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Document 32010A0529(03)

Stellungnahme des Rates zum aktualisierten Stabilitätsprogramm Deutschlands für 2009-2013

ABl. C 140 vom 29.5.2010, p. 12–17 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

Legal status of the document In force

29.5.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 140/12


STELLUNGNAHME DES RATES

zum aktualisierten Stabilitätsprogramm Deutschlands für 2009-2013

2010/C 140/03

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken (1), insbesondere auf Artikel 5 Absatz 3,

auf Empfehlung der Kommission,

nach Anhörung des Wirtschafts- und Finanzausschusses —

GIBT FOLGENDE STELLUNGNAHME AB:

(1)

Am 26. April 2010 prüfte der Rat das aktualisierte Stabilitätsprogramm Deutschlands für den Zeitraum 2009 bis 2013.

(2)

Nach einem drastischen exportbedingten Rückgang zur Jahreswende 2008/09 erholte sich das reale BIP dank einer expansiven Politik und einer Wiederbelebung der Auslandsnachfrage Mitte 2009 wieder kräftig. Das erneute Nachlassen der Dynamik gegen Ende 2009 unterstrich allerdings, wie anfällig die derzeitige wirtschaftliche Erholung noch ist. Während sich der Arbeitsmarkt u.a. aufgrund staatlich finanzierter Kurzarbeitsregelungen bislang als widerstandsfähig erwiesen hat, musste der Bankensektor aufgrund von Anlagen in strukturierte Finanzinstrumente erhebliche Verluste und Abschreibungen hinnehmen.

Bedingt durch die gemäß dem Europäischen Konjunkturprogramm beschlossenen umfangreichen Konjunkturpakete (2009 und 2010) sowie die krisenbedingten Einnahmenausfälle und Mehrausgaben wies der gesamtstaatliche Haushalt nach einer ausgeglichenen Position im Jahr 2008 im Folgejahr dann ein Defizit von mehr als 3 % des BIP aus. In Anbetracht dieser Entwicklungen leitete der Rat am 2. Dezember 2009 ein Defizitverfahren gegen Deutschland ein und legte als Frist für die Korrektur des übermäßigen Defizits das Jahr 2013 fest. Während die Erholung mittelfristig durch die vergangenen Strukturreformen insbesondere am Arbeitsmarkt, durch solide Finanzen von Unternehmen und privaten Haushalten sowie durch eine starke Wettbewerbsposition erleichtert werden dürfte, wird die zentrale Herausforderung darin bestehen, das Potenzialwachstum zu steigern und zu diesem Zweck insbesondere inländische Wachstumsquellen zu stärken. Die notwendige Haushaltskonsolidierung verbunden mit der Stabilisierung des Bankensektors und der damit einhergehenden Gewährleistung von Finanzierungsmöglichkeiten für den Nichtbankensektor sowie die weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts werden entscheidende Voraussetzungen für die weitere wirtschaftliche Erholung sein.

(3)

Auch wenn der im Zuge der Krise verzeichnete Rückgang beim tatsächlichen BIP zum großen Teil konjunkturbedingt ist, wurde auch die Höhe des Produktionspotenzials negativ beeinflusst. Darüber hinaus könnte die Krise das Potenzialwachstum über niedrigere Investitionen, restriktivere Kreditvergabe und steigende strukturelle Arbeitslosigkeit auch mittelfristig beeinträchtigen. Zudem verschärfen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise die negativen Folgen der Bevölkerungsalterung für das Produktionspotenzial und die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Vor diesem Hintergrund ist es unverzichtbar, das Tempo der Strukturreformen zu beschleunigen, um das Potenzialwachstum zu stützen. Besonders wichtig für Deutschland sind Reformen in den Bereichen Wettbewerb bei Dienstleistungen, Arbeitsmarktintegration und allgemeine und berufliche Bildung.

