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Document 52021AE2594

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr (COM(2021) 561 final — 2021/0205 (COD))

    EESC 2021/02594

    ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 134–139 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    4.3.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 105/134


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr

    (COM(2021) 561 final — 2021/0205 (COD))

    (2022/C 105/20)

    Berichterstatter:

    Thomas KROPP

    Befassung

    Europäisches Parlament, 13.9.2021

    Rat der Europäischen Union, 14.9.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    7.10.2021

    Verabschiedung im Plenum

    20.10.2021

    Plenartagung Nr.

    564

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    231/0/9

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt, dass der Luftverkehrsmarkt der EU für den Handel und den Tourismus in der Europäischen Union sowie für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist (1). Da der Luftverkehr jedoch zu den Sektoren mit dem am stärksten zunehmenden CO2-Ausstoß gehört, unterstützt der EWSA die Rechtsetzungsinitiativen der EU zur Eindämmung der Auswirkungen des Luftverkehrs auf die Umwelt

    Mitteilung der Europäischen Kommission zum europäischen Grünen Deal (COM(2019) 640 final) (2);

    1.2.

    Mit ihrem Paket „Fit für 55“ will die Kommission die EU auf Kurs bringen, damit sie ihr ehrgeiziges Ziel einer Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % gegenüber dem Stand von 1990 erreichen kann. Dazu soll die EU-Politik an die ehrgeizigen politischen Aufgabenstellungen des Grünen Deals und des EU-Klimagesetzes angepasst werden. Der EWSA unterstützt dieses außerordentlich ehrgeizige politische Vorhaben, das mehrere Legislativvorschläge umfasst, die den Luftverkehr betreffen. Besonders relevant ist dabei die geplante Förderung nachhaltiger Flugkraftstoffe (sustainable aviation fuels, SAF). Die Kommission hat zwar bewertet, inwieweit dieser Vorschlag und andere einschlägige Vorschläge ineinandergreifen, doch sollte sie darüber hinaus auch die kumulativen finanziellen Auswirkungen aller einschlägigen Regulierungsmaßnahmen berücksichtigen.

    1.3.

    Im Rahmen der Rechtsetzungsinitiativen zur Beschleunigung der Emissionssenkungen auf Netto-Null ist der ReFuelEU-Aviation-Vorschlag für den Luftverkehr von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz zu anderen Branchen ist die Luftfahrt auf Energie aus fossilen Brennstoffen angewiesen. Um das Wachstum des Luftverkehrssektors bei gleichzeitiger Senkung seines CO2-Ausstoßes zu ermöglichen, hat der Verordnungsvorschlag „ReFuelEU Aviation“ zum Ziel, die Produktion, den Vertrieb und den Markthochlauf von SAF voranzubringen und dazu die Treibstofflieferanten zu verpflichten, an allen Flughäfen der EU dem angebotenen Turbinenkraftstoff nach und nach mehr SAF beizumischen, und die Fluggesellschaften zu verpflichten, Treibstoff mit einem schrittweise steigenden SAF-Anteil zu tanken.

    Nach Meinung des EWSA, der die Förderung eines nachhaltigen Luftverkehrs unterstützt, geht der Vorschlag der Kommission in die richtige Richtung. Indes würde er einige Änderungen vorschlagen, um seine wirksame Umsetzung ohne Wettbewerbsverzerrungen sicherzustellen.

    1.4.

    Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, das Wachstum eines SAF-Marktes zu beschleunigen. Unter der Voraussetzung, dass sie in ausreichenden Mengen hergestellt und allen Fluggesellschaften zur Verfügung stehen würden, könnten SAF tatsächlich erheblich zur Senkung der CO2-Emissionen des Luftverkehrs beitragen. Es ist jedoch nicht klar, ob mit dem von der Kommission verfolgten Ansatz Wettbewerbsverzerrungen verhindert würden.

    1.5.

    Die Luftfahrt ist ein internationaler Dienstleistungssektor. Zwei Märkte mit unterschiedlicher Marktdynamik sind hier relevant: der europäische Binnenmarkt bzw. EWR und der internationalen Regelungen unterliegende Weltmarkt. Der EWSA hält es für notwendig, diesen Unterschied in dem Verordnungsvorschlag klar herauszustellen, und fordert die Kommission auf, innerhalb des EWR weiterhin gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen und sich dezidiert für auf internationaler Ebene anwendbare Nachhaltigkeitsstandards einzusetzen.

