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Dokument 61995TJ0075

Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 5. Juni 1996.
Günzler Aluminium GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Nichtigkeitsklage - Entscheidung der Kommission, mit der der Erlaß von Einfuhrabgaben versagt wird.
Rechtssache T-75/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 II-00497

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:T:1996:74

61995A0075

Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte Kammer) vom 5. Juni 1996. - Günzler Aluminium GmbH gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Nichtigkeitsklage - Entscheidung der Kommission, mit der der Erlaß von Einfuhrabgaben versagt wird. - Rechtssache T-75/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite II-00497


Leitsätze
Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


++++

1. Nichtigkeitsklage ° Befugnisse des Gemeinschaftsrichters ° Entscheidung der Kommission, mit der festgestellt wird, daß ein Erlaß von Eingangsabgaben nicht gerechtfertigt ist ° Antrag auf Erlaß einer Anordnung an die Kommission, eine neue Entscheidung zu erlassen ° Unzulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 173 und 176)

2. Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften ° Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben ° Voraussetzungen für die Nichterhebung nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 ° Irrtum der Verwaltung, der "vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte" ° Beurteilungskriterien ° Einzelfall

(Verordnung Nr. 1697/79 des Rates, Artikel 5 Absatz 2)

3. Nichtigkeitsklage ° Klagegründe ° Rechtsfehler ° Entscheidung der Kommission, in der die Regelung über den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben anstelle der Regelung über die Nacherhebung solcher Abgaben angewandt wird ° Irrtum bezueglich der Rechtsgrundlage, der ohne Einfluß auf die sachliche Würdigung der Rechte des Wirtschaftsteilnehmers geblieben ist ° Nichtigerklärung nicht gerechtfertigt

(Verordnungen des Rates Nr. 1430/79, Artikel 13, und Nr. 1697/79, Artikel 5 Absatz 2)

Leitsätze


1. Der Gemeinschaftsrichter kann im Rahmen einer Nichtigkeitsklage ein Gemeinschaftsorgan nicht anweisen, gemäß Artikel 176 des Vertrages sich aus einem Urteil, mit dem eine Entscheidung für nichtig erklärt wird, ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, da er andernfalls in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung eingreifen würde. Daher ist im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission, in der festgestellt wurde, daß ein Erlaß von Eingangsabgaben nicht gerechtfertigt sei, ein Antrag unzulässig, der darauf gerichtet ist, die Kommission zu verpflichten, in dieser Sache neu zu entscheiden.

2. Nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 des Rates betreffend die Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben können die zuständigen Zollbehörden von einer Nacherhebung von Eingangsabgaben absehen, wenn drei Voraussetzungen nebeneinander erfuellt sind: Die ursprüngliche Nichterhebung der Abgaben muß auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen sein, der Abgabenschuldner muß gutgläubig gehandelt haben, d. h. bei vernünftiger Betrachtungsweise ausserstande gewesen sein, den Irrtum der zuständigen Behörden zu erkennen, und er muß alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet haben.

Für die Entscheidung der Frage, ob der Wirtschaftsteilnehmer den Irrtum der zuständigen Behörden erkennen konnte, sind alle Umstände des Einzelfalls konkret zu beurteilen unter Berücksichtigung insbesondere der Art des Irrtums, der Berufserfahrung des Wirtschaftsteilnehmers und der Sorgfalt, mit der er gehandelt hat. An der nötigen Sorgfalt fehlt es dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer dadurch, daß er die Rechnungen des Exporteurs bezahlt hatte, noch bevor er die Zollbescheide erhalten hatte, selbst ein finanzielles Risiko eingegangen ist, das nach seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht unerläßlich war, so daß er nicht behaupten kann, in seinem berechtigten Vertrauen auf das Nichtbestehen einer Zollschuld enttäuscht worden zu sein, und wenn der Irrtum von einem aufmerksamen Wirtschaftsteilnehmer durch die Lektüre des Amtsblatts, in dem die einschlägigen Vorschriften einige Tage vor den betreffenden Einfuhren veröffentlicht worden waren, hätte erkannt werden können. Insoweit besteht die Pflicht zur Einsichtnahme in das Amtsblatt nicht nur für gewerbliche Wirtschaftsteilnehmer, die im wesentlichen Import- und Exportgeschäfte tätigen, sondern auch für diejenigen, die eine gewisse Erfahrung mit der Einfuhr der betreffenden Waren erworben haben.

