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Document 52022IE2145

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung der Arbeitskräftemobilität zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung“ (Initiativstellungnahme)

    EESC 2022/02145

    ABl. C 75 vom 28.2.2023, p. 50–55 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    28.2.2023   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 75/50


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbesserung der Arbeitskräftemobilität zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung“

    (Initiativstellungnahme)

    (2023/C 75/08)

    Berichterstatter:

    Philip VON BROCKDORFF

    Beschluss des Plenums

    20.1.2022

    Rechtsgrundlage

    Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

     

    Initiativstellungnahme

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    29.9.2022

    Verabschiedung im Plenum

    26.10.2022

    Plenartagung Nr.

    573

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    101/0/0

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat in mehreren Stellungnahmen auf die Bedeutung der Arbeitskräftemobilität hingewiesen und festgestellt, dass die Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU im Laufe der Jahre zugenommen hat, wenn auch nur mäßig.

    1.2.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass eine eingehendere Untersuchung erforderlich ist, um herauszufinden, warum die Zahl der mobilen EU-Bürger im erwerbsfähigen Alter — abgesehen von den durch die Pandemie verursachten Einschränkungen — prozentual weniger stark zunimmt als in den Vorjahren. Der EWSA ruft außerdem dazu auf, eine Studie zu erstellen, in der die wirtschaftlichen Kosten der derzeitigen Lage auf dem Arbeitsmarkt ermittelt werden.

    1.3.

    Der EWSA empfiehlt wirksamere nationale Maßnahmen, wobei ein Schwerpunkt auf aktiven nationalen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, wie z. B. Lohnergänzungsleistungen für Arbeitnehmer aus der EU und Drittstaaten, liegen sollte.

    1.4.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen Indikatoren in das Europäische Semester aufzunehmen, um nationale Maßnahmen zu überwachen, mit denen die Mobilität der Arbeitskräfte in irgendeiner Weise eingeschränkt wird.

    1.5.

    Zudem ruft er die Europäische Kommission auf, die nachteiligen Entwicklungen in Verbindung mit der Arbeitskräftemobilität zu untersuchen, insbesondere die Abwanderung hoch qualifizierter Kräfte aus bestimmten Branchen und Regionen. Zugleich muss die Bekämpfung der Fachkräfteabwanderung mit Maßnahmen zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Aufwärtskonvergenz einhergehen.

    1.6.

    Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten ferner, ihre einschlägigen Portale weiter zu verbessern, indem Informationen über die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Mindestarbeitsbedingungen eingestellt werden, und auf diese Weise Missbrauch zu verhindern. Der EWSA fordert ferner weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Sprachkenntnisse.

    1.7.

    Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die Mobilität von Personen mit Behinderungen zu erleichtern.

    1.8.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein wichtiger Faktor für die Verbesserung der Arbeitskräftemobilität in der EU ist, wie er auch in seiner diesbezüglichen Stellungnahme (1) dargelegt hat.

    1.9.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Koordinierung der sozialen Sicherheit laufend zu überwachen und gemeinsame Lösungen für neu entstehende Gegebenheiten, wie Telearbeit aus dem Ausland, vorzusehen. Darüber hinaus fordert der EWSA, die Bemühungen um die Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer zu verstärken, da diese die Möglichkeit bietet, Hindernisse beim Zugang zur sozialen Sicherheit in grenzüberschreitenden Situationen zu überwinden.

    1.10.

    Der EWSA stellt fest, dass gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie Aspekte der Lebensqualität wie die Verfügbarkeit guter Schulen und Freizeiteinrichtungen notwendige Voraussetzungen dafür sind, dass sich Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil sichern und qualifizierte Arbeitskräfte anziehen können.

    1.11.

    Der EWSA stellt überdies fest, dass sich die Möglichkeiten für Telearbeit durch die COVID-19-Pandemie deutlich verbessert haben. Immer mehr Arbeitnehmer haben Interesse, für eine kurze Zeit oder vorübergehend Telearbeit aus dem Ausland zu leisten. Der EWSA sieht den künftigen Verhandlungen der Sozialpartner über eine Richtlinie zu dieser Frage mit Interesse entgegen.

