Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52021AE3317

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: „Strategie für einen reibungslos funktionierenden und resilienten Schengen-Raum“ (COM(2021) 277 final) und Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einführung und Anwendung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 (COM(2021) 278 final — 2021/0140 (CNS))

    EESC 2021/03317

    ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 108–113 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    4.3.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 105/108


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: „Strategie für einen reibungslos funktionierenden und resilienten Schengen-Raum“

    (COM(2021) 277 final)

    und Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einführung und Anwendung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013

    (COM(2021) 278 final — 2021/0140 (CNS))

    (2022/C 105/17)

    Berichterstatter:

    Ionuţ SIBIAN

    Befassung

    Europäische Kommission, 10.8.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    6.10.2021

    Verabschiedung im Plenum

    20.10.2021

    Plenartagung Nr.

    564

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    232/1/5

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Strategie der Kommission für einen reibungslos funktionierenden und resilienten Schengen-Raum.

    1.2.

    Der EWSA bekräftigt seine in seiner Entschließung vom 17. Februar 2016 zum Ausdruck gebrachte uneingeschränkte Unterstützung für die Grundsätze, die der Schengen-Zusammenarbeit zugrunde liegen: die uneingeschränkte Ausübung der vertraglich garantierten Grundfreiheiten in einem gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie die Notwendigkeit einer gestärkten und gemeinsam getragenen Verantwortung und Solidarität beim Management der Außengrenzen.

    1.3.

    Der EWSA betont, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten bei der Gestaltung und Umsetzung der EU-Politik für Grenzmanagement, Interoperabilität, Migrations- und Asylmanagement sowie polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen jederzeit an die Charta der Grundrechte gebunden sind, deren Bestimmungen sie nicht nur zu achten, sondern auch zu fördern haben.

    1.4.

    Der EWSA ist zutiefst besorgt angesichts von Berichten über Verletzungen der Grundrechte an den Außengrenzen der EU und fordert die Kommission und die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) auf, Berichten über Verstöße gegen die Grundrechte unverzüglich nachzugehen, entsprechende Berichte zur Kenntnis zu nehmen und für Abhilfe sowie dafür zu sorgen, dass die in der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache festgelegten Mechanismen der Rechenschaftspflicht wirksam umgesetzt werden. Der EWSA ruft dazu auf, das Konsultationsforum für Grundrechtsfragen zu stärken und die organisierte Zivilgesellschaft über den EWSA an dem Forum zu beteiligen.

    1.5.

    Der EWSA bringt seine Besorgnis über die semipermanente Wiedereinführung von Grenzkontrollen an verschiedenen Binnengrenzen der Mitgliedstaaten und die negativen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zum Ausdruck, die sich daraus für die Bürger, Unternehmen und insbesondere Grenzgänger, die Grenzregionen und die Euroregionen ergeben. Er fordert die Kommission auf, die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit dieser wieder eingeführten Grenzkontrollen regelmäßig sorgfältig zu überwachen und zu bewerten und erforderlichenfalls tätig zu werden. Er begrüßt die erklärte Absicht der Kommission, von ihren Durchsetzungsbefugnissen bereitwilliger Gebrauch zu machen, sofern Schengen-Evaluierungen dies nahelegen sollten.

    1.6.

    Der EWSA bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die Mitgliedstaaten Zypern, Rumänien, Bulgarien und Kroatien weiterhin von der vollständigen Anwendung des Schengen-Besitzstands ausgeschlossen sind. Er fordert ebenso wie die Kommission den Rat hier zu raschem und entschlossenem Handeln auf.

    1.7.

    Der EWSA stellt fest, dass es sich bei vielen Elementen, die Bestandteil der Strategie sind, nach wie vor um Legislativvorschläge handelt. Der EWSA weist darauf hin, dass er zu einigen dieser Vorschläge spezifische Stellungnahmen abgegeben hat, insbesondere zum neuen Migrations- und Asylpaket und zur Interoperabilität. Der EWSA ersucht die Kommission, diese Stellungnahmen gebührend zur Kenntnis zu nehmen.

    1.8.

