Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52021AE2488

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (COM(2020) 746 final) (ergänzende Stellungnahme)

    ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 158–163 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    4.3.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 105/158


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets

    (COM(2020) 746 final)

    (ergänzende Stellungnahme)

    (2022/C 105/28)

    Berichterstatterin:

    Kristi SÕBER

    Beschluss des Plenums

    26.4.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 32 Absatz 1 der Geschäftsordnung und Artikel 29 Buchstabe a der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

    Annahme in der Fachgruppe

    5.10.2021

    Verabschiedung im Plenum

    20.10.2021

    Plenartagung Nr.

    564

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    166/2/1

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist sich der Tatsache bewusst, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Ihre wirtschaftlichen Auswirkungen werden noch auf Jahre zu spüren sein und einen spezifischen, breiten Politikansatz zur Soforthilfe erfordern. Der EWSA begrüßt die jüngste Prognose der Europäischen Kommission, wonach sich die Volkswirtschaften der EU und des Euroraums ab 2021 zunehmend beleben werden (was erste Daten bestätigen), insbesondere dank der wiederanziehenden Investitionstätigkeit, die durch die Nutzung von NextGenerationEU (NGEU) und insbesondere die Aufbau- und Resilienzfazilität, stark unterstützt wird.

    1.2.

    Gleichzeitig stellt der EWSA fest, dass sich die EU in der schwierigsten Phase der wirtschaftlichen Integration Europas befindet, was sich sowohl im privaten Verbrauch und den Investitionen, als auch im Außenhandel niederschlägt. Diese kritische Lage kann nur durch Ausgaben der öffentlichen Hand entschärft werden.

    1.3.

    In dieser besonderen und einzigartigen Situation musste ein Paket neuartiger wirtschaftspolitischer Soforthilfemaßnahmen zur Bewältigung der Krise geschnürt werden. Der EWSA begrüßt die rasche Reaktion der EU und der Mitgliedstaaten sowie die Tatsache, dass der grüne und digitale Wandel zu einem zentralen Bestandteil der Aufbaubemühungen und der dafür angelegten Strategie geworden ist.

    1.4.

    Insbesondere in der ersten Jahreshälfte 2020 trugen die Investitionsinitiativen zur Bewältigung der Coronavirus-Krise vor allem durch die Stabilisierung der Märkte, der Arbeitsplätze und der persönlichen Einkommen dazu bei, die sehr schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu mildern. Auf diesen ersten Schritt folgte NGEU als robuster und überaus innovativer fiskalpolitischer Beitrag zur unmittelbaren Bewältigung der Pandemiefolgen. Der EWSA begrüßt beide Initiativen ausdrücklich als eine schnelle und flexible Antwort auf die Pandemie.

    1.5.

    Der EWSA ist sich der heterogenen Positionen und der unterschiedlichen Auswirkungen der Pandemie bewusst, die die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten vergrößert haben. Der EWSA fordert, den aufgetretenen Divergenzen im Euroraum Rechnung zu tragen. Er plädiert für eine umsichtige Reaktion auf die deutlich schlechtere Haushaltslage. Der EWSA begrüßt die Flexibilität innerhalb eines gemeinsamen Rahmens für maßgeschneiderte einzelstaatliche wirtschaftspolitische Maßnahmen und Konjunkturprogramme. Dies kommt den spezifischen Bedürfnissen der Mitgliedstaaten entgegen. Diese Flexibilität wird auch für die Umsetzung der Aufbau- und Resilienzprogramme empfohlen.

    1.6.

    Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit eines neuen Gleichgewichts zwischen Geld- und Fiskalpolitik. Es gilt, die festgestellten makroökonomischen Ungleichgewichte in der kommenden Planungsperiode zu beseitigen. Der EWSA ist sich des signifikanten Anstiegs der Schuldenstandsquoten im letzten Jahr bewusst. Nachdem sich die wirtschaftliche Erholung durchgesetzt hat, müssen bei der Senkung der Schuldenquote soziale Ungerechtigkeiten und übermäßige negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vermieden werden.

    1.7.

    Der EWSA geht auch davon aus, dass die Erholung nach der COVID-19-Krise mit umfassenden strukturpolitischen Maßnahmen (1) einhergehen wird, die im Wesentlichen im Einklang mit dem Grünen Deal der EU stehen werden. In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA dafür aus, den Erholungsprozess mit der Haushaltskonsolidierung und der umweltgerechten Haushaltsplanung zu verbinden.