(4)

Nach dem makroökonomischen Ausgangsszenario des Programms soll sich das reale BIP-Wachstum nach dem drastischen 5 %igen Rückgang im Jahr 2009 wieder erholen, d.h. 2010 1,4 % und im restlichen Programmzeitraum dann durchschnittlich 2 % erreichen. Dieses Szenario scheint bei einer Beurteilung anhand der derzeit verfügbaren Informationen (2) auf recht günstigen Wachstumsannahmen zu beruhen. Sowohl für 2010 als auch für 2011 liegen die Projektionen für das reale BIP leicht über der Herbstprognose 2009 der Kommissionsdienststellen. Darüber hinaus sieht das Programm für 2011 gestützt auf günstigere Aussichten für Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Lohnwachstum eine etwas kräftigere Ausweitung des privaten Verbrauchs vor. Die Inflationsprojektionen des Programms könnten sich für 2011 als überhöht erweisen, erscheinen für den restlichen Programmzeitraum aber realistisch.

(5)

In dem Programm wird das gesamtstaatliche Defizit mit 3,2 % des BIP im Jahr 2009 veranschlagt. Die wesentliche Verschlechterung gegenüber dem Jahr 2008, als der Haushalt noch ausgeglichen war, ist weitgehend der Wirkung der automatischen Stabilisatoren zuzuschreiben, aber sie ist auch die Folge von Anreizmaßnahmen im Umfang von rund 1,75 % des BIP, die von der Regierung im Zuge des Europäischen Konjunkturprogramms verabschiedet wurden. Die Ausweitung des Defizits war wegen gestiegener sozialer Transferleistungen, höherer öffentlicher Investitionen und der Bezuschussung der Kurzarbeit hauptsächlich ausgabenbedingt. Laut dem Programm soll die konjunkturstützende Finanzpolitik 2010 fortgesetzt werden, bevor in den letzten Programmjahren dann ein restriktiver Kurs eingeschlagen wird. Angesichts der relativ günstigen Haushalts- und Wirtschaftslage Deutschlands ist der für 2010 vorgesehene anhaltend expansive finanzpolitische Kurs als angemessen und dem Europäischen Konjunkturprogramm entsprechend anzusehen. In Einklang mit der vom Rat befürworteten Ausstiegsstrategie und im Hinblick auf die Korrektur des übermäßigen Defizits bis 2013 sowie die Rückkehr zu langfristig tragfähigen öffentlichen Finanzen wird die Finanzpolitik nach dem expansiven Kurs der Jahre 2009 und 2010 ab 2011 dann erheblich restriktiver.

(6)

Dem Programm zufolge wird das nominale gesamtstaatliche Defizit von 3,2 % des BIP im Jahr 2009 auf 5,5 % im Jahr 2010 anwachsen, was mit der Empfehlung des Rates nach Artikel 126 Absatz 7 vom 2. Dezember 2009 in Einklang steht. Hauptgründe für die weitere Erhöhung des Defizits im Jahr 2010 sind Anreizmaßnahmen und die Wirkung der automatischen Stabilisatoren. Die gesamtstaatlichen Einnahmen sollen aufgrund von Maßnahmen zur Entlastung der privaten Haushalte (wie die steuerliche Absetzbarkeit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, die Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung, die Erhöhung des Kindergeldes und die Anhebung des Grundfreibetrages) und einer schwächeren Inlandsnachfrage um fast 2 % des BIP zurückgehen. Der projizierte Anstieg der gesamtstaatlichen Ausgaben um rund 0,5 % des BIP ist in erster Linie der verschlechterten Lage am Arbeitsmarkt und den anhaltenden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur im Rahmen der Anreizmaßnahmen zur Konjunkturförderung (die nach Schätzung der Kommissionsdienststellen rund 0,25 % des BIP ausmachen) zuzuschreiben. Wie der Anstieg des strukturellen Defizits (d.h. des konjunkturbereinigten Saldos ohne einmalige oder sonstige befristete Maßnahmen, der von den Kommissionsdienststellen nach der gemeinsamen Methodik anhand von Programmdaten neu berechnet wurde) um 2,5 % des BIP zeigt, wird der höchst expansive finanzpolitische Kurs auch 2010 noch beibehalten. Die starke Verschlechterung des strukturellen Saldos ist in erster Linie auf die neuen 2010 eingeleiteten Anreizmaßnahmen sowie die Nachwirkungen einiger 2009 getroffener Anreizmaßnahmen (wie die Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenversicherung oder weitere Infrastrukturinvestitionen) zurückzuführen. Die nach der gemeinsamen Methodik (Top-down-Ansatz) ermittelte Veränderung des strukturellen Defizits von -2,5 % des BIP entspricht nicht dem Wert, der sich aus den Informationen über die diskretionären Maßnahmen 2010 ergibt (Bottom-up-Ansatz) und von den Kommissionsdienststellen auf etwa -1,75 % des BIP geschätzt wird. Diese Diskrepanz erklärt sich durch negative Zusammensetzungseffekte auf die Steuereinnahmen, die insbesondere durch den schwachen privaten Konsum, das geringe Lohnwachstum und absehbare Mindereinnahmen bei den Gewinnsteuern bedingt sind.

