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Document 62017CJ0404

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 25. Juli 2018.
A gegen Migrationsverket.
Vorabentscheidungsersuchen des Förvaltningsrätten i Malmö.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 31 Abs. 8 und Art. 32 Abs. 2 – Offensichtlich unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz – Konzept des sicheren Herkunftsstaats – Fehlen nationaler Vorschriften zu diesem Konzept – Angaben des Antragstellers, die als zuverlässig, aber angesichts des ausreichenden Schutzes, der durch den Herkunftsstaat des Antragstellers gewährt wird, als unvollständig betrachtet werden.
Rechtssache C-404/17.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2018:588

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

25. Juli 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Asylpolitik – Richtlinie 2013/32/EU – Art. 31 Abs. 8 und Art. 32 Abs. 2 – Offensichtlich unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz – Konzept des sicheren Herkunftsstaats – Fehlen nationaler Vorschriften zu diesem Konzept – Angaben des Antragstellers, die als zuverlässig, aber angesichts des ausreichenden Schutzes, der durch den Herkunftsstaat des Antragstellers gewährt wird, als unvollständig betrachtet werden“

In der Rechtssache C‑404/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Förvaltningsrätt i Malmö – Migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer-, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden) mit Entscheidung vom 3. Juli 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2017, in dem Verfahren

A

gegen

Migrationsverket

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev, S. Rodin und E. Regan,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, H. Shev und L. Zettergren als Bevollmächtigte,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Fadoju, C. Crane und S. Brandon als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,

der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A und dem Migrationsverk (Migrationsamt, Schweden) (im Folgenden: Amt) wegen dessen Entscheidung, den Antrag von A auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Aufenthaltsgenehmigung abzulehnen, seine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat anzuordnen und ihm für zwei Jahre zu verbieten, nach Schweden zurückzukehren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 23 Abs. 4 Buchst. g der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13) sieht vor:

„Ferner können die Mitgliedstaaten festlegen, dass ein Prüfungsverfahren gemäß den Grundprinzipien und Garantien nach Kapitel II vorrangig oder beschleunigt durchgeführt wird, wenn

g)

der Antragsteller inkohärente, widersprüchliche, unwahrscheinliche oder unvollständige Angaben gemacht hat, die als Begründung für seine Behauptung, dass er eine verfolgte Person … ist, offensichtlich nicht überzeugend sind, …“

4

In den Erwägungsgründen 11, 12, 18, 40, 41 und 42 der Richtlinie 2013/32 heißt es:

„(11)

Um eine umfassende und effiziente Bewertung des Bedürfnisses der Antragsteller nach internationalem Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [(ABl. 2011, L 337, S. 9)] zu gewährleisten, sollte der Unionsrahmen für Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes auf dem Konzept eines einheitlichen Asylverfahrens beruhen.

(12)

Hauptziel dieser Richtlinie ist die Weiterentwicklung der Normen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes im Hinblick auf die Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens in der Union.

(18)

Es liegt im Interesse sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die internationalen Schutz beantragen, dass über die Anträge auf internationalen Schutz so rasch wie möglich, unbeschadet der Durchführung einer angemessenen und vollständigen Prüfung der Anträge, entschieden wird.

(40)

Ein entscheidendes Kriterium für die Begründetheit eines Antrags auf internationalen Schutz ist die Sicherheit des Antragstellers in seinem Herkunftsstaat. Kann ein Drittstaat als sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden, so sollten die Mitgliedstaaten diesen als sicher bestimmen und von der Vermutung ausgehen können, dass dieser Staat für einen bestimmten Antragsteller sicher ist, sofern Letzterer keine Gegenargumente vorbringt.

(41)

In Anbetracht des Harmonisierungsniveaus, das bei der Feststellung der Eigenschaft von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz erreicht worden ist, sollten gemeinsame Kriterien für die Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden.