    1.8.

    Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass sich die Lehren aus der Pandemie in den allgemeinen Bemühungen widerspiegeln sollten, langfristig zu einer wirtschaftlich wirksamen, sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Entwicklung der EU und des Euro-Währungsgebiets beizutragen.

    1.9.

    Der EWSA begrüßt, dass sich die Banken und der Finanzsektor in einer guten Verfassung befinden. Dadurch hat sich die schwierige Lage leichter überwinden lassen, im Gegensatz zur vorausgegangenen Krise in den Jahren 2009-2011, in der die Banken und der Finanzsektor ein Auslöser der anschließenden Rezession waren.

    1.10.

    Der EWSA fordert, die Integrität des Binnenmarkts zu wahren und ihn vor jedweder Fragmentierung zu schützen, denn er ist das Fundament, das die künftige positive Entwicklung der Volkswirtschaften der EU und des Euroraums tragen wird. Diese Integrität sollte durch geeignete Fortschritte beim Aufbau der Banken- und Kapitalmarktunion weiter konsolidiert werden.

    1.11.

    Der EWSA geht auch davon aus, dass einige wichtige Lehren aus der vorherigen Krise gezogen und nun zur Sicherung der makroökonomischen Stabilität herangezogen werden. Er fordert die zuständigen EU-Organe auf, die wirtschaftspolitische Steuerung der EU zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die kontinuierlichen Reformbemühungen den Lehren aus der Pandemie Rechnung tragen.

    2.   Hintergrund und Kontext

    Aktuelle makroökonomische Entwicklung und Aussichten

    2.1.

    Trotz des jähen und tiefen Wirtschaftseinbruchs infolge der Pandemie ging das BIP 2020 letztendlich doch weniger dramatisch zurück als ursprünglich befürchtet. Der Rückgang war größer als in der letzten Wirtschaftskrise (2020 schrumpfte die Wirtschaft des Euroraums im Vergleich zum Vorjahr um 6,5 %, verglichen mit 4,5 % im Jahr 2009. Die Wirtschaft in der EU schrumpfte 2020 verglichen mit dem Vorjahr um 6,0 %, gegenüber 4,3 % im Jahr 2009. Sowohl für die EU als auch für die Volkswirtschaften im Euroraum wird 2021 ein Wachstum von 4,8 % prognostiziert). Wir durchlaufen eine außergewöhnliche wirtschaftliche Situation, die durch die schlechteste Wirtschaftsleistung Europas seit dem Zweiten Weltkrieg gekennzeichnet ist.

    2.2.

    Im Jahr 2020 gingen sowohl der private Verbrauch als auch die privaten Investitionen erheblich zurück (beide jeweils um 7,4 % gegenüber dem Vorjahr), und auch der Außenhandel wurde stark beeinträchtigt. Nur die Staatsausgaben stiegen 2020 im Vergleich zum Vorjahr leicht an (1,3 %). Die Sofortmaßnahmen haben bisher die massiven Arbeitsplatz- und Einkommensverluste verhindern können, zu denen es infolge der Krise von 2008 gekommen war. Angesichts des erheblichen Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit ist allerdings festzustellen, dass auch die Produktivität gelitten hat.

    2.3.

    Das Jahr 2021 gilt gemeinhin als Jahr der Erholung (vor allem dank der Investitionen, die laut Prognose der Europäischen Kommission um bis zu 6,2 % zulegen werden). Aufgrund der Pandemiefolgen und der Verhaltensänderungen der Wirtschaftsakteure dominiert aber nach wie vor die Unsicherheit.

    Soforthilfe durch ein Paket wirtschaftspolitischer Notfallmaßnahmen

    2.4.

    Pandemiebedingt musste erneut ein Paket wirtschaftspolitischer Notfallmaßnahmen aufgelegt werden, um mit sofortiger Wirkung, aber auch mittelfristig auf den Schock reagieren zu können. Das Hauptziel der Maßnahmen besteht darin, den wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie zu begegnen, sie zu bewältigen und abzuschwächen und Europa auf dem Pfad der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit zu halten.

    2.5.