    1.12.

    Der EWSA fordert ein EU-weites Netz von Informationsstellen (Onlinedienste, aber auch Anlaufstellen vor Ort sowie Telefonauskünfte), um Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Bearbeitung von Anfragen in Bereichen wie Bank- und Versicherungsdienstleistungen zu unterstützen.

    1.13.

    Der EWSA hebt schließlich hervor, dass die laufenden statistischen Untersuchungen zur Arbeitskräftemobilität wichtig sind, um das Missverhältnis von Qualifikationsangebot und -nachfrage auf den Arbeitsmärkten der EU zu überwinden und die Folgen von Entwicklungen wie dem Krieg in der Ukraine sowie die Auswirkungen der Mobilität von Personen im erwerbstätigen Alter innerhalb und zwischen EU-Mitgliedstaaten abzuschätzen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.

    In einer Zeit großer wirtschaftlicher Unsicherheit, in der die Wirtschaftsprognosen nach unten korrigiert werden und in naher Zukunft mit einer Anhebung der Zinssätze im Euroraum zur Bekämpfung der hohen Inflationsraten zu rechnen ist, könnte die Arbeitskräftemobilität in der EU eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Erholung und die Wachstumsaussichten in der EU spielen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der freie Dienstleistungsverkehr zum Wirtschaftswachstum und zum Zusammenhalt in der Union beitragen und Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Die Wirkung liegt auf der Hand: Durch eine erhöhte Mobilität zur Besetzung freier Stellen verbessert sich die Zuteilung von Arbeitskräfteressourcen, Wirtschaftsleistung und Wohlstand nehmen insbesondere dann zu, wenn faire Arbeitsbedingungen bestehen. Der Arbeitsmarkt der EU beruht auch auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert und in einigen Sekundärrechtsakten präzisiert ist. Insgesamt wird die EU-Wirtschaft von einer stärkeren Arbeitskräftemobilität profitieren. Für einzelne Mitgliedstaaten kann es jedoch sowohl Vorteile als auch Nachteile geben, je nachdem, wie sich die Richtung der Mobilitätsströme langfristig auswirkt. Kurzfristig wäre die Arbeitskräftemobilität vorteilhaft für Entsendeländer, die durch strukturelle Arbeitslosigkeit gekennzeichnet sind. Der Netto-Effekt für aufnehmende Länder würde jedoch u. a. stark von den Arbeitsbedingungen abhängen, die den Arbeitskräften angeboten werden.

    2.2.

    Der EWSA hat in einigen seiner Stellungnahmen auf die Bedeutung der Arbeitskräftemobilität hingewiesen und festgestellt, dass die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der EU im Laufe der Jahre (wenn auch nur mäßig) zugenommen hat und prozentual gesehen immer noch hinter der in den USA zurückbleibt. Laut einer Studie der Generaldirektion Regionalpolitik der Europäischen Kommission liegt der Anteil der US-amerikanischen Bevölkerung, der in einen anderen Staat gezogen ist, bei etwa 2,8 % der Gesamtbevölkerung im erwerbsfähigen Alter, in der EU beläuft sich dieser Anteil hingegen auf etwa 1,2 % (2).

    2.3.

    Der Bevölkerungsstatistik von Eurostat für 2019 zufolge zogen 13 Mio. EU-Bürgerinnen und -Bürger im erwerbsfähigen Alter (20-64) von einem Mitgliedstaat in einen anderen. Die Anzahl der erwerbsfähigen mobilen Personen in der EU ist jedoch prozentual weniger stark gestiegen als in den Vorjahren, und die Pandemie hat nicht zur Erhöhung dieser Zahlen beigetragen.

    2.4.

