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Document 52002DC0725

Mitteilung der Kommission zur besseren kontrolle der anwendung des gemeinschaftsrechts

/* KOM/2002/0725 endg. */

52002DC0725

Mitteilung der Kommission zur besseren kontrolle der anwendung des gemeinschaftsrechts /* KOM/2002/0725 endg. */


MITTEILUNG DER KOMMISSION ZUR BESSEREN KONTROLLE DER ANWENDUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS

INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Vermeidung von Verstößen

2.1. Ausbau der vorbeugenden Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten

2.2. Begleitung und Erleichterung der korrekten Umsetzung von Richtlinien

2.2.1. Verbesserung von Transparenz und Bekanntheit des Gemeinschaftsrechts

2.2.2. Intensivierung der Zusammenarbeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist

2.2.3. Verbesserungen bei der Mitteilung der Umsetzungsmaßnahmen

2.3. Verstärkte Information der Öffentlichkeit über das Gemeinschaftsrecht

3. Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts und Verfolgung von Verstößen

3.1 Effiziente Nutzung der verfügbaren Instrumente unter Berücksichtigung der Schwere der Verstöße.

3.2 Beschwerden und ihre Bedeutung für die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts

3.3 Bessere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Kommission bei Untersuchungen im Rahmen von Verstoßverfahren ( Anwendung von Artikel 10 EG-Vertrag)

3.4 Maßnahmen zur besseren Einhaltung des Gemeinschaftsrechts

3.5. Verbesserung der Mitteilung und Kontrolle derÜbereinstimmung bei der Umsetzung von Richtlinien

3.5.1.Schnellverfahren bei Nichtmitteilung von Umsetzungsmaßnahmen

3.5.2. Schnellere Abstellung von Übereinstimmungsmängeln in den Umsetzungsvorschriften

4. Vorkehrungen gegen die Wiederholung von Verstößen

5. Schlussfolgerungen

MITEILUNG DER KOMMISSION ZUR BESSEREN KONTROLLE DER ANWENDUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS

1. EINLEITUNG

Um zu erreichen, dass die Politik der Gemeinschaft wirkungsvoll durchgeführt wird, die erwarteten Ergebnisse erbringt und sich auf diese Weise das Vertrauen der Bürger erwirbt, müssen sich die Institutionen heute nicht nur vorab um eine qualitative Verbesserung der Rechtsvorschriften bemühen, sie müssen auch im nachgeschalteten Bereich für eine wirksame Kontrolle ihrer Anwendung sorgen. So gesehen geht es bei den im Weißbuch ,Europäisches Regieren" [1] angeregten Überlegungen einerseits um die Qualität der gemein schaftsrechtlichen Normen und andererseits um eine Verbesserung ihrer Kontrolle.

[1] KOM(2001) 428 endg.

Es liegt auf der Hand, dass beide Aufgaben eng miteinander verbunden sind. Die Qualität der Abfassung von Rechtsakten - die in den Mitteilungen der Kommission zur besseren Rechtsetzung [2] behandelt ist - hat entscheidenden Einfluss auf die Fähigkeit der Mitgliedstaaten, das Gemeinschaftsrecht umzusetzen, auf die Wirksamkeit dieses Rechts und auf seine Über wachung durch die Verwaltung der Gemeinschaft. Mögliche Schwierigkeiten in der Anwendung und Kontrolle des Rechts müssten bei der Ausarbeitung von Vorschlägen für neue Rechtsvorschriften verstärkt vorweggenommen werden, insbesondere indem die Wahl des Rechtsinstruments (Richtlinie oder Verordnung) besser begründet und die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Umsetzung und in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten bewertet werden.

[2] Mitteilung der Kommission über einen Aktionsplan zur ,Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds", KOM(2002) 278 endg.

Vor diesem Hintergrund soll die vorliegende Mitteilung dem Zweck dienen, die Betrachtung des oben an zweiter Stelle genannten Aspekts der Kontrolle zu vertiefen, für den der Vertrag der Europäischen Kommission die ausschließliche Zuständigkeit als ,Hüterin der Verträge" übertragen hat. Die Bedeutung dieser Funktion ist der breiten Öffentlichkeit kaum bewusst, obwohl sie - wie vom Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments und vom Europäischen Bürgerbeauftragten immer wieder betont - aus Sicht des Bürgerinteresses eine ganz wesentliche Rolle spielt.

Die Zuständigkeit der Kommission für die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts ergibt sich aus Artikel 211 EG-Vertrag. In Artikel 226 ist zu diesem Zweck die Klage gegen einen Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag vorgesehen [3]. Im Laufe der Jahre hat die Kommission die der Klage vorgeschaltete Verfahrensstufe erheblich ausgebaut, die im allgemeinen als ,Vertragsverletzungsverfahren" bezeichnet wird. Die Klage und das ihr vorausgehende Vertragsverletzungsverfahren sind aber nicht die einzigen Mittel zur Erfuellung des Auftrags, der in jedem Fall darin besteht, die Beachtung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Da der Vertrag der Kommission nicht vorschreibt, ausschließlich diese Mittel zu verwenden, obliegt es ihr, diese zur wirksamen Erfuellung ihrer Aufgabe ständig weiter zu entwickeln und bei Bedarf mit Blick auf eine bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts neue Wege zu beschreiten.

[3] Diese Mitteilung befasst sich nur mit der Anwendung des Artikels 226 EG-Vertrag und des entsprechenden Artikels 141 EAG-Vertrag. Nicht behandelt werden also die Klagen aufgrund anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, z.B. im Bereich Wettbewerb.

Der Anteil der vor den Gerichtshof gebrachten Fälle liegt bei nur 10 % des Gesamtumfangs der vermuteten Verstöße (vgl. Kasten, S. 4), womit das derzeitige Verfahren zur Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zur Verfolgung von Verstößen seine Effizienz bewiesen hat. Im Zuge der bevorstehenden Erweiterung der Union und auch angesichts des ständigen Anwachsens des gemeinschaftsrechtlichen Besitzstandes ist jedoch mit einer rein mechanischen Zunahme der Aufgaben zu rechnen. Daher werden in der vorliegenden Mitteilung eine Reihe von Maßnahmen vorgestellt, die zu einer besseren Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts führen sollen.

In der vorliegenden Mitteilung geht es zunächst um Maßnahmen zur Vorbeugung von Verstößen im Rahmen der loyalen gegenseitigen Zusammen arbeit von Kommission und Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Verstößen (gemäß Artikel 10 EG-Vertrag) [4]. Sodann werden die Bedingungen für ein effizientes Arbeiten bei den Kontrollen und bei der Verfolgung von Verstößen dargelegt. Diese Maßnahmen beruhen auf den im Laufe der Jahre gewonnenen Erfahrungen. Damit umfasst und würdigt diese Mitteilung die Gesamtheit der aus der Praxis entstandenen Methodik. Mit ihr genügt die Kommission ihrer Verpflichtung zu Information und Transparenz in einem vielschichtigen Bereich ihrer ausschließlichen Zuständigkeit.

[4] Der Gerichtshof hat den Gegenseitigkeitscharakter der den Mitgliedstaaten wie den Gemeinschafts institutionen mit Artikel 10 auferlegten loyalen Zusammenarbeit bekräftigt.

Ein effizientes Verfahren [5]

[5] Weitere Einzelheiten zu den statistischen Daten dieses Verfahrens finden sich im Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts 2001 (KOM(2002)324 endg.).

Die Verfolgung vermuteter Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht erfolgt in mehreren Phasen, die dazu dienen, Zweifel auszuräumen oder den fraglichen Verstoß abzustellen.

Die potenziellen Verstöße werden zunächst in einem gemeinsamen Register erfasst, unabhängig von der Herkunft ihrer Identifizierung: Beschwerden, die der Kommission direkt oder über den Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments oder den Europäischen Bürger beauftragten zugehen, oder durch pro-aktive oder Ex-ante-Kontrollen der zuständigen Dienststellen von Amts wegen aufgedeckte Fälle.

Je nach Fortgang der im Einzelfall laufenden Untersuchungen übermittelt die Kommission dem betreffenden Mitgliedstaat zunächst eine ,Aufforderung zur Äußerung", dann eine ,mit Gründen versehene Stellungnahme"; erst als letztes Mittel, wenn ein erwiesener Verstoß immer noch nicht korrigiert ist, erfolgt die Anrufung des Gerichtshofs durch die Kommission in Form einer Klage. Diese aufeinander folgenden Phasen ermöglichen es, ein Hoechstmaß an Information und Kooperation zu mobilisieren, was in zahlreichen Fällen zur Beendigung des Verstoßes und damit zurEinstellung des Verfahrens führt.

Nach der für das Jahr 2001 vorliegenden Statistik liegt die Zahl der Vorgänge, die Anlass zu einem Aufforderungsschreiben geben, bei etwa der Hälfte (49 %) der insgesamt erfassten vermuteten Verstöße; von den angemahnten Fällen führen etwas mehr als die Hälfte (54 %) zu einer mit Gründen versehenen Stellungnahme und gut ein Fünftel (21 %) zur Anrufung des Gerichtshofs. Die Zahl der Klagen entspricht schließlich nur einem Zehntel (10,3 %) der insgesamt registrierten vermuteten Verstöße.

Die Zahl der neu erfassten Fälle liegt derzeit bei etwa 2000 pro Jahr (aus technischen Gründen lag sie im Jahre 2001 mit 2 179 über dem Durchschnitt). Dies entspricht in etwa der Zahl der durch Einstellung oder Übergabe an den Gerichtshof abgeschlossenen Verfahren, so dass der Bestand an laufenden Vorgängen relativ stabil bei rund 4 000 liegt (am 10. 6. 2002 waren es 3 868 Fälle). Angesichts der Zahl der Mitgliedstaaten und des Umfangs des gemein schafts rechtlichen Besitz standes (der neben dem Vertrag mehrere tausend Texte des abgeleiteten Rechts umfasst) müssen diese Zahlen letztlich eher gering erscheinen. Der schnelle Umschlag des Bestandes folgt aus der kurzen Bearbeitungszeit der Vorgänge: drei Viertel von ihnen führen innerhalb eines Jahres nach ihrer Erfassung entweder zur Einstellung oder zu einer Aufforderung zur Äußerung.