    Der EWSA stellt fest, dass viele Elemente des Pakets von der rechtzeitigen Umsetzung kürzlich angenommener Rechtsvorschriften abhängen, insbesondere der Interoperabilitäts-Verordnung und der Verordnung über Frontex 2.0. Der EWSA betrachtet den Fortschritt in diesem Bereich mit Sorge und fordert die Kommission auf, etwaige Verzögerungen und Budgetüberschreitungen genau zu beobachten und wirksam dagegen vorzugehen.

    1.9.

    Der EWSA bewertet die Vorschläge für ein besseres Funktionieren des Schengen-Evaluierungsmechanismus, insbesondere im Hinblick auf eine schnellere Weiterverfolgung, stärkere Synergien mit dem Mechanismus für die Schwachstellenbeurteilung und eine größere sowie stärker bereichsübergreifende Aufmerksamkeit für die Menschenrechte einschließlich der geplanten Rolle der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte als positiv. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass der Schengen-Evaluierungsmechanismus keine eher technischen Fragen politisiert.

    1.10.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass das Schengen-Forum politische Impulse für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Schengen-Raums geben kann, warnt jedoch davor, dass es nicht zu einer Rückkehr zur zwischenstaatlichen Vergangenheit von Schengen kommen darf, deren Funktionieren durch Intergouvernementalismus und mangelnde Transparenz beeinträchtigt wurde. Andere EU-Institutionen sowie der EWSA sollten jedoch jederzeit informiert bleiben und an dem Forum teilnehmen können.

    1.11.

    Der EWSA ist sich bewusst, dass die damit verbundenen Bereiche der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, einschließlich einer verbesserten Zusammenarbeit bei der Terrorismusprävention, für das Vertrauen der EU-Bürger und der Mitgliedstaaten in den Schengen-Raum von größter Bedeutung sind. Eine solche Zusammenarbeit sollte jederzeit die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte in allen Mitgliedstaaten erfordern, einschließlich des Schutzes einer unabhängigen Justiz, damit Instrumente des gegenseitigen Vertrauens wie der Europäische Haftbefehl ordnungsgemäß funktionieren können.

    1.12.

    Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Zusammenarbeit mit Drittländern nicht ausschließlich auf Migrations- und Asylkontrollen ausgerichtet sein, sondern eine echte Partnerschaft darstellen sollte, die darauf abzielt, die Lage von Migranten und Flüchtlingen in Drittländern, insbesondere von Opfern des Menschenhandels, zu verbessern, an den Migrationsursachen ansetzt und eine sichere und reguläre Migration fördert.

    1.13.

    Wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union 2021 betont hat, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich die Mitgliedstaaten auf ein gemeinsames europäisches System für das Management unserer Außengrenzen und eine gemeinsame Steuerung von Migration und Asyl einigen, um Drittstaaten keine Gelegenheit zu geben, mangelnde Einheit auszunutzen.

    2.   Hintergrund der Stellungnahme

    2.1.

    1985 schlossen mehrere Mitgliedstaaten das internationale Schengener Übereinkommen und entschieden, alle Grenzkontrollen an ihren Binnengrenzen abzuschaffen. Im Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 wurden die notwendigen flankierenden Maßnahmen vorgesehen, mit denen die externen Effekte, die sich aus der Aufhebung der Grenzkontrollen ergeben, ausgeglichen werden sollen.

    2.2.

    Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde der Schengen-Besitzstand in die Rechtsordnung der EU integriert und die besondere Position des Vereinigten Königreichs, Irlands und Dänemarks geregelt.

    2.3.

    Der Abschluss bilateraler Abkommen mit Norwegen, Island, der Schweiz und Liechtenstein ermöglichte die Beteiligung dieser Länder an der Schengen-Zusammenarbeit.

    2.4.

    Bulgarien, Rumänien und Kroatien beteiligen sich an Teilen des Schengen-Besitzstands, für die Aufhebung der Kontrollen an ihren Binnengrenzen ist jedoch ein einstimmiger Beschluss des Rates erforderlich. Der Rat hat sich bislang geweigert, diesen Beschluss zu fassen, obwohl die Kommission festgestellt hat, dass die Länder die technischen Voraussetzungen erfüllen.

    2.5.