    1.6.

    Die vorgeschlagene Verordnung wird für alle Flüge aller EU-Luftfahrtunternehmen gelten, unabhängig davon, ob sie Strecken im EWR oder internationale Strecken bedienen. Für nicht in der EU ansässige Netzwerkfluggesellschaften gilt sie nur für die von EU-Flughäfen startenden Flüge. Alle anderen internationalen Dienste der Luftfahrtunternehmen aus Drittländern wären nicht von der verpflichtenden Mindestbetankung mit SAF-Blends betroffen. Der zu erwartende Preisunterschied zwischen herkömmlichen Flugtreibstoffen und SAF-Blends könnte deshalb Drittlands-Luftfahrtunternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. In einer Zeit, in der der gesamte internationale Luftverkehrssektor noch mit den Folgen der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu kämpfen hat, sollten die zusätzlichen Kosten nicht allein den EU-Fluggesellschaften aufgebürdet werden. Wenn die Mehrkosten auf die Fluggäste umgelegt werden, würden außerdem von Drittlands-Fluggesellschaften durchgeführte, weniger umweltfreundliche Flüge für Fluggäste aus der EU attraktiver.

    1.7.

    Der EWSA empfiehlt, vor der praktischen Umsetzung dieser Verordnung eine Pilotphase einzuplanen, während der die EWR-internen Vorschriften zur Eindämmung der Umweltauswirkungen des Luftverkehrs vereinheitlicht werden könnten und die Kommission sich um eine enge Koordinierung der EU-Maßnahmen mit ähnlichen internationalen Initiativen zur Förderung von SAF bemühen würde. Sobald genügend SAF produziert wird und Luftfahrtunternehmen aus der EU und aus Drittländern zur Verfügung steht, würde diese Verordnung in vollem Umfang angewandt werden und auch Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen, die von EU-Flughäfen abfliegen, Verpflichtungen auferlegen. Ein solcher stufenweiser Ansatz würde die mit der Pionierrolle einhergehenden Risiken begrenzen, die Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionen senken, einen kosteneffizienten Umsetzungsprozess ermöglichen und allen Interessenträgern, einschließlich der Hersteller von SAF, Planungssicherheit bieten. Außerdem wäre er einem stimmigen Biokraftstoffkonzept förderlich.

    1.8.

    Auf internationalen Langstreckenflügen wird erheblich mehr CO2 ausgestoßen als auf Mittel- und Kurzstreckenflügen innerhalb des EWR (3), weshalb sich die Kommission nach Meinung des EWSA nachdrücklicher mit den Möglichkeiten einer Koordinierung von Regulierungsmaßnahmen auf internationaler Ebene befassen sollte. Diesbezügliche Maßnahmen Dritter werden zusammen mit bereits vereinbarten Kompensationssystemen wie CORSIA (4) weitere Impulse für die Produktion, den Vertrieb und den Markthochlauf von SAF auf internationaler Ebene geben, wodurch die Nachfrage nach SAF rascher steigen und die Gefahr einer Verlagerung von CO2-Emissionen sinken wird (5).

    Der EWSA teilt die Einschätzung der Kommission, dass die Schaffung eines SAF-Marktes ihre Zeit brauchen wird. Er fordert die Kommission auf, einen realistischen und umfassenden Fahrplan für die schrittweise Ausweitung der Nutzung von SAF aufzustellen, um allen Interessenträgern, einschließlich den SAF-Herstellern, Planungssicherheit und dem politischen Überwachungsprozess Orientierung zu geben.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.

    Es wird ein umfassender und wirksamer Regulierungsansatz zur Förderung des Wachstums einer nachhaltigen Luftfahrt benötigt.

    2.1.1.

