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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62022CJ0294

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 5. Oktober 2023.
Office français de protection des réfugiés et apatrides gegen SW.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2011/95/EU – Art. 12 – Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling – Beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierte Person – Voraussetzungen dafür, dass diese Person ipso facto den Schutz der Richtlinie 2011/95 genießt – Wegfall des Schutzes oder des Beistands des UNRWA – Mangelnde medizinische Versorgung – Voraussetzungen.
Rechtssache C-294/22.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2023:733

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

5. Oktober 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und subsidiärer Schutz – Richtlinie 2011/95/EU – Art. 12 – Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling – Beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierte Person – Voraussetzungen dafür, dass diese Person ipso facto den Schutz der Richtlinie 2011/95 genießt – Wegfall des Schutzes oder des Beistands des UNRWA – Mangelnde medizinische Versorgung – Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑294/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 22. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Mai 2022, in dem Verfahren

Office français de protection des réfugiés et apatrides

gegen

SW

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin), der Richter J.‑C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von SW, vertreten durch P. Spinosi, Avocat,

der französischen Regierung, vertreten durch J.‑L. Carré und J. Illouz als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Mai 2023

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SW und dem Office français de protection des réfugiés et apatrides (Französisches Amt für den Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen, im Folgenden: OFPRA) wegen dessen Ablehnung des Antrags von SW auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder, hilfsweise, auf subsidiären Schutz.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Genfer Flüchtlingskonvention

3

Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, Nr. 2545 [1954], S. 150) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt und geändert durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention).

4

Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention lautet:

„Dieses Abkommen findet keine Anwendung auf Personen, die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge [(UNHCR)] genießen.

Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Personen endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.“

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA)

5

Mit der Resolution Nr. 302 (IV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. Dezember 1949 über die Hilfe für Palästinaflüchtlinge wurde das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East [UNRWA]) errichtet.

6

Das Einsatzgebiet des UNRWA umfasst die fünf Operationsgebiete Gazastreifen, Westjordanland, Jordanien, Libanon und Syrien.

7

In der Resolution Nr. 74/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2019 über die Hilfe für Palästinaflüchtlinge (im Folgenden: Resolution Nr. 74/83), die bei Erlass des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bescheids des Generaldirektors des OFPRA galt, heißt es:

„Die Generalversammlung,

in Anerkennung der unverzichtbaren Rolle, die das [UNRWA] in den mehr als 65 Jahren seines Bestehens übernommen hat, um die Not der Palästinaflüchtlinge durch die Bereitstellung von Bildungs‑, Gesundheits‑, Hilfs- und Sozialdiensten und die laufende Arbeit auf den Gebieten Lagerinfrastruktur, Mikrofinanzierung, Schutz und Nothilfe zu lindern,

sowie Kenntnis nehmend von dem Bericht des Generalkommissars vom 31. Mai 2019, vorgelegt gemäß Ziffer 57 des Berichts des Generalsekretärs, und mit dem Ausdruck ihrer Besorgnis über die schwere Finanzkrise des [UNRWA] und die nachteiligen Auswirkungen auf die weitere Durchführung der Kernprogramme für die Palästinaflüchtlinge in allen Einsatzgebieten,

mit dem Ausdruck ihrer ernsten Besorgnis über die besonders schwierige Lage der unter der Besatzung lebenden Palästinaflüchtlinge, namentlich im Hinblick auf ihre Sicherheit, ihr Wohlergehen und ihre sozioökonomischen Lebensbedingungen,

1. stellt mit Bedauern fest, dass die in Ziffer 11 der Resolution 194 (III) der Generalversammlung vorgesehene Repatriierung beziehungsweise Entschädigung der Flüchtlinge noch nicht stattgefunden hat und dass daher die Situation der Palästinaflüchtlinge auch weiterhin zu ernster Besorgnis Anlass gibt und die Palästinaflüchtlinge zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse auf den Gebieten Gesundheit, Bildung und Sicherung des Lebensunterhalts nach wie vor Hilfe benötigen;

3. bekräftigt, dass die Arbeit des [UNRWA] fortgesetzt werden muss und dass sein ungehinderter Betrieb und seine Erbringung von Diensten, einschließlich Nothilfe, für das Wohlergehen, den Schutz und die menschliche Entwicklung der Palästinaflüchtlinge und für die Stabilität der Region wichtig sind, solange es keine gerechte Lösung der Frage der Palästinaflüchtlinge gibt;

7. beschließt unbeschadet der Bestimmungen in Ziffer 11 der Resolution 194 (III) der Generalversammlung, das Mandat des [UNRWA] bis zum 30. Juni 2023 zu verlängern.“

8

Mit der Resolution Nr. 77/123 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 2022 wurde das Mandat des UNRWA bis zum 30. Juni 2026 verlängert.

