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Document 32022Y0317(03)

    Warnung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken vom 2. Dezember 2021 zu mittelfristigen Anfälligkeiten des Wohnimmobiliensektors Bulgariens (ESRB/2021/12) 2022/C 122/03

    ABl. C 122 vom 17.3.2022, p. 15–17 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    17.3.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 122/15


    WARNUNG DES EUROPÄISCHEN AUSSCHUSSES FÜR SYSTEMRISIKEN

    vom 2. Dezember 2021

    zu mittelfristigen Anfälligkeiten des Wohnimmobiliensektors Bulgariens

    (ESRB/2021/12)

    (2022/C 122/03)

    DER VERWALTUNGSRAT DES EUROPÄISCHEN AUSSCHUSSES FÜR SYSTEMRISIKEN —

    gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

    gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (1), insbesondere auf Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe c sowie Artikel 16 und 18,

    gestützt auf den Beschluss ESRB/2011/1 des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken vom 20. Januar 2011 zur Verabschiedung der Geschäftsordnung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (2), insbesondere auf Artikel 18,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1)

    Wohneigentum ist ein Schlüsselsektor der Realwirtschaft und stellt einen Großteil des Vermögens von Privathaushalten und der Kreditvergabe durch Banken dar. Wohnimmobilien machen einen Großteil der Anlagenbestände von Privathaushalten aus; zudem setzt sich die Bilanz von Banken häufig im Wesentlichen aus Wohneigentumskrediten zusammen. Darüber hinaus ist der Wohnungsbau als Beschäftigungs-, Investitions- und Wachstumsquelle in der Regel eine wichtige Komponente der Realwirtschaft.

    (2)

    Die Finanzkrisen der Vergangenheit und die Erfahrungen in vielen Ländern haben gezeigt, dass Entwicklungen der Immobilienmärkte, die nicht nachhaltig sind, in jedem Land schwerwiegende Folgen für die Stabilität des Finanzsystems und die Wirtschaft insgesamt nach sich ziehen können, was auch negative grenzüberschreitende Ansteckungseffekte zur Folge haben kann. Hieraus können sich sowohl unmittelbare als auch mittelbare Auswirkungen auf die Finanzstabilität ergeben. Unmittelbare Auswirkungen sind Kreditverluste in Immobilienkreditportfolios, die aus nachteiligen wirtschaftlichen oder finanziellen Bedingungen und damit einhergehenden negativen Entwicklungen auf dem Wohnimmobilienmarkt resultieren. Mittelbare Auswirkungen stehen mit Konsumänderungen bei Privathaushalten in Verbindung, was weitere Folgen für die Realwirtschaft und die Finanzstabilität nach sich ziehen könnte.

    (3)

    Immobilienmärkte sind anfällig für zyklische Entwicklungen. Eine übermäßige Risikobereitschaft und Verschuldung sowie schlecht ausgerichtete Anreize während der Aufschwungphase des Immobilienzyklus können schwerwiegende negative Folgen für die Finanzstabilität und die Realwirtschaft nach sich ziehen. Angesichts der Bedeutung von Wohnimmobilien für die finanzielle und makroökonomische Stabilität ist es besonders wichtig zu versuchen, eine Anhäufung von Anfälligkeiten auf den Wohnimmobilienmärkten durch den Einsatz makroprudenzieller Maßnahmen, die bereits als Mittel zur Minderung von Systemrisiken dienen, zu verhindern.

    (4)

    Neben den zyklischen Faktoren, die bei der Verschärfung der auf den Immobilienmärkten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) festgestellten Anfälligkeiten eine bedeutende Rolle spielen, haben auch strukturelle Faktoren zu einer Verstärkung dieser Anfälligkeiten geführt. Zu den strukturellen Faktoren können Wohnraummangel, der für Aufwärtsdruck auf die Wohnimmobilienpreise und die Verschuldung von Haushalten, die Eigenheime erwerben, gesorgt hat, und auch staatliche Maßnahmen zählen, die unter Umständen Haushalten einen Anreiz für eine übermäßige Verschuldung geben. Da die Auswirkungen dieser Faktoren über makroprudenzielle Maßnahmen hinausgehen, können Maßnahmen aus anderen Politikbereichen die aktuellen makroprudenziellen Maßnahmen zur effizienten und wirksamen Beseitigung der auf den Wohnimmobilienmärkten vorherrschenden Anfälligkeiten in den einzelnen Ländern ergänzen und unterstützen, ohne übermäßig hohe Kosten für die Realwirtschaft und das Finanzsystem zu verursachen.