    Seit der Übernahme des Schengen-Besitzstands in die Rechtsordnung der EU hat sich dieses Regelwerk allmählich weiterentwickelt, insbesondere durch die Annahme des Schengener Grenzkodex, des Visakodex und der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzen, Visa, Migration und Asyl wird durch verschiedene umfangreiche IT-Datenbanken für den Informationsaustausch (SIS, VIS, Eurodac, EES, ETIAS, TCN-ECRIS) unterstützt, die derzeit interoperabel sind.

    2.6.

    Obwohl die Verantwortung geteilt wird, bleiben die einzelnen Mitgliedstaaten für ihre jeweiligen Bereiche der Außengrenzen verantwortlich, was bedeutet, dass bei Mängeln beim Management der Außengrenzen in einem Mitgliedstaat mit erheblichen Auswirkungen auf den gesamten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu rechnen ist.

    2.7.

    In den letzten fünf Jahren steht der Schengen-Raum aufgrund der wiederholten und fortgesetzten Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen durch einige Mitgliedstaaten unter erheblichem Druck. Gründe hierfür waren die Reaktion auf die Flucht- und Migrationsbewegungen 2015 und die terroristische Bedrohung in Europa.

    2.8.

    Die COVID-19-Pandemie führte zu weiteren Grenzschließungen und Beschränkungen des freien Personenverkehrs.

    2.9.

    Als Reaktion auf die Flucht- und Migrationsbewegungen 2015 wurde Frontex, die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten, 2016 als Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache reformiert und 2019 weiter ausgebaut.

    2.10.

    In ihrem neuen Migrations- und Asylpaket bekräftigte die Europäische Kommission: „Das integrierte Grenzmanagement ist ein unverzichtbares politisches Instrument der EU, um […] die Integrität des Schengen-Raums zu gewährleisten.“ Zudem sei es „ein wesentlicher Bestandteil einer umfassenden Migrationspolitik“. Sie kündigte eine gesonderte Strategie für die Zukunft des Schengen-Systems an, die am 2. Juni 2021 veröffentlicht wurde.

    2.11.

    Mit der Strategie soll der Schengen-Raum stärker und resilienter gemacht werden. Mit Blick auf den Schengen-Raum werden die Herausforderungen der letzten Jahre zusammengetragen, einschließlich der COVID-19-Krise, und es wird ein Weg aufgezeigt, wie die Vorteile des Schengen-Raums erhalten bleiben können.

    2.12.

    Mit der Strategie werden folgende Ziele verfolgt:

    1.

    Sicherstellung eines wirksamen Managements der Außengrenzen der EU

    2.

    interne Stärkung des Schengen-Raums

    3.

    ein resilienteres Schengen-System mit besserer Governance

    4.

    Vollendung des Schengen-Raums

    2.13.

    Der neuen Strategie liegt ein Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einführung und Anwendung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 (1) bei.

    2.14.

    Die Kommission schlägt eine Überarbeitung des Schengener Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus vor. Zu den Änderungen gehören die Beschleunigung des Evaluierungsverfahrens sowie ein beschleunigtes Verfahren bei Feststellung erheblicher Mängel, die den Schengen-Raum insgesamt gefährden könnten.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1.   Ein modernes und wirksames Management der Außengrenzen der Union

    3.1.1.

    Der EWSA spricht sich für die rasche Annahme einer mehrjährigen strategischen Politik für eine integrierte europäische Grenzverwaltung im Rahmen eines integrierten Grenzschutzsystems gemäß Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe d AEUV aus. Vor der Annahme dieser Strategie sollte der EWSA konsultiert werden (2).

    3.1.2.

    Der EWSA spricht sich auch weiterhin für eine handlungsfähige Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache mit eigenen Einsatzkräften aus. Die Entwicklung in diesem Bereich stimmt ihn jedoch besorgt. Er verweist insbesondere auf die jüngsten Feststellungen des Rechnungshofs der EU, wonach die Agentur ihr Mandat von 2016 nicht vollständig erfüllt hat und es bei der Umsetzung ihres Mandats für 2019 mehrere Risiken und Mängel gab (3).

    3.1.3.