Unionsrecht

9

In den Erwägungsgründen 15 und 35 der Richtlinie 2011/95 wird ausgeführt:

„(15)

Diejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, fallen nicht unter diese Richtlinie.

(35)

Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre.“

10

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

d)

‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

…“

11

Art. 3 („Günstigere Normen“) der Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten können günstigere Normen zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind.“

12

Art. 4 („Prüfung der Tatsachen und Umstände“) Abs. 3 der Richtlinie 2011/95 sieht vor:

„Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a)

alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b)

die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c)

die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

d)

die Frage, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung von internationalem Schutz erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit bewertet werden kann, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde;

e)

die Frage, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte.“

13

Art. 6 („Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann“) der Richtlinie 2011/95 lautet:

„Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von

a)

dem Staat;

b)

Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen;

c)

nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.“

14

Art. 12 („Ausschluss“) Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er

a)

den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;

b)

von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

15

SW, ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, wurde 1976 im Libanon geboren. Dort lebte er, bis er den Libanon im Februar 2019 verließ. Am 11. August 2019 traf er in Frankreich ein. Aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte geht hervor, dass SW an einer angeborenen schweren genetischen Krankheit leidet, die einer Behandlung bedarf, zu der ihm das UNRWA mangels finanzieller Mittel nicht verhelfen konnte.

16

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2019 lehnte der Generaldirektor des OFPRA den Antrag von SW auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder, hilfsweise, auf subsidiären Schutz ab.

17

Mit Entscheidung vom 9. Dezember 2020 hob die Cour nationale du droit d’asile (Nationales Gericht für Asylsachen, Frankreich) diesen Bescheid auf und erkannte SW die Flüchtlingseigenschaft zu.

18

Das OFPRA legte gegen diese Entscheidung Kassationsbeschwerde beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) ein.

19

Es rügt mehrere Rechtsfehler der Cour nationale du droit d’asile (Nationales Gericht für Asylsachen). Zunächst habe diese nicht untersucht, ob SW aufgrund von Bedrohungen für seine Sicherheit gezwungen gewesen sei, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen. Sodann habe sie zu Unrecht entschieden, dass der Umstand, dass das UNRWA nicht in der Lage gewesen sei, eine dem Gesundheitszustand eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft entsprechende tertiäre Gesundheitsversorgung zu finanzieren, einen Grund für den Wegfall des effektiven Schutzes durch diese Organisation darstelle, der es diesem Staatenlosen ermögliche, sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention zu berufen. Schließlich habe sie zu Unrecht entschieden, dass davon ausgegangen werden müsse, dass das UNRWA seiner Aufgabe, Beistand zu leisten, nicht nachkommen könne. Die Deckung der Tertiärversorgung gehöre nicht zu dieser Aufgabe, und es sei nicht nachgewiesen worden, dass SW im Libanon keine angemessene Behandlung habe erhalten können.

20

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Einsatz des UNRWA nach dem Wortlaut der Resolution Nr. 74/83 „für das Wohlergehen, den Schutz und die menschliche Entwicklung der Palästinaflüchtlinge“ und „zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse auf den Gebieten Gesundheit, Bildung und Sicherung des Lebensunterhalts“ erfolge. Daher finde die Genfer Flüchtlingskonvention nach ihrem Art. 1 Abschnitt D auf einen Staatenlosen palästinensischer Herkunft keine Anwendung, solange er tatsächlich den so definierten Beistand oder Schutz des UNRWA genieße.

