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Document 52014IR4527

    Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und der Schutz der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte auf mehreren Ebenen in der EU

    ABl. C 140 vom 28.4.2015, p. 32–36 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    28.4.2015   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 140/32


    Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und der Schutz der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte auf mehreren Ebenen in der EU

    (2015/C 140/07)

    Berichterstatter

    :

    Luc Van den Brande (BE/EVP), Präsident des Verbindungsbüros Flandern-Europa

    Referenzdokument

    :

    Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips

    COM(2014) 158 final

    I.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

    DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

    Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, MLG und die Kommissionsmitteilung

    1.

    ist der Auffassung, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit die drei Grundpfeiler sind, auf die sich jede Rechtsordnung, gleich welcher Art und Form, stützen muss. Demokratie ist ein „kollektives Recht“; Menschenrechte sind unantastbare individuelle Rechte, die unter allen Umständen gewahrt werden müssen, auch wenn die herrschende Demokratie nicht vollständig bzw. vollkommen ist. Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die sich aus ihnen ergebenden Handlungsschemata sind maßgeblich dafür, dass sich die Demokratie entfalten kann und die Menschenrechte gewahrt werden; begrüßt deshalb ausdrücklich den Vorschlag der Kommission, einen Rahmen zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der EU zu schaffen, die als Grundlage für das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander und zwischen ihnen und den EU-Bürgern für die europäische Integration unerlässlich ist. Ein solcher einheitlicher Rahmen ist nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ein Gewinn, denn in der Praxis tragen sie eine wesentliche Verantwortung für die Umsetzung der Grundrechte und Freiheiten.

    2.

    Die Menschenrechte sind als Grundrechte gebunden an die Achtung der Würde des Menschen und gehen jeder institutionellen Konstruktion vor und bilden im Grunde deren Vorstufe.

    3.

    Wenngleich es keine einheitliche Definition von Rechtsstaatlichkeit gibt, so gibt es doch eine europäische Rechtstradition dieses zentralen Begriffs, dem drei Prinzipien zugrunde liegen: (1) Die rechtlichen Verpflichtungen aller Bürgerinnen und Bürger und die sich aus ihnen ergebende Durchsetzung müssen auf dem Gesetz beruhen und dürfen nicht den willkürlichen oder einseitigen Entscheidungen der ausführenden Gewalt oder einem ihr eingeräumten Ermessensspielraum unterliegen; (2) Streitigkeiten zwischen Bürgern und Exekutive müssen auf der Grundlage des geltenden Rechts durch eine unparteiische und unabhängige Gerichtsbarkeit beigelegt werden; (3) die bürgerlichen Grundrechte (Freiheit der Person, Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit usw.) müssen geachtet und klar definiert werden; sie müssen auf klaren Basisrechtsakten aufbauen und können nicht abhängen von einem unscharfen Konzept, einer Erklärung, einer Garantie verfassungsrechtlicher Art oder willkürlichen Auslegungen. Die Tragweite dieser Prinzipien geht in zwei Richtungen: Zum einen müssen die Regierungen ihre Befugnisse in Übereinstimmung mit klar formulierten und veröffentlichten Gesetzen und Vorschriften ausüben, die auf fundierten rechtlichen Prinzipien beruhen und fair und transparent angewandt werden, und zum anderen müssen die Regierungen selbst die Verfassung und die Gesetze befolgen, denen sie unterliegen.

    4.

    Das wichtige Subsidiaritätsprinzip (Artikel 5 Absatz 3 EUV) muss sowohl als Grundlage wie auch als Richtschnur für die Umsetzung des MLG-Konzepts beim Schutz der Grundrechte dienen.

    5.

    Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Grundrechtecharta der EU als inzwischen am weitesten fortgeschrittener Rahmen auf diesem Gebiet sind seit ihrer Annahme die verbindliche Grundlage für die EU selbst, für alle Mitgliedstaaten und alle Regierungs- und Verwaltungsebenen, auf denen die Grundsätze des Rechtsstaates und ihre Anwendung eine Einheit bilden müssen.

    6.

