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Document 52021IE2611

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die EU-Mobilitätsstrategie und industrielle Wertschöpfungsketten der EU: ein Ökosystemansatz in der Automobilindustrie“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2021/02611

ABl. C 105 vom 4.3.2022, p. 26–33 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

4.3.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 105/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die EU-Mobilitätsstrategie und industrielle Wertschöpfungsketten der EU: ein Ökosystemansatz in der Automobilindustrie“

(Initiativstellungnahme)

(2022/C 105/05)

Berichterstatter:

Arnaud SCHWARTZ

Ko-Berichterstatterin:

Monika SITÁROVÁ

Beschluss des Plenums

25.3.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständiges Arbeitsorgan

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

29.9.2021

Verabschiedung im Plenum

20.10.2021

Plenartagung Nr.

564

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

235/1/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass das europäische Automobil-Ökosystem bei der Entwicklung und Anwendung nachhaltiger Mobilitätslösungen eine Vorreiterrolle übernehmen kann. Innerhalb des Automobil-Ökosystems müssen deshalb aktiv Strategien entwickelt werden, um aktuelle Disruptionen und Megatrends in der europäischen Automobilindustrie mitzugestalten.

1.2.

Der EWSA betont, dass sich die EU um die Nachhaltigkeit aller Verkehrsträger bemühen und gleichzeitig nachhaltige Alternativen für die EU-Bürgerinnen und -Bürger allgemein verfügbar und zugänglich machen sollte, um die verkehrsbedingten Emissionen bis 2050 um 90 % zu verringern. Dieses Ziel kann durch eine intelligente Kombination von Antriebssystemen erreicht werden, mit der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Umweltschutz, effizienter Nutzung erneuerbarer Energieträger, Rentabilität und Verbraucherakzeptanz unter Wahrung des Grundsatzes der Technologieneutralität hergestellt wird.

1.3.

Der EWSA betont ausdrücklich, dass individuelle Mobilität für alle zugänglich und erschwinglich bleiben muss, insbesondere für Pendler, die keinen Zugang zu guten öffentlichen Verkehrsdienstleistungen oder anderen Mobilitätslösungen haben. Eine gesellschaftliche Polarisierung zwischen denen, die sich ein umweltfreundliches Fahrzeug leisten können, und denen, die dazu nicht in der Lage sind, muss unter allen Umständen verhindert werden. In diesem Zusammenhang warnt der EWSA, dass durch die Einrichtung eines EHS-Nebensystems für den Verkehrssektor die öffentliche Unterstützung für die Defossilisierung des Straßenverkehrs untergraben werden könnte, wenn einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen und Personen, deren Lebensunterhalt vom Straßenverkehr abhängt, nicht angemessen entschädigt werden.

1.4.

Der EWSA weist darauf hin, dass die europäische Automobilindustrie von jeher weltweit führend ist und als Motor für Wachstum und Arbeitsplätze wirkt. Sie sollte diese Stellung beim Übergang zum Paradigma eines digitalisierten und dekarbonisierten Straßenverkehrssystems beibehalten und Wirkungspfade für einen Wandel entwickeln, mit denen die disruptiven Trends, denen sich die Industrie derzeit gegenübersieht, bewältigt werden können. Dabei sollte sie auf ihren technologischen Stärken, ihren qualifizierten Arbeitskräften, dem erstklassigen Ingenieurwesen, anspruchsvollen Verbrauchern, hochentwickelten Lieferketten, einer starken KMU-Kultur und konstruktiven Beziehungen zwischen den Sozialpartnern aufbauen.

1.5.

Der erfolgreiche Start des wichtigen Vorhabens von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) für Batterien hat bewiesen, dass die Bündelung öffentlicher und privater Mittel eindeutig zur Stärkung der Lieferkette in der Automobilindustrie beiträgt. Der EWSA ist daher überzeugt, dass mehr IPCEI in diesem Sektor in Erwägung gezogen werden müssen, z. B. für Wasserstoff (in Vorbereitung), automatisierte und vernetzte Pkw, die Kreislaufwirtschaft und Rohstoffe. Es müssen entschlossene Maßnahmen ergriffen werden, um die Versorgungsengpässe bei Halbleitern zu überwinden; die Einrichtung eines zweiten ICPEI für Halbleiter würde zur Lösung dieses Problems beitragen.

1.6.

Der EWSA fordert die EU auf, weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen zu unterstützen. Ziel der EU muss es sein, ihre starke Exportstellung in der Automobilindustrie zu erhalten. Dazu müssen folgende Maßnahmen ergriffen werden:

Bemühungen um Gegenseitigkeit bei den Handelsbeziehungen (Marktzugang, Vergabe öffentlicher Aufträge, Investitionen, Wahrung von Rechten des geistigen Eigentums, Beihilfen),

Abschluss bilateraler Freihandelsabkommen (einschließlich eines Kapitels zu Automobilindustrie/Straßenverkehr),

Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken (Beihilfen, bilaterale Freihandelsabkommen, Unterschiede bei der CO2-Bepreisung, Sozial- und Umweltdumping),

Förderung der internationalen Zusammenarbeit bei sauberen Fahrzeugen und Kraftstofftechnologien mit geringem CO2-Ausstoß.

1.7.