(42)

Die Bestimmung eines Drittstaates als sicherer Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kann keine absolute Garantie für die Sicherheit von Staatsangehörigen dieses Landes bieten. Bei der dieser Bestimmung zugrunde liegenden Prüfung können naturgemäß nur die allgemeinen staatsbürgerlichen, rechtlichen und politischen Gegebenheiten in dem betreffenden Land sowie der Umstand berücksichtigt werden, ob Personen, die in diesem Land der Verfolgung, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung für schuldig befunden werden, auch tatsächlich bestraft werden. Daher ist es wichtig, dass ein als sicher eingestuftes Land für einen Antragsteller nicht länger als solches gelten kann, wenn dieser aufzeigt, dass es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass das betreffende Land für ihn in seiner besonderen Situation nicht sicher ist.“

5

Art. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes … eingeführt.“

6

Art. 31 („Prüfungsverfahren“) der Richtlinie 2013/32, mit dem ihr Kapitel III („Erstinstanzliche Verfahren“) beginnt, sieht vor:

„(1)   Die Mitgliedstaaten bearbeiten Anträge auf internationalen Schutz im Rahmen eines Prüfungsverfahrens unter Beachtung der Grundsätze und Garantien in Kapitel II.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Prüfungsverfahren unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht wird.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Prüfungsverfahren innerhalb von sechs Monaten nach förmlicher Antragstellung zum Abschluss gebracht wird.

(8)   Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn

a)

der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] anzuerkennen ist, nicht von Belang sind, oder

b)

der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kommt, oder

e)

der Antragsteller eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, so dass die Begründung für seine Behauptung, dass er [als] Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] anzusehen ist, offensichtlich nicht überzeugend ist;

…“

7

Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 lautet:

„Im Falle von unbegründeten Anträgen, bei denen einer der in Artikel 31 Absatz 8 aufgeführten Umstände gegeben ist, können die Mitgliedstaaten einen Antrag ferner als offensichtlich unbegründet betrachten, wenn dies so in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.“

8

Art. 36 („Das Konzept des sicheren Herkunftsstaats“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Ein Drittstaat, der nach dieser Richtlinie als sicherer Herkunftsstaat bestimmt wurde, kann nach individueller Prüfung des Antrags nur dann als für einen bestimmten Antragsteller sicherer Herkunftsstaat betrachtet werden, wenn

a)

der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates besitzt oder

b)

der Antragsteller staatenlos ist und zuvor seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem betreffenden Staat hatte

und er keine schwerwiegenden Gründe dafür vorgebracht hat, dass der Staat in seinem speziellen Fall im Hinblick auf die Anerkennung als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie [2011/95] nicht als sicherer Herkunftsstaat zu betrachten ist.

(2)   Die Mitgliedstaaten legen in den nationalen Rechtsvorschriften weitere Regeln und Modalitäten für die Anwendung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats fest.“

9

Art. 37 („Nationale Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten“) der Richtlinie 2013/32 bestimmt:

„(1)   Zum Zwecke der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz können die Mitgliedstaaten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften beibehalten oder erlassen, aufgrund deren sie im Einklang mit Anhang I sichere Herkunftsstaaten bestimmen können.

(2)   Die Mitgliedstaaten überprüfen regelmäßig die Lage in Drittstaaten, die gemäß diesem Artikel als sichere Herkunftsstaaten bestimmt wurden.

(3)   Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Staat als sicherer Herkunftsstaat gemäß diesem Artikel bestimmt werden kann, werden verschiedene Informationsquellen, insbesondere Informationen anderer Mitgliedstaaten, des [Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO)], des [Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR)], des Europarates und anderer einschlägiger internationaler Organisationen herangezogen.

(4)   Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission die Staaten mit, die sie gemäß diesem Artikel als sichere Herkunftsstaaten bestimmt haben.“

10

In Anhang I („Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten im Sinne des Artikels 37 Absatz 1“) der Richtlinie heißt es:

„Ein Staat gilt als sicherer Herkunftsstaat, wenn sich anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass dort generell und durchgängig weder eine Verfolgung im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie [2011/95] noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind.

