, um gemeinsam die Herausforderung des industriellen Wandels infolge des Integrationsprozesses zu bewältigen.

    2.1.3

    Um eine positive Einstellung zum Wandel zu fördern, sollte frühzeitig — auf der Grundlage einer beteiligungsorientierten Betriebs- und Unternehmenskultur — ein gemeinsames Verständnis zum Wandel und den Gestaltungsmöglichkeiten der Sozialpartner entwickelt werden. Zugleich kann der Wandel auf langfristige Sicht durch Maßnahmen wie zum Beispiel Ausbildung, multiskilling und lebenslanges Lernen vorbereitet werden. Diese Maßnahmen sollten insbesondere auch das Ziel der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer verfolgen.

    2.2

    Die Sozialpartner haben sich im Rahmen einer Anhörung durch die Kommission im Jänner 2002 mit der Frage von Umstrukturierungen und deren Folgen und Bewältigung befasst. Anhand konkreter Fallbeispiele wurden bewährte Verfahren aufgezeigt. Als Ergebnis legten die Sozialpartner „Orientierungspunkte für die Bewältigung des Wandels“ fest. Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn diese Arbeiten fortgesetzt und konkretisiert würden.

    2.3

    Die Antizipierung des Wandels setzt Kenntnisse über dessen Ursachen und Zusammenhänge voraus. Es ist daher wesentlich, dass sich die Sozialpartner regelmäßig zu den Perspektiven ihrer Branche und Unternehmen austauschen. Das European Monitoring Centre on Change der Dubliner Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

    2.4

    Darüber hinaus sind die sektorspezifischen Initiativen der EU von großer Bedeutung, die ausgehend von der Analyse der Situation und Perspektiven eines Sektors in einem umfangreichen Konsultationsprozess unter Einbeziehung der Sozialpartner, konkrete Empfehlungen für Maßnahmen zum Erlangen und Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit entwerfen.

    2.5

    Der EGKS-Vertrag hat auf europäischer Ebene das erste Beispiel eines sektoralen sozialen Dialogs eingeführt. Ein kontinuierlicher sozialer Dialog gekoppelt an das Instrumentarium der EGKS mit kontinuierlicher Marktbeobachtung, Forschungs- und Innovationsprogrammen, Preis- und Wettbewerbspolitik, Anpassungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer und Regionen hat gezeigt, dass industrieller Wandel und Umstrukturierungen auf sozialverträgliche Weise gestaltet werden können. Auch heute sollten alle in den Verträgen zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt werden, um dem Wandel zu begegnen.

    2.5.1

    Auch nach Auslaufen des EGKS-Vertrags ist es wünschenswert, dass dieser umfassende Ansatz in die Arbeit der heutigen EU Sektordialoge, die im Rahmen der Ausschüsse für den sektoralen sozialen Dialog stattfinden, mit einfließt. Somit könnten diese Ausschüsse neben der Behandlung sozialer Fragen verstärkt als Konsultationsgremien für alle EU-Initiativen, die auf die industrielle Entwicklung eines Sektors Einfluss nehmen, fungieren.

    3.   Die Einbeziehung und Mitwirkung der Arbeitnehmer und ihre Bedeutung für den industriellen Wandel

    3.1

    Industrieller Wandel hat für die Arbeitnehmer Konsequenzen, die von veränderten Qualifikationsanforderungen infolge technologischer Erneuerungen und Veränderungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen bis zum Verlust des Arbeitsplatzes reichen können. Es ist daher wesentlich, wie sich Arbeitnehmer auf diese geänderten Bedingungen einstellen können und welche Maßnahmen getroffen werden, um negative Folgen für sie zu minimieren und positive Auswirkungen zu optimieren. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Frage, ob die Arbeitnehmer rechtzeitig und in geeigneter Form über Veränderungen informiert werden und sich in diesen Prozess einbringen können.

    3.2

    Nur so besteht die Möglichkeit, dass sich der Wandel nicht nur auf der Ebene der Unternehmensleitung, sondern auch im Bewusstsein der Beschäftigten vollzieht und akzeptiert wird. Gelingt es nicht, den industriellen Wandel für die Arbeitnehmer sozial verträglich zu gestalten, führt das zu Konflikten.

    3.3

    Die Einbeziehung und Mitwirkung der Arbeitnehmer sowie ihrer betrieblichen Arbeitnehmervertreter und ihrer Gewerkschaften bei der Gestaltung des Wandels sind somit ein wesentlicher Beitrag zur sozialverträglichen Bewältigung, dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und damit zur Vermeidung von Konflikten. Im Idealfall sollten sich Unternehmen zu interaktiven, proaktiv handelnden Organisationen entwickeln. Dies fördert die Innovation im Unternehmen und letzten Endes auch seine Wettbewerbsfähigkeit.

    3.4

    Da Unternehmensentscheidungen zunehmend in einem globalen Wirtschaftsumfeld und oft in multinationalen Konzernen getroffen werden, gewinnen neben den nationalen Möglichkeiten und Instrumenten der Arbeitnehmerbeteiligung grenzüberschreitende Strukturen der Arbeitnehmervertretung stark an Bedeutung.

    3.5

    Europäische Betriebsräte spielen dabei eine besondere Rolle. Es gibt bereits einige Beispiele für Vereinbarungen über Restrukturierungsmaßnahmen, die Unternehmen mit Europäischen Betriebsräten getroffen haben. Es gibt ebenso Beispiele für Vereinbarungen, die mit europäischen Gewerkschaftsverbänden getroffen wurden. Die Erfahrungen daraus sind positiv zu bewerten, da gerade in internationalen Konzernen die Gefahr besteht, dass die Verringerung sozialer Folgen an einem Standort zu Lasten eines anderen geht.

    3.6

    Es ist davon auszugehen, dass sich der transnationale soziale Dialog auf Unternehmensebene dynamisch weiter entwickelt. In diesem Zusammenhang muss der Ausschuss jedoch feststellen, dass diese Entwicklung für die Beteiligten nicht unproblematisch ist. Es fehlt solchen Vereinbarungen ein verlässlicher Rechtsrahmen, der die Rechtsverbindlichkeit regelt und die Legitimation sowie die traditionellen Rollen der Sozialpartner, d.h. der Arbeitgeber und der legitimierten Arbeitnehmervertreter, berücksichtigt. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Vorschlag über die Bereitstellung für einen optionalen Rahmen für transnationale Kollektivverhandlungen, den die Kommission in ihrer Mitteilung zur Sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum 2005-2010 angekündigt hat, zu betrachten.

    3.7

    Der Ausschuss ist sich der Tatsache bewusst, dass die Instrumente und Strukturen der Arbeitnehmerbeteiligung auf der Ebene der Klein- und mittelständischen Unternehmen nicht im gleichen Maße wie auf der Ebene größerer Unternehmen entwickelt sind. Der Ausschuss ist jedoch der Meinung, dass trotz unterschiedlicher Voraussetzungen der partnerschaftliche Ansatz bei der Bewältigung des Wandels auch in diesen Unternehmen von großer Bedeutung ist.

    4.   Die Politik der Gemeinschaft in Bezug auf den industriellen Wandel

    4.1   Rechtsvorschriften

    4.1.1

    Es gibt bereits eine Reihe von Gemeinschaftsvorschriften, die einen direkten oder indirekten Bezug zum industriellen Wandel bzw. zu Restrukturierungen und ihren Folgen haben. In verschiedenen Richtlinien werden Informations- und Anhörungsrechte sowie der Schutz der Arbeitnehmer vor Folgen von Restrukturierungen geregelt (Europäische Betriebsräte, Europäische Aktiengesellschaft, Rahmen für Information und Anhörung auf nationaler Ebene, Insolvenz des Arbeitgebers, Betriebsübergang, Massenentlassungen, Anhörungsrechte bei Wettbewerbsverfahren).

    4.1.2

    All diese Rechtsvorschriften beziehen sich entweder auf einen sehr allgemeinen Rahmen für die Information und Anhörung oder punktuell auf bestimmte Folgen des Wandels bzw. von Restrukturierungen und sind mehr oder weniger losgelöst voneinander anwendbar. Aus Sicht des Ausschusses muss das Gemeinschaftsrecht auf diesen Grundstock aufbauend im Hinblick auf die Antizipierung des Wandels bewertet, konsolidiert und gegebenenfalls weiterentwickelt werden.

