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Document 52005AE0846

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda“(KOM(2005) 33 endg.)

ABl. C 294 vom 25.11.2005, p. 14–20 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

25.11.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 294/14


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda“

(KOM(2005) 33 endg.)

(2005/C 294/04)

Die Europäische Kommission beschloss am 9. Februar 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Mitteilung der Kommission — Sozialpolitische Agenda“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Juni 2005 an. Berichterstatterin war Frau ENGELEN-KEFER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 419. Plenartagung am 13./14. Juli 2005 (Sitzung vom 13. Juli) mit 60 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

An die neue sozialpolitische Agenda für den Zeitraum 2006 bis 2010 sind besondere Erwartungen geknüpft. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Lissabon-Strategie einer Halbzeitbilanz unterzogen wird, geht es darum, die Bedeutung der Sozialpolitik für die Erreichung der Ziele von Lissabon stärker in den Vordergrund zu rücken. Der Anspruch der Lissabon-Strategie, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Steigerung des Wirtschaftswachstums mit der Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts zu verbinden, muss eingelöst werden. Dazu bedarf es einer europäischen Politik, die diese Ziele gleichrangig verfolgt und damit das Gleichgewicht der Lissabon-Strategie sicherstellt. Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie Umweltpolitik müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, damit das europäische Sozialmodell nachhaltig gesichert werden kann.

1.2

Der Europäische Rat hat auf seinem Gipfel am 22./23. März 2005 zur Neubelebung der Lissabon-Strategie festgestellt, dass die Priorität auf die Förderung von Wachstum und Beschäftigung gelegt werden soll und auf die entscheidende Bedeutung der Makropolitik hierfür hingewiesen (1). Diese Schwerpunktsetzung erscheint aufgrund der andauernden Konjunkturschwäche und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit dringend notwendig. Der Rat geht dabei von einem sich gegenseitig verstärkenden Ansatz zwischen Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik aus, wenn er ausführt: „Um diese Ziele zu erreichen muss die Union verstärkt alle geeigneten einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Mittel ... in den drei Dimensionen der Strategie (Wirtschaft, Soziales und Umwelt) mobilisieren, um deren Synergiepotenzial im Gesamtkontext nachhaltiger Entwicklung besser zu nutzen“ (2). Die vorrangige Ausrichtung auf Wachstum und Beschäftigung führt jedoch nach Ansicht des EWSA nicht automatisch zu einer Verbesserung der sozialen Lage, wenngleich mehr Wachstum eine wesentliche Voraussetzung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Verbesserung der sozialen Lage ist. Vielmehr ist Sozialpolitik als produktiver Faktor anzusehen, die ihrerseits positiv auf Wachstum und Beschäftigung wirkt. Die sozialpolitische Agenda trägt dabei „durch eine Stärkung des auf Vollbeschäftigung und größeren Zusammenhalt ausgerichteten europäischen Sozialmodells zur Verwirklichung der Ziele der Lissabonner Strategie ...“ bei (3).

1.3

„Das europäische Sozialmodell stützt sich auf gute Wirtschaftsleistungen, ein hohes Niveau sozialer Sicherung, einen hohen Bildungs- und Ausbildungsstand und sozialen Dialog.“ (4) Es basiert auf den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundwerten der Demokratie und Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit. Dieses Bekenntnis zu einer sozialen Marktwirtschaft und zu diesen Grundwerten ist in der zukünftigen EU-Verfassung, insbesondere in der EU-Grundrechtecharta, erstmals für die gesamte Union festgeschrieben. Alle Mitgliedstaaten der Union weisen — bei unterschiedlicher Ausgestaltung im Einzelnen — gemeinsame Merkmale von Sozialstaatlichkeit auf, die insgesamt das europäische Sozialmodell ausmachen. Zu diesen gemeinsamen Merkmalen gehören

auf dem Solidaritätsprinzip beruhende nachhaltige soziale Sicherungssysteme zur Absicherung der großen Lebensrisiken;

gesetzlich oder tarifvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zur Förderung der Beschäftigung;

Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertretungen;

Systeme industrieller Beziehungen bzw. des autonomen sozialen Dialoges zwischen den Sozialparteien;

gemeinwohlorientierte Dienste von allgemeinem Interesse.

Dieses europäische Sozialmodell durch wirksame Instrumente auf europäischer Ebene zu wahren und weiterzuentwickeln ist Aufgabe europäischer Sozialpolitik. Der besondere Beitrag der Sozialpolitik besteht in der europäischen Beschäftigungsstrategie, in den Koordinierungsmaßnahmen zur sozialen Integration und zur Reform der sozialen Sicherungssysteme sowie in der Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Wege des Fortschritts durch soziale Mindeststandards.