    Der EWSA hält insbesondere Berichte über Verletzungen der Grundrechte bei von Frontex koordinierten operativen Maßnahmen und das Wissen der Agentur um diese Verletzungen für besorgniserregend. Verschiedene Medienquellen und NRO haben hierüber berichtet, sie sind auch im Bericht der Frontex-Kontrollgruppe des LIBE-Ausschusses erörtert worden. Er begrüßt die kürzlich erfolgte Ernennung eines neuen Grundrechtsbeauftragten und die laufende Einstellung von Grundrechtsbeobachterinnen und -beobachtern, betont jedoch, dass das Amt des Grundrechtsbeauftragten mit angemessenen Ressourcen ausgestattet werden muss, damit er seine Aufgaben in voller Unabhängigkeit erfüllen kann. Der EWSA fordert die Agentur auf, die in ihrer Gründungsverordnung vorgesehenen Mechanismen und Strukturen der Rechenschaftspflicht vollständig umzusetzen.

    3.1.4.

    Der EWSA ist besorgt darüber, dass der Schwerpunkt der Strategie auf den Verfahren für ein Screening vor der Einreise liegt, die er in seiner Stellungnahme zu dem Paket als neuartigen Beitrag betrachtete, der in Betracht gezogen werden sollte. Der EWSA warf jedoch die Frage auf, wie praktikabel ihre Umsetzung wäre, und hielt sie unter dem Aspekt der Grundrechte für unzureichend (4). Er unterstreicht die Notwendigkeit eines Mechanismus für die unabhängige Überwachung durch die Mitgliedstaaten, wie in der Screening-Verordnung vorgesehen.

    3.1.5.

    Der EWSA hat die Schaffung vollständig interoperabler IT-Systeme stets für einen notwendigen Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen und wirksamen EU-weiten Politik gehalten. Dementsprechend unterstützt er auch die weitere Digitalisierung der Visaverfahren und Reisedokumente.

    3.1.6.

    Der EWSA sieht in der Aussage der Kommission, dass Verzögerungen in einzelnen Mitgliedstaaten die europaweite Verwirklichung der Interoperabilität behindern könnten, einen Anlass zur Sorge. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung des SIS II und im Lichte des aktuellen Stands der Umsetzung des Einreise-/Ausreisesystems und des Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (5) fragt der EWSA, welche konkreten Schritte die Kommission unternimmt, um eine rechtzeitige Umsetzung der Interoperabilität im Rahmen der vorgesehenen Haushaltsmittel zu gewährleisten.

    3.1.7.

    Der EWSA betont, dass die weitere technologische Entwicklung und die vollständige Interoperabilität unter gebührender Achtung des Schutzes personenbezogener Daten und der Grundrechte erreicht werden müssen. In Bezug auf den Vorschlag für eine Überarbeitung von Eurodac und in Bezug auf die Nutzung von Großdatenbanken generell bekräftigt der EWSA, dass die vollständige Interoperabilität unter gebührender Achtung des Schutzes der Grundrechte erreicht werden muss. Die Maßnahmen müssen aufgrund der sensiblen Daten unbedingt notwendig und verhältnismäßig sein, insbesondere wenn es um Personen, die internationalen Schutz beantragen, und die Vertraulichkeit des Verfahrens geht. Denn personenbezogene Daten, die im Zusammenhang mit dem Grenzmanagement und der Rückkehr verarbeitet werden, fallen unter die Datenschutz-Grundverordnung und gelten nicht als operative personenbezogene Daten im Sinne der Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates (6).

    3.1.8.

    Der EWSA weist darauf hin, dass bei der Zusammenarbeit mit Drittländern, insbesondere auch wenn Frontex in Drittländern tätig wird, die Grundrechte, einschließlich des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten, uneingeschränkt geachtet und geeignete Mechanismen der Rechenschaftspflicht vorgesehen werden müssen.

    3.2.   Maßnahmen zur internen Stärkung des Schengen-Raums

    3.2.1.

    Der EWSA begrüßt die Aufmerksamkeit, die den Maßnahmen gewidmet wird, die zwar streng genommen keine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellen, aber mit dem Funktionieren des Schengen-Raums verbunden sind.

    3.2.2.

    Auf die Sicherheitsbedenken der Mitgliedstaaten wird besser mit einer intensiveren und verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden als mit der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen eingegangen.

    3.2.3.