    4.2   Industriepolitik

    4.2.1

    Mit ihrer Mitteilung „Den Strukturwandel begleiten: Eine Industriepolitik für die erweiterte Union“, vom April 2004 (3), hat die Kommission eine neue Ära der europäischen Industriepolitik eingeleitet. Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme vom Dezember 2004 die strategische Stoßrichtung der Kommission begrüßt. Hervorzuheben ist noch einmal der Paradigmenwechsel, den die Kommission vorgenommen hat und die Industriepolitik damit wieder ganz oben auf die Tagesordnung Europas gesetzt hat.

    4.2.2

    Aus Sicht des Ausschusses geht es nun vor allem darum, den sektoralen Ansatz zu vertiefen, der es ermöglicht, maßgeschneiderte Ansätze für die einzelnen Sektoren zu finden. Dabei sollen aber nicht nur jene Wirtschaftsbereiche erfasst werden, die sich in der Krise befinden, sondern in möglichst vielen Sektoren, die für Europa von Bedeutung sind, Analysen durchgeführt werden, um den Wandel frühzeitig entgegenzutreten und proaktiv zu gestalten. Der soziale Dialog muss dabei eine wesentliche Rolle spielen.

    4.3   Sozialer Dialog

    4.3.1

    Der Europäische Rat hat auf seiner Frühjahrstagung 2004 die Mitgliedstaaten aufgerufen, Partnerschaften für den Wandel einzugehen, die die Sozialpartner, die Zivilgesellschaft und die staatlichen Stellen einbeziehen.

    4.3.2

    Im Hinblick auf diesen Aufruf und die Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie hat die Kommission ihre Mitteilung „Partnerschaft für den Wandel in einem erweiterten Europa — Verbesserung des Beitrags des europäischen sozialen Dialogs“ veröffentlicht (4).

    4.3.3

    Zweck dieser Mitteilung ist es, für die Ergebnisse des europäischen sozialen Dialogs zu sensibilisieren und das Verständnis zu fördern, ihre Wirkung zu verstärken und weitere Entwicklungen voranzubringen, die auf einer wirksamen Interaktion zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf verschiedenen Ebenen beruhen.

    4.3.4

    In ihrer Mitteilung fordert die Kommission, der soziale Dialog müsse konkrete Ergebnisse bringen. Dementsprechend empfiehlt sie den Sozialpartnern, die von ihnen erarbeiteten Texte stärker publik zu machen, sie transparenter zu gestalten und wirkungsvoller zu formulieren (zum Beispiel durch Benutzung einer leicht verständlichen Sprache), ein Follow-up zu praktizieren und die Textkategorien zu vereinheitlichen. Zu erwähnen ist in diesem Kontext, dass die Wirksamkeit des europäischen sozialen Dialogs zunehmend determiniert wird durch die Qualität der Arbeitsbeziehungen auf nationaler Ebene.

    4.3.5

    Die Kommission macht darin eine Reihe von Vorschlägen, die die Synergien der verschiedenen Ebenen (europäische, nationale, sektorale, Unternehmen) verstärken sollen sowie zur Stärkung der Strukturen des sozialen Dialogs und dessen Wirkung und der Folgemaßnahmen.

    4.3.6

    Der Ausschuss will zu diesem Zeitpunkt die Vorschläge der Kommission nicht näher kommentieren, da sich zunächst die Sozialpartner im Rahmen ihrer Autonomie damit beschäftigen müssen.

    4.3.6.1

    Er begrüßt jedoch jegliche Anstrengungen, die das Ziel verfolgen, den sozialen Dialog zu stärken. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung des sozialen Dialogs in den neuen Mitgliedstaaten, wo noch erhebliche Defizite herrschen. Er weist darauf hin, dass zum Beispiel hinsichtlich der Ausbildung, der Stärkung der Strukturen sowie der technischen Unterstützung umfangreiche Anstrengungen notwendig sind, vor allem auch finanzieller Natur. Der Vorschlag der Kommission, auch einen Teil der Mittel der Strukturfonds dafür zu verwenden, erscheint in diesem Zusammenhang logisch und konsequent.

    In den neuen Mitgliedstaaten führen Umstrukturierungsprozesse zu erheblichem Stellenabbau und gehen zum Großteil mit der Privatisierung von Unternehmen einher. Ein funktionierender sozialer Dialog ist notwendig, um bereits im Vorfeld dieser Prozesse entsprechende Sozialpakete auszuhandeln und deren rechtliche Durchsetzbarkeit zu gewährleisten.

    4.3.6.2

    Er unterstützt auch die Absicht der Kommission neue Sektoren zu ermutigen, einen sozialen Dialog aufzunehmen und Beiträge zu leisten, die Lissabonner Zielsetzungen zu verwirklichen.

    4.4   Umstrukturierung und Beschäftigung

    4.4.1

    Die am 9. Februar 2005 angenommene Sozialagenda sieht — ebenso wie die Mitteilung zur Überprüfung der Strategie für nachhaltige Entwicklung — vor, dass die Kommission eine Strategie zur Bewältigung von Umstrukturierungsprozessen entwickelt und dabei auf eine bessere Interaktion der einschlägigen europäischen Politiken, auf eine stärkere Einbeziehung der Sozialpartner, auf eine größere Synergie zwischen Politiken und Finanzierungsinstrumenten und auf eine Anpassung der rechtlichen und tarifvertraglichen Rahmenbedingungen setzt.

    4.4.2

    In der, von der Kommission am 31. März 2005 vorgelegten, Mitteilung „Umstrukturierung und Beschäftigung“ (5) wird dargelegt, welche Maßnahmen die Union auf den Weg bringen oder verstärken muss, um das ihr zur Verfügung stehende Potenzial zu mobilisieren. Dabei wird sowohl eine horizontale als auch eine sektorale Perspektive eingenommen und eine Reihe von Maßnahmen in verschiedenen Politikbereichen der Gemeinschaft vorgeschlagen.

    4.4.3

    Der Ausschuss wird sich in einer gesonderten Stellungnahme zu dieser Mitteilung äußern. Er begrüßt jedenfalls den umfassenden bereichsübergreifenden Ansatz, den die Kommission gewählt hat. Unter dem Blickpunkt der gegenwärtigen Stellungnahme sind einige Vorschläge der Kommission hervorzuheben.

    4.4.3.1

    Ein besonderes Augenmerk gilt dem Ausbau des sektoralen sozialen Dialogs. Der Ausschuss teilt die Auffassung der Kommission, dass die Sozialpartner aufgrund ihrer Branchenkenntnisse eine besondere Warnfunktion ausüben können. Dieses Instrument sollte jedoch nicht nur in Krisensituationen greifen, sondern alle Situationen erfassen, in denen die Sozialpartner Handlungsbedarf sehen und nicht nur wenn sie „eine Besorgnis erregende Entwicklung“ sehen. Dies würde den Anforderungen zur Antizipation und Begleitung von Umstrukturierungsprozessen mehr entsprechen.

    4.4.3.2

    Der angekündigten Mitteilung über die soziale Verantwortung der Unternehmen, welche insbesondere positive Initiativen betreffen wird, die die Unternehmen in Abstimmung mit den betroffenen Parteien im Fall einer Umstrukturierung ergreifen, sieht der Ausschuss mit Interesse entgegen. Gilt es doch, neben der Weiterentwicklung der rechtlichen Grundlagen, auch darüber hinausgehende gute Praktiken der Bewältigung des Wandels publik zu machen und zu fördern. Vor allem weist der Ausschuss darauf hin, dass auch indirekt Betroffene von Restrukturierungen einzelner Unternehmen (z.B. Zulieferbetriebe, Dienstleistungsanbieter etc.) in den Prozessen berücksichtigt werden müssen.

    4.4.3.3

    Der Ausschuss begrüßt außerdem die Einrichtung eines „Forums für Umstrukturierungen“. Diesem soll die Aufgabe zukommen, die einschlägigen Entwicklungen zu verfolgen und die Abstimmung der einzelnen Initiativen zu fördern. In diesem Forum werden neben der Kommission auch andere europäische Organe sowie die Sozialpartner und Vertreter aus Wissenschaftskreisen einbezogen. Dies entspricht einer Fortsetzung des politikübergreifenden Ansatzes der Mitteilung. Der Ausschuss arbeitet gerne an dem Forum mit und wird seine Kompetenz einbringen.