2. VERMEIDUNG VON VERSTÖSSEN

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Gemeinschaftsrechts liegt in erster Linie bei den Mitgliedstaaten; dies gilt sowohl für den Vertrag selbst als auch für das abgeleitete Recht (Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen bzw. Beschlüsse). Unbeschadet dessen ist die Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten für eine wirksame Kontrolle der Anwendung des Gemein schafts rechts von entscheidender Bedeutung.

In Artikel 226 EG-Vertrag, der die Kommission verpflichtet, vor einer Klage eine administrative vorgerichtliche Phase einzuhalten, wird sowohl der kontradiktorische Charakter des Verfahrens als auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaftsinstitutionen zu loyaler Zusammenarbeit festgeschrieben. Da das Ziel dieser Vorverfahrensphase in der Information der Kommission und in der freiwilligen Anpassung des betreffenden Mitglied staats an die Anforderungen des Vertrags besteht, ist ihre Wirksamkeit direkt abhängig von der Qualität der Kontakte zwischen der Kommission und dem Mitgliedstaat. Diese Zusammenarbeit muss verbessert werden, und zwar zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vor der eventuellen Einleitung eines Verstoßverfahrens .

Dies bedeutet generell, dass einige Instrumente der Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten aufgewertet oder ausgebaut werden (2.1). Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die Begleitung der Umsetzung von Richtlinien (2.2). Das im Weißbuch der Kommission über «Europäisches Regieren» und in ihrer oben genannten Mitteilung zur besseren Rechtsetzung» angeregte Korrespondentennetz könnte den Rahmen für die Bekanntgabe und Diskussion der verschiedenen Verbesserungen stellen.

2.1 Ausbau der vorbeugenden Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten

Vorbeugung im Hinblick auf die korrekte Anwendung des Gemeinschaftsrechts bedeutet zunächst, dass die adäquatesten Instrumente eingesetzt werden. Dann aber bedarf es der Zusammenarbeit bei der Durchführung der Rechtsvorschriften. Schon jetzt gibt es verschiedene praktische Kooperationsinstrumente, die als erprobte Mittel zur Vermeidung von Verstößen gelten können. Zu erwähnen sind insbesondere

(1) die Mitteilungen zu Auslegungsfragen bei spezifischen Problemen des Gemeinschafts rechts (d.h. des Vertrages wie auch des abgeleiteten Rechts) [6];

[6] Zum Beispiel die Mitteilungen zu Auslegungsfragen im Bereich der Hauptfreiheiten des Binnenmarktes und des öfffentlichen Auftragswesens oder die Mitteilung über die Beseitigung der steuerlichen Hemmnisse für die grenzüberschreitende betriebliche Altersversorgung (Abl. C 165 vom 8.6.2001, S.4).

(2) die sich aus der Richtlinie 98/34/EG (Waren), geändert durch die Richtlinie 98/48/EG (Dienste der Informationsgesellschaft), ergebende Verpflichtung zur Anmeldung geplanter technischer Vorschriften, hauptsächlich im nicht harmonisierten Bereich des Binnenmarkts [7];

[7] Die in diesen Richtlinien vorgesehene vorherige Anmeldung von auf nationaler Ebene geplanten technischen Vorschriften ermöglicht es, mögliche Handelshemmnisse vor ihrem Inkrafttreten zu erkennen, und so in vielen Fällen die Eröffnung eines Verstoßverfahrens zu vermeiden. Zugleich ermöglicht es dieses Verfahren, dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung durch Einführung entsprechender Klauseln besonderen Nachdruck zu verleihen. Der Gerichtshof schließlich hat entschieden, dass die unterlassene Anmeldung einer technischen Vorschrift auch in einem Rechtsstreit unter Privatparteien geltend gemacht werden kann: in einem solchen Fall obliegt es dem nationalen Richter, die Anwendung der fraglichen Bestimmung zu verweigern und die sich nach nationalem Recht daraus ergebenden Folgen für den ihm vorgelegten Vertrag festzustellen.

(3) die regelmäßige Veröffentlichung von Statistiken durch die Kommission im Binnenmarktanzeiger, der jährliche Bericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, der auf eine Konkurrenz zwischen den Mitgliedstaaten abzielt, indem er eine Art gegenseitiger Überwachung der Anstrengungen um die Anwendung des europäischen Rechts einführt, sowie die in einigen Richtlinien vorgesehenen Berichte der Kommission, mit denen ein ähnliches Ziel verfolgt wird [8];

[8] z.B. die Berichte über die Anwendung der Richtlinie 98/49/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbständigen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu- und abwandern.

(4) die Beobachtung geplanter Großveranstaltungen, die mit Infrastrukturprojekten verbunden sind: Die Erfahrung zeigt, dass die zuständigen einzelstaatlichen Behörden bei Investitionen von nationaler Dimension oft dazu neigen, den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nicht genügend Beachtung zu schenken [9]. Es könnte nützlich sein, diesen Ansatz, der bisher auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens sowohl hinsichtlich des Vertrags als auch des abgeleiteten Rechts verfolgt wurde, auf die Vermeidung von Verstößen im Umweltbereich [10] und gegebenenfalls in anderen Bereichen auszudehnen;

[9] So konnte die Kommission in ihrem ,Weißbuch über das öffentliche Auftragswesen" darauf verweisen, dass die Beobachtung geplanter Großveranstaltungen ein wirksames Element der Vorbeugung darstellt, das die Gefahr einer inkorrekten Anwendung des Gemeinschaftsrechts wesentlich einschränkt (Beispiele: der Dialog mit den griechischen Behörden über die Bauvorhaben in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2004 und mit den italienischen Behörden im Hinblick auf die olympischen Winterspiele).

[10] Bei einer möglichen Ausdehnung auf den Umweltbereich geht es insbesondere um die Einhaltung der Verpflichtungen, die sich aus der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ergeben.

(5) die Ausbildungs-, Informations- und Transparenzprogramme für die einzelstaatlichen Verwaltungen und für die nationalen Richter nach dem Vorbild von «Grotius II» (Zivil- und Strafrecht) [11], oder auch die Partnerschaften zwischen nationalen Verwaltungen im Rahmen der Erweiterung der EU [12];

[11] Vgl. Verordnung (EG) Nr. 743/2002 des Rates vom 25. April 2002 über eine allgemeine Rahmenregelung der Gemeinschaft für Aktivitäten zur Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und den Beschluss des Rates 2001/512/JI vom 28. Juni 2001 über die Durchführung der zweiten Phase des Programms für die Förderung, den Austausch, die Aus- und Fortbildung sowie die Zusammenarbeit von Angehörigen der Rechtsberufe (Grotius II Strafrecht) sowie den Beschluss des Rates 2002/630/JI über ein Rahmenprogramm für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (AGIS).

[12] Im Weißbuch ,Europäisches Regieren", KOM(2001) 428, S.49, wird auch die Möglichkeit angesprochen, diese Partnerschaften auf die Gesamtheit der Verwaltungen der Mitgliedstaaten auszudehnen.

(6) die Nutzung der zur Unterstützung der Kommission gebildeten Sachverständigen ausschüsse und -netze zum Zwecke des Austauschs von Informationen und bewährten Praktiken zu Fragen der Einhaltung des Vertrags und des abgeleiteten Rechts, sowie die Bildung von Ad-hoc-Expertengruppen für besondere Bereiche [13].

[13] So hat die Kommission in den Bereichen der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern und der ,Anti-Diskriminierungs"-Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG Gruppen von Regierungssachverständigen geschaffen. Diese Gruppen sind vor dem Umsetzungstermin zusammengetreten und haben als Forum für Diskussionen und den Austausch guter Praktiken gedient. Im gleichen Sinne ist mit der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die aus fachkundigen Regierungsvertretern bestehende Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer gebildet worden, die im Vorfeld der Vorlage von Vorschlägen zur Aktualisierung dieser Verordnung durch die Kommission eine sehr aktive Rolle gespielt hat. Zu erwähnen wäre ferner das Netz von Kontaktstellen zu Fragen der beruflichen Qualifikationen.

Geplante Maßnahmen

* Um die vorbeugende Phase der Kontrolle zu stärken, wird die Kommission die Erfahrungen mit den im Laufe der Jahre geschaffenen bewährten Instrumenten und Praktiken nutzen, diese Instrumente und Praktiken weiter entwickeln und auf andere Bereiche des Gemeinschaftsrechts ausdehnen.

* Die Kommission wird prüfen, ob es sinnvoll und angebracht wäre, für das Personal der Verwaltungen und Gerichtesowie für Anwälte in den Mitgliedstaaten ein Fortbildungs programm über das Gemeinschaftsrecht zu starten (ein Programm, dem man den Namen «Justinien» oder «Irnerio» geben könnte [14]).

[14] Nach dem berühmten Rechtsgelehrten der Universität Bologna, der den Begriff des ,gemeinen Rechts" eingeführt hat, das, inspiriert von der Tradition des römischen Rechts, im Mittelalter über ganz Europa verbreitet war.

2.2. Begleitung und Erleichterung der korrekten Umsetzung von Richtlinien

Bei der Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts muss Richtlinien besondere Beachtung geschenkt werden, denn ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht durch die Mitgliedstaaten stellt spezifische Anforderungen [15]. Die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den einzelstaatlichen Verwaltungsbehörden sollte daher schon in einem sehr frühen Stadium einsetzen.