    Der EWSA betont, dass bei allen Formen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit die Grundrechte, einschließlich der Verteidigungsrechte (7) und der Rechte der Opfer (8), uneingeschränkt geachtet werden müssen. Dies bedeutet auch, dass bei Verstößen gegen die Grundrechte die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Akteuren (EU und national) nicht zu einem Mangel an Rechenschaftspflicht führen darf.

    3.2.4.

    Der Schutz personenbezogener Daten muss unter dem jeweiligen Rechtsrahmen jederzeit geachtet werden, insbesondere wenn es sich um hochsensible personenbezogene Daten handelt, wie dies bei den Prümer Beschlüssen der Fall ist.

    3.2.5.

    Mit Blick auf die Nutzung künstlicher Intelligenz in der grenzüberschreitenden Polizeiarbeit verweist der EWSA auf seine Stellungnahme zu der Verordnung über künstliche Intelligenz (9).

    3.2.6.

    Der EWSA möchte darauf hinweisen, dass im Anhang des Vorschlags für ein Gesetz über künstliche Intelligenz (10) die Möglichkeit vorgesehen ist, KI im Migrations-, Asyl- und Grenzmanagement einzusetzen. Insbesondere die Bezugnahme auf die Verwendung von Lügendetektoren und ähnlichen Instrumenten zur Ermittlung des emotionalen Zustands einer natürlichen Person ist besorgniserregend, da es an wissenschaftlichen Nachweisen für die Zuverlässigkeit solcher Verfahren mangelt.

    3.2.7.

    Zu den im neuen Migrations- und Asylpaket vorgeschlagenen spezifischen Maßnahmen verweist der EWSA auf seine Stellungnahme vom 17. Dezember 2020 (11).

    3.2.8.

    Der EWSA stellt den zusätzlichen Nutzen einer verstärkten Nutzung von vorab übermittelten Fluggastdaten (Advance Passenger Information) in Verbindung mit Fluggastdatensätzen (Passenger Name Records) in Frage und ist der Auffassung, dass ein systematischer und massenhafter Austausch personenbezogener Daten innerhalb des Schengen-Raums, der sich automatisch auch auf EU-Bürgerinnen und -Bürger auswirken würde, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, von der Kommission nicht überzeugend begründet wird.

    3.2.9.

    In Bezug auf die Anwendung des Europäischen Haftbefehls und anderer Instrumente, die die Zusammenarbeit im Bereich Strafverfolgung erleichtern, wie etwa die Europäische Ermittlungsanordnung, weist der EWSA darauf hin, dass gegenseitiges Vertrauen für das reibungslose Funktionieren dieser Instrumente der gegenseitigen Anerkennung unerlässlich ist. Dies erfordert eine noch wirksamere Überwachung der Rechtsstaatlichkeit durch die EU-Organe und eine Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Artikel 19 Absatz 1 EUV.

    3.3.   Bessere Governance

    3.3.1.

    Der EWSA begrüßt, dass das Schengen-Forum den Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten kann, politisch wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Schengen-Zusammenarbeit zu erörtern. Andere EU-Institutionen sowie der EWSA sollten jedoch informiert bleiben und an dem Forum teilnehmen können. Das Forum und seine Maßnahmen sollten möglichst transparent sein. Das Forum sollte Zugang zu seinen Dokumenten gewähren. Die neuerliche Vorlage des Schengen-Statusberichts ist zu begrüßen, aber in dieser Hinsicht nicht ausreichend.

    3.3.2.

    Der EWSA teilt die Auffassung, dass der Schengener Grenzkodex geändert werden sollte, um einige der Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie zu berücksichtigen. Er betont, dass die zu ziehenden Lehren über den Aspekt der Binnengrenzen hinausgehen und das Funktionieren des Binnenmarktes selbst betreffen. Eine solche Änderung sollte daher Teil einer umfassenderen Eignungsprüfung des europäischen Rechtsrahmens für die Freizügigkeit in einer Welt sein, in der COVID-19 wahrscheinlich auch weiterhin unseren Alltag bestimmen wird. Der EWSA teilt die Auffassung, dass ein solcher Ansatz auch Vorschriften für Reisen in die EU umfassen sollte, die derzeit nicht im Schengener Grenzkodex enthalten sind. Der EWSA erbittet sich von der Kommission eine Antwort auf die Frage, ob sie eine Änderung der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr in Betracht zieht.