Bei der entsprechenden Beurteilung wird unter anderem berücksichtigt, inwieweit Schutz vor Verfolgung und Misshandlung geboten wird durch

a)

die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Staates und die Art und Weise ihrer Anwendung;

b)

die Wahrung der Rechte und Freiheiten nach der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und/oder dem [am 16. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen] Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und/oder dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention keine Abweichung zulässig ist;

c)

die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach [dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge];

d)

das Bestehen einer Regelung, die einen wirksamen Rechtsbehelf bei Verletzung dieser Rechte und Freiheiten gewährleistet.“

11

Art. 46 („Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“) der Richtlinie 2013/32 enthält folgende Absätze 5 und 6

„(5)   Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf.

(6)   Im Fall einer Entscheidung,

a)

einen Antrag im Einklang mit Artikel 32 Absatz 2 als offensichtlich unbegründet … zu betrachten …,

ist das Gericht befugt, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist.“

Schwedisches Recht

12

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das schwedische Recht keine Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die sicheren Herkunftsstaaten im Sinne der Richtlinie 2013/32 enthält.

13

Kapitel 8 § 19 des Utlänningslag (Ausländergesetz) (SFS 2005, Nr. 716) sah in seiner bis zum 31. Dezember 2016 anwendbaren Fassung vor, dass das Amt die sofortige Vollstreckung seiner Rückkehrentscheidungen anordnen kann, und zwar auch dann, wenn sie nicht bestandskräftig geworden sind, wenn offensichtlich ist, dass kein Asylgrund vorliegt und ein Aufenthaltstitel auch nicht aus einem anderen Grund bewilligt werden wird.

14

Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge erhielt diese Vorschrift vom 1. Januar 2017 an eine geänderte Fassung, mit der der durch die Richtlinie 2013/32, insbesondere ihren Art. 31 Abs. 8 herbeigeführten Neufassung der Asylverfahren im schwedischen Recht Rechnung getragen werden soll. Das Amt kann somit seit diesem Zeitpunkt die unmittelbare Vollstreckung seiner Rückkehrentscheidungen anordnen, und zwar auch dann, wenn sie nicht bestandskräftig geworden sind, wenn die vom ausländischen Staatsangehörigen gemachten Angaben für die Prüfung des Antrags „nicht von Belang“ oder „nicht zuverlässig“ sind, so dass sein Asylantrag als offensichtlich unbegründet zu betrachten ist und im Übrigen ein Aufenthaltstitel auch offensichtlich nicht aus einem anderen Grund bewilligt werden kann.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

15

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass A, ein serbischer Staatsangehöriger, im März 2017 in Schweden einen Antrag auf Asyl und Aufenthaltsgenehmigung gestellt hat.

16

Zur Stützung seines Antrags machte er geltend, dass er zwischen dem Jahr 2001 und dem Jahr 2003 Drohungen und Gewalt von Seiten einer illegalen paramilitärischen Gruppe ausgesetzt gewesen sei, und dass er diese Gruppe im Jahr 2003 angezeigt habe. Bis 2012 habe er unter dem von den serbischen Behörden und der Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (MINUK) sichergestellten Zeugenschutz gestanden, dieser Schutz habe aber dazu geführt, dass er an verschiedenen Orten in Serbien, u. a. im Gefängnis, untergebracht worden sei. Diese Bedingungen hätten ihn dazu veranlasst, ab dem Jahr 2012 auf seinen Zeugenschutz zu verzichten, und es vorzuziehen, sich – und zwar ungeachtet der Todesdrohungen, die er weiterhin erhalten habe – in seinem Heimatdorf zu verstecken.

17

Das Amt lehnte diesen Antrag ab, da es der Ansicht war, dass dieser offensichtlich unbegründet sei, weil die Republik Serbien – nach den vom Antragsteller selbst bereitgestellten Informationen – in der Lage gewesen sei, ihm wirksamen Schutz zu gewähren, und dass es primär den Behörden des Herkunftsstaats obliege, den Schutz gegen Drohungen wie die, denen er nach seinen Angaben ausgesetzt sei, sicherzustellen.