Der Wandel in der Automobilindustrie wird dramatische Auswirkungen auf die Zahl und die Qualität der benötigten Arbeitsplätze haben. Deshalb müssen vorausschauende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergriffen werden, um die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitskräfte beispielsweise durch Weiterbildungs- und Umschulungsinitiativen (wie die Allianz für Kompetenzen im Automobilsektor) zu erhalten, damit Arbeitnehmer die Kompetenzen der Zukunft erwerben können. Im Fall von Arbeitnehmern, die nicht mehr in der Branche beschäftigt werden können, sollte (neben Vorruhestandsregelungen) für einen reibungslosen Übergang zu einem anderen Arbeitsplatz gesorgt werden.

1.8.

Der EWSA fordert, die Auswirkungen des digitalen und grünen Wandels der Branche genau zu erfassen, um die Regionen und Teile der Lieferkette zu ermitteln, die am stärksten gefährdet sind. Ferner muss der sich aufgrund von Dekarbonisierung und Digitalisierung verändernde Fußabdruck der Industrie überwacht werden, wobei alle relevanten Phasen des Lebenszyklus zu berücksichtigen sind. Da die Lieferkette der Automobilindustrie enorme Herausforderungen bewältigen muss, hält es der EWSA für wichtig, einen Mechanismus für einen gerechten Übergang in der Branche einzurichten, um die erforderlichen Begleitmaßnahmen zur Vermeidung sozialer Verwerfungen und zur Sicherstellung eines sozialverträglichen Übergangs vorzusehen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

Derzeitige Lage

2.1.

Die Automobilindustrie ist von jeher ein Grundpfeiler der Industrie der Europäischen Union und eng mit vorgelagerten Branchen wie der Stahl-, Chemie- und Bekleidungsindustrie sowie mit nachgelagerten Branchen wie den Bereichen IKT, Reparaturarbeiten, Kraftstoffe, Schmierstoffe und Mobilitätsdienstleistungen verbunden. Die Branche erwirtschaftet über 8 % des EU-BIP, auf sie entfallen 28 % der gesamten FuE-Ausgaben der EU, und mit ihren Ausfuhren wird ein hoher Handelsüberschuss erwirtschaftet. Die Zukunft der Automobilindustrie der EU wird jedoch davon abhängen, wie sie die grundlegenden Anpassungen vornehmen kann, die zur Bewältigung der beispiellosen Herausforderungen nötig sind, vor denen sie heute steht.

2.2.

Die europäische Autoindustrie steht vor einem radikalen Paradigmenwechsel, der aus dem komplexen Übergang zu einer digitalen und grünen Wirtschaft resultiert. Am 28. November 2018 nahm die Kommission eine langfristige Vision für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 an. Der Verkehrssektor spielt bei dieser Umstellung eine wichtige Rolle. Mit dem europäischen Grünen Deal von Dezember 2019 wurde ein strategischer Rahmen für das Erreichen der Klimaneutralität festgelegt. Dabei wird eine Verringerung der verkehrsbedingten Emissionen um 90 % bis zum Jahr 2050 gefordert. Vor diesem Hintergrund hat die EU beschlossen, ihr Ziel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 auf mindestens 55 % anzuheben. Zur Verwirklichung dieses Ziels hat die Kommission am 14. Juli 2021 ihr Paket „Fit für 55“ veröffentlicht, mit dem die Lastenteilungsverordnung, die Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe und die Verordnung zur Festsetzung von CO2-Emissionsnormen überarbeitet werden.

2.3.

Die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf CO2-arm erzeugten Strom sowie die Verlagerung der Wertschöpfung von der Massenproduktion von Autos hin zur Erbringung von Mobilitätsdienstleistungen wird für die Branche, die vielen KMU in ihren komplexen Lieferketten und die 13,8 Mio. Beschäftigten des Sektors erhebliche Umwälzungen mit sich bringen. Die Herausforderung wird deshalb darin bestehen, den Übergang zur Klimaneutralität in sozialverträglicher Weise zu bewerkstelligen.

Disruptive Megatrends

2.4.

Globalisierung. Während sich der Absatz auf den ausgereiften Märkten verlangsamt, nimmt der Automobilabsatz auf den Schwellenmärkten zu. Infolgedessen verlagert sich der wirtschaftliche Schwerpunkt von der EU und den USA nach Asien. China fertigt derzeit 26 Mio. Autos jährlich gegenüber 22 Mio. in der EU. China gehört auch zu den ersten Ländern, die mit der Produktion von Elektrofahrzeugen begonnen haben, und besitzt eine ausgereifte Batterieindustrie. Japan und Korea spielen ebenfalls eine führende Rolle bei Batterien und sind insbesondere bei Halbleitern leistungsstark. Europa hat zudem Schwierigkeiten beim Zugang zu ethisch gewonnenen Rohstoffen wie Lithium und Kobalt (1). Darüber hinaus muss der Automobilsektor den zunehmenden geopolitischen Spannungen Rechnung tragen.

2.5.