(7)

Das Hauptziel der mittelfristigen Haushaltsstrategie ist die Korrektur des übermäßigen Defizits bis 2013, wobei von 2011 bis 2013 eine durchschnittliche Korrektur von fast 0,75 % des BIP jährlich vorgesehen ist, was mit der Empfehlung des Rates nach Artikel 126 Absatz 7 vom 2. Dezember 2009 in Einklang steht.

Dem Programm zufolge soll sich der gesamtstaatliche Saldo ab 2011 verbessern. Nominal wird sich die Konsolidierung 2011 und 2012 voraussichtlich in gleichgroßen Schritten (rund 1 Prozentpunkt jährlich) vollziehen und 2013 dann mit rund 0,5 Prozentpunkt geringer ausfallen. Der geplante Anpassungspfad beruht auf der technischen Annahme einer ausgabengestützten Konsolidierung auf Bundesebene (wobei die Ausgabendisziplin gleichmäßig auf alle Ausgabenarten — mit Ausnahme der Zinsausgaben und der Übertragungen an andere staatliche Ebenen sowie an das Ausland — verteilt ist). Diese technische Annahme steht mit den Konsolidierungsvorgaben der neuen Schuldenregel in Zusammenhang. Getragen werden soll die erwartete Konsolidierung hauptsächlich von der Bundesregierung (rund 2 % des BIP im Zeitraum 2011 bis 2013) und in geringerem Umfang von den Ländern (rund 0,5 % des BIP). Nach Neuberechnungen gemäß der gemeinsamen Methodik soll das Defizit strukturell 2011 um rund 0,5 % des BIP, 2012 um rund 1 % des BIP und 2013 um rund 0,75 % des BIP abnehmen. Da Schuldenstand und Zinszahlungen gegen Ende des Programmzeitraums zunehmen, muss sich der Primärsaldo schneller verbessern als das Gesamtdefizit. Mittelfristig verfolgt Deutschland das Ziel eines strukturell nahezu ausgeglichenen Haushalts. Dem Programm zufolge liegt dieses Ziel bei —0,5 % des BIP. Angesichts der jüngsten Projektionen und Schuldenstandsdaten gibt das mittelfristige Ziel die Zielsetzungen des Pakts wieder. Das aktualisierte Stabilitätsprogramm sieht jedoch die Erreichung des mittelfristigen Ziels im Programmzeitraum nicht mehr vor.

(8)

Die Haushaltsergebnisse könnten insbesondere ab 2011 schlechter ausfallen als im Programm projiziert. Dies hängt damit zusammen, dass für die Zeit nach 2010 keine konkreten Konsolidierungsmaßnahmen genannt werden, die neue Schuldenregel auf zentraler Ebene des Bundes und unterhalb der Bundesebene wirksam umgesetzt werden muss, ohne die notwendige Konsolidierung auf spätere Jahre zu verschieben, die Durchführung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen weiteren Steuersenkungen und deren Vereinbarkeit mit den erforderlichen Haushaltseinsparungen ungewiss ist und recht günstige Wachstumsannahmen zugrunde gelegt werden. Zusätzliche Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen könnten den Haushalt weiter belasten, auch wenn ein Teil der damit verbundenen Kosten künftig vielleicht wieder hereingeholt werden kann.