3. Der Umstand, daß die Kommission in einem ihr von den nationalen Behörden vorgelegten Fall die Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben anwendet, obwohl sie, da die Abgaben noch nicht entrichtet waren, die Verordnung Nr. 1697/79 betreffend die Nacherhebung solcher Abgaben hätte anwenden müssen, stellt zwar einen Rechtsfehler dar; dieser Rechtsfehler rechtfertigt jedoch nicht die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission, da die offensichtliche Fahrlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers, aufgrund deren er sich nach Ansicht der Kommission nicht auf Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 berufen kann, der Erkennbarkeit des Irrtums der zuständigen Behörden entspricht, aufgrund deren die Anwendung des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 ausscheidet, und die Verwechslung der beiden Rechtsgrundlagen durch die Kommission, die rein formaler Natur ist, vorliegend keinen entscheidenden Einfluß auf das Ergebnis ihrer Würdigung in der Sache gehabt hat.

Entscheidungsgründe


Rechtlicher Rahmen

1 Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1) bestimmt in der durch Artikel 1 Absatz 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 286, S. 1) geänderten Fassung: "Die Eingangsabgaben können ausser in den in den Abschnitten A bis D genannten Fällen bei Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat."

2 Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1) sieht vor: "Die zuständigen Behörden können von einer Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben absehen, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, sofern dieser Irrtum vom Abgabenschuldner [vernünftigerweise(1)] nicht erkannt werden konnte und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat."

Sachverhalt

3 Am 22. Mai 1990, 8. Juni 1990 und 26. Juni 1991 führte die Klägerin legierte Aluminiumstangen aus der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien ein. Nach den zugrundeliegenden Kaufverträgen waren anfallende Zollbeträge von den jugoslawischen Verkäufern zu tragen. Aus diesem Grund war mit den Verkäufern u. a. vereinbart, daß die Zahlung des Kaufpreises erst nach Vorliegen des Zollbescheids erfolgen sollte, um gegebenenfalls den Kaufpreis um verauslagte Zölle kürzen zu können.

4 Im Anschluß an die Anmeldungen dieser Einfuhren durch die Klägerin erließ die zuständige deutsche Zollstelle am 25. Mai 1990, 11. Juni 1990 und 26. Juni 1991 Abgabenbescheide, nach denen die betreffenden Einfuhren zollfrei waren.

5 Die Zollfreistellungen wurden jedoch aufgrund eines Irrtums der deutschen Zollbehörde gewährt. In den einschlägigen Zeiträumen waren die Präferenzregelungen mit Jugoslawien nämlich, wie im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Amtsblatt) veröffentlicht, ausser Kraft getreten, vgl. Verordnung (EWG) Nr. 1280/90 der Kommission vom 15. Mai 1990 (ABl. L 126, S. 22) zur Wiedererhebung der Zölle in der Zeit vom 19. Mai bis 31. Dezember 1990 und Verordnung (EWG) Nr. 1347/91 der Kommission vom 23. Mai 1991 (ABl. L 129, S. 21) zur Wiedererhebung der Zölle in der Zeit vom 27. Mai bis 31. Dezember 1991.

6 Die Zollstelle versäumte es sodann, der für die Überwachung der Kontingente und Plafonds zuständigen Zentralstelle Mitteilung zu machen. Die zu Unrecht gewährten Zollfreistellungen wurden daher erst im März 1991 und August 1991 (bezueglich der 1990 und 1991 erfolgten Einfuhren) bei einer nachträglichen Prüfung der Zollanmeldungen festgestellt.

7 Am 23. April 1992 und 30. Juni 1992 erließ das zuständige Hauptzollamt gegenüber der Klägerin Änderungsbescheide, mit denen die Zölle auf insgesamt 29 429,79 DM festgesetzt wurden.

8 Als die Klägerin Kenntnis von der beabsichtigten Nacherhebung von Zöllen erlangt hatte, versuchte sie, sich mit ihren jugoslawischen Geschäftspartnern in Verbindung zu setzen. Diese Bemühungen waren jedoch aufgrund der Wirren des inzwischen ausgebrochenen Bürgerkriegs erfolglos.

9 Daraufhin legte die Klägerin bei der zuständigen deutschen Zollbehörde Einspruch ein, der darauf abzielte, daß gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 von einer Nacherhebung der Zölle abgesehen werde. Hilfsweise beantragte die Klägerin einen Erlaß der Einfuhrabgaben gemäß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79. Mit dem Einspruch beantragte die Klägerin ausserdem nach nationalem Recht eine Verlängerung der Zahlungsfrist, die ihr gewährt wurde.