    4.4.3.4

    Die Kommission plant zudem, eine zweite Phase der Anhörung der Sozialpartner zu den Themen Unternehmensumstrukturierungen und Europäische Betriebsräte. Wie schon in den Punkten 2.2, 3.5 und 3.6 erwähnt, sieht der Ausschuss Handlungsbedarf bei diesen Themenkomplexen.

    5.   Schlussfolgerungen

    5.1

    Die erfolgreiche Bewältigung des industriellen Wandels und damit verbunden die Erhaltung und Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Sektoren sind eine entscheidende Herausforderung, der sich Europa stellen muss und tragen entscheidend zum Erreichen der Ziele des Lissabon-Prozesses bei.

    Der Erfolg dieses Wandlungsprozesses misst sich nicht nur an der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens oder Sektors, sondern auch an der erfolgreichen Sicherung von Arbeitsplätzen und der sozialen Bewältigung negativer Folgen.

    5.2

    Neben einer Vielzahl von Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen spielen der soziale Dialog und die Einbeziehung und Mitwirkung der Arbeitnehmer eine Schlüsselrolle bei der erfolgreichen Gestaltung des industriellen Wandels.

    5.3

    Der soziale Dialog muss auf einer gefestigten und vertrauensvollen Partnerschaft und Dialogkultur aufbauen und repräsentative und stabile Strukturen aufweisen. Der Ausschuss begrüßt jegliche Anstrengungen, die das Ziel verfolgen, den sozialen Dialog zu stärken. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung des sozialen Dialogs in den neuen Mitgliedstaaten, wo noch erhebliche Defizite herrschen.

    5.4

    Die analytischen Instrumente, die den Sozialpartnern zur Verfügung stehen, müssen verstärkt werden. Das European Monitoring Centre on Change der Dubliner Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

    5.5

    Die sektorspezifischen Initiativen der EU, die ausgehend von der Analyse der Situation und Perspektiven eines Sektors in einem umfangreichen Konsultationsprozess unter Einbeziehung der Sozialpartner, konkrete Empfehlungen für Maßnahmen zum Erlangen und Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit entwerfen, sind von großer Bedeutung. Der Ausschuss unterstützt daher die Absicht der Kommission neue Sektoren zu ermutigen, einen sozialen Dialog aufzunehmen und Beiträge zu leisten, die Lissabonner Zielsetzungen zu verwirklichen.

    5.5.1

    Dabei sollen aber nicht nur jene Wirtschaftsbereiche erfasst werden, die sich in der Krise befinden, sondern in möglichst vielen Sektoren, die für Europa von Bedeutung sind Analysen durchgeführt werden, um den Wandel frühzeitig entgegenzutreten und proaktiv zu gestalten.

    5.6

    Die Einbeziehung und Mitwirkung der Arbeitnehmer sowie ihrer betrieblichen Arbeitnehmervertreter und ihrer Gewerkschaften sind ein wesentlicher Beitrag zur sozial verträglichen Bewältigung und Gestaltung des Wandels auf Unternehmensebene. Dies fördert unter anderem die Innovation und letzten Endes auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

    5.7

    Europäische Betriebsräte spielen dabei eine besondere Rolle. Es ist davon auszugehen, dass sich der transnationale soziale Dialog auf Unternehmensebene dynamisch weiter entwickelt, wie Beispiele für Vereinbarungen über Restrukturierungsmaßnahmen, die Unternehmen mit Europäischen Betriebsräten oder mit europäischen Gewerkschaftsverbänden getroffen haben, zeigen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der Vorschlag über die Bereitstellung für einen optionalen Rahmen für transnationale Kollektivverhandlungen, den die Kommission in ihrer Mitteilung zur Sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum 2005-2010 angekündigt hat, zu betrachten.

    5.8

    Der Ausschuss begrüßt den umfassenden bereichsübergreifenden Ansatz, den die Kommission in der am 31. März 2005 vorgelegten Mitteilung „Umstrukturierung und Beschäftigung“ (6), gewählt hat. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Ausbau des sektoralen sozialen Dialogs, der einen wichtigen Beitrag zur Antizipation und Begleitung von Umstrukturierungsprozessen leisten kann.

    5.8.1

    Der angekündigten Mitteilung über die soziale Verantwortung der Unternehmen sieht der Ausschuss mit Interesse entgegen.

    5.8.2

    Der Ausschuss arbeitet gerne an dem Forum für Umstrukturierungen mit und wird seine Kompetenz einbringen.

    Brüssel, den 29. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  (CCMI/002); Berichterstatter: Herr Van Iersel; Mitberichterstatter: Herr Varea Nieto.

    (2)  Ibidem, § 1.7.

    (3)  KOM(2004) 274 endg., 20.4.2004.

    (4)  KOM(2004) 557 endg.

    (5)  KOM(2005) 120 endg.

    (6)  KOM(2005) 120 endg.


    31.1.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 24/95


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Armut unter Frauen in Europa“

    (2006/C 24/18)

    Das Europäische Parlament beschloss am 28. April 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen: „Armut unter Frauen in Europa“.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2005 an. Berichterstatterin war Frau KING.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 420. Plenartagung am 28./29. September 2005 (Sitzung vom 29. September) mit 79 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Hintergrund

    1.1   Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut

    Die UNO-Vollversammlung hat den 17. Oktober zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Armut bestimmt, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Ausmerzung von Armut und Not in allen Ländern zu schärfen.

    1.2   Frauen und Armut in der EU

    Der Ausschuss der Regionen, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und das Europäische Parlament erstellen zur Zeit jeweils ein Dokument zum Thema „Frauen und Armut in der EU“, die an diesem Tag vorgestellt werden sollen, um einen Beitrag zu der breit angelegten Debatte über das Wesen der Armut in der heutigen EU zu leisten. Obwohl jedes dieser Dokumente aus einem anderen Blickwinkel verfasst wird, besteht zwischen diesen EU-Institutionen ein hohes Maß an Koordination.

    1.3   Die Definition von Armutsrisiko

    Armutsrisiko wird definiert als der Anteil von Personen mit einem Einkommen von unter 60 % des nationalen Durchschnittseinkommens. Unter Einkommen wird das gesamte dem Haushalt zur Verfügung stehende Einkommen, aufgeschlüsselt auf die einzelnen Haushaltsmitglieder, verstanden.

    1.4   Die Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der EU

    Im Jahr 2000 einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine Gemeinschaftliche Strategie zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut (2000), bei der die Methode der offenen Koordinierung zum Tragen kommt. Diese Strategie umfasst gemeinsame Ziele sowie die Verpflichtung jedes Mitgliedstaates, entsprechend diesen Zielen halbjährlich einen nationalen Aktionsplan vorzulegen. Die Indikatoren beinhalten vier Aspekte der sozialen Eingliederung — finanzielle Armut, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung. Gleichberechtigung von Frauen und Männern als übergreifendes Ziel ist nicht Teil dieser EU-Strategie.

    1999 verabschiedete der Rat eine konzertierte Strategie zur Modernisierung des Sozialschutzes. Der Sozialschutz ist ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in den EU-Mitgliedstaaten. Die Strategie beinhaltet drei Schwerpunktthemen — Politik zur Eingliederung in die Gesellschaft, Reform des Rentensystems und Reform der Gesundheitssysteme. Gleichstellung der Geschlechter gehört nicht dazu.

    Angesichts der Ergebnisse der jüngsten Referenden zur EU-Verfassung hat der britische Ratsvorsitz für Oktober 2005 eine Mitteilung über die Sozialschutzsysteme angekündigt.

    1.5   Rechtsrahmen

    Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung fallen generell in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Die Gemeinschaft unterstützt und ergänzt jedoch nach Artikel 136 und 137 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung.

    Artikel 13 des Vertrages gestattet es der EU, Vorkehrungen — unter anderem rechtlicher Art — zu treffen, um gegen Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung vorzugehen.

