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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62002TO0155(01)

Beschluss des Gerichts Erster Instanz (Erste Kammer) vom 30. April 2003.
VVG International Handelsgesellschaft mbH, VVG (International) Ltd und Metalsivas Metallwarenhandelsgesellschaft mbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Verordnung (EG) Nr. 3285/94 - Verordnung (EG) Nr. 560/2002 - Vorläufige Schutzmaßnahmen - Nichtigkeitsklage - Unzulässigkeit.
Rechtssache T-155/02.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 II-01949

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:T:2003:125

Parteien
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Parteien

In der Rechtssache T-155/02

VVG International Handelsgesellschaft mbH mit Sitz in Salzburg (Österreich),

VVG (International) Ltd mit Sitz in Gibraltar (Vereinigtes Königreich),

Metalsivas Metallwarenhandelsgesellschaft mbH mit Sitz in Wien (Österreich),

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt W. Schuler, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerinnen,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. zur Hausen und B. Eggers als Bevollmächtigte, Zustellunganschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 560/2002 der Kommission vom 27. März 2002 über die Einführung vorläufiger Schutzmaßnahmen gegen Einfuhren bestimmter Stahlwaren (ABl. L 85, S. 1)

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)

unter Mitwirkung

des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter R. M. Moura Ramos und H. Legal,

Kanzler: H. Jung,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe

Rechtlicher Rahmen

1. Am 27. März 2002 erließ die Kommission die Verordnung (EG) Nr. 560/2002 der Kommission vom 27. März 2002 über die Einführung vorläufiger Schutzmaßnahmen gegen Einfuhren bestimmter Stahlwaren (ABl. L 85, S. 1, im Folgenden: streitige Verordnung oder angefochtene Verordnung). Mit der streitigen Verordnung wurden für die Dauer von sechs Monaten Zollkontingente für fünfzehn Kategorien von Stahlerzeugnissen eingeführt, die auf der Grundlage des durchschnittlichen jährlichen Niveaus von Einfuhren in den Jahren 1999, 2000 und 2001 zuzüglich 10 % berechnet wurden. Da die Zollkontingente für sechs Monate gültig waren, wurden sie auf die Hälfte dieses erhöhten Durchschnitts festgesetzt. Nach Erschöpfung dieser Kontingente unterliegen die eingeführten Mengen zusätzlichen Zöllen, die jeweils für eine Erzeugniskategorie festgesetzt werden. Die streitige Verordnung trat am 29. März 2002 in Kraft.

2. Die streitige Verordnung beruht auf der Verordnung (EG) Nr. 3285/94 über die gemeinsame Einfuhrregelung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 518/94 (ABl. L 349, S. 53, im Folgenden: Grundverordnung) und auf der Verordnung (EG) Nr. 519/94 des Rates vom 7. März 1994 über die gemeinsame Regelung der Einfuhren aus bestimmten Drittländern und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nrn. 1765/82, 1766/82 und 3420/83 (ABl. L 67, S. 89), geändert insbesondere durch die Verordnung (EG) Nr. 1138/98 des Rates vom 28. Mai 1998 (ABl. L 159, S. 1).

3. Artikel 8 der Grundverordnung lautet wie folgt:

(1) Dieser Titel [Gemeinschaftliches Untersuchungsverfahren] steht Überwachungsmaßnahmen nach den Artikeln 11 bis 15 oder vorläufigen Schutzmaßnahmen nach den Artikeln 16, 17 und 18 nicht entgegen.

Vorläufige Schutzmaßnahmen werden getroffen,

─ wenn eine kritische Lage, in der jede Verzögerung zu einer schwer wieder gutzumachenden Schädigung führen würde, eine umgehende Maßnahme erfordert

und

─ wenn vorläufig festgestellt worden ist, dass ausreichende Nachweise dafür vorliegen, dass durch den Anstieg der Einfuhren eine bedeutende Schädigung entstanden ist oder zu entstehen droht.

(2) Die Geltungsdauer solcher Maßnahmen darf 200 Tage nicht überschreiten.