    In der Arbeitskräfteerhebung der EU für das Jahr 2019 wird eine Zahl von 11,9 Mio. mobilen EU-Bürgern im erwerbsfähigen Alter (definiert als EU-Bürger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem Land ihrer Staatsangehörigkeit aufhalten) genannt, von denen 9,9 Mio. mobile Erwerbspersonen waren (definiert als EU-Bürger, die eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat aufnehmen, ohne eine Arbeitserlaubnis zu benötigen). Dies entspricht 4,2 % der gesamten Arbeitskräfte in den damals 28 Mitgliedstaaten. Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU haben sich die Beschäftigungsmöglichkeiten für EU-Bürgerinnen und -Bürger natürlich verringert, die wichtigsten Zielländer sind nun Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.

    2.5.

    Rumänien und Polen sind die wichtigsten Herkunftsländer mobiler Erwerbspersonen, die wichtigsten Wirtschaftszweige für mobile EU-Bürger sind das verarbeitende Gewerbe sowie der Groß- und Einzelhandel. Andere relativ wichtige Branchen sind Bauwesen und Verkehr, Sozialfürsorge und häusliche Dienstleistungen, Tourismus und Landwirtschaft.

    2.6.

    Die Zahl der Grenzgänger lag in der EU-28 bei 1,5 Mio., auch hier sind die Zahlen durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gesunken; die wichtigsten Wohnsitzstaaten von Grenzgängern sind Frankreich, Deutschland und Polen, wobei es auch erhebliche Ströme zwischen der Slowakei, Ungarn und Österreich gibt. Der EWSA weist darauf hin, dass es für die Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU je nach individueller Situation eine Vielzahl von Gründen gibt, u. a. Lohnunterschiede zwischen dem Aufnahmeland und dem Wohnsitzland des Grenzgängers. Für die Entscheidung, eine Arbeit im Ausland aufzunehmen, kann eine Kombination verschiedener Gründe wie z. B. eine saisonale Beschäftigung in Sektoren wie Landwirtschaft und Tourismus ausschlaggebend sein. Auch die in jüngster Zeit EU-weit sinkende Kaufkraft kann die Mobilität der Arbeitskräfte beeinträchtigen, vor allem dann, wenn sich die steigenden Preise auch auf die Kosten für Mietwohnungen auswirken.

    2.7.

    In den letzten Jahren gab es eine stärkere Mobilität unter hoch qualifizierten mobilen Personen — mehr als ein Drittel der mobilen EU-Bürger fällt in diese Kategorie. Der Anteil der gering qualifizierten mobilen Personen ist dagegen im gleichen Maße gesunken wie die Zahl der hoch qualifizierten mobilen Personen gestiegen ist. Die Mobilität Hochqualifizierter trägt wesentlich zur Weiterentwicklung der wissensbasierten Wirtschaft bei. Die wichtigsten EU-Zielländer für hoch qualifizierte mobile Personen sind Deutschland, Spanien, Frankreich, Belgien und Österreich. Hoch qualifizierte mobile Personen arbeiten am häufigsten als Fachkräfte in Wirtschaft, Lehre, Wissenschaft und Technik, wobei Überqualifizierung weitverbreitet zu sein scheint. Schätzungsweise 55 % der hoch qualifizierten mobilen Personen sind Frauen.

    2.8.

    Den demografischen Prognosen von Eurostat zufolge wird das Durchschnittsalter der EU-Bürgerinnen und -Bürger voraussichtlich steigen. Entscheidend ist auch, dass der Anteil der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter an der Gesamtbevölkerung voraussichtlich abnehmen wird, insbesondere jener der Personen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren. Umgekehrt wird es eine große proportionale Zunahme der älteren Altersgruppe geben. Diese demografischen Entwicklungen werden sich in den kommenden Jahren erheblich auf die mögliche Zahl mobiler EU-Bürger auswirken, da die Wahrscheinlichkeit einer Abwanderung zu Beginn des Berufslebens am größten ist und mit dem Alter abnimmt. Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass bei Personen im Alter von 20 bis 29 Jahren und von 30 bis 39 Jahren eine höhere jährliche Abwanderungsrate verzeichnet wird als bei anderen Altersgruppen.