    1.6   Verbreitung der Armut in der Europäischen Union

    Die Zahl der von relativer Einkommensarmut betroffenen Menschen in der Europäischen Union ist hoch: im Jahr 2001 waren über 55 Millionen Menschen, das entspricht 15 % der Bevölkerung der EU, armutsgefährdet (1). Über der Hälfte von ihnen stand dauerhaft nur ein geringes relatives Einkommen zur Verfügung. Der Anteil der armutsgefährdeten Bevölkerung ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich: er liegt zwischen 9 % (Schweden) und 21 % (Irland). Generell sind Frauen in signifikant höherem Ausmaß davon betroffen.

    1.7   Umfang der sozialen Ausgrenzung

    Je länger eine Person mit einem geringen Einkommen auskommen muss, desto mehr besteht die Gefahr der Benachteiligung und des Ausschlusses vom gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Geschehen. In allen Mitgliedstaaten hatte im Jahr 2001 die Hälfte oder sogar mehr als die Hälfte der armutsgefährdeten Personen über einen längeren Zeitraum nur ein geringes Einkommen zur Verfügung, das heißt, dass ihr verfügbares Einkommen 2001 und in mindestens zwei der drei vorangegangenen Jahre (1998-2000) unter 60 % des Nettoäquivalenzeinkommens lag. 2002 waren im EU-Durchschnitt 9 % der Bevölkerung anhaltend von Armut betroffen. Auch hier sind Frauen in erheblich höherem Ausmaß davon betroffen.

    1.8   Demographische und gesellschaftliche Lage in der Europäischen Union

    Die demographische Lage in der Europäischen Union ändert sich zur Zeit drastisch: Jahrhunderte lang ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Europa stetig gewachsen, nun wird ihre Zahl bald rückläufig sein. Auf die Altersgruppe 65 Jahre und älter entfallen 16 % der Gesamtbevölkerung, wohingegen die Gruppe der unter 15jährigen 17 % ausmacht und die Lebenserwartung steigt. In den nächsten 15 Jahren wird die Zahl der über 80jährigen um fast die Hälfte ansteigen (2).

    Gleichzeitig verändert sich die Struktur der Haushalte. Eheschließungen erfolgen seltener und später, immer mehr Ehen scheitern, immer weniger Paare haben Kinder. Diese Entwicklungen bringen den Trend zu immer kleineren Haushalten durch alle Altersgruppen hindurch mit sich. Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Gary Becker stellt zusammen mit seinem Kollegen, dem Richter Richard Posner, fest, dass diese Veränderungen weitgehend ökonomisch zu erklären sind (3). Sie legen dar, dass mit der zunehmenden finanziellen Unabhängigkeit von Frauen durch Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit außerhalb des Hauses ein Wandel von der „patriarchalischen Ehe“ — mit dem Mann als Ernährer und der Frau als Abhängiger — hin zur „partnerschaftlichen Ehe“ verbunden ist. Auch die Opportunitätskosten des Kinderkriegens steigen: Je größer das Einkommen und der Status der beruflichen Tätigkeit einer Frau ist, desto größer ist ihr Verzicht in Bezug auf einen möglichen beruflichen Aufstieg und in Bezug auf das Einkommen, wenn sie — ganz oder zeitweise — aus dem Erwerbsleben ausscheidet, um Kinder zu bekommen.

    Die zweite große Veränderung besteht in dem außerordentlich starken Anstieg der Zahl der Kinder, die mit nur einem Elternteil aufwachsen. Im Jahr 2000 lebten 10 % aller Kinder der Altersgruppe von 0 bis 14 Jahren mit nur einem Elternteil, 1990 waren es im Vergleich dazu lediglich 6 %. Dies lässt sich auf die steigende Anzahl gescheiterter Ehen und Beziehungen sowie ungewollter Schwangerschaften zurückführen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Gelegenheit, seinen Standpunkt zu diesem Thema darzulegen, ist aber der Ansicht, dass das Schwerpunktthema besser „Geschlecht und Armut“ als „Frauen und Armut“ hätte heißen sollen, da somit das Verhältnis und die Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf die Ursachen von Armut stärker im Mittelpunkt stehen würden.

    Der Ausschuss empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die Definition von Armut zu überprüfen, da diese lediglich die offenkundigen Ursachen von Armut herausstreicht, das Ausmaß der Armut von Frauen und die Auswirkungen dieser Armut aber unterschätzt. Die Definition geht davon aus, dass die Finanzmittel eines Haushaltes innerhalb der Familie gleichmäßig verteilt sind; Armut ist jedoch eine individuelle Erfahrung, die, will man die Gender-Dimension begreifen, auf dieser individuellen Ebene untersucht werden muss.

    2.2

    Der Ausschuss begrüßt die Ankündigung des britischen Ratsvorsitzes, die Debatte über die Sozialschutzsysteme wieder aufzunehmen, und empfiehlt nachdrücklich, eine Analyse der geschlechtsspezifischen Auswirkungen vorzunehmen, um somit sicherzustellen, dass diese Systeme die Bedürfnisse von Männern und Frauen berücksichtigen. Implizit wird angenommen, dass Frauen auf das Einkommen eines Mannes zurückgreifen können. Diese Annahme, die mit der Realität der heutigen Gesellschaft nichts mehr gemein hat, ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Frauen einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt sind.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1   Die Verbreitung des Armutsrisikos

    Für Frauen ist allgemein das Risiko größer, in einem armen Haushalt zu leben: 2001 lag bei 16 % der erwachsenen Frauen (16 Jahre und älter) das Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle, dies galt nur für 14 % der Männer in derselben Altersgruppe (4). Die Situation stellt sich in allen Mitgliedstaaten vergleichbar dar. Das Armutsrisiko ist für allein Erziehende am höchsten (35 % im EU-Durchschnitt), 85 % der allein Erziehenden-Haushalte werden von Frauen geführt. Allein stehende Mütter sind einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt, wenn sie erst 18 Jahre alt oder jünger sind.

    Für die Altersgruppe 65 Jahre und älter besteht ein relativ hohes Armutsrisiko. Diese Altersgruppe besteht zu zwei Dritteln aus Frauen. Die Armutsrate unter alleinstehenden Rentnerinnen, insbesondere wenn sie über 80 Jahre alt sind oder keine Rente aus eigener Erwerbstätigkeit beziehen, ist besonders hoch. Einer der wichtigsten Gründe hierfür ist die Tatsache, dass die Ausgaben von Rentnern mit zunehmendem Alter steigen, was hauptsächlich auf höhere Gesundheitskosten aufgrund von Behinderungen und ihren Beförderungsbedarf zurückzuführen ist.

    Untersuchungen haben ergeben, dass bei Frauen, die mehrfach diskriminiert sind — wie z.B. ältere Frauen, Frauen, die ethnischen Minderheiten- oder Einwanderergruppen angehören, Frauen mit Behinderungen, lesbischen Frauen — das Ausgrenzungs- und Armutsrisiko noch größer ist.

    3.2   Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen unter dem Aspekt der Beschäftigung

    Beschäftigung gilt als ein Schlüsselfaktor für gesellschaftliche Eingliederung und wird als der Königsweg aus der Armut betrachtet, und zwar nicht nur, weil durch Beschäftigung Einkommen entsteht, sondern auch, weil dadurch die gesellschaftliche Teilhabe und die persönliche Entwicklung gefördert werden. Dies kommt in den Zielen der Lissabon-Strategie zum Ausdruck, deren Absicht es ist, bis 2010 „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen — einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“. Die Beschäftigungsrate von Frauen ist hierzu notwendig und wichtig: ein konkretes Ziel dabei ist, die Beschäftigungsrate von Frauen bis 2010 auf 60 % zu erhöhen. Obwohl die Beschäftigungsrate von Frauen sich derjenigen von Männern nähert, sind auch erwerbstätige Frauen dem Armutsrisiko ausgesetzt. Der Grund hierfür ist in den großen Problemen zu sehen, die mit der Erwerbstätigkeit von Frauen verbunden sind: die hohe Arbeitslosenquote bei Frauen in der EU-25 (5), der schwierige Balanceakt zwischen Familie und Beruf, die Tendenz zu geschlechterspezifischer Trennung und Sektorisierung der Arbeit von Frauen, die weite Verbreitung prekärer Beschäftigungsformen mit geminderter sozialrechtlicher Absicherung sowie die unterschiedliche Entlohung von Männern und Frauen, die in allen europäischen Ländern festgestellt werden kann.