Die Herausforderung der nachhaltigen Entwicklung. Der in der Strategie der EU für nachhaltige und intelligente Mobilität dargelegten Vision zufolge werden bis 2030 „mindestens 30 Mio. emissionsfreie Pkw“ auf europäischen Straßen unterwegs sein. Am 14. Juli schlug die Europäische Kommission vor, ab 2035 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zuzulassen. Dazu muss der Anteil der emissionsfreien Pkw in der Fahrzeugflotte stark erhöht werden (von derzeit 0,2 % auf 11-14 % im Jahr 2030) (2). Durch die Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals entstehen Vorreitervorteile, Europas Führungsrolle bei Technologien mit geringen CO2-Emissionen und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit werden unterstützt. Dies erfordert auch massive Investitionen in die Entwicklung alternativer (batteriebetriebener, hybrider, wasserstoffbetriebener) Antriebsformen und nicht-fossiler Kraftstoffe für konventionelle Antriebe, die noch lange im Einsatz sein werden. Das Tempo der Einführung dieser Antriebssysteme und Kraftstoffe hängt von günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen und den Amortisationszeiten für diese Investitionen ab. In der Strategie der EU für nachhaltige und intelligente Mobilität wird eingeräumt, dass alle Verkehrsträger nachhaltiger gemacht werden müssen. Dieser Ansatz erfordert die Einführung von Niedrigemissions- und emissionsfreien Fahrzeugen sowie erneuerbare und CO2-arme Kraftstoffe für den Straßen-, Schiffs- und Luftverkehr.

2.6.

Einstellungswandel bei den Verbrauchern. Das Mobilitätsverhalten verändert sich. Eine neue Generation von Verbrauchern ist weniger am Besitz eines Pkw interessiert, da viele in städtischen Gebieten mit gut funktionierenden öffentlichen Verkehrssystemen leben. Statt sich ein Auto anzuschaffen, greifen sie auf andere Mobilitätslösungen (Car-Sharing, Fahrgemeinschaften, Mikromobilität) zurück. Andere Trends, die sich bereits abzeichneten, wurden durch die Pandemie verstärkt, u. a. Online-Einkauf, Telearbeit, Videokonferenzen und Lieferdienste. Dies wird zu einer Abnahme der Mobilität privater Kraftfahrzeuge und einer Zunahme der Nutzung von Lieferwagen führen.

2.7.

Verbesserung der Konnektivität. Digitale Technologien sollen eine nahezu ständige Vernetzung von Pkw ermöglichen. So könnte ein beträchtliches Potenzial für neue datengestützte Geschäftsmodelle entstehen. Intelligente Fahrzeuge wären mit aktiven Sicherheitsfunktionen, Infotainment, Verkehrsinformationsdiensten, Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur usw. ausgestattet.

2.8.

Schrittweise Automatisierung des Pkw. Der Weg hin zu selbstfahrenden Autos wird zu einem steigenden Maß an autonomen Fahrzeugfunktionen führen. Automatisiertes Fahren würde enorme Investitionen in Software, Kommunikationsnetze und Hardware (Radargeräte, Lidar-Geräte, Transponder) erfordern. Ferner stellen sich zahlreiche Probleme im Hinblick auf Zuverlässigkeit, Rechtsrahmen, Preis, Straßenausstattung und Haftung.

2.9.

Digitalisierung der Produktion. Die Automobilindustrie hat das Fließband (Ford), die Grundsätze der schlanken Produktion (Toyota) und globalisierte Produktionsplattformen (VW) erfunden. Derzeit werden die Grundsätze der Industrie 4.0 mit fortgeschrittener Robotisierung, digital integrierten Lieferketten, fortgeschrittenen Fertigungssystemen und additiver Fertigung umgesetzt.

Auswirkungen des grünen und digitalen Wandels

2.10.

Eine kleinere, digitalisierte Automobilindustrie, die weniger CO2-Emissionen verursacht, wird erhebliche Herausforderungen für die Arbeitsplätze mit sich bringen. Elektrospeicherfahrzeuge haben weniger Bauteile und sind einfacher zu fertigen, und mindestens 36 % ihres Mehrwerts befinden sich in Batterien. Einer Hochrechnung aus einer aktuellen Studie des deutschen IFO-Instituts zufolge werden 620 000 Arbeitsplätze in der EU-Wertschöpfungskette für konventionelle Antriebssysteme gefährdet sein. Lösungen können teilweise zum Beispiel im (Vor-)Ruhestand (3) oder allgemein in einer Revolutionierung der Zukunft der Arbeit (4) bestehen. Durch den Wandel entstehen jedoch auch neue Arbeitsplätze in angrenzenden Branchen wie Leistungselektronik, intelligente Netze, Straßen- und Ladeinfrastruktur, Batterien, neue Materialien und alternative Antriebssysteme.

2.11.

Trend zur Konsolidierung und zu strategischen Bündnissen (z. B. Stellantis, Bündnis von BMW und Mercedes sowie von VW und Ford), um Forschung und Entwicklung bei neuen Antriebssträngen zu bündeln und den Einkauf von Bauteilen zu kombinieren. Diese Fusionen und Zusammenschlüsse werden in allen Fällen neue Unternehmensstrategien, die Überprüfung des industriellen Fußabdrucks, die Auslagerung in Regionen mit niedrigeren Arbeitskosten, Stellenabbauprogramme und erhöhten Druck auf die Zulieferer zur Folge haben. Außerdem ermöglicht die Ausgliederung ausgereifter Geschäftsbereiche den Unternehmen, ihre Ressourcen auf die neuen Antriebsstränge zu konzentrieren.