    2.9.

    Da die Zahl der Personen in jüngeren Altersgruppen auch in den Entsendeländern abnimmt, wird dies voraussichtlich zum Rückgang der Arbeitskräftemobilität in der EU führen. Diese erwartete Abnahme der Mobilitätsströme könnte jedoch durch die Alterung der EU-Bevölkerung und die steigende Nachfrage nach spezialisierten Gesundheits- und Sozialdiensten konterkariert werden, die eine verstärkte Einstellung mobiler Arbeitskräfte erfordert.

    2.10.

    Dies zeigt, dass die Mobilitätsströme innerhalb der EU weiterhin ein Problem darstellen, das die Versorgung einschränkt und zu einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage in den meisten Branchen, insbesondere in der IT-Branche und der High-Tech-Industrie führt. Auch die Pandemie hat nicht zu einer Verbesserung der Lage beigetragen, da die Mobilität in der EU durch Ausgangsbeschränkungen und weitere restriktive Maßnahmen wie Grenzschließungen und Reiseverbote beeinträchtigt wurde. Vor der Pandemie hatte die Arbeitskräftemobilität in ost-westlicher Richtung gegenüber der süd-nördlichen Mobilität überwogen, und diese Tendenz dürfte sich mit dem Zustrom von Flüchtlingen aus der vom Krieg zerstörten Ukraine fortsetzen. Je früher die Mobilität der EU-Bürger auf das Niveau vor der Pandemie zurückkehrt, desto besser. Die Zahl der mobilen Erwerbstätigen ist zwischen 2019 und 2020 um 4 % zurückgegangen (3).

    2.11.

    Die gegenseitige Anerkennung von Diplomen und Befähigungsnachweisen ist für die Besetzung freier Stellen in Bereichen mit anhaltendem Arbeitskräftemangel und zur Erleichterung der Mobilität von entscheidender Bedeutung. Das System der Anerkennung muss jedoch ausgebaut werden, um reibungslos zu funktionieren und die Arbeitskräftemobilität zu unterstützen. Das Problem stellt sich hauptsächlich bei der gegenseitigen Anerkennung beruflicher Qualifikationen und weniger auf akademischer oder fachlicher Ebene. Daher ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass es einen unterschiedlichen Ansatz bei der gegenseitigen Anerkennung von akademischen und beruflichen Qualifikationen gibt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die EU gemäß Artikel 166 AEUV die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Inhalt und die Gestaltung der beruflichen Bildung strikt beachten und gleichzeitig die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützen und ergänzen muss.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass eine eingehendere Untersuchung erforderlich ist, um herauszufinden, warum die Zahl der mobilen EU-Bürger im erwerbsfähigen Alter — abgesehen von den durch die Pandemie verursachten Einschränkungen — prozentual weniger stark zunimmt als in den Vorjahren. Der EWSA fordert ferner, eine Studie durchzuführen, um festzustellen, welche wirtschaftlichen Kosten der derzeitige Zustand des Arbeitsmarkts, der durch eine Fragmentierung zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist, verursacht, d. h. die Kosten eines nicht-einheitlichen EU-Arbeitsmarkts zu ermitteln.

    3.2.

