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Document 52021AE4342

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG hinsichtlich der Mitteilung über die im Rahmen eines globalen marktbasierten Mechanismus zu leistende Kompensation durch Luftfahrzeugbetreiber mit Sitz in der Union (COM(2021) 567 final — 2021/0204 (COD))

    EESC 2021/04342

    ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 140–142 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    4.3.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 105/140


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG hinsichtlich der Mitteilung über die im Rahmen eines globalen marktbasierten Mechanismus zu leistende Kompensation durch Luftfahrzeugbetreiber mit Sitz in der Union

    (COM(2021) 567 final — 2021/0204 (COD))

    (2022/C 105/21)

    Berichterstatter:

    Thomas KROPP

    Befassung

    Rat der Europäischen Union, 14.9.2021

    Europäisches Parlament, 13.9.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 192 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    7.10.2021

    Verabschiedung im Plenum

    20.10.2021

    Plenartagung Nr.

    564

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    238/0/5

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stellt fest, dass die CO2-Emissionen der Luftfahrt im Jahr 2020 wegen der COVID-19-Pandemie um 64 % im Vergleich zu 2019 zurückgegangen sind (1). Nach einer Prognose der Europäischen Organisation für Flugsicherung (Eurocontrol), die dem Vorschlag der Kommission zugrunde liegt, dürfte das Verkehrsaufkommen frühestens 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen (2).

    1.2.

    Der Rat der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) der Vereinten Nationen beschloss im Juli 2020, dass die Emissionen des Jahres 2019 als Referenzwert für die Berechnung der Kompensation (3) durch Luftfahrzeugbetreiber für die Jahre 2021-2022 herangezogen werden sollten.

    1.3.

    Die Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (4) soll dahingehend geändert werden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, im Jahr 2022 Kompensationen für 2021 zu melden, wie in internationalen Regelungen vorgesehen, auch wenn der Emissionsanstieg 2021 im Vergleich zu 2019 vernachlässigbar, wenn nicht sogar gleich null sein dürfte.

    1.4.

    Der EWSA unterstützt deshalb den Vorschlag der Kommission (5) zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG in Bezug auf die Mitteilung der Kompensation im Jahr 2021. Die Änderung sollte unverzüglich angenommen werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. (6)

    1.5.

    Der EWSA empfiehlt, eine Verlängerung der geänderten Referenzwerte zu erwägen, bis die durchschnittlichen Passagierzahlen wieder auf dem Niveau von 2019 liegen, zumindest für 2022 und 2023, denn dies sind die Jahre, in denen sich nach jetzigem Ermessen der Markt erholen dürfte. Andernfalls wären Luftfahrzeugbetreiber verpflichtet, ihre Emissionen auszugleichen, obwohl sie weniger fliegen und weniger Emissionen als im Referenzjahr verursachen.

    1.6.

    Das System zur Verrechnung und Reduzierung von Kohlenstoffdioxid für die internationale Luftfahrt (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation, CORSIA) ist Teil eines Maßnahmenpakets zur Minderung der Umweltauswirkungen des Luftverkehrs. Der EWSA fordert die Kommission auf, zu prüfen, inwieweit alle für den Luftverkehr relevanten Legislativvorschläge des im Rahmen des Grünen Deals vorgelegten Pakets „Fit für 55“ ineinandergreifen, um ihre kumulativen finanziellen Auswirkungen beurteilen zu können, und die entsprechenden Verfahren aufeinander abzustimmen.

    1.7.

    2016 einigten sich die ICAO-Mitgliedstaaten (einschließlich der EU-Mitgliedstaaten) auf die Einführung des CORSIA-Systems als Klimaschutzinstrument in der internationalen Luftfahrt. Der EWSA begrüßt globale Maßnahmen für globale Wirtschaftssektoren. Er fordert die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten deshalb auf, das CORSIA-System weiterhin uneingeschränkt zu unterstützen und mitzutragen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.

    2016 verabschiedete die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) CORSIA, um die Frage der CO2-Emissionen des Luftverkehrs anzugehen. Die Normen und Verfahren zur Umsetzung dieser Regelung wurden als Anhang zum Abkommen von Chicago angenommen, das alle ICAO-Mitgliedstaaten seit Januar 2019 anwenden müssen.

    2.2.

    Ein Kompensationssystem verringert nicht die Emissionen der Branche. Die Fluggesellschaften können jedoch den Anstieg der Luftverkehrsemissionen durch Maßnahmen in anderen Sektoren kompensieren, sodass die Menge der CO2-Emissionen netto gleich bleibt. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass die an anderer Stelle bewirkte Emissionsverringerung dauerhaft ist und keine ungewollten Emissionssteigerungen auslöst.

    2.3.