1.4

Zur Erreichung der Lissabonziele muss die Sozialpolitik als besonderes Handlungsfeld auf europäischer Ebene gestärkt werden und zwar durch eine aktive Politik

der Vermeidung von Arbeitslosigkeit und Wiedereingliederung besonders benachteiligter Personengruppen;

zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung unter besonderer Berücksichtigung neuer Armutsrisiken z.B. „working poor“;

zur Bekämpfung von Diskriminierungen jeglicher Art und zur Durchsetzung gleicher Chancen für Frauen;

der Vertiefung des Erfahrungsaustauschs über Reformstrategien in der sozialen Sicherung mit dem Ziel, den Erhalt ihrer sozialen Funktion mit der nachhaltigen Sicherung ihrer Finanzierungsgrundlagen in Einklang zu bringen;

der Durchsetzung sozialer Mindeststandards zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zur Wahrung ihrer Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte sowie die der betrieblichen Interessenvertretungen.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich das neue, von der EU-Kommission angenommene Verfahren, wonach bei jedem Legislativvorschlag eine Folgenabschätzung im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung vorzunehmen und seine Vereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta zu prüfen ist.

1.5

Einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung der neuen sozialpolitischen Agenda hat die hochrangige Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union geleistet, die ihren Bericht im Mai 2004 vorgelegt hat. Die Ergebnisse und Vorschläge dieser Gruppe sollten nach Meinung des EWSA stärkere Berücksichtigung in der neuen sozialpolitischen Agenda finden (5).

2.   Überblick über den Kommissionsvorschlag

2.1

Die Kommission unterstreicht in ihrer Mitteilung zunächst, dass sie sich für die Modernisierung und Entwicklung des europäischen Sozialmodells sowie für die Förderung des sozialen Zusammenhalts als Bestandteil der Lissabon-Strategie einsetzt. Die Sozialagenda legt die Prioritäten fest, an denen sich die Maßnahmen der Union ausrichten sollen. Die Umsetzung soll sich dabei auf folgende Grundsätze stützen:

positive Interaktion zwischen wirtschafts-, sozial- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen;

Förderung der Qualität am Arbeitsplatz, in der Sozialpolitik und in den Arbeitsbeziehungen, um so das „Human- und Sozialkapital“ zu verbessern;

Modernisierung der Systeme der sozialen Sicherung durch Anpassung an aktuelle gesellschaftliche Anforderungen auf der Grundlage der Solidarität und durch Stärkung ihrer Rolle als produktiver Faktor;

Berücksichtigung der Kosten fehlender Sozialpolitik. (6)

2.2

Ausgehend von diesen Grundsätzen wird ein strategischer Ansatz vorgeschlagen, der auf zwei Elementen beruht:

Stärkung des Vertrauens der Bürger in den gesellschaftlichen Wandel durch einen generationenübergreifenden Ansatz, Partnerschaften für den Wandel und Nutzung der Chancen der Globalisierung.

Prioritätensetzung auf der Grundlage der strategischen Ziele der EU-Kommission für 2005 bis 2009 in den Politikfeldern: Förderung der Beschäftigung und Bewältigung des Strukturwandels, solidarische Gesellschaft und Chancengleichheit.

3.   Mehr Vertrauen schaffen — Erfolgsbedingungen

3.1

Im Zusammenhang mit der Stärkung des Vertrauens in den gesellschaftlichen Wandel werden drei konkrete Maßnahmen angekündigt:

Grünbuch zum demografischen Wandel und Beitrag zur europäischen Initiative für die Jugend;

Partnerschaft für den Wandel durch Organisation eines jährlichen Forums zur Evaluierung der Sozialagenda;

Einbringen des europäischen Sozialmodells in die internationalen Arbeitszusammenhänge und Eintreten für das Konzept der menschenwürdigen Arbeitswelt weltweit.

3.2

Auch der EWSA hält es für notwendig, mehr Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern in die europäische Einigung und die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt zu schaffen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die europäische Politik zu einer tatsächlichen Verbesserung der sozialen Lage der Menschen führt. Der EWSA hält ebenfalls eine fundierte Analyse der gesellschaftlichen Folgen des demografischen Wandels für erforderlich und begrüßt die die Vorlage des angekündigten Grünbuches (7), das eine breite europäische Debatte ermöglichen wird. Im Sinne eines generationenübergreifenden Ansatzes ist dabei besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen für die junge Generation zu legen. Unklar bleibt jedoch im Vorschlag der EU-Kommission, was sie sich unter dem Beitrag für eine europäische Initiative für die Jugend vorstellt und wie sie ihre Rolle dabei sieht. Die Regierungen von Deutschland, Spanien, Frankreich und Schweden haben kürzlich dem Europäischen Rat ein gemeinsames Dokument über einen europäischen Pakt für die Jugend vorgelegt. Dieser umfasst Vorschläge für Maßnahmen in den Bereichen Beschäftigung und soziale Integration, allgemeine und berufliche Bildung, Mobilität und Jugendaustausch und wurde vom Frühjahrsgipfel verabschiedet (8).