18

Die Ablehnung wurde mit der Verpflichtung verbunden, das Hoheitsgebiet zu verlassen. Diese wurde, da offensichtlich keine Umstände vorlagen, die es erlaubten, dem Antrag auf Asyl stattzugeben, und A zur Stützung seines Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung kein relevantes Vorbringen erstattet hatte, sofort vollstreckbar.

19

A wandte sich mit einem Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Amtes an das Förvaltningsrätt i Malmö – Migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer-, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden), das die Vollstreckung der Verpflichtung, das Hoheitsgebiet zu verlassen, aussetzte.

20

Dieses Gericht fragt sich, wie Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 auszulegen ist, der es – in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 der genannten Richtlinie – den Mitgliedstaaten erlaubt, bestimmte Anträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen.

21

Unter diesen Umständen hat das Förvaltningsrätt i Malmö – Migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer-, Migrations- und Flüchtlingsfragen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist ein Antrag als offensichtlich unbegründet gemäß Art. 31 Abs. 8 der neugefassten Richtlinie 2013/32 zu betrachten, wenn die darin enthaltenen Angaben des Antragstellers als zuverlässig bewertet und daher der Beurteilung zugrunde gelegt, aber nicht als vollständig angesehen werden, um einen internationalen Schutzbedarf zu begründen, weil die Herkunftslandinformationen nahelegen, dass ein angemessener Schutz durch die Behörden besteht?

Zur Vorlagefrage

22

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 31 Abs. 8 Buchst. b in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er es erlaubt, einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens als offensichtlich unbegründet zu betrachten, in dem aus den Informationen über das Herkunftsland des Antragstellers hervorgeht, dass dieser dort angemessen geschützt werden kann, und dieser Antragsteller keine vollständigen Informationen bereitgestellt hat, um einen internationalen Schutzbedarf zu begründen, wenn der Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, keine Vorschriften zur Umsetzung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats erlassen hat.

23

Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, lehnte das Amt den Antrag von A gemäß dem nationalen Recht zur Umsetzung der Richtlinie 2013/32 mit der doppelten Begründung als offensichtlich unbegründet ab, dass in seinem Herkunftsstaat Serbien ein wirksamer Schutz bestehe, und dass er nicht nachgewiesen habe, dass dieser Staat ihm keinen ausreichenden Schutz gegen die Drohungen, denen er ausgesetzt gewesen sein soll, geboten habe.

24

Damit stützte das Amt seine Entscheidung auf eine Begründung, die der entspricht, die die Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32 für die Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz vorsehen, die von Staatsangehörigen sicherer Herkunftsstaaten gestellt werden.

25

Mit diesen Vorschriften wird eine besondere Prüfungsregelung eingeführt, die auf einer widerlegbaren Vermutung beruht, dass im Herkunftsstaat ein ausreichender Schutz gegeben ist. Diese Vermutung kann vom Antragsteller widerlegt werden, wenn er zwingende Gründe darlegt, die seine besondere Situation betreffen.

26

Liegen keine solchen zwingenden Gründe vor, kann der Antrag gemäß Art. 31 Abs. 8 Buchst. b in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden, wenn die beschriebene Situation – im vorliegenden Fall der Umstand, dass der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt – als solche in den nationalen Rechtsvorschriften definiert wird.

27

Eine der Konsequenzen für den Antragsteller, dessen Antrag auf dieser Grundlage abgelehnt wird, besteht – anders als im Fall einer einfachen Ablehnung – darin, dass ihm, wie sich aus Art. 46 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2013/32 ergibt, nicht gestattet werden kann, bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf im Hoheitsgebiet des Staates zu verbleiben, in dem er den Antrag gestellt hat.