(9)

Der öffentliche Bruttoschuldenstand wird für 2009 mit 72,5 % des BIP gegenüber 65,9 % im Vorjahr veranschlagt. Neben dem höheren Defizit und dem niedrigeren BIP-Wachstum trugen auch umfangreiche Bestandsanpassungen (von rund 1 % des BIP), die vor allem die Rettungsmaßnahmen für Banken widerspiegeln, zum Anstieg der Schuldenquote bei. Im Programmzeitraum soll die Schuldenquote um weitere 9,5 Prozentpunkte auf 82 % des BIP ansteigen, was in erster Linie den weiterhin bestehenden Defiziten und in geringerem Umfang auch nicht näher ausgeführten schuldenstandserhöhenden Bestandsanpassungen von jährlich etwa 0,5 % des BIP im Zeitraum 2011 bis 2013 zuzuschreiben ist. Die Schuldenstandsprojektion des Programms beruht auf der Annahme, dass die Einrichtung von „bad banks“ ohne Auswirkungen auf die Höhe des Schuldenstands bleiben wird. Neben den Risiken für den Defizitpfad stellt auch die Möglichkeit, dass die Stabilisierung der Finanzmärkte zu weiteren Belastungen führt, ein Risiko für die weitere Entwicklung der Schuldenquote dar. Der öffentliche Bruttoschuldenstand liegt über dem im Vertrag vorgesehenen Referenzwert und soll im gesamten Programmzeitraum tendenziell weiter ansteigen.

(10)

Mittelfristige Schuldenprojektionen, die davon ausgehen, dass das BIP-Wachstum nur langsam wieder die vor der Krise projizierten Raten erreicht und die Steuerquoten wieder auf Vorkrisenniveau zurückkehren, und die den projizierten Anstieg der alterungsbedingten Ausgaben beinhalten, zeigen, dass die im Programm anvisierte Haushaltsstrategie in ihrer jetzigen Form und bei unveränderter Politik nicht ausreichen würde, um die Schuldenquote bis 2020 zu stabilisieren.

(11)

Die langfristigen Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf die öffentlichen Haushalte liegen leicht über dem EU-Durchschnitt. Die im Programm veranschlagte Haushaltsposition für 2009 verstärkt die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf die öffentlichen Haushalte, was die Tragfähigkeitslücke anbelangt. Die mittelfristige Sicherung von Primärüberschüssen würde dazu beitragen, die Risiken für die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, die im Tragfähigkeitsbericht der Kommission von 2009 (3) als mittlere Risiken eingestuft wurden, zu verringern.

(12)