[15] Hier ist anzumerken, dass sich der Begriff der ,Umsetzung" in dieser Mitteilung allein auf Richtlinien bezieht, obwohl bekanntlich in manchen Fällen auch bestimmte Verordnungen und Entscheidungen zu ihrer Durch führung Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene erfordern.

2.2.1. Verbesserung von Transparenz und Bekanntheit des Gemeinschaftsrechts.

Zum Stichtag 31. 12. 2001 hatten die Mitgliedstaaten im Durchschnitt 97,4 % der zur Durchführung der Richtlinien (aller Bereiche) erforderlichen nationalen Maßnahmen mitgeteilt, was eine Verbesserung gegenüber dem Jahr 2000 bedeutet (96,6 %). Diese Durchschnittsquote ist die höchste seit 1992, bleibt aber unter dem vom Europäischen Rat in Stockholm für die Umsetzung der binnenmarktrelevanten Bestimmungen vorgegebenen Ziel von 98,5 %.

Die regelmäßige Veröffentlichung der Umsetzungsquoten durch die Kommission bewirkt einen Kontroll- und Konkurrenzeffekt und hat damit einen positiven Einfluss. Die Anreizwirkung dieser an alle gerichteten Information könnte durch Online-Veröffentlichung der für die Umsetzung jeder einzelnen Richtlinie geltenden Fristen noch verstärkt werden. Signalwirkung hätte auch ein öffentlicher Hinweis zwei Monate vor Ablauf der jeweiligen Frist auf dem zur Erreichung der betreffenden Akteure geeignetsten Weg.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission wird online, über ein Portal "Anwendung des Gemeinschaftsrechts", sämtliche für die Umsetzung geltenden Fällig keitsdaten, die Umsetzungsquoten nach Sachbereich und Mitgliedstaat und die nationalen Umsetzungsmaßnahmen veröffentlichen. Die betreffenden Akteure werden auf dem geeignetsten Weg an den Ablauf der Umsetzungsfristen erinnert.

2.2.2. Intensivierung der Zusammenarbeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist

Dem Streben nach besserer Governance auf dem Gebiet der Anwendung des Gemeinschafts rechts entspricht die Forderung nach besserer Vorabbewertung und besserer Nutzung der für die Umsetzung der Richtlinien geltenden Fristen. Diese Fristen sind notwendig, um die Anpassung der einzel staatlichen Vorschriften zu ermöglichen und ihre Vorbereitung durch die wirtschaft lichen und sozialen Akteure zu erleichtern. Sie müssen aber auch von der Kom mission und den Mitgliedstaaten als Trägern der gemeinsamen Verantwortung für die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts zur Intensivierung ihrer auf die Sicherung einer schnellen und wirksamen Anpassung des nationalen Rechts gerichteten Zusammenarbeit genutzt werden.

Sehr oft sind Verzögerungen in der Umsetzung von Richtlinien nicht das Ergebnis einer bewuss ten Zurückhaltung des Mitgliedstaats, sondern von internen Verwaltungsproblemen oder auch von Schwierigkeiten im Verständnis der oft komplexen Texte des Gemeinschaftsrechts.

Im Übrigen hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Artikel 10 EG-Vertrag das Bestehen einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit im Fall von Schwierigkeiten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts förmlich verankert. Diese Verpflichtung schließt für den Mitgliedstaat auch die Möglichkeit ein, seine Schwierigkeiten der Kommission zur Beurteilung zu unterbreiten [16].

[16] Urteile vom 15. Januar 1986, Kommission/Belgien, Rechtssache C-52/84, Slg. 1986, S. 89, Rdnr. 16, und vom 2. Februar 1989, Kommission/Deutschland, Rechtssache C-94/87, Slg. 1989, S. 175.

In diesem Sinne haben die Kommissionsdienststellen seit mehreren Jahren die Praxis der «Paketsitzungen» entwickelt, die so genannt werden, weil sie Gelegenheit bieten, mit den zuständigen nationalen Behörden neben eventuellen Umsetzungsproblemen zugleich auch sämtliche in dem betreffenden Mitgliedstaat in einem Bereich festgestellten oder vermuteten Verstöße zu prüfen. Im Allgemeinen kommt es derzeit zu solchen Paketsitzungen erst nach Eröffnung eines Verstoßvorgangs gegen den Mitgliedstaat. Sie könnten in einem früheren Stadium stattfinden, was gewiss nützlich wäre.

Trotz verstärkter Bemühungen um die Qualität der Gesetzgebungsvorschläge und der periodischen Überprüfung der in Kraft befindlichen Rechtstexte dürfte das Gemeinschaftsrecht komplex bleiben. Die Kommission ist daher bereit, den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rechtstexte in einem frühen Stadium ,technische Hilfe" zu leisten. Das Instrument der Paketsitzungen könnte genutzt werden, um gemeinsam mit dem betreffenden Mitgliedstaat die Schwierigkeiten zu prüfen, auf die er gegebenenfalls bei der Umsetzung der Gemeinschaftsrechtsakte stößt und ihm einschlägige Erläuterungen zu geben. In diesem Sinne könnten auch die durch bestimmte Richtlinien eingesetzten Ausschüsse ein geeignetes Forum sein. Die Hilfe könnte auch in einer auf Verlangen des Mitgliedstaats erfolgenden vorherigen Prüfung der vorgesehenen Umsetzungsmaßnahmen durch die Dienststellen der Kommission bestehen; eine solche vorherige Prüfung hätte selbstverständlich keinen Einfluss auf das Recht der Kommission, in einem späteren Stadium eventuelle Umsetzungsmängel geltend zu machen.

Ein weiterer Weg frühzeitiger Zusammenarbeit läge darin, dass die Kommissionsdienststellen in bestimmten Einzelfällen ,Umsetzungsleitlinien" erarbeiten und den nationalen Verwaltungen zuleiten. Die Mitgliedstaaten sollten in diese Arbeit einbezogen werden, wobei es zweckmäßig wäre, die Erstellung derartiger Leitlinien im Basisdokument anzukündigen.

Nicht selten ist es jedoch für die Kommission schwierig, den oder die für die Führung dieses Dialogs geeignete(n) Gesprächspartner zu finden. Die für die Umsetzung von EG-Richtlinien zuständigen Organe der Mitgliedstaaten variieren je nach Sachgebiet und entsprechend der internen Organisation der einzelnen Staaten. Oft müssen zur Umsetzung mehrere Verwaltungs- und/oder Gerichts instanzen tätig werden. In Bundesstaaten oder regionalisierten Ländern ist diese Vielfalt der Beteiligten noch größer. Durch Einrichtung spezieller Koordinierungsstellen könnten die Mitglied staaten, in denen solche Stellen noch nicht bestehen, diese Schwierigkeiten ausräumen: Die Kommission hätte dann nur einen einzigen Ansprechpartner für die Fragen in Zusammenhang mit der Umsetzung und der Anwendung des Gemeinschaftsrechts sowie für die Abstimmung mit den Ministerien sowie den regionalen und lokalen Behörden. Diese ,horizontalen" Ansprechpartner würden das von der Kommission angeregte Netz von Korrespondenten bilden (siehe Abschnitt 2). Die in einigen Mitgliedstaaten bereits praktizierte einheitliche Organisation des ,Vorsitzes der Paketsitzungen" lässt bereits den Umriss derartiger Stellen erkennen.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission beabsichtigt, die Praxis der ,Paketsitzungen" zu verallgemeinern. Sie wird sich nach Kräften bemühen, die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Koordinierungsstellen für Fragen der Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu bewegen.

* Innerhalb eines Monats nach Verabschiedung einer Richtlinie werden die Kommissionsdienststellen die betreffenden Mitgliedstaaten kontaktieren und ihnen bei Umsetzungs schwierigkeiten ihre ,technische Hilfe" anbieten; sie halten sich ferner bereit, Vorentwürfe geplanter Umsetzungsmaßnahmen zu prüfen und nötigenfalls eine Paketsitzung zu organisieren.

* Die Kommissionsdienststellen werden gemeinsam mit den innerstaatlichen Verwaltungen ,Umsetzungsleitlinien" erarbeiten.

2.2.3. Verbesserungen bei der Mitteilung der Umsetzungsmaßnahmen

Die Modalitäten der Mitteilung der Umsetzungsmaßnahmen sind bisher nie genau festgelegt worden; die Mitgliedstaaten sind lediglich verpflichtet, diese Maßnahmen der Kommission mitzuteilen. Es ist seit langem offensichtlich, dass diese Situation zu Verzögerungen und unnötigen Schwierigkeiten führt [17].

[17] Zum Beispiel: ungerechtfertigte Eröffnung oder Weiterverfolgung eines Verstoßverfahrens, erschwerter Zugang zu Umsetzungsmaßnahmen, Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Übereinstimmung.

Im Rahmen der Bemühungen um eine effizientere Kontrolle der Umsetzung und der Übereinstimmung der nationalen Umsetzungsmaßnahmen erscheint es geboten, die Modalitäten dieser Mitteilungspflicht klar zu definieren und bei jedem Richtlinienvorschlag systematisch in Erinnerung zu bringen, wobei die Verpflichtung zur Erstellung einer Konkordanztabelle vorzusehen wäre.