10 Mit Schreiben vom 2. Mai 1994 beantragten die deutschen Stellen bei der Kommission eine Entscheidung darüber, ob ein Erlaß der Einfuhrabgaben auf der Grundlage von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 gerechtfertigt sei. Dieser Antrag ging bei der Kommission am 16. Mai 1994 ein. Nachdem die Kommission von der Stellungnahme einer aus Vertretern aller Mitgliedstaaten bestehenden Sachverständigengruppe Kenntnis genommen hatte, stellte sie mit der an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Entscheidung vom 14. November 1994 fest, daß der Erlaß der Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt sei, weil sich die Klägerin nicht auf ihre Unkenntnis der im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsvorschriften berufen könne (im folgenden: streitige Entscheidung).

11 Die streitige Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben vom 27. Dezember 1994 mitgeteilt, das am 29. Dezember 1994 bei ihr einging.

Verfahren und Anträge der Parteien

12 Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 3. März 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

13 Das Gericht (Dritte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat jedoch die Parteien mit Schreiben vom 15. März 1996 aufgefordert, schriftlich einige Fragen zu beantworten und bestimmte Unterlagen vorzulegen. Die Kommission und die Klägerin haben mit Schreiben vom 27. März 1996 und 29. März 1996 die gestellten Fragen beantwortet und die verlangten Unterlagen vorgelegt.

14 Die Parteien haben in der Sitzung vom 18. April 1996 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.

15 Die Klägerin beantragt,

° die Entscheidung der Kommission vom 14. November 1994 aufzuheben;

° die Kommission zu verpflichten, über den Antrag Deutschlands vom 2. Mai 1994 auf Entscheidung über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben durch die Kommission unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

16 Die Kommission beantragt,

° die Klage als unbegründet abzuweisen und

° der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zulässigkeit

Zur Zulässigkeit des zweiten Antrags: Verpflichtung der Kommission, über den Antrag Deutschlands vom 2. Mai 1994 neu zu entscheiden

17 Neben ihrem Antrag auf Nichtigerklärung beantragt die Klägerin, die Kommission zu verpflichten, über den Antrag Deutschlands vom 2. Mai 1994 auf Entscheidung über den Erlaß von Einfuhrabgaben durch die Kommission neu zu entscheiden.

18 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gemeinschaftsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 EG-Vertrag ein Gemeinschaftsorgan nicht anweisen, gemäß Artikel 176 EG-Vertrag die sich aus einem Urteil, mit dem eine Entscheidung für nichtig erklärt wird, ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, da er andernfalls in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung eingreifen würde (vgl. zuletzt Urteil des Gerichts vom 9. November 1995 in der Rechtssache T-346/94, France-aviation/Kommission, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 42).

19 Daraus folgt, daß der zweite Antrag, der darauf gerichtet ist, die Kommission zu verpflichten, über den Antrag Deutschlands vom 2. Mai 1994 neu zu entscheiden, unzulässig ist.

Begründetheit

Zum ersten Antrag: Nichtigerklärung

20 Die Klägerin stützt ihre Klage auf den einzigen Klagegrund des Verstosses gegen Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 in der Fassung der Verordnung Nr. 3069/86.

Vorbringen der Parteien

21 Die Klägerin macht erstens geltend, daß für die Prüfung, ob "besondere Umstände" im Sinne des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 vorlägen, die Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, da es sich bei dieser Vorschrift um eine auf Billigkeitserwägungen beruhenden Generalklausel handele. Ausserdem sei der Kommission in Artikel 13 ein Ermessen eingeräumt, was voraussetze, daß ihre Entscheidung auf eine richtig und vollständig ermittelte Tatsachengrundlage gestützt sein müsse. Diese Erfordernisse habe die Kommission in der streitigen Entscheidung nicht beachtet.

22 Insoweit sei festzustellen, daß allein die Versäumnisse und Irrtümer der deutschen Zollstelle zu den fehlerhaften Zollmaßnahmen geführt hätten. Nach Erhalt der Abgabenbescheide, mit denen die Einfuhren zollfrei gestellt worden seien, ohne daß auf die nachträgliche Abänderbarkeit hingewiesen worden wäre, habe die Klägerin gutgläubig den gesamten Kaufpreis gezahlt, ohne also Erstattungsansprüche gegen ihre Geschäftspartner geltend zu machen (siehe oben, Randnr. 3).

23 Sodann weist die Klägerin darauf hin, daß es die Zollstelle unterlassen habe, die für die Überwachung der Kontingente und Plafonds zuständige Zentralstelle zu unterrichten. Dies habe zur Folge gehabt, daß die anfänglichen Irrtümer erst nach zwei Jahren (bei den 1990 erfolgten Einfuhren) bzw. nach einem Jahr (bei den 1991 erfolgten Einfuhren) korrigiert worden seien. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin weiter ausgeführt, daß aus den von der Kommission dem Gericht auf dessen Verlangen vorgelegten Akten zweierlei hervorgehe. Zum einen habe der Leiter der Zollstelle offenbar eingeräumt, daß die Zentralstelle die Irrtümer sofort entdeckt hätte, wenn die Zollstelle ihr ordnungsgemäß Mitteilung gemacht hätte. Zum anderen ergebe sich aus den Akten, daß die Änderungsbescheide ungefähr zwölf Monate nach der Entdeckung der Irrtümer im März und August 1991 ergangen seien.