    Die Bedeutung des CORSIA-Systems kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn es ist ein international auf Ebene der Vereinten Nationen vereinbarter Mechanismus. Alle ICAO-Unterzeichnerstaaten müssen dafür sorgen, dass ihre Luftfahrtunternehmen ihre Emissionen jährlich melden; für internationale Flüge begann die Überwachung am 1. Januar 2019. Die Fluggesellschaften sind demzufolge verpflichtet, Datenbanken für den auf jedem Flug verwendeten Kraftstoff einzurichten, anhand derer die CO2-Emissionen nach einer von mehreren zugelassenen Messmethoden für den Kraftstoffverbrauch berechnet werden können. Die ICAO-Mitgliedstaaten haben jedoch vereinbart, das CORSIA-System in unterschiedlichen Stufen umzusetzen; von 2021 bis 2026 werden nur Flüge zwischen Staaten, die sich freiwillig zur Teilnahme an dieser ersten Phase bereiterklärt haben, kompensiert (7). Ab 2027 werden alle internationalen Flüge unter die Regelung fallen, mit der sehr geringfügigen Ausnahme einiger Entwicklungsländer. Inlandsflüge gehören in den Zuständigkeitsbereich einer anderen VN-Einrichtung, nämlich des UNFCCC (8), und fallen unter das Übereinkommen von Paris.

    2.4.

    Aufgrund der beispiellosen COVID-19-Krise und des drastischen Rückgangs des Verkehrsaufkommens und somit der CO2-Emissionen im Jahr 2020 und der darauf folgenden langwierigen Erholung ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich ein Kompensationsbedarf für die Jahre 2021-2023 ergibt. Dies könnte zur Unsicherheit darüber führen, ob die Meldepflichten weiterhin sinnvoll sind. Mit dem vorliegenden Vorschlag werden die EU-Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtet, den in der EU ansässigen Luftfahrtunternehmen bis zum 30. November 2022 die Kompensationszahlen für die Emissionen des Jahres 2021 mitzuteilen, selbst wenn diese Null betragen. Dies würde sowohl für die Luftfahrtunternehmen der EU als auch für die Mitgliedstaaten Rechtssicherheit schaffen.

    2.5.

    Es wird davon ausgegangen, dass das CORSIA-System zwischen 2021 und 2035 eine Minderung von etwa 2,5 Mrd. Tonnen CO2 bewirken wird, was einem Jahresdurchschnitt von 165 Mio. Tonnen CO2 entspricht (9). Da CORSIA aber die Emissionen des Luftverkehrs nicht verringert, ändert es eigentlich nichts am tatsächlichen CO2-Niveau der Luftfahrt. CORSIA muss deshalb im Verbund mit anderen Instrumenten gesehen werden, die tatsächlich eine Wirkung auf die Höhe der CO2-Emissionen dieses Wirtschaftssektors haben (10). Diesem Ziel dienen drei weitere Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Fit-für-55-Paket (11): die Einführung einer Kerosinsteuer nur auf EU-Ebene, die Einführung einer Beimischungsverpflichtung für nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuels, SAF) (12) und Änderungen am EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS).

    2.6.

    Zwar richten sich sowohl das CORSIA-System als auch das EHS auf CO2 -Emissionen, doch ist ihre Wirkungsweise unterschiedlich. Das EU-EHS dient der Verringerung der zulässigen Gesamtemissionen, indem es Fluggesellschaften verpflichtet, Zertifikate für ihre jeweiligen eigenen Emissionen zu erwerben. Das CORSIA-System verpflichtet die Fluggesellschaften hingegen, Gutschriften als Ausgleich für das kollektive Emissionswachstum ihrer Branche zu erwerben, sodass für jede vom Luftverkehr emittierte Tonne Kohlendioxid Emissionen in einem anderen Sektor vermieden oder verringert werden. Das EHS gilt für den Luftverkehr innerhalb der EU. Dies schließt allerdings Fluggäste ein, die lediglich einen Zubringerflug von einem EU-Flughafen zu einem EU-Drehkreuz nehmen, um zu einem internationalen Zielort weiterzufliegen; in solchen Fällen würden die CO2-Emissionen aller Teile ihrer Reisestrecke, die über einen EU-Flughafen gehen, bepreist werden. Diese Fluggäste könnten dasselbe Fernziel auch über ein nahe bei der EU gelegenes Drehkreuz anfliegen, z. B. über London, Istanbul, Dubai, Doha oder Moskau, dann würden die CO2-Emissionen aus dem Langstreckenflug, der von einem Drehkreuz außerhalb der EU abgeht, jedoch nicht vom EU-EHS erfasst werden. Mit solchen Fällen einer Verlagerung der CO2-Emissionen („carbon leakage“) wird man sich befassen müssen.

    2.7.

    Der Vorschlag „ReFuelEU Aviation“ könnte ebenfalls zu Wettbewerbsverzerrungen führen, weil die Verwendung eines Flugkraftstoffs mit SAF-Beimischung (nur) an allen EU-Flughäfen, nicht aber an Drehkreuzen außerhalb der EU obligatorisch wäre. Nachhaltige Flugkraftstoffe verursachen zwar geringere CO2-Emissionen, sind aber deutlich teurer in der Herstellung als herkömmlicher Flugkraftstoff. Ohne eine öffentliche Finanzierung nachhaltiger Flugkraftstoffe würden die Mehrkosten für die SAF letztlich an die Passagiere weitergegeben werden. Dadurch würden internationale Flüge von einem EU-Drehkreuz für sie teurer als der Flug zu demselben Zielort von einem Drehkreuz außerhalb der EU. Derartig signifikante Verzerrungen des internationalen Wettbewerbs sollten vermieden werden, denn letztlich gefährden sie die politisch, wirtschaftlich und vor allem ökologisch wünschenswerte Verringerung der CO2-Emissionen.