21

In seinem Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a. (C‑364/11, EU:C:2012:826), habe der Gerichtshof entschieden, dass der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 inhaltsgleich übernommene Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12) dahin auszulegen sei, dass sich der Wegfall des Schutzes oder des Beistands einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des HCR „aus irgendeinem Grund“ auch auf die Situation einer Person beziehe, der, nachdem sie diesen Schutz oder Beistand tatsächlich in Anspruch genommen gehabt habe, dieser aus einem von ihr nicht zu kontrollierenden und von ihrem Willen unabhängigen Grund nicht länger gewährt werde. Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden des für die Prüfung des von einer solchen Person gestellten Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, auf der Grundlage einer individuellen Prüfung des Antrags zu untersuchen, ob diese Person gezwungen gewesen sei, das Einsatzgebiet dieser Organisation oder dieser Institution zu verlassen, was dann der Fall sei, wenn sie sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden habe und es der betreffenden Organisation oder Institution unmöglich gewesen sei, ihr in diesem Gebiet Lebensbedingungen zu gewährleisten, die mit der dieser Organisation oder dieser Institution obliegenden Aufgabe im Einklang stünden.

22

Im vorliegenden Fall ergebe sich aus der Entscheidung der Cour nationale du droit d’asile (Nationales Gericht für Asylsachen) vom 9. Dezember 2020, dass diese ihren Befund, wonach der Schutz oder Beistand des UNRWA gegenüber SW weggefallen sei und dieser daher gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 ipso facto die Flüchtlingseigenschaft beanspruchen könne, darauf gestützt habe, dass es dem UNRWA erwiesenermaßen nicht möglich gewesen sei, SW einen ausreichenden Zugang zu der für ihn überlebensnotwendigen Gesundheitsversorgung zu bieten und ihm so Lebensbedingungen zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA, Beistand zu leisten, in Einklang stünden, was dazu geführt habe, dass er in eine sehr unsichere persönliche Lage versetzt worden sei, aufgrund deren er gezwungen gewesen sei, den Libanon zu verlassen.

23

Vor diesem Hintergrund hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 – unabhängig von den Bestimmungen des nationalen Rechts, die unter bestimmten Voraussetzungen den Aufenthalt eines Ausländers aufgrund seines Gesundheitszustands erlauben und ihn gegebenenfalls vor einer Abschiebung schützen – dahin auszulegen, dass im Fall eines kranken palästinensischen Flüchtlings, der, nachdem er den Schutz oder Beistand des UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen hat, den Staat oder das Gebiet, der oder das zum Einsatzgebiet dieser Organisation gehört und in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, mit der Begründung verlässt, dass er dort keinen ausreichenden Zugang zu der aufgrund seines Gesundheitszustands erforderlichen Versorgung und Behandlung hat und dass dieser Mangel eine tatsächliche Gefahr für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit mit sich bringt, davon ausgegangen werden kann, dass seine persönliche Lage sehr unsicher ist und er sich in einer Situation befindet, in der es dem UNRWA unmöglich ist, für ihn Lebensbedingungen zu gewährleisten, die mit der dem UNRWA übertragenen Aufgabe im Einklang stehen?

2.

Falls dies bejaht wird, anhand welcher Kriterien – z. B. in Bezug auf die Schwere der Erkrankung oder die Art der erforderlichen Versorgung – lässt sich eine solche Situation ermitteln?

Zu den Vorlagefragen

24

Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, wenn diese Organisation einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft, dem dieser Schutz oder Beistand gilt, den Zugang zu der medizinischen Versorgung und Behandlung, die sein Gesundheitszustand erfordert, nicht gewährleisten kann.

25

Zur Beantwortung dieser Fragen ist festzustellen, dass nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95 ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, „wenn er … den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt“.

26

Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention bestimmt, dass diese keine Anwendung auf Personen findet, die „zurzeit“ den Schutz oder Beistand „einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen“.

27

Das UNRWA ist eine Organisation der Vereinten Nationen, die gegründet wurde, um Palästinenser in ihrer Eigenschaft als „Palästinaflüchtlinge“ zu schützen und ihnen beizustehen. Sein Mandat erstreckt sich auf ein Einsatzgebiet mit fünf Operationsgebieten, nämlich dem Gazastreifen, dem Westjordanland (einschließlich Ostjerusalems), Jordanien, dem Libanon und Syrien.

28

In Anbetracht der ihm übertragenen Aufgabe ist das UNRWA als eine andere Organisation der Vereinten Nationen als der UNHCR anzusehen, die Schutz oder Beistand im Sinne von Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention bietet.