    (5)

    Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 und die damit verbundene Krise haben nicht zu einem zyklischen Abschwung auf den Wohnimmobilienmärkten geführt. Vielmehr haben sich der reale Anstieg der Wohnimmobilienpreise und das reale Kreditwachstum nach einer Phase stetiger Zuwächse vor dem Hintergrund des Niedrigzinsumfelds in mehreren Ländern weiter beschleunigt und die Einkommenszuwächse der privaten Haushalte weitgehend übertroffen. Um die Auswirkungen der Pandemie und die daraus resultierende wirtschaftliche Unsicherheit abzufedern, wurden verschiedene politische und sonstige Maßnahmen wie Schuldenmoratorien und öffentliche Garantien umgesetzt. Vor diesem allgemeinen politischen Hintergrund wurden zuvor geplante makroprudenzielle Maßnahmen in einigen Ländern vorübergehend gelockert oder ihre Einführung wurde verschoben. Die derzeit beobachtete Verbesserung der Wirtschaftslage ermöglicht eine Anpassung der makroprudenziellen Maßnahmen in den Ländern, in denen sich die Anfälligkeiten im Zusammenhang mit dem Wohnimmobiliensektor weiter verschärft haben.

    (6)

    Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) hat kürzlich eine EWR-weite systematische und vorausschauende Bewertung von Anfälligkeiten in Zusammenhang mit dem Wohnimmobiliensektor abgeschlossen.

    (7)

    Im Hinblick auf Bulgarien hat diese jüngste Bewertung Folgendes gezeigt:

    a.

    Die Wohnimmobilienpreise sind in Bulgarien in den letzten zwei Jahren real moderat gestiegen – bis Mitte 2020 belief sich der jährliche Anstieg auf etwa 3,5 %. Seitdem hat sich der reale Anstieg der Wohnimmobilienpreise auf etwa 7 % Mitte 2021 beschleunigt, was unter anderem auf Basiseffekte des geringeren Anstiegs der Wohnimmobilienpreise im ersten Halbjahr 2020 zurückzuführen war. Schätzungen der bulgarischen Nationalbank zufolge waren die Wohnimmobilienpreise Ende 2020 leicht überbewertet.

    b.

    Zugleich hat sich das reale jährliche Wachstum der an Privathaushalte für Wohnimmobilienkäufe vergebenen Kredite in den vergangenen Jahren in Bulgarien deutlich beschleunigt und erreichte im August 2021 eine Zuwachsrate von 13 %.

    c.

    Nach Angaben der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde belief sich der Anteil der notleidenden Kredite (non-performing loans – NPL) im Wohnimmobiliensektor Bulgariens im zweiten Quartal 2021 auf 5,3 % (3). Zugleich stellt die hohe NPL-Deckungsquote (48,1 % gegenüber 25,7 % auf Unionsebene) einen wichtigen mildernden Faktor dar.

    d.

    Vor diesem Hintergrund war die Verschuldung der Privathaushalte in Bulgarien relativ gering, nahm jedoch während der COVID-19-Pandemie etwas zu. Darüber hinaus ist der Anteil der Wohnimmobilieneigentümer mit Immobilienkrediten sehr klein. Infolgedessen ist der Bestand an Immobilienkrediten in Bulgarien relativ gering und entsprach im Jahr 2020 insgesamt (d. h. einschließlich der durch Gewerbeimmobilien besicherten Unternehmenskredite) 27 % des BIP gegenüber 52 % auf Unionsebene. Jedoch handelt es sich bei dem Großteil der Kredite um variabel verzinsliche Kredite, sodass die Privathaushalte anfällig für erhebliche Zinsänderungen sind.

    e.

    Zugleich verfügen die in Bulgarien tätigen Banken über relativ hohe Eigenmittel, wobei die Kernkapitalquote im Dezember 2020 bei 24 % lag. Wenn die Anfälligkeiten im Zusammenhang mit dem Wohnimmobilienmarkt weiter zunehmen, wäre somit die hohe Absorptionsfähigkeit des Bankensektors ein mildernder Faktor für die mögliche Anhäufung von Risiken für die Finanzstabilität. Eine weitere Besonderheit des Bankensektors ist die vorrangige Verwendung des Standardansatzes für Kreditrisikopositionen, wodurch die potenziellen Risiken in Verbindung mit Wohnimmobilien gemindert werden. Der Anteil der risikogewichteten Aktiva an der Gesamtsumme der Aktiva liegt weiterhin bei über 50 %. Dementsprechend beläuft sich das effektive Risikogewicht der Banken, die den Standardansatz für Wohnimmobilienkredite an Privathaushalte verwenden, auf 48 %, während das effektive Risikogewicht der Banken, die interne Beurteilungen heranziehen, bei 25 % liegt.

    f.