Ausdrücklich wird in diesem Vorschlag auch auf das angekündigte Grünbuch zum demografischen Wandel Bezug genommen. Der EWSA bedauert, dass die EU-Kommission auf diesen Vorschlag der Regierungen in ihrer Mitteilung nicht genauer eingeht (9).

3.3

Der EWSA hält die Einrichtung eines jährlichen Forums zur Evaluierung der Umsetzung der Sozialagenda grundsätzlich für sinnvoll. Ein solches Forum sollte sich nach Ansicht des EWSA mit den Perspektiven des europäischen Sozialmodells befassen, alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen einbeziehen und so geplant werden, dass Diskussion unter den Teilnehmern ermöglicht wird.

3.4

Der EWSA unterstützt nachhaltig die Absicht der EU-Kommission, die Vorteile des europäischen Sozialmodells in den internationalen Arbeitszusammenhängen aktiv einzubringen und weltweit gemäß den Normen der IAO für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einzutreten. Die Union kann hier nur glaubwürdig sein, wenn sie das europäische Sozialmodell auch unter veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erhält und weiterentwickelt und überzeugend dafür eintritt, dass wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt miteinander einhergehen. Sie sollte dabei auch ausdrücklich Bezug nehmen auf die revidierte Europäische Sozialcharta sowie die Europäische Grundrechtecharta.

4.   Beschäftigung und Arbeitsqualität, Bewältigung des Strukturwandels

4.1   Europäische Beschäftigungsstrategie

4.1.1

Im Hinblick auf die europäische Beschäftigungsstrategie kündigt die EU-Kommission eine Neuausrichtung für 2005 an, die sich an den Prioritäten des Berichts der KOK-Kommission Beschäftigung aus 2003 orientiert: Förderung der Anpassungsfähigkeit, bessere Integration in den Arbeitsmarkt, mehr Investitionen in die Humanressourcen, wirksamere Steuerung der Umsetzung. Dies soll in Verbindung mit den wirtschaftspolitischen Grundzügen geschehen. Der EWSA weist darauf hin, dass die hochrangige Gruppe zur Zukunft der EU-Sozialpolitik konkrete Vorschläge für die Schwerpunktsetzung in den neuen Beschäftigungsleitlinien unterbreitet hat. Danach sollten diese konzentriert werden auf die frühere und bessere Integration Jugendlicher in den Arbeitsmarkt und die Schaffung von Übergängen zwischen Ausbildung und Beruf sowie die Integration von Frauen und älteren Arbeitnehmern. Ein weiterer Schwerpunkt soll nach dem Vorschlag der Expertengruppe auf der Förderung der Arbeitsqualität durch Maßnahmen der Arbeitsorganisation und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes liegen, was zugleich die Integration Älterer erleichtert. Im Bereich des lebenslangen Lernens stellt die Gruppe ebenfalls verschiedene Maßnahmen vor, die in die Beschäftigungsleitlinien integriert werden sollen. Ebenso soll die Unterstützung und Bewältigung der sozialen Folgen des Strukturwandels, insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten einen größeren Stellenwert in den EU-Beschäftigungsleitlinien erhalten. In den zwischenzeitlich vorgelegten integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung werden diese Vorschläge nur zum Teil aufgegriffen. (10)

Der EWSA hält es für erforderlich, bei der Neuausrichtung der Beschäftigungsleitlinien die Qualität der Beschäftigung stärker in den Vordergrund zu stellen und dabei Armut bei der Arbeit zu vermeiden.

4.1.2

Die Rolle des europäischen Sozialfonds (ESF) zur Unterstützung der europäischen Beschäftigungsstrategie wird lediglich im Zusammenhang mit der Verbesserung der Steuerungsmechanismen zur Umsetzung angesprochen und eine Kommunikationsstrategie angekündigt. Der EWSA kritisiert, dass die EU-Kommission die Funktion des ESF als ein wichtiges Instrument zur Förderung der Humanressourcen, von arbeitsmarktbezogenen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht einmal benennt. Nach Ansicht des EWSA wird diese wichtige Rolle des ESF zur Unterstützung des lebenslangen Lernens zu wenig deutlich. Dabei sind doch Kompetenz und Qualifikation ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil der Union (11).

4.1.3

Grundsätzlich positiv bewertet der EWSA die Ausführungen in der Sozialagenda zur Begleitung des wirtschaftlichen Strukturwandels, die offensichtlich von der Expertengruppe zur Zukunft der Sozialpolitik inspiriert sind. Auffällig ist jedoch, dass die EU-Kommission auf die sozialen Folgen von Unternehmensumstrukturierungen nicht eingeht. Um Konzepte zur Bewältigung der sozialen Folgen geht es jedoch gerade und zwar in einer Weise, die einen fairen Interessenausgleich zwischen wirtschaftlichen und Interessen der Arbeitnehmer ermöglicht. Die EU-Kommission macht im Wesentlichen Vorschläge zum Verfahren und zu Instrumenten wie z.B. die Einrichtung eines hochrangigen Forums aller Akteure und Betroffenen zur Begleitung von Unternehmensumstrukturierungen. Auf die Zusammensetzung eines solchen Forums oder gar die Ziele und Inhalte geht sie nicht näher ein. Ebenso wenig weist sie auf die Bedeutung der Arbeitnehmerrechte und die europäische Sozialgesetzgebung zur Bewältigung der sozialen Folgen des Strukturwandels hin. Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass die Richtlinien zum Schutz bei Massenentlassungen, beim Betriebsübergang sowie zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer sowie die europäische Betriebsratsrichtlinie wichtige Instrumente zur Bewältigung der sozialen Folgen des Strukturwandels unter Mitwirkung der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertretungen darstellen.