29

Konkret hat jede Person, die wie SW beim UNRWA registriert ist, Anspruch auf den Schutz und Beistand dieser Organisation, damit ihrem Wohlergehen als Flüchtling gedient ist (Urteil vom 3. März 2022, Secretary of State for the Home Department [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft], C‑349/20, EU:C:2022:151, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Wegen dieses in den genannten Gebieten des Nahen Ostens eingeführten speziellen Flüchtlingsstatus für Palästinenser ist es nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95, der Art. 1 Abschnitt D Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, für die beim UNRWA registrierten Personen grundsätzlich ausgeschlossen, in der Union als Flüchtling anerkannt zu werden (Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft], C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Allerdings folgt aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95, der Art. 1 Abschnitt D Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, dass in dem Fall, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, dieser Betroffene ipso facto den Schutz der Richtlinie 2011/95 genießt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2022, Secretary of State for the Home Department [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft], C‑349/20, EU:C:2022:151, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Wie aus den wiederholten Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen hervorgeht, ist die Lage der Personen, denen das UNRWA Beistand leistet, bislang nicht endgültig geklärt worden.

33

Zum Begriff des Wegfalls des Schutzes oder Beistands des UNRWA im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 ist klarzustellen, dass diese Bestimmung Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 im Wesentlichen entspricht, so dass die Rechtsprechung zur letztgenannten Bestimmung für die Auslegung der erstgenannten Bestimmung relevant ist (Urteil vom 13. Januar 2021, Bundesrepublik Deutschland [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft], C‑507/19, EU:C:2021:3, Rn. 37).

34

Insoweit hat der Gerichtshof unter der Geltung der Richtlinie 2004/83 zwar klargestellt, dass mit dem bloßen Verlassen des UNRWA-Einsatzgebiets durch den Betroffenen – unabhängig von dem Grund dafür – der in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 dieser Richtlinie vorgesehene Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nicht enden kann und dass daher eine bloße Abwesenheit von diesem Gebiet oder die freiwillige Entscheidung, es zu verlassen, nicht als Wegfall des Beistands des UNRWA eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 55 und 59).

35

Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass – entgegen dem von der belgischen Regierung hier eingenommenen Standpunkt – der von einer Organisation oder einer Institution wie dem UNRWA geleistete Schutz oder Beistand nicht nur durch die Auflösung dieser Organisation oder Institution selbst wegfallen kann, sondern auch dadurch, dass es dieser Organisation oder Institution unmöglich ist, ihre Aufgabe zu erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a.,C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 56).

36

So kann, wenn die Entscheidung, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, durch Zwänge begründet ist, die vom Willen des Betroffenen unabhängig sind, eine solche Situation zu der Feststellung führen, dass der Beistand, den diese Person genossen hat, im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 nicht länger gewährt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 59).

37

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95, der namentlich die Fortdauer des Schutzes der palästinensischen Flüchtlinge als solche gewährleisten soll, indem diese, bis ihre Lage gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, tatsächlichen Schutz oder Beistand erhalten und nicht nur der Bestand einer mit der Gewährung dieses Beistands oder Schutzes betrauten Organisation oder Institution gesichert ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 60 und 62).

38

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass entgegen dem Vorbringen der belgischen und der französischen Regierung für die Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 nicht länger gewährt wird, weil eine internationalen Schutz beantragende Person gezwungen war, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, nicht nachgewiesen werden muss, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, die Absicht hatte, dieser Person durch Tun oder Unterlassen Schaden zuzufügen oder ihr den Beistand zu entziehen. Es genügt der Nachweis, dass der Beistand oder Schutz des UNRWA tatsächlich aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, so dass das UNRWA aus objektiven oder mit der persönlichen Situation der besagten Person zusammenhängenden Gründen nicht länger in der Lage ist, ihr die Lebensbedingungen zu gewährleisten, die mit seiner Aufgabe im Einklang stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2022, Secretary of State for the Home Department [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft], C‑349/20, EU:C:2022:151, Rn. 72).

39

Insoweit geht u. a. aus der Resolution Nr. 74/83 hervor, dass das UNRWA die Palästinaflüchtlinge in gesundheitlichen Angelegenheiten unterstützt, da diese Flüchtlinge, deren Lage, wie oben in Rn. 32 festgestellt, noch nicht endgültig geklärt worden ist, zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse auf dem Gebiet der Gesundheit nach wie vor Hilfe benötigen.

40

Daher gehört es zur Aufgabe des UNRWA, die Palästinaflüchtlinge hinsichtlich ihrer grundlegenden Bedürfnisse in gesundheitlichen Angelegenheiten zu unterstützen, so dass der Umstand, dass es dem UNRWA aus irgendeinem Grund nicht möglich ist, diese Unterstützung in gesundheitlichen Angelegenheiten zu gewährleisten, bedeutet, dass es den Beistand im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 nicht länger gewährt.

