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Dokument 62004TO0040

Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Zweite Kammer) vom 11. Juli 2005.
Emma Bonino und andere gegen Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union.
Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung - Nichtigkeitsklage -Einrede der Unzulässigkeit - Anfechtbarer Rechtsakt - Klagebefugnis - Unzulässigkeit.
Rechtssache T-40/04.

Sammlung der Rechtsprechung 2005 II-02685

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:T:2005:279

Rechtssache T-40/04

Emma Bonino u. a.

gegen

Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union

„Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung – Nichtigkeitsklage – Einrede der Unzulässigkeit – Anfechtbarer Rechtsakt – Klagebefugnis – Unzulässigkeit“

Beschluss des Gerichts (Zweite Kammer) vom 11. Juli 2005 

Leitsätze des Beschlusses

1.     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbares Betroffensein – Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung – Ausschluss einer politischen Gruppierung von den Regelungen – Unmittelbares Betroffensein der politischen Gruppierung

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Verordnung Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 2 und 3)

2.     Verfahren – Zulässigkeit der Klagen – Beurteilung nach der Lage zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift – Rechtsakt, dessen Wirkungen erst zu einem dort festgelegten späteren Zeitpunkt eintreten – Keine Auswirkung auf das unmittelbare Betroffensein natürlicher oder juristischer Personen

(Artikel 230 Absätze 4 und 5 EG)

3.     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbares Betroffensein – Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung – Klage von Abgeordneten, die einer politischen Gruppierung angehören – Kein unmittelbares Betroffensein

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Verordnung Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 2 und 3)

4.     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung – Klage einer politischen Gruppierung – Unzulässigkeit

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Verordnung Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates)

5.     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung – Klage einer politischen Gruppierung – Abgeordnete, die der Gruppierung angehören und an der Ausarbeitung der Verordnung beteiligt gewesen sind – Rechtsgrundlage dieser Verordnung, die eine solche Beteiligung nicht vorsieht – Unzulässigkeit

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Verordnung Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates)

6.     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Auslegung contra legem des Erfordernisses, individuell betroffen zu sein – Unzulässigkeit

(Artikel 230 Absatz 4 EG)

1.     Eine Verordnung wie die Verordnung Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung, die eine rechtliche Vorzugsstellung begründet, die einem Teil der politischen Gruppierungen gewährt werden kann, während andere davon ausgeschlossen sind, kann die Chancengleichheit der politischen Parteien beeinträchtigen. Daher besteht die rechtliche Wirkung, die in einem solchen Fall zu prüfen ist, darin, dass einer politischen Gruppierung der Status einer politischen Partei auf europäischer Ebene und damit eine Finanzierung aus Gemeinschaftsmitteln verweigert wird, während einige ihrer politischen Konkurrenten die Möglichkeit haben, diesen Status zu erhalten.

Die Einreichung eines entsprechenden Antrags als Voraussetzung für die Gewährung einer Finanzierung nach dieser Verordnung schließt die unmittelbare Betroffenheit einer politischen Gruppierung nicht aus, da ein solcher Antrag allein von der Entscheidung dieser Partei abhängt.

Da die politischen Gruppierungen, die die Voraussetzungen der Artikel 2 und 3 dieser Verordnung nicht erfüllen, von der Finanzierung ausgeschlossen sind und die Kriterien in Artikel 3 Buchstaben a, b und d der angefochtenen Verordnung so formuliert sind, dass sie für ein Ermessen des Parlaments keinen Raum lassen, fällt eine Entscheidung über die Gewährung oder Versagung einer Finanzierung aufgrund dieser Kriterien in den Bereich der gebundenen Verwaltung, da sie rein automatisch allein aufgrund der angefochtenen Verordnung ohne Anwendung von Durchführungsbestimmungen erfolgt.

(vgl. Randnrn. 43, 49, 51-52)

2.     Auch wenn bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen ist, spricht die Tatsache, dass die Wirkungen eines Rechtsakts erst zu einem in diesem Rechtsakt festgelegten späteren Zeitpunkt eintreten, nicht dagegen, dass ein Einzelner von ihm unmittelbar betroffen sein kann.

Da die Kläger die Klagefrist des Artikels 230 Absatz 5 EG einhalten müssen, würde jede andere Auslegung nämlich dazu führen, dass die den Rechtsakt erlassende Stelle die Erhebung einer unmittelbaren Klage durch einen Einzelnen gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG verhindern könnte, indem sie den Beginn der Geltung einer Vorschrift, die die Rechtslage des Betroffenen unmittelbar beeinträchtigen kann, hinausschiebt.

Wenn der Gesetzgeber den Beginn der Geltung der Bestimmungen des angefochtenen Rechtsakts auf einen bestimmten Tag festgelegt hat und die Anwendung dieser Bestimmungen daher nicht von dem Eintritt ungewisser Ereignisse abhängt, hat die Verschiebung der Geltung dieser Bestimmungen keinen Einfluss auf die unmittelbare Betroffenheit eines Einzelnen.

(vgl. Randnrn. 45-48)

3.     Die Abgeordneten, die einer politischen Gruppierung angehören, sind durch die Verordnung Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung nicht unmittelbar im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG betroffen, denn selbst wenn nicht auszuschließen ist, dass die in dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen für die Finanzierung einer politischen Partei Auswirkungen auf die Ausübung des Mandats der ihr angehörenden Abgeordneten haben kann, steht trotzdem außer Frage, dass die wirtschaftlichen Folgen einer eventuellen Finanzierung einer konkurrierenden politischen Gruppierung und der Ablehnung einer Finanzierung der Gruppierung, der die klagenden Abgeordneten angehören, als mittelbar zu qualifizieren sind. Unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen ergeben sich in Wirklichkeit für die Lage der politischen Gruppierung und nicht für die der Abgeordneten, die über deren Liste gewählt worden sind, und die Folgen hiervon betreffen nicht die rechtliche, sondern nur die tatsächliche Lage der klagenden Abgeordneten.

(vgl. Randnrn. 56, 59)

4.     Die Verordnung Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung gilt für objektiv festgelegte Situationen und entfaltet Rechtswirkungen gegenüber Personengruppen, die allgemein und abstrakt bestimmt sind, da die Personen nicht im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG unmittelbar betroffen sind. Die Bedingungen, die eine politische Partei, die in den Genuss einer Finanzierung durch die Gemeinschaft kommen möchte, erfüllen muss, sind nämlich allgemein und in der Art formuliert, dass sie unterschiedslos für jede politische Gruppierung gelten, die in den Anwendungsbereich der angefochtenen Verordnung fällt.

Die Referenzgruppe gehört folglich nicht zu einem geschlossenen Kreis von Personen, die von der Verordnung Nr. 2004/2003 betroffen sind, sondern setzt sich aus sämtlichen politischen Gruppierungen zusammen, die von dieser Verordnung unmittelbar betroffen sein können, d. h. allen politischen Parteien, die an den Europäischen Wahlen teilgenommen haben oder die Absicht bekundet haben, dies zu tun.

Der bloße Umstand, dass einige betroffene Personen der Zahl nach oder sogar namentlich bestimmt werden können, während dieses bei anderen nicht möglich ist, kann einen Kläger nicht hinreichend individualisieren.

