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Document 92000E003528

SCHRIFTLICHE ANFRAGE P-3528/00 von W.G. van Velzen (PPE-DE) an die Kommission. Tschechisches Kernkraftwerk Temelin.

ABl. C 187E vom 3.7.2001, p. 13–15 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

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92000E3528

SCHRIFTLICHE ANFRAGE P-3528/00 von W.G. van Velzen (PPE-DE) an die Kommission. Tschechisches Kernkraftwerk Temelin.

Amtsblatt Nr. 187 E vom 03/07/2001 S. 0013 - 0015


SCHRIFTLICHE ANFRAGE P-3528/00

von W.G. van Velzen (PPE-DE) an die Kommission

(8. November 2000)

Betrifft: Tschechisches Kernkraftwerk Temelin

Zwischen Österreich und Tschechien ist es in letzter Zeit zu einer heftigen Kontroverse über die Inbetriebnahme des tschechischen Kernkraftwerks Temelin gekommen.

1. Über welche gesetzlichen Möglichkeiten gemäß dem Vertrag von Amsterdam verfügt die Kommission, um die tschechische Regierung zu zwingen, eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, auch im Hinblick auf den bevorstehenden Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union?

2. Verfügt die Europäische Kommission über Rechtsinstrumente, um die tschechische Regierung zur Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung zu zwingen, bevor Temelin tatsächlich in Betrieb genommen wird? Wenn nicht, und wenn dieser Punkt auch im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit Tschechien nicht zufriedenstellend gelöst werden kann, kann die Kommission dann Angaben darüber machen, welche diplomatischen Schritte sie bei beiden Regierungen unternommen hat, mit welchem Ergebnis?

3. Die österreichische Regierung hat der Europäischen Union empfohlen, möglichst umgehend EU-Standards im Bereich der sicheren Nutzung der Atomenergie auszuarbeiten. Ist die Kommission in der Lage, dieser Empfehlung kurzfristig nachzukommen, wie sollen diese Standards entwickelt werden, und wer wird davon betroffen sein?

4. Ist die Kommission der Auffassung, daß die öffentliche Akzeptanz von Kernenergie erweitert werden könnte, wenn EU-Sicherheitsstandards existierten und wenn es eine EU-Politik für die sichere Behandlung und Lagerung von radioaktiven Abfällen gäbe?

5. Ist die Kommission bereit, angesichts der derzeitigen Ölkrise und ausgehend von einer Politik der Energiediversifikation, zu der auch eine sichere Nutzung von Kernenergie gehören würde, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die unter Punkt 4 genannten Maßnahmen möglichst umgehend in die Tat umzusetzen? Welche Maßnahmen gedenkt die Kommission dazu zu treffen?

Antwort von Herrn Verheugen im Namen der Kommission

(11. Januar 2001)

Die Europäische Kommission verfügt über keine gesetzliche Handhabe, die tschechische Regierung zu zwingen, eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) hinsichtlich des Atomkraftwerks (AKW) Temelin durchzuführen. Dieses Problem war das Thema bilateraler Kontakte der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich mit der Tschechischen Republik. In der tschechischen Stadt Týn nad Vltavou fand im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung am 16. November 2000 eine öffentliche Anhörung unter Teilnahme betroffener ausländischer Parteien statt. Eine ähnliche Anhörung über das AKW Temelin wird, außerhalb des Anwendungsbereichs der tschechischen Gesetze, am 1. Dezember 2000 in der Stadt Linz (Österreich) abgehalten werden. Auf der Grundlage der gegenwärtigen tschechischen UVP-Gesetzgebung unterzieht die tschechische Regierung derzeit bereits 78 Konstruktionsänderungen für das AKW Temelin einer UVP, und sie hat der deutschen und der österreichischen Regierung die entsprechende Dokumentation zur Verfügung gestellt.

Wie in der Beitrittspartnerschaft 1999 als kurzfristige Priorität vorgesehen, ist die tschechische Regierung dabei, eine mit dem Acquis in Einklang stehende Gesetzgebung zu schaffen. Ein Gesetzentwurf wird gegenwärtig im Parlament erörtert. Er soll vor Ende des Jahres 2000 angenommen werden und Mitte 2001 in Kraft treten. Diese Gesetzgebung wird auch grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) vorsehen. Ebenso liegt im tschechischen Parlament ein Antrag auf Beitritt der Tschechischen Republik zum Übereinkommen Espoo der Vereinten Nationen (UN) vor. In Übereinstimmung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen wird sich die neue Gesetzgebung nicht rückwirkend auf den Bau des AKW Temelin auswirken.