    3.2.1   Geschlechtsspezifisches Lohngefälle

    Dreißig Jahre nach der Verabschiedung der Richtlinie von 1975 zum Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verdienen Frauen im europäischen Durchschnitt bei gleicher Arbeitsleistung noch immer lediglich 85 % dessen, was ein Mann verdient (6). In zahlreichen Ländern ist dieses Differenzial weit höher und erreicht bis zu 33 %. Der EWSA teilt die Empörung des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments darüber, dass diese Kluft noch immer besteht und unterstützt dessen Empfehlung an den Rat und die Kommission, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um „dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen“.

    3.2.1.1   Die zusätzlichen Kosten des Kinderkriegens

    In vielen Untersuchungen wurde dies damit erklärt, dass es die Frauen sind, die Kinder bekommen und unverhältnismäßig mehr Zeit als Männer damit verbringen, für diese Kinder zu sorgen. Die Mehrzahl der Frauen scheidet zumindest für einen Teil ihres Lebens aus dem Erwerbsleben aus. Im Gegensatz dazu hat sich das männliche Muster im Allgemeinen durch Kontinuität und Vollzeitbeschäftigung vom Ende der Ausbildung bis zum Ruhestand ausgezeichnet. Die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit kann sich negativ auf die Entlohnung auswirken. Ein längerer Erziehungsurlaub kann auch mit kürzerer Beschäftigungsdauer, weniger Erfahrung und geringeren Fortbildungsmöglichkeiten verbunden sein. Dies erklärt sich dadurch, dass Lohnerhöhungen meist langjährigen Mitarbeitern zugute kommen. Tatsächlich ist die finanzielle Einbuße umso größer, je länger die Pause andauert.

    3.2.2   Das Bildungsniveau von Müttern

    Eine längere Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zur Betreuung von Kleinkindern ist bei Müttern mit geringem Bildungsniveau eher wahrscheinlich. Während Mütter mit abgeschlossenem Studium ihre Berufstätigkeit immer kürzer unterbrechen, hat sich das Verhalten von Müttern ohne Berufsausbildung nicht geändert. Mütter ohne Berufsausbildung bleiben tendenziell dem Erwerbsleben fern, bis das Kind zur Schule geht, während Mütter mit Hochschulabschluss tendenziell lediglich den Mutterschutz in Anspruch nehmen und die Betreuung ihres Kindes gegen Bezahlung einer anderen Person überlassen.

    Aus diesem Grunde sind Frauen mit geringerem Bildungsabschluss, die eher längere Unterbrechungen einlegen (und die auch über das geringste Verdienstpotenzial verfügen, bevor sie Kinder bekommen), finanziell am stärksten beeinträchtigt.

    3.2.3   Allein Erziehende

    Wie bereits unter Ziffer 1.8 erwähnt, ist die Zahl der allein Erziehenden gestiegen und die Zahlen weisen darauf hin, dass allein Erziehende besonders dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Da 85 % der allein erziehenden Frauen sind, ist dieses Armutsrisiko geschlechtsspezifisch. Zu einem großen Teil ist das Risiko der geringen Beschäftigungsquote zuzurechnen: lediglich 50 % der allein erziehenden Frauen gehen einer Berufstätigkeit nach, verglichen mit 68 % der verheirateten Frauen (7). Im Gegensatz zu der steigenden Beschäftigungsrate von Müttern hat sich die Beschäftigungsrate von allein erziehenden Müttern kaum verändert.

    Untersuchungen belegen, dass das fehlende Angebot an bezahlbarer Kinderbetreuung nicht das einzige Hindernis ist, das allein Erziehende von der Erwerbstätigkeit abhält. Weitere Gründe sind:

    Allein Erziehende, die nicht im Erwerbsleben stehen, verfügen in der Regel nicht über eine markttaugliche Qualifikation (8). Je geringer ihre Qualifikation, desto geringer ist ihre Chance für einen Verbleib auf dem Arbeitsmarkt. Diese hängt ganz entscheidend von den verfügbaren und leistbaren Weiterbildungsmöglichkeiten während der Elternkarenzzeit ab.

    Allein Erziehende wohnen mehrheitlich in den Gebieten, wo sich eine geringe Nachfrage nach Arbeitskräften beobachten lässt.

    Der Gesundheitszustand von allein Erziehenden, die nicht im Erwerbsleben stehen, ist im Allgemeinen schlechter und sie haben öfter ein krankes Kind oder eine andere Person im Haushalt, deren Krankheit oder Behinderung die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit einschränkt (10 % aller Alleinerziehenden, die nicht erwerbstätig sind).

    Allein Erziehende in besonderer Notlage befinden sich tendenziell in einer schlechteren moralischen Verfassung, was wiederum ein Hindernis für die Erwerbstätigkeit darstellen kann.

    Zahlreiche allein Erziehende müssen sich zumeist auch selbst um ihre Kinder kümmern und suchen eine berufliche Tätigkeit mit Arbeitszeiten, die es ihnen ermöglicht, so viel Zeit wie möglich mit ihren Kindern zu verbringen und dies mit der Berufstätigkeit zu vereinbaren. Daher sind viele von ihnen gezwungen, auf prekäre, weniger gesicherte und schlecht bezahlte Arbeitsplätze auszuweichen.

    3.2.3.1   Minderjährige Mütter

    Allein stehende Mütter sind einem besonderen Armutsrisiko ausgesetzt, wenn sie 18 Jahre alt oder jünger sind. In der EU sind 6 % der jungen Frauen mit 18 bereits Mutter, diese Zahl schwankt allerdings zwischen 3 % in Italien, den Niederlanden, Spanien und Schweden, 12 % in Ungarn und in der Slowakischen Republik sowie 13 % im Vereinigten Königreich (9).

    Bei minderjährigen Eltern ist im Vergleich zu Gleichaltrigen die Wahrscheinlichkeit wesentlich größer, dass sie in Armut und Arbeitslosigkeit leben und Schwierigkeiten haben, sich aus dieser Situation zu befreien; die Gründe hierfür sind im Wesentlichen in der fehlenden Ausbildung sowie den anderen eingangs genannten Aspekten zu sehen. In der EU-15 zum Beispiel leben 45 % der Frauen, die im Teenageralter Mutter geworden sind, in Haushalten, deren Einkommen zu den niedrigsten 20 % zählen, wohingegen nur 21 % der Frauen, die ihr erstes Kind zwischen 20 und 30 bekommen haben, in diese Einkommensgruppe fallen. 90 % der minderjährigen Eltern beziehen Sozialhilfe, und bei minderjährigen Müttern ist im Vergleich zu anderen allein erziehenden Müttern die Wahrscheinlichkeit wesentlich höher, dass sie ausschließlich und über einen längeren Zeitraum von Sozialhilfe leben.

    Die Mitgliedstaaten wollen vorrangig darauf hinwirken, dass die Zahl der minderjährigen Eltern zurückgeht, da dadurch die Wahrscheinlichkeit eines Lebens in Armut und der Weitergabe der Armut von einer Generation zur nächsten verringert werden kann. Über die Möglichkeiten, die Zahl der Teenagerschwangerschaften zu verringern, wird ausführlich debattiert, und es wird eine breite Palette von Lösungen vorgeschlagen: sie reichen von der Forderung nach mehr Sexualerziehung zur Forderung nach weniger Sexualerziehung, von der Forderung nach einer Erziehung zur sexuellen Enthaltsamkeit zur Forderung nach der freien Ausgabe von Verhütungsmitteln in Schulen und von der Forderung nach einer Ausgabe der „Pille danach“ bis hin zur Forderung nach Überprüfung der Sozialleistungen, die das Zusammenleben und die Heirat minderjähriger Eltern fördern könnten.

    Die vier EU-Mitgliedstaaten mit der niedrigsten Zahl von Teenagerschwangerschaften könnten den anderen Mitgliedstaaten, die sich mit diesem Problem befassen, als Maßstab dienen.

    3.2.4   Armut trotz Erwerbstätigkeit

    Die stärkere Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist ein Ergebnis der gestiegenen Zahl von atypischen Arbeitsformen wie Teilzeit, Gleitzeit, Schichtarbeit und „term time“ (Beschäftigungsverhältnisse mit unbezahltem Urlaub während der Schulferien). Durchschnittlich 27 % der Frauen, aber lediglich 4 % der Männer sind teilzeitbeschäftigt (10). Tatsächlich sind die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern bei Teilzeiterwerbstätigkeit größer als bei Vollzeiterwerbstätigkeit: der durchschnittliche Stundenlohn einer Frau in Teilzeitarbeit beträgt etwa 60 % des Stundenlohns eines Mannes in Vollzeitarbeit, während eine Frau in Vollzeitarbeit 82 % des entsprechenden Stundenlohns eines Mannes erhält.

