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Dokument 62022CJ0501
Judgment of the Court (Fifth Chamber) of 29 June 2023.#Association interprofessionnelle des fruits et légumes frais (Interfel) v Ministre de l’Agriculture et de la Souveraineté alimentaire.#Requests for a preliminary ruling from the Conseil d'État.#Reference for a preliminary ruling – Agriculture and fisheries – Common organisation of the markets – Regulation (EU) No 1308/2013 – Article 164(1) and (4) – Marketing standards – Extension of an inter-trade agreement – Agreement providing for stricter rules than European Union rules.#Joined Cases C-501/22 to C-504/22.
Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 29. Juni 2023.
Association interprofessionnelle des fruits et légumes frais (Interfel) gegen Ministre de l’Agriculture et de la Souveraineté alimentaire.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État (Frankreich).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft und Fischerei – Gemeinsame Marktorganisation – Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 – Art. 164 Abs. 1 und 4 – Vermarktungsnormen – Ausdehnung einer Branchenvereinbarung – Vereinbarung, deren Vorschriften strenger sind als jene der Europäischen Union.
Verbundene Rechtssachen C-501/22 bis C-504/22.
Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 29. Juni 2023.
Association interprofessionnelle des fruits et légumes frais (Interfel) gegen Ministre de l’Agriculture et de la Souveraineté alimentaire.
Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d'État (Frankreich).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft und Fischerei – Gemeinsame Marktorganisation – Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 – Art. 164 Abs. 1 und 4 – Vermarktungsnormen – Ausdehnung einer Branchenvereinbarung – Vereinbarung, deren Vorschriften strenger sind als jene der Europäischen Union.
Verbundene Rechtssachen C-501/22 bis C-504/22.
Sammlung der Rechtsprechung – allgemein – Abschnitt „Informationen über nicht veröffentlichte Entscheidungen“
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2023:531
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
29. Juni 2023 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft und Fischerei – Gemeinsame Marktorganisation – Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 – Art. 164 Abs. 1 und 4 – Vermarktungsnormen – Ausdehnung einer Branchenvereinbarung – Vereinbarung, deren Vorschriften strenger sind als jene der Europäischen Union“
In den verbundenen Rechtssachen C‑501/22 bis C‑504/22
betreffend vier Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidungen vom 22. Juli 2022, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in den Verfahren
Association interprofessionnelle des fruits et légumes frais (Interfel)
gegen
Ministre de l’Agriculture et de la Souveraineté alimentaire
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
der Association interprofessionnelle des fruits und légumes frais (Interfel), vertreten durch A. Bouviala, P. Morrier, S. Pelet-Serra und A. Soualem, Avocats, |
– |
der französischen Regierung, vertreten durch G. Bain und J.‑L. Carré als Bevollmächtigte, |
– |
der griechischen Regierung, vertreten durch E. Leftheriotou, M. Tassopoulou und A.‑E. Vasilopoulou als Bevollmächtigte, |
– |
der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis und F. Le Bot als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssachen zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 164 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 671, und Berichtigung ABl. 2016, L 130, S. 18). |
2 |