4.1.4

Der EWSA begrüßt die Einleitung der zweiten Phase der Anhörung der europäischen Sozialpartner zum Problem der Umstrukturierungen und zur Überarbeitung der Richtlinie über die europäischen Betriebsräte. Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass beide Themen getrennt voneinander behandelt werden sollten. Zwar spielen die Europäischen Betriebsräte bei Umstrukturierungen eine wichtige Rolle, die Verbesserung der Europäischen Betriebsratsrichtlinie ist jedoch unabhängig davon schon seit längerem überfällig. Der EWSA hat sich bereits damit befasst und festgestellt: „Dieses ... Instrument hat einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der europäischen Dimension der Arbeitgeber-/Arbeitnehmerbeziehungen geleistet.“ (12)

4.1.5

Der EWSA unterstützt ebenso die Absicht, eine stärkere Synergie zwischen den politischen Maßnahmen und den finanziellen Instrumenten zur Durchführung, insbesondere dem ESF herbeizuführen. Es bleibt jedoch unklar, was die EU-Kommission hiermit genau meint. Unklar bleibt ebenso, was die EU-Kommission sich unter der stärkeren Verbindung der europäischen Beschäftigungsstrategie mit der Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Sozialpartnervereinbarungen vorstellt.

4.2   Neue Dynamik für Arbeitsbeziehungen

4.2.1

Die EU-Kommission will der Entwicklung der Arbeitsbeziehungen eine neue Dynamik verleihen durch Weiterentwicklung der Sozialgesetzgebung, Stärkung des sozialen Dialogs und Förderung der sozialen Verantwortung der Unternehmen. In diesem Zusammenhang beabsichtigt die EU-Kommission ein Grünbuch zur Entwicklung des Arbeitsrechts vorzulegen, in dem aktuelle Trends der Entwicklung der Arbeitsverhältnisse analysiert und die Rolle des Arbeitsrechts zur Schaffung eines sicheren Umfeldes und bei der Anpassung an neuere Entwicklungen untersucht werden soll. Die Debatte dieses Grünbuchs könne zu einer Modernisierung und Vereinfachung des derzeit geltenden Rechts führen, so die EU-Kommission. Der EWSA hält die Erarbeitung eines solchen Grünbuchs für eine sinnvolle Sache. Er ist jedoch der Auffassung, dass es verfrüht ist, die möglichen Schlussfolgerungen aus einer solchen Debatte, wenn auch nur andeutungsweise, vorweg zu nehmen. Der EWSA ist grundsätzlich der Auffassung, dass bei der Überprüfung des Arbeitsrechts — an der die Sozialpartner zu beteiligen sind — der Auftrag des Vertrags handlungsleitend sein muss, der darin besteht, dass Mindestvorschriften zu einer Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Wege des Fortschritts führen sollen (vgl. Art. 136 EGV).

4.2.2

Weiter kündigt die EU-Kommission an, 2005 eine Initiative zum Schutz personenbezogener Arbeitnehmerdaten ergreifen, die Richtlinien Betriebsübergang und Massenentlassungen überprüfen und mehrere Rechtsvorschriften über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer kodifizieren zu wollen. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass es an der Zeit ist, dies in die Tat umzusetzen. Ziel der Richtlinienrevisionen sollte dabei im Sinne des Vertrags „die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen (sein), um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen...“ (Art. 136 EGV).

Was die Kodifizierung der Rechtsvorschriften über die Information und Konsultation der Arbeitnehmer betrifft, so ist der EWSA der Auffassung, dass das Niveau der Beteiligungsrechte in der Richtlinie über die europäische Aktiengesellschaft der Maßstab hierfür sein sollte.

4.2.3

Der EWSA ist einverstanden mit den Vorschlägen, die die EU-Kommission für den Bereich der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz unterbreitet, insbesondere die Hervorhebung des Präventionsgedankens für die angekündigten Initiativen. Die Mitteilung für die neue Strategie im Arbeits- und Gesundheitsschutz 2007 bis 2012 sollte vor allem auch neue Gesundheitsrisiken analysieren, den Schutz bisher nicht berücksichtigter Arbeitnehmergruppen einbeziehen und sich mit der Frage befassen, wie die Umsetzung der bestehenden Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten verbessert und unterstützt werden kann.