    Gering Qualifizierte, illegal Beschäftigte, Minderheiten oder Einwanderer, die nur über einen geringen oder gar keinen eigenständigen Rechtsstatus verfügen, sind besonders von Armut bedroht, da ihre Arbeit in der Regel schlecht bezahlt wird, geringes Ansehen hat und keine Arbeitsplatzsicherheit bietet. Untersuchungen haben gezeigt, dass in Extremfällen Frauen in dieser Lage von Menschenhandel, Prostitution und Gewalt bedroht sind.

    3.2.5   Unbezahlte Arbeit

    Frauen werden für ihre im häuslichen Umfeld geleistete Arbeit nach wie vor nicht bezahlt. Ungeachtet der außerordentlich großen Zahl erwerbstätiger Frauen gelten Einkaufen, Betreuung und Pflege von Angehörigen sowie Kinderbetreuung noch immer als Frauensache, während die Männer weniger als 40 % der im Haushalt anfallenden Arbeit und nur 25 bis 35 % der Aufgaben im Bereich der Kinderbetreuung übernehmen (11). Diese unentgeltlich geleistete Arbeit wird in den einzelstaatlichen Statistiken nicht systematisch erfasst und somit von den Entscheidungsträgern nicht wahrgenommen.

    Es ist hervorzuheben, dass die Vereinbarung von Familie und Beruf für Männer und Frauen ein schwieriges Unterfangen ist. Die Beschäftigungsquote von Frauen mit Kindern unter 12 Jahren fällt um mehr als 15 Prozentpunkte niedriger aus als bei Frauen ohne Kinder und liegt bei 60 % gegenüber 75 %. Die Beschäftigungsquote bei Männern mit Kindern unter 12 Jahren beträgt hingegen 91 % und liegt somit 5 Prozentpunkte höher als bei Männern ohne Kinder.

    3.2.6   Langzeitarbeitslosigkeit

    Langzeitarbeitslosigkeit geht sehr eng mit sozialer Not einher, da Personen, die lange Zeit arbeitslos waren, dazu neigen, ihre Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein, die notwendig sind, um auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, zu verlieren, wenn nicht rechtzeitig in geeigneter Weise gegengesteuert wird. EU-weit betrachtet ist die Langzeitarbeitslosenrate bei Frauen (4,5 %) höher als bei Männern (3,6 %) (12). Ungeachtet dessen sind die Programme, die dabei helfen sollen, Langzeitarbeitslose wieder in ein bezahltes Arbeitsverhältnis zu bringen, eher so ausgelegt, dass Männer davon profitieren, während Frauen eingeschränktere Ausbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen beziehungsweise stereotyp geschlechtsspezifische — und deshalb schlechter bezahlte — Stellen angeboten werden.

    3.2.7   Renten

    3.2.7.1

    Die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die daraus resultierenden Einkommensunterschiede setzen sich im Ruhestand fort. Der Grund hierfür liegt darin, dass das Rentenmodell in vielen Mitgliedstaaten aus der Perspektive der Männer entwickelt wurde und somit Frauen benachteiligt, die vielfach ihre berufliche Laufbahn unterbrechen, atypische Beschäftigungsverhältnisse eingehen oder über einen längeren Zeitraum keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Infolgedessen sind viele Frauen beim Erwerb der erforderlichen Ansprüche und Ersparnisse zur Alterssicherung benachteiligt. Zwei Drittel der Rentenempfänger sind Frauen, und im Durchschnitt liegt ihre Rente bei 53 % der eines Mannes, woraus sich Auswirkungen auf Gesundheit, Wohnung und Lebensqualität ergeben können. 75 % der Rentner, die einkommensbedingt auf Sozialhilfe angewiesen sind, sind Frauen. Deshalb gehören ältere Frauen, einschließlich Witwen und geschiedene Frauen, zu den ärmsten Rentnern. Und angesichts der langfristigen gesellschaftlichen Folgen der Alterung der Bevölkerung in der EU wird sich dieser Trend fortsetzen, wenn nichts unternommen wird, um dagegen zu wirken.

    In einer früheren Stellungnahme (13) hatte der EWSA zur Gewährleistung der Gleichstellung der Geschlechter die Anpassung der Rentensysteme mit dem langfristigen Ziel der Individualisierung der Renten empfohlen. Der EWSA empfahl ferner, die Mitgliedstaaten sollten ihre Erfahrungen untereinander austauschen, so dass die Renten insbesondere von Frauen, die ihre berufliche Laufbahn unterbrochen haben, nicht unangemessen gering ausfallen.

    In dieser früheren Stellungnahme wurde auch darauf hingewiesen, dass in manchen Mitgliedstaaten ältere Menschen zusätzlich zu den Renten noch andere Formen der Unterstützung erhalten. Hier zählen unter anderem Steuerentlastungen, kostenlose Stromversorgung, kostenlose oder ermäßigte Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie Steuerermäßigung für Mieten. Diese Empfehlung wird begrüßt, da die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen älter werden (aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung) und alleine leben (da sie ihre Partner überleben) größer ist als bei Männern. Bei Frauen ist somit die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie mit den Problemen älterer Rentenbezieher zu kämpfen haben. Der Verdienst älterer Rentner und ihre Einkünfte aus Kapitalanlagen sind im Allgemeinen geringer, während zugleich größere Ausgaben aufgrund von Behinderungen, Beförderungsbedarf und eine Wertminderung ihres Eigentums auf sie zukommen können.

    3.2.7.2

    Frauen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, einschließlich Minderheiten angehörende Frauen und Immigrantinnen mit und ohne Aufenthaltsgenehmigung, sind noch stärker benachteiligt, da es wenig wahrscheinlich ist, dass sie über betriebliche Rentensysteme gesichert sind. Da Männer im Laufe ihres Erwerbslebens mehr verdienen als Frauen, fällt ihre Rente letztlich höher aus als diejenige von Frauen. Überdies wurden früher die Rentenansprüche an den Hauptverdiener gekoppelt, an die Person, die die Rentensprüche erworben hat, also gewöhnlich an den Mann. Durch steigende Scheidungsraten wurde dieses System in Frage gestellt, da im Falle eines Scheiterns der Beziehung in der Regel die Frau benachteiligt wird. Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat jedoch inzwischen neue Gesetze erlassen, auf deren Grundlage die Gerichte in die Lage versetzt werden, bei einer Scheidung die Rentenansprüche nach ihrem Ermessen aufzuteilen.

    3.3   Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen unter dem Aspekt der Bildung

    3.3.1

    Berufswahl und Einstieg in das Berufsleben sind abhängig vom Bildungsniveau. Erhebungen zeigen, dass dies insbesondere für Frauen zutrifft. Frauen mit hoher Schulbildung (definiert als hohes Bildungsniveau — Bildungsbereiche 5 und 6 gemäß der Internationalen Standardklassifikation für das Bildungswesen (ISCED) — gehen eher einer Erwerbstätigkeit nach als Frauen mit geringer Schulbildung (definiert als Bildungsniveau bis ISCED 2) (14). In der 25 Mitgliedstaaten umfassenden EU (EU-25) haben 49 % der Frauen im Alter von 20 bis 49 Jahren mit niedrigem Bildungsniveau einen Arbeitsplatz, wohingegen es bei den Frauen dieser Altersgruppe mit höherer Schulbildung 84 % sind. Es sei erwähnt, dass dieser bildungsbedingte Unterschied, der bei den Frauen 30 Prozentpunkte ausmacht, bei Männern der vergleichbaren Altersgruppe nur 10 Prozentpunkte beträgt (83 % im Vergleich zu 93 %). Höher qualifizierte Frauen mit Kindern bleiben allgemein weiter erwerbstätig. In der EU-25 fällt der Vergleich zwischen diesen beiden Gruppen von Frauen wie folgt aus: keine Kinder (88 % gegenüber 57 %); 1 oder 2 Kinder (80 % gegenüber 43 %); 3 oder mehr Kinder (63 % gegenüber 22 %).