...

(4) Die Kommission nimmt umgehend die noch erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen vor.

(5) Werden die vorläufigen Schutzmaßnahmen aufgehoben, da keine bedeutende Schädigung oder Gefahr einer bedeutenden Schädigung vorliegt, so werden die aufgrund dieser Maßnahmen erhobenen Zölle von Amts wegen unverzüglich zurückerstattet. Das Verfahren der Artikel 235 ff. der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (ABl. L 302, S. 1) findet Anwendung.

4. Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe a der Grundverordnung bestimmt:

Bei der Festsetzung eines Kontingents werden insbesondere berücksichtigt:

─ die Zweckmäßigkeit einer möglichst weitgehenden Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme;

─ der Umfang der zu normalen Bedingungen vor Inkrafttreten einer Schutzmaßnahme im Sinne dieses Titels geschlossenen Verträge, wenn sie der Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat notifiziert worden sind.

─ der Umstand, dass der Verwirklichung des mit der Einführung des Kontingents angestrebten Zieles nicht in Frage gestellt werden darf.

5. In Artikel 1 der streitigen Verordnung ist bestimmt:

(1) Ein Zollkontingent wird hierdurch ab dem Datum, an dem diese Verordnung in Kraft tritt bis zu einen Tag vor dem entsprechenden Datum des sechsten darauf folgenden Monats eröffnet in Bezug auf Einfuhren in die Gemeinschaft von jeder der 15 betroffenen Waren, die in Anhang 3 (mit Bezug auf die KN-Codes, die im Zusammenhang mit diesem spezifiziert werden) spezifiziert werden.

(2) Der vertragsmäßige Zollsatz, der für diese Waren in der Verordnung (EG) Nr. 2658/97 des Rates vorgesehen wird, oder jeder präferentielle Zollsatz, soll weiterhin zur Anwendung kommen.

(3) Einfuhren jener Waren, die das Volumen des relevanten Zollkontingents übersteigen, das in Anhang 3 spezifiziert wird, oder jene ohne ein Ersuchen der Anwendung des Kontingents sollen einem zusätzlichen Zoll in der Höhe unterliegen, die in Anhang 3 für diese Ware spezifiziert wird. Dieser zusätzliche Zoll soll für den Zollwert der Ware gelten, die eingeführt wird.

...

6. Die Tabelle in Anhang 2 der streitigen Verordnung gibt u. a. unter der Warennummer 4 das Wachstum der Einfuhrmengen für legierte, warmgewalzte, flachgewalzte Erzeugnisse in den Jahren 1999, 2000 und 2001 an. Danach erhöhten sich die betroffenen Einfuhren in diesen drei Jahren auf 25 719 t, 154 916 t und 468 000 t.

7. Unter der Warennummer 4 des Anhangs 3 der streitigen Verordnung ist angegeben, dass das Zollkontingent für legierte, warmgewalzte, flachgewalzte Erzeugnisse 23 778 t netto beträgt und dass der Satz des zusätzlichen Zolles für diese Erzeugnisse auf 26 % festgesetzt wird.

8. Artikel 3 der streitigen Verordnung bestimmt:

Die Zollkontingente sollen von der Kommission und den Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit dem Managementsystem für Zollkontingente gehandhabt werden, das in den Artikeln 308a, 308b und 308c der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93, wie zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 993/2001, vorgesehen ist ...

Sachverhalt und Verfahren

9. Die Klägerinnen sind Unternehmen, deren Tätigkeit beinahe ausschließlich darin besteht, Stahlerzeugnisse im Sinne der streitigen Verordnung in die Gemeinschaft einzuführen, insbesondere legierten Flachstahl, warmgewalzt, in Tafeln geschnitten oder in Coils

, die zur Warennummer 4 des Anhangs 3 der streitigen Verordnung gehören. Sie kaufen diese Erzeugnisse in erheblichen Mengen von verschiedenen Stahlwerken in Drittländern ein und verkaufen sie an Groß- und Einzelhändler, Fabriken und Lagerhalter in der Europäischen Union.

10. Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 14. Mai 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung erhoben.

11. Mit besonderem Schriftsatz, der am 19. Juni 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben sie ferner die Aussetzung des Vollzugs der streitigen Verordnung oder jede einstweilige Anordnung beantragt, die es ihnen ermöglichen kann, neben dem Zollkontingent und unter Befreiung von zusätzlichen Zöllen 95 129 t legierte warmgewalzte, flachgewalzte Erzeugnisse der Warengruppe 4 der angefochtenen Verordnung in die Gemeinschaft einzuführen.

12. Die Kommission hat am 12. Juli 2002 gemäß Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit gegen die Nichtigkeitsklage erhoben.

13. Wegen der von der Kommission in der vorliegenden Rechtssache erhobenen Einrede der Unzulässigkeit sind die Parteien gebeten worden, im Verfahren der einstweiligen Anordnung Stellung dazu zu nehmen, welche Konsequenzen für die Beurteilung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C-50/00 P (Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Slg. 2002, I-6677) zu ziehen sind.

14. Die Klägerinnen und die Kommission haben am 30. und am 31. Juli 2002 geantwortet.

15. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 8. August 2002 als unzulässig zurückgewiesen und die Kostenentscheidung ist vorbehalten worden.

Anträge der Parteien

16. Die Klägerinnen beantragen,

─ die Klage für zulässig zu erklären;

─ die angefochtene Verordnung gemäß Artikel 230 EG für nichtig zu erklären;

─ hilfsweise, die Einbeziehung der Warengruppe 4 legierte, warmgewalzte, flachgewalzte Erzeugnisse

in die von der angefochtenen Verordnung betroffenen 15 Warengruppen für nichtig zu erklären;

─ hilfsweise, die Kontingentierung der Warengruppe legierte, warmgewalzte, flachgewalzte Erzeugnisse

dahin gehend abzuändern, dass diese mit 468 000 t (Einfuhrmenge 2001) festgesetzt wird;

─ hilfsweise, die Kontingentierung der Warengruppe legierte, warmgewalzte, flachgewalzte Erzeugnisse

dahin gehend abzuändern, dass diese mit 118 916 t festgesetzt wird;

─ der Kommission sämtliche Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17. Die Kommission beantragt,

─ die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen;

─ den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

18. Nach Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Unzulässigkeit entscheiden. Gemäß Artikel 114 § 3 wird über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht für durch die Akten hinreichend informiert, um über den Antrag entscheiden zu können, ohne die mündliche Verhandlung zu eröffnen,

Vorbringen der Parteien

19. Die Kommission erhebt die Einrede der Unzulässigkeit der Klage.

20. Erstens macht die Kommission geltend, die Klage sei unzulässig, da die streitige Verordnung eine allgemeine Regelung mit normativem Charakter sei, von der keine der Klägerinnen individuell betroffen sei und deren konkrete Anwendung ihnen gegenüber Rechtswirkungen nur auf der Grundlage weiterer Verwaltungsakte der Zollbehörden der Mitgliedstaaten entfalten könne.

21. Zweitens habe die angefochtene Verordnung allgemeine Geltung, da sie sich in gleicher Weise an alle künftigen Einführer bestimmter Erzeugnisse in der Gemeinschaft wende. Zum Zeitpunkt des Erlasses einer derartigen Maßnahme könne unmöglich bestimmt werden, welche Einfuhren stattfinden würden, welchen Umfang sie haben würden und welche Einführer sie durchführen würden.

22. Drittens führt die Kommission als Antwort auf das Vorbringen der Klägerinnen aus, dass die Umstände, auf denen die in den von den Klägerinnen angeführten Urteilen des Gerichtshofes vom 20. März 1985 in der Rechtssache 264/82 (Timex/Rat und Kommission, Slg. 1985, Randnrn. 12 bis 16), vom 16. Mai 1991 in der Rechtssache C-358/89 (Extramet Industrie/Rat, Slg. 1991, I-2501, Randnr. 17) sowie des Gerichts vom 19. Mai 1994 in der Rechtssache T-2/93 (Air France/Kommission, Slg. 1994, II-323, Randnrn. 44 bis 47) und vom 11. Juli 1996 in den Rechtssachen T-528/93, T-542/93, T-543/93 und T-546/93 (Métropole Télévision u. a./Kommission, Slg. 1996, II-649, Randnr. 61) getroffene Lösung beruht habe, im vorliegenden Fall erkennbar nicht vorlägen.