28

In diesem Rahmen ist es Aufgabe jedes Mitgliedstaats, die sicheren Herkunftsstaaten im Sinne dieser Vorschrift nach den in den Art. 36 und 37 sowie in Anhang I der Richtlinie 2013/32 vorgesehenen Modalitäten zu bestimmen. Insbesondere hat der nationale Gesetzgeber eine Liste von Drittstaaten gemäß den in Anhang I festgelegten Kriterien anzunehmen, zusätzliche Durchführungsvorschriften und Durchführungsmodalitäten zu erlassen, der Kommission die Liste von sicheren Herkunftsstaaten zu übermitteln und diese auch regelmäßig zu überprüfen.

29

Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass das Königreich Schweden zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren angefochtenen Entscheidung – zu dem die Frist für die Umsetzung der einschlägigen Vorschriften der Richtlinie 2013/32 abgelaufen gewesen sei – weder Vorschriften wie die in der vorigen Randnummer erwähnten erlassen habe noch vorgesehen habe, dass die Herkunft aus einem sicheren Herkunftsstaat zu einer Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet im Sinne von Art. 32 Abs. 2 dieser Richtlinie führen könne.

30

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Rahmen für die Zuerkennung internationalen Schutzes nach den Erwägungsgründen 11 und 12 sowie nach Art. 1 der Richtlinie 2013/32 auf dem Konzept eines einheitlichen Verfahrens beruht und auf gemeinsame Mindestnormen gestützt ist (vgl. entsprechend Urteil vom 31. Januar 2013, D. und A., C‑175/11, EU:C:2013:45, Rn. 57).

31

Ein Mitgliedstaat kann folglich nicht auf die widerlegliche Vermutung zurückgreifen, die durch die Vorschriften der Richtlinie 2013/32 bezüglich der Verfahren, die auf dem Konzept des sicheren Drittstaats beruhen, eingeführt wurde, ohne diese Vorschriften durch von ihm zu erlassende Rechts- und Verwaltungsvorschriften auch vollständig umgesetzt zu haben.

32

Hinsichtlich der vom vorlegenden Gericht geäußerten Zweifel an der Möglichkeit, einen Antrag auf der Grundlage von Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32 als offensichtlich unbegründet zu betrachten, weil die Angaben des Antragstellers unvollständig seien, ist darauf hinzuweisen, dass durch diese Richtlinie die Richtlinie 2005/85 neu gefasst wurde.

33

Zwar erfasste Art. 23 Abs. 4 Buchst. g der Richtlinie 2005/85 den Fall von „unvollständigen“ Angaben des Antragstellers, doch erwähnt Art. 31 Abs. 8 Buchst. e der Richtlinie 2013/32, der diese Bestimmung ersetzt hat, diesen Fall nicht mehr.

34

Aus dem Wortlaut von Art. 31 Abs. 8 Buchst. e in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 ergibt sich damit, dass ein Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz nicht aufgrund der Unvollständigkeit der Angaben des Antragstellers als offensichtlich unbegründet betrachten kann.

35

Somit ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 31 Abs. 8 Buchst. b in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 dahin auszulegen ist, dass er es nicht erlaubt, einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens als offensichtlich unbegründet zu betrachten, in dem aus den Informationen über das Herkunftsland des Antragstellers hervorgeht, dass dieser dort angemessen geschützt werden kann, und dieser Antragsteller keine vollständigen Informationen bereitgestellt hat, um einen internationalen Schutzbedarf zu begründen, wenn der Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, keine Vorschriften zur Umsetzung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats erlassen hat.

Kosten

36

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 31 Abs. 8 Buchst. b in Verbindung mit Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass er es nicht erlaubt, einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens als offensichtlich unbegründet zu betrachten, in dem aus den Informationen über das Herkunftsland des Antragstellers hervorgeht, dass dieser dort angemessen geschützt werden kann, und dieser Antragsteller keine vollständigen Informationen bereitgestellt hat, um einen internationalen Schutzbedarf zu begründen, wenn der Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, keine Vorschriften zur Umsetzung des Konzepts des sicheren Herkunftsstaats erlassen hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Schwedisch.

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