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von vier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Association interprofessionnelle des fruits et légumes frais (Interfel) und dem Ministre de l’Agriculture et de la Souveraineté alimentaire (Minister für Landwirtschaft und Nahrungsmittelsouveränität, Frankreich, im Folgenden: Minister) wegen dessen Zurückweisung der von Interfel gestellten Anträge, die von ihr geschlossenen vier Branchenvereinbarungen auf ihr nicht angeschlossene Marktteilnehmer auszudehnen. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1234/2007
3 |
Art. 125a Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO) (ABl. 2007, L 299, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 361/2008 des Rates vom 14. April 2008 (ABl. 2008, L 121, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1234/2007) sah vor: „Die Satzung einer Erzeugerorganisation im Sektor Obst und Gemüse verpflichtet ihre Mitglieder insbesondere dazu,
…“ |
4 |
Art. 125f Abs. 1 der Verordnung Nr. 1234/2007 bestimmte: „Wird eine Erzeugerorganisation im Sektor Obst und Gemüse, die in einem bestimmten Wirtschaftsbezirk tätig ist, bei einem Erzeugnis als repräsentativ für die Erzeugung und die Erzeuger dieses Bezirks angesehen, so kann der betreffende Mitgliedstaat auf Antrag dieser Organisation für die in diesem Wirtschaftsbezirk niedergelassenen und der vorgenannten Organisation nicht angeschlossenen Erzeuger folgende Regeln verbindlich vorschreiben:
…“ |
5 |
Art. 125 l der Verordnung Nr. 1234/2007 bestimmte: „(1) Wird ein in einem Mitgliedstaat regional oder überregional tätiger Branchenverband als repräsentativ für die Erzeugung, Vermarktung oder Verarbeitung eines bestimmten Erzeugnisses angesehen, so kann der betreffende Mitgliedstaat auf Antrag dieses Branchenverbandes bestimmte Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen des Verbandes für verbandsfremde Einzelunternehmen oder Gruppierungen, die in derselben Region bzw. denselben Regionen tätig sind, befristet verbindlich vorschreiben. … (3) Die Regeln, deren Ausdehnung beantragt werden kann,
…
… (4) Die in Absatz 3 Buchstabe a [Ziffer] … iv … genannten Regeln dürfen nicht von den in Anhang XVIa aufgeführten Regeln abweichen. …“ |
6 |
Anhang XVIa („Vollständiges Verzeichnis der Regeln, die nach Artikel 125f und Artikel 125 l auf nicht angeschlossene Erzeuger ausgedehnt werden können“) Nr. 3 der Verordnung Nr. 1234/2007 lautete wie folgt: „3. Vermarktungsregeln
|
Verordnung Nr. 1308/2013
7 |
Die Verordnung Nr. 1308/2013 hat gemäß ihrem Art. 230 Abs. 1 die Verordnung Nr. 1234/2007 mit Wirkung zum 1. Januar 2014 aufgehoben. |
8 |
Die Erwägungsgründe 132 und 134 der Verordnung Nr. 1308/2013 lauten wie folgt:
…
|
9 |
Teil II („Binnenmarkt“) der Verordnung Nr. 1308/2013 enthält einen Titel II („Vorschriften für die Vermarktung und die Erzeugerorganisationen“). Kapitel I („Vermarktungsvorschriften“) dieses Titels enthält einen Abschnitt 1 („Vermarktungsnormen“), der einen Unterabschnitt 2 („Sektor- oder erzeugungsspezifische Vermarktungsnormen“) enthält, der u. a. die Art. 74 bis 76 der Verordnung umfasst. |
10 |
Art. 74 („Allgemeiner Grundsatz“) der Verordnung Nr. 1308/2013 bestimmt: „Die Erzeugnisse, für die in Einklang mit diesem Abschnitt Vermarktungsnormen für einzelne Sektoren oder Erzeugnisse festgelegt wurden, dürfen in der [Europäischen] Union nur vermarktet werden, wenn sie diesen Normen entsprechen.“ |
11 |
Art. 75 („Festlegung und Inhalt“) der Verordnung Nr. 1308/2013 sieht vor: „(1) Vermarktungsnormen können für einen oder mehrere der folgenden Sektoren und für ein oder mehrere Erzeugnisse gelten: …
… (3) [Die] Vermarktungsnormen gemäß Absatz 1 [können] sich auf eine oder mehrere der folgenden … Anforderungen beziehen …: …