    Der Verordnungsvorschlag „ReFuelEU Aviation“ greift mit mehreren anderen Rechtsetzungsvorschlägen des Pakets „Fit für 55“ ineinander, die allesamt die Eindämmung der Umweltauswirkungen des Luftverkehrs zum Ziel haben (6). Bei der Bewertung der Wirkung und Durchführbarkeit des ReFuelEU-Aviation-Vorschlags muss daher dem Zusammenspiel der relevanten Vorschläge und ihren kumulativen Auswirkungen auf den Luftverkehrsmarkt Rechnung getragen werden.

    2.1.2.

    Nach einer Änderung der Energiebesteuerungsrichtlinie würde eine Mindeststeuer für Flüge innerhalb der EU eingeführt; nachhaltige Flugkraftstoffe würden nicht besteuert, während der Mindeststeuersatz für Treibstoff über einen Zeitraum von zehn Jahren schrittweise bis auf 10,75 EUR/Gigajoule steigen würde. Erklärtes Ziel dieses Vorschlags ist es, eine gesteigerte SAF-Nutzung anzuregen und die Fluggesellschaften dazu zu bewegen, effizientere und umweltfreundlichere Luftfahrzeuge einzusetzen und mögliche Einnahmeverluste von 32 % zu vermeiden. Wenn einzelne Mitgliedstaaten über diese Mindeststeuer hinausgehen, würden diese zusätzlichen nationalen CO2-Abgaben erhebliche Mehrkosten für die Fluggesellschaften bedeuten, wenn nicht genügend SAF produziert wird. Die Verfügbarkeit von SAF muss als wesentlicher Faktor bedacht werden, da sonst die Vorschriften eine Strafwirkung entfalten, anstatt mehr Anreize für die Produktion und Nutzung von SAF zu schaffen.

    2.1.3.

    Tatsächlich ist fraglich, ob zusätzliche Steuern einen Anreiz für die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf SAF bieten können, wenn nicht genügend SAF zur Verfügung steht.

    2.1.4.

    In Ermangelung sinnvoller Antidumping-Bestimmungen lassen die Marktbedingungen es derzeit zu, dass miteinander konkurrierende Luftfahrtunternehmen Flugtickets zu Preisen anbieten, die unter den Grenzkosten liegen und nicht einmal die Flughafen- und Flugsicherungsentgelte decken. Eine weitere Steuer würde diese Niedrigpreise nicht weiter beeinflussen und daher auch keinen Anreiz für die Verwendung von SAF als Wettbewerbsvorteil bieten; eine solche EU-weite Mindeststeuer würde den Fluggesellschaften lediglich die finanziellen Mittel rauben, die sie für Investitionen in effizientere Flugzeuge benötigen. Zudem können die Einnahmen aus diesen zusätzlichen Steuern definitionsgemäß nicht für vorab festgelegte (umweltrelevante) Ziele verwendet werden, sondern fließen in die Kassen der Mitgliedstaaten. Sie könnten also nicht in die Ausweitung des Angebots investiert werden, um die steigende Luftverkehrsnachfrage zu decken.

    2.1.5.

    Nach Auffassung des EWSA ist daher eine differenziertere Analyse der Marktdynamik nötig, wobei insbesondere zu prüfen ist, ob als zusätzliche Regulierungsmaßnahme gezielte Antidumpingvorschriften erforderlich sind, die ein Mindestpreisniveau zur Deckung exogener Kosten vorschreiben (7).

    Die Kommission schlägt ferner vor, als weitere Maßnahme im Rahmen des Pakets „Fit für 55“ die EHS-Regeln für den Luftverkehr zu überarbeiten. Das EHS erfasste früher etwa 40 % der Gesamtemissionen in der EU; in der überarbeiteten Fassung wurde dieser Anteil durch die Einbeziehung weiterer Sektoren wie des Seeverkehrs erhöht. Die Emissionsreduktionsverpflichtung für vom EHS erfasste Sektoren bis 2030 wurde zudem von 40 % auf 61 % im Vergleich zum Stand von 2005 erhöht, während die kostenlosen Zertifikate im Luftverkehr zwischen 2023 und 2025 schrittweise abgeschafft werden sollen.

    2.1.6.