(vgl. Randnrn. 61-63)

5.     Die bloße Teilnahme an den Gesprächen, die dem Erlass eines Rechtsakts vorangehen, verleiht dem Einzelnen keine Klagebefugnis. Wenn die „Verhandlungsführerschaft“ einer Vereinigung, deren Ziel die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder ist, eventuell auch ausreichend sein mag, um einen solchen Kläger zu individualisieren, so gilt dies doch nicht für einen Rechtsakt von allgemeiner Geltung, wenn die Rechtsgrundlage, auf der sein Erlass beruht, eine Beteiligung Einzelner nicht vorsieht. Ebenso können, wenn keine besonderen Verfahren vorgesehen sind, durch die Einzelne am Erlass, an der Durchführung und an der Weiterbehandlung der fraglichen Entscheidungen beteiligt sind, die bloße Einreichung einer Beschwerde und der sich gegebenenfalls anschließende Schriftwechsel mit der Kommission einem Beschwerdeführer keine Klagebefugnis nach Artikel 230 EG verleihen.

Eine politische Gruppierung, deren Mitglieder als Abgeordnete am Gesetzgebungsverfahren beteiligt gewesen sind, ist durch die Verordnung Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung nicht unmittelbar betroffen im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG, wenn die Abgeordneten von dieser Verordnung nicht unmittelbar betroffen sind und es keine Verfahrensvorschrift gibt, die die förmliche Beteiligung der politischen Parteien an dem Erlass der Verordnung verlangt.

(vgl. Randnrn. 70-72, 75)

6.     Einer Auslegung des Rechtsschutzes, nach der eine Direktklage mit dem Ziel der Nichtigerklärung beim Gemeinschaftsrichter möglich sein soll, wenn nach einer konkreten Prüfung der nationalen Verfahrensvorschriften durch diesen Richter dargetan werden kann, dass diese Vorschriften es dem Einzelnen nicht gestatten, eine Klage zu erheben, mit der er die Gültigkeit der streitigen Gemeinschaftshandlung in Frage stellen kann, kann nicht gefolgt werden.

Nach dem durch den EG-Vertrag geschaffenen System der Rechtmäßigkeitskontrolle kann eine natürliche oder juristische Person nur dann Klage gegen eine Verordnung erheben, wenn sie nicht nur unmittelbar, sondern auch individuell betroffen ist. Diese Voraussetzung ist zwar im Licht des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der verschiedenen Umstände, die einen Kläger individualisieren können, auszulegen, doch kann eine solche Auslegung nicht, ohne dass die den Gemeinschaftsgerichten durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten würden, zum Wegfall der fraglichen Voraussetzung führen, die ausdrücklich im Vertrag vorgesehen ist.

(vgl. Randnr. 77)




BESCHLUSS DES GERICHTS (Zweite Kammer)

11. Juli 2005(*)

„Verordnung über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung – Nichtigkeitsklage –Einrede der Unzulässigkeit – Anfechtbarer Rechtsakt – Klagebefugnis – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T-40/04

Emma Bonino, wohnhaft in Rom (Italien),

Marco Cappato, wohnhaft in Vedano al Lambro (Italien),

Gianfranco Dell’Alba, wohnhaft in Livorno (Italien),

Benedetto Della Vedova, wohnhaft in Tirano (Italien),

Olivier Depuis, wohnhaft in Rom,

Marco Pannella, wohnhaft in Rom,

Maurizio Turco, wohnhaft in Pulsano (Italien),

Liste Emma Bonino, Rom,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. Vandersanden und L. Levi,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück, N. Lorenz und D. Moore als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

und

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Sims und I. Díez Parra als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung (ABl. L 297, S. 1)

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung sowie der Richter N. J. Forwood und S. Papasavvas,

Kanzler: H. Jung,

folgenden

Beschluss

 Rechtlicher Rahmen und Vorgeschichte des Rechtsstreits

1       Am 4. November 2003 erließen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung (ABl. L 297, S. 1) (im Folgenden: angefochtene Verordnung). Diese Verordnung erging aufgrund von Artikel 191 Absatz 2 EG, wonach der „Rat … gemäß dem Verfahren des Artikels 251 [EG] die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und insbesondere die Vorschriften über ihre Finanzierung fest[legt]“.

2       Die Artikel 2 bis 5 der angefochtenen Verordnung lauten folgendermaßen:

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

1.      Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚politische Partei‘: eine Vereinigung von Bürgern,

–       die politische Ziele verfolgt und

–       die nach der Rechtsordnung mindestens eines Mitgliedstaats anerkannt ist oder in Übereinstimmung mit dieser Rechtsordnung gegründet wurde;

2.      ‚Bündnis politischer Parteien‘: eine strukturierte Zusammenarbeit mindestens zweier politischer Parteien;

3.      ‚politische Partei auf europäischer Ebene‘: eine politische Partei oder ein Bündnis politischer Parteien, die bzw. das die in Artikel 3 genannten Voraussetzungen erfüllt.

Artikel 3

Voraussetzungen

Eine politische Partei auf europäischer Ebene muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

a)      Sie besitzt in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, Rechtspersönlichkeit;

b)      sie ist in mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten durch Mitglieder des Europäischen Parlaments oder in den nationalen Parlamenten oder regionalen Parlamenten oder Regionalversammlungen vertreten, oder

sie hat in mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten bei der letzten Wahl zum Europäischen Parlament mindestens 3 Prozent der abgegebenen Stimmen in jedem dieser Mitgliedstaaten erreicht;

c)      sie beachtet insbesondere in ihrem Programm und in ihrer Tätigkeit die Grundsätze, auf denen die Europäische Union beruht, das heißt die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit;

d)      sie hat an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilgenommen oder die Absicht bekundet, dies zu tun.

Artikel 4

Antrag auf Finanzierung

(1)      Um eine Finanzierung aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union zu erhalten, muss eine politische Partei auf europäischer Ebene jährlich einen Antrag beim Europäischen Parlament stellen.

Das Europäische Parlament entscheidet innerhalb von drei Monaten und bewilligt und verwaltet die entsprechenden Mittel.

(2)      Dem ersten Antrag müssen folgende Unterlagen beigefügt werden:

a)      Unterlagen, die bescheinigen, dass der Antragsteller die in Artikel 3 genannten Voraussetzungen erfüllt;

b)      ein politisches Programm, das die Ziele der politischen Partei auf europäischer Ebene beschreibt;

c)      eine Satzung, in der insbesondere die für die politische und finanzielle Leitung zuständigen Organe sowie die Organe oder natürlichen Personen festgelegt sind, die in den jeweiligen Mitgliedstaaten insbesondere für die Zwecke des Erwerbs oder der Veräußerung beweglicher und unbeweglicher Vermögensgegenstände oder in Gerichtsverfahren zur gesetzlichen Vertretung befugt sind.

(3)      Jede Änderung betreffend die in Absatz 2 genannten Unterlagen, insbesondere eines politischen Programms oder einer Satzung, die bereits vorgelegt wurden, muss dem Europäischen Parlament innerhalb von zwei Monaten mitgeteilt werden. Erfolgt keine Mitteilung, so wird die Finanzierung ausgesetzt.