4.2.4

Der EWSA begrüßt ebenso die Absicht der EU-Kommission, den sozialen Dialog sowohl auf branchenübergreifender als auch auf sektoraler Ebene weiter zu fördern und unterstützt insbesondere die Absicht, den europäischen Sozialpartnern mehr logistische und technische Unterstützung zukommen zu lassen. Nach Auffassung des EWSA ist dies insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten besonders notwendig, da hier die Strukturen des sozialen Dialogs vielfach noch wenig entwickelt und im Aufbau befindlich sind. Der bilaterale soziale Dialog der europäischen Sozialpartner ist ein wesentliches Element des europäischen Sozialmodells. Die besondere Rolle des sozialen Dialoges der Sozialpartner besteht in ihrer Legitimation und Repräsentativität sowie in ihrer Fähigkeit verbindliche Vereinbarungen auf europäischer Ebene abzuschließen, wie die Sozialpartner in ihrer gemeinsamen Erklärung zum Gipfel von Laeken festgestellt haben (13). Ebenso bedeutsam ist der Dialog mit der Zivilgesellschaft, der vor allem in der Konsultation des EWSA als Forum der organisierten Zivilgesellschaft zum Ausdruck kommt (14). Gerade in den neuen Mitgliedstaaten bedarf sowohl der zivile Dialog als auch die Entwicklung stabiler industrieller Beziehungen zwischen den Sozialpartnern der Unterstützung durch die EU-Kommission.

4.2.5

Die EU-Kommission beabsichtigt, weitere Initiativen im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen zu ergreifen, mit dem Ziel, die Entwicklung von Grundsätzen der sozialen Verantwortung der Unternehmen zu fördern. Der EWSA ist der Auffassung, dass die vielen guten Beispiele über Verhaltenskodizes und andere freiwillige Maßnahmen der Unternehmen zur Übernahme sozialer Verantwortung, die im europäischen Stakeholder-Forum dargestellt wurden, hierfür eine gute Grundlage bilden. Dies sollte auch Initiativen zum lebenslangen Lernen einschließen. Der EWSA unterstützt daher die Bemühungen der EU-Kommission, Initiativen zu ergreifen, die die Entwicklung und Transparenz von Grundsätzen sozialer Unternehmensverantwortung auf europäischer Ebene fördern.

4.3   Europäischer Arbeitsmarkt

4.3.1

Die EU-Kommission beabsichtigt, verschiedene Initiativen zu ergreifen, um bestehende Hemmnisse bei der grenzüberschreitenden Mobilität zu beseitigen und die Herausbildung eines echten europäischen Arbeitsmarktes zu fördern. Eine Initiative besteht in dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Übertragbarkeit von Ansprüchen aus betrieblichen Altersversorgungssystemen. Der EWSA erachtet es als notwendig, diesen Vorschlag rasch zu unterbreiten, nachdem es aufgrund divergierender Standpunkte über die Reichweite einer solchen Regelung nicht zur Aufnahme von Sozialpartnerverhandlungen gekommen ist.

4.3.2

Ein weiterer Vorschlag der EU-Kommission betrifft die Bereitstellung eines optionalen Rahmens für transnationale Kollektivverhandlungen entweder auf Unternehmens- oder auf Branchenebene. Nach der Vorstellung der EU-Kommission könnte ein solcher Rahmen dazu genutzt werden, Fragen der Arbeitsorganisation, der Beschäftigung, der Arbeitsbedingungen und der Weiterbildung im Sinne einer Partnerschaft für den Wandel grenzüberschreitend zu regeln. Optional bedeutet, dass es den Sozialpartnern überlassen bleibt, ob sie von einem solchen Rechtsrahmen Gebrauch machen wollen oder nicht.

Wie die Praxis der europäischen Betriebsräte zeigt, haben diese in vielen Fällen nicht nur von ihrem Recht auf Unterrichtung und Anhörung Gebrauch gemacht, sondern darüber hinaus auf freiwilliger Basis Vereinbarungen getroffen, die manche der angesprochenen Themen betreffen. Ebensolche Beispiele für Vereinbarungen gibt es auch im sozialen Dialog auf Branchenebene.

Der EWSA unterstützt das Ziel, das in dieser Initiative zum Ausdruck kommt, den sozialen Dialog auf Unternehmens- und Branchenebene zu fördern und dabei stärker als bisher der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Unternehmen grenzüberschreitend tätig sind und freiwillige Vereinbarungen entsprechend grenzüberschreitende Bedeutung haben. Der EWSA empfiehlt der EU-Kommission ihren Vorschlag für eine solche Rahmenregelung im frühestmöglichen Stadium mit den europäischen Sozialpartnern zu beraten, ihren Standpunkt dazu einzuholen und zu berücksichtigen.

