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Dokument 62002TJ0010

Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 31. März 2004.
Marie-Claude Girardot gegen Europäische Kommission.
Rechtssache T-10/02.

Sammlung der Rechtsprechung – Öffentlicher Dienst 2004 I-A-00109; II-00483

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:T:2004:94

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

31. März 2004

Rechtssache T‑10/02

Marie-Claude Girardot

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Öffentlicher Dienst – Artikel 29 Absatz 1 des Statuts – Aus Forschungs- und Investitionsmitteln finanzierte Dauerplanstelle – Bediensteter auf Zeit im Sinne von Artikel 2 Buchstabe d der Beschäftigungsbedingungen – Ablehnung einer Bewerbung – Fehlende Abwägung der Verdienste – Zwischenurteil“

Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache II - 0000

Gegenstand: Klage erstens auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 13. März 2001, mit der die Bewerbung auf sieben aus Forschungsmitteln finanzierte Dauerplanstellen abgelehnt wurde, zweitens auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 15. März 2001, mit der die Bewerbung auf eine aus Forschungsmitteln finanzierte Dauerplanstelle abgelehnt wurde, und drittens auf Aufhebung der Entscheidungen der Kommission über die Ernennungen auf diese Planstellen.

Entscheidung: Die Entscheidung der Kommission vom 13. März 2001, mit der die Bewerbung von Frau Girardot auf sieben aus Forschungsmitteln finanzierte Dauerplanstellen abgelehnt wurde, wird aufgehoben. Die Entscheidung der Kommission vom 15. März 2001, mit der die Bewerbung von Frau Girardot auf eine aus Forschungsmitteln finanzierte Dauerplanstelle abgelehnt wurde, wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Parteien teilen dem Gericht binnen drei Monaten nach Verkündung dieses Urteils entweder den einvernehmlich festgesetzten Betrag der finanziellen Entschädigung im Zusammenhang mit den rechtswidrigen Entscheidungen vom 13. und 15. März 2001 oder in Ermangelung einer Einigung ihre bezifferten Anträge bezüglich dieses Betrages mit. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Leitsätze

1.     Beamte – Einstellung – Freie Planstelle – Stelle, die mit einem Beamten oder einem Bediensteten auf Zeit besetzt werden kann – Eingegangene Bewerbungen, die alle von Bediensteten auf Zeit stammen – Ablehnung ohne Prüfung – Rechtswidrigkeit

(Beamtenstatut, Artikel 4 und 29 Absatz 1)

2.     Beamte – Einstellung – Freie Planstelle – Abwägung der Verdienste – Beweislast der Verwaltung für die Vornahme dieser Abwägung bei Vorliegen eines Bündels übereinstimmender Hinweise im gegenteiligen Sinne

3.     Beamte – Klage – Aufhebungsurteil – Wirkungen – Aufhebung der Ablehnung einer Bewerbung − Wiederherstellung der früheren Rechtsposition des Betroffenen − Dementsprechend Aufhebung späterer, Dritte betreffender Rechtsakte − Voraussetzungen − Dementsprechend Aufhebung, die keine übertriebene Maßnahme darstellt − Wahrung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes − Dienstliches Interesse

(Beamtenstatut, Artikel 91 Absatz 1)

4.     Beamte – Klage – Befugnis des Gerichts zu unbeschränkter Nachprüfung − Möglichkeit, das beklagte Organ von Amts wegen zur Zahlung einer Entschädigung zu verurteilen − Möglichkeit, das beklagte Organ aufzufordern, die Rechte des Klägers durch die Suche nach einer für seinen Fall billigen Lösung angemessen zu schützen

(Beamtenstatut, Artikel 91 Absatz 1)

1.     Zwar impliziert die Struktur des Artikels 29 Absatz 1 des Statuts eine besonders sorgfältige Prüfung der Möglichkeiten, die in der ersten Phase eines Verfahrens für die Besetzung freier Planstellen bestehen; sie schließt es aber nicht aus, bei dieser Prüfung auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, durch die späteren Phasen dieses Verfahrens bessere Bewerbungen zu erhalten. Die Kommission kann es daher vorziehen, zu einer dieser späteren Phasen überzugehen, auch wenn Bewerbungen vorliegen, die alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen.

Sind jedoch aus Forschungs- und Investitionsmitteln finanzierte Dauerplanstellen innerhalb der Kommission zu besetzen, werden diese durch eine Stellenausschreibung „Spécial Recherche“ nach den Artikeln 4 und 29 Absatz 1 Buchstabe a des Statuts ausgeschrieben, liegen ausschließlich von Bediensteten auf Zeit im Sinne von Artikel 2 Buchstabe d der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften eingereichte Bewerbungen vor und erfüllen diese Bewerbungen die erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen, so ist die Kommission nicht berechtigt, die Bewerbung eines Bediensteten auf Zeit abzulehnen, ohne sie auch nur zu prüfen.