    Das Multi-Level-Governance-Konzept, wie es für die EU, aber auch für den weiteren Raum des Europarats entwickelt wurde, ist dadurch inspiriert, dass es eine notwendige Entwicklung gab im Hinblick auf die „Governance“ in der EU, und zwar von einem von oben nach unten gerichteten Modell (top down) zu einem stärker inklusiven Modell. Dabei müssen sich die Ansätze „von oben nach unten“ und von „unten nach oben“ ergänzen und die zwei Dimensionen der Subsidiarität ausgestaltet werden: die „vertikale“ Dimension, bei der die Teilhabe, Mitverantwortung und Partnerschaft von gewählten Mandatsträgern der regionalen und lokalen Ebene gestärkt werden, und die „horizontale“ Dimension, bei der in allen Politikfeldern den anderen gesellschaftlichen Akteuren (aus den Bereichen Soziales und Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Kultur) Mitverantwortung übertragen und von diesen wahrgenommen wird. MLG steht für ein Regieren mit mehreren Akteuren und auf mehreren Ebenen. In die Tagespolitik der Regionen und lokalen Gebietskörperschaften spielen die Geschehnisse, Handlungen und Einflüsse der nationalen und der europäischen Ebene hinein und bestimmen in vielen Bereichen die Handlungsoptionen für den ganzen Kontinent und letztlich die globale Welt. Die Rechtsstaatlichkeit umfasst im Gefüge der Europäischen Union ebenfalls mehrere Ebenen und muss deshalb auch im Zusammenspiel der Ebenen geschützt werden. Eine Politik der Chancengleichheit und letztlich der sozialen Integration muss die konkrete Wirklichkeit der Globalisierung berücksichtigen und was dies an Herausforderungen in puncto Beschäftigungsmöglichkeiten und Zugang zu den Einrichtungen des Wohlfahrtsstaats mit sich bringt. Jedes einzelstaatliche System hat seine eigene Vorgeschichte und sein eigenes Modell, doch unsere Entwicklung geht in Richtung einer Herausbildung transnationaler Qualitätsanforderungen. Letztendlich entsteht ein europäischer Raum für Grundrechte, einschließlich sozialer Rechte, auf der Grundlage von Mehrschichtigkeit und Querverbindungen.

    7.

    Wenn in einem konkreten Fall eine mögliche Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, gestattet es die Multi-Level-Governance, darauf angemessen zu reagieren und durch Einbindung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in die Überwachung und Umsetzung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit in der EU bestimmte Mängel auszugleichen: fehlende Informationen, Kapazitäten, Finanzmittel, administrative Kapazitäten und politische Wirkung. Gleichermaßen führt die Multi-Level-Governance zu mehr partizipativer Demokratie, größerer Transparenz und Verantwortlichkeit und rückt die Bürger mehr in das Zentrum. Der Schutz der Rechtsstaatlichkeit dient daher dazu, das im Weißbuch über die MLG beschriebene Ziel zu erreichen, nämlich „das koordinierte, auf Partnerschaft beruhende Vorgehen der Union, der Mitgliedstaaten und der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften zur Ausarbeitung und Umsetzung der Politiken der Europäischen Union“.

    8.

    Ausgehend vom Weißbuch über die MLG aus dem Jahr 2009 wurde dieses Konzept nach und nach umgesetzt, wie aus unserer Stellungnahme zu den Folgemaßnahmen sichtbar wird, die der Europäische Ausschuss der Regionen im Jahr 2012 verabschiedet hat, wie auch durch die Workshops, den MLG-Anzeiger und in jüngster Zeit durch die veröffentlichte MLG-Charta. Dieses Konzept setzt sich in verschiedenen Politikfeldern immer mehr durch und wird von verschiedenen Partnern genutzt, und außerdem ist ein erstes Ergebnis sichtbar geworden in der allgemeinen Verordnung und dem anschließend angenommen Verhaltenskodex für die strukturellen Investitionsfonds in der EU.

    9.

    Die Kommission weist in ihrer Mitteilung nachdrücklich darauf hin, dass die Rechtsstaatlichkeit das Rückgrat jeder modernen Demokratie und eines der Grundprinzipien ist, die aus den gemeinschaftlichen Verfassungstraditionen aller EU-Mitgliedstaaten herrühren, und dass sie insofern zu den wichtigsten Werten zählt, auf denen die Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beruht (Artikel 2 EUV und Präambel des Vertrags und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Mit dem vorgeschlagenen neuen Rahmen sollen künftige Bedrohungen des Rechtsstaatsprinzips abgewendet werden, bevor die in Artikel 7 EUV festgeschriebenen Verfahren greifen und eingeleitet werden müssen, wobei die bestehenden Verstoßverfahren gemäß Artikel 258 AEUV unberührt bleiben.

    10.

    Daher wird mit dem neuen Rechtsrahmen eine bereichsübergreifende, die Grenzen zwischen Mitgliedstaaten überschreitende Vorgehensweise für den Fall eingeführt, dass der gemeinschaftliche EU-Wertekanon durch das Handeln staatlicher Akteure in Gefahr geraten sollte, wobei die bestehenden Verstoßverfahren nicht immer eine Lösung bieten können. Folglich muss der Rechtsstaat als wesentlicher gemeinschaftlicher Wert der EU gestärkt werden, um die Ziele auf dem Gebiet des Schutzes der fundamentalen Werte zu erreichen, deren wesentlicher Bestandteil der Schutz der Grundrechte ist.