23. Viertens macht die Kommission geltend, die Klägerinnen hätten keine besonderen Umstände angeführt, die sie von den zahlreichen anderen Stahleinführern unterschieden. Die Klägerinnen hätten sich nicht einmal darauf berufen, dass sie die wichtigsten Einführer von Stahlerzeugnissen seien, und setzten ihre eigenen Belange denen anderer Einführer gleich.

24. Fünftens führt die Kommission aus, selbst wenn eingeräumt würde, dass die angefochtene Verordnung die wirtschaftliche Lage der Klägerinnen schädigte, würde dies nicht ausreichen, sie von den anderen Wirtschaftsteilnehmern zu unterscheiden (Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 15. Juni 2001 in der Rechtssache T-339/00 R, Bactria/Kommission, Slg. 2001, II-1721, Randnrn. 81 und 82).

25. Sodann macht die Kommission geltend, im Unterschied zu den Umständen, die dem Urteil des Gerichtshofes vom 17. Januar 1985 in der Rechtssache 11/82 (Piraiki-Patraiki u. a./Kommission, Slg. 1985, S. 207) zugrunde gelegen hätten, sei sie unter den Umständen des vorliegenden Falles beim Erlass der streitigen Verordnung nicht verpflichtet gewesen, die Interessen bestimmter Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere diejenigen der Klägerinnen, zu berücksichtigen.

26. Schließlich hätten die Klägerinnen in der vorliegenden Rechtssache im Unterschied zur Klägerin in der Rechtssache, die mit dem Urteil des Gerichts vom 3. Mai 2002 in der Rechtssache T-177/01 (Jégo-Quéré/Kommission, Slg. 2002, II-2365) abgeschlossen worden sei, selbst bestätigt, dass sie die nationalen Erhebungsbescheide, die auf der Grundlage der angefochtenen Verordnung ergangen seien, unter Nutzung sämtlicher nach der österreichischen Bundesabgabenordnung offen stehender Rechtsbehelfe vor den österreichischen Gerichten hätten anfechten können.

27. Die Klägerinnen vertreten die Ansicht, dass die Klage zulässig sei.

28. Erstens machen sie geltend, die angefochtene Verordnung betreffe sie individuell wegen einer Beeinträchtigung ihrer Marktposition, die sie an den Rand des Ruins gebracht habe. Ihre Kauf- und Lieferverträge seien von ihren Kunden storniert worden. Ihr Kerngeschäft sei der Import der von der Verordnung betroffenen Stahlwaren, insbesondere aus der Warengruppe 4 des Anhangs 3, die mit einem zusätzlichen Zoll von 26 % belegt würden. Die Klägerinnen berufen sich insbesondere auf die Urteile Timex/Rat und Kommission (Randnrn. 12 bis 16), Extramet Industrie/Rat (Randnr. 17), Air France/Kommission (Randnrn. 44 bis 47) und Métropole Télévision u. a./Kommission (Randnr. 61). Ein Einzelner sei dann von einer Handlung der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG individuell betroffen, wenn diese Handlung aufgrund seiner persönlichen Umstände erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen habe oder wahrscheinlich haben werde. Hierfür berufen sich die Klägerinnen auf die Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in den dem Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat zugrunde liegenden Schlussanträgen (Slg. 2002, I-6681).

29. Zweitens fügen die Klägerinnen hinzu, dass die angefochtene Verordnung die rechtliche Verpflichtung verletze, die Interessen bestimmter Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere ihre besonderen Interessen, zu berücksichtigen. Hierfür führen sie insbesondere Randnummer 67 des Urteils des Gerichts vom 14. September 1995 in den Rechtssachen T-480/93 und T-483/93 (Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2305) an.