    Der EWSA empfiehlt wirksamere nationale Maßnahmen wie z. B. Mobilitätsanreize einschließlich zirkulärer Mobilität (durch Investitionen in den Herkunftsländern im Rahmen von Programmen zum Austausch und zum Voneinanderlernen), wobei der Schwerpunkt auf aktiven nationalen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, wie z. B. Lohnergänzungsleistungen für Arbeitnehmer aus der EU und Drittstaaten, liegen sollte. Diesbezüglich vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Mobilität zusätzlich gefördert werden könnte, indem Arbeitsuchenden finanzielle Unterstützung angeboten wird, wie die Übernahme der Kosten eines Umzugs, um eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat oder einer anderen Region aufzunehmen. Darüber hinaus bedarf es weiterer Anstrengungen, um bessere Informationen über Arbeitsplätze in anderen EU-Ländern sowie Angebote zur logistischen Unterstützung bei Umzügen in andere Länder — etwa bei der Suche nach einer Unterkunft, einer Schule für die Kinder oder einer Beschäftigung für den/die Partner(in) oder bei der Registrierung für steuerliche Zwecke — bereitzustellen. Der EWSA empfiehlt, KI-Instrumente in einem gemeinsamen EU-weiten Netz zu nutzen, mit dem alle Stellenangebote in den EU-Mitgliedstaaten zentral erfasst werden, um Profile und Stellenanforderungen besser aufeinander abzustimmen. In gleicher Weise sollten gezieltere Anreize geschaffen werden, um arbeitslose Arbeitnehmer zu ermutigen, in Mitgliedstaaten mit einer niedrigen Arbeitslosenquote zu ziehen. Das Fehlen von Fachkräften ist eines der dringlichsten Probleme für europäische Unternehmen, wie dies im SAFE-Bericht (Umfrage über den Zugang von Unternehmen zu Finanzmitteln) der EZB vom 1. Juni 2022 festgestellt wurde.

    3.3.

    Der EWSA bedauert, dass der Arbeitsmarkt der EU weiterhin zersplittert ist. Die Arbeitskräftemobilität hat unter der bisher verfolgten fragmentarischen Herangehensweise gelitten. Folglich gilt es, eine weitere nicht abgestimmte Vorgehensweise, insbesondere auf nationaler Ebene, zu vermeiden. Da die Gleichbehandlung von ortsansässigen und mobilen Arbeitnehmern sichergestellt sein muss, fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen Indikatoren in das Europäische Semester aufzunehmen, um nationale politische Maßnahmen zu überwachen, mit denen die Mobilität der Arbeitskräfte in irgendeiner Weise eingeschränkt wird.

    3.4.

    Die Mobilität von Arbeitnehmern und Fachkräften in der EU kann nur dann erhöht werden, wenn die bestehenden Bestimmungen besser durchgesetzt und der Informationszugang sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass der Europäischen Kommission in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle zukommt. Der EWSA stellt fest, dass sich einige Mitgliedstaaten gegen weitere Binnenmarktreformen aussprechen könnten, da sie befürchten, dass diese auf kurze Sicht möglicherweise zu Arbeitsplatzverlusten führen. Dies gilt insbesondere für Länder, die sich bereits im Rückstand befinden, sowie für Länder und Wirtschaftszweige mit einer geringen Produktivität. Theoretisch wäre die Arbeitnehmerfreizügigkeit einer Lösung für dieses Problem zuträglich. Aus nationaler Sicht könnte dies jedoch vorübergehend zu einem Verlust an Ressourcen und einer potenziellen Abwanderung von Fachkräften führen. Möglicherweise muss die Europäische Kommission die nachteiligen Entwicklungen in Verbindung mit der Arbeitskräftemobilität untersuchen, insbesondere die Abwanderung hochqualifizierter Kräfte aus bestimmten Bereichen und Regionen. Zugleich muss die Bekämpfung der Fachkräfteabwanderung mit Maßnahmen zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Aufwärtskonvergenz einhergehen. Der EWSA stellt fest, dass dabei eine Reihe von Variablen eine Rolle spielen könnten, darunter die voraussichtliche Bevölkerungsentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Größe und Zusammensetzung der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter in den entsendenden und aufnehmenden Ländern.

    3.5.