24 Allein aufgrund dieser unerklärbaren zeitlichen Verzögerungen sei die Klägerin wegen des Bürgerkriegs in der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien nicht mehr in der Lage, von ihren Geschäftspartnern die Erstattung der nacherhobenen Zölle zu verlangen.

25 Zweitens bemerkt die Klägerin, daß es sich bei dem Begriff "besondere Umstände" um einen Rechtsbegriff handele, dessen Inhalt unter Berücksichtigung des mit den Einfuhrabgaben verfolgten Zweckes auszulegen sei. Folglich hätte die Kommission die Begründetheit des Antrags anhand eines Vergleiches des vorliegenden Falles mit den Sachlagen prüfen müssen, für die der Erlaß der Einfuhrabgaben ausdrücklich vorgesehen sei. Aus einem solchen Vergleich ergebe sich, daß der Erlaß von Einfuhrabgaben gerechtfertigt sei, wenn das mit der Einfuhr der Waren erstrebte wirtschaftliche Ziel aufgrund von Umständen nicht mehr zu erreichen sei, auf die der Einführer keinen Einfluß gehabt habe.

26 Genau dies sei vorliegend der Fall. Hätte die Zollstelle die betreffende Regelung nämlich zutreffend angewandt oder wäre der Irrtum in angemessenen Zeiträumen korrigiert worden, wäre die Klägerin durch eine Nacherhebung wirtschaftlich nicht belastet worden; die zuständige jugoslawische Zentralstelle habe den begründeten Erstattungsanträgen deshalb nicht mehr stattgeben können, weil es sie nicht mehr gegeben habe. Daher sei auch im vorliegenden Fall eine Freistellung von der Belastung durch Einfuhrabgaben geboten.

27 Drittens bemerkt die Klägerin zu der Voraussetzung des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79, daß der Beteiligte nicht in betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt haben darf, zum einen, daß sie unbestreitbar weder fahrlässig noch in betrügerischer Absicht gehandelt habe, und zum anderen, daß nach der Rechtsprechung die Verpflichtung, sich durch die Lektüre des Amtsblatts Gewißheit über das auf die betreffenden Geschäfte anwendbare Gemeinschaftsrecht zu verschaffen, nur dem gewerblichen Wirtschaftsteilnehmer obliege, der im wesentlichen Import- und Exportgeschäfte tätige (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1989 in der Rechtssache 161/88, Binder, Slg. 1989, 2415, Randnr. 22). Nach Ansicht der Klägerin kann man von ihr in Anbetracht der Tatsache, daß sie nur gelegentlich Importgeschäfte getätigt habe und daher als ein in diesem Bereich unerfahrener Wirtschaftsteilnehmer gelten müsse, nicht verlangen, daß sie über bessere Kenntnisse verfüge als die Zollverwaltung, geschweige denn, daß sie in der Lage sei, deren Maßnahmen zu kontrollieren.

28 Auf das Vorbringen der Kommission, daß sich die Klägerin nicht auf die Billigkeitsregelung des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 berufen könne, da sie ja nach deutschem Recht die Möglichkeit habe, gegen die Steueränderungsbescheide Einspruch einzulegen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. März 1987 in den Rechtssachen 244/85 und 245/85, Cerealmangimi und Italgrani/Kommission, Slg. 1987, 1303, Randnr. 17), erwidert die Klägerin, daß sie von diesem Recht Gebrauch gemacht und gerade in diesem Einspruchsverfahren vorsorglich und hilfsweise den Erlaß nach Artikel 13 beantragt habe. Da sie keinen Einfluß darauf habe nehmen können, daß die deutsche Behörde zunächst über den Antrag auf Erlaß der Abgaben habe entscheiden wollen und dazu eine entsprechende Anfrage an die Kommission gerichtet habe, könne es nicht sein, daß der Erlassantrag mit dem Hinweis auf das noch offene nationale Verfahren abgelehnt werde.

29 Auch daraus, daß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 die "gleiche Zielrichtung" hätten, lasse sich nicht der Schluß ziehen, daß die Tatbestandsvoraussetzungen denselben Inhalt hätten. Jedenfalls ist die Klägerin der Ansicht, daß sie nicht gegen ihre Sorgfaltspflichten im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 verstossen habe.