…“ |
12 |
Art. 76 („Zusätzliche Anforderungen für die Vermarktung von Erzeugnissen des Sektors Obst und Gemüse“) der Verordnung Nr. 1308/2013 bestimmt: „(1) Zusätzlich zu den in Artikel 75 genannten geltenden Vermarktungsnormen dürfen gegebenenfalls Erzeugnisse des Sektors Obst und Gemüse, die frisch an den Verbraucher verkauft werden sollen, nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie in einwandfreiem Zustand, unverfälscht und von vermarktbarer Qualität sind und das Ursprungsland angegeben ist. (2) Die Vermarktungsnormen gemäß Absatz 1 und jegliche Vermarktungsnorm für den Sektor Obst und Gemüse, die in Einklang mit diesem Unterabschnitt festgelegt werden, gelten auf allen Stufen der Vermarktung, einschließlich Ein- und Ausfuhr, und können Güte- und Gewichtsklassen, die Kategorisierung, die Größensortierung, die Verpackung, die Lagerung, die Beförderung, die Aufmachung und die Vermarktung umfassen. (3) Der Besitzer von Erzeugnissen des Sektors Obst und Gemüse, für die Vermarktungsnormen gelten, darf diese Erzeugnisse in der Union nur dann feilhalten, anbieten, liefern oder anderweitig vermarkten, wenn sie diesen Normen entsprechen; er ist dafür verantwortlich, dass diese Normen erfüllt werden. (4) Um die ordnungsgemäße Anwendung der Anforderung des Absatzes 1 sicherzustellen und um bestimmten besonderen Situationen Rechnung zu tragen, wird der [Europäischen] Kommission die Befugnis übertragen, delegierte Rechtsakte gemäß Artikel 227 zu erlassen, in denen spezielle abweichende Regelungen von diesem Artikel festgelegt werden, die für seine ordnungsgemäße Anwendung unerlässlich sind.“ |
13 |
Titel II des Teils II der Verordnung Nr. 1308/2013 enthält ein Kapitel III („Erzeugerorganisationen und deren Vereinigungen und Branchenverbände“). Dieses Kapitel III enthält einen Abschnitt 3 („Ausdehnung der Vorschriften und obligatorische Beiträge“), zu dem Art. 164 („Ausdehnung der Vorschriften“) der Verordnung gehört, der wie folgt lautet: „(1) Wird eine anerkannte Erzeugerorganisation, eine anerkannte Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder ein anerkannter Branchenverband, die bzw. der in einem bestimmten Wirtschaftsbezirk oder ‑bezirken eines Mitgliedstaats tätig ist, als repräsentativ für die Erzeugung, Vermarktung oder Verarbeitung eines bestimmten Erzeugnisses angesehen, so kann der betreffende Mitgliedstaat auf Antrag dieser Organisation bestimmte Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen der Organisation für der Organisation oder Vereinigung nicht angehörende Einzelunternehmen oder Gruppierungen, die in diesem Wirtschaftsbezirk bzw. diesen Wirtschaftsbezirken tätig sind, befristet verbindlich vorschreiben. … (4) Die Vorschriften, deren Ausdehnung auf andere Marktteilnehmer gemäß Absatz 1 beantragt werden [kann], müssen sich auf eines der folgenden Ziele beziehen:
Diese Vorschriften dürfen sich nicht nachteilig auf die anderen Marktteilnehmer in dem betreffenden Mitgliedstaat oder der Union auswirken, keine der in Artikel 210 Absatz 4 aufgeführten Auswirkungen haben und nicht im Widerspruch zum geltenden Unionsrecht und nationalen Recht stehen. …“ |
14 |
Art. 210 („Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen anerkannter Branchenverbände“) Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 sieht vor: „Die Feststellung der Unvereinbarkeit mit Unionsrecht erfolgt, wenn die betreffenden Vereinbarungen, Beschlüsse bzw. aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen
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15 |