Durch die im August 2009 im Grundgesetz verankerte neue Schuldenregel hat Deutschland seinen finanzpolitischen Rahmen erheblich verstärkt. Die neue Schuldenregel, die in ihrer Struktur der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts folgt, zielt auf einen nahezu ausgeglichenen Haushalt ab und beschränkt das strukturelle Defizit des Bundes ab 2016 auf 0,35 % des BIP, wobei ab 2011 eine Übergangsfrist gilt. Die Länderhaushalte müssen ab 2020 strukturell ausgeglichen sein, wobei die jeweiligen Konsolidierungspfade allerdings noch unklar sind. Fehlende Sparpläne auf Länderebene und Unsicherheit hinsichtlich des künftigen Finanzierungsbedarfs der Sozialversicherungsfonds stellen für die Konsolidierung des gesamtstaatlichen Haushalts ein potenzielles Risiko dar. Dennoch erhöht die neue Schuldenregel die finanzpolitische Glaubwürdigkeit und verkleinert den Ermessensspielraum im Vergleich zur früheren Haushaltsregel, die in den zurückliegenden Jahrzehnten die Akkumulierung von Schulden nicht verhindern konnte, ganz erheblich. Der neu geschaffene Stabilitätsrat, der sich aus den Finanzministern von Bund und Ländern zusammensetzt, wird die Haushalte von Bund und Ländern überwachen, worunter auch die Kontrolle der Umsetzung der Konsolidierungsmaßnahmen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts fällt. Seine Empfehlungen sind aber nicht verbindlich und er darf keine Strafen verhängen. Weiter verbessert werden soll dieser Rahmen durch die Umstellung der Haushaltsplanung von einem Bottom-up- auf einen Top-down-Ansatz, wodurch sich die Ausgabenkontrolle durch das Finanzministerium verbessern und dadurch die Einhaltung der von der Schuldenregel vorgegebenen Konsolidierung gefördert werden soll. Darüber hinaus plant die Bundesregierung eine schrittweise Modernisierung des Haushalts- und Rechnungswesens des Bundes, wobei der Schwerpunkt stärker auf eine ergebnisbezogene Bewertung von Einnahmen und Ausgaben gelegt werden soll.

(13)

Trotz der insgesamt guten Qualität der öffentlichen Finanzen Deutschlands bestehen noch Verbesserungsmöglichkeiten. Auf der Einnahmenseite sind Unternehmens- und Einkommensteuerrecht nach wie vor komplex und das Steuersystem sieht zahlreiche Steuervergünstigungen vor. Trotz weiterer Pläne zur Aufstockung der Ausgaben für Bildung und F&E deutet der relativ geringe Anteil der Investitionen an den Staatsausgaben darauf hin, dass für eine stärker wachstumsorientierte Zusammensetzung der Ausgaben Potenzial vorhanden ist.

Auch wenn in dem Programm die Zweckmäßigkeit einer umfassenden Überprüfung der öffentlichen Subventionen anerkannt wird, enthält es diesbezüglich keine konkreten Pläne. Zusätzliche Effizienzgewinne könnten erzielt werden, indem die Haushaltskoordinierung zwischen Bundes- und Landesregierungen verbessert und die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltung fortgesetzt würde (weitergehende Nutzung von Qualitätsmanagement, Auslagerung von Tätigkeiten, e-government, Verringerung der Beschäftigung im öffentlichen Sektor usw.) (4). Die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung schränkt die Möglichkeiten für eine Bezuschussung des öffentlichen Rentensystems aus dem gesamtstaatlichen Haushalt ein. Die jüngsten Ad-hoc-Änderungen an der Rentenanpassungsformel untergraben die Glaubwürdigkeit der bereits durchgeführten Rentenreformen, da sich die für spätere Jahre vorgesehenen Anpassungen als schwierig erweisen könnten. Zum Thema gesetzliche Krankenversicherung hat die Regierung eine Kommission auf Ministerialebene eingesetzt, die die Finanzierung des Gesundheitssystems auf den Prüfstand stellen und insbesondere die Möglichkeiten der Abkopplung der Krankenversicherungsbeiträge vom Verdienst prüfen soll, um die Lohnnebenkosten zu senken. Erste Ergebnisse werden für Juli 2010 erwartet.

(14)

Insgesamt entspricht die im Programm dargelegte Haushaltsstrategie 2010 der Ratsempfehlung nach Artikel 126 Absatz 7 vom 2. Dezember 2009. Ab 2011 könnte die Haushaltsstrategie unter Berücksichtigung der Risiken allerdings nicht mehr mit der Ratsempfehlung in Einklang stehen. Insbesondere werden für den Konsolidierungspfad ab 2011 keine konkreten Maßnahmen genannt und fehlen Angaben zur möglichen Umsetzung der im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung genannten expansiven Maßnahmen und zu deren Vereinbarkeit mit den notwendigen Haushaltseinsparungen. Die Schuldenregel – ein zentraler Punkt der Konsolidierungspläne – muss erst noch auf allen staatlichen Ebenen umgesetzt werden. Auch wenn die wirtschaftliche Erholung schleppender verlaufen sollte als derzeit erwartet, könnte dies den Haushaltszielen abträglich sein.