30 Die Kommission macht zunächst geltend, daß sich die Klägerin wegen der nach deutschem Recht bestehenden Rechtsschutzmöglichkeit zur Anfechtung der Änderungsbescheide vom 23. April 1992 und 30. Juni 1992 nicht auf Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 berufen könne, da diese Vorschrift eine auf Billigkeitserwägungen beruhende Generalklausel sei (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Dezember 1983 in der Rechtssache 283/82, Schöllershammer/Kommission, Slg. 1983, 4219, Randnr. 7, und Urteil Cerealmangimi und Italgrani/Kommission, a. a. O., Randnr. 10). Wenn eine solche Rechtsschutzmöglichkeit gegeben sei, bestehe kein Bedürfnis für eine Billigkeitsentscheidung (vgl. hierzu Urteil Cerealmangimi und Italgrani/Kommission, a. a. O., Randnr. 17).

31 Auch wenn sich die Klägerin gleichwohl auf Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 berufen könnte, sei der Begriff "besondere Umstände" doch nirgends definiert, sondern anhand der in den Abschnitten A bis D der Verordnung Nr. 1430/79 genannten Fälle und unter Berücksichtigung dessen auszulegen, daß es sich um eine Billigkeitsklausel handele.

32 Zum Irrtum der deutschen Zollbehörde macht die Kommission geltend, die in der Verordnung Nr. 1430/79 ausdrücklich erfassten Sonderfälle seien solche Fälle, in denen eingeführte Waren nicht zu den Zwecken verwendet werden könnten, zu denen sie eingeführt worden seien. Ein derartiger Fall liege hier aber nicht vor. Die blosse Tatsache, daß der mit den Einfuhren angestrebte Gewinn nicht in der erhofften Höhe zu realisieren gewesen sei, könne keinen besonderen Umstand darstellen.

33 Zur behaupteten Auflösung der jugoslawischen Vertragspartner bemerkt die Kommission, die Tatsache, daß die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, gegen ihre Geschäftspartner in der ehemaligen Föderativen Republik Jugoslawien vorzugehen, sei nach der Rechtsprechung unerheblich (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 13. November 1984 in den Rechtssachen 98/83 und 230/83, Van Gend & Loos und Bosman/Kommission, Slg. 1984, 3763, Randnr. 16, und vom 6. Juli 1993 in den Rechtssachen C-121/91 und C-122/91, CT Control (Rotterdam) und JCT Benelux/Kommission, Slg. 1993, I-3873, Randnr. 37).

34 Nach Ansicht der Kommission können folglich die vorliegenden Tatsachen keine besonderen Umstände im Sinne des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 darstellen.

35 Die Kommission macht weiter geltend, jedenfalls habe die Klägerin offensichtlich fahrlässig gehandelt im Sinne des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79. Die betreffende Regelung sei nämlich so einfach gewesen, daß der Irrtum leicht erkennbar gewesen sei (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-64/89, Deutsche Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, und für den umgekehrten Fall Urteil des Gerichtshofes vom 22. Oktober 1987 in der Rechtssache 314/85, Foto-Frost, Slg. 1987, 4199, Randnr. 25). In diesem Zusammenhang führt die Kommission weiter aus, daß die Klägerin Schwierigkeiten, in das Amtsblatt Einsicht zu nehmen, nicht vorgetragen habe (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 160/84, Kavallas u. a./Kommission, Slg. 1986, 1633).

36 In bezug auf die angeblich mangelnde Erfahrung der Klägerin macht die Kommission geltend, daß sie aufgrund dieser Tatsache die einschlägigen Vorschriften und Bekanntmachungen besonders sorgfältig hätte studieren müssen. Hätte die Klägerin nämlich sichergehen wollen, keine Zölle nachzahlen zu müssen, so hätte sie sich nicht blindlings auf den Abgabenbescheid "frei YU" verlassen dürfen.

37 Zur Auffassung der Klägerin, daß von einem Einführer nicht bessere Erkenntnisse zu verlangen seien als von den Zollbeamten selbst, erinnert die Kommission schließlich daran, daß der Gerichtshof dieses Argument schon einmal zurückgewiesen habe (vgl. Urteil Deutsche Fernsprecher, a. a. O., Randnr. 17).