Eine Erleichterung des Zugangs zum Gemeinschafts recht wie auch der Übereinstimmungskontrolle wird sich aus der elektronischen Übermittlung der Umsetzungsmaßnahmen ergeben, die im Rahmen des Projekts ,EULEX III" entwickelt wird. Ziel dieses Projekts ist die Vernetzung der Datenbanken der amtlichen Veröffentlichungen der Mitgliedstaaten unter Verwendung eines gemeinsamen, dem Gemeinschaftsrecht vorbehaltenen Internet-Portals.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission wird in ihre Richtlinienvorschläge folgende Punkte aufnehmen:

- die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, ihrer Mitteilung der Umsetzungs maßnahmen (auf zentralstaatlicher und/oder regionaler oder örtlicher Ebene) eine Übersicht in Form einer ,Konkordanztabelle" beizufügen;

- ein standardisiertes Verfahren für die elektronische Übermittlung der Umsetzungs maßnahmen (einheitliches elektronisches Formular);

- einen Hinweis auf das Generalsekretariat der Kommission als zentrale Kontaktstelle.

Die Kommission wird das auf die Vernetzung der nationalen Datenbanken abzielende Projekt ,EULEX III" zum Abschluss bringen, um eine elektronische Übermittlung der Umsetzungsmaßnahmen zu ermöglichen.

2.3. Verstärkte Information der Öffentlichkeit über das Gemeinschaftsrecht

Eine bessere Information der Öffentlichkeit und eine bessere Beteiligung an den Entscheidungs prozessen steigern die Qualität der Entscheidungen. Zugleich helfen sie, Schwierigkeiten bei der Auslegung und schließlich Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Deshalb veröffentlicht die Kommission Pressemitteilungen zu den laufenden Vertragsverletzungsverfahren; diese Pressemeldungen enthalten Informationen, die auch für andere Personen, die mit dem selben Problem wie der Beschwerdeführer konfrontiert sind, von Nutzen sein können. Das Internet-Portal ,Anwendung des Gemeinschaftsrechts" (siehe 2.2.1), das mit der Datenbank EUR-LEX (Rechtsvorschriften) vernetzt ist, soll einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein und kontinuierlich aktuelle Informationen über Beschlüsse und Debatten im Zusammenhang mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten liefern.

Außerdem können in den einzelnen Politikfeldern der EU besondere Wege der Information der Bürger und ihrer Partizipation an der Durchführung eingeführt werden. Ein gutes Beispiel für eine derartige Offenheit bietet das Übereinkommen von Aarhus über den Zugang zur Information, die Beteiligung der Öffentlichkeit und den Zugang zur Gerichtsbarkeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Die beiden ersten ,Hauptsäulen" dieses Übereinkommens, der Zugang zur Information und die Beteiligung der Öffentlichkeit, hat die Kommission bereits zum Gegenstand von Richtlinienvorschlägen gemacht, die sie dem Europäischen Parlament und dem Rat unterbreitet hat. [18] Sobald diese Richtlinien angenommen sind, wird ihre konkrete Durchführung durch die Mitgliedstaaten dahingehend zu bewerten sein, ob sie als Anregung für andere Gesetzgebungsbereiche der Gemeinschaft dienen können.

[18] Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 90/313/EWG, der insbesondere in Artikel 6 vorsieht, dass die Mitglied staaten verpflichtet sind, für den Fall der Verweigerung des Zugangs die Möglichkeit einer Rechts- oder Verwaltungsbeschwerde zu eröffnen. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates (KOM(2000) 402 und 839 endg.)

Geplante Maßnahmen

* Das Internet-Portal ,Anwendung des Gemeinschaftsrechts" wird in Verbindung mit der Rechtsdatenbank EUR-LEX allgemeine, verständlich formulierte Informationen über die Anwendung des Rechts und den Zugang zum Recht bieten.

* Die Durchführung der EG-Richtlinien, mit denen das Übereinkommen von Aarhus umgesetzt werden soll, wird unter dem Gesichtspunkt der Information und Mitwirkung der Bürger bewertet.

3. KONTROLLE DER ANWENDUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS UND VERFOLGUNG VON VERSTÖSSEN

Die Entwicklung der vorbeugenden Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Situationen der Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts kann die Verantwortung der Kommission für die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts, für die Verfolgung von Verstößen und, falls nötig, für die Erhebung einer Klage nicht ersetzen. Im nachfolgenden Teil dieser Mitteilung werden daher zunächst die Prioritäten genannt, die die Kommission bei der Handhabung der verschiedenen, durch den Vertrag gegebenen Instrumente verfolgt (3.1). Sodann wird in diesem Zusammenhang die Rolle der Beschwerden als unentbehrliches Instrument der Aufdeckung von Verstößen (3.2) und die notwendige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Untersuchung der Fälle (3.3) behandelt. Abschließend folgt eine Betrachtung der konkreten Verfolgung von Verstößen, getrennt nach Situationen der Nichtbeachtung direkt und indirekt anwendbarer Rechtstexte der Gemeinschaft (3.4) und dem speziellen Fall der Nichtmitteilung der Umsetzungsmaßnahmen oder deren mangelnder Übereinstimmung (3.5).

3.1 Effiziente Nutzung der verfügbaren Instrumente unter Berücksichtigung der Schwere der Verstöße

Eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs bekräftigt die Befugnis der Kommission, in Bezug auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht Ermessensentscheidungen zu treffen [19], und macht sie zum alleinigen Richter der Opportunität von Verfolgungsmaßnahmen im Rahmen der Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Auch der europäische Bürgerbeauftrage verweist in seinen Stellungnahmen regelmäßig auf diese Befugnis zu Ermessensentscheidungen [20], wobei er aber auch betont, dass diese Befugnis nicht willkürlich ausgeübt werden darf. [21]

[19] Urteil vom 1. Juni 1994 in der Rs. C-317/92 Kommission/Deutschland, Slg. 1994, S. I-2039; Urteil vom 10. Mai 1995 in der Rs. C-422/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, S. I-1097.

[20] Siehe Untersuchung aus eigener Initiative des europäischen Bürgerbeauftragten von 1997 über die Verwaltungsverfahren der Kommission für die Bearbeitung von Beschwerden über die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten.

[21] Kritische Anmerkungen zur Klage P.S. Emfietzoglou - Macedonian Metro Joint Venture (Az. 995/98/OV).

Aus der Rolle einer «Hüterin» der gemeinschaftlichen Rechtsordnung, die Artikel 211 EG-Vertrag der Kommission überträgt, folgt, dass sie dafür zuständig ist, die zur vertragsgetreuen, wirksamen und unparteiischen Erfuellung dieser Aufgabe notwendigen intern-organisatorischen Maßnahmen zu treffen.

In diesem Sinne hat die Kommission in ihrem Weißbuch über europäisches Regieren erklärt, dass sie bei ihrer Kontrollarbeit und beim Verfolgen von Verstößen nach dem Prinzip der Effizienz und Billigkeit vorgehen und sich dabei auf Prioritätskriterien stützen wird, die sich aus der Schwere der potenziellen oder erwiesenen Verletzung des Gemeinschaftsrechts ableiten [22]. Zur Präzisierung des im Weißbuch skizzierten Rahmens ist zunächst anzumerken, dass sich diese Kriterien aus den gesammelten Erfahrungen ergeben. Folgende Verstöße gelten nach diesen Kriterien als schwerwiegend, unabhängig davon, ob es sich um (z.B. auf Grund von Beschwerden) vermutete oder um festgestellte Verstöße handelt:

[22] ,Europäisches Regieren", Weißbuch der Kommission, S. 48: Prioritäten für die Behandlung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht.

a) Verstöße, die die Grundlagen der Rechtsgemeinschaft in Frage stellen:

- Verletzung der Grundsätze des Vorrangs und der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts (es handelt sich um systembedingte Verstöße, die z. B. bewirken, dass das Verfahren der Vorlage an den Gerichtshof zur Vorabentscheidung nicht reibungslos funktioniert, dass der innerstaatliche Richter daran gehindert ist, dem Gemeinschaftsrecht Vorrang einzuräumen, oder dass auf innerstaatlicher Ebene wirksame Beschwerdewege fehlen. Beispiele für Letzteres wären die fehlende Umsetzung der ,Rechtsmittelrichtlinie" (89/665/EWG) in einem Mitgliedstaat oder eine innerstaatliche Rechtsprechung, die mit dem Gemeinschaftsrecht in der Auslegung des Gerichtshofs nicht vereinbar wäre);

- Verletzung der Menschenrechte und der im materiellen Gemeinschaftsrecht verankerten Grundfreiheiten (z. B. schwere Beeinträchtigung der Ausübung der Freizügigkeit sowie des freien Kapitals-, Waren- und Dienstleistungsverkehrs, Behinderung der Ausübung des Wahlrechts europäischer Bürger, Verweigerung des Zugangs zu Beschäftigung oder der Wahrnehmung der im Gemeinschaftsrecht festgeschriebenen sozialen Rechte, Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit, Schädigung der Umwelt mit möglichen Folgen für die menschliche Gesundheit);

- erhebliche Schädigung der finanziellen Interessen der Gemeinschaften (z. B. Unterlassung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts, Verletzung des Gemeinschafts rechts im Zusammenhang mit einer Aktion, die aus dem Gemeinschaftshaushalt gefördert wird [23]).

[23] Die ab Januar 2003 geltende neue Haushaltsordnung verpflichtet die Kommission, in solchen Fällen die finanzielle Unterstützung der fraglichen Aktion auszusetzen.

b) Verstöße, die das Funktionieren der Rechtsordnung der Gemeinschaft beeinträchtigen:

- Missachtung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Europäischen Union, z. B. in der Handelspolitik; schwere Behinderung einer gemeinsamen Politik;

- Wiederholung eines Verstoßes im gleichen Mitgliedstaat in einem gegebenen Zeitraum oder gegen das gleiche Instrument des Gemeinschaftsrechts: Dabei geht es zumeist um Fälle systematischer Fehlanwendung, die aufgrund einer Reihe von Beschwerden privater Parteien oder von Vorabkontrollen durch die Kommission aufgedeckt werden;

- Verstöße grenzübergreifenden Charakters in Fällen, in denen diese Dimension es europäischen Bürgern erschwert, ihre Rechte geltend zu machen.