Artikel 5

Nachprüfung

(1)      Das Europäische Parlament prüft regelmäßig nach, ob die politischen Parteien auf europäischer Ebene die in Artikel 3 Buchstaben a) und b) genannten Voraussetzungen weiterhin erfüllen.

(2)      Hinsichtlich der in Artikel 3 Buchstabe c) genannten Voraussetzung prüft das Europäische Parlament auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder, die mindestens drei Fraktionen im Europäischen Parlament vertreten, durch Beschluss der Mehrheit seiner Mitglieder nach, ob die genannte Voraussetzung bei einer politischen Partei auf europäischer Ebene weiterhin erfüllt ist.

Vor der Einleitung einer solchen Nachprüfung hört das Europäische Parlament die Vertreter der betreffenden politischen Partei auf europäischer Ebene an und bittet einen Ausschuss, dem unabhängige Persönlichkeiten angehören, innerhalb einer angemessenen Frist zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

Der genannte Ausschuss besteht aus drei Mitgliedern. Von diesen wird jeweils ein Mitglied vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission benannt. Die Sekretariatsgeschäfte und die Finanzierung des Ausschusses übernimmt das Europäische Parlament.

(3)      Stellt das Europäische Parlament fest, dass eine der in Artikel 3 Buchstaben a), b) und c) genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt ist, so wird die betreffende politische Partei auf europäischer Ebene, die aus diesem Grund diese Eigenschaft verloren hat, von der Finanzierung nach dieser Verordnung ausgeschlossen.“

3       Die weiteren Artikel der angefochtenen Verordnung betreffen die Finanzierungsquellen und die Pflichten der politischen Parteien auf europäischer Ebene (Artikel 6), das Verbot, die Mittel der Gemeinschaft zur Unterstützung anderer politischer Parteien, insbesondere nationaler Parteien, zu verwenden (Artikel 7), und die Art der Ausgaben, für die Mittel aus dem Haushaltsplan der Europäischen Union gewährt werden dürfen (Artikel 8). Artikel 9 enthält haushaltsrechtliche Vorschriften insbesondere über die Verwendung der Mittel und die Finanzkontrolle. Artikel 10 regelt die Aufteilung der Mittel zwischen den politischen Parteien auf europäischer Ebene.

4       Artikel 13 der angefochtenen Verordnung mit dem Titel „Inkrafttreten und Geltung“ sieht vor:

„Diese Verordnung tritt drei Monate nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Die Artikel 4 bis 10 gelten ab dem Tag der Eröffnung der ersten Sitzung nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004.“

5       Die erste Sitzung des Europäischen Parlaments nach den europäischen Wahlen vom Juni 2004 fand am 20. Juli 2004 statt.

 Verfahren und Anträge der Parteien

6       Die Kläger haben mit Klageschrift, die am 6. Februar 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

7       Mit besonderen Schriftsätzen, die am 7. bzw. am 30. April 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben das Parlament und der Rat eine Einrede der Unzulässigkeit nach Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.

8       Die Kläger haben am 16. Juni 2004 zur Einrede der Unzulässigkeit Stellung genommen.

9       Das Europäische Parlament und der Rat beantragen,

–       die Klage als unzulässig abzuweisen;

–       den Klägern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

10     In ihrer Stellungnahme zu der von den Beklagten erhobenen Einrede der Unzulässigkeit beantragen die Kläger,

–       die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen;

–       die Fortsetzung des Verfahrens in der Sache anzuordnen;

–       den Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

 Gründe

11     Die Beklagten stützen ihre Einrede der Unzulässigkeit auf Artikel 230 Absatz 4 EG. Bezüglich der klagenden politischen Partei, der Liste Emma Bonino, vertritt das Parlament darüber hinaus die Ansicht, dass die förmlichen Voraussetzungen des Artikels 44 § 5 der Verfahrensordnung nicht beachtet worden seien.

12     Zunächst ist zu prüfen, ob die Kläger die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG erfüllen.

 Vorbringen der Parteien

 Vorbringen der Beklagten

13     Das Parlament und der Rat sind der Ansicht, dass die Kläger von der angefochtenen Verordnung weder unmittelbar noch individuell betroffen seien. Außerdem macht der Rat geltend, dass die angefochtene Verordnung kein anfechtbarer Rechtsakt im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG sei.

–       Zur Natur des angefochtenen Rechtsakts

14     Der Rat trägt vor, dass die angefochtene Verordnung keine „verschleierte“ Entscheidung sei, sondern alle Merkmale eines Rechtsakts von allgemeiner Geltung aufweise, der allgemein und abstrakt für objektiv bestimmte Situationen gelte. Ein solcher Rechtsakt sei nicht nach Artikel 230 Absatz 4 EG anfechtbar. Es sei nicht auszuschließen, dass auch ein Rechtsakt von allgemeiner Geltung unter bestimmten Voraussetzungen eine natürliche oder juristische Person unmittelbar und individuell betreffe, für andere Rechtssubjekte aber eine Regelung von allgemeiner Geltung sei. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.

15     Das Parlament weist darauf hin, dass die unmittelbare Anwendbarkeit der angefochtenen Verordnung, insbesondere der Artikel 2 bis 5, gemäß Artikel 249 Absatz 2 EG nicht mit der unmittelbaren Betroffenheit im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG zu verwechseln sei. Die Zulässigkeit der Klage könne nicht aus Artikel 249 Absatz 2 EG oder der unmittelbaren Anwendbarkeit der angefochtenen Verordnung hergeleitet werden.

–       Keine unmittelbare Betroffenheit der Kläger

16     Bezüglich der Frage, ob die Kläger unmittelbar betroffen sind, vertreten das Parlament und der Rat die Ansicht, dass die Kläger nicht oder jedenfalls nicht alle zu den Normadressaten der angefochtenen Verordnung gehörten.

17     Was die klagenden Abgeordneten betreffe, so richte sich die angefochtene Verordnung an die politischen Parteien auf europäischer Ebene im Sinne von Artikel 2 dieser Verordnung, die durch Vereinigungen von Bürgern mit bestimmten Merkmalen oder durch eine strukturierte Zusammenarbeit mindestens zweier oder mehrerer dieser Vereinigungen gebildet worden seien. Da die klagenden Abgeordneten natürliche Personen seien, die von den Parteien, zu denen sie gehörten, zu unterscheiden seien, könnten sie von dem angefochtenen Rechtsakt nicht unmittelbar betroffen sein. Nach Ansicht des Parlaments reicht die Tatsache, dass die klagenden Abgeordneten möglicherweise mittelbar betroffen seien, weil die nationalen politischen Parteien, denen sie angehörten, von einer Finanzierung durch die Gemeinschaft aufgrund der angefochtenen Verordnung ausgeschlossen seien, nicht aus, um die Voraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG zu erfüllen. Darüber hinaus sei in der Klageschrift nicht dargetan worden, inwiefern die klagenden Abgeordneten eine politische Partei auf europäischem Niveau bildeten.

18     Das Parlament trägt außerdem vor, dass der eventuelle Ausschluss der nationalen Parteien, denen die klagenden Abgeordneten angehörten, von der Finanzierung durch die Gemeinschaft nicht die Ausübung ihres Mandats beeinträchtige, da die Finanzierung ihrer Arbeit durch andere Regelungen, insbesondere die über die Kosten und Vergütungen der Abgeordneten des Parlaments sowie die Haushaltslinie 3701, sichergestellt sei.