Würdigung durch das Gericht

38 Die betreffenden Einfuhren unterlagen nach den Verordnungen Nrn. 1280/90 und 1347/91 der Erhebung von Zöllen, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Was die ersten beiden, am 22. Mai und am 8. Juni 1990 erfolgten Einfuhren angeht, waren nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 1280/90 in der Zeit vom 19. Mai bis 31. Dezember 1990 bei der Einfuhr der betreffenden Waren mit Ursprung in Jugoslawien in die Gemeinschaft wieder Zölle zu erheben. Was die dritte, am 26. Juni 1991 erfolgte Einfuhr angeht, waren nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 1347/91 in der Zeit vom 27. Mai bis 31. Dezember 1991 bei der Einfuhr der betreffenden Waren mit Ursprung in Jugoslawien in die Gemeinschaft wieder Zölle zu erheben.

39 Infolge eines Irrtums der deutschen Zollstelle wurden bei diesen drei Einfuhren keine Zölle erhoben. Die deutsche Verwaltung hat die von der Klägerin bei der Einfuhr nicht angeforderten Zölle später erhoben. Aus den Akten ergibt sich, daß die Klägerin die Zölle noch nicht entrichtet hat.

40 Unter diesen Umständen ist der Antrag, von dieser Nacherhebung abzusehen, nach der Verordnung Nr. 1697/79, insbesondere Artikel 5 Absatz 2, zu beurteilen, der bestimmt: "Die zuständigen Behörden können von einer Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben absehen, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, sofern dieser Irrtum vom Abgabenschuldner [vernünftigerweise] nicht erkannt werden konnte und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat." Diese Verordnung legt nämlich gemäß Artikel 1 fest, unter welchen Voraussetzungen vom Abgabenschuldner noch nicht angeforderte Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für solche Waren nacherhoben werden können, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben einschließt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 12. November 1981 in den verbundenen Rechtssachen 212/80 bis 217/80, Salumi u. a., Slg. 1981, 2735, Randnr. 7). Ausserdem ergibt sich aus den der Kommission von der deutschen Behörde vorgelegten Akten, daß die Klägerin nach Erlaß der Zolländerungsbescheide in erster Linie beantragt hat, gemäß dem genannten Artikel 5 Absatz 2 von einer Nacherhebung abzusehen.

41 Die durch Artikel 251 der Verordnung Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) mit Wirkung vom 1. Januar 1994 aufgehobene Verordnung Nr. 1697/79 galt im maßgebenden Zeitraum, da die Einfuhren 1990 und 1991 stattfanden und die Änderungsbescheide 1992 ergingen.

42 Nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 können die zuständigen Zollbehörden von einer Nacherhebung von Eingangsabgaben absehen, wenn drei Voraussetzungen nebeneinander erfuellt sind: Die ursprüngliche Nichterhebung der Abgaben muß auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen sein, der Abgabenschuldner muß gutgläubig gehandelt haben, d. h. bei vernünftiger Betrachtungsweise ausserstande gewesen sein, den Irrtum der zuständigen Behörden zu erkennen, und er muß alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet haben (vgl. zuletzt Urteil des Gerichtshofes vom 4. Mai 1993 in der Rechtssache C-292/91, Weis, Slg. 1993, I-2219, Randnr. 14). Sind diese Voraussetzungen erfuellt, hat der Abgabenschuldner einen Anspruch darauf, daß von einer Nacherhebung abgesehen wird (vgl. Urteil Weis, a. a. O., Randnr. 15). Dagegen ist der Antrag auf Absehen von einer Nacherhebung bereits dann nicht begründet, wenn eine der drei Voraussetzungen fehlt.

43 Im vorliegenden Fall ist es zweckmässig, die Prüfung auf die zweite Voraussetzung zu konzentrieren, d. h. auf die Frage, ob der Wirtschaftsteilnehmer den Irrtum erkennen konnte. Hierfür sind alle Umstände des Einzelfalls konkret zu beurteilen unter Berücksichtigung insbesondere der Art des Irrtums, der Berufserfahrung des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers und der Sorgfalt, mit der er gehandelt hat (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 1. April 1993 in der Rechtssache C-250/91, Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-1819, Randnr. 28).

44 Was die Art des Irrtums angeht, der der deutschen Verwaltung unterlief, als sie die betreffenden Einfuhren entgegen der geltenden Regelung von den Zöllen befreite, so war diese Regelung einfach genug, um leicht verstanden zu werden. Aus den unzweideutigen Vorschriften der Verordnungen Nrn. 1280/90 und 1347/91 ergibt sich nämlich klar, daß die Zollsätze zum Zeitpunkt der betreffenden Einfuhren wieder anzuwenden waren.

45 Was die Berufserfahrung des Wirtschaftsteilnehmers angeht, so ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, sie sei, da sie nur gelegentlich Aluminiumstangen aus dem Ausland eingeführt habe, als unerfahrene Wirtschaftsteilnehmerin anzusehen, von der man vernünftigerweise nicht verlangen könne, daß sie über bessere Kenntnisse verfüge als die Zollverwaltung, geschweige denn, daß sie deren Maßnahmen kontrolliere.