Angesichts der Risiken könnte die durchschnittliche jährliche Konsolidierungsanstrengung hinter der vom Rat nach Artikel 126 Absatz 7 empfohlenen Korrektur zurückbleiben. In Anbetracht der im Programm enthaltenen Schuldenprojektionen und des Risikos möglicher weiterer Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen reicht die Haushaltsstrategie nicht aus, um die Schuldenquote auf einen Abwärtspfad zurückzuführen. Die vorgesehene ausgabengestützte Konsolidierung und die geplante Aufstockung der Bildungs- und F&E-Ausgaben wären mit dem Ziel, die Erhöhung des Potenzialwachstums zu fördern, vereinbar. Der projizierte Rückgang der Gesamtinvestitionsquote unter den Stand von 2009 gibt allerdings zur Sorge Anlass.

(15)

Was die im Verhaltenskodex für die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme vorgesehenen Daten angeht, so weist das Programm sowohl bei den obligatorischen als auch bei den fakultativen Angaben gewisse Lücken auf (5). In seinen Empfehlungen nach Artikel 126 Absatz 7 zur Beendigung des übermäßigen öffentlichen Defizits forderte der Rat Deutschland am 2. Dezember 2009 auch auf, in einem gesonderten Kapitel der Stabilitätsprogrammfortschreibungen über Fortschritte bei der Umsetzung seiner Empfehlungen zu berichten. Der entsprechende Abschnitt der Programmaktualisierung liefert aber nur sehr wenig Informationen darüber, wie die Bundesregierung bei der Umsetzung der Ratsempfehlung vorankommen will.

Alles in allem lässt sich der Schluss ziehen, dass sich die öffentlichen Finanzen Deutschlands im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise erheblich verschlechtert haben, was auf das Wirken der automatischen Stabilisatoren und die weit reichenden Krisenmaßnahmen, die im Rahmen des Europäischen Konjunkturprogramms getroffen wurden, zurückzuführen ist. Die ab 2011 geplante ausgabenseitige Konsolidierung würde zu einer Korrektur des übermäßigen Defizits bis 2013 führen. Unter Berücksichtigung der Risiken wird die Haushaltsstrategie jedoch ab 2011 möglicherweise nicht mit der Ratsempfehlung nach Artikel 126 Absatz 7 vom 2. Dezember 2009 übereinstimmen. Dies hängt damit zusammen, dass für den nach 2010 vorgesehenen Sparkurs keine konkreten Maßnahmen genannt werden, die Durchführung der im Koalitionsvertrag der neuen Regierung vorgesehenen weiteren Steuersenkungen und deren Vereinbarkeit mit der erforderlichen Konsolidierung ungewiss ist, die wirtschaftliche Erholung sich erst noch als robust erweisen muss und die Notwendigkeit weiterer Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden kann.

Zur planmäßigen Erreichung der Haushaltskonsolidierung bedarf es folglich der vollständigen Umsetzung des verbesserten mittelfristigen Haushaltsrahmens und des festen Engagements aller staatlichen Ebenen zu dessen Einhaltung. Angesichts der Notwendigkeit, die erforderliche Haushaltskonsolidierung mit der Stärkung des langfristigen Wachstumspotenzials der Wirtschaft in Einklang zu bringen, erscheinen sowohl die geplante ausgabenseitige Konsolidierung als auch die geplante Aufstockung der Bildungs- und F&E-Ausgaben angemessen. Angesichts des steigenden öffentlichen Schuldenstandes, wiederholter Ad-hoc-Änderungen an der Rentenanpassungsformel und Unsicherheiten hinsichtlich der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung sollte erneut Wert auf Maßnahmen zur Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gelegt werden.