Nach Art. 230 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1308/2013 gelten Verweise auf die Verordnung Nr. 1234/2007 als Verweise u. a. auf die Verordnung Nr. 1308/2013 nach der Entsprechungstabelle in deren Anhang XIV. Aus dieser Entsprechungstabelle geht hervor, dass Art. 113 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1234/2007 Art. 75 Abs. 1 Buchst. a bis e und Abs. 2 der Verordnung Nr. 1308/2013 entspricht und dass Art. 113a Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1234/2007 Art. 76 der Verordnung Nr. 1308/2013 entspricht. Nach der Entsprechungstabelle entsprechen die Art. 125f und 125l der Verordnung Nr. 1234/2007 Art. 164 der Verordnung Nr. 1308/2013. |
Durchführungsverordnung Nr. 543/2011
16 |
Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 der Kommission vom 7. Juni 2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates für die Sektoren Obst und Gemüse und Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABl. 2011, L 157, S. 1) in der durch die Delegierte Verordnung (EU) 2019/428 der Kommission vom 12. Juli 2018 (ABl. 2019, L 75, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung Nr. 543/2011) sieht in Art. 3 Abs. 1 und 2 vor: „(1) Die Anforderungen von Artikel 113a Absatz 1 der [Verordnung Nr. 1234/2007] gelten als die allgemeine Vermarktungsnorm. Die Einzelheiten der allgemeinen Vermarktungsnorm sind in Anhang I Teil A der vorliegenden Verordnung aufgeführt. Obst und Gemüse, für das keine spezielle Vermarktungsnorm gilt, muss der allgemeinen Vermarktungsnorm entsprechen. Kann der Besitzer jedoch nachweisen, dass das Erzeugnis einer von der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) festgelegten Norm entspricht, so gilt es als der allgemeinen Vermarktungsnorm entsprechend. (2) Die speziellen Vermarktungsnormen gemäß Artikel 113 Absatz 1 Buchstabe b der [Verordnung Nr. 1234/2007] sind für folgende Erzeugnisse in Anhang I Teil B der vorliegenden Verordnung aufgeführt:
…
…
…“ |
17 |
Teil A des Anhangs I dieser Durchführungsverordnung trägt die Überschrift „Allgemeine Vermarktungsnorm“ und enthält Abschnitte über „Mindestqualität“, „Mindestreifeanforderungen“, „Toleranzen“ und „Angabe des Erzeugnisursprungs“. |
18 |
Teil B („Spezielle Vermarktungsnormen“) des Anhangs I enthält einen Teil 1 („Vermarktungsnorm für Äpfel“), in dessen Abschnitt III („Bestimmungen betreffend die Größensortierung“) es heißt: „Die Größe wird nach dem größten Querdurchmesser oder nach dem Gewicht bestimmt. … Um Gleichmäßigkeit hinsichtlich der Größe zu gewährleisten, darf der Größenunterschied zwischen Erzeugnissen eines Packstücks folgende Grenzen nicht überschreiten:
Für Früchte der Klasse II, die in Verkaufspackungen oder lose im Packstück verpackt sind, ist Gleichmäßigkeit hinsichtlich der Größe nicht vorgeschrieben. Sorten von Miniäpfeln, die in der Anlage zu dieser Norm mit ‚M‘ gekennzeichnet sind, sind von der Einhaltung der Größenkriterien befreit. Diese Minisorten müssen einen Brix-Wert[, berechnet wie in der Broschüre über objektive Testmethoden der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschrieben,] von mindestens 12° Brix aufweisen.“ |
19 |
Teil B des Anhangs I enthält auch einen Teil 3 („Vermarktungsnorm für Kiwis“), dessen Abschnitt II B („Mindestreifeanforderungen“) vorsieht: „Die Kiwis müssen genügend entwickelt sein und einen ausreichenden Reifegrad aufweisen. Um dieser Bestimmung zu genügen, müssen die Früchte zum Zeitpunkt der Verpackung einen Reifegrad von mindestens 6,2° Brix [berechnet wie in der OECD-Broschüre über objektive Testmethoden beschrieben] oder einen Trockenmassegehalt von durchschnittlich 15 % aufweisen, um am Beginn der Vertriebskette 9,5° Brix[, berechnet wie in der OECD-Broschüre über objektive Testmethoden beschrieben,] zu erreichen.“ |