    Der Emissionshandel ist ein marktbasierter Mechanismus mit dem Ziel der Emissionssenkung, der durch eine weitere Feinabstimmung der verwendeten Parameter gestärkt werden kann. Bei der Bewertung der Auswirkungen von derartigen Maßnahmen auf die Marktdynamik muss allerdings bedacht werden, dass der schrittweise Abbau kostenloser Emissionsrechte eine weitere finanzielle Bürde zusätzlich zu der Mehrkostenbelastung durch die bereits geplante EU-weite Mindeststeuer bedeuten würde. Die Energiebesteuerungsrichtlinie, die EHS-Richtlinie und die ReFuelEU-Aviation-Verordnung erfordern überdies jeweils die Bereitstellung von Daten über die Betankung mit und den Verbrauch von Flugturbinenkraftstoff sowie die Beimischung von SAF. Es sollte geprüft werden, wie die Bestimmungen betreffend Datenerhebung, Berichterstattung und Überprüfung vereinfacht werden können, um unnötigen Aufwand zu vermeiden und die praktische Durchführung des Verfahrens zu erleichtern.

    Mithilfe der vorgeschlagenen Verordnung über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe soll der Aufbau der erforderlichen Infrastruktur an Flughäfen sichergestellt werden, damit an allen Flughäfen in der EU SAF bereitgestellt werden können. Es ist selbstredend wichtig, die logistischen Voraussetzungen für die Bereitstellung von SAF zu schaffen, doch gibt es auch bei dieser Verordnung Klärungsbedarf, denn ihrem derzeitigen Wortlaut zufolge könnten die Fahrzeuge, die die Flugzeuge mit SAF betanken, nicht für den „grünen“ Einsatzzweck geeignet sein (8). Ohne derartige Klarstellungen lässt sich nur schwer beurteilen, inwieweit an Flughäfen weitere Kosten entstehen könnten, die möglicherweise an die Fluggesellschaften weitergegeben würden.

    2.2.

    Der Verordnungsvorschlag „ReFuelEU Aviation“ ist maßgebend wichtig für die Sicherstellung einer nachhaltigen Zukunft des Luftverkehrs, darf aber keine wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen auf den Luftverkehrsmarkt haben.

    2.2.1.

    Die Kommission weiß, dass die Produktion und Verbreitung von SAF im industriellen Maßstab und ein vernünftiger Ausbau umfangreiche Investitionen und einen erheblichen Zeitaufwand erfordern. Da ihre Zuständigkeit von Rechts wegen auf den Luftverkehr innerhalb der EU und in der Praxis auf den Luftverkehr innerhalb des EWR beschränkt ist, schlägt sie zwei Maßnahmen vor, um Verzerrungen des internationalen Wettbewerbs möglichst gering zu halten: die Betankung sämtlicher von EU-Flughäfen startenden Flüge mit SAF-Blends, unabhängig vom Zielflughafen, und eine verpflichtende Mindestbetankung mit Flugturbinenkraftstoff an EU-Flughäfen. Die erste Maßnahme nimmt die Treibstofflieferanten ins Visier und bedeutet keine Benachteiligung von Fluggesellschaften. Es ist jedoch fraglich, ob die zweite Maßnahme praktisch umsetzbar ist und Marktverzerrungen wirksam verhindern kann.

    2.2.2.

    In Artikel 7 werden alle Fluggesellschaften verpflichtet, Daten über u. a. die Betankung mit Flugkraftstoff auf einem gegebenen EU-Flughafen bereitzustellen und Auskunft über die von den Flugkraftstoffanbietern bezogene Gesamtmenge nachhaltigen Flugkraftstoffs zu erteilen. Im Einklang mit den Berichterstattungspflichten im Rahmen des EU-EHS geben die Fluggesellschaften gegenwärtig bereits Auskunft über die Betankung mit und den Verbrauch von Flugkraftstoff, allerdings nur bei Flügen innerhalb der EU (9). Durch die vorgeschlagene Verordnung sollen die Berichtspflichten auf von EU-Flughäfen startende Flüge in Drittländer ausgeweitet werden. Damit werden aber auch Fluggesellschaften aus Drittländern, die diese Strecken bedienen, in die Datenmeldepflichten einbezogen. Es herrscht internationaler Konsens über die Einbeziehung von Fluggesellschaften aus anderen Staaten in Datenmeldepflichten, damit nationale Behörden die Einhaltung der Vorschriften überwachen können. Deshalb dürfte diese Berichtspflicht nicht auf internationale Ablehnung stoßen.