46 Wie sich nämlich aus den Akten ergibt und von der Klägerin nicht bestritten wird, hat diese 1990 in elf Fällen und 1991 in acht Fällen Aluminiumstangen von jeweils nicht unerheblichem Wert eingeführt. Auch wenn die Tätigkeiten der Klägerin im wesentlichen nicht aus Einfuhr- und Ausfuhrgeschäften bestehen, hatte diese doch eine gewisse Erfahrung mit der Einfuhr der betreffenden Waren erworben, da sie ausweislich der Akten schon in der Vergangenheit Geschäfte dieser Art durchgeführt hatte, für die Zölle berechnet worden waren (vgl. Urteil Deutsche Fernsprecher, a. a. O., Randnr. 21).

47 Zu dem Vorbringen, man könne von einem Importeur nicht verlangen, daß er über umfangreichere Kenntnisse verfüge als die Zollbeamten, genügt der Hinweis, daß der Gerichtshof dieses Argument bereits zurückgewiesen hat, weil die Aufstellung eines solchen Grundsatzes dazu führen würde, daß eine Nacherhebung praktisch immer ausgeschlossen wäre, weil sich stets notwendigerweise ein zuständiger Beamter geirrt hat, der die Sach- und Rechtslage nicht voll durchschaute. Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 wäre gegenstandslos, da er unumgänglich voraussetzt, daß die Abgaben aufgrund eines Irrtums der zuständigen Behörden selbst nicht erhoben worden sind (vgl. Urteil Deutsche Fernsprecher, a. a. O., Randnr. 17).

48 Was schließlich die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers angeht, so hat es die Klägerin im vorliegenden Fall in Anbetracht der tatsächlichen Umstände an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen. Die Klägerin hat im schriftlichen Verfahren geltend gemacht, sie habe mit ihren jugoslawischen Geschäftspartnern vereinbart, daß etwaige Zollbeträge von diesen zu tragen seien. Insbesondere sollte die Zahlung des Kaufpreises vereinbarungsgemäß erst erfolgen, nachdem die Zollbehörden ihre Zollbescheide erlassen hätten, um den Kaufpreis gegebenenfalls um verauslagte Zölle kürzen zu können.

49 Aus der Antwort der Klägerin auf die schriftlichen Fragen des Gerichts ergibt sich aber, daß der Kaufpreis bei beiden Einfuhren im Jahr 1990 gezahlt wurde, bevor die Klägerin die Zollbescheide der Zollstelle erhalten hatte. Die erste Einfuhr erfolgte am 22. Mai 1990, und der Zollbescheid erging am 25. Mai 1990. Die Klägerin hat jedoch bereits am 17. Mai 1990 ° noch vor Einreichung der Zollanmeldung ° bezahlt. Die zweite Einfuhr erfolgte am 8. Juni 1990, und der Zollbescheid erging am 11. Juni 1990, während die Klägerin bereits am 8. Juni 1990 gezahlt hat. Folglich ist die Klägerin selbst ein finanzielles Risiko eingegangen, das nach den Vertragsbeziehungen, wie sie oben in Randnummer 3 beschrieben sind, nicht unerläßlich war. Daher kann sie nicht behaupten, sie sei in ihrem berechtigten Vertrauen auf die Gültigkeit dieser Zollbescheide enttäuscht worden, zumal Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 das berechtigte Vertrauen des Abgabenschuldners in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte schützen soll, die bei der Entscheidung darüber, ob Zölle nacherhoben werden oder nicht, Berücksichtigung finden (vgl. insoweit Urteil des Gerichtshofes vom 27. Juni 1991 in der Rechtssache C-348/89, Mecanarte, Slg. 1991, I-3277, Randnr. 19).

50 Wie zudem die Kommission zutreffend vorgetragen hat, hätte die Klägerin, wenn sie sichergehen wollte, keine Zölle nachzahlen zu müssen, die einschlägigen Vorschriften und Bekanntmachungen studieren müssen. Nach ständiger Rechtsprechung sind allein die betreffenden Gemeinschaftsvorschriften von ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt an das einschlägige positive Recht, auf dessen Unkenntnis sich niemand berufen kann (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-80/89, Behn Verpackungsbedarf, Slg. 1990, I-2659, Randnr. 13, und Urteil Binder, a. a. O., Randnr. 19). Der Irrtum hätte von einem aufmerksamen Wirtschaftsteilnehmer durch die Lektüre des Amtsblatts, in dem die genannten Verordnungen einige Tage vor den betreffenden Einfuhren veröffentlicht worden waren, erkannt werden können (vgl. Urteil Binder, a. a. O., Randnr. 20). Entgegen der Ansicht der Klägerin gilt diese Rechtsprechung nicht nur für gewerbliche Wirtschaftsteilnehmer, die im wesentlichen Import- und Exportgeschäfte tätigen.