30. Drittens tragen die Klägerinnen vor, das Gericht sei die einzige gerichtliche Instanz, die den Klägerinnen einen vollständigen und effektiven Rechtsschutz gegen die angefochtene Verordnung bieten könne, da das Verfahren zur Erlangung von Schutz gegen den nationalen Erhebungsbescheid im Wege des Vorabentscheidungsersuchens zu lang und zu mühsam sei. Sie berufen sich hierfür auf das erwähnte Urteil Jégo-Quéré/Kommission.

31. Viertens sind die Klägerinnen der Ansicht, dass die angefochtene Verordnung sie unmittelbar betreffe, da sie keiner Umsetzungsmaßnahme seitens der nationalen Behörden bedürfe; diese seien vielmehr zu ihrer sofortigen Umsetzung verpflichtet. In der angefochtenen Verordnung heiße es ausdrücklich: Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

In diesem Rahmen berufen sich die Klägerinnen insbesondere auf das Urteil des Gerichtshofes vom 29. März 1979 in der Rechtssache 113/77 (NTN Toyo Bearing/Rat, Slg. 1979, 1185, Randnr. 11).

Würdigung durch das Gericht

32. Artikel 230 Absatz 4 EG verleiht Einzelpersonen das Recht, jede Entscheidung anzufechten, die sie, obwohl sie als Verordnung ergangen ist, unmittelbar und individuell betrifft. Mit dieser Bestimmung soll insbesondere verhindert werden, dass die Gemeinschaftsorgane allein durch die Wahl der Form der Verordnung die Klage eines Einzelnen gegen eine Entscheidung ausschließen können, die ihn unmittelbar und individuell betrifft, und auf diese Weise soll klargestellt werden, dass die Wahl der Form die Rechtsnatur einer Handlung nicht ändern kann (Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juni 1980 in den Rechtssachen 789/79 und 790/79 (Calpak/Kommission, Slg. 1980, 1949, Randnr. 7, und Urteil des Gerichts vom 28. Oktober 1993 in der Rechtssache T-476/93, FRSEA und FNSEA/Rat, Slg. 1993, II-1187, Randnr. 19).

33. Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung liegt das Kriterium für die Unterscheidung zwischen einer Verordnung und einer Entscheidung darin, ob die betreffende Handlung allgemeine Geltung hat (Urteil des Gerichtshofes vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache 307/81, Alusuisse/Rat und Kommission, Slg. 1982, 3463, Randnr. 8, und Beschluss des Gerichts vom 19. Juni 1995 in der Rechtssache T-107/94 (Kik/Rat und Kommission, Slg. 1995, II-1717, Randnr. 35).

34. Daher ist im vorliegenden Fall die Natur der angefochtenen Verordnung zu bestimmen; insbesondere ist zu klären, welche Rechtswirkungen sie entfalten soll oder tatsächlich entfaltet.

35. Die Verordnung führt vorläufige Schutzmaßnahmen für Einfuhren bestimmter Stahlerzeugnisse ein. Sie eröffnet für die Zeit von sechs Monaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an ein Zollkontingent für Einfuhren in die Gemeinschaft von jeder der 15 betroffenen Warengruppen. Einfuhren dieser Erzeugnisse, die über die Menge des entsprechenden Zollkontingents hinausgehen, oder Einfuhren, für die kein Antrag auf Anwendung des Kontingents gestellt worden ist, unterliegen einem zusätzlichen Zoll, der für den Zollwert des betreffenden Erzeugnisses gelten soll.

36. Derartige Maßnahmen stellen Maßnahmen von allgemeiner Geltung im Sinne von Artikel 249 EG dar. Sie finden Anwendung auf objektiv bestimmte Sachverhalte und entfalten Rechtswirkungen gegenüber abstrakt-generell festgelegten Kategorien von Personen, nämlich den Einführern der 15 betroffenen Warengruppen, die in Anhang 3 der angefochtenen Verordnung aufgeführt sind.