- Nichtbefolgung eines gegen einen Mitgliedstaat ergangenen Urteils des Gerichtshofs auf der Grundlage einer Klage der Kommission wegen Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts (Verfahren nach Artikel 228 EG-Vertrag).

c) Verstöße in Form der Nichtumsetzung oder der mangelhaften Umsetzung von Richtlinien, denn sie führen unter Umständen dazu, dass eine große Anzahl Bürger keinen Zugang zum Gemeinschaftsrecht haben, und sind eine potenzielle Quelle zahlreicher Vertragsverletzungen

Die vorgenannten Kriterien werden der Kommission helfen, den Einsatz ihrer verschiedenen Instrumente zur schnellstmöglichen Wiederherstellung einer vertragskonformen Situation zu optimieren. Bei der von der Kommission wahrgenommenen Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Verfolgung von Verstößen geht es tatsächlich nicht darum, einen Mitgliedstaat zu ,bestrafen", sondern um die Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Anwendung des Gemeinschaftsrechts.

Konkret: Wenn ein Verstoß diese Prioritätskriterien erfuellt, wird sofort ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, es sei denn das Problem kann auf einem anderen Weg rascher behoben werden. Die anderen - weniger vorrangigen - Fälle werden anhand der (in den folgenden Abschnitten näher behandelten) ergänzenden Instrumente verfolgt, wobei jedoch eine eventuelle spätere Erhebung einer Klage keineswegs ausgeschlossen ist. Ein solches Vorgehen entspricht dem Streben nach Effizienz - schneller und wirkungsvoller einzugreifen, auch in Fällen, in denen ein Verstoßverfahren nicht das geeignetste Instrument wäre - unter Wahrung des Prinzips der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten und auch der verschiedenen Wege der Erkennung vermuteter Verstöße (Beschwerden, Untersuchungen von Amts wegen und vom Europäischen Parlament oder vom Europäischen Bürgerbeauftragten vorgelegte Fälle).

Anlässlich der kommissionsinternen Debatte über den Jahresbericht über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts wird eine Bewertung der Prioritätskriterien und ihrer Anwendung erfolgen. Die Debatte dieses Berichts in der Kommission soll im Juni stattfinden. Der Bericht wird Aufklärung geben darüber, wie die Kontrolle des Gemeinschaftsrechts und die Verfolgung von Verstößen künftig zu gestalten ist. Außerdem wird er Rückschlüsse auf die Qualität der Rechtsvorschriften selbst ermöglichen. Die Schlussfolgerungen dieses Berichts werden bei der Erstellung des Jahresarbeitsprogramms, das im September jedes Jahres angenommen wird, berücksichtigt und im Plenum des Europäischen Parlaments zur Diskussion gestellt.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission wird sich zwecks rascher und fairer Durchführung ihrer Maßnahmen zur Kontrolle und Verfolgung von Verstößen auf Prioritätskriterien stützen, die sich an der Schwere der potenziellen Verstöße orientieren; dabei wird sie sich um einen offenen Dialog mit den Bürgern und den Mitgliedstaaten bemühen.

* Bei der alljährlichen Debatte über den Bericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts werden auch die Prioritätskriterien und ihre Anwendung einer Bewertung unterzogen werden.

3.2. Beschwerden und ihre Bedeutung für die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts

Wie von der Kommission schon mehrfach betont, sind Beschwerden ein unentbehrliches Instrument zur Aufdeckung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht.

Nachdem die Zahl der registrierten Beschwerden in der Zeit von 1996 bis 1999 stetig angestiegen war, folgte im Jahr 2000 ein deutlicher Rückgang. Von 2000 auf 2001 ist die Zahl der Beschwerden erneut angestiegen, blieb aber unter dem 1999 erreichten Spitzenwert [24].

[24] Der für 2001 ermittelte statistische Spitzenwert hängt damit zusammen, dass im selben Jahr in Reaktion auf das Gutachten des Bürgerbeauftragten zu Verwaltungsmängeln im Fall der U-Bahn von Saloniki beschlossen wurde, bis zur Verabschiedung kodifizierter Regeln für die Behandlung von Beschwerden alle aus der Bürger schaft eingehenden Mitteilungen zu Fragen des Gemeinschaftsrechts unabhängig von der Durchführbarkeit einer potenziellen Untersuchung systematisch als Beschwerden zu registrieren (KOM(2002)141).

Obwohl Beschwerden die Hauptursache der erfassten Verstoßfälle sind, geben sie doch nur in sehr wenigen Fällen Anlass zur Versendung von Auforderungen zur Äußerung. Im Jahr 2001 führten nur 7 % der von der Kommission registrierten Beschwerden zu einem Aufforderungsschreiben und nur 1 % zu einer mit Gründen versehenen Stellungnahme (siehe Kasten auf S. 4) [25]. Die eingehenden Beschwerden werden sorgfältig gesichtet, um diejenigen, die weitere Maßnahmen rechtfertigen, prompt zu bearbeiten und die angeblichen Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht so schnell wie möglich zu klären [26]. In vielen Fällen genügt die vorgerichtliche Behandlung der Beschwerden, die Mitgliedstaaten dazu zu bringen, dass sie die Vertragsverletzung abstellen.

[25] Neunzehnter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (2001), Anhang 2

[26] Bei Prüfung der Quellen der Verstoßverfahren (s. Anhang, Tabellen 3 und 4) zeigt sich, dass (außer im Jahr 2001) der Anteil der aufgrund von Beschwerden eröffneten Verfahren unter dem Anteil der auf Initiative der Kommissionsdienststellen (,von Amts wegen") eröffneten Fälle lag. Wenn man die Fälle fehlender Kommunikation mitrechnet, stellen Beschwerden nur eine Minderheit der eröffneten Verfahren. Im Stadium der mit Gründen versehenen Stellungnahme liegt der Anteil der Beschwerden an den Verfahrenseröffnungen in allen Jahren auch ohne die Fälle fehlender Kommunikation unter dem der von Amts wegen eröffneten Vorgänge.

In einer Mitteilung an den Bürgerbeauftragten und das Europäische Parlament über die Beziehungen zu Beschwerdeführern im Zusammenhang mit der Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (KOM(2002)141 endg.) hat die Kommission ihre Entschlossenheit bekräftigt, alle von Bürgern ausgehenden Beschwerden zu bearbeiten und gegebenenfalls den angezeigten Verstoß zu verfolgen. Die Registrierung der bei der Kommission eingehenden Beschwerden unterliegt somit keiner Auswahl; die weitere Behandlung dieser Beschwerden unterliegt vielmehr den oben in Abschnitt 3.1 dargelegten Prioritätskriterien und den Möglichkeiten ihrer Behandlung nach den ergänzenden Verfahren. Zwecks größerer Effizienz wird die Kommission alle Beschwerden, die den selben Verstoß gegen EG-Recht betreffen, in einem Verfahren zusammenfassen.

Generell hält sich die Kommission in ihren Beziehungen zu den Beschwerdeführern an die Regeln ihres eigenen Verhaltenskodex für die Verwaltungspraxis, und danach hat jeder Beschwerdeführer, der sich an die Kommission wendet, Recht auf eine Antwort, in der auf sein Anliegen eingegangen wird, auch wenn dieses außerhalb der Befugnisse der Kommission liegt.

Tatsächlich ist es oft so, dass der Bürger eher einen einfachen und praktischen Rat sucht, als dass er einen Verstoß anzeigen will. Auch wenden sich Beschwerdeführer häufig an die Kommission, um eine finanzielle Entschädigung für eine Verletzung des Gemeinschafts rechts zu erlangen, die aber nur von einem nationalen Gericht zuerkannt werden kann. Ebenso häufig kommt es vor, dass Beschwerdeführer sich an die Kommission wenden, weil sie eine ihnen nach innerstaatlichem Recht zustehende Entschädigung einklagen wollen, wofür die EG keine Zuständigkeit besitzt.

Die sich aus dem Verhaltenskodex ergebende Antwortpflicht besagt auch, dass der Bürger eine sorgfältige und ausführliche Antwort erhalten soll, gegebenenfalls ergänzt durch praktische Ratschläge (z. B. hinsichtlich der auf nationaler Ebene verfügbaren Rechtswege, der Bedingungen für den Anspruch auf Schadenersatz usw.). Da die Kommission aber nicht dazu berufen ist, an die Stelle von Anwälten der Parteien zu treten, wird sie darauf achten, in ihren Antworten strikt neutral und objektiv zu bleiben. Das Internet-Portal zum Gemeinschaftsrecht wird diesbezüglich nützliche Informationen und Hinweise bieten.

Geplante Maßnahmen

* Gemäß den Verpflichtungen, die die Kommission in ihrer Mitteilung an den Europäischen Bürgerbeauftragten und das Europäische Parlament eingegangen ist, werden die Beschwerdeführer klar und deutlich darüber informiert, welche Schritte aufgrund ihres Schreibens unternommen werden. Insbesondere wird die Begründung der Beschlüsse im Zusammenhang mit der Untersuchung einer Verstoßsituation in aller Klarheit dargelegt.

* Verwaltungsmäßig wird deutlich unterschieden zwischen Zuschriften, die geeignet erscheinen, zur Eröffnung eines Verstoßverfahrens zu führen, und sonstigen Schreiben. In jedem Fall werden die Schreiben gemäß dem Verhaltenskodex für die Verwaltungspraxis bearbeitet.

3.3. Bessere Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Kommission bei Untersuchungen im Rahmen von Verstoßverfahren (Anwendung von Artikel 10 EG-Vertrag)

Die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den einzelstaatlichen Verwaltungen ist für die wirksame Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts von entscheidender Bedeutung und muss daher ständig gepflegt werden. Sie kann dazu beitragen, dass der Mitgliedstaaten rascher den Verstoß behebt, und das angestrebte Ziel schneller herbeigeführt wird.