4.3.3

Wie die EU-Kommission ausführt, ist die Freizügigkeit eine der Grundfreiheiten in Europa. Die bestehenden Instrumente, wie das EURES-Netzwerk und die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer bedürfen daher, auch nach Auffassung des EWSA, der ständigen Verbesserung. Der EWSA hält daher den Vorschlag für sinnvoll, noch 2005 eine hochrangige Gruppe einzurichten, die sich mit den Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die Mobilität und das Funktionieren der Übergangsfristen befassen soll und 2006 einen Bericht hierzu vorzulegen. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die Sozialpartner und die Nichtregierungsorganisationen über breite Erfahrungen in diesem Bereich verfügen. Er fordert die EU-Kommission daher auf, Vertreter der Sozialpartner und der Nichtregierungsorganisationen bei der Zusammensetzung der Expertengruppe zu berücksichtigen.

5.   Eine solidarische Gesellschaft: Chancengleichheit für alle

5.1

In diesem zweiten Aktionsschwerpunkt behandelt die EU-Kommission die Vertiefung des Erfahrungsaustausches über die Reform der sozialen Sicherungssysteme, die Politiken zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, zur Antidiskriminierung sowie die Rolle sozialer Dienstleistungen.

5.2

Die EU-Kommission erneuert ihren Vorschlag zur Rationalisierung und Vereinfachung der Koordinierung in den Bereichen soziale Eingliederung, Rente und Gesundheit. Der EWSA hat sich bereits in einer früheren Stellungnahme damit beschäftigt (15). Er weist darauf hin, dass nach seiner Ansicht die Anwendung der offenen Methode der Koordinierung den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs Rechnung tragen muss. Insbesondere sollte nach seiner Ansicht die bereits weit fortgeschrittene Anwendung der offenen Methode der Koordinierung im Bereich der sozialen Eingliederung mit nationalen Aktionsplänen und Berichten im Zwei-Jahres-Rhythmus fortgeführt werden. Dies ist aus Sicht des EWSA auch deshalb besonders notwendig, als das Ausmaß der Armut trotz der gemeinsamen Anstrengungen nicht nennenswert verringert werden konnte. Ca. 15 % der Gesamtbevölkerung der Union sind arm, wobei der Anteil in manchen Ländern über 20 % beträgt. Eine entscheidende Ursache hierfür ist die hohe Arbeitslosigkeit, wobei kinderreiche Familien und Alleinerziehende besonders betroffen sind (16). Auch Beschäftigung schützt nicht vor Armut, wie die zunehmende Zahl von „working poor“ zeigt (17). Deshalb sind verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung notwendig.

5.3

Die EU-Kommission will in diesem Zusammenhang die Debatte über nationale Mindesteinkommensregelungen fortsetzen und 2005 eine Anhörung dazu einleiten. Der EWSA fragt sich, wo diese Debatte stattgefunden hat und wer daran beteiligt war. Nach Ansicht des EWSA ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, jedem Bürger bei Bedürftigkeit soziale Unterstützung in Form eines Mindesteinkommens, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, zukommen zu lassen. Aus den Ausführungen der EU-Kommission wird nicht deutlich, mit welchem Ziel diese Debatte über nationale Mindesteinkommen auf europäischer Ebene geführt werden soll. Ebenso möchte der EWSA die Frage aufwerfen, ob es nicht wegen der Dringlichkeit der Probleme sinnvoller wäre, das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu einem früheren Zeitpunkt als 2010 auszurufen.

5.4

Der EWSA unterstützt die Politiken der EU-Kommission zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen und zur Antidiskriminierung generell. Die Kommission kündigt eine neue Mitteilung für 2005 an, in der sie ihr politisches Konzept erläutern und Initiativen zur Ergänzung des bestehenden Rechtsrahmens prüfen will.

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die Richtlinien zur Nichtdiskriminierung in vielen Mitgliedstaaten gerade erst in nationales Recht umgesetzt worden sind bzw. dass dies gerade geschieht. Er ist daher der Auffassung, dass es sinnvoll wäre, einen Bericht über den Stand der Umsetzung dieser Richtlinien vorzulegen und auf dieser Grundlage weitere politische Maßnahmen vorzuschlagen.

Die angekündigten Maßnahmen im Bereich Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere die Einrichtung eines europäischen Genderinstituts und die Neuauflage des Aktionsplans Chancengleichheit für behinderte Menschen finden die Unterstützung des EWSA.

5.5

Die EU-Kommission beabsichtigt weiter, 2005 eine Mitteilung über die Bedeutung sozialer Dienstleistungen vorzulegen. Der EWSA begrüßt dieses Vorhaben insbesondere auch, weil er davon erwartet, dass diese Mitteilung auf die kontroverse Debatte um die Richtlinie über Dienstleistungen am Binnenmarkt rückwirkt und zur Klärung beiträgt. In ihrem Weißbuch über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hat die EU-Kommission bereits die Besonderheiten sozialer Dienstleistungen hervorgehoben, die insbesondere im Gemeinwohlauftrag und im Personenbezug bestehen. Soziale Dienstleistungen, ob privat oder öffentlich erbracht, unterscheiden sich grundlegend von anderen Dienstleistungen am Binnenmarkt dadurch, dass sie auf dem Solidaritätsprinzip beruhen, auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten sind und in Erfüllung des Grundrechtes auf sozialen Schutz zum sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft beitragen. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass soziale Dienstleistungen, insbesondere auch Gesundheitsdienste, grundsätzlich anders behandelt werden müssen, als rein marktbezogene Dienstleistungen.