20 |
Dieser Teil B enthält auch einen Teil 5 („Vermarktungsnorm für Pfirsiche und Nektarinen“), dessen Punkt III („Bestimmungen betreffend die Größensortierung“) bestimmt: „… Die Mindestgröße beträgt:
Früchte unter 56 mm oder 85 g werden in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Oktober (nördliche Hemisphäre) bzw. vom 1. Januar bis 30. April (südliche Hemisphäre) nicht vermarktet. …“ |
Völkerrecht
21 |
Die UNECE wurde 1947 durch die Resolution 36 (IV) des Wirtschafts- und Sozialrates (Ecosoc) vom 28. März 1947 gegründet. Sie vereint derzeit 56 Staaten aus Europa (einschließlich aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union), der Gemeinschaft unabhängiger Staaten und Nordamerika. Da die Union nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, ist sie auch nicht Mitglied der UNECE. Sie hat bei der UNECE aber Beobachterstatus. |
22 |
Die UNECE umfasst die Arbeitsgruppe für landwirtschaftliche Qualitätsnormen, die die UNECE‑Norm FFV‑15 für die Vermarktung und Qualitätskontrolle von Gurken verabschiedet hat. Diese Norm sieht in ihrer auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung der Ausgabe von 2017 in Abschnitt III („Bestimmungen betreffend die Größensortierung“) vor: „Die Größe wird entweder nach dem Gewicht oder aus einer Kombination von Durchmesser und Länge bestimmt. Gleichmäßigkeit hinsichtlich der Größe ist für die Klassen Extra und I zwingend vorgeschrieben. Um die Gleichmäßigkeit in der Größe zwischen den Erzeugnissen eines Packstücks zu gewährleisten, kann eine der folgenden zwei Möglichkeiten gewählt werden:
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Französisches Recht
23 |
Art. L. 632-2-1 Abs. 2 des Code rural et de la pêche maritime (im Folgenden: Gesetzbuch für Landwirtschaft und Seefischerei) bestimmt: „[Branchenverbände] können im Rahmen von Branchenvereinbarungen Standardverträge festlegen, für die sie bei der Verwaltungsbehörde eine Ausdehnung beantragen können und die Musterentwürfe … sowie Klauseln über Mengenregulierungsmaßnahmen zur Anpassung des Angebots an die Nachfrage enthalten. …“ |
24 |
Art. L. 632-3 des Gesetzbuchs für Landwirtschaft und Seefischerei lautet: „Die im Rahmen eines anerkannten Branchenverbands geschlossenen Vereinbarungen können von der zuständigen Verwaltungsbehörde für eine bestimmte Dauer ganz oder teilweise ausgedehnt werden, sofern diese Vereinbarungen gemeinsame Tätigkeiten oder Tätigkeiten zur Verfolgung eines gemeinsamen Interesses vorsehen, die dem Allgemeininteresse entsprechen und mit dem Unionsrecht vereinbar sind.“ |
25 |
In Art. L. 632-4 des Gesetzbuchs für Landwirtschaft und Seefischerei heißt es: „… Die Ausdehnung der [im Rahmen eines anerkannten Branchenverbands geschlossenen] Vereinbarungen setzt auch voraus, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, die in dem für diese Vereinbarungen geltenden Unionsrecht vorgesehen sind. … Wird die Ausdehnung beschlossen, sind die derart vorgesehenen Maßnahmen für alle Angehörigen der Berufe dieses Branchenverbands verbindlich. …“ |
Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen
Rechtssache C‑501/22
26 |
Interfel ist ein auf der Grundlage von Art. L. 632-1 des Gesetzbuchs für Landwirtschaft und Seefischerei anerkannter landwirtschaftlicher Branchenverband. Am 10. Juni 2020 schloss sie für die Wirtschaftsjahre 2021 bis 2023 eine als „Pfirsich-Nektarine-Größensortierung“ bezeichnete Branchenvereinbarung (im Folgenden: Pfirsich-Nektarine-Vereinbarung) ab, die u. a. ein Verbot der Vermarktung von Pfirsichen oder Nektarinen kleiner Größe (Größe D) während des gesamten betreffenden Vermarktungszeitraums vorsieht. Sie beantragte beim Minister, diese Branchenvereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und begründete diesen Antrag mit dem Bestreben, die Qualität des an die Verbraucher verkauften Obstes sicherzustellen. |