41

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 50, 61 und 62 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, besteht die Aufgabe des UNRWA auf dem Gebiet der Gesundheit darin, eine Versorgung sowie Arzneimittel bereitzustellen, die den grundlegenden Bedürfnissen der Personen, die den Beistand des UNRWA in Anspruch nehmen, entsprechen. Dabei spielt es keine Rolle, wie die zu diesem Zweck erforderlichen Behandlungen oder Arzneimittel geartet sind. Diese Aufgabe kann daher nicht von der operativen Kapazität des UNRWA, eine solche Versorgung und solche Arzneimittel bereitzustellen, abhängen.

42

Wie die Kommission ausgeführt hat, liefe nämlich die von der belgischen und der französischen Regierung vertretene Auslegung, wonach dann, wenn das UNRWA eine bestimmte Unterstützungsleistung nicht erbringe, davon auszugehen sei, dass eine solche Leistung nicht zu seiner Aufgabe gehöre, so dass die Nichterbringung nicht die Feststellung implizieren könne, dass der Beistand des UNRWA nicht länger gewährt werde, darauf hinaus, den Begriff der „Aufgabe“ des UNRWA allein auf die von ihm tatsächlich erbrachten Leistungen zu reduzieren, unter Ausschluss derjenigen, die zwar unter das Mandat des UNRWA fallen, aber namentlich aufgrund von Haushaltszwängen nicht erbracht werden. Diese Auslegung würde die Betroffenen der Gefahr aussetzen, in der Praxis in Anbetracht zum einen des Ausfalls des UNRWA und zum anderen ihres grundsätzlichen Ausschlusses von der Anerkennung als Flüchtling keinen wirksamen internationalen Schutz in Anspruch nehmen zu können.

43

Davon abgesehen kann die Unmöglichkeit, eine bestimmte Versorgung oder Behandlung bereitzustellen, für sich genommen nicht die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 nicht länger gewährt wird.

44

Nach der Rechtsprechung setzt die Feststellung, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird und die betroffene Person daher gezwungen ist, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, nämlich voraus, dass sich diese Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensbedingungen zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (Urteil vom 19. Dezember 2012, Abed El Karem El Kott u. a.,C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 63).

45

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zum einen, dass der Umstand, dass die vom UNRWA gewährleisteten Gesundheitsleistungen hinter denen zurückbleiben, die diese Person in Anspruch nehmen könnte, wenn sie in einem Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt würde, nicht für die Annahme ausreichen kann, dass sie gezwungen war, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen.

46

Zum anderen ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 80 und 81 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, bei einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft davon auszugehen, dass er gezwungen war, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, wenn für ihn aufgrund der Unmöglichkeit, seitens des UNRWA die für seinen Gesundheitszustand erforderliche Versorgung bereitgestellt zu bekommen, eine tatsächliche unmittelbare Lebensgefahr oder die tatsächliche Gefahr einer ernsten, raschen und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands oder einer erheblichen Verkürzung seiner Lebenserwartung besteht.

47

Es ist Sache des nationalen Gerichts, das Bestehen einer solchen Gefahr auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2022, Secretary of State for the Home Department [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft], C‑349/20, EU:C:2022:151, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA als nicht länger gewährt anzusehen ist, wenn diese Organisation einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft, dem dieser Schutz oder Beistand gilt, den Zugang zu der medizinischen Versorgung und Behandlung nicht gewährleisten kann, ohne die für ihn eine tatsächliche unmittelbare Lebensgefahr oder die tatsächliche Gefahr einer ernsten, raschen und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands oder einer erheblichen Verkürzung seiner Lebenserwartung besteht. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das Bestehen einer solchen Gefahr zu prüfen.

Kosten

49

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

 

ist dahin auszulegen, dass

 

der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) als nicht länger gewährt anzusehen ist, wenn diese Organisation einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft, dem dieser Schutz oder Beistand gilt, den Zugang zu der medizinischen Versorgung und Behandlung nicht gewährleisten kann, ohne die für ihn eine tatsächliche unmittelbare Lebensgefahr oder die tatsächliche Gefahr einer ernsten, raschen und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands oder einer erheblichen Verkürzung seiner Lebenserwartung besteht. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das Bestehen einer solchen Gefahr zu prüfen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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