(Randnrn. 58 und 59)

Vgl. Gerichtshof, 14. Juli 1983, Mogensen u. a./Kommission, 10/82, Slg. 1983, 2397, Randnr. 10; Gerichtshof, 13. Juli 2000, Parlament/Richard, C‑174/99 P, Slg. 2000, I‑6189, Randnrn. 39 und 40; Gericht, 17. Oktober 2002, Cocchi und Hainz/Kommission, T‑330/00 und T‑114/01, Slg. ÖD, I‑A‑193 und II‑987, Randnrn. 38 und 39

2.     Wird das Vorbringen eines Klägers, eine wirkliche Abwägung der Verdienste der Bewerber um eine freie Planstelle habe nicht stattgefunden, durch ein Bündel hinreichend übereinstimmender Indizien gestützt, so hat die Kommission durch objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände den Beweis zu erbringen, dass sie eine derartige Abwägung vorgenommen hat.

(Randnr. 62)

Vgl. Gericht, 30. Januar 1992, Schönherr/WSA, T‑25/90, Slg. 1992, II‑63, Randnr. 25; Gericht, 16. Dezember 1999, Cendrowicz/Kommission, T‑143/98, Slg. ÖD, I‑A‑273 und II‑1341, Randnr. 59

3.     Die Aufhebung eines Rechtsakts durch den Richter hat zur Folge, dass dieser Akt rückwirkend aus der Rechtsordnung entfernt wird. Ist der aufgehobene Rechtsakt bereits vollzogen worden, so verlangt die Beseitigung seiner Wirkungen es grundsätzlich, dass die Rechtsposition des Klägers, in der er sich vor dem Erlass dieses Aktes befand, wiederhergestellt wird.

Impliziert die Wiederherstellung der Position, die vor dem aufgehobenen Akt bestand, jedoch die Aufhebung späterer, Dritte betreffender Rechtsakte, so wird eine solche Aufhebung danach nur dann erfolgen, wenn sie insbesondere unter Berücksichtigung der Art der begangenen Rechtswidrigkeit und des dienstlichen Interesses nicht übertrieben erscheint.

Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes gebieten es nämlich, das Interesse des Klägers, der Opfer der Rechtswidrigkeit ist, an der Wiederherstellung seines Rechts und die Interessen Dritter, deren Rechtsposition bei ihnen ein berechtigtes Vertrauen entstehen lassen konnte, miteinander in Einklang zu bringen. Verschiedene Handlungen, die am Ende der in Artikel 29 Absatz 1 vorgesehenen Verfahren erfolgen, wie die Aufnahme eines erfolgreichen Bewerbers eines Auswahlverfahrens in eine Reserveliste, die Beförderung eines Beamten oder auch die Ernennung eines Beamten auf eine freie Stelle, können als Handlungen angesehen werden, die eine Rechtsposition schaffen, auf deren Rechtmäßigkeit der Betroffene vertrauen darf.

(Randnrn. 84 bis 86)

Vgl. Gerichtshof, 31. März 1971, Kommission/Rat, 22/70, Slg. 1971, 263, Randnr. 60; Gerichtshof, 5. Juni 1980, Oberthür/Kommission, 24/79, Slg. 1980, 1743, Randnrn. 11 und 13; Gerichtshof, 26. April 1988, Asteris u. a./Kommission, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, Slg. 1988, 2181, Randnr. 30; Gerichtshof, 6. Juli 1993, Kommission/Albani u. a., C‑242/90 P, Slg. 1993, I‑3839, Randnrn. 13 und 14; Gerichtshof, 1. Juni 1995, Coussios/Kommission, C‑119/94 P, Slg. 1995, I‑1439, Randnr. 24; Gericht, 23. Februar 1994, Coussios/Kommission, T‑18/92 und T‑68/92, Slg. ÖD, I‑A‑47 und II‑171, Randnr. 105; Gericht, 12. Mai 1998, Wenk/Kommission, T‑159/96, Slg. ÖD, I‑A‑193 und II‑593, Randnr. 121; Gericht, 13. März 2002, Martínez Alarcón/Kommission, T‑357/00, T‑361/00, T‑363/00 und T‑364/00, Slg. ÖD, I‑A‑37 und II‑161, Randnr. 97; Gericht, 23. April 2002, Campolargo/Kommission, T‑372/00, Slg. ÖD, I‑A‑49 und II‑223, Randnr. 109

4.     Lässt der Vergleich der widerstreitenden Interessen erkennen, dass das dienstliche Interesse und das Interesse Dritter es ausschließen, dass Entscheidungen, die auf eine aufgehobene Entscheidung folgen und ein berechtigtes Vertrauen bei diesen Dritten begründet haben, danach aufgehoben werden, so kann der Gemeinschaftsrichter, um im Interesse des Klägers die praktische Wirksamkeit des Aufhebungsurteils zu gewährleisten, von der ihm in vermögensrechtlichen Rechtsstreitigkeiten zustehenden Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung Gebrauch machen und das beklagte Organ, auch von Amts wegen, zur Zahlung einer Entschädigung verurteilen. Er kann dieses Organ auch auffordern, die Rechte des Klägers angemessen zu schützen, indem es nach einer billigen Lösung für seinen Fall sucht.

(Randnr. 89)

Vgl. Oberthür/Kommission, Randnr. 14; Kommission/Albani u. a., Randnr. 13; Coussios/Kommission, Randnr. 107; Wenk/Kommission, Randnr. 122

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