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Document 52008XC0919(01)

Zusammenfassung einer Entscheidung der Kommission vom 30. Januar 2008 in einem Verfahren nach Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EG) 1/2003 des Rates (Sache COMP/B-1/39.326 — E.ON Energie AG)

ABl. C 240 vom 19.9.2008, p. 6–7 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.9.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 240/6


Zusammenfassung einer Entscheidung der Kommission

vom 30. Januar 2008

in einem Verfahren nach Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EG) 1/2003 des Rates

(Sache COMP/B-1/39.326 — E.ON Energie AG)

(Nur der deutsche Text ist verbindlich)

(2008/C 240/06)

Am 30. Januar 2008 erließ die Kommission eine Entscheidung in einem Verfahren nach Artikel 23 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des EG-Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln  (1). Eine nichtvertrauliche Fassung des vollständigen Wortlauts der Entscheidung ist in der verbindlichen Sprache der Wettbewerbssache auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb abrufbar unter:

http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/cases

Die Entscheidung betrifft eine Geldbuße in Höhe von 38 Mio. EUR die gegen das Unternehmen E.ON Energie AG (EE) gemäß Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verhängt wurde, da EE während einer Nachprüfung im Mai 2006 ein von der Kommission angebrachtes Siegel gebrochen hatte. EE hat ihren Sitz in München Deutschland und gehört zur E.ON Gruppe. Es handelt sich um den ersten Fall, in dem die Kommission eine Geldbuße gegen ein Unternehmen gemäß Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verhängt hat.

1.   ZUSAMMENFASSUNG DES SACHVERHALTS

Die Kommission führte am 29. Mai 2006 eine unangekündigte Durchsuchung in den Räumlichkeiten der EE sowie anderen Gesellschaften der E.ON Gruppe durch, weil sie Anhaltspunkte dafür gefunden hatte, dass die E.ON-Gruppe in wettbewerbswidrige Praktiken verwickelt war. Am Abend des ersten Tages der Durchsuchung brachte das Nachprüfungsteam eine große Zahl von Dokumenten, die nicht kopiert und nur teilweise in Listen aufgenommen worden waren, in einen der Kommission von EE zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Raum. Der Leiter des Nachprüfungsteams verschloss den Raum mit einem von EE ausgehändigten Schlüssel und brachte ein amtliches Sicherheitssiegel der Kommission an der Tür und den Türrahmen an, um den Raum vor unbefugtem Zutritt zu sichern. EE wurde über die Bedeutung des Siegels sowie die möglichen Konsequenzen eines Siegelbruchs belehrt.

Bei Rückkehr des Nachprüfungsteams am Morgen des 30. Mai 2006 gegen 8:45 Uhr stellte das Nachprüfungsteam in Gegenwart von Unternehmensvertretern und den externen Rechtsanwälten von EE fest, dass auf der gesamten Fläche des am Abend zuvor angebrachten Siegels der „VOID“-Schriftzug sichtbar waren. Außerdem war das Siegel um etwa zwei Millimeter in der Höhe und in der Seite verschoben, was sich daran erkennen ließ, dass sich Klebstoffreste auf der Tür bzw. dem Türrahmen befanden. Zudem befanden sich, nachdem es abgelöst wurde, auffällige Klebstoffreste (Reste des „VOID“-Zeichens) auf der Rückseite des Siegels, die ebenfalls einen Siegelbruch nahelegten.

Nachdem die Tür zu dem Raum geöffnet wurde, war es dem Nachprüfungsteam nicht möglich, festzustellen, ob die dort gelagerten Akten noch vollständig waren.

2.   GANG DES VERFAHRENS

Zur Klärung des Sachverhalts richtete die Kommission Auskunftsersuchen 1. an EE, 2. an den Hersteller der Siegelrohlinge, die Firma 3M Europe SA/NV (3M), 3. an die für EE tätige Reinigungsfirma und 4. an das von EE mit der Gebäudesicherung beauftragte Unternehmen. Als mögliche Erklärung für die aufgetretene Veränderung des Siegels trug EE zunächst vor, dass es infolge einer „schlechte Haftung des Siegels auf dem Untergrund (z. B. aufgrund der verwendeten Baumaterialien)“ zu einer „teilweisen Lockerung des Siegels“ gekommen sein könne. Weiterhin trug EE vor, dass eine Mitarbeiterin der Reinigungsfirma das Siegel mit einem angefeuchteten Mikrofasertuch und Reinigungsmittel abgewischt habe und das Siegel hierdurch möglicherweise geringfügig verrutscht sein könne. Schließlich bestätigte EE, dass in der fraglichen Nacht kein unbefugter Zugang zu dem Gebäude beobachtet wurde, dass jedoch neben dem Schlüssel, der dem Leiter des Nachprüfungsteams ausgehändigt worden war, weitere Schlüssel zu dem fraglichen Raum im Umlauf waren.