19     Bezüglich der Liste Emma Bonino vertritt das Parlament die Ansicht, dass auch diese nicht Normadressat der angefochtenen Verordnung sei. Da diese Verordnung nur für die politischen Parteien auf europäischer Ebene im Sinne von Artikel 2 der Verordnung gelte, sei die Liste Emma Bonino als nationale politische Partei, die die Voraussetzungen für den Status einer politischen Partei auf europäischem Niveau nicht erfülle, von dieser Regelung nicht unmittelbar betroffen.

20     Sodann macht das Parlament geltend, die Artikel 2 und 3 der angefochtenen Verordnung, die die von den politischen Parteien auf europäischem Niveau zu erfüllenden Voraussetzungen festlegten, hätten vor dem Inkrafttreten der Artikel 4 bis 10 der Verordnung, die insbesondere die Gewährung der gemeinschaftlichen Finanzierung, die Rechte und Pflichten der politischen Parteien auf europäischer Ebene und die Voraussetzungen für die Beendigung einer gewährten Finanzierung regelten, keine Rechtswirkungen gehabt. Nach Artikel 13 der angefochtenen Verordnung seien die Artikel 4 bis 10 erst vom 20. Juli 2004 an anzuwenden gewesen. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung, der für die Zulässigkeit der Klage maßgebend sei, habe die angefochtene Verordnung daher noch keine Auswirkungen auf die Rechtslage der Kläger gehabt. Der Rat ist der Argumentation des Parlaments im Wesentlichen gefolgt.

21     Schließlich macht der Rat geltend, dass die angefochtene Verordnung Ausführungsakte seitens des Parlaments verlange. Eine Finanzierung werde nicht automatisch gewährt oder abgelehnt, sondern setze einen Antrag der politischen Partei voraus, die eine Finanzierung begehre. Zum anderen sehe die angefochtene Verordnung verschiedentlich ein Ermessen des Parlaments bei der Durchführung der Verordnung vor.

–       Keine individuelle Betroffenheit

22     Erstens sind die Kläger nach Ansicht der Beklagten von der angefochtenen Verordnung nur aufgrund objektiver Kriterien betroffen, die für jede politische Gruppierung gälten. Die Kläger seien in genau derselben Weise betroffen wie alle anderen Rechtssubjekte.

23     Zweitens gehörten die Kläger nicht zu einem geschlossenen Kreis von der angefochtenen Verordnung betroffener Personen. Bezüglich der klagenden Abgeordneten trägt der Rat vor, dass die Mandate, die sie bei Klageerhebung gehabt hätten, zum Zeitpunkt des vollständigen Inkrafttretens der angefochtenen Verordnung (am 20. Juli 2004) abgelaufen gewesen seien. Das Parlament verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Zusammensetzung des Parlaments von einer Legislaturperiode zur anderen und selbst während einer solchen sich ändern könne. Was die Liste Emma Bonino betreffe, so könne sich die Parteienlandschaft im Parlament ebenfalls von einer Legislaturperiode zur nächsten ändern. Darüber hinaus könne die angefochtene Verordnung auch im Parlament nicht vertretene politische Parteien betreffen, doch sei diese Gruppe nicht bestimmbar.

24     Drittens trägt der Rat vor, dass die angefochtene Verordnung nicht die besonderen Rechte der Kläger im Sinne des Urteils des Gerichtshofes vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89 (Cordorníu/Rat, Slg. 1994, I‑1853) beeinträchtige.

25     Das Parlament weist viertens das Argument der Kläger zurück, dass sie deshalb individuell betroffen seien, weil sie am Gesetzgebungsverfahren beteiligt gewesen seien, das zum Erlass der angefochtenen Verordnung geführt habe, und sich stets gegen den Erlass der Regelung ausgesprochen hätten.

26     Schließlich macht das Parlament geltend, dass die klagenden Abgeordneten von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen seien, weil sie nicht unmittelbar betroffen seien.

–       Zum wirksamen Rechtsschutz

27     Das Parlament ist der Ansicht, dass die klagenden Abgeordneten über einen hinreichenden Rechtsschutz verfügten, da ihnen die gewöhnlichen Rechtsbehelfe gegen die vom Parlament in Durchführung der angefochtenen Verordnung erlassenen Rechtsakte jederzeit offen stünden. Im Übrigen unterscheide sich der vorliegende Rechtsstreit von dem, der zum Urteil des Gerichtshofes vom 23. April 1986 in der Rechtssache 294/83 (Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339) geführt habe, dadurch, dass die Bestimmungen der angefochtenen Verordnung über die Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene erst nach den europäischen Wahlen im Juni 2004 anwendbar gewesen seien. Daher könne von der Gefahr einer Diskriminierung, wie sie in der dem genannten Urteil zugrunde liegenden Rechtssache bestanden habe, nicht die Rede sein.

 Vorbringen der Kläger

28     Die Kläger sind der Ansicht, dass sie nach dem Urteil Les Verts/Parlament als von der angefochtenen Verordnung unmittelbar und individuell betroffen anzusehen seien. Ihre tatsächliche und rechtliche Lage entspreche im Wesentlichen der Lage, die zu diesem Urteil geführt habe.

–       Zur Natur des angefochtenen Rechtsakts

29     Die Kläger sind der Ansicht, dass die angefochtene Verordnung ein anfechtbarer Rechtsakt im Sinne von Artikel 230 EG sei. Aber selbst wenn die angefochtene Verordnung von allgemeiner Geltung sei, betreffe sie zugleich bestimmte Personen, darunter die Kläger, unmittelbar und individuell.

–       Unmittelbare Betroffenheit der Kläger

30     Die Kläger machen geltend, die angefochtene Verordnung sei „in sich vollständig“ und bedürfe für ihre Anwendung keiner Durchführungsmaßnahme seitens der Mitgliedstaaten. Auch lasse sie den für ihre Anwendung zuständigen Organen keinen Ermessensspielraum. Die angefochtene Verordnung führe aufgrund der restriktiven Kriterien ihres Artikels 3 dazu, dass der Liste Emma Bonino der Status einer politischen Partei auf europäischer Ebene versagt bleibe und sie damit von der Finanzierung durch die Gemeinschaft ausgeschlossen sei. Dieser Ausschluss ihrer Partei betreffe auch die klagenden Abgeordneten, die bei einer Schwächung der Liste Emma Bonino im Verhältnis zu den anderen politischen Gruppierungen, die von der Gemeinschaft finanziert würden, sich nicht in gleicher Weise und nicht mit den gleichen Mitteln gegenüber den Wählern präsentieren könnten.

31     Da die unmittelbare Betroffenheit der Kläger aus Artikel 3 der angefochtenen Verordnung herrühre, seien die von den Beklagten auf das spätere Inkrafttreten der Artikel 4 bis 10 dieser Verordnung gestützten Argumente zurückzuweisen. Außerdem lägen diese Argumente neben der Sache, da die finanziellen Folgen der angefochtenen Verordnung zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits sicher und vorhersehbar gewesen seien. Zudem hätten die Kläger nicht bis zum Inkrafttreten der Artikel 4 bis 10 der angefochtenen Verordnung warten können, ohne die Klagefrist des Artikels 230 Absatz 5 EG verstreichen zu lassen.