    3.3.3.

    Nach Ansicht des EWSA sollte die Kommission eine entschlossenere Haltung einnehmen und grenzenloses Reisen in Europa fördern. Im EU-Vertrag ist eindeutig festgeschrieben, dass die EU ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum ohne Grenzen bieten wird. Das Recht der Mitgliedstaaten, Grenzkontrollen wieder einzuführen, stellt eine Ausnahme von diesem Recht dar, die eng auszulegen ist. Sie kann nicht als hoheitliches Vorrecht angesehen werden, sondern ist vielmehr an die Regeln des Schengener Grenzkodex gebunden. Bei jeder Überarbeitung des Kodex ist der Tatsache umfassend Rechnung zu tragen, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen nur in Ausnahmefällen zulässig ist.

    3.3.4.

    Der EWSA begrüßt die Vorschläge für ein besseres Funktionieren des Schengen-Evaluierungsmechanismus, insbesondere im Hinblick auf eine schnellere Weiterverfolgung, stärkere Synergien mit dem Mechanismus für die Schwachstellenbeurteilung und eine verstärkte Aufmerksamkeit sowie einen bereichsübergreifenden Ansatz für die Menschenrechte. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass der Schengen-Evaluierungsmechanismus keine eher technischen Fragen politisiert.

    3.3.5.

    Der EWSA fordert die Kommission auf, ihre vertraglichen Durchsetzungsbefugnisse aktiv in Fällen zu nutzen, in denen es an der Weiterverfolgung von Mängeln hapert, die bei Schengen-Evaluierungen festgestellt wurden. Systemische Praktiken, die Grundrechtsnormen verletzen, sollten vorrangig angegangen werden. Die Kommission sollte sich vor allem nicht nur auf die Ergebnisse des Schengen-Evaluierungsmechanismus stützen, sondern auch selbst die Lage der Grundrechte aktiv überwachen.

    3.4.   Vollendung des Schengen-Raums

    3.4.1.

    Der EWSA begrüßt den Standpunkt der Kommission hinsichtlich der Vollendung des Schengen-Raums. Er betont den Zusammenhang zwischen Freizügigkeit, Unionsbürgerschaft und dem Wegfall von Grenzkontrollen. Derzeit kommen die Bürgerinnen und Bürger Bulgariens, Kroatiens und Rumäniens nicht in den vollen Genuss ihrer vertraglichen Rechte als EU-Bürger.

    3.4.2.

    Der EWSA weist darauf hin, dass diese Mitgliedstaaten ihre Außengrenzen bereits im Einklang mit dem Schengener Grenzkodex kontrollieren. Ihr vollständiger Beitritt würde das Funktionieren und die Sicherheit der Europäischen Union durch ihre uneingeschränkte Beteiligung an allen Großdatenbanken im Bereich Justiz und Inneres erhöhen.

    3.4.3.

    Der EWSA fordert die Kommission auf, einen detaillierter ausgearbeiteten Fahrplan für den vollständigen Beitritt vorzulegen, und fordert den Rat auf, rasch entsprechend zu handeln.

    Brüssel, den 20. Oktober 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  COM(2021) 278 final.

    (2)  Siehe Ziffer 4.8 ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 62.

    (3)  Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs, Frontex‘s support to external border management: not sufficiently effective to date, 2021.

    (4)  EWSA-Stellungnahmen zu Migration, ABl. C 123 vom 9.4.2021, S. 15, ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 58, ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 64.

    (5)  Vermerk der Europäischen Kommission Implementation of interoperability: state of play on the implementation of the Entry/Exit System and the European Travel Information and Authorisation System, Juni 2021.

    (6)  Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG (ABl. L 295 vom 21.11.2018, S. 39).

    (7)  Im Einklang mit Titel VI der Charta der Grundrechte und dem einschlägigen Sekundärrecht.

    (8)  Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57) sowie die Rechtsvorschriften für bestimmte Kategorien von Opfern von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Kinderpornografie sowie Terrorismus.

    (9)  INT/940 (ABl. C 517 vom 22.12.2021, S. 61).

    (10)  COM(2021) 206 final, S. 4 und 5.

    (11)  ABl. C 123 vom 9.4.2021, S. 15.


    Top