2.12.

Verschwimmen der Grenzen zwischen der Automobilindustrie und dem IT-Sektor. Die Informationstechnologie wird in alle Teile der Lieferkette vordringen. Daten werden der neue Rohstoff und eine Einnahmequelle sein. Eine globale Umwälzung der Branche ist im Gange, neue Akteure drängen in die Branche: Mobilitätsanbieter (Uber), IT-Riesen (Google, Apple, Baidu), Chiphersteller (Intel, NXP, STM), Batteriehersteller (Panasonic, CATL, LG), neu entstehende Erstausrüster (Tesla).

2.13.

Die Wertschöpfung könnte sich vom Kern der Automobilindustrie (Erstausrüster) weg auf andere Teile der Lieferkette verlagern, da der Anteil der Informationstechnologien an der Wertschöpfung zu Lasten der mechanischen Komponenten zunehmen wird.

2.14.

Voraussichtlich wird immer mehr Wertschöpfung bei Mobilitätsdienstleistungen geschaffen werden, zu denen Fahrgemeinschaften, Mitfahrdienste, Car-Sharing und viele digitale Dienstleistungen wie Navigation-Apps, Infotainment, Werbung und fortgeschrittene Fahrerunterstützungssysteme gehören. Dadurch werden neue Geschäftsmodelle entstehen: Erstausrüster sehen die Autoindustrie als einen Markt von 100 Mio. Fahrzeugen, für digitale Plattformen stellt sie hingegen einen Markt dar, auf dem jedes Jahr 10 Billionen Meilen verkauft werden können.

2.15.

Die Arbeitsplatzstruktur der Branche wird sich vollständig verändern. Neue Kompetenzen und Erfahrungen werden gebraucht (Elektronik, Elektrochemie, neue Materialien, Informationstechnologien), während gleichzeitig die Nachfrage nach herkömmlichen mechanischen Fähigkeiten abnimmt. Es wird eine wichtige Aufgabe für die Automobilindustrie sein, den Arbeitskräften diese Kompetenzen zu vermitteln.

2.16.

Alle genannten Megatrends werden sich gegenseitig verstärken. Zwar besteht ein breiter Konsens darüber, dass eine bahnbrechende Disruption begonnen hat, doch muss für alle Akteure Priorität haben, dass der soziale Übergang hin zu einem dekarbonisierten Verkehr durch die Gestaltung eines gerechten Übergangs schrittweise erfolgt. Nachhaltige Mobilität wird nur dann akzeptiert, wenn sie für alle erschwinglich ist.

3.   Bewältigung des Wandels

Umwelt: Umstellung auf Nachhaltigkeit

3.1.

Um die verkehrsbedingten Emissionen bis 2050 um 90 % zu verringern, sollte sich die EU bemühen, alle Verkehrsträger nachhaltig zu gestalten und gleichzeitig nachhaltige Alternativen für die EU-Bürgerinnen und Bürger allgemein verfügbar und zugänglich machen. Dieses Ziel kann durch eine intelligente Kombination von Antriebssystemen erreicht werden, mit der ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Umweltschutz, effizienter Nutzung erneuerbarer Energieträger, Rentabilität und Verbraucherakzeptanz unter Wahrung des Grundsatzes der Technologieneutralität hergestellt wird. Dazu müssen verschiedene Strategien miteinander kombiniert werden:

Verringerung der Tank-to-Wheel-CO2-Emissionen (48V, Hybridfahrzeuge, Strom, Wasserstoff, leistungsfähigere Verbrennungsmotoren usw.),

Verringerung von Well-to-Wheel-CO2-Emissionen. Die Entwicklung von E-Fuels und Biokraftstoffen, die im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und den Nachhaltigkeitskriterien der Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (5) stehen, muss unterstützt werden, um Auswirkungen auf Landnutzung, biologische Vielfalt und Wälder zu vermeiden,

eine abgestimmte Strategie für saubere Städte (z. B. durch die Senkung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen für die Feinverteilung („letzte Meile“), innovative Mikromobilitätslösungen, intermodales Reisen),

Verringerung der Lebenszyklusemissionen (Herstellung und Recycling),

Verringerung der Emissionsintensität des Verkehrssektors (intelligente Verkehrslösungen, geteilte Mobilität), Für jeden Beförderungsbedarf muss eine nachhaltige Mobilitätslösung zur Verfügung stehen (Güterfernverkehr mit Biokraftstoffen und synthetischen Kraftstoffen/Wasserstoff, batteriegestützter Elektroantrieb für den städtischen Lieferverkehr für die Feinverteilung) unter Wahrung des Grundsatzes der Technologieneutralität,

Unterstützung der Nachrüstung, das heißt der Ersetzung des Verbrennungsmotors durch einen Elektromotor, oder der Umrüstung in ein Hybridfahrzeug mittels Ergänzung durch einen Radnabenmotor.

Verringerung des Gewichts neu in Verkehr gebrachter Fahrzeuge (6).

3.2.