32     Schließlich widersprechen die Kläger der Auffassung, dass weder die Liste Emma Bonino noch sie selbst Normadressaten der angefochtenen Verordnung seien. Die Betroffenheit der Liste Emma Bonino ergebe sich wie in dem dem Urteil Codorníu/Rat zugrunde liegenden Fall daraus, dass sie vom Kreis der von der angefochtenen Verordnung Begünstigten ausgeschlossen sei und damit diskriminiert werde. Die unmittelbare Betroffenheit der klagenden Abgeordneten ergebe sich aus der unmittelbaren Betroffenheit der Liste Emma Bonino, in die sie sich eingeschrieben hätten.

–       Individuelle Betroffenheit der Kläger

33     Die Kläger machen geltend, dass sie aus drei Gründen von der angefochtenen Verordnung individuell betroffen seien. Erstens hätten die klagenden Abgeordneten sich in dem dem Erlass der angefochtenen Verordnung vorausgegangenen Gesetzgebungsverfahren gegen diese Verordnung ausgesprochen. Zweitens habe das Parlament die Liste Emma Bonino als eine nationale politische Partei, die von jeder Finanzierung durch die Gemeinschaft ausgeschlossen sei, wahrnehmen können und auch wahrgenommen. Drittens enthalte die angefochtene Verordnung keine objektiven Kriterien, da die in ihrem Artikel 3 angeführten Voraussetzungen die grundlegenden Prinzipien des Gemeinschaftsrechts wie das Verbot der Diskriminierung sowie die Grundsätze der Demokratie und der Verhältnismäßigkeit verletzten und gegen Artikel 191 EG sowie die Erklärung Nr. 11 im Anhang der Schlussakte des Vertrages von Nizza verstießen. Die Kläger würden durch die angefochtene Verordnung erheblich benachteiligt, da sie durch die Regelung schlechter gestellt seien als andere politische Parteien. Infolgedessen müsse ihnen ebenso, wie dies in dem dem Urteil Codorníu/Rat zugrunde liegenden Fall geschehen sei, ein individuelles Rechtsschutzinteresse zuerkannt werden.

–       Zum Fehlen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes

34     Die Kläger sind der Ansicht, dass die direkte Klage gegen die angefochtene Verordnung der einzige Rechtsbehelf sei, der ihnen im vorliegenden Fall offen stehe. Die Anwendung der angefochtenen Verordnung verlange keine nationale Durchführungsmaßnahme, so dass es keine Möglichkeit gebe, vor einem nationalen Gericht zu klagen und in diesem Rahmen eine Einrede der Rechtswidrigkeit zu erheben. Insoweit unterscheide sich der vorliegende Rechtsstreit von den Fällen, die zu den Urteilen des Gerichtshofes vom 1. April 2004 in der Rechtssache C-263/02 P (Kommission/Jégo‑Quéré, Slg. 2004, I‑3425) und vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C‑50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Slg. 2002, I‑6677) geführt hätten.

 Würdigung durch das Gericht

35     Gemäß Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht vorab über die Unzulässigkeit entscheiden, wenn eine Partei dies beantragt. Gemäß Artikel 114 § 3 wird darüber mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall ist das Gericht in der Lage, aufgrund des Akteninhalts ohne mündliche Verhandlung über den Antrag zu entscheiden.

36     Nach Artikel 230 Absatz 4 EG kann jede natürliche oder juristische Person u. a. gegen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.

37     Einleitend ist daran zu erinnern, dass ein allgemeiner Rechtsakt wie eine Verordnung unter bestimmten Umständen einige davon berührte Personen individuell betreffen kann (Urteile des Gerichtshofes vom 16. Mai 1991 in der Rechtssache C-358/89, Extramet Industrie/Rat, Slg. 1991, I‑2501, Randnr. 13, und Codorníu/Rat, Randnr. 19). In diesem Fall kann eine Verordnung einen anfechtbaren Rechtsakt im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG darstellen.

38     Daher ist zunächst zu prüfen, ob die Kläger von der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen sind.

 Zur unmittelbaren Betroffenheit der Kläger

39     Nach ständiger Rechtsprechung ist das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG nur dann erfüllt, wenn die beanstandete Gemeinschaftsmaßnahme sich auf die Rechtsstellung des Einzelnen unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die sie anwenden sollen, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Anwendung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C‑404/96 P, Glencore Grain/Kommission, Slg. 1998, I‑2435, Randnr. 41 und die dort zitierte Rechtsprechung.

40     Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, ist zwischen der Lage der Liste Emma Bonino und der der klagenden Abgeordneten zu unterscheiden.

–       Zur Lage der Liste Emma Bonino

41     Erstens ist zu bestimmen, wie sich die angefochtene Verordnung auf die Rechtslage der Liste Emma Bonino auswirkt.

42     Hierzu vertritt das Parlament im Wesentlichen die Ansicht, dass der Ausschluss dieser Klägerin von der Finanzierung durch die Gemeinschaft keine Folge der angefochtenen Verordnung sei. Da die Liste Emma Bonino weder vor noch nach Erlass der angefochtenen Verordnung den Status einer politischen Partei auf europäischer Ebene gehabt habe und daher für eine Finanzierung nicht in Betracht gekommen sei, sei ihre rechtliche Lage nicht beeinträchtigt worden.

43     Die Begründung einer rechtlichen Vorzugsstellung, die einem Teil der politischen Gruppierungen gewährt werden kann, während andere davon ausgeschlossen sind, kann jedoch die Chancengleichheit der politischen Parteien beeinträchtigen. Daher besteht die rechtliche Wirkung, die im vorliegenden Fall zu prüfen ist, darin, dass der Liste Emma Bonino der Status einer politischen Partei auf europäischer Ebene und damit eine Finanzierung aus Gemeinschaftsmitteln verweigert wird, während einige ihrer politischen Konkurrenten die Möglichkeit haben, diesen Status zu erhalten. Infolgedessen ist das Argument des Parlaments, dass die angefochtene Verordnung keine Auswirkungen auf die rechtliche Lage der Liste Emma Bonino habe, zurückzuweisen.

44     Zweitens ist zu prüfen, ob die Verschiebung des Zeitpunkts, ab dem die Artikel 4 bis 10 der angefochtenen Verordnung gelten, auf den 20. Juli 2004, dem Tag der ersten Sitzung des Parlaments nach den europäischen Wahlen im Juni 2004, eine unmittelbare Beeinträchtigung der Liste Emma Bonino, wie das Parlament und der Rat geltend machen, ausschließt.

45     Die Beklagten verweisen zu Recht darauf, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen ist (Urteil des Gerichtshofes vom 27. November 1984 in der Rechtssache 50/84, Bensider/Kommission, Slg. 1984, 3991, Randnr. 8, und Urteil des Gerichts vom 21. März 2002 in der Rechtssache T-131/99, Shaw und Falla/Kommission, Slg. 2002, II‑2023, Randnr. 29).

46     Die Tatsache, dass die Wirkungen eines Rechtsakts erst zu einem in diesem Rechtsakt festgelegten späteren Zeitpunkt eintreten, spricht jedoch nicht dagegen, dass ein Einzelner von ihm unmittelbar betroffen sein kann.