Bei den Ermittlungen im Rahmen von Verstoßverfahren haben die Schwierigkeiten der Erfassung sämtlicher Elemente einer Vertragsverletzung oft ihre Ursache in erheblichen Verzögerungen, die sich aus mangelnder oder ungenügender Kooperation der nationalen Verwaltungen aller Ebenen ergeben. Die weiter oben vorgeschlagenen Koordinierungsstellen (2.2.2) sollten hier eine wichtige Rolle spielen.

Da es sich um ein kontradiktorisches Verfahren handelt, ist es mitunter notwendig, dem betreffenden Mitgliedstaat seine Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit gemäß Artikel 10 EG-Vertrag gebührend in Erinnerung zu rufen. Im Fall offensichtlich und anhaltend fehlenden guten Willens seitens des Mitgliedstaats wäre ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen Artikel 10 EG-Vertrag unvermeidbar. Soll der Rückgriff auf diesen Artikel Wirkung zeigen, müssen z.B. die Verstöße ein und desselben Mitgliedstaats in einem bestimmten Bereich in einem Verfahren zusammengefasst werden; außerdem muss der Zeitraum zwischen Aufforderungsschreiben und Klageerhebung auf höchstens vier Monate beschränkt werden (Schnellverfahren); schließlich ist für eine adäquate Publizität zu sorgen.

Geplante Maßnahmen

* Wenn Mitgliedstaaten nicht die nötigen Maßnahmen treffen, um die Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu gewährleisten oder der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgabe zu erleichtern, und insbesondere im Fall der Weigerung des betreffenden Mitgliedstaats, bei dem Verstoßverfahren mitzuwirken, wird man systematischer und wirkungsvoller auf Artikel 10 EG-Vertrag in Verbindung mit den anderen einschlägigen Rechtsgrundlagen des Vertrags zurückgreifen.

* In Fällen, in denen dies angebracht erscheint, könnte dieses Verfahren durch eine direkt bei dem Mitgliedstaat geführte Demarche des zuständigen Kommissionsmitglieds oder des Präsidenten der Kommission unterstützt werden.

3.4. Maßnahmen zur besseren Einhaltung des Gemeinschaftsrecht

Die Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts besteht entweder in einem Verstoß gegen den Vertrag, gegen Verordnungen oder Entscheidungen oder in einer ,mangelhaften Anwendung von Richtlinien". Letzterer Fall bildet die Hauptursache der im Jahr 2001 ergangenen Aufforderungsschreiben (zumeist aufgrund von Beschwerden oder von Amts wegen), mit Gründen versehenen Stellungnahmen oder Klagen vor dem Gerichtshof. Auf die Nichtmitteilung oder Nichtkonformität von Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Richtlinie in innerstaatliches Recht wird in Abschnitt 3.5 eingegangen.

Im Weißbuch über Europäisches Regieren wird darauf hingewiesen, dass es sowohl den Mitgliedstaaten als auch den Gemeinschaftsorganen obliegt, für eine bessere Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen, auch wenn es letztlich Aufgabe der Kommission ist, eine ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. So werden im Weißbuch die unmittelbare Verantwortlichkeit der innerstaatlichen Gerichte und die in den Mitgliedstaaten bestehenden außergerichtlichen Verfahren herausgestellt, bevor dargelegt wird, welche Voraussetzungen erfuellt sein müssten, damit die Kontrollen der Kommission effizienter werden. In dieser Mitteilung wird der umgekehrte Weg gegangen, um den komplementären Charakter dieser Instrumente zu verdeutlichen: die Kommission wird die das Vertragsverletzungsverfahren ergänzenden Instrumente einsetzen, um rasch eine Behebung des Verstoßes herbeizuführen; ohne dass dabei sofort Schadenersatz im Einzelfalle gewährt wird. Diesen kann der Bürger vor den nationalen Gerichten einklagen oder außergerichtlich erwirken.

a) Das Verstoßverfahren ergänzende Instrumente

Für die Behandlung von Fällen der Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts sind eine Reihe ergänzender Instrumente entwickelt worden, die eine wirksame und schnelle Verfolgung ermöglichen. Ein im Rahmen eines solchen ergänzenden Instruments untersuchter Vorgang kann von der Kommission jederzeit aufgegriffen und nach dem Vertragsverletzungsverfahren weiter verfolgt werden. Die mit diesen Instrumenten erzielten positiven Ergebnisse berechtigen zu der Empfehlung, sie häufiger einzusetzen und auf andere Bereiche des Gemeinschaftsrechts auszudehnen. Der Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts enthält nähere Angaben über die Anwendung dieser Instrumente und die erzielten Ergebnisse.

Die folgenden ergänzenden Instrumente können eingesetzt werden:

(1) Im Fall häufiger und wiederholter Verstöße gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften in einem bestimmten Sektor haben sich Bemühungen um Globalverhandlungen mit dem betreffenden Mitgliedstaat in manchen Fällen als wirkungsvoller erwiesen als die Eröffnung des Verstoßverfahrens [27].

[27] Als Beispiel sei der Fall der grenzübergreifenden Zulassung von Fahrzeugen zitiert, bei dem solche Verhandlungen mit den betreffenden nationalen Behörden, ergänzt durch eine Mitteilung zur Auslegung, zur Lösung der von Privatpersonen beklagten, wiederholt auftretenden Zulassungsschwierigkeiten führten.

(2) Auf dem Gebiet des Binnenmarkts hat sich das Problemlösungsnetz ,SOLVIT" [28] als wirkungsvoll erwiesen. In einer Empfehlung [29] präzisiert die Kommission die Grundsätze der Arbeit der ,SOLVIT-Zentren", ihre jeweiligen Aufgaben und die Fristen, in denen die ihnen vorgelegten Fälle gelöst sein müssen (im Prinzip innerhalb von 10 Wochen). Nach einer Bewertung durch die Kommission, die Wege zur Verbesserung des Systems [30] aufgezeigt hatte, um es zu einem echten Gemeinschafts instrument für die außergerichtliche Lösung alltäglicher Probleme im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt zu machen, ist dieses Netz weitgehend erneuert worden [31]. Bestimmte Beschwerden, die keine Probleme hinsichtlich der Unvereinbarkeit zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht aufwerfen, können mithilfe von SOLVIT gelöst werden.

[28] ,Eine wirksame Problemlösung im Binnenmarkt", Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM(2001)702 vom 27. November 2001.

[29] Empfehlung der Kommission vom 7. 12. 2001 über Grundsätze der Nutzung des SOLVIT-Netzes für die Lösung von Problemen im Binnenmarkt.

[30] ,Eine wirksame Problemlösung im Binnenmarkt", a.a.O. (siehe Fußnote 28).

[31] Es gibt zahlreiche Informationsmaßnahmen, die darauf abzielen, das ,SOLVIT"-Netz bei den Bürgern und den verschiedenen Zwischeninstanzen bekannt zu machen, von denen anzunehmen ist, dass sie möglicherweise Fälle nicht ordnungsgemäßer Anwendung kennen, die sie einem ,SOLVIT"-Zentrum unterbreiten könnten. Seit dem 22. Juli 2002 existiert eine gemeinsame Datenbank, in die diese ,SOLVIT"-Zentren (je ein solches Zentrum je nationaler Verwaltung) die ihnen unterbreiteten Fälle eingeben können und über die sie Informationen austauschen können.

(3) Die ,Paketsitzungen" bilden - wie bereits angedeutet - ein Instrument des ständigen Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, das dem Zwecke dient, ein ,Paket" anstehender Problemfälle zu untersuchen und nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen. Diese Sitzungen sind ein konkreter Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, und damit haben sie auch eine erzieherische Funktion im Interesse der nationalen Behörden (aber auch in dem der regionalen und örtlichen Stellen).

(4) Für die Anwendung von Richtlinien, die Rechte für eine Vielzahl von Bürgern der Gemeinschaft schaffen und eine fallweise Behandlung und entsprechende konkrete Lösungen erfordern, könnten sich spezialisierte Ad-hoc-Kontaktpunkte als wirksam erweisen [32].

[32] Im Bereich des Binnenmarkts findet sich ein Beispiel wirkungsvoller Arbeit auf dem Gebiet der Anerkennung von Diplomen. Es handelt sich um ein System von Kontaktpunkten oder Koordinierungsstellen, die für Fragen der Anwendung der Richtlinien über die geregelten Berufe zuständig sind und an die sich die Bürger der Gemeinschaft wenden können, wenn ein Mitgliedstaat die ihnen durch das Gemeinschaftsrecht zuerkannten Rechte missachtet. Der kürzlich ergangene Vorschlag für eine Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (KOM(2002) 119 endg.), mit der 15 derzeit in Kraft befindliche Richtlinien über die regulierten Berufe kodifiziert und vereinfacht werden sollen, bestätigt und regelt die Existenz dieser Kontaktpunkte und sieht u. a. vor, dass sie die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Eingang über die behandelten Fälle informieren müssen.

(5) Die auf nationaler Ebene erfolgende Einrichtung unabhängiger Sonderbehörden kann in bestimmten Fällen dazu beitragen, der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgabe als Hüterin des Vertrags zu erleichtern [33].

[33] Beispiele hierfür sind die von einigen Mitgliedstaaten geschaffenen unabhängigen Behörden für Wettbewerb, Datenschutz und das öffentliche Auftragswesen. Einen gleichartigen Beitrag leisten die nationalen oder regionalen Ombudsleute, die in den meisten Mitgliedstaaten eingesetzt wurden.

b) Die außergerichtliche Lösung von Verstoßfällen.