Die Kommission beabsichtigt, ein EHS-Nebensystem für den Straßenverkehr und Gebäude einzurichten. Die Bepreisung der Emissionen aus dem Straßenverkehr ist gleichbedeutend mit einer Besteuerung von Kraftstoff (allerdings mit einer qualifizierten Mehrheit). Die Einnahmen werden zur Entschädigung von Personen verwendet, die entweder für die Arbeit oder aufgrund eines Mangels an alternativen Beförderungsmöglichkeiten auf ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor angewiesen sind. Da die Ausgestaltung eines solchen Ausgleichsmechanismus äußerst komplex sein wird und die höheren Kraftstoffpreise einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark treffen werden, ist dies nach Ansicht des EWSA nicht der richtige Weg, da die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen beeinträchtigt wird. Bemühungen zur Senkung der Lebenszykluskosten alternativer Antriebssysteme und zur Senkung der Kosten für CO2-arme und -neutrale Kraftstoffe sind besser geeignet, einen Verkehr mit geringen CO2-Emissionen für möglichst viele Menschen erschwinglich zu machen.

3.3.

Vorrang sollten die Gebiete haben, in denen bisher kaum Ladesäulen existieren. Derzeit gibt es 213 000 Ladestationen, wobei 70 % aller Ladestationen in der EU in drei Ländern konzentriert sind (Niederlande, Deutschland und Frankreich). Die Tatsache, dass die Zahl der öffentlichen Ladestationen bis 2025 auf eine Million und bis 2030 auf drei Millionen aufgestockt werden soll, bedeutet, dass im Hinblick auf die Infrastrukturentwicklung eine enorme Lücke zu schließen ist (im Rahmen der europäischen Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität wird geschätzt, dass im nächsten Jahrzehnt zusätzliche Investitionen in die Lade- und Betankungsinfrastruktur für CO2-arme Kraftstoffe in Höhe von 130 Mrd. EUR jährlich getätigt werden müssen). Der EWSA spricht sich deshalb für die Festlegung verbindlicher Ziele aus. Mit dem Vorzeigeprojekt „Aufladen und Auftanken“, das Teil der Aufbau- und Resilienzfazilität ist, werden die Mitgliedstaaten lediglich aufgefordert, die Einrichtung von Lade- und Betankungsstationen im Rahmen ihrer Aufbaupläne zu beschleunigen. Besonderes Augenmerk sollte auf Wohnhäusern, der Vorbereitung der Netze für eine verstärkte Integration von E-Fahrzeugen, der Interoperabilität der Ladeinfrastruktur, der Entwicklung intelligenter Ladedienste (z. B. durch Lastausgleich) und der Versorgung mit erneuerbaren und CO2-armen Kraftstoffen liegen. Da zunehmend vollelektrische schwere Nutzfahrzeug eingesetzt werden, muss auch ihnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

3.4.

Solange die (für 2025–2027 vorgesehene) Preisparität zwischen konventionellen Fahrzeugen und Elektrofahrzeugen nicht erreicht ist, werden finanzielle Anreize nötig sein, um die Markteinführung von Fahrzeugen mit geringen CO2-Emissionen zu unterstützen. Dies können finanzielle Anreize (Beihilfen, Steuererleichterungen, Abwrackregelungen) oder nicht-finanzielle Anreize (Sonderfahrstreifen, Mautbefreiungen, reservierte Parkplätze) sein, zu denen auch ein kohärentes regulatorisches Umfeld zur Förderung von Investitionen in CO2-arme Kraftstoffe gehört. Besonderes Augenmerk sollte auf der Ökologisierung von Fahrzeugflotten liegen, da dies ein wichtiges Mittel zur Beschleunigung der Umstellung sein könnte und zudem dazu beiträgt, einen Gebrauchtmarkt für CO2-neutrale und -arme Fahrzeuge zu schaffen.

3.5.

Unterstützung der Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft im Automobil-Ökosystem: Recycling, Wiederverwendung und Wiederverwertung von Autos und Teilen. Die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft sollten auch angewendet werden, um die Menge an Sekundärrohstoffen, die der Industrie zur Verfügung stehen, zu erhöhen und die Abhängigkeit von Einfuhren zu verringern. Jüngste Studien deuten jedoch darauf hin, dass recycelte Materialien erst in einem Jahrzehnt, wenn die Lebensdauer von E-Fahrzeugen erreicht ist, eine ausreichende Marktgröße haben werden. Daher ist es wichtig, realistisch zu sein und anzuerkennen, dass die Primärgewinnung zumindest in den 2020er-Jahren eine wesentliche Rolle spielen wird. Die Versorgungssicherheit muss deshalb durch eine Diversifizierung von Lieferketten sowie eine grüne und ethische Gewinnungsstrategie gewährleistet werden. Zudem muss bei der künftigen Überarbeitung der Altfahrzeug-Richtlinie 2000/53/EG (7) der Elektrifizierung von Fahrzeugen und der notwendigen Entwicklung von Märkten für Sekundärmaterial Rechnung getragen werden.

Wirtschaft: Erhaltung und Entwicklung der vollständigen Lieferkette in der Automobilindustrie innerhalb der EU

3.6.