    2.2.3.

    In Artikel 5 werden (alle) Fluggesellschaften indes verpflichtet, an einem gegebenen EU-Flughafen im Lauf eines Jahres mindestens 90 % ihres jährlichen Flugturbinenkraftstoffbedarfs zu tanken. Damit soll Tankering unterbunden werden. Die Kommission versteht Tankering im Sinne der Mitnahme von Flugzeugtreibstoff über den Bedarf für den Hinflug hinaus, um eine eventuell teurere Betankung am Zielflughafen zu vermeiden (10). Nun aber liegen die Drehkreuze einiger nicht in der EU ansässiger Netzwerkfluggesellschaften in der Nachbarschaft des EWR (etwa London, Doha, Dubai, Istanbul) einen Kurzstreckenflug von einem beliebigen EWR-Flughafen entfernt. Die Langstreckenziele können dann nach Betankung an dem Drittlands-Drehkreuz angeflogen werden, ohne Tankering. Der über den Flugticketpreis auf die Fluggäste umgelegte Anteil der SAF-bedingten Mehrkosten könnte diese veranlassen, für ihr Langstreckenziel eine Streckenführung über ein (preisgünstigeres) Drittlands-Drehkreuz zu wählen (11). In Artikel 5 werden indes nicht die systemisch bedingten Wettbewerbsnachteile für EU-Drehkreuze und damit für EU-Netzwerkfluggesellschaften berücksichtigt.

    2.2.4.

    Da die Drehkreuze in der Nachbarschaft der EU über Kurzstreckenflüge erreicht werden, betrifft die Kraftstoffbetankung jener von EU-Flughäfen startenden Flugzeuge nur einen geringen Teil des gesamten internationalen Flugbetriebs der Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen. Mit steigender SAF-Beimischung wird auch die Preisschere zwischen SAF-Blends und herkömmlichen Flugtreibstoffen aufgehen und den Wettbewerbsvorteil von Flügen über Drittlands-Drehkreuze erhöhen. Dies wird den Fluggästen noch mehr Anreiz geben, Streckenführungen zu wählen, auf denen kein SAF getankt werden muss, was dem erklärten Ziel dieses Verordnungsvorschlags unmittelbar zuwiderlaufen würde, den Markthochlauf von SAF zu fördern und so die CO2-Emissionen auch bei Abflügen aus der EU zu senken.

    2.2.5.

    In Anbetracht dieser Überlegungen empfiehlt der EWSA eine stufenweise Umsetzung der vorgeschlagenen Verordnung. Während einer Pilotphase sollten vor allem bestehende Berichtspflichten und Abgaben auf CO2-Emissionen auf EU- und nationaler Ebene vereinheitlicht werden. Derzeit bestehen diverse einschlägige Regelungen nebeneinander und bilden die Grundlage für die Berechnung des Umfangs der Emissionszertifikate und der Kompensationsmaßnahmen sowie der zu entrichtenden nationalen Abgaben auf CO2 oder Kerosin. Diese Regelungen bestehen jedoch unabhängig voneinander, sodass Interessenträger und Verwaltungen parallele Verwaltungsverfahren durchlaufen müssen. In ihrer aktuellen Fassung würde die vorgeschlagene Verordnung als weitere Anforderung die Bereitstellung von noch mehr Daten über den auf sämtlichen Flughäfen vertankten Flugkraftstoff vorschreiben, einschließlich des Kaufs nachhaltiger Flugkraftstoffe und der Gesamtmenge der in der EU bezogenen Flugkraftstoffe; auch die EASA und Eurocontrol wären demnach verpflichtet, die relevanten (nicht notwendigerweise aber andere) Daten in Jahresberichten zusammenzufassen.

    2.2.6.