    Ein weiterer Kernbestandteil der mittel- und längerfristigen Reaktion auf die Pandemie sowie der Aufbau-, Wiederaufbau- und Resilienzbemühungen (3R-Strategie) ist der doppelte Übergang (grüner und digitaler Wandel), dessen Schwerpunkt auf sozialen Aspekten, der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und den Grundwerten der EU liegt. Darüber hinaus fordert der EWSA stärkere Anstrengungen gegen die Ungleichheit und zur Bewältigung der Krisenfolgen, insbesondere für die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen.

    Geldpolitik

    2.6.

    Die EZB setzt ihre stark expansive Politik als gezielte Reaktion auf die Pandemie fort. Unlängst kündigte die EZB an, zwar am Kurs der günstigen Finanzierungsbedingungen festzuhalten, allerdings bei gegenüber den beiden Vorquartalen etwas verlangsamten Nettoankäufen von Vermögenswerten über das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP).

    Haushaltspolitischer Kurs und Haushaltskonsolidierung

    2.7.

    Die Investitionsinitiativen zur Bewältigung der Coronavirus-Krise (CRII und CRII+), mit denen kohäsionspolitische Mittel umgelenkt und umgeschichtet wurden, trugen erheblich dazu bei, die negativen Folgen zu kompensieren und auszugleichen, die Märkte zu stabilisieren sowie Arbeitsplätze und persönliche Einkommen zu schützen.

    2.8.

    Das innovativste Instrument, das in direkter Reaktion auf die COVID-19-Pandemie konzipiert und entwickelt wurde und derzeit umgesetzt wird, ist zweifellos das NGEU-Programm. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die negativen Auswirkungen der Pandemie abzumildern.

    2.9.

    Der sehr expansive finanzpolitische Kurs infolge des NGEU wurde dadurch unterstützt, dass die allgemeine Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts ausnahmsweise und vorübergehend aktiviert wurde.

    2.10.

    Zusammen mit den einzelstaatlichen Maßnahmen war das finanzpolitische Engagement jedoch kostspielig und hat zu einer Verschlechterung der haushaltspolitischen Indikatoren geführt.

    2.11.

    Bei der Reduzierung der Schuldenquote müssen soziale Ungerechtigkeiten und übermäßige negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt vermieden werden. Für die Verbesserung der finanzpolitischen Indikatoren ist eine integrative und nachhaltige Wachstumsstrategie entscheidend.

    Strukturelle und regulatorische Maßnahmen

    2.12.

    Die COVID-19-Pandemie hat schwere strukturelle Mängel in der Funktionsweise der europäischen Volkswirtschaften und Gesellschaften offenbart. Eine der Lehren aus der COVID-19-Pandemie ist demnach, dass wir uns nicht nur in einem neuen Normalzustand einrichten müssen, sondern auch Maßnahmen umzusetzen sind, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft widerstandsfähiger (also weniger fragil und anfällig) machen. Dazu gehören nicht nur Meilensteine für einen sozial gerechten doppelten Übergang, effizientere und stärker vernetzte Gesundheitssysteme sowie die Versorgung mit medizinischen Dienstleistungen in ganz Europa, sondern auch die Verteidigung eines wettbewerbsfähigeren Euroraums innerhalb und außerhalb Europas, einschließlich strategischer Investitionen zur Unterstützung der europäischen Industrie und zur Stärkung der Position der EU auf der Weltbühne.

    2.13.

    In der ersten Phase der Pandemie wurde der Binnenmarkt stark beeinträchtigt. Das ging so weit, dass traditionelle Handelsströme zwischen und sogar innerhalb der EU-Mitgliedstaaten aufgrund der strengen Maßnahmen unterbrochen wurden. Die Situation wurde durch das Eingreifen der Europäischen Kommission gelöst, die grüne Korridore eingerichtet hat.

    Finanzintermediation

    2.14.

    Dank der neuen Verordnungen und Vorschriften, die nach der letzten Krise angenommen wurden, hat sich der Banken- und Finanzsektor der EU und des Euroraums nun als robust und widerstandsfähig erwiesen. Heute steht die Branche in Bezug auf ihre Kapitalausstattung und die Gesundheit ihrer Portfolios besser da. Risiken könnte es aber im Zusammenhang mit der Solvenz ihrer Kunden geben, die zu mehr notleidenden Krediten führen könnte.

    Steuerung

    2.15.