    Bildungs- und Validierungsstandards müssen jederzeit eingehalten werden. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten daher auf, Bürokratie abzubauen und das Grundprinzip der Gleichbehandlung zu wahren. In diesem Zusammenhang werden weitere Verbesserungen bei den Anerkennungsverfahren und den Portalen zur beruflichen Mobilität als notwendig erachtet. Der EWSA nimmt die umfangreichen Verbesserungen beim EURES-Portal zur beruflichen Mobilität, bei der Online-Plattform Europass und beim System der europäischen Klassifizierung für Fähigkeiten/Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe (ESCO) zur Kenntnis und fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre einschlägigen Portale durch die Aufnahme der im nationalen Recht vorgesehenen Mindestarbeitsbedingungen weiter zu verbessern. Letzteres gilt als besonders wichtig, um Verstöße gegen die Arbeitsbedingungen für mobile Arbeitnehmer in Grenzregionen und für Arbeitnehmer aus Drittstaaten zu verhindern. Der EWSA fordert weitere Anstrengungen zur Verbesserung von Sprachkenntnissen, da ein Fehlen dieser Kenntnisse die Freizügigkeit in der EU erheblich behindert.

    3.6.

    Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die Mobilität von Personen mit Behinderungen zu erleichtern. Wichtig sind hierbei die Annahme einer gemeinsamen europäischen Definition des Behindertenstatus in Übereinstimmung mit dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, und die gegenseitige Anerkennung des Behindertenstatus unter den Mitgliedstaaten.

    3.7.

    Wie bereits in seiner Stellungnahme SOC/731 dargelegt, ist der EWSA der Auffassung, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein wichtiger Faktor für die Verbesserung der Arbeitskräftemobilität in der EU ist. Sie sollte Teil umfassenderer Bemühungen sein, die Standards der Demokratie und der Gleichheit für alle einzuhalten und so die Mobilität der Arbeitskräfte zu erhöhen.

    3.8.

    Der EWSA empfiehlt, dass die aufnehmenden Mitgliedstaaten Personen, die im Aufnahmestaat arbeiten, zu Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit Ausbildungsmaßnahmen, wie beispielsweise Sprachprogramme, und zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls Umschulungen anbieten, um dem Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen entgegenzuwirken und den digitalen Wandel und Maßnahmen für eine klimaneutrale Wirtschaft zu unterstützen.

    3.9.

    Der EWSA stellt ferner fest, dass durch Erasmus+ die Arbeitskräftemobilität in der EU verbessert werden könnte, und verweist auf eine im Jahr 2011 (4) durchgeführte Studie, in der untersucht wird, wie sich ein Studium im Ausland auf die Arbeitsmarktmobilität im späteren Leben auswirkt; dabei wird die Teilnahme an Erasmus als unabhängige Ursache für Schwankungen bezüglich eines Auslandsstudium herangezogen. In der Studie wird festgestellt, dass sich durch ein Auslandsstudium die Wahrscheinlichkeit, nach dem Erwerb einer akademischen Qualifikation im Ausland zu arbeiten, deutlich erhöht. Bei Hochschulabsolventen, die im Ausland studiert haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach ihrem Abschluss im Ausland arbeiten, um 15 Prozentpunkte höher.

    3.10.

    Der EWSA begrüßt die verbesserte Koordinierung der sozialen Sicherheit in der EU, stellt jedoch mit Besorgnis fest, dass für mobile Arbeitnehmer, und insbesondere grenzüberschreitend erwerbstätige Personen und Grenzgänger, weiterhin Probleme beim Zugang zu Sozialschutzsystemen bestehen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, die Koordinierung der sozialen Sicherheit laufend zu überwachen und gemeinsame Lösungen für neu entstehende Gegebenheiten, wie Telearbeit aus dem Ausland, vorzusehen. Die Wichtigkeit eines abgestimmten Vorgehens auf Ebene der Union kann nicht genug betont werden. Die Mitgliedstaaten müssen die sozialen Rechte mobiler Arbeitnehmer zu jedem Zeitpunkt, auch in Krisensituationen, sicherstellen. Der EWSA räumt zwar ein, dass es in der EU Unterschiede bei den Rentensystemen gibt, fordert jedoch auch verstärkte Anstrengungen zur besseren Koordinierung und Durchsetzung der Rentenansprüche mobiler Arbeitnehmer in der EU, etwa durch gezielte länderspezifische Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters. Darüber hinaus fordert der EWSA, die Bemühungen um die Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer zu verstärken, da diese die Möglichkeit bietet, Hindernisse beim Zugang zur sozialen Sicherheit in grenzüberschreitenden Situationen zu überwinden.