    Es wäre ratsam, zunächst durch die Vereinfachung der Berichterstattungs-, Überprüfungs- und Überwachungsmechanismen im Rahmen der für EU-Luftverkehrsunternehmen geltenden Vorschriften für Transparenz zu sorgen, unnötigen Mehraufwand zu verringern und somit ein kohärentes, wirksames und effizientes Maßnahmenbündel einzuführen, das auch die verschiedenen nationalen Initiativen einbeziehen und in einem harmonisierten Rahmen aufgehen könnte. In dieser Pilotphase würden die von den EU-Luftfahrtunternehmen bereitgestellten Daten Auskunft darüber geben, welche Menge an SAF (allein) EU-Luftfahrtunternehmen für EWR-interne Flüge vertanken. Dies erscheint angesichts der notwendigen Zeit für den Ausbau der SAF-Produktion realistisch. Diese Flüge innerhalb des europäischen Luftverkehrsbinnenmarkts sollten zunächst keine Fluggäste umfassen, deren Reiseziel außerhalb der EU liegt.

    2.2.7.

    Die vorgeschlagene Pilotphase würde die vollständige Umsetzung der Verordnung nicht notwendigerweise hinauszögern, da ihr Zweck darin besteht, die Berichterstattungs- und Überprüfungsverfahren für EU-interne Daten zu straffen, um sicherzustellen, dass die für den Luftverkehr geplanten Maßnahmen des Pakets „Fit für 55“ nicht zu unnötigem Verwaltungsaufwand führen. Darüber hinaus würde sie Transparenz in Bezug auf die kumulativen finanziellen Auswirkungen der Maßnahmen auf den europäischen Luftverkehrssektor schaffen. Ungeachtet der Pilotphase könnte die Kommission die Verfahren an die außerhalb des EWR angewandten Verfahren anpassen.

    2.2.8.

    Die Anwendung dieser Verordnung auf von EU-Flughäfen startende internationale Flüge sollte davon abhängig gemacht werden, ob genügend SAF zur Verfügung steht, um die gestiegene Nachfrage zu bedienen. Ein bewährter EWR-Mechanismus zur Förderung des Markthochlaufs nachhaltiger Flugkraftstoffe könnte dann international als Benchmark, Modell und Standard dienen. Durch eine gestaffelte Ausweitung des vorgeschlagenen Systems kann zudem eine Wiederholung des Konflikts vermieden werden, in den die Kommission über die Einbeziehung von Flügen aus der EU in Drittstaaten ins EU-EHS geraten war. Entscheidend ist, dass die Kommission auf EWR-Ebene praktisch anwendbare Regulierungsinstrumente entwickelt und auf globaler Ebene einen harmonisierten Ansatz aushandelt.

    2.2.9.

    Bei der Koordinierung der Schritte zur Entwicklung eines fortschrittlichen und zweckmäßigen internationalen Rahmens sollte und muss auch CORSIA einbezogen werden. Solange für die Maßnahmen innerhalb des EWR und für die Umsetzung von CORSIA unterschiedliche Etappenziele festgelegt und verfolgt werden, kann CORSIA im Konsens weiterentwickelt werden, ohne dass daraus weitere Komplikationen für das EWR-System erwachsen.

    2.3.

    Für die Umsetzung sämtlicher unterbreiteten Vorschläge muss ein umfassender, übersichtlicher und verbindlicher Fahrplan aufgestellt werden. Auch müssen die Etappenziele kontrolliert werden.

    2.3.1.

    Die EWR-weit für alle Branchen, insbesondere den Luftverkehr, politisch vereinbarten Klimaziele sind außerordentlich ehrgeizig und laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarats überfällig. Allerdings müssen infolge der von der Kommission beschriebenen und oben kurz zusammengefassten Besonderheiten des Luftverkehrs Anreize geschaffen werden, um auf einem aktuell eher unbedeutenden (SAF-)Markt die Nachfrage und das Angebot zu fördern, ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Luftfahrtsektors oder die Sicherheit der europäischen Arbeitsplätze zu beeinträchtigen. Um diese branchenspezifischen Herausforderungen zu meistern, müssen wirksame Maßnahmen in klar abgestuften Schritten umgesetzt werden, sodass es für die Interessenträger machbar ist, ihre jeweiligen Produkte und Verfahren entsprechend anzupassen.

    2.3.2.