47     Da die Kläger die Klagefrist des Artikels 230 Absatz 5 EG einhalten müssen, würde jede andere Auslegung dazu führen, dass die den Rechtsakt erlassende Stelle die Erhebung einer unmittelbaren Klage durch einen Einzelnen gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG verhindern könnte, indem sie den Beginn der Geltung einer Vorschrift, die die Rechtslage des Betroffenen unmittelbar beeinträchtigen kann, hinausschiebt.

48     Nachdem der Gesetzgeber im vorliegenden Fall den Beginn der Geltung der Artikel 4 bis 10 der angefochtenen Verordnung auf einen bestimmten Tag festgelegt hat und die Anwendung dieser Bestimmungen daher nicht von dem Eintritt ungewisser Ereignisse abhängt, hat die Verschiebung der Geltung dieser Bestimmungen keinen Einfluss auf die unmittelbare Betroffenheit der Liste Emma Bonino. Außerdem steht der Umstand, dass die Mandate, die die klagenden Abgeordneten zum Zeitpunkt der Klageerhebung innehatten, zum Zeitpunkt des Beginns der Geltung der Artikel 4 bis 10 der angefochtenen Verordnung abgelaufen waren, nicht der unmittelbaren Betroffenheit der Liste Emma Bonino entgegen, die nicht von der Person oder einem Parlamentssitz der Abgeordneten, die die Partei vertreten, abhängt, da die Vertretung einer politischen Partei im Parlament nicht zu den Voraussetzungen des Artikels 3 der angefochtenen Verordnung gehört.

49     Drittens schließt die Einreichung eines entsprechenden Antrags als Voraussetzung für die Gewährung einer Finanzierung die unmittelbare Betroffenheit der Liste Emma Bonino nicht aus, da ein solcher Antrag allein von der Entscheidung dieser Partei abhängt (vgl. in diesem Sinne Urteile Les Verts/Parlament, Randnrn. 11 und 31).

50     Viertens ist zu prüfen, ob die angefochtene Verordnung dem für ihre Durchführung zuständigen Parlament ein Ermessen belässt.

51     Aus Artikel 2 bis Artikel 4 der angefochtenen Verordnung zusammen ergibt sich, dass jede politische Partei oder jedes Bündnis politischer Parteien im Sinne von Artikel 2 Nummern 1 und 2 der Verordnung, die die Voraussetzungen des Artikels 3 der Verordnung erfüllen, Mittel aus dem Gemeinschaftshaushalt erhalten kann. Im Umkehrschluss ist festzustellen, dass die politischen Gruppierungen, die die Voraussetzungen der Artikel 2 und 3 der angefochtenen Verordnung nicht erfüllen, hiervon ausgeschlossen sind. Diese Auslegung wird durch Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung untermauert. Nach dieser Bestimmung wird, wenn das Europäische Parlament feststellt, dass eine der in Artikel 3 Buchstaben a, b und c genannten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt ist, die „politische Partei auf europäischer Ebene, die aus diesem Grund diese Eigenschaft verloren hat“, von der Finanzierung nach dieser Verordnung ausgeschlossen. Die Finanzierung der politischen Parteien aus dem Gemeinschaftshaushalt ist nämlich ohne eine rechtliche Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Zudem sind die Kriterien in Artikel 3 Buchstaben a, b und d der angefochtenen Verordnung so formuliert, dass sie für ein Ermessen des Parlaments keinen Raum lassen.

52     Eine Entscheidung über die Gewährung oder Versagung einer Finanzierung aufgrund dieser Kriterien fällt somit in den Bereich der gebundenen Verwaltung, da sie rein automatisch allein aufgrund der angefochtenen Verordnung ohne Anwendung von Durchführungsbestimmungen erfolgt.

53     Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der kurzen Zusammenfassung in der Klageschrift, dass die Liste Emma Bonino nach italienischem Recht keine Rechtspersönlichkeit hat und nicht den Bedingungen der Repräsentativität gemäß Artikel 3 Buchstabe b der angefochtenen Verordnung genügt. Die Kläger machen somit im Wesentlichen geltend, dass diese Partei aufgrund der Kriterien des Artikels 3 Buchstaben a und b der angefochtenen Verordnung von der Finanzierung ausgeschlossen sei.

54     Daraus folgt, dass die Liste Emma Bonino von der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen ist.

–       Zur Lage der klagenden Abgeordneten

55     Die klagenden Abgeordneten machen geltend, dass die Gewährung oder Versagung einer Finanzierung der politischen Partei, zu der sie gehörten, sich unmittelbar auf die Bedingungen auswirke, unter denen sie ihr Mandat ausübten.

56     Dazu ist erstens festzustellen, dass zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Voraussetzungen für die Finanzierung einer politischen Partei Auswirkungen auf die Ausübung des Mandats der ihr angehörenden Abgeordneten haben kann, trotzdem aber außer Frage steht, dass die wirtschaftlichen Folgen einer eventuellen Finanzierung einer konkurrierenden politischen Gruppierung und der Ablehnung einer Finanzierung der Gruppierung, der die klagenden Abgeordneten angehören, als mittelbar zu qualifizieren sind. Unmittelbare wirtschaftliche Auswirkungen ergeben sich in Wirklichkeit für die Lage der politischen Gruppierung und nicht für die der Abgeordneten, die über deren Liste gewählt worden sind. Außerdem betreffen die wirtschaftlichen Folgen hiervon nicht die rechtliche, sondern nur die tatsächliche Lage der klagenden Abgeordneten (vgl. Urteil des Gerichts vom 27. Juni 2000 in den Rechtssachen T-172/98, T-175/98 bis T‑177/98, Salamander u. a./Parlament und Rat, Slg. 2000, II‑2487, Randnr. 62).

57     Zweitens ist festzustellen, dass keine Bestimmung der angefochtenen Verordnung unmittelbar auf die Abgeordneten anwendbar ist. Sämtliche in dieser Verordnung festgelegten Rechte und Pflichten betreffen nur die politischen Parteien, die Bündnisse politischer Parteien und die politischen Parteien auf europäischer Ebene sowie das Parlament, den Rat, die Kommission und den Rechnungshof. Die Bestimmungen der angefochtenen Verordnung betreffen unmittelbar weder die Rechte der Abgeordneten aus ihrem Mandat noch deren Vergütung noch das Verhältnis zwischen dem Abgeordneten und der nationalen politischen Partei, deren Mitglied er ist, unabhängig von der Frage, ob diese nationale Partei zu einem Bündnis politischer Parteien gehört oder ob sie als politische Partei auf europäischer Ebene im Sinne der angefochtenen Verordnung anerkannt worden ist.

58     Somit sind die klagenden Abgeordneten von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen.

59     Folglich bleibt nur die Prüfung, ob die Liste Emma Bonino von der Verordnung auch individuell betroffen ist.

 Zur individuellen Betroffenheit der Liste Emma Bonino

60     Nach ständiger Rechtsprechung ist eine natürliche oder juristische Person, die nicht Adressat einer Entscheidung ist, nur dann von einem angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen, wenn dieser Rechtsakt sie aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert, wie es bei dem Adressaten einer Entscheidung der Fall ist (vgl. Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 36 und die dort zitierte Rechtsprechung).