    11.

    Der neue Rahmen, dessen Verfahren in drei Phasen verläuft, sollte eine Lücke schließen und den EU-Institutionen Möglichkeiten geben, die Rechtsstaatlichkeit zu bewerten und letztlich zu reagieren, wenn ein Mitgliedstaat Gefahr läuft, durch eigene Maßnahmen eine systemische Gefährdung seiner Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. Aus diesem Grund sieht der neue Mechanismus drei Stufen vor: 1. eine objektive und sorgfältige Sachstandsanalyse im betroffenen Mitgliedstaat, 2. sofern die Frage nicht zwischenzeitlich zufriedenstellend gelöst wurde, Empfehlungen für unmittelbare und konkrete Maßnahmen gegen die Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit, und 3. Überwachung der Maßnahmen, die der betroffene Mitgliedstaat auf die an ihn gerichtete Empfehlung hin getroffen hat. In diesem auf dem Dialog mit dem Mitgliedstaat basierenden Verfahren ist es von äußerster Wichtigkeit, die verschiedenen Regierungsebenen, einschließlich der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ebenso wie der Zivilgesellschaft, so früh wie möglich einzubinden.

    Stärkung des Schutzes der Grundrechte: eine erneuerte und innovative MLG — Rahmen für die EU

    12.

    Die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften (RLG) werden als Erste direkt mit den Herausforderungen und Problemen konfrontiert, die unmittelbare Auswirkungen auf die rechtsstaatlichen Verfahren und damit auch auf die Umsetzbarkeit bestimmter Grundrechte haben können und die sich tagtäglich in vielen Bereichen stellen: wirtschaftliche Probleme, Arbeitslosigkeit, Umwelt und Klimawandel, um nur einige zu nennen. Die besondere Rolle der RLG liegt auch in der Sachkenntnis, über die sie verfügen und die ihnen erlaubt, mögliche systemische Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit frühzeitig zu erkennen, aber auch in der Ergebnisorientierung, die man in der europäischen Politik stets vor Augen haben muss, zumal in einer globalen Welt, in der Migration und Mobilität zu neuen interkulturellen Beziehungen und einer pluralistischen Gesellschaft mit verschiedenen Werten und Religionen geführt haben, die in den lokalen Gemeinschaften am stärksten zu spüren ist. Ergebnisse zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten können nur dann erzielt werden, wenn alle Regierungs- und Verwaltungsebenen ausgehend von ihrer jeweiligen Zuständigkeit und Verantwortung zusammenarbeiten, entsprechend vernetzt sind und einen Beitrag dazu liefern und ihn untereinander abstimmen. Auf vielen Gebieten ist die Einsicht gereift, dass eine auf Fakten gestützte und vor Ort verankerte Politik notwendig ist, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Dies gilt zweifellos auch für den Schutz der Grundrechte. Die Stärkung der Rechte hat positive Auswirkungen auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Beschlüsse, die möglichst bürgernah gefasst werden, stärken das Vertrauen untereinander und in die Gemeinschaft, in der man lebt.

    13.

    Es ist auffallend, wie sehr sich der EU-Diskurs über Grundrechte und die Stärkung des Rechtsstaatsprinzips innerhalb einiger Jahre dem Paradigma der MLG angeschlossen hat. Doch auch die operativen Grundsätze, wie sie in unserer Folgestellungnahme von 2012 darlegt werden, der Anzeiger und vor allem die Charta für MLG sind sehr wichtige Instrumente, um diese Vision praxistauglich umzusetzen.

    14.

    Die Grundwerte, für die „Europa“ steht (d. h. nicht nur die EU und der Europarat, sondern auch die tonangebenden nationalen Traditionen), beziehen sich nicht nur auf die demokratische Rechtsordnung, sondern auch auf die Politik, die verfolgt wird, damit diese Werte reelle Chancen auf Verwirklichung haben. Wird diese Perspektive völlig zu Ende gedacht, so erscheint die Position der RLG in einem völlig anderen Licht: Sie sind dann nicht nur die Stellen, die nationale (und europäische) Rechtsvorschriften und politische Maßnahmen umsetzen (von oben nach unten gerichtet), sondern vollwertige Akteure mit der politischen Verantwortung, innerhalb eines festgelegten Rahmens und an die lokale Situation angepasst eine integrierte Politik zu gestalten. Hierbei geht es nicht nur um bürgerliche und politische, sondern auch um wirtschaftliche und soziale Rechte (Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohlstand, Wohnraum).