    3.3.2

    Die Schul-Lehrpläne begünstigen eine Fächerwahl, die häufig stark geschlechterspezifisch getroffen wird: auf Anraten von Lehrern und Berufsberatern, die für geschlechterspezifische Fragen weder sensibilisiert noch ausgebildet sind, wählen Mädchen vielfach Ausbildungen und Berufe, die schlecht bezahlt sind. Am meisten von dieser geschlechterspezifischen Trennung betroffen sind Mädchen aus Familien, die bereits dem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Untersuchungen (15) haben gezeigt, dass diese Gruppe aufgrund ihres geringen Bildungsniveaus überdurchschnittlich stark in schlecht bezahlten Arbeitsplätzen vertreten ist. Eine manuelle Tätigkeit in Teilzeitarbeit ist die für Frauen ungünstigste Beschäftigungskategorie — ungünstiger als andere Teilzeitarbeitsplätze und als eine manuelle Vollzeit-Tätigkeit, da Frauen in dieser Kategorie nur über ein sehr geringes Bildungsniveau verfügen. Diese Frauen sind in ihrer Berufswahl eingeschränkt, da ihre gesamte berufliche Laufbahn von dem Zusammenspiel von Armut und Geschlecht bestimmt wird, das sich nicht nur auf ihr Arbeitsleben und ihre Rente auswirkt, sondern auch zu einem Kreislauf generationenübergreifender Armut führen kann.

    3.3.3

    Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass in den Zielen der Lissabon-Strategie der Schwerpunkt auf Arbeitsplätzen, insbesondere auf der Beschäftigung für Frauen liegt; er weist aber darauf hin, dass dies für Frauen, die bereits von Armut bedroht sind, nicht ausreicht. Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, mit der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen, insbesondere aus dem Bereich Geschlechtergleichstellung und Armutsbekämpfung, zusammenzuarbeiten, um so den Kreislauf von lebenslanger und generationenübergreifender Armut zu durchbrechen, indem sie in den Bildungseinrichtungen einer geschlechtertypischen Berufswahl von jungen Mädchen und Jungen entgegenwirken sowie wirksame Bildungsmaßnahmen für Erwachsene entwickeln, die allen offen stehen, marktgerechte Fertigkeiten vermitteln und den Bedürfnissen dieser Frauen entgegenkommen.

    3.4   Armut und soziale Ausgrenzung von Frauen unter dem Aspekt der Strafverfolgung

    3.4.1

    Bei den wegen einer strafbaren Handlung angeklagten oder verurteilten Personen sind Frauen eine Minderheit: nur jeder fünfte aktenkundige Straftäter ist eine Frau, nur 6 % der Gefängnisinsassen sind Frauen. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der weiblichen Gefängnisinsassen jedoch stark angestiegen, obwohl die Zahl der weiblichen Straftäter nicht im gleichen Maße zugenommen hat (16). Die meisten Frauen müssen für gewaltfreie Straftaten einsitzen, meist für weniger als ein Jahr. Fast ein Viertel aller weiblichen Gefängnisinsassen befindet sich in Untersuchungshaft und ist wegen keiner Straftat verurteilt.

    3.4.2

    Die gleiche Untersuchung zeigt, dass ein hoher Anteil der inhaftierten Frauen vor ihrer Inhaftierung finanziell nicht abgesichert ist, dass sie entweder nie einer Beschäftigung nachgegangen sind oder nur im Niedrig-Lohn-Sektor ohne Arbeitsplatzsicherheit gearbeitet haben, dass sie keine gesicherte Unterkunft haben, nur über sehr geringe Bildung verfügen und Opfer physischer und/oder sexueller Gewalt durch Familienmitglieder oder nicht zur Familie gehörende männliche Täter sind. Die Inhaftierung dieser Frauen stellt somit eine weitere soziale Ausgrenzung dar.

    3.4.3

    Der starke Anstieg der Zahl inhaftierter Frauen könnte durch die in einigen Mitgliedstaaten vorgenommenen Studien zu Gerichtsurteilen erklärt werden, deren Ergebnis auch in der Untersuchung belegt wird und die davon ausgeht, dass Frauen nicht selten inhaftiert werden, weil sie bereits sozial ausgegrenzt sind (ohne festen Wohnsitz, arbeitslos, drogenabhängig). Richter halten sie demnach für strafanfälliger, weil sie bereits aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind und sind der Auffassung, durch eine Inhaftierung und entsprechende Resozialisierungsmaßnahmen lasse sich die Wahrscheinlichkeit, dass bereits ausgegrenzte Frauen nach ihrer Haftentlassung wieder strafanfällig werden (oder wieder zu Drogen greifen), reduzieren.

    3.4.4

    Die Untersuchung zeigt, dass aufgrund des ungünstigen Berufs- und Bildungshintergrunds dieser Frauen, des hohen Anteils von Frauen mit psychischen Problemen (50 % in England und Wales) (17) und des relativ kurzen Gefängnisaufenthaltes der meisten weiblichen Gefangenen deren Resozialisierung und Wiedereingliederung unmöglich ist. Ob Gefängnisse Resozialisierungseinrichtungen sind, ist umstritten, aber auch wenn man dies annimmt, ist kaum davon auszugehen — das haben die Untersuchungsergebnisse gezeigt -, dass die Gefängnisse alleine dafür sorgen können, der Mehrzahl ihrer Insassen für die Zeit nach deren Entlassung eine effektive Berufsausbildung, einen nachhaltigen Drogenentzug, emotionale Unterstützung oder marktgerechte Qualifikationen zukommen zu lassen.

    3.4.5

    Gefängnisse dienen in erster Linie der Bestrafung. Die Untersuchung ergab, dass Frauen, die vor ihrer Inhaftierung sozial nicht ausgegrenzt waren, durch den Gefängnisaufenthalt eine Ausgrenzung erfahren und dass sozial bereits ausgegrenzte Frauen weiter ausgegrenzt werden. Durch die negativen Folgen für die Kinder, die eine Inhaftierung ihrer Mutter mit sich bringt, wirkt sich eine Inhaftierung für Frauen sogar noch nachteiliger aus als für Männer. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel erklärten 25 % der inhaftierten Frauen, dass der Vater ihrer Kinder, ihr Ehemann oder Partner, sich um ihre Kinder kümmere. Inhaftierte Männer gaben zu 92 % an, dass ihre Kinder von der Partnerin betreut werden. Die möglichen positiven Aspekte im Sinne von Strafvollzug, Abschreckung oder Risikominderung geraten hierdurch deutlich in den Hintergrund.

    3.4.6

    Ausländerinnen und Frauen, die einer ethnischen Minderheit angehören, sind doppelt benachteiligt und infolgedessen ist ihr Anteil im Strafvollzug unverhältnismäßig hoch.

    3.4.7

    Der Ausschuss befürwortet die in dem Bericht enthaltene Empfehlung, Maßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der inhaftierten Frauen deutlich zu reduzieren, insbesondere da sie sich vielfach in Untersuchungshaft befinden und nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden. Waren sie straffällig, so handelt es sich in der Regel um gewaltfreie Delikte. Einige Mitgliedstaaten haben weniger beeinträchtigende Alternativen zur Inhaftierung eingeführt, die es ermöglichen, dass Straftäterinnen mit vielfältigen Problemen durch die richtige Betreuung und Unterstützung resozialisiert und wieder in die Gemeinschaft eingegliedert werden.

    3.5   Bekämpfung von Frauen- und Kinderhandel

    Frauen- und Kinderhandel ist eine Folge der strukturellen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und stellt eine Form von Gewalt dar. Dieser Handel wird durch Armut bedingt, die Opfer leiden unter verschiedenen Formen von Armut, die sich unter anderem durch erzwungene Arbeit, sexuelle Ausbeutung, Gesundheitsprobleme körperlicher und psychischer Art sowie soziale Ausgrenzung auswirkt. Die Präventionsstrategien der Herkunftsstaaten und die Strategien zur Eindämmung von Armut und zur sozialen Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Möglichkeiten von Frauen müssen miteinander Hand in Hand gehen. Langfristige Präventionsstrategien müssen die eigentlichen Ursachen des Frauen- und Kinderhandels wie Armut, Diskriminierung, Rassismus, patriarchalische Strukturen, Gewalt gegenüber Frauen, Fundamentalismus, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, fehlende soziale Sicherheitsnetze, Geldwäsche, Korruption, politische Instabilität, Konflikte, unkontrollierte Gebiete, Barrieren und Disparitäten zwischen den Ländern bekämpfen. Alle Regierungen müssen Maßnahmen einführen, die das ungleiche Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen berücksichtigen, sowie positive Maßnahmen ergreifen, die eine stärkere Stellung der Frau in allen Lebensbreichen fördern.