    3.10.1.

    Es sei darauf hingewiesen, dass das europaweite private Altersvorsorgeprodukt (PEPP) (5) für Selbstständige und mobile Arbeitnehmer, die während ihres gesamten Arbeitslebens in verschiedenen Ländern tätig sind, besonders attraktiv sein dürfte. Die Möglichkeit, den Anbieter von PEPP grenzüberschreitend zu wechseln, wird zweifellos zur Arbeitskräftemobilität beitragen, auch wenn nicht klar ist, in welchem Ausmaß dies geschehen wird, da noch keine PEPP verfügbar sind.

    3.10.2.

    Das PEPP-Konzept wurde bei seiner Einführung vom EWSA als entscheidender Schritt zur Ermutigung der EU-Bürger begrüßt, angemessene Vorkehrungen für ihren Ruhestand zu treffen, und als wesentlichen Baustein der Kapitalmarktunion. Da jedoch noch keine PEPP angeboten werden, hält der EWSA es für notwendig, im Rahmen des Aktionsplans für die Kapitalmarktunion (6) im Zusammenhang mit Maßnahme 9 zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um die Teilnahme an betrieblichen Altersversorgungssystemen zu fördern.

    3.11.

    Der EWSA stellt fest, dass sich die Möglichkeiten für Telearbeit durch die COVID-19-Pandemie deutlich verbessert haben (7). Immer mehr Arbeitnehmer haben Interesse, für eine kurze Zeit oder vorübergehend Telearbeit aus dem Ausland zu leisten. Der EWSA sieht den anstehenden Verhandlungen der Sozialpartner über die Überarbeitung und Aktualisierung der autonomen Vereinbarung zur Telearbeit aus dem Jahr 2002 erwartungsvoll entgegen, die in Form einer rechtsverbindlichen, mittels einer Richtlinie umzusetzenden Vereinbarung zur Annahme vorgelegt werden soll.

    3.12.

    Der EWSA stellt fest, dass gute Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie Aspekte der Lebensqualität wie die Verfügbarkeit guter Schulen sowie hochwertiger und nachhaltiger Einrichtungen notwendige Voraussetzungen dafür sind, dass sich Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil sichern und qualifizierte Arbeitskräfte anziehen können. Der EWSA betont zudem, wie wichtig laufende Investitionen in formale und informelle Ausbildung und lebenslanges Lernen sind, um den Übergang zu einer digitalen und CO2-freien Wirtschaft zu unterstützen. In einem dynamischen und sich rasch wandelnden Umfeld ist es von entscheidender Bedeutung, sich schnell und effizient an die sich wandelnden Bedürfnisse des Arbeitsmarktes anzupassen, wobei auch den Auswirkungen des Arbeitskräftemangels auf die vorhandenen Arbeitskräfte Rechnung getragen werden muss. Bedeutsam ist hier die Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner über die Digitalisierung, in der es heißt, dass sich beide Seiten zu Weiterqualifizierung und Umschulung verpflichten, um den digitalen Herausforderungen von Unternehmen gerecht zu werden.

    3.13.