    15.

    Die RLG sind die Ersten, die mit den Problemen der nationalen Politik in Sachen Grundrechte konfrontiert werden. Sie haben mit Einzelpersonen, Gruppen oder „Kategorien“ zu tun, die bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien oder bei Einschränkungen der Grundrechte zuerst betroffen sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient hier die Wahrung der universellen Grundrechte aller Einwohner, ungeachtet der Rechte und Regelungen, die spezifisch den EU-Bürgern vorbehalten sind.

    16.

    Grundrechte, wie gleiche Chancen auf vollwertige Beschäftigung und soziale Emanzipation, müssen somit durch angemessene Unterstützungsmaßnahmen systematisch gefördert werden. In dieser Hinsicht sind die RLG — zusammen mit den nationalen und europäischen Regierungs- und Verwaltungsebenen und der Zivilgesellschaft — vollwertige Partner in einer strategischen Bewegung zur Verwirklichung eines sozialen Rechtsstaats.

    17.

    Aus der Besorgnis über eine mögliche Verletzung der Grundrechte muss ein systematischer politischer Wille erwachsen, das Rechtsstaatsprinzip in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten auch in positiver Hinsicht zu verwirklichen. Daher ergibt sich auch die Notwendigkeit einer Verlagerung von einem ausschließlich rechtsschützenden Konzept der Rechtstaatlichkeit zu einem dynamischen Konzept, bei dem die Grundrechte mittels politischer Maßnahmen auch in der Gesellschaft Form annehmen müssen. Dieser Aspekt wird von der Kommission noch unzureichend herausgearbeitet — sie verhält sich (zu) zurückhaltend in Sachen „innere Angelegenheiten“ der Mitgliedstaaten und will in ihrem neuen politischen Rahmen vor allem eine flexiblere Alternative zu echten „Vertragsverletzungsverfahren“ entwickeln, um frühzeitig aktiv werden zu können. Dabei kann die sich allmählich durchsetzende MLG-Denkweise ein nützlicher Ansatz sein. Die Kommissionsmitteilung eröffnet die Aussicht auf einen vorausschauenden Ansatz (u. a. unter Bezugnahme auf die Venedig-Kommission), in den allerdings die verschiedenen Regierungsebenen und die Zivilgesellschaft des betroffenen Staates einbezogen werden müssen, damit er seine Wirkung entfalten kann.

    18.

    Die RLG sind die entscheidenden Partner der europäischen und nationalen Behörden, um zusammen mit der Zivilgesellschaft den modernen Rechtsstaat nicht nur zu schützen, sondern ihm auch aktiv und politisch durch eigene politische Initiativen Gestalt zu verleihen. Das ist die Kernfunktion jeder Governance-Ebene. Akteure, die sich dem systematisch entziehen, verletzen die Charta der Grundrechte und entfernen sich damit von der europäischen Grundströmung.

    19.

    Die entscheidende Rolle der RLG bei der Wahrung der Grundrechte mit dem Ziel ihrer wirksameren Umsetzung muss anerkannt werden, wobei dies jedoch stets im Einklang mit den jeweiligen Gepflogenheiten und der jeweiligen Verfassung stehen muss.

    20.

    Die RLG müssen die Möglichkeit erhalten, sich unmittelbar an die Europäische Kommission zu wenden, wenn sie feststellen, dass der Rechtsstaat Schaden zu nehmen droht. Die Europäische Kommission sollte hierfür entsprechende Strukturen schaffen.

    21.

    Der Schutz der Grundrechte ist nicht allein Sache der Europäischen Kommission; auch das Europäische Parlament sollte aktiv dazu beitragen. Es ist notwendig, bei drohender Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit eine entsprechende parlamentarische Öffentlichkeit auf EU-Ebene unter Beteiligung der RLG zu schaffen, die zur Überprüfung der Situation beiträgt.

    22.

    Doch auch auf der regionalen bzw. lokalen Ebene selbst lässt sich zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Dimension unterscheiden. Letztere verweist auf das Zusammenspiel von öffentlicher und privater Initiative, z. B. bei der sozioökonomischen Entwicklung und den Bildungs-, Gesundheits- und Fürsorgeeinrichtungen.

    23.