    4.   Empfehlungen

    4.1

    Der EWSA begrüßt den Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über die soziale Eingliederung vom 5. März 2004 und befürwortet die sechs Hauptschwerpunkte für Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Aktionsplänen berücksichtigen sollen (siehe Anlage). Allerdings muss der EWSA ein himmelschreiendes Versäumnis feststellen, nämlich die Festlegung und Kontrolle von geschlechtsspezifischen Indikatoren. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, solche Indikatoren zu berücksichtigen, da im Hinblick auf Armut beträchtliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen. Werden die geschlechterspezifischen Aspekte der Armut nicht berücksichtigt bzw. werden die Auswirkungen diesbezüglicher Maßnahmen auf Männer und Frauen unterschiedslos analysiert, ist es möglich, dass viele Maßnahmen zur Linderung von Armut nur teilweise zum Erfolg führen. Die Bekämpfung der geschlechterspezifischen Aspekte von Armut ist an die Einhaltung der Verpflichtungen zur Armutsbekämpfung gebunden, die auf dem Weltgipfel für soziale Entwicklung 1995 in Kopenhagen aufgestellt wurden. Hier einigte man sich darauf, den Bedürfnissen und Rechten von Frauen und Kindern, die oftmals die größte Armutslast zu tragen haben, besondere Priorität einzuräumen.

    4.2

    Viele Mitgliedstaaten haben den institutionellen Rahmen für eine durchgängige Berücksichtigung von Armut und sozialer Eingliederung in ihren nationalen politischen Entscheidungen wesentlich verbessert. Es müsste jedoch noch viel mehr getan werden; so müssten zum Beispiel insbesondere in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Rente die Sozialpartner, einschließlich der Nichtregierungsorganisationen, auf lokaler, staatlicher und regionaler Ebene in die Ausarbeitung und Umsetzung politischer Maßnahmen einbezogen werden.

    4.3

    Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, die Ziele der Lissabon-Strategie für eine höhere Beschäftigungsrate von Frauen mit Strategien zu verbinden, die sicherstellen, dass armutsgefährdete Frauen marktgerechte Fertigkeiten entwickeln, die sie in die finanzielle Unabhängigkeit führen. Darüber hinaus sind zur Gewährleistung der Existenzsicherung von Frauen in allen Lebensphasen verstärkte Initiativen und Maßnahmen gefordert, die auf eine Förderung der Qualität der Beschäftigung sowie eine Schließung der Einkommensschere ausgerichtet sind. Der EWSA hat sich in diesem Zusammenhang kürzlich in einer Stellungnahme zu den integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung verwundert darüber gezeigt, dass das aktuelle Paket der beschäftigungspolitischen Leitlinien keine explizite Leitlinie zur Beschäftigung von Frauen enthält.

    4.4

    Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass es für die Mitgliedstaaten von großem Vorteil wäre, wenn sie auf Gebieten, die Frauen und Armut betreffen — Alterssicherung, Sozialschutzsysteme, Teenagerschwangerschaften, Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, einschließlich Frauenhandel, sowie Inhaftierung von Frauen — ihre Erfahrungen austauschen würden.

    4.5

    Einige Mitgliedstaaten haben die Aktionsplattform von Beijing (September 1995) unterzeichnet, in der die Regierungen dazu aufgerufen wurden, zu berechnen, welchen Wert unentgeltlich geleistete Arbeit für eine Volkswirtschaft hat. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, und die Mitgliedstaaten haben noch immer keine Berechnungs- und Kontrollsysteme entwickelt, die ihnen dies ermöglichen würden. Sie sollten aufgefordert werden, diese Berechnung durchzuführen und in ihre staatlichen Statistiken aufzunehmen.

    4.6

    Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen soll 2007 eröffnet werden. Da der Gender-Aspekt bei der Politik zur Bekämpfung von Armut in der EU vernachlässigt wird, fand auch der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Armut in Forschung und Statistik relativ wenig Beachtung. Um dies zu ändern, bedarf dieses Institut der entsprechenden budgetären Mittel. Der EWSA hat in einer eigenen Stellungnahme zum Gender-Institut bereits seine Sorge darüber ausgedrückt, dass dies im entsprechenden Verordnungsvorschlag nicht voll gewährleistet zu sein scheint.

    4.7

    Der EWSA schlägt deshalb einige vorrangige Bereiche vor. Das neue Institut sollte die vorhandenen Datensätze eingehend unter dem Gender-Aspekt untersuchen.

    4.8

    Ein weiteres Thema im Zusammenhang von Geschlecht und Armut, das besonderer Aufmerksamkeit bedarf, sind die Auswirkungen von Armut auf die physische und psychische Gesundheit von Frauen.

    4.9

    Drittens scheinen bislang auch kaum Untersuchungen darüber vorzuliegen, wie Frauen ihre Armut gedanklich und emotional verarbeiten und ob sie Armut anders als Männer erfahren.

    Brüssel, den 29. September 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Indikatoren für Armutsrisiken sind der Haushaltserhebung der Europäischen Gemeinschaft entnommen.

    (2)  Gemeinsamer Bericht der Kommission und des Rates über die soziale Eingliederung vom 5. März 2004.

    (3)  „The Sexual Revolution“ von Gary Becker und Richard Posner, 10. April 2005; abrufbar unter: http://ww.becker-posner-blog.com/archives/2005/04/index.html.

    (4)  Quelle: Eurostat 2001; Abgesehen von den Einpersonenhaushalten sind geschlechtsbedingte Unterschiede beim Armutsrisiko mit Vorsicht zu behandeln, da hier von einer gleichen Einkommensaufteilung innerhalb der Haushalte ausgegangen wird.

    (5)  Quelle: Eurostat 2004.

    (6)  Quelle: Eurostat 2003.

    (7)  Quelle: Eurostat 2003.

    (8)  Finch u.a. 1999: New Deal for Lone Parents: Learning From the Prototype Areas. DSS Research Report No. 92. Leeds: CDS; Lewis u.a. 2000: Lone Parents and Personal Advisers: Roles and Relationships. DSS Research Report No. 122. Leeds: CDS; Dawson u.a. (2000): New Deal for Lone Parents: Report on Qualitative Interviews with Individuals. Research and Development Report ESR55. Sheffield: Employment Service; Holtermann u.a. (1999): Lone Parents and the Labour Market. Results from the 1997 Labour Force Survey and Review of Research. Employment Service Report 23. London: The Stationary Office.

    (9)  Quelle: Innocenti Report Card, Ausgabe 3, Juli 2001: A League Table of Teenage Births in Rich Nations (UNICEF).

    (10)  Quelle: Eurostat European Labour Force Survey 2003 [Europäische Arbeitskräfteerhebung 2003].

    (11)  Quelle: How Europeans spend their time [Wie die Europäer ihre Zeit verbringen], Eurostat 1998-2002.

    (12)  Quelle: Eurostat 2003.

    (13)  Stellungnahme vom 29. November 2001 zum Thema „Wirtschaftswachstum, Besteuerung und Nachhaltigkeit der Rentensysteme in der EU“ (ABl. C 48 vom 21.2.2002 - Berichterstatter: Herr Byrne, Mitberichterstatter: Herr Van Dijk).

    (14)  Quelle: Eurostat: Statistik kurz gefasst - Bevölkerung und soziale Bedingungen, Ausgabe 4/2005.

    (15)  Warren, T.: „Divergent Female Part-time Employment in Britain and Denmark and the Implications for Gender Equality“. Sociological Review 2001, 49(4), S. 548-567.

    (16)  Quelle: Comparative Report based on National Reports Fieldwork Findings, vorgelegt von einer Arbeitsgemeinschaft der Central European University. Die Daten stammen aus den sechs EU-Mitgliedstaaten Spanien, Deutschland, England und Wales, Italien, Frankreich und Ungarn.

    (17)  UK Women National Commission, März 2005.


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