Förderung der Zusammenarbeit der Unternehmen. Angesichts der beträchtlichen Mittel für Forschung und Entwicklung (derzeit 60 Mrd. EUR jährlich), die gegenwärtig in die Entwicklung CO2-armer, vernetzter, automatisierter und geteilter Mobilität investiert werden, sind eine Zusammenarbeit innerhalb der Branche und öffentliche-private Partnerschaften erforderlich. In dieser Hinsicht sollte der Aufbau von Innovationspartnerschaften innerhalb des Clusters 5 (Klima, Energie, Mobilität) von Horizont Europa (sauberer Wasserstoff, Batterien, vernetzte und automatisierte Mobilität, emissionsfreier Straßenverkehr, Impulse für den städtischen Wandel) umfassend unterstützt werden. Zudem bieten Industrieallianzen unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kommission (wie für Batterien, Wasserstoff, Rohstoffe und die angekündigte Allianz für die Wertschöpfungskette bei erneuerbaren und CO2-armen Kraftstoffen) eine breite und offene Plattform für die Festlegung strategischer Fahrpläne und die Abstimmung von Forschung und Entwicklung, Investitionen sowie die Markteinführung neuer Innovationen. darüber hinaus werden durch die Bündelung öffentlicher und privater Mittel in IPCEI die Lieferkette in der europäischen Automobilindustrie deutlich gestärkt, strategische Abhängigkeiten verringert und der doppelte grüne und digitale Wandel gefördert. Neue IPCEI müssen in folgenden Bereichen in Betracht gezogen werden: vernetzte und automatisierte Pkw, Kreislaufwirtschaft, Integration von Energiesystemen, Versorgung mit Rohstoffen, Datenwirtschaft, Halbleiter.

3.7.

Herausforderungen der Entwicklung einer nachhaltigen und zirkulären Wertschöpfungskette für Batterien (8) in der EU. Die Lokalisierung der Batterie- und Brennstoffzellenproduktion muss ein wichtiges Ziel der EU sein. Die Batterie-Allianz und die Wasserstoff-Allianz der EU sollten unterstützt werden, und ihnen müssen ausreichende Mittel bereitgestellt werden. Durch diese Industrieallianzen müssen massive Investitionen in Produktionsanlagen mobilisiert und Tausende von Arbeitsplätzen in Europa geschaffen werden. Es muss dafür Sorge getragen werden, eine Kluft zwischen den Regionen Europas zu verhindern, wie sie derzeit sichtbar wird.

3.8.

Der Megatrend vernetzter und automatisierter Pkw könnte zu einer Verlagerung der Wertschöpfung vom Verkauf und der Wartung von Fahrzeugen hin zu neuen disruptiven Geschäftsmodellen führen, die auf datengestützten Dienstleistungen und Mobilität als Dienstleistung beruhen. Das Automobil-Ökosystem muss auf den Einstieg in diese neuen Geschäftsmodelle und die Sicherung seiner Position in diesen Modellen vorbereitet sein. Dies erfordert technologische und regulatorische Standards, um neue innovative Mobilitätsdienstleistungen wie nutzungsabhängige Zahlung, ortsbezogene Werbung, Fernaktualisierung/Fernwartung von Fahrzeugen anbieten zu können. Der Aufbau eines europäischen Raums für Mobilitätsdaten ist entscheidend, um die Führungsrolle Europas bei digitalen Mobilitätsdiensten sicherzustellen. Zudem müssen die erforderliche Infrastruktur für die digitale Kommunikation eingerichtet und Fahrpläne für eine zunehmende Automatisierung aufgestellt werden (einschließlich eines Rahmens für umfassende Tests, des Zugangs zu Daten und eines neuen Konzepts für die Typgenehmigung von Fahrzeugen). Ferner müssen die langfristigen Auswirkungen von zunehmend automatisierten Fahrzeugen, insbesondere auf Arbeitsplätze und ethische Fragen, bewertet werden, da dies wichtig sein wird, um soziale Akzeptanz zu erreichen. Da der Güterverkehr künftig zunehmen könnte (Online-Handel), müssen intelligente Lösungen für die Verkehrsmobilität entwickelt werden, die auf einer multimodalen Organisation des Verkehrs, Kosteneffizienz (Fahrzeugkombinationen mit hoher Kapazität) und nachhaltigen Verkehrsträgern basieren und bei denen Automatisierungs- und Konnektivitätslösungen in der Logistikkette genutzt werden.

3.9.

Intelligente Technologien und digitale Lösungen auf der Basis des „Paradigmas Industrie 4.0“ müssen die Integration von Produktionsystemen unterstützen und dazu beitragen, die Systeme flexibler zu gestalten. Durch verbesserte Produktionssysteme (nicht nur die Integration der Produktionsprozesse auf Unternehmensebene) entlang der gesamten Lieferkette werden die Lieferketten der Automobilindustrie resilienter und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Die Digitalisierung muss gefördert werden, indem ein Industriedatenraum für die Branche geschaffen wird. Diese Technologien bringen jedoch auch eine zunehmende Automatisierung mit nachteiligen Folgen für den Arbeitsmarkt mit sich, auf die reagiert werden muss.

3.10.