5.6

Der EWSA bedauert, dass die EU-Kommission nicht auf die Bedeutung gemeinnütziger Sozialdienste für die Beschäftigung und den sozialen Zusammenhalt eingeht. Der EWSA hat sich bereits in seiner Stellungnahme zur Halbzeitüberprüfung der sozialpolitischen Agenda damit befasst und ausgeführt: „Der Beitrag der gemeinnützigen Sozialdienste zur Beschäftigung und im sozialen Bereich wird immer stärker anerkannt und genutzt, was zu erheblichen Verbesserungen bei der Förderung und dem Schutz der Rechte benachteiligter Personen führt, weil er hilft, den Erfordernissen auf dem Gebiet der Ausbildung, der Sozial- und Gesundheitsfürsorge, der Unterstützung von Eingliederungsmaßnahmen und des Abbaus sozialer Unterschiede gerecht zu werden. Die Organisationen ohne Erwerbszweck tragen dazu bei, dass der soziale Bedarf, vor allem der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsschichten, erkannt und deutlich artikuliert wird; sie setzen sich dafür ein, dass das beschädigte soziale Gefüge mit seinen positiven, aber reparaturbedürftigen Bindungen wieder hergestellt wird; sie mobilisieren die Bürgersolidarität und stärken die soziale Teilhabe als notwendige Vorbedingung für die Förderung gelebter Demokratie auch in den am stärksten benachteiligten Gebieten.“ (18)

6.   Schlussfolgerungen

6.1

Der EWSA begrüßt die Mitteilung der EU-Kommission zur sozialpolitischen Agenda und sieht darin einen Beitrag, die Bedeutung der Sozialpolitik für die Erreichung der Lissabon-Ziele herauszustellen. Er ist allerdings der Auffassung, dass sie trotz ihres strategischen Ansatzes den besonderen Erwartungen im Zusammenhang mit der Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie nicht in allen Teilen gerecht wird. Während sich die EU-Kommission in der vorangegangenen sozialpolitischen Agenda noch von der Rolle der Sozialpolitik als produktiver Faktor hat leiten lassen, ist dies in dem neuen Vorschlag nicht mehr ausdrücklich der Fall. Vielmehr ist der EWSA der Auffassung, dass die Sozialpolitik nicht der Wirtschaftspolitik untergeordnet werden darf, sondern von gleichrangiger Bedeutung ist. Die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Aufbau eines aktiven Wohlfahrtsstaates gehören gleichermaßen zu den Zielen der Lissabon-Strategie, wie sie auf dem europäischen Gipfel im März 2000 verabschiedet wurde, wie die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Ein hohes Sozialschutzniveau gehört zu den zentralen Elementen des europäischen Sozialmodells und trägt entscheidend zum sozialen Zusammenhalt bei.

6.2

Im Gegensatz zu der oftmals vertretenen Auffassung, wonach hohe Sozialausgaben den wirtschaftspolitischen Zielen entgegenstehen, belegen empirische Daten verschiedener europäischer Länder das Gegenteil. Darauf hat die Expertengruppe „Zukunft der Sozialpolitik“ in ihrem Bericht aufmerksam gemacht. Nach einer Studie des europäischen Politikzentrums von 2004 weisen die Länder Schweden, Dänemark, Österreich, Luxemburg und Niederlande sowohl eine relativ hohe Wirtschaftsleistung als auch ein hohes Sozialschutzniveau auf. Und diejenigen Länder, die im internationalen Ranking des Weltwirtschaftsforums bei der Wettbewerbsfähigkeit am besten abschneiden, tätigen zugleich hohe Investitionen in die Sozialpolitik und die sozialen Sicherungssysteme und weisen zugleich hohe Beschäftigungsquoten und niedrige Armutsquoten nach Sozialtransfers auf (19).