    Welches Ergebnis das laufende Legislativverfahren haben wird, ist gegenwärtig natürlich noch nicht abzusehen. Der EWSA fordert alle EU-Organe auf, sich für die Wahrung und sogar Verbesserung des wirksamen Zusammenspiels der vorgeschlagenen Maßnahmen einzusetzen und sich auf einen Fahrplan für ihre Umsetzung zu einigen.

    2.3.3.

    Ein solcher Fahrplan wird auch die Koordinierung bereits bestehender nationaler Maßnahmen umfassen. Einige Mitgliedstaaten haben nach Anhörung der Interessenträger bereits Fahrpläne aufgestellt (12).

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1.

    Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des Vorschlags ist es, dass wesentliche Planungsfehler bei der SAF-Beimischungspflicht ausgeräumt werden. Die Kommission hat acht strategische Ansätze entworfen, die sich in folgenden Punkten unterscheiden: die Partei, der die Verpflichtung auferlegt wird (Lieferant und/oder Fluggesellschaft), die geografische Reichweite (nur Strecken innerhalb des EWR oder auch zwischen dem EWR und Drittländern), Submandate für künftige hoch entwickelte SAF-Produkte (insbesondere erneuerbare Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs), das Ziel (SAF-Menge/Treibhausgasminderung) und schließlich die logistischen Erfordernisse (umfasst die Option bspw. ein „Book&Claim“-System, das es durch die Trennung von Zertifikat und Rohstoff unnötig macht, auf jedem Flughafen physische SAF vorzuhalten, um sicherzustellen, dass bei jeder Betankung SAF beigemischt wird).

    3.2.

    Der EWSA unterstützt den Ansatz der Kommission, fortschrittliche Biokraftstoffe und E-Kerosin in die Vorgaben einzubeziehen. Die vorgeschlagene EU-Beimischungspflicht würde nationale Beimischungspflichten ablösen, die teilweise Kraftstoffe auf Pflanzenbasis einbeziehen. Da die Produktion von Biokraftstoffen neben dem Luftverkehr auch für viele andere Sektoren außerordentlich wichtig ist, muss unbedingt sichergestellt werden, dass diese Produktion immer nachhaltig ist.

    3.3.

    Der Kommissionsvorschlag sieht eine SAF-Beimischungsquote von 5 % bis 2023 vor, die sich aus 4,3 % Biokraftstoff und 0,7 % E-Kerosin zusammensetzen soll. Die Kommission sollte das Verhältnis zwischen fortschrittlichen Biokraftstoffen und E-Kerosin überprüfen. Moderne Biokraftstoffe werden aus Abfällen und Reststoffen hergestellt, d. h., aufgrund begrenzter Ressourcen ist eine ehrgeizige Nutzung nur eingeschränkt möglich. E-Kerosin hingegen könnte Kraftstoff mit unerheblichen CO2-Emissionen liefern, sofern es aus erneuerbarem (Öko-)Strom und aus der Luft gewonnenem CO2 hergestellt wird. Nach Ansicht des EWSA könnten weitere sekundäre Rechtsvorschriften die Einführung fortschrittlicher Produktionsprozesse beschleunigen und die Erreichung ehrgeizigerer mittel- und langfristiger Ziele für SAF-Blends fördern.

    3.4.

    Angesichts seines Potenzials empfiehlt der EWSA eine stärkere Einbeziehung von E-Kerosin. Es wäre durchaus realistisch, das Mindestziel auf 0,7 % im Jahr 2027 und auf 5 % im Jahr 2030 anzuheben. Nach Ansicht des EWSA unterschätzt die Kommission die Dynamik des E-Kerosinmarktes. In Entwicklungsländern in Südamerika und Afrika können Anlagen für die Herstellung und Speicherung von E-Fuels gebaut werden. Von dort aus können die E-Fuels dann in Länder transportiert werden, die SAF und E-Fuels benötigen. Und mit dem zunehmenden Ausbau werden E-Fuels für diese Länder immer erschwinglicher. Der derzeitige Wortlaut der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) bietet jedoch keine ausreichende Planungssicherheit für Investitionen in neue Technologien. In Anbetracht der maßgebenden Bedeutung dieser Energiequelle muss, wie bereits erläutert, ein klarer politischer Fahrplan aufgestellt werden.