Am 12. Dezember erklärte sich die tschechische Regierung anlässlich eines bilateralen Treffens zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Schüssel und dem tschechischen Ministerpräsidenten Zeman unter Vermittlung der Kommission dennoch bereit, die laufende Umweltverträglichkeitsprüfung der 78 Konstruktionsänderungen auf freiwilliger Basis zu einer umfassenden und weitreichenden Umweltverträglichkeitsprüfung der gesamten Anlage unter vollständiger Berücksichtigung der bisher erstellten Gutachten auszuweiten.

Die Verantwortung für die nukleare Sicherheit obliegt dem Betreiber des AKW Temelin, der unter Aufsicht und Lizenz der nationalen tschechischen Atomaufsichtsbehörde (SUJB) steht. Diese hat das Atomkraftwerk einem regulären Lizenzvergabeverfahren unterzogen, weshalb die Kommission keinen Grund sieht, die Tschechische Republik zu zusätzlichen Sicherheitskontrollen aufzufordern. Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen unterstützt die Kommission die Bestrebungen des Rates, die Standards für eine hohe nukleare Sicherheit festzulegen. Dies wird zu einer Bewertung der aktuellen und künftigen Situation in den Beitrittsländern führen. Die Frage der nuklearen Sicherheit ist Teil des regelmäßigen Dialogs zwischen der Kommission und der Tschechischen Republik.

Darüber hinaus wurde in dem oben erwähnten Treffen vom 12. Dezember in Melk vereinbart, einen Trialog zu führen. Ferner soll die Kommission eine trilaterale Expertengruppe nach Wien und Prag entsenden, um den Dialog zwischen der Regierung der Republik Österreich und der Tschechischen Republik in der Angelegenheit der nuklearen Sicherheit zu fördern und Lösungen für die festgestellten Probleme zu finden.

Da der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft keine spezifische Grundlage für die Erstellung von Gemeinschaftsstandards für die Sicherheit nuklearer Einrichtungen bietet, entwickelten die Mitgliedsländer im Laufe der letzten drei Jahrzehnte innerhalb ihrer jeweiligen Gesetzgebung erfolgreich nationale Regelungen, die einen hohen Standard an nuklearer Sicherheit gewährleisten. Seit 1975 entwickelte sich unter Ägide der Kommission eine weitreichende gemeinsame Auffassung über nukleare Sicherheit. Trotz gemeinsamer Grundsätze ist es aufgrund der

Vielfalt der Regelungskonzepte und der unterschiedlichen technologischen Entwicklung der Mitgliedstaaten ungewiss, ob durch eine Gemeinschaftsregelung ein höherer Standard als der status quo erzielt würde. Eine überhastete Vorgehensweise birgt die Gefahr einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinsichtlich der Entwurfs- und Betriebssicherheit. Ziel aller Regelungen soll ein hoher Standard der nuklearen Sicherheit in jedem Mitgliedstaat sein. Im Rahmen der EU-Erweiterung will die Kommission sicherstellen, daß sie Beitrittsländer einen hohen Sicherheitsstandard für die Kernkraftlanlagen erreichen.

Die Akzeptanz für die Kernenergie hängt von einer Vielzahl von Faktoren und nicht allein von der Existenz gemeinsamer EU-Sicherheitsstandards ab. Ein Fortschritt in der Frage des Endes des Kernbrennstoffkreislaufs und auf dem Gebiet der Entsorgung der nuklearen Abfälle spielen dabei sicher eine bedeutende Rolle.

Die Notwendigkeit hoher Sicherheitsstandards in der Kernenergie ist unabhängig vom Ölpreisniveau und dem Grad der Diversifizierung der Energieträger. Sicherheit bleibt von zentraler Bedeutung für die Gewinnung von Kernenergie, gleich welchen Anteil sie an der Gesamtenergieproduktion hat.

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