6.3

Der EWSA merkt kritisch an, dass die neue sozialpolitische Agenda weniger konkrete Maßnahmen enthält, als ihre Vorgänger. Dies macht die Beurteilung schwierig, da nicht immer erkennbar ist, in welche politische Richtung die Vorschläge gehen. Dies gilt insbesondere für die Sozialgesetzgebung, in der sich die EU-Kommission auf die Revision geltender Richtlinien beschränkt und kaum neue Vorschläge unterbreitet. Der EWSA erwartet daher, dass der strategische Rahmen durch konkrete Maßnahmen ausgefüllt wird. Er ist der Auffassung, dass die neue sozialpolitische Agenda mit einem Aktionsprogramm für die nächsten fünf Jahre verbunden werden sollte. Als Orientierung sollten dabei die sozialen Grundrechte in der zukünftigen EU-Verfassung dienen. Ausgehend davon sollte das sozialpolitische Aktionsprogramm sowohl Vorschläge für die Überprüfung bestehender Richtlinien als auch neue Richtlinienvorschläge beinhalten und gleichzeitig die geplanten Debatten und Koordinierungsmaßnahmen für die Weiterentwicklung der europäischen Sozialpolitik umfassen. Nach Ansicht des EWSA kommt es gerade im Rahmen der Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie darauf an, die europäische Sozialpolitik und ihre produktive Rolle zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung sichtbar zu machen.

6.4

In diesem Zusammenhang möchte der EWSA auch die Frage der Finanzierung der Sozialpolitik ansprechen: Obgleich die Kommission bereits bei Vorlage der Finanziellen Vorschau darauf hingewiesen hat, dass der künftige EU-Haushalt in Struktur und Dotierung die Lissabon-Strategie widerspiegeln und befördern muss, ist zu befürchten, dass der Vorschlag hinter diesem Anspruch zurückzubleiben droht.

6.5

Zwar weist die entsprechende Teilrubrik der Finanzvorschau „Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Beschäftigung“ (20) eine Erhöhung aus. Von dieser Erhöhung betroffen sind jedoch v.a. Maßnahmen zur Wettbewerbsfähigkeit und zu unternehmerischen Initiativen. Ein Vergleich mit den bestehenden Ausgaben im Sozial- und Beschäftigungsbereich zeigt, dass demgegenüber in der künftigen Sozialpolitik keine reale Aufstockung vorgesehen ist. Die Kommission schlägt hier im Wesentlichen ein unverändertes Budget vor.

6.6

Der EWSA hat dazu u.a. im Rahmen seiner Stellungnahme zum Rahmenprogramm PROGRESS (21) bereits deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er gerade vor dem Hintergrund der ernüchternden Halbzeitbilanz von Lissabon diese Vorgabe der 'Budgetneutralität' im Bereich von Beschäftigung und Sozialpolitik nicht nachvollziehen kann. Der EWSA fordert daher, auch die für Sozialpolitik veranschlagten Mittel analog zu den restlichen Maßnahmen im Rahmen des Titels Wachstum und Beschäftigung entsprechend zu erhöhen.

Brüssel, den 13. Juli 2005

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  „Solide makroökonomische Rahmenbedingungen sind von entscheidender Bedeutung für die Unterstützung der Bemühungen um Wachstum und Beschäftigung.“ (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Seite 2).

(2)  ebd. Seite 2.

(3)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Seite 9.

(4)  Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Barcelona, 15. und 16. März 2002.

(5)  Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004.

(6)  KOM(2005) 33 endg. vom 9.2.2005 Seite 2.

(7)  KOM (2005) 94 endg. vom 16.3.2005.

(8)  Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Brüssel, 22. und 23. März 2005.

(9)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchführung des Programms 'Jugend in Aktion' im Zeitraum 2007-2013“ (CESE 253/2005 vom 10.3.2005 – Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCÍA CARO).

(10)  KOM(2005) 141 endg. vom 12.4.2005.

(11)  Stellungnahme EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds“ (CESE 250/2005 vom 9.3.2005 – Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER).

(12)  Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Konkrete Anwendung der Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte und eventuell überprüfungsbedürftige Aspekte“ (ABl. C 10 vom 14.1.2004 - Herr PIETTE).

(13)  ETUC/UNICE/CEEP gemeinsame Erklärung vom 7.12.2001.

(14)  Stellungnahme des EWSA zu dem Thema „Europäisches Regieren - ein Weißbuch“ (ABl. C 125 vom 27.5.2002, Seite 61 - Berichterstatterin war Frau Engelen-Kefer, Mitberichterstatterin Frau PARI).

(15)  Stellungnahme des EWSA zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Stärkung der sozialen Dimension der Lissabonner Strategie: Straffung der offenen Koordinierung im Bereich Sozialschutz“ (ABl. C 32 vom 5.2.2004 – Berichterstatter: Herr BEIRNAERT).

(16)  Gemeinsamer Bericht über die soziale Eingliederung 2004, Mai 2004.

(17)  Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004.

(18)  Stellungnahme des EWSA zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Halbzeitüberprüfung der sozialpolitischen Agenda“ (ABl. C 80 vom 30.3.2004 (Ziff. 3.3.6 und 3.3.7) - Herr JAHIER).

(19)  Bericht der Hochrangigen Gruppe über die Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union, Mai 2004, Seite 61.

(20)  KOM(2004) 101 endg./2 vom 26.2.2004.

(21)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität - PROGRESS“ KOM(2004) 488 endg., vom 6. April 2005, CESE 386/2005.


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