Unterstützung weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen. Ziel der EU muss es sein, ihre starke Exportstellung in der Automobilindustrie zu erhalten. Dazu müssen Maßnahmen ergriffen werden:

Bemühungen um Gegenseitigkeit bei den Handelsbeziehungen (Marktzugang, Vergabe öffentlicher Aufträge, Investitionen, Wahrung von Rechten des geistigen Eigentums, Beihilfen),

Abschluss bilateraler Freihandelsabkommen (einschließlich eines Kapitels zu Automobilindustrie/Straßenverkehr),

Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken (Beihilfen, bilaterale Freihandelsabkommen, Unterschiede bei der CO2-Bepreisung, Sozial- und Umweltdumping),

Förderung der internationalen Zusammenarbeit bei sauberen Fahrzeugen und Kraftstofftechnologien mit geringem CO2-Ausstoß.

3.11.

Die Unterstützung der weltweiten technischen Harmonisierung im Rahmen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) muss verstärkt werden. Die Versorgungsengpässe bei Automobilhalbleitern müssen durch gezielte Maßnahmen gelöst werden. Die Nachfrage nach Halbleitern wird weiterhin steigen, da Autos zu elektronischen Geräte werden. In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA vorbehaltlos den jüngsten Vorschlag zur Industriepolitik, ein Instrumentarium zur Verringerung und Vermeidung der strategischen Abhängigkeiten Europas zu entwickeln. Auch das im Rahmen des europäischen Digitalen Kompasses gesteckte Ziel, den Marktanteil Europas an der weltweiten Halbleiterproduktion von 10 auf 20 % zu verdoppeln, ist ausdrücklich zu unterstützen. Die Einrichtung eines zweiten IPCEI für Halbleiter wird zweifellos zur Verwirklichung dieses Ziels beitragen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten auch ihr Versprechen einlösen, 20 % der Aufbau- und Resilienzfazilität für die Digitalisierung zu verwenden. Weitere Maßnahmen könnten darin bestehen, ausländische Direktinvestitionen zu mobilisieren und eine strategische Zusammenarbeit zwischen Automobilunternehmen und Herstellern von Halbleitern zu begründen. Ferner muss die Beobachtungsstelle für kritische Technologien die vielen sonstigen strategischen Abhängigkeiten in der Automobilindustrie überwachen: Rohstoffe, Wasserstoff, Batterien, erneuerbare Energie, Cloud-Technologien usw.

3.12.

Die Auswirkungen der neuen Automobillandschaft auf den Anschlussmarkt müssen behandelt werden. Auf dem Automobil-Anschlussmarkt mit vier Millionen Beschäftigten wird es zu einem tiefgreifenden Strukturwandel kommen, der sich aus dem Rückgang der Verkaufszahlen, der Elektrifizierung, der geringeren Nachfrage nach Kraftstoffen, dem Online-Verkauf und der reduzierten Wartung ergibt. Die Branche muss sich als Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen wie Aufrüstung von Fahrzeugen, vorbeugende Wartung, Fahrgemeinschaften, Car-Sharing neu erfinden und Geschäftsmodelle in der Mikromobilität entwickeln. Interessenkonflikte beim Zugang zu fahrzeuginternen Daten müssen überwunden und eine interoperable und standardisierte Plattform eingerichtet werden, damit der Anschlussmarkt datenbasierte Dienstleistungen (wie Ferndiagnose, Software-Updates, vorbeugende Wartung) entwickeln kann.

Gesellschaft: Bewerkstelligung des Wandels und Sicherstellung eines sozial ausgewogenen Wandels

3.13.

Der Wandel der Automobilindustrie wird dramatische Folgen für die Zahl der bei der Fertigung von Autos und ihren Bauteilen benötigten Arbeitsplätze sowie für die Arbeitsplatzprofile haben, die für das neue Paradigma gefordert sind. Der Schwerpunkt arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sollte daher auf der Erhaltung/Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitskräfte durch lebenslanges Lernen und auf der Schaffung flexibler Wege zwischen Bildungswesen und Arbeitswelt liegen (d. h. Systeme für duales Lernen, gut funktionierende Ausbildungsmärkte und Zertifizierung nicht formalen Lernens). Die interne Mobilität von Arbeitnehmern in den Unternehmen sollte durch Weiterbildung und Umschulung gefördert werden, um ihnen die Kompetenzen der Zukunft zu vermitteln (Rückgang manueller Tätigkeiten und deutliche Zunahme digitaler Kompetenzen mit einem besonderen Schwerpunkt auf Software und Ingenieurwesen). Europäische sektorbezogene Initiativen wie DRIVES und ALBATTS und die neue Allianz für Kompetenzen im Automobilsektor sind wichtige Instrumente zur Bewältigung der Herausforderungen bei den Kompetenzen.

3.14.

Im Fall von Arbeitnehmern, die nicht mehr in der Branche beschäftigt werden können, sollte für einen reibungslosen Übergang zu einem anderen Arbeitsplatz gesorgt werden. Ihnen muss der Zugang zu den neuen Arbeitsplätzen ermöglicht werden, die in entstehenden Industriezweigen wie IT, 5G-Netze, Leistungselektronik, Ladeinfrastruktur, Erzeugung erneuerbarer Energieträger, intelligente Netze, intelligente Straßen, Mobilitätsdienstleistungen, Batterien, alternative Kraftstoffe, Energiespeicherung, Stromerzeugung und -verteilung geschaffen werden. Dies wird eine große Herausforderung darstellen, da diese Arbeitsplätze voraussichtlich an anderen Orten, zu einem anderen Zeitpunkt und mit anderen Qualifikationen als bei den wegfallenden Arbeitsplätzen entstehen werden. Während des Übergangs muss die Einkommenssicherheit gewährleistet sein. Massenentlassungen können auch durch Vorruhestandsregelungen, Kurzarbeit und eine Verringerung der Arbeitszeit verhindert werden. Ein angemessener sozialer Dialog muss sichergestellt werden, um den Wandel rechtzeitig zu antizipieren und soziale Verwerfungen und Konflikte zu vermeiden.