Es erscheint angebracht, die interessierten Kreise auch auf die Möglichkeiten hinzuweisen, die sich auf nationaler Ebene für die außergerichtliche Lösung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht bieten, wie etwa durch Einschaltung eines nationalen, regionalen oder örtlichen Schlichters. In ihrem Weißbuch über das europäische Regieren hat die Kommission den Mitgliedstaaten übrigens eine Vernetzung der Arbeit der in nationalem oder regionalem Rahmen eingesetzten Ombudsleute und Schlichter vorgeschlagen [34]. Einige von ihnen könnten für die Annahme und Bearbeitung von Beschwerden auf den Gebieten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes eine entsprechend angepasste Spezialausbildung erhalten.

[34] Vgl. Fußnote 33

c) Einschaltung der nationalen Gerichte

Jeder Bürger hat die Möglichkeit, die nationalen Gerichte seines Landes anzurufen, die erstinstanzliche Richter des Gemeinschaftsrechts sind. In praktischer Anwendung des Grund satzes der loyalen Zusammenarbeit sollte diese Möglichkeit von den Gemeinschaftsorganen wie auch von den Mitgliedstaaten stärker genutzt werden.

In diesem Zusammenhang erscheinen zwei kürzlich ergangene oder in Vorbereitung befindliche Gesetzgebungsvorschläge der Kommission erwähnenswert:

- der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzübergreifendem Bezug durch die Festlegung gemeinsamer Mindest vorschriften für die Prozesskostenhilfe und für andere mit Zivilverfahren verbundene finanzielle Aspekte [35].

[35] KOM(2002)13 endg. vom 18.1.2002. Diese Richtlinie wird voraussichtlich noch vor Ende Dezember 2002 verabschiedet.

- der künftige Vorschlag der Kommission für eine gemäß dem Übereinkommen von Aarhus zu gestaltende Richtlinie über den Zugang zum Recht. Dieser in Vorbereitung befindliche Richtlinienvorschlag regelt die Modalitäten des Rechtszugangs von Nichtregierungs-Organisationen bei Umweltverfahren.

In bestimmten Bereichen, in denen die Anwendung des Gemeinschaftsrechts häufiger Anlass zu Rechtsstreitigkeiten gibt, wie etwa im Bereich des Umweltschutzes, sollte die Einschaltung der nationalen Gerichte effizienter sein als dies heute der Fall ist. Dieses Anliegen würde Gesetzgebungsinitiativen der Kommission rechtfertigen, die darauf gerichtet sind, die Anrufung dieser Gerichte zu erleichtern.

Geplante Maßnahmen

* Bei der Behandlung von Fällen der Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts wird sich die Kommission vorrangig um die Entwicklung ergänzender Systeme bemühen, die in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und entsprechend den Eigenarten der einzelnen Sektoren angewendet werden. Wenn ein Fall nicht den ,Prioritätskriterien" (s. Punkt 3.1) entspricht und mit Hilfe der ergänzenden Verfahren gut und schnell aufgeklärt werden könnte, werden diese Mittel bevorzugt eingesetzt werden.

* Die Kommission beabsichtigt, einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Umsetzung der dritten Säule des Übereinkommens von Aarhus anzunehmen und die Vorlage einer weiteren Initiative zu prüfen, die auf die Einführung von Verfahren zur außergerichtlichen Behandlung von Beschwerden in den Mitgliedstaaten abzielt.

3.5 Verbesserungder Mitteilung und Kontrolle der Übereinstimmung bei der Umsetzung von Richtlinien

Im spezifischen Fall von Richtlinien kann der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht in der Verzögerung ihrer Umsetzung bestehen (hierdurch werden den Bürgern die durch die Richtlinien begründeten Vorteile versagt(außer im Falle einer Richtlinie mit direkter Wirkung). Der Verstoß kann sich ebenfalls aus der mangelnden Übereinstimmung der Umsetzungsmaßnahmen mit der Richtlinie ergeben. Im Verlauf des Verstoßverfahrens wird zwischen diesen beiden Fällen unterschieden.

3.5.1. Schnellverfahren bei Nichtmitteilung von Umsetzungsmaßnahmen

Nach Ablauf der Umsetzungsfrist wird der in der fehlenden Übermittlung der nationalen Umsetzungsmaßnahmen liegende Verstoßautomatisch verfolgt, obwohl die Kontakte zwischen den Dienststellen der Kommission und den Mitgliedstaaten weiter laufen müssen.

Um die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts wirksamer sichern zu können, hat die Kommission seit 1990 bestimmte interne Regeln eingeführt, die ihr eine systematische Kontrolle der Mitteilungen über die Umsetzung von Richtlinien ermöglichen.

Dieses System beruht auf der Ermächtigung des für den betreffenden Bereich zuständigen Kommissionsmitglieds und des Präsidenten der Kommission, Mitgliedstaaten zu mahnen, die Richtlinien, deren Umsetzungsfrist abgelaufen ist, noch nicht umgesetzt und ihre nationalen Umsetzungs maßnahmen noch nicht der Kommission übermittelt haben. Dieses System hat sich bewährt und könnte bei Ausbleiben der Antwort des Mitgliedstaats (und/oder Mitteilung von Maßnahmen, die nicht das gesamte Staatsgebiet betreffen) auf das Stadium einer mit Gründen versehenen Stellungnahme wegen Nichtmitteilung ausgedehnt werden. Tatsächlich ergibt sich der Verstoß in beiden Fällen allein aus der Überschreitung der Umsetzungsfrist oder der im Aufforderungsschreiben gesetzten Antwortfrist. Eine Bewertung des Sachverhalts findet hier nicht statt. Diese Beschleunigung des Verfahrens soll die Kommission in den Stand versetzen, binnen sechs Monaten nach Aufforderung des betreffenden Mitgliedstaats zur Äußerung beim Gerichtshof Klage zu erheben.

Die Beobachtung des Umsetzungsstands der an ihren Umsetzungstermin kommenden Richtlinien erfolgt aufgrund von Informationen aus der speziell für die Durchführung von Richtlinien eingerichteten Datenbank ,Asmodée II". Ein elektronisches System für die Notifizierung an die Mitgliedstaaten befindet sich in der Entwicklung.

Die Kommission prüft die Möglichkeit, den elektronischen Austausch mit den Mitgliedstaaten bei Verstoßverfahren wegen Nichtmitteilung weiter zu entwickeln.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission beabsichtigt, im Fall von Schwierigkeiten bei der Umsetzung die Kontakte mit dem betreffenden Mitgliedstaaten fortzuführen, ohne jedoch das laufende Verstoßverfahren auszusetzen.

* Der systematische Charakter der Umsetzungskontrolle im Fall fehlender Reaktion des Mitgliedstaats auf ein Aufforderungsschreiben wird verstärkt werden durch Ausweitung des kommissionsinternen Habilitationsverfahrens auf das Stadium der mit Gründen versehenen Stellungnahme. Die Entscheidung zur Klageerhebung wird dann binnen sechs Monaten nach dieser Aufforderung zur Äußerung ergehen

* Die Nutzung des elektronischen Informationsaustauschs zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten wird ausgeweitet werden.

3.5.2 Schnellere Abstellung von Konformitätsmängeln in den Umsetzungsvorschriften

Die Feststellung mangelnder Übereinstimmung einzelstaatlicher Umsetzungsmaßnahmen mit einer Richtlinie ergibt sich entweder aus der Prüfung dieser Maßnahmen durch die Dienststellen der Kommission oder aus Beschwerden. Die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zugelassene direkte vertikale Wirkung nicht oder schlecht umgesetzter Richtlinien [36] ermöglicht eine teilweise Überwindung dieses Problems. Sie enthebt jedoch die Kommission nicht ihrer Kontrollaufgabe.

[36] Wenn die Bestimmungen einer Richtlinie hinsichtlich ihres Inhalts hinreichend genau und unbedingt erscheinen, können sie von Einzelnen auch nach Ablauf der nach nationalem Recht bestehenden Klagefristen gegen einen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, wenn dieser ihre fristgerechte Umsetzung versäumt oder nicht ordnungsgemäß vorgenommen hat (Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-208/90, Emmott/Minister for Social Welfare und Attorney General, Slg.1991, I-4269).

Verstöße dieser Art wird die Kommission vorrangig behandeln (s. oben, Abschnitt 3.1, Prioritätskriterien nach Schwere des Falles). Tatsächlich verletzen sie die Grundsätze des Vorrangs und der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und verhindern, dass die Bürger und Wirtschaftsunternehmen in den Genuss individueller Vorteile gelangen, die ihnen das Gemeinschaftsrecht zuerkennt. Da die Gefahr nichtkonformer innerstaatlicher Umsetzungsvorschriften in dem Maße wächst, wie die Zahl der Mitgliedstaaten steigt, wird die Kommission mit Blick auf die Erweiterung sich darum bemühen, vorbeugend zu wirken (siehe 2.2.3 ,Konkordanztabellen") und nichtkonforme Bestimmungen frühzeitig festzustellen.

Auf Verlangen des Europäischen Parlaments erstellt die Kommission für bestimmte Richtlinien bereits Berichte über ihre Durchführung. Die Erstellung dieser Berichte erfordert eine Gesamtbetrachtung der Umsetzungsmaßnahmen und -methoden in allen Mitgliedstaaten. Sie bildet damit eine gute Gelegenheit, nicht nur fehlerhafte Umsetzungen, sondern auch Umsetzungsschwierigkeiten zu erkennen. Wenn bestimmte Normen des Gemeinschaftsrechts bei ihrer Umsetzung in nationales Recht wiederholt Probleme bereiten, wird die Kommission die Gründe hierfür prüfen und entsprechende Lösungen vorschlagen und dabei je nach Sachlage auch eine gesetzgeberische Initiative ins Auge fassen.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission betrachtet Verstöße wegen Nichtübereinstimmung als vorrangig im Sinne ihrer Aufgabe als Hüterin des Vertrags. Verstöße dieser Art werden systematisch und innerhalb kürzester Fristen verfolgt.