    Brüssel, den 20. Oktober 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 99; ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 86.

    (2)  Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität, https://ec.europa.eu/transport/themes/mobilitystrategy_en;

    Einbeziehung des Luftverkehrs in die Richtlinie über das EU-EHS (COM(2021) 552 final);

    Erneuerbare-Energien-Richtlinie (COM(2021) 557 final);

    Richtlinie über den Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (COM(2021) 560 final).

    .

    (3)  Die Hälfte der CO2-Emissionen werden durch nur 6 % der Flüge verursacht: durch die Langstreckenflüge; „Data Snapshot on CO2 emissions and flight distance“, EUROCONTROL.

    (4)  Das System zur Verrechnung und Reduzierung von Kohlenstoffdioxid für die internationale Luftfahrt (CORSIA) ist ein globales System marktbasierter Maßnahmen, um die durch internationale Flüge im Vergleich zu 2020 verursachten CO2-Mehremissionen auszugleichen. Es wird seit dem 1. Januar 2021 auf freiwilliger Basis bis 2026 angewandt; 81 Staaten (einschließlich aller EU-Mitgliedstaaten), auf die 77 % des internationalen Luftverkehrs entfallen, nehmen freiwillig daran teil.

    (5)  Mehrere Länder, u. a. das Vereinigte Königreich und die USA, planen ebenfalls Maßnahmen zur Förderung der SAF und zur Verringerung der CO2-Emissionen (siehe die Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, SWD(2021) 633 final).

    (6)  SWD(2021) 633 final, Abschnitt 7.2.

    (7)  Jeder regulatorische Eingriff in Marktmechanismen untergräbt die Liberalisierung des Luftverkehrsmarktes. Indes ist die Liberalisierung kein Dogma und stößt an ihre Grenzen, wenn sie die Verwirklichung der im Grünen Deal festgelegten Klimaziele verhindert. Deshalb bedarf es einer detaillierten und differenzierten Analyse der Auswirkungen solcher Markteingriffe in einem liberalisierten Regulierungsrahmen. Dies ist umso wichtiger, wenn verschiedene Regulierungsinitiativen ineinandergreifen und womöglich kumulative finanzielle Auswirkungen für die Interessenträger haben.

    (8)  Siehe EWSA-Stellungnahme „EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen — Klimawandel“, verabschiedet am 22.9.2021 ECO/549 (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 72).

    (9)  Die ursprüngliche Absicht, die Anwendbarkeit des EU-EHS auf Flüge von und nach EU-Flughäfen auszuweiten, wurde infolge des Einspruchs von Nicht-EU-Staaten fallengelassen, die geltend machten, dass ihre Fluggesellschaften nicht rechtmäßig einer steuerähnlichen EU-Regelung unterworfen werden können.

    (10)  Begründung (1. Gründe und Ziele des Vorschlags), S. 1.

    (11)  Beispiel: Der Flugpreis für die Strecke Stuttgart–Wien–Kuala Lumpur würde durch die vorgeschriebene Betankung mit dem teureren SAF-Treibstoffmix für sowohl den Kurzstreckenflug Stuttgart–Wien als auch für den Langstreckenflug Wien–Kuala Lumpur steigen. Die Streckenführung Stuttgart–Istanbul–Kuala Lumpur würde die Betankung mit dem SAF-Treibstoffmix jedoch nur für den Kurzstreckenflug Stuttgart–Istanbul erfordern.

    In diesem Fall könnte es für die Fluggesellschaft, die die Strecke Istanbul–Stuttgart betreibt, tatsächlich finanziell vorteilhaft sein, in Istanbul genügend Treibstoff zu tanken, um ein Auftanken für den Rückflug von Stuttgart nach Istanbul zu umgehen und SAF-Blends vollkommen zu vermeiden. Das aber wird durch Artikel 5 verhindert.

    (12)  Z. B.: Roadmap für Power-to-Liquid-Flugkraftstoffe (PtL-Roadmap), Deutschland, 2021, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/LF/ptl-roadmap.pdf?__blob=publicationFile.


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