37. Nach gefestigter Rechtsprechung verliert ein Rechtsakt seine allgemeine Geltung und damit seinen Normcharakter nicht dadurch, dass sich die Rechtssubjekte, auf die er zu einem bestimmten Zeitpunkt Anwendung findet, der Zahl oder sogar der Identität nach mehr oder weniger genau bestimmen lassen, solange feststeht, dass diese Anwendung aufgrund einer objektiven rechtlichen oder tatsächlichen Situation erfolgt, die in dem Rechtsakt im Zusammenhang mit seiner Zielsetzung umschrieben ist (Urteile des Gerichtshofes vom 11. Juli 1968 in der Rechtssache 6/68, Zuckerfabrik Watenstedt/Rat, Slg. 1968, 612, 620 f., vom 16. April 1970 in der Rechtssache 64/69, Compagnie française commerciale/Kommission, Slg. 1970, 221, Randnr. 11, vom 5. Mai 1977 in der Rechtssache 101/76, Koninklijke Scholten Honig/Rat und Kommission, Slg. 1977, 797, Randnr. 23, und Beschluss des Gerichts vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache T-183/94, Cantina cooperativa fra produttori vitivinicoli di Torre di Mosto u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1941, Randnr. 48).

38. Im vorliegenden Fall sieht die streitige Verordnung jedoch unabhängig davon, wie beschränkt die Zahl der Einführer der 15 Gruppen von Stahlwaren, die in ihrem Anhang 3 zum Zeitpunkt ihres Erlasses aufgeführt waren, die Anwendung zusätzlicher Zölle bei der Erfüllung eines objektiven Tatbestandes vor, nämlich gemäß ihrem Artikel 1 Absatz 3 für den Fall, dass die Einführer einer oder mehrerer der 15 betroffenen Warengruppen die Menge des entsprechenden in Anhang 2 der Verordnung angegebenen entsprechenden Zollkontingents überschreiten oder dass sie keinen Antrag auf Anwendung des Kontingents stellen. Ferner kann sich die Zahl der von der streitigen Verordnung betroffenen Unternehmen stets ändern.

39. Daher hat die streitige Verordnung nach ihrer Natur und ihrer Tragweite normativen Charakter und stellt keine Entscheidung im Sinne von Artikel 249 EG dar.

40. Nach der Rechtsprechung kann unter bestimmten Umständen selbst eine Norm, die auf alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer Anwendung findet, einige von ihnen individuell betreffen (Urteile des Gerichtshofes Extramet Industrie/Rat, Randnr. 13, und vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89, Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, Randnr. 19). In einem solchen Fall kann eine Gemeinschaftshandlung also gleichzeitig eine generelle Norm und in Bezug auf bestimmte betroffene Wirtschaftsteilnehmer eine Entscheidung sein (Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 1995 in den Rechtssachen T-481/93 und T-484/93, Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2941, Randnr. 50).

41. Allerdings kann eine natürliche oder juristische Person nur dann geltend machen, individuell betroffen zu sein, wenn die fragliche Handlung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände be rührt (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, 238, Codorniu/Rat, Randnr. 20, und Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 36).

42. Daher ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Klägerinnen von der angefochtenen Verordnung wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften berührt werden oder ob besondere, sie im Hinblick auf diese Verordnungen aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebende Umstände vorliegen.

43. Die Klägerinnen halten sich für von der Verordnung individuell betroffen, da ihr Kerngeschäft die Einfuhr der von der Verordnung betroffenen Stahlerzeugnisse sei, was zu besonders nachteiligen Folgen für ihre Belange führe.

44. Selbst unterstellt, dass das Inkrafttreten der angefochtenen Verordnung einen besonderen Einfluss auf die wirtschaftliche Lage der Klägerinnen hat, genügt dieser Umstand jedoch nicht, sie aus dem Kreis aller anderen Personen herauszuheben. Denn die angefochtene Verordnung betrifft sie nur wegen ihrer objektiven Eigenschaft als Stahlerzeugnisse importierende Unternehmen im Sinne dieser Maßnahme in gleicher Weise wie alle anderen Wirtschaftsteilnehmer, die sich in der Europäischen Gemeinschaft in der gleichen Lage befinden (Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 36).