Am 2. Oktober 2006 übermittelte die Kommission der EE die Beschwerdepunkte. Hierin kam die Kommission zu dem vorläufigen Schluss, dass das Siegel erbrochen worden war und sich EE diesen Siegelbruch aufgrund der Organisationsgewalt in dem fraglichen Dienstgebäude zurechnen lassen müsse. Die Kommission merkte darüber hinaus an, dass die Funktionsfähigkeit des Siegels nicht dadurch beeinträchtigt war, dass die offizielle Garantiefrist (sogenannte Lagerdauer) für das Siegel abgelaufen war. Insbesondere ist es nicht möglich, dass bei einem defekten Siegel der „VOID“-Schriftzug erscheint (sog. „positive Fehlreaktion“). Wenn überhaupt würde ein defektes Siegel eine negative Fehlreaktion auslösen, d. h. im Falle eines Siegelbruchs würden keine „VOID“-Zeichen erscheinen.

Die Kommission gewährte EE Aktenzugang. EE antwortete mit Datum vom 13. November 2006 auf die Beschwerdepunkte und trug vor, dass die Darstellung der Kommission auf unrichtige bzw. unsichere und in wissenschaftlich-technischer Hinsicht nicht bestätigte Tatsachen gestützt sei. In der mündlichen Anhörung vom 6. Dezember 2006 zeigte EE selbst erstellte Filmaufnahmen, die nach ihrer Ansicht demonstrierten, dass auch äußere Einflüsse, wie Schwingungen der Bürowand (z. B. hervorgerufen durch Rütteln an der verschlossenen Tür) möglicherweise in Kombination mit anderen Faktoren (z. B. fehlende Vorreinigung des Untergrundes) die beobachteten „VOID“-Zeichen hervorrufen könnten. Es ist jedoch zu betonen, dass das Video keineswegs großflächige „VOID“-Zeichen zeigte, wie sie am 30. Mai 2006 festgestellt wurden, sondern nur an den Randstellen zwischen Tür und Rahmen, wo das Siegel einen gewissen Spielraum besaß. EE regte an, weitere Tests zur Funktionsfähigkeit der Siegel vorzunehmen.

Im März 2007 übersandte EE der Kommission ein durch ein wissenschaftliches Institut erstelltes Gutachten über „Untersuchungen zur Reaktion von Siegelfolien auf Scher- und Schälkräfte“. Drei Monate später übersandte EE ein weiteres Gutachten über „Untersuchungen zur Reaktion von Siegelfolien auf Zug-Scherbelastungen, Druck-Scherbelastungen und Schälbelastungen nach Einwirkung von Synto“. Beiden Gutachten lagen Untersuchungen der handelsüblichen Siegelfolie 7866 von 3M zugrunde, die für die Kommissionssiegel verwendet wird und im Handel erhältlich ist. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass Schwingungen der Wand in Kombination mit dem Reinigungsprodukt und anderen Faktoren zu einer „positiven Fehlreaktion“ (begrenztes Auftreten von „VOID“-Zeichen und Klebstoffresten am Siegelrand) führen könnten. Die Kommission stellte jedoch fest, dass die Tests unter grundlegend anderen Bedingungen vorgenommen wurden als den bei der Nachprüfung vorherrschenden Bedingungen vor Ort. Es wurde auch festgestellt, dass keineswegs ein Auftreten von „VOID“-Zeichen auf der gesamten Siegeloberfläche bewiesen worden war. Zudem hat 3M bestätigt, dass die Haltbarkeit der Kommissionssiegel weit über die Lagerdauer/Haltbarkeitsgarantie hinausginge und dass der „VOID“-Schriftzug die Funktionsfähigkeit des Siegels gewissermaßen nachgewiesen habe.

Die Kommission stützte sich in der Entscheidung zur Verteidigung ihres Standpunktes auch auf Gutachten ihres eigenen Sachverständigen. Im April 2006 nahm dieser Sachverständige im Dienstgebäude der EE in München in Gegenwart von EE-Vertretern und zwei für EE tätigen externen Gutachtern entsprechende Untersuchungen mit einigen Siegeln vor. Diese Untersuchungen erfolgten an derselben Tür, an der das Siegel am 29. Mai 2006 angebracht worden war. Darüber hinaus hat der Gutachter in seinem Labor weitere Tests vorgenommen. In seinem Gutachten von Mai 2007 bestätigte der Gutachter, dass die Funktionsfähigkeit des Siegels weder durch die Tatsache beeinträchtigt war, dass die von dem Hersteller angegebene Garantiefrist abgelaufen war noch dadurch, dass es das Nachprüfungsteam unterlassen hatte, die Siegel vorab zu testen oder die in Rede stehende Tür zu reinigen. Er bestätigte zudem, dass die Annahme einer positiven Fehlreaktion, bei der die „VOID“-Zeichen unter dem Einfluss von Büroreinigungsmitteln und Schwingungen in den Wänden auch ohne ein Ablösen des Siegels sichtbar werden, nicht realistisch sei. Er kam zu dem Schluss, dass das Auftreten der „VOID“-Zeichen realistischerweise nur mit einem Siegelbruch erklärt werden könne, das Siegel also abgelöst und wieder angebracht wurde.