    Der EWSA hebt die Notwendigkeit der Digitalisierung von Verfahren für die Arbeitskräftemobilität und die Entsendung von Arbeitnehmern hervor, um den Informationsaustausch zwischen nationalen Behörden zu verbessern und unverhältnismäßige Hindernisse zu beseitigen. Dies wird dazu beitragen, die Bestimmungen zu überwachen und korrekt durchzusetzen. Der EWSA befürwortet den in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Mai 2021„Auswirkungen der EU-Vorschriften auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr: Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU als Instrument zur Abstimmung von Anforderungen und Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt“ (2020/2007(INI)) (8) vorgelegten Vorschlag, eine zentrale, sowohl digital als auch physisch bei der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) anzusiedelnde Informationsstelle zu geltenden Unionsvorschriften für Arbeitnehmer und künftige Arbeitgeber einzurichten. Gemäß Artikel 5 der ELA-Verordnung verbessert die ELA die Verfügbarkeit, Qualität und Zugänglichkeit von Informationen über die Arbeitskräftemobilität, unter anderem mittels einer zentralen unionsweiten Website, die als einheitliches Zugangstor zu Informationsquellen und Dienstleistungen auf Unionsebene und nationaler Ebene in allen Amtssprachen der Union dient. Ferner sollte die ELA die Mitgliedstaaten bei der Aktualisierung ihrer nationalen Websites unterstützen.

    3.14.

    Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten daher auf, öffentliche Dienstleistungen, insbesondere die einschlägigen Dienstleistungen der sozialen Sicherheit, zu digitalisieren, um die Mobilität der europäischen Arbeitskräfte in der EU zu erleichtern und gleichzeitig die Übertragbarkeit von Rechten und die Einhaltung von Verpflichtungen im Hinblick auf die Mobilität von Arbeitnehmern und Fachkräften sicherzustellen.

    3.15.

    Der EWSA fordert darüber hinaus ein EU-weites Netz von Informationsstellen (Onlinedienste, aber auch Anlaufstellen vor Ort sowie Telefonauskünfte), um Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Bearbeitung von Anfragen in Bereichen wie Bank- und Versicherungsdienstleistungen zu unterstützen.

    3.16.

    Der EWSA hebt hervor, dass die laufenden statistischen Untersuchungen zur Arbeitskräftemobilität wichtig sind, um das Missverhältnis von Qualifikationsangebot und -nachfrage auf den Arbeitsmärkten der EU zu überwinden und die Folgen von Entwicklungen wie dem Krieg in der Ukraine sowie die Auswirkungen der Mobilität von Personen im erwerbstätigen Alter innerhalb und zwischen EU-Mitgliedstaaten abzuschätzen. Der EWSA erkennt an, dass eine Anpassung von Angebot und Nachfrage auf europäischer Ebene deutlich schwieriger als auf nationaler oder regionaler Ebene ist. Dennoch ist er der Ansicht, dass die EURES-Berater bei der sachkundigen Unterstützung mobiler Arbeitnehmer eine entscheidende Rolle spielen.

    3.17.

    Wichtig sind zudem Forschungsarbeiten zur Mobilität von Arbeitnehmern aus Drittstaaten und deren Arbeitsbedingungen. Der EWSA ist besorgt über das Bestehen prekärer Arbeitsbedingungen für Drittstaatsangehörige in Mitgliedstaaten und fordert eine stärkere Durchsetzung der Bestimmungen. Er stellt ferner fest, dass die Arbeitskräftemobilität aus EU-Mitgliedstaaten nicht ausreichen wird, um den Fachkräftemangel zu decken. Die Arbeitsmigration aus Drittstaaten muss ebenfalls erleichtert und verbessert werden. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA das jüngste Paket zur Migrationspolitik, bekräftigt jedoch seine Auffassung, dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden müssen, um arbeitslosen Unionsbürgerinnen und -bürgern den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

    Brüssel, den 26. Oktober 2022

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 63.

    (2)  https://epc2010.princeton.edu/papers/100976

    (3)  Jahresbericht 2021 zur Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU.

    (4)  Parey, Waldinger: Studying Abroad and the Effect on International Labour Market Mobility: Evidence from the Introduction of Erasmus, 2011.

    (5)  EWSA-Stellungnahme „Europaweites privates Altersvorsorgeprodukt“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 139).

    (6)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema Eine Kapitalmarktunion für die Menschen und Unternehmen — neuer Aktionsplan (ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 20).

    (7)  ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 13, ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 106.

    (8)  ABl. C 15 vom 12.1.2022, S. 137.


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