    2.8.

    Die Besteuerung von Kerosin hätte nur einen Markteffekt, wenn sie die Erzeugung nachhaltiger Flugkraftstoffe stimuliert; das ist aber nicht unbedingt der Fall.

    2.9.

    Der EWSA empfiehlt der Kommission, einen umfassenden Überblick über alle marktbasierten Maßnahmen und ihre beabsichtigte Wirkung auf den Luftverkehrsmarkt zu erstellen.

    Brüssel, den 20. Oktober 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  https://ec.europa.eu/clima/news/emissions-trading-greenhouse-gas-emissions-reduced-2020_de.

    (2)  https://www.eurocontrol.int/publication/eurocontrol-five-year-forecast-2020-2024.

    (3)  Bei der Kompensation schafft ein Unternehmen oder ein Einzelner einen Ausgleich für seine Emissionen durch die Finanzierung von emissionsmindernden Maßnahmen an anderer Stelle. Auf Märkten, auf denen eine Kompensation vorgeschrieben ist, werden zertifizierte Emissionsreduktionsgutschriften für Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen von Projekten zur Emissionsverringerung vergeben. Diese Gutschriften können zwischen Unternehmen und staatlichen Stellen gehandelt werden, um internationalen Übereinkommen nachzukommen, in denen die CO2-Menge, die von einer Einrichtung oder Organisation emittiert werden darf, begrenzt wird.

    (4)  Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates (ABl. L 275 vom 25.10.2003, S. 32).

    (5)  Gegenstand dieser Stellungnahme: COM(2021) 567 final — 2021/0204 (COD).

    (6)  Der EWSA folgt der Begründung in Erwägungsgrund 9 des Vorschlags COM(2021) 567 final — 2021/0204 (COD).

    (7)  Ab 2021 gilt die Regelung in mindestens 88 Staaten, die 77 % des internationalen Luftverkehrs ausmachen, einschließlich aller EU-Mitgliedstaaten.

    (8)  United Nations Framework Convention on Climate Change (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen). Das Kyoto-Protokoll, das 1997 unterzeichnet wurde und von 2005 bis 2020 galt, war die erste Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen des UNFCCC. Das Kyoto-Protokoll wurde durch das Übereinkommen von Paris ersetzt, das 2016 in Kraft trat. Das VN-Klimaübereinkommen wurde von 197 Staaten unterzeichnet; die Fortschritte bei der Umsetzung seiner Beschlüsse werden von der Konferenz der Vertragsparteien (COP) überwacht, die jährlich zusammentritt.

    (9)  Informationsblatt der IATA zu CORSIA, 12. Mai 2019.

    (10)  Wie die Aufnahme der Luftfahrt in das EU-EHS (Richtlinie 2003/87/EG) und der Vorschlag „RefuelEU Aviation“ (COM(2021) 561 final — 2021/0205 (COD)).

    (11)  Das von der Kommission geschnürte Paket „Fit für 55“ umfasst mehrere zusammenhängende Legislativvorschläge, die die Europäische Union in die Lage versetzen würden, das Ziel einer 55 %igen Netto-Verringerung der Treibhausgasemissionen Europas, auf das sich der Rat der EU 2020 geeinigt hatte und das im Europäischen Klimagesetz festgeschrieben ist, zu erreichen. Die Vorschläge dieses Pakets haben auch Folgen für den europäischen Verkehrs- und Tourismussektor. Ohne wirksame Anreize würden die Vorschläge nicht zu einer nachhaltigen Tourismus- und Verkehrspolitik der EU führen. Im Gegenteil: Die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten zu erheblichen Kostensteigerungen für EU-Unternehmen (sowohl große als auch kleine) führen, ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Verkehrs- und Tourismusunternehmen mit Sitz in Drittländern an den EU-Grenzen beeinträchtigen und somit Arbeitsplätze in der EU in diesen Branchen gefährden. In hohem Maße vom Tourismus abhängige EU-Regionen wären davon besonders stark betroffen. Ein zukunftsorientierter, nachhaltiger Ansatz, wie von der Kommission vorgeschlagen, muss ergänzende Maßnahmen umfassen, die jedoch zusammen als Katalysator für die Erzielung von Klimaneutralität wirken müssen. Ihre kumulativen finanziellen Folgen für den europäischen Verkehrs- und Tourismussektor müssen deshalb bedacht werden, um Planungssicherheit für Investitionen in neue Arbeitsplätze zu schaffen.

    (12)  Entwurf einer Stellungnahme des EWSA, Dossier TEN/744 (siehe Seite 136 dieses Amtsblatts).


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