45. Sodann machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe durch den Erlass der angefochtenen Verordnung ihre Rechtspflicht verletzt, die Interessen aller Wirtschaftsteilnehmer, namentlich die besonderen Interessen der Klägerinnen, zu berücksichtigen.

46. Zwar kann die Verpflichtung der Kommission aufgrund spezifischer Bestimmungen, die Auswirkungen einer beabsichtigten Handlung auf die Lage bestimmter Personen zu berücksichtigen, letztere individualisieren (Urteil Piraiki-Patraiki u. a./Kommission, Randnrn. 21 und 28, Urteile des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-152/88, Sofrimport/Kommission, Slg. 1990, I-2477, Randnr. 11, vom 11. Februar 1997 in der Rechtssache C-390/95 P, Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Slg. 1999, I-769, Randnrn. 25 bis 30, das oben angeführte Urteil Antillean Rice Mills u. a./Kommission, Randnr. 67, und Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2002 in der Rechtssache T-47/00, Rica Foods/Kommission, Slg. 2002, II-113, Randnr. 41).

47. Die streitige Verordnung wurde auf die Grundverordnung und die Verordnung Nr. 519/94 gestützt. Nach Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe a der Grundverordnung ist die Kommission bei der Festsetzung eines Kontingents verpflichtet, die besondere Lage einzelner Unternehmen wie der Klägerinnen insbesondere in Bezug auf den Umfang der zu normalen Bedingungen vor Inkrafttreten einer Schutzmaßnahme geschlossenen Verträge zu berücksichtigen, wenn sie der Kommission vom betreffenden Mitgliedstaat notifiziert worden sind.

48. Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen jedoch nichts vorgetragen, woraus sich ergäbe, dass der betroffene Mitgliedstaat der Kommission von den Klägerinnen geschlossene Verträge über die Einfuhr der in Anhang 3 der angefochtenen Verordnung aufgeführten Erzeugnisse im Sinne von Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe a der Grundverordnung notifiziert hätte.

49. Daher besteht im Unterschied zu den Rechtssachen, die mit den Urteilen Piraiki-Patraiki u. a./Kommission und Antillean Rice Mills u. a./Kommission abgeschlossen worden sind, im vorliegenden Fall keine Bestimmung, die die Kommission verpflichtete, die Auswirkungen der von ihr beabsichtigten Handlung auf die Lage der Klägerinnen zu berücksichtigen, da der betroffene Mitgliedstaat von den Verfahrensgarantien, die ihm die Grundverordnung bietet, keinen Gebrauch gemacht hat.

50. Zu dem Vorbringen der Klägerinnen, dass der Schutz ihrer individuellen Rechte praktisch ausgeschlossen sei, da das Vorabentscheidungsverfahren im Sinne von Artikel 234 EG keinen vollständigen und effektiven Rechtsschutz gewährleiste, ist schließlich auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes eine gerichtliche Auslegung, die auf dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes beruht, nicht zum Wegfall der Voraussetzung der individuellen Betroffenheit eines Klägers durch eine Verordnung führen kann, da sonst die den Gemeinschaftsgerichten durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten würden (Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 44). Im Übrigen gibt es im vorliegenden Fall unstreitig einen Rechtsbehelf bei den nationalen Gerichten, der es erlaubt, die Gültigkeit der angefochtenen Verordnung in Frage zu stellen.

51. Nach allem sind die Klägerinnen von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen. Da die Klägerinnen keine der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG erfüllen, braucht nicht geprüft zu werden, ob sie von der streitigen Verordnung unmittelbar betroffen sind.

52. Nach allem ist die Klage als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung

Kosten

53. Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen auf den Antrag der Kommission die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens zur einstweiligen Anordnung aufzuerlegen.

Tenor

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Die Klägerinnen tragen ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission einschließlich der Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung.

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