In Anbetracht der vorstehenden Bewertung und der Empfehlung nach Artikel 126 Absatz 7 AEUV vom 2. Dezember 2009 wird Deutschland aufgefordert,

i)

die konkreten Maßnahmen zu nennen, die notwendig sind, um die geplante Konsolidierung abzusichern; die Haushaltsstrategie für den Zeitraum 2011 bis 2013 dem Programm entsprechend umzusetzen, um das übermäßige Defizit bis 2013 zu korrigieren; jede über die Konsolidierungsanstrengungen hinausgehende Möglichkeit, einschließlich der sich durch bessere wirtschaftliche Bedingungen ergebenden Möglichkeiten, zu nutzen, um die Bruttoschuldenquote schneller auf den Referenzwert von 60 % des BIP zurückzuführen;

ii)

die vollständige Einhaltung der neuen, im Grundgesetz verankerten Schuldenregel auf allen staatlichen Ebenen zu gewährleisten und die 2008 erfolgte Abweichung von der Rentenanpassungsformel wie geplant rückgängig zu machen.

Deutschland wird ferner aufgefordert, rechtzeitig für die Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen im Rahmen des Defizitverfahrens einen Programmzusatz zu übermitteln, in dem es über die Fortschritte bei der Umsetzung der Ratsempfehlung nach Artikel 126 Absatz 7 vom 2. Dezember 2009 berichtet und die Konsolidierungsstrategie, die notwendig sein wird, um bei der Korrektur des übermäßigen Defizits voranzukommen, mit gewisser Ausführlichkeit darlegt.

Deutschland wird außerdem aufgefordert, die Datenvorgaben des Verhaltenskodex besser einzuhalten.

Gegenüberstellung zentraler makroökonomischer und budgetärer Projektionen

 

 

2008

2009

2010

2011

2012

2013

Reales BIP

(Veränderung in %)

SP Jan. 2010

1,3

–5,0

1,4

2

2

2

KOM Nov. 2009

1,3

–5,0

1,2

1,7

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

1,3

–2,3

1,25

1,25

1,25

k.A.

HVPI-Inflation

(%)

SP Jan. 2010

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

KOM Nov. 2009

2,8

0,3

0,8

1,0

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

Produktionslücke (6)

(% des BIP-Potenzials)

SP Jan. 2010

3,2

–2,6

–2,1

–1,3

–1,1

–0,9

KOM Nov. 2009 (7)

3,0

–2,9

–2,6

–2,2

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

2,2

–0,9

–0,7

–0,7

–1,0

k.A.

Finanzierungsüberschuss/-defizit gegenüber dem Rest der Welt

(% des BIP)

SP Jan. 2010

6,6

4,5

4,9

5

5,5

5,5

KOM Nov. 2009

6,6

4,0

3,8

3,7

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

7,1

7,0

7

7

7

k.A.

Gesamtstaatliche Einnahmen

(% des BIP)

SP Jan. 2010

43,7

44,4

42,5

42

42

42

KOM Nov. 2009

43,7

44,6

43,3

42,9

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

44

43,5

42,5

42,5

43

k.A.

Gesamtstaatliche Ausgaben

(% des BIP)

SP Jan. 2010

43,7

47,6

48

47

46

45

KOM Nov. 2009

43,7

48,0

48,3

47,5

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

44

46,5

46,5

45,5

45,5

k.A.

Gesamtstaatlicher Haushaltssaldo

(% des BIP)

SP Jan. 2010

0,0

–3,2

–5,5

–4,5

–3,5

–3

KOM Nov. 2009

0,0

–3,4

–5,0

–4,6

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

0

–3

–4

–3

–2,5

k.A.

Primärsaldo

(% des BIP)

SP Jan. 2010

2,7

–0,6

–3

–2

–0,5

0,5

KOM Nov. 2009

2,7

–0,6

–2,2

–1,7

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

2,5

0

–1

0

0,5

k.A.