61     Wie das Parlament und der Rat zu Recht festgestellt haben, gilt die angefochtene Verordnung für objektiv festgelegte Situationen und entfaltet Rechtswirkungen gegenüber Personengruppen, die allgemein und abstrakt bestimmt sind. Insbesondere sind die Bedingungen, die eine politische Partei, die in den Genuss einer Finanzierung durch die Gemeinschaft kommen möchte, erfüllen muss, allgemein und in der Art formuliert, dass sie unterschiedslos für jede politische Gruppierung gelten, die in den Anwendungsbereich der angefochtenen Verordnung fällt.

62     In diesem Zusammenhang ist erstens festzustellen, dass die Liste Emma Bonino nicht zu einem geschlossenen Kreis von Personen gehört, die von der angefochtenen Verordnung betroffen sind. Zwar war die Zahl der im Parlament (fünfte Legislaturperiode) vertretenen Parteien zum Zeitpunkt der Klageerhebung begrenzt, doch waren die einschlägigen Bestimmungen, d. h. diejenigen, die sich auf die rechtliche Lage der Liste Emma Bonino auswirkten, vor dem 20. Juli 2004 nicht anwendbar. Daher stellten die im Parlament (fünfte Legislaturperiode) vertretenen politischen Parteien nicht die für die Prüfung der Zulässigkeit relevante Referenzgruppe dar.

63     Die Referenzgruppe bilden sämtliche politischen Gruppierungen, die von der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen sein können, d. h. insbesondere alle politischen Parteien, die an den europäischen Wahlen teilgenommen haben oder die Absicht bekundet haben, dies zu tun. Diese Gruppe stellt jedoch keinen geschlossenen Kreis im Sinne der Rechtsprechung dar. Auch wenn die Zahl oder Identität der politischen Parteien, die an den europäischen Wahlen im Juni 2004 teilgenommen haben, bestimmbar sind, ist diese Tatsache nicht geeignet, die Liste Emma Bonino zu individualisieren. Aber auch wenn eine solche Bestimmung für die Wahlen von 2004 noch möglich ist, ist sie es ganz offenkundig nicht für die künftigen Wahlen. Zudem kann der bloße Umstand, dass einige betroffene Personen der Zahl nach oder sogar namentlich bestimmt werden können, während dieses bei anderen nicht möglich ist, einen Kläger nicht hinreichend individualisieren (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 16. März 1978 in der Rechtssache 123/77, UNICME/Rat, Slg. 1978, 845, Randnr. 16, vom 25. März 1982 in der Rechtssache 45/81, Moksel/Kommission, Slg. 1982, 1129, Randnr. 17, und vom 22. November 2001 in der Rechtssache C-451/98, Antillean Rice Mills/Rat, Slg. 2001, I‑8949, Randnr. 52).

64     Zweitens ist festzustellen, dass die Liste Emma Bonino keine ihr eigenen Merkmale oder besonderen Umstände, die sie aus dem Kreis anderer von der angefochtenen Verordnung betroffener politischer Gruppierungen herausheben, dargetan hat, die denen in der dem Urteil Codorníu/Rat zugrunde liegenden Rechtssache vergleichbar wären.

65     Selbst wenn die angefochtene Verordnung die Rechte der Klägerin beeinträchtigen könnte, berührt sie andere politische Gruppierungen doch genau in der gleichen Weise. In dem dem Urteil Codorníu/Rat zugrunde liegenden Fall hinderte die angefochtene Regelung die Klägerin dagegen an der Nutzung einer eingetragenen Marke, die sie in Spanien seit 1924 verwendet hatte. In der vorliegenden Rechtssache lassen sich keine vergleichbaren Umstände erkennen.

66     Was die möglichen Auswirkungen der angefochtenen Verordnung auf die tatsächliche Lage der Liste Emma Bonino angeht, so kann die Finanzierung, die politischen Parteien auf europäischer Ebene gewährt wird, sich zwar negativ auf die Klägerin auswirken, indem sie ihren Konkurrenten, insbesondere bei Wahlkämpfen, finanzielle Vorteile verschafft. Diese Begünstigung der politischen Gruppierungen, die die Kriterien einer politischen Partei auf europäischer Ebene erfüllen, wirkt sich aber gegenüber allen konkurrierenden politischen Gruppierungen aus, die aufgrund objektiv bestimmter Kriterien davon ausgeschlossen sind. Die Klägerin hat nichts vorgetragen, was sie von anderen betroffenen politischen Parteien unterschiede.

67     Drittens ist das Argument der Liste Emma Bonino zurückzuweisen, wonach die angefochtene Verordnung keine objektiven Kriterien für die Ablehnung einer Finanzierung enthalte, sondern diskriminierende Kriterien, die ihre demokratischen Rechte verletzten.

68     Selbst wenn der Gesetzgeber wusste, dass diese Kriterien zum Ausschluss bestimmter politischer Gruppierungen, darunter der Liste Emma Bonino, führen würden, sind sie jedenfalls abstrakt und allgemein formuliert, so dass sie jetzt und in Zukunft auf eine unbestimmte Zahl politischer Gruppierungen Anwendung finden können. Jedenfalls sind keine Umstände dargetan worden, die zeigten, dass der Gesetzgeber ausdrücklich die Liste Emma Bonino im Auge hatte und er sich bei der Festlegung der Kriterien des Begriffes der „politischen Partei auf europäischer Ebene“ weitgehend von dem Wunsch leiten ließ, diese Partei von einer Finanzierung auszuschließen.

69     Viertens verweist die Klägerin darauf, dass nach der Rechtsprechung die sichtbare Teilnahme einer natürlichen oder juristischen Person an dem Verfahren, das dem Erlass des angefochtenen Rechtsakts vorangegangen sei, dieser Person unter bestimmten Voraussetzungen die Klagebefugnis verleihen könne (Urteile des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76, Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875, Randnr. 13, vom 17. Januar 1985 in der Rechtssache 11/82, Piraiki‑Patraiki u. a./Kommission, Slg. 1985, 207, Randnr. 28, vom 20. März 1985 in der Rechtssache 264/82, Timex/Rat und Kommission, Slg. 1985, 849, Randnrn. 14 bis 16, vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84, COFAZ u. a./Kommission, Slg. 1986, 391, Randnrn. 23 und 25 bis 28, und vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-152/88, Sofrimport/Kommission, Slg. 1990, I-2477, Randnrn. 11 f.).