    Die RLG — zumal diejenigen mit Legislativbefugnissen — tragen die direkte Verantwortung für die Ausgestaltung bestimmter Grundrechte und haben hierzu allgemeine politische Leitlinien abgesteckt. Dies gilt ganz konkret auch für spezifische Bürgerrechte, bei denen es um die Garantie der freien Meinungsäußerung und die Versammlungs- und Handlungsfreiheit, die Teilnahme an freien und fairen Wahlen und generell das Vorgehen gegen alle Formen von Diskriminierung innerhalb ihrer lokalen oder regionalen Gemeinschaft geht. In dieser Hinsicht sind die RLG nicht nur Anlaufstation für offenkundige Grundrechtsverletzungen, sie müssen vielmehr auch selbst konkrete einschlägige Richtlinien für die Durchsetzung dieser Rechte ausarbeiten und anwenden.

    24.

    Der klassische EU-Diskurs geht davon aus, dass unsere Regionen, Städte und Gemeinden von EU-Bürgerinnen und -Bürgern bevölkert werden, weshalb sich das Diskriminierungsverbot denn auch häufig auf die Rechte der Bürger anderer EU-Mitgliedstaaten konzentriert, aber die soziologische Realität ist allerdings gerade auch in größeren Städten viel komplexer. Die Integration in die Gesellschaft kann nur erreicht werden durch Formen der repräsentativen und partizipativen Demokratie als Grundlage des Zusammenlebens in der Gemeinschaft, auch unter Wahrung der historischen und kulturellen Prägung des jeweiligen Gebiets. Will man nämlich „alle“ Einwohner einbeziehen, so muss auch die Definition von „Bürgersinn“ weiter gefasst werden: (s. hierzu den Europarat in seinem „Weißbuch zum Interkulturellen Dialog“ (2008)): „Demokratischer Bürgersinn bezeichnet im weitesten Sinn das Recht, ja die Pflicht, zusammen mit anderen am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben sowie an den öffentlichen Angelegenheiten der Gemeinschaft teilzunehmen.“ Und in gleicher Weise spricht Professor Antonio Papisca von der „Nova Civitas“.

    25.

    In dem von der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) vorgelegten „Strategischen EU-Rahmen für Grundrechte“ wird ein Rahmen für die Verwirklichung der vorgenannten Verknüpfung der horizontalen mit der vertikalen Dimension geboten, die in eine tatkräftige Mitwirkung, Zusammenarbeit und Abstimmung münden kann. In diesem Sinne sollte die Grundrechteagentur auch in die Lage versetzt werden, die Wahrung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips und die Achtung der Grundrechte in den EU-Mitgliedstaaten zu überprüfen und gegebenenfalls Alarm zu schlagen.

    26.

    Die FRA wie auch der Europarat haben den Auftrag, einen ständigen fachlichen Beitrag auf diesem Gebiet zu leisten, insbesondere auch zur Nutzung durch die RLG.

    27.

    Der Schutz der Grundrechte muss ausdrücklich auf das MLG-Konzept als Ausgangspunkt gestützt werden.

    Weitere konkrete Vorschläge

    28.

    Die regionalen und/oder lokalen Gebietskörperschaften sollten dazu angehalten werden:

    die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip in die Tätigkeiten sozialer Organisationen einzubetten und zu wahren;

    deren Bedeutung in die öffentliche Debatte einzubringen und das Bewusstsein dafür zu schärfen;

    den Kapazitätsaufbau aller Akteure durch Schulung und Unterstützung zu verstärken;

    Informationsstellen mit direktem Zugang für die Bürgerinnen und Bürger einzurichten;

    ein Frühwarnsystem unter möglicher Mitwirkung regionaler oder lokaler Bürgerbeauftragter einzuführen;

    auf Grundlage dieses Monitoring Informationen an andere Behörden weiterzuleiten;

    das Experiment der „intelligenten Städte“ weiterzuverfolgen.

    29.

    Der Ausschuss der Regionen könnte prüfen, ob die folgenden Vorschläge zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union beitragen würden:

    Einsetzung einer Task Force zur Ausarbeitung einer Methode der offenen Koordinierung (MOK);

    Einrichtung einer Berichterstattungsstelle für RLG;

    Erwägung einer globalen europäischen Sensibilisierungskampagne zur Rolle der RLG beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit;

    Durchführung einer Konferenz zum MLG-Schutz von Grundrechten und zur Förderung der Umsetzung der Charta mit Blick auf die Ausarbeitung eines MLG-Konvents zwischen den RLG;

    Schaffung eines Dreier-Gespanns mit dem Kongress des Europarats und der Agentur für Grundrechte auf Grundlage des von dieser Einrichtung vorgeschlagenen „Strategischen EU-Rahmens für Grundrechte“.

    Brüssel, den 12. Februar 2015

    Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

    Markku MARKKULA


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