Konjunkturbereinigter Saldo (6)

(% des BIP)

SP Jan. 2010

–1,6

–1,9

–4,4

–4,1

–3,1

–2,3

KOM Nov. 2009

–1,5

–1,9

–3,6

–3,5

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

–1,2

–2,4

–3,5

–2,4

–2,1

k.A.

Struktureller Saldo (8)

(% des BIP)

SP Jan. 2010

–1,2

–1,8

–4,4

–3,9

–3,0

–2,3

KOM Nov. 2009

–1,1

–1,9

–3,6

–3,5

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

–0,8

–2,5

–3,4

–2,4

–2,1

k.A.

Öffentlicher Bruttoschuldenstand

(% des BIP)

SP Jan. 2010

65,9

72,5

76,5

79,5

81

82

KOM Nov. 2009

65,9

73,1

76,7

79,7

k.A.

k.A.

SP Jan. 2009

65,5

68,5

70,5

71,5

72,5

k.A.

Stabilitätsprogramm (SP), Herbstprognose 2009 der Kommissionsdienststellen (KOM), Berechnungen der Kommissionsdienststellen.


(1)  ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1. Die Dokumente, auf die in diesem Text verwiesen wird, sind im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/economy_finance/sgp/index_de.htm

(2)  In der vorliegenden Bewertung werden namentlich die Prognose der Kommissionsdienststellen vom Herbst 2009, aber auch andere, neuere Daten berücksichtigt, einschließlich der Zwischenprognose der Kommissionsdienststellen vom Februar 2010.

(3)  In seinen Schlussfolgerungen vom 10. November 2009 zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen „(rief) der Rat … die Mitgliedstaaten … auf, bei ihren kommenden Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen einen Schwerpunkt auf Strategien zu legen, die auf Tragfähigkeit ausgerichtet sind“, und „(ersuchte) die Kommission, zusammen mit dem Ausschuss für Wirtschaftspolitik und dem Wirtschafts- und Finanzausschuss, die Methoden zur Bewertung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen rechtzeitig für den nächsten Tragfähigkeitsbericht“, der 2012 geplant ist, „weiterzuentwickeln“.

(4)  Siehe „Chancen zur Entlastung und Modernisierung des Bundeshaushalts“, Bundesrechnungshof 2009.

(5)  So fehlen insbesondere die Daten zum Vermögenseinkommen und zum impliziten Zinssatz bei Staatsanleihen sowie die Einzelkomponenten der Bestandsanpassungen und konjunkturellen Entwicklungen, während die Kategorien „Arbeitsentgelte und Vorleistungen“ und „Sozialbeiträge und Sozialleistungen“ in unterschiedlichen Aufstellungen enthalten sind, was die Bewertung objektiv erschwert.

(6)  Produktionslücken und konjunkturbereinigte Salden nach Neuberechnungen der Kommissionsdienststellen anhand von Programmdaten.

(7)  Ausgehend von einem geschätzten Potenzialwachstum von 1,0 %, 0,7 %, 0,9 % bzw. 1,2 % im Zeitraum 2008-2011.

(8)  Konjunkturbereinigter Saldo ohne Anrechnung einmaliger und sonstiger befristeter Maßnahmen. Einmalige und sonstige befristete Maßnahmen machen der letzten Programmfortschreibung zufolge 0,4 % des BIP im Jahr 2008 und 0,1 % des BIP im Jahr 2009 (defiziterhöhend) und der Kommissionsprognose vom November 2009 zufolge 0,3 % des BIP im Jahr 2009 (defiziterhöhend) aus. Keine einmaligen und sonstigen befristeten Maßnahmen gibt es nach der jüngsten Programmfortschreibung in den Jahren 2010 bis 2013 und nach der Herbstprognose 2009 der Kommissionsdienststellen in den Jahren 2009 bis 2011.

Quelle:

Stabilitätsprogramm (SP), Herbstprognose 2009 der Kommissionsdienststellen (KOM), Berechnungen der Kommissionsdienststellen.


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