51 Aus alledem ergibt sich, daß die Irrtümer der deutschen Verwaltung bezueglich der Zollfreistellung vernünftigerweise von der Klägerin im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erkannt werden konnten. Da der Abgabenschuldner nur dann Anspruch auf Absehen von einer Nacherhebung von Zöllen hat, wenn sämtliche Voraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erfuellt sind, ist somit festzustellen, daß die Ablehnung eines Antrags auf Absehen von der Nacherhebung der betreffenden Zölle gerechtfertigt gewesen wäre, wenn die deutschen Stellen bei der Kommission beantragt hätten, über einen Abgabenerlaß nach diesem Artikel 5 Absatz 2 statt nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 zu entscheiden (siehe oben, Randnr. 10).

52 Da nach der Rechtsprechung die Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 der offensichtlichen Fahrlässigkeit oder der betrügerischen Absicht im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 entspricht (vgl. Urteil Hewlett Packard France, a. a. O., Randnr. 46), ist der vorliegende Klagegrund als nicht begründet zurückzuweisen, denn die Klägerin hat somit jedenfalls keinen Beweis dafür erbracht, daß eine offensichtliche Fahrlässigkeit im Sinne des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 gefehlt hat.

53 Da die Kommission die Begründetheit des vorliegenden Antrags nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 und nicht nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 geprüft hat (siehe oben, Randnr. 40), ist nunmehr zu prüfen, welche Folgerungen gegebenenfalls aus diesem Umstand zu ziehen sind, auch wenn die Klägerin insoweit keinen Klagegrund vorgebracht hat.

54 Die Anwendung des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 hängt nach dessen Wortlaut von zwei nebeneinander zu erfuellenden Voraussetzungen ab, nämlich dem Vorliegen besonderer Umstände sowie dem Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit oder betrügerischer Absicht, so daß der Erlaß der Abgaben bereits dann zu versagen ist, wenn eine der beiden Voraussetzungen fehlt (vgl. insoweit Urteil Kavallas u. a./Kommission, a. a. O.). In der streitigen Entscheidung vertrat die Kommission die Ansicht, der Antrag sei nicht begründet, weil die Wiedererhebung der Zollsätze im Amtsblatt veröffentlicht worden sei und das Amtsblatt jedem Abgabenschuldner entgegengehalten werden könne; auf Unkenntnis der dort veröffentlichen Vorschriften könne sich niemand berufen. Die Kommission war somit im Kern der Ansicht, die Klägerin habe nicht dargelegt, daß sie nicht offensichtlich fahrlässig im Sinne des Artikels 13 gehandelt habe.

55 Zwar hätte die Kommission den Antrag der Klägerin nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 beurteilen müssen (siehe oben, Randnr. 40); Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 und Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 verfolgen jedoch den gleichen Zweck, nämlich die Nachzahlung von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben auf die Fälle zu beschränken, in denen sie gerechtfertigt und mit einem so wesentlichen Grundsatz wie dem des Vertrauensschutzes vereinbar ist. Daraus folgt, wie bereits oben in Randnummer 52 festgestellt wurde, daß die Erkennbarkeit des Irrtums im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 der offensichtlichen Fahrlässigkeit oder der betrügerischen Absicht im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 entspricht. Die Kommission hat zwar den vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft nach Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 beurteilt, doch handelt es sich insoweit um einen rein formalen Fehler, der unter den konkreten Umständen des Einzelfalls tatsächlich keinen entscheidenden Einfluß darauf gehabt hat, wie sie den ihr unterbreiteten Fall im Ergebnis beurteilt hat. Daher ist die angefochtene Entscheidung nicht deshalb aufzuheben, weil sich die Kommission auf eine unzutreffende Rechtsgrundlage gestützt hat.

56 Unter diesen Umständen und in Anbetracht dessen, daß der in der Befreiung der betreffenden Einfuhren von den Zöllen liegende Irrtum vernünftigerweise von der Klägerin im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1697/79 erkannt werden konnte, hat die Kommission den Antrag auf Erlaß einer Nacherhebung der Zölle mit der streitigen Entscheidung zu Recht abgelehnt.

57 Der vorliegende Klageantrag ist somit als unbegründet zurückzuweisen. Folglich ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kostenentscheidung


Kosten

58 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen, soweit sie auf die Erteilung von Anweisungen an die Kommission gerichtet ist.

2. Im übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

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