27 |
Mit Entscheidung vom 7. September 2020 lehnte der Minister diesen Antrag ab. Interfel hat beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung erhoben. |
28 |
Der Conseil d’État (Staatsrat) weist darauf hin, dass die Pfirsich-Nektarine-Vereinbarung vorsehe, dass für in Frankreich erzeugte Pfirsiche und Nektarinen, die zum Vertrieb auf dem französischen Markt und zur Ausfuhr bestimmt seien, auf allen Vermarktungsstufen und während des gesamten betreffenden Wirtschaftsjahres eine Mindestgröße von 56 mm bzw. 85 g gelte. Diese Bestimmungen seien jedoch strenger als die in Anhang I Teil B Teil 5 Nr. III der Durchführungsverordnung Nr. 543/2011. |
29 |
Ferner habe Interfel u. a. geltend gemacht, dass der Minister es nicht in rechtmäßiger Weise habe ablehnen können, die Pfirsich-Nektarine-Vereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen. Die Prüfung dieses Vorbringens erfordere eine Beantwortung der Frage, ob Art. 164 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen sei, dass er es gestatte, auf andere Marktteilnehmer Branchenvereinbarungen auszudehnen, die strengere Vorschriften als jene in der Union vorsähen, und zwar nicht nur in Bezug auf „Produktionsvorschriften“ im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. b, sondern auch in Bezug auf alle Vorschriften, die eines oder mehrere der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n genannten Ziele beträfen, und insbesondere der Frage, ob diese Bestimmung es gestatte, für Obst oder Gemüse einer bestimmten Kategorie Vermarktungsvorschriften, die strenger als die durch die Unionsregelung vorgesehenen seien, in Form einer Branchenvereinbarung zu erlassen und auf alle Marktteilnehmer auszudehnen. |
30 |
Unter diesen Voraussetzungen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Ist Art. 164 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen, dass er die Ausdehnung von Branchenvereinbarungen, die strengere Vorschriften als die Unionsregelung vorsehen, nicht nur im Bereich der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. b genannten „Produktionsvorschriften“ zulässt, sondern auch in allen unter Abs. 4 Buchst. a sowie unter Abs. 4 Buchst. c bis n genannten Bereichen, für die die genannte Bestimmung vorsieht, dass die Ausdehnung einer Branchenvereinbarung beantragt werden kann, und lässt dieser Artikel insbesondere, obwohl die Unionsregelung Vermarktungsvorschriften für eine bestimmte Kategorie von Obst oder Gemüse vorsieht, den Erlass von strengeren Vorschriften in Form einer Branchenvereinbarung und deren Ausdehnung auf alle Marktteilnehmer zu? |
Rechtssache C‑502/22
31 |
Am 10. Juni 2020 schloss Interfel für die Wirtschaftsjahre 2021 bis 2023 eine als „Gurken des langen oder holländischen Typs“ bezeichnete Branchenvereinbarung (im Folgenden: Gurken-Vereinbarung) ab. Sie beantragte beim Minister, diese Branchenvereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und begründete diesen Antrag mit dem Bestreben, die Qualität der an die Verbraucher verkauften Gurken sicherzustellen. |
32 |
Mit Entscheidung vom 7. September 2020 lehnte der Minister diesen Antrag ab. Interfel hat beim Conseil d’État (Staatsrat) Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung erhoben. |
33 |