* In bestimmten Sektoren, soll die Praxis der Berichterstattung über die Durchführung der Richtlinien systematisiert werden. Diese Berichte werden dem Europäischen Parlament übermittelt.

* Im Fall wiederholt auftretender Schwierigkeiten bei der Anwendung einer bestimmten Richtlinie wird die Kommission den legislativen Ansatz prüfen, um die Ursache dieser Schwierigkeiten auszuräumen.

4. VORKEHRUNGEN GEGEN DIE WIEDERHOLUNG VON VERSTÖSSEN

Die Aufgabe als Hüterin des Vertrags bringt auch mit sich, dass die Kommission alle geeigneten Maßnahmen trifft, um die Wiederholung oder das Fortdauern von Verstößen zu vermeiden. Der Vertrag gibt der Kommission die Möglichkeit, den Gerichtshof zu ersuchen, gegen einen Mitgliedstaat, der es fortdauernd unterlässt, die zur Ausführung eines ersten Verstoßurteils erforderlichen Maßnahmen zu treffen, ein Zwangsgeld oder eine Pauschalsumme zu verhängen (Artikel 228 EG-Vertrag) [37]. Obwohl das Vorgehen gegen derartige Situationen zu den Prioritäten der Kommission gehört (siehe 3.1), ist eine allgemeine Sanktion für Verletzungen des Gemeinschaftsrechts ebenso wenig vorgesehen wie Sanktionen, die geeignet wären, die Wiederholung festgestellter Verletzungen des EG-Vertrags zu verhindern.

[37] Hinsichtlich der Modalitäten und Methode der Berechnung des Zwangsgeldes bevorzugt die Kommission die Verhängung einer Pauschalsumme (ABl. C 63 vom 28.2.1997, S.2).

Andererseits bietet das Verstoßverfahren selbst die Möglichkeit einer Begrenzung des Rück fallrisikos. Für den Fall, dass ein Verstoß nicht abgestellt werden konnte, weil er bereits zu dem Zeitpunkt erfolgt war, zu dem der Mitgliedstaat beschlossen hatte, sich der Auffassung der Kommission anzuschließen, gilt es, von dem betreffenden Mitgliedstaat eine Mindest garantie dafür zu erhalten, dass sich der Verstoß nicht wiederholt (Beispiel: Vergabe eines öffentlichen Auftrags und Erbringung der Leistung, wobei der Wirtschaftsbeteiligte eine mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare Einfuhrgenehmigung gefordert und erhalten hatte). Mindestgarantien können sein: a) eine Erklärung des Mitgliedstaats, in der er anerkennt, dass ein Verstoß erfolgt ist; b) die Verpflichtung des Mitgliedstaats, eine pro-aktive Vorbeugungs- und Informationspolitik zu verfolgen (indem er z.B. den zuständigen Behörden und vor allem den dezentralisierten Verwaltungen die nötigen ,Weisungen" gibt, damit sie die fraglichen Bestimmungen des Vertrags oder des abgeleiteten Rechts richtig auslegen und anwenden).

Um sowohl die Bürger und Wirtschaftsakteure über ihre Rechte als auch die einzelstaatlichen Behörden (auf zentraler und örtlicher Ebene) zu Fragen der ordnungsgemäßen Anwendung des Gemeinschaftsrechts besser zu informieren, plant die Kommission die Veröffentlichung einer Typologie festgestelter und abgestellter Verstöße (ohne Nennung der betreffenden Mitglierdstaaten).

Eins der wirksamsten Mittel, um Wiederholungsfälle oder das Fortbestehen vom Gerichtshof verurteilter Verstöße zu bekämpfen besteht darin, die Bürger über die aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgenden Schadenersatzansprüche zu informieren [38].

[38] Seit seinem Urteil im Fall Humblet aus dem Jahr 1960 (Urteil vom 16. Dezember 1960, Humblet/Belgien, Rs. C-6/60, Slg. 1960 S. 1165) betont der Gerichtshof, dass, wenn er ,in einem Urteil feststellt, dass ein Akt der Gesetzgebungs- oder der Verwaltungsorgane eines Mitgliedstaats dem Gemeinschaftsrecht zuwider läuft, (...) dieser Mitgliedstaat (...) verpflichtet (ist), sowohl diesen Akt rückgängig zu machen als auch die möglicher weise durch ihn verursachten rechtswidrigen Folgen zu beheben". Mit seiner Entscheidung im Fall Francovich (Urteil vom 19. November 1991, Francovich u.a./Italien, verbundene Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, S. I-5357) bestätigte der Gerichtshof das Recht privater Parteien, den Ersatz des ihnen durch die Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat entstandenen Schadens zu verlangen. In diesem Fall ging es um die Nichtumsetzung der Richtlinie 80/987/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers durch Italien. Im Urteil ,Brasserie du Pêcheur" von 1996 (Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik Deutschland & The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte Factortame e.a., verbundene Rs. C-46/93 und C-48/93, Slg.1996, S. 1029) wurden die im Urteil Francovich entwickelten Grundsätze bestätigt und vertieft.

Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der nationale Richter bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts oder Nichtumsetzung von Richtlinien Schadenersatzansprüche zuerkennen kann. Diese Rechtsprechung und ihre positiven Auswirkungen für Personen, die aufgrund eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht geschädigt sind, ist zwar Rechtspraktikern, nicht aber immer Wirstschaftsbeteiligten oder den Bürgern bekannt.

Daher wird die Kommission in ihren Pressemitteilungen über die Einstellung wichtiger Vertragsverletzungsverfahren daran erinnern, dass diese Einstellung das Recht geschädigter Einzelner auf Schadenersatz, das sie vor innerstaatlichen Gerichten gegebenenfalls geltend machen können, nicht berührt. Sie wird eine Auslegungsmitteilung vorlegen, in der sie sich mit dem Recht auf Schadenersatz befasst, das entsteht, wenn ein Mitgliedstaat gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen hat.

Geplante Maßnahmen

* Die Kommission wird die Einstellung eines Verstoßverfahrens betreffend einen bereits behobenen Verstoß abhängig machen von Verpflichtungen und Maßnahmen des Mitgliedstaats, die bewirken, dass eine Wiederholung des Verstoßes vermieden wird.

* Die Kommission wird eine Typologie festgestellter und behobener Verstöße veröffentlichen.

* In Pressemitteilungen über die Einstellung bedeutender Verstoßverfahren wird das Recht geschädigter Bürger auf Klage vor nationalen Gerichten erwähnt werden. Es wird eine Mitteilung veröffentlicht, die auf Schadenersatzansprüche ausdrücklich hinweist.

5. SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die Maßnahmen, die die Kommission zur Verbesserung der Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu ergreifen beabsichtigt, sind - wie alle Durchführungs-maßnahmen - auf den ersten Blick bescheiden und dennoch von entscheidender Bedeutung. Eine ordnungsgemäße Anwendung des Rechts und die effektive Beachtung der Rechtsvorschriften sind essentielle Vorbedingungen des Vertrauens: wechselseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten, die sich darauf verlassen können, dass die Beachtung des Rechts in fairer Weise kontrolliert wird; Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit der Union, sich Respekt zu verschaffen.

Mit der Erweiterung stellen sich diese Fragen noch drängender. So sollte man sich vergegenwärtigen, welche enorme Aufgabe es sein wird, sicherzustellen, das ein und dieselbe Richtlinie durch 25 einzelstaatliche Rechtsakte einheitlich umgesetzt wird. Vermutlich wird für diese Aufgabe mehr Personal eingesetzt werden müssen, sowohl auf Ebene der Union als auch in den Mitgliedstaaten. Was die Kommission heute anstrebt, ist ein Wandel der Kontrollkultur: Es wird nicht ausreichen, im Nachhinein gegen Vertragsverletzungen einzuschreiten; es gilt auch, ihnen vorzubeugen. Andererseits wird die Zusammenarbeit die Kommission nicht von ihrer Aufgabe entbinden, als Hüterin der Verträge die Mitgliedstaaten - streng und mit den bestmöglichen Instrumenten - an ihre Verpflichtungen zu erinnern.

Gefordert sind nicht nur die europäischen und einzelstaatlichen Institutionen. Diese Mitteilung richtet sich letztendlich an den Bürger selbst. Durch Information, Partizipation und Zugang zum Recht werden sie Akteure der Rechtsgemeinschaft sein.

Im Sinne des Weißbuchs über ,Europäisches Regieren" können alle vorgeschlagenen Maßnahmen ohne Änderung der derzeit geltenden Verträge durchgeführt werden. Sie greifen weiteren Verbesserungen bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht vor, z. B. dem Vorschlag der Kommission an den Europäischen Konvent, das Vertragsverletzungsverfahren dahingehend zu ändern, dass die Mitgliedstaaten selbst den Gerichtshof anrufen, wenn sie einer mit Gründen versehenen Entscheidung der Kommission nicht nachkommen wollen.

Die Kommission wird in ihrem Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts über die Durchführung der in dieser Mitteilung vorgesehenen Maßnahmen berichten. Die Veröffentlichung dieses Berichts erfolgt im Amtsblatt sowie auf der Website ,Europa" der Europäischen Gemeinschaften unter folgender Adresse:

http://europa.eu.int/comm/ secretariat_general/sgb/infringements/19report_2001_fr.htm

Außerdem ist dieser Bericht auf Anfrage erhältlich bei den Dienststellen der Kommission, in den ,Info-Points Europe" und in den ,Euro-Info-Zentren".

Diese Mitteilung ist gerichtet an das Europäische Parlament, den Rat, die Mitgliedstaaten und den Europäischen Bürger beauftragten. Sie wird im Amtsblatt, Reihe C und auf der Website ,Europa" der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.

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