    Die derzeitige Krise hat uns daran erinnert, dass der Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung der EU lückenhaft ist. Mit der Aufbau- und Resilienzfazilität hat sich der Charakter des Europäischen Semesters grundlegend gewandelt. Da die Auszahlungen nunmehr an die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen geknüpft sind, sind diese Empfehlungen politisch verbindlicher geworden. Die Zivilgesellschaft sollte stärker in das Europäische Semester einbezogen werden. Das Partnerschaftsprinzip, das in der Kohäsionspolitik lange Tradition hat, sollte als Vorbild für ein wirksames Instrument zur Einbeziehung der Zivilgesellschaft dienen.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1.

    Wie sich die Erholung gestalten wird, hängt nach Auffassung des EWSA stark von der Intensität der Pandemie und vom Erfolg der Impfkampagnen sowie von strukturellen Aspekten (z. B. der Leistung der am stärksten oder vollständig betroffenen Branchen wie etwa Tourismus, Gastgewerbe, Verkehr, Kultur und Freizeit und ihrem Gewicht in der Wirtschaft) ab. Die potenzielle Flexibilität der Fiskalpolitik, die Spielraum für Ausgleichsmaßnahmen gewähren muss, sowie die Wirksamkeit der Maßnahmen sind auch von zentraler Bedeutung.

    3.2.

    Der EWSA bedauert, dass die wirtschaftliche Schockwelle, die von der Pandemie ausgelöst wurde, die Ungleichheit der Volkswirtschaften im Euroraum in puncto Wirtschaftsleistung, Fiskalindikatoren, Inflation und Zahlungsbilanz noch weiter vergrößert hat. Dies könnte die wirtschaftliche und soziale Situation sowie die Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Volkswirtschaften und des Euro-Währungsraums insgesamt stark beeinflussen und zu internen und externen Ungleichgewichten führen.

    3.3.

    Der EWSA begrüßt die allumfassende und flexible Reaktion der wichtigsten wirtschaftspolitischen Akteure der EU auf die Pandemie — der Europäischen Zentralbank (mit Ankaufprogrammen und Leitzinsen), des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM — mit seinen makroökonomischen Stabilitätshilfeinstrumenten) und der Kommission (mit ihrer sehr innovativen NGEU-Initiative, ergänzt durch Notfallmaßnahmen wie CRII(+), SURE, die Flexibilität bei den Haushalts- und Beihilfevorschriften und den Vorschriften für den Finanzsektor sowie andere außergewöhnliche Maßnahmen, die den Mitgliedstaaten die erforderliche Flexibilität zur Krisenbewältigung verliehen haben).

    3.4.

    Nach Auffassung des EWSA hängt viel davon ab, dass die wirtschaftspolitischen Sofortmaßnahmen ihre Wirkung entfalten. Im Wesentlichen soll ein allgemeiner, koordinierter Ausgleich zwischen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen hergestellt werden. Über die entsprechenden Reformen (u. a. Maßnahmen für saubere Energie, Digitalisierung, Innovation und Kreislaufwirtschaft) muss eine nachhaltige Erholung unterstützt werden. Die Auswirkungen von NGEU und dessen Wechselwirkung mit anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind wichtig, insbesondere in Ländern, die umfangreiche Mittel erhalten.

    3.5.

    Der EWSA begrüßt, dass das Sofortmaßnahmenpaket auch einige Grenzen enthält, um mittel- und längerfristig negative Auswirkungen auf die Preisstabilität und die Indikatoren für die Haushaltsdisziplin infolge der derzeit expansiven Maßnahmen zu vermeiden. Insbesondere die künftige Entwicklung der öffentlichen Finanzen ist mit hohen Risiken behaftet. Diesbezüglich fordert der EWSA eine faire und nachhaltige Steuerpolitik, in deren Rahmen unter anderem der Steuerbetrug und die aggressive Steuerplanung zurückgedrängt werden müssen.

    3.6.

    Der EWSA erwartet vom NGEU nicht nur, dass es den Volkswirtschaften des Euroraums und der EU die Rückkehr zum Vor-Pandemie-Niveau ermöglicht, sondern verbindet mit ihm auch die Hoffnung auf wichtige strukturelle Maßnahmen. Vor allem soll es einen grünen und digitalen Wandel geben, bei dem die Beschäftigung und soziale Erwägungen gebührend berücksichtigt werden. In Bezug auf das NGEU stellt der EWSA anerkennend fest, dass es der EU gelungen ist, in kürzester Zeit einen derart weitreichenden Schritt zu unternehmen. Allerdings mahnt er auch an, bei etwaigen Schwachpunkten nachzubessern, etwa bei der unzureichenden Konsultation der Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne.