Der Conseil d’État (Staatsrat) weist darauf hin, dass die Gurken-Vereinbarung vorsehe, dass für im metropolitanen Frankreich erzeugte Gurken die Größe der im französischen Mutterland hergestellten und in der Kategorie Extra oder I verkauften Gurken ausschließlich nach dem Gewicht und unter Ausschluss jeder Größensortierung unter Einbeziehung von Durchmesser und Länge bestimmt werde, dass ihr Mindestgewicht 250 g betragen müsse und dass für Gurken der Klassen Extra oder I eine einheitliche Größensortierung vorgeschrieben werde, wobei eine Verkaufsverpackung nur Erzeugnisse enthalten dürfe, die der gleichen Kategorie der festgelegten Größenskala entsprächen. Diese Bestimmungen seien strenger als diejenigen, die sich zum einen aus der allgemeinen Vermarktungsnorm im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 543/2011, die keine Regel zur Größenbestimmung von Erzeugnissen erwähne, und zum anderen aus der UNECE‑Norm FFV‑15 für die Zertifizierung, Vermarktung und Qualitätskontrolle von Gurken ergäben. |
34 |
Ferner habe Interfel u. a. geltend gemacht, dass der Minister es nicht in rechtmäßiger Weise habe ablehnen können, die Gurken-Vereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen. Die Prüfung dieses Vorbringens erfordere eine Beantwortung der Frage, ob Art. 164 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen sei, dass er es zum einen gestatte, Branchenvereinbarungen, die strengere Vorschriften als jene in der Union vorsähen, auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und zwar nicht nur in Bezug auf „Produktionsvorschriften“, im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. b, sondern auch in Bezug auf alle Vorschriften, die eines oder mehrere der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n genannten Ziele beträfen, und dass er es zum anderen in Ermangelung spezifischer Unionsvorschriften für eine bestimmte Obst- oder Gemüsekategorie gestatte, solche Vereinbarungen, die strengere Vorschriften als die in den geltenden, von der UNECE erlassenen Normen enthaltenen vorsähen, auf andere Marktteilnehmer auszudehnen. |
35 |
Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Rechtssache C‑503/22
36 |
Am 10. Juni 2020 schloss Interfel für die Wirtschaftsjahre 2021 bis 2023 eine als „Apfel – Sortierung nach Gewicht“ bezeichnete Branchenvereinbarung (im Folgenden: Apfel-Vereinbarung) ab. Sie beantragte beim Minister, diese Branchenvereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und begründete diesen Antrag mit dem Bestreben, die Qualität des an die Verbraucher verkauften Obstes sicherzustellen. |
37 |
Mit Entscheidung vom 20. November 2020 lehnte der Minister diesen Antrag ab. Der Conseil d’État (Staatsrat) weist darauf hin, dass diese Entscheidung vom 20. November 2020 als Rücknahme der dem Ausdehnungsantrag von Interfel stattgebenden Entscheidung anzusehen sei, die in Ermangelung einer ausdrücklichen Entscheidung über den Ausdehnungsantrag nach Ablauf der vorgesehenen Bearbeitungsfrist, die bis zum 7. November 2020 verlängert worden sei, gemäß Art. L. 632-4 des Gesetzbuchs für Landwirtschaft und Seefischerei als ergangen gelte. Interfel hat beim Conseil d’État (Staatsrat) Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 20. November 2020 erhoben. |
38 |
Der Conseil d’État (Staatsrat) weist darauf hin, dass die Apfel-Vereinbarung zum einen ausschließlich eine Sortierung nach Gewicht vorsehe und damit die in Anhang I Teil B Teil 1 Nr. III der Durchführungsverordnung Nr. 543/2011 vorgesehene Sortierung nach dem Durchmesser ausschließe, und zum anderen bestimme, dass Äpfel der Klassen I und II, die in ein und demselben Packstück in Lagen gepackt oder gestapelt seien, einer der 14 Größenspannen, die von der Apfel-Vereinbarung festgelegt seien, entsprechen müssten, und Äpfel der Klasse I, die lose in einer Verkaufsverpackung verpackt seien, acht Größenspannen, die von der Apfel-Vereinbarung festgelegt seien, entsprechen müssten, wobei diese Größenspannen detaillierter seien als die in Anhang I Teil B Teil 1 Nr. III der Durchführungsverordnung Nr. 543/2011 vorgesehenen. |