In einem „letter of facts“ vom 6. Juni 2007, dem das Gutachten beigefügt war, informierte die Kommission EE über diese zusätzlich ermittelten Tatsachen und die hieraus gefolgerten Ergebnisse. EE antwortete mit Schreiben vom 6. Juli 2007 und äußerte weiterhin Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Siegels. EE wandte ein, dass die Kommission andere Erklärungen für den manipulierten Zustand des Siegels nicht vollständig ausschließen könne. EE behauptete auch, dass die Anzahl der von dem Gutachter der Kommission getesteten Siegel zu gering gewesen sei. Aus den oben dargelegten Gründen war die Kommission nicht überzeugt von diesen Argumenten.

Im Oktober 2007 legte EE ein weiteres Gutachten vor und trug nunmehr vor, dass der Zustand des Siegels möglicherweise mit der Einwirkung von Luftfeuchtigkeit oder einer Kombination verschiedener Faktoren (Siegelalterung, Einwirkung des Reinigungsmittels etc.) auf das Siegel zu erklären sein könnte. Der Experte der Kommission wies jedoch in einer weiteren Studie vom November 2007 nach, dass Luftfeuchtigkeit oder eine Kombination von Luftfeuchtigkeit mit anderen Faktoren den Zustand keine Fehlfunktion des Siegels verursacht haben konnte. Er zeigte auch zahlreiche Schwachpunkte des Gutachtens von EE auf, dessen Testannahmen sich in erheblicher Weise von den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort unterschieden. EE wurde von den Ergebnissen des Gutachtens in einem weiteren „letter of facts“ informiert und hat darauf hin keine neuen Argumente vorgetragen, die die Schlussfolgerungen der Kommission in Frage stellen könnten. Daran konnten auch die von EE im Januar 2008 vorgelegen eidesstattlichen Erklärungen der Schlüsselinhaber nichts ändern, die angaben, jedenfalls nicht selbst die Tür geöffnet zu haben.

3.   ERGEBNIS

Es steht daher fest, dass das Siegel, das an dem ersten Tag der Nachprüfung in den Räumlichkeiten der EE angebracht war, im Sinne von Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 erbrochen wurde. Diese Vorschrift setzt nicht den Nachweis voraus, dass die Tür tatsächlich geöffnet wurde oder dass in dem versiegelten Raum gelagerte Unterlagen fehlen. Realistischerweise ist von einem vorsätzlichen Siegelbruch auszugehen. Anderenfalls wäre in jedem Fall ein fahrlässiger Siegelbruch anzunehmen, weil es in dem alleinigen Verantwortungsbereich der EE lag, den eigenen Geschäftsbereich so zu organisieren, dass das Verbot, das Siegel zu erbrechen, auch eingehalten wird. Diesbezüglich hat die Kommission auch festgestellt, dass EE nicht das gesamte Personal, welches eine Zutrittsbefugnis zu dem Gebäude hatte — wie z. B. die Reinigungskraft, über die Existenz des Siegels und dessen Bedeutung informiert hat. Die Kommission konnte neben dem Umstand, dass es sich um den ersten Fall eines Siegelbruchs handelt, in dem die Kommission eine entsprechende Strafe verhängt, keine mildernden Umstände ermitteln. Insbesondere hat EE nicht in einem über die rechtlichen Kooperationsverpflichtungen hinaus gehenden Maße mit der Kommission kooperiert.

4.   RECHTSFOLGEN

Bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Siegelbruchs im Sinne des Artikels 23 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 kann die Kommission eine Geldbuße von bis zu 1 % des Umsatzes verhängen. Unabhängig vom konkreten Fall stellen Siegelbrüche grundsätzlich einen schweren Verstoß dar. Es muss daher sichergestellt werden, dass die Geldbuße eine abschreckende Wirkung hat. Es darf sich für ein Unternehmen, bei dem eine Nachprüfung durchgeführt wird, nicht lohnen, ein Siegel zu erbrechen. Andererseits hat die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße auch den Umstand berücksichtigt, dass es sich um den ersten Anwendungsfall der neuen Vorschrift in der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 handelt. Die Kommission verhängte daher eine Geldbuße in Höhe von 38 Mio. EUR.

5.   BERATENDER AUSSCHUSS

Der Beratende Ausschuss für Kartell- und Monopolfragen hat am 25. Januar 2008 eine befürwortende Stellungnahme zum Entscheidungsentwurf abgegeben.


(1)  ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.


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