    3.7.

    Der EWSA sieht in SURE ein weiteres innovatives Instrument, das als direkte Reaktion auf die Pandemie konzipiert und umgesetzt wurde und die Regierungen in ihren Bemühungen um den Schutz von Arbeitsplätzen und persönlichen Einkommen unterstützen soll.

    3.8.

    Der EWSA empfiehlt, bei künftigen Haushaltskonsolidierungen eine umweltfreundliche Haushaltsplanung und eine Unterstützung für öffentliche grüne Investitionen vorzusehen (2), um zum Grünen Deal der EU und zu einem solideren Haushalt in der EU beizutragen. Der EWSA ist sich der erheblichen negativen Auswirkungen der derzeitigen Krise auf die öffentlichen Finanzen im vollen Umfang bewusst.

    3.9.

    Der EWSA rät zwar von einer vorzeitigen Rücknahme der allgemeinen Ausweichklausel ab (3), doch muss der Blick vor allem auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gerichtet werden, sobald sich das eindeutige Ende der Pandemie abzeichnet und die Erholung gut in Gang gekommen ist. Dann sollten die finanzpolitischen Maßnahmen und Instrumente neu ausgerichtet werden, um mittel- und längerfristig zu einer umsichtigen Haushaltspolitik zu gelangen. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission beschlossen hat, im Herbst 2021 die Überprüfung des europäischen Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung wiederaufzunehmen. Die Haushaltsregeln sollten erst nach ihrer Überarbeitung vollständig angewandt werden. Anstelle einer „Rückkehr“ empfiehlt der EWSA daher eine „Wende“ hin zu einem überarbeiteten wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmen (4). Für den EWSA ist klar, dass jeder künftige finanzpolitische Rahmen mittels der Einführung einer goldenen Regel für öffentliche Investitionen investitionsfreundlich sein muss, allerdings ohne die mittelfristige Haushalts- und Finanzstabilität zu gefährden; er muss das Wachstum fördern und die Mitgliedstaaten befähigen, in Zeiten eines Konjunkturabschwungs eine antizyklische Politik zu verfolgen.

    3.10.

    Der EWSA spricht sich dafür aus, die Systeme der öffentlichen Einnahmen zu reformieren, sodass sie effizienter und gerechter werden. Der Faktor Arbeit und die produktiven Investitionen sollten weniger besteuert werden, die Umweltbelastung hingegen stärker; externe Effekte sollten ebenfalls stärker eingepreist werden. Außerdem müsste mittels einer wirkungsvolleren und verbesserten Anreizstruktur etwas gegen die Steuervermeidung unternommen werden.

    3.11.

    Der EWSA stellt mit Zufriedenheit fest, dass die Banken und die Finanzbranche in der EU und im Euroraum im Vergleich zur vorangegangenen Krise viel besser aufgestellt, weniger krisenanfällig und viel robuster sind. Gleichzeitig warnt der EWSA davor, dass einige Solvenzrisiken, die sich aus Einnahmeverlusten der Kunden der Branche ergeben könnten, unterschätzt werden. Sie könnten zu mehr faulen Krediten in den Bankbilanzen führen. Der EWSA begrüßt, dass sich die Banken im Euroraum als stabil erwiesen haben und bislang nicht wesentlich von der Krise betroffen sind.

    3.12.

    Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts auch bedeutet, dass die Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebiets und der EU insgesamt widerstandsfähiger und effizienter werden. Der Ausschuss hält es zudem für besonders wichtig, den Binnenmarkt zu vollenden, um Verkrustungen im Wirtschaftsgefüge aufzubrechen und dessen Schwachstellen auszubessern.

    3.13.

    Der EWSA begrüßt die spezifischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die im vergangenen Jahr als unmittelbare Reaktion auf die Pandemie aufgeboten und zur Anpassung an die sich wandelnde Situation kontinuierlich nachjustiert wurden. Der EWSA hält die Maßnahmen der EU zur Abwendung etwaiger negativer Langzeitfolgen für die Wirtschaftsleistung des Euro-Raums, die EU und die Arbeitsmärkte der EU für wirksam. Sie könnten helfen, die Vertiefung der wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zu verhindern. Gleichzeitig ist es von entscheidender Bedeutung, diese erheblichen Ungleichgewichte anzugehen, um die großen makroökonomischen Risiken, einschließlich der Risiken zunehmender Ungleichheiten, wirksam abzudecken.