    Trotz des begrenzten Anteils der Immobilienkredite an den Bankenportfolios und der derzeit geringen Verschuldung der Privathaushalte könnten die günstigen Bedingungen für die Finanzierung durch Immobilienkredite im Vergleich zu den Mitgliedstaaten der Union insgesamt mittelfristig ein Risiko für die Entwicklung einer Spirale von Wohnimmobilienpreisen und Immobilienkrediten darstellen. Einerseits bedeuten steigende Wohnimmobilienpreise, dass der Wert der Sicherheiten für Immobilienkredite steigt und infolgedessen die Kreditnehmer mehr Fremdkapital aufnehmen können. Andererseits geht ein Anstieg der Wohnimmobilienpreise in der Regel mit positiven makroökonomischen Entwicklungen einher, was zu einer Lockerung der von den Kreditgebern herangezogenen Kreditvergabestandards führen kann. Zugleich kann ein steigendes Angebot von Immobilienkrediten unter Umständen einen zusätzlichen Aufwärtsdruck auf die Wohnimmobilienpreise ausüben. Mittelfristig könnte eine solche Spirale zu einer kreditgetriebenen Preisblase auf den Wohnimmobilienmärkten und einer übermäßigen Verschuldung der Privathaushalte führen.

    g.

    Der ESRB erkennt an, dass in Bulgarien mehrere Maßnahmen ergriffen wurden, durch welche die derzeitigen Anfälligkeiten des Wohnimmobiliensektors verringert werden. Insbesondere ist der positive antizyklische Kapitalpuffer (countercyclical capital buffer – CCyB) ein geeignetes Instrument, um die Anfälligkeiten im Zusammenhang mit dem rasanten Kreditwachstum zu beseitigen, das in allen Sektoren weithin zu beobachten ist, und die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors zu stärken. Im September 2021 wurde entschieden, den antizyklischen Kapitalpuffer mit Wirkung vom 1. Oktober 2022 von 0,5 % auf 1 % anzuheben. Der ESRB stellt weiter fest, dass in Bulgarien im Jahr 2019 ein Rechtsrahmen für kreditnehmerbasierte Maßnahmen geschaffen wurde und im Einklang mit Artikel 124 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) bei Banken, die den Standardansatz verwenden, eine Untergrenze für die Risikogewichtung von Immobilienkrediten mit relativ höheren Beleihungsquoten zur Anwendung kommt. Einem Teil der durch Grundpfandrechte auf Wohnimmobilien besicherten Risikopositionen, der 70 % des Besicherungswerts nicht übersteigt, wird ein Risikogewicht von 35 % zugewiesen.

    h.

    Mit Blick auf die künftige Entwicklung und unter Berücksichtigung des mittelfristigen Risikoausblicks wird der aktuelle makroprudenzielle Policy-Mix zum Teil als angemessen und zum Teil als ausreichend erachtet. Neben den kapitalbasierten Maßnahmen, die gegenwärtig zur Anwendung kommen, sollten auch kreditnehmerbasierte Maßnahmen eingeführt werden, um der möglichen Entstehung einer Spirale von Wohnimmobilienpreisen und Immobilienkrediten vorsorglich entgegenzuwirken.

    (8)

    Bei der Einführung von Maßnahmen zur Beseitigung der festgestellten Anfälligkeiten sollte im Rahmen von deren Kalibrierung und schrittweisen Umsetzung berücksichtigt werden, in welcher Phase des Wirtschafts- und Finanzzyklus sich Bulgarien befindet und welche möglichen Folgen sich im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten und Vorteile ergeben —

    HAT FOLGENDE WARNUNG AUSGEGEBEN:

    Der ESRB hat gewisse mittelfristige Anfälligkeiten im Wohnimmobiliensektor Bulgariens als eine Ursache für Systemrisiken für die Finanzstabilität festgestellt, die mögliche schwerwiegende negative Folgen für die Realwirtschaft nach sich ziehen könnten. Hauptanfälligkeiten aus makroprudenzieller Sicht sind nach Auffassung des ESRB das hohe Wachstum der Immobilienkredite, die Anzeichen einer Überbewertung der Wohnimmobilienpreise und das Fehlen kreditnehmerbasierter Maßnahmen, die die Entstehung von Risiken im Zusammenhang mit dem Wohnimmobiliensektor abfedern könnten.

    Geschehen zu Frankfurt am Main am 2. Dezember 2021.

    Leiter des ESRB-Sekretariats,

    im Auftrag des Verwaltungsrats des ESRB,

    Francesco MAZZAFERRO


    (1)  ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 1.

    (2)  ABl. C 58 vom 24.2.2011, S. 4.

    (3)  Risk Dashboard der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde, abrufbar unter: https://www.eba.europa.eu/risk-analysis-and-data/risk-dashboard

    (4)  Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1).


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