70     Demgegenüber ist festzustellen, dass die bloße Teilnahme an den Gesprächen, die dem Erlass eines Rechtsakts vorangehen, dem Einzelnen keine Klagebefugnis verleihen können (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 18. März 1975 in der Rechtssache 72/74, Union syndicale u. a./Rat, Slg. 1975, 401, Randnr. 19). Wenn die „Verhandlungsführerschaft“ einer Vereinigung, deren Ziel die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder ist, eventuell auch ausreichend sein mag, um eine solche Klägerin zu individualisieren (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85, Van der Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219, Randnr. 21, und vom 24. März 1993 in der Rechtssache C-313/90, CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I‑1125, Randnrn. 29 f.), so ist diese Rechtsprechung doch nicht auf einen Rechtsakt von allgemeiner Geltung anwendbar, wenn die Rechtsgrundlage, auf der sein Erlass beruht, eine Beteiligung Einzelner nicht vorsieht (Beschluss des Gerichtshofes vom 23. November 1995 in der Rechtssache C‑10/95 P, Asocarne/Rat, Slg. 1995, I‑4149, Randnrn. 39 f.). Ebenso können, wenn keine besonderen Verfahren vorgesehen sind, durch die Einzelne am Erlass, an der Durchführung und an der Weiterbehandlung der fraglichen Entscheidungen beteiligt sind, die bloße Einreichung einer Beschwerde und der sich gegebenenfalls anschließende Schriftwechsel mit der Kommission einem Beschwerdeführer keine Klagebefugnis nach Artikel 230 EG verleihen (Beschluss des Gerichts vom 9. August 1995 in der Rechtssache T‑585/93, Greenpeace u. a./Kommission, Slg. 1995, II‑2205, Randnrn. 56, 62 und 63, der durch das Urteil des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtsasche C-321/95 P, Greenpeace u. a./Kommission, Slg. 1998, I‑1651, nicht in Frage gestellt worden ist).

71     Zunächst ist daran zu erinnern, dass zwischen der Lage der Abgeordneten, die Mitglieder einer politischen Partei sind, und der Lage dieser Partei selbst zu unterscheiden ist. Die Beteiligung der Abgeordneten am Gesetzgebungsverfahren kann der Liste Emma Bonino insbesondere deshalb keine Klagebefugnis verleihen, da die klagenden Abgeordneten, wie sich vorstehend aus Randnummer 58 ergibt, von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen sind.

72     Sodann ist festzustellen, dass die Klägerin keine Verfahrensvorschrift genannt hat, die die förmliche Beteiligung der politischen Parteien an dem dem Erlass der angefochtenen Verordnung vorausgegangenen Verfahren verlangt und dadurch die Klagebefugnis der Liste Emma Bonino begründen könnte. Die Klägerin hat auch keine Tatsachen vorgetragen, die zeigen, dass sie als Verhandlungspartner des Gesetzgebers aufgetreten wäre. Ihr bloßer Widerstand innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens gegen den beabsichtigten Gesetzgebungsakt oder die Übersendung eines Schreibens an den Präsidenten der Kommission, in dem die sieben Abgeordneten der Liste Emma Bonino ihre Ablehnung des Entwurfs der angefochtenen Verordnung zum Ausdruck gebracht hatten, kann der Klägerin keine Klagebefugnis im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG verleihen.

73     Fünftens unterscheiden sich, wie das Parlament zu Recht ausgeführt hat, die Umstände des vorliegenden Falles von denen, die dem Urteil Les Verts/Parlament zugrunde lagen. Jene Rechtssache betraf nämlich die ungleiche Verteilung öffentlicher Gelder, die für die Informationskampagne der an den Parlamentswahlen von 1984 teilnehmenden politischen Gruppierungen bestimmt waren. Die angefochtenen Haushaltsbeschlüsse betrafen alle politischen Gruppierungen, auch wenn diese unterschiedlich behandelt wurden, je nachdem, ob sie in der 1979 gewählten Versammlung vertreten gewesen waren oder nicht. Die vertretenen Gruppierungen hatten beim Zustandekommen von Beschlüssen mitgewirkt, die sowohl ihre eigene Behandlung als auch diejenige konkurrierender, nicht vertretener Gruppierungen betrafen. Die Frage, ob die angefochtenen Beschlüsse eine politische Gruppierung, die zwar nicht vertreten war, aber für die Wahl von 1984 Kandidaten aufstellen konnte, individuell betrafen, wurde vom Gerichtshof bejaht. Nach seiner Meinung liefe die Ansicht, dass nur die vertretenen Gruppierungen von der angefochtenen Handlung individuell betroffen seien, auf eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Rechtsschutzes hinaus, da die nicht vertretenen Gruppierungen vor der Wahl nicht in der Lage seien, der Verteilung der für den Wahlkampf bestimmten Haushaltsmittel entgegenzutreten.

74     Im vorliegenden Fall besteht eine solche Ungleichheit nicht, da die angefochtene Verordnung allgemein und zeitlich unbegrenzt die Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene regeln soll und daher auf alle politischen Gruppierungen in gleicher Weise Anwendung finden kann.

75     Daraus folgt, dass die Liste Emma Bonino von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen ist.

76     Infolgedessen besitzt keiner der Kläger die nach Artikel 230 Absatz 4 EG erforderliche Klagebefugnis.

77     Diese Beurteilung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass eventuell kein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung steht. Wie der Gerichtshof entschieden hat, kann einer Auslegung des Rechtsschutzes nicht gefolgt werden, nach der eine Direktklage mit dem Ziel der Nichtigerklärung beim Gemeinschaftsrichter möglich sein soll, wenn nach einer konkreten Prüfung der nationalen Verfahrensvorschriften durch diesen Richter dargetan werden kann, dass diese Vorschriften es dem Einzelnen nicht gestatten, eine Klage zu erheben, mit der er die Gültigkeit der streitigen Gemeinschaftshandlung in Frage stellen kann (Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 43). Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass nach dem durch den EG-Vertrag geschaffenen System der Rechtmäßigkeitskontrolle eine natürliche oder juristische Person nur dann Klage gegen eine Verordnung erheben kann, wenn sie nicht nur unmittelbar, sondern auch individuell betroffen ist. Diese Voraussetzung ist zwar im Licht des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der verschiedenen Umstände, die einen Kläger individualisieren können, auszulegen, doch kann eine solche Auslegung nicht, ohne dass die den Gemeinschaftsgerichten durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten würden, zum Wegfall der fraglichen Voraussetzung führen, die ausdrücklich im Vertrag vorgesehen ist (Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 44).

78     Im vorliegenden Fall ist zwar eine Anrufung des nationalen Gerichts ausgeschlossen, da die angefochtene Verordnung nur von Gemeinschaftsorganen durchgeführt worden ist. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Gemeinschaftsrichter die Rechtmäßigkeit der Verordnung im Zusammenhang mit der einen oder anderen Maßnahme, die im Rahmen ihrer Durchführung getroffen wurde, d. h. der Gewährung oder der Ablehnung einer von einer politischen Gruppierung beantragten Finanzierung durch das Parlament, überprüfen könnte. Jedenfalls kann der Gemeinschaftsrichter, wie sich aus der Randnummer 43 in Verbindung mit der Randnummer 44 des Urteils Unión de Pequeños Agricultores/Rat ergibt, die in den Verträgen vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht unbeachtet lassen, ohne die ihm durch die Verträge verliehenen Befugnisse zu überschreiten.

79     Unter diesen Umständen ist die Klage als unzulässig abzuweisen, ohne dass das Gericht über die zweite Einrede der Unzulässigkeit wegen eines Verstoßes gegen Artikel 44 § 5 der Verfahrensordnung zu entscheiden braucht.

 Kosten

80     Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Luxemburg, den 11. Juli 2005

Der Kanzler

 

      Der Präsident

H. Jung

 

      J. Pirrung


* Verfahrenssprache: Französisch.

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