    3.14.

    Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass funktionierende Gesundheits-, Sozialschutz- und Notfallsysteme für eine dauerhaft tragfähige wirtschaftliche Entwicklung entscheidend sind. Die Pandemie hat diese Verbindung offenbart und verstärkt, was sich folglich auch in der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte widerspiegeln sollte.

    3.15.

    Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden. Dazu gehören auch die Anpassung des Europäischen Semesters an das NextGenerationEU-Programm, die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion sowie die Überarbeitung des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung. Es sollte geprüft werden, ob die Ausgestaltung von NextGenerationEU auch ein Beispiel dafür sein könnte, wie in Zukunft gemeinsame EU-Finanzmittel mobilisiert und genutzt werden könnten.

    3.16.

    Der EWSA weist darauf hin, dass das wichtigste Maßnahmenpaket zur Bewältigung der negativen Auswirkungen der Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 geschnürt wurde, also kurz bevor die gravierendsten Auswirkungen der Pandemie in den meisten Mitgliedstaaten spürbar wurden. Daher könnte eine Bewertung der Relevanz und Angemessenheit der ergriffenen Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Nur durch Planung können wir antizipieren — mit ihrer Hilfe kann kontinuierlich auf die neue Realität infolge der Pandemie reagiert werden, die längst noch nicht überwunden ist und gerade deshalb den ständigen Vorausblick erfordert.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1.

    Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgelegten sieben Leitinitiativen, die als Richtschnur für die praktische Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität in den einzelnen Mitgliedstaaten dienen sollen. Es ist sehr wichtig, dass diese Initiativen mit den Herausforderungen und Prioritäten in Einklang stehen, die in der Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets für die Erholung nach der COVID-19-Krise ermittelt wurden.

    4.2.

    Der EWSA erkennt die große unterstützende Wirkung an, die der paneuropäische Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank beim Schutz und der Förderung des Unternehmenssektors im Euro-Währungsgebiet und in der EU insgesamt entfaltet hat.

    4.3.

    Im Hinblick auf die wirtschaftliche Erholung schlägt der EWSA vor, den Schwerpunkt auf Wirtschaftswachstum und soziale Gerechtigkeit zu legen, denn dadurch werden höhere Einkommen und ein höheres BIP möglich. Ein tragfähiger finanzpolitischer Kurs zur Verringerung der Belastung künftiger Generationen und zur Begrenzung des mit höheren Zinssätzen oder einer geringeren Produktion verbundenen Risikos erfordert eine dynamische Belebung der Wirtschaft durch: a) Stärkung der öffentlichen Investitionen und b) Reformen, die den Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft erleichtern.

    4.4.

    Der EWSA geht auch davon aus, dass einige wichtige Schlüsse aus der vorangegangenen Krise gezogen und zur Unterstützung der makroökonomischen Stabilität genutzt wurden. Er ist der festen Überzeugung, dass die kontinuierlichen Reformbemühungen den Lehren aus der Pandemie Rechnung tragen sollten. Der Schwerpunkt sollte dabei auf der Verringerung des Verwaltungsaufwands für Unternehmen dank der Digitalisierung der Behörden, der KMU und der Unternehmen im Allgemeinen sowie der elektronischen Identifizierung und einer effizienteren Justiz liegen.

    Brüssel, den 20. Oktober 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  Die EZB lieferte in ihrer Veröffentlichungsreihe „ECB Occasional Paper Series“ in der Ausgabe vom [22.] Juni 2018 Structural Policies in the Euro-area“ eine Definition der strukturellen Wirtschaftpolitik. Darunter versteht sie wirtschaftspolitische Maßnahmen für die Arbeits-, Produkt- und Finanzmärkte zur Verbesserung der institutionellen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Dahinter steht das Ziel, die Voraussetzungen für ein langfristiges Wachstum zu verbessern und erwünschte Verteilungseffekte zu gewährleisten.

    (2)  Diskussionspapier, Elva Bova (2021): „Green Budgeting Practices in the EU: A First Review“.

    (3)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 227.

    (4)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 227 und Initiativstellungnahme des EWSA Neugestaltung des haushaltspolitischen Rahmens der EU für einen nachhaltigen Aufschwung und einen gerechten Übergang (ECO/553). Siehe Seite 10 dieses Amtsblatts.


    Top