3.15.

Die Auswirkungen des digitalen und grünen Wandels der Branche müssen genau erfasst werden, um die Regionen und Teile der Lieferkette zu ermitteln, die am stärksten gefährdet sind. Es darf nicht zu neuen sozialen Verwerfungen zwischen Ost und West sowie zwischen Süd- und Nordeuropa kommen. Ferner muss der sich aufgrund von Dekarbonisierung und Digitalisierung verändernde Fußabdruck der Industrie überwacht werden. Es sollte genau geprüft werden, welche Fortschritte bei der Nutzung nachhaltiger Biomasse möglich sind, da hier auch Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze bestehen, wobei zugleich zu berücksichtigen ist, dass die ökologischen Grenzen unseres Planeten nicht überschritten werden dürfen.

3.16.

Alle Akteure (Unternehmen, Gewerkschaften, Clusterorganisationen, Behörden, Arbeitsmarktagenturen, Stellen für regionale Entwicklung) in den Automobilregionen sollten bei umfassenden regionalen Sanierungsplänen eng zusammenarbeiten.

3.17.

Verlorene Vermögenswerte in den Lieferketten der Automobilindustrie müssen verhindert werden, indem rechtzeitig eine angemessene Unterstützung für die vielen KMU bereitgestellt wird, die nicht über die (personellen und finanziellen) Ressourcen zur Umstrukturierung ihrer Tätigkeiten und zur Verlagerung auf aussichtsreichere Geschäftsmodelle verfügen.

3.18.

Die individuelle Mobilität muss für alle zugänglich und erschwinglich bleiben, insbesondere für Pendler, die keinen Zugang zu guten öffentlichen Verkehrsdienstleistungen oder anderen Mobilitätslösungen haben. Dies kann erreicht werden, indem ein Ausgleich für den höheren Preis von alternativen Antriebssystemen und von CO2-armen und -neutralen Kraftstoffen geschaffen wird, die in einem konventionellen Fahrzeug verwendet werden können. Eine gesellschaftliche Polarisierung zwischen denen, die sich ein umweltfreundliches Fahrzeug leisten können, und denen, die dazu nicht in der Lage sind, muss unter allen Umständen verhindert werden.

3.19.

Schlussfolgerungen. Die europäische Automobilindustrie ist von jeher weltweit führend und ein Motor für Wachstum und Arbeitsplätze. Sie sollte diese Stellung beim Übergang zum Paradigma eines digitalisierten und dekarbonisierten Straßenverkehrssystems beibehalten und Wirkungspfade für einen Wandel entwickeln, mit denen die disruptiven Trends, denen sich die Industrie derzeit gegenübersieht, bewältigt werden können. Dabei sollte sie auf ihren technologischen Stärken, ihren qualifizierten Arbeitskräften, dem erstklassigen Ingenieurwesen, anspruchsvollen Verbrauchern, hochentwickelten Lieferketten, einer starken KMU-Kultur und konstruktiven Beziehungen zwischen den Sozialpartnern aufbauen. Das europäische Automobil-Ökosystem muss bei der Entwicklung und Anwendung nachhaltiger Mobilitätslösungen eine Vorreiterrolle übernehmen. Innerhalb des Automobil-Ökosystems müssen deshalb aktiv Strategien entwickelt werden, um aktuelle Disruptionen und Megatrends in der europäischen Automobilindustrie mitzugestalten. Da die Lieferkette der Automobilindustrie enorme Herausforderungen bewältigen muss, hält es der EWSA für wichtig, einen Mechanismus für einen gerechten Übergang in der Branche einzurichten, um die erforderlichen Begleitmaßnahmen zur Vermeidung sozialer Verwerfungen und zur Sicherstellung eines sozialverträglichen Übergangs vorzusehen.

Brüssel, den 20. Oktober 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_20_2312.

(2)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, Nachhaltige und intelligente Mobilität, SWD(2020) 331, S. 248.

(3)  Dr. Oliver Falck, Dr. Nina Czernich, Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland, Mai 2021, ifo Institut; https://www.ifo.de/DocDL/ifoStudie-2021_Elektromobilitaet-Beschaeftigung.pdf

(4)  https://eeb.org/library/escaping-the-growth-and-jobs-treadmill/

(5)  Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82).

(6)  Fahrzeuge unter 1 000 kg bzw. über 1 500 kg machten 1998 in Frankreich jeweils 36 % bzw. 7 % und 2019 15 % bzw. 16 % der verkauften Fahrzeuge aus (Eurostat).

(7)  Richtlinie 2000/53/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. September 2000 über Altfahrzeuge (ABl. L 269 vom 21.10.2000, S. 34).

(8)  Die Rolle der europäischen Batterie-Verordnung in diesem Zusammenhang wird in der Stellungnahme CCMI/128 ausführlich erläutert (ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 128).


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