39 |
Ferner habe Interfel u. a. geltend gemacht, dass der Minister seine Entscheidung, dem Antrag auf Ausdehnung der Apfel-Vereinbarung auf andere Marktteilnehmer stattzugeben, nicht in rechtmäßiger Weise habe zurücknehmen können. Die Prüfung dieses Vorbringens erfordere eine Beantwortung der Frage, ob Art. 164 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen sei, dass er es gestatte, Branchenvereinbarungen, die strengere Vorschriften als jene in der Union vorsähen, auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und zwar nicht nur in Bezug auf „Produktionsvorschriften“ im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. b, sondern auch in Bezug auf alle Vorschriften, die eines oder mehrere der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n genannten Ziele beträfen. Für den Fall, dass die Antwort auf diese Frage je nachdem anders ausfalle, ob es um die in Art. 164 Abs. 4 Buchst. d genannten „Vermarktungsvorschriften“ oder um die in Art. 164 Abs. 4 Buchst. k genannten „Mindestnormen für die Verpackung und Aufmachung“ gehe, möchte der Conseil d’État (Staatsrat) wissen, ob die Festlegung von Größenspannen zur Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der Erzeugnisse im selben Packstück unter diese Vorschriften oder diese Normen fällt. |
40 |
Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Rechtssache C‑504/22
41 |
Am 10. Juni 2020 schloss Interfel für die Wirtschaftsjahre 2021 bis 2023 eine als „Kiwi Hayward – Ernte- und Vermarktungszeitpunkt – Reife“ bezeichnete Branchenvereinbarung (im Folgenden: Kiwi-Vereinbarung) ab. Sie beantragte bei dem Minister, diese Branchenvereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und begründete diesen Antrag mit dem Bestreben, die Qualität des an die Verbraucher verkauften Obstes sicherzustellen. |
42 |
Mit Entscheidung vom 22. Oktober 2020 lehnte der Minister diesen Antrag ab. Interfel hat beim Conseil d’État (Staatsrat) Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung erhoben. |
43 |
Der Conseil d’État (Staatsrat) weist darauf hin, dass die in Frankreich erzeugten Kiwis der Kultivare Actinidia deliciosa der Sorte Hayward nicht vor dem 10. Oktober geerntet und nicht vor dem 6. November in Frankreich vermarktet werden dürften. Diese Bestimmungen seien strenger als die in Anhang I Teil B Teil 3 Abschnitt II B der Durchführungsverordnung Nr. 543/2011 vorgesehenen, die über die Mindestreifeanforderungen hinaus keine Bedingung in Bezug auf die Ernte- und Vermarktungszeitpunkte vorsähen. |
44 |
Ferner habe Interfel u. a. geltend gemacht, dass der Minister es nicht in rechtmäßiger Weise habe ablehnen können, die Kiwi-Vereinbarung auf andere Marktteilnehmer auszudehnen. Die Prüfung dieses Vorbringens erfordere eine Beantwortung der Frage, ob erstens Art. 164 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen sei, dass er es gestatte, Branchenvereinbarungen, die strengere Vorschriften als jene in der Union vorsähen, auf andere Marktteilnehmer auszudehnen, und zwar nicht nur in Bezug auf „Produktionsvorschriften“, im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. b, sondern auch in Bezug auf alle Vorschriften, die eines oder mehrere der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n genannten Ziele beträfen, und zweitens, ob die Festlegung von Erntezeitpunkten einerseits und Vermarktungszeitpunkten andererseits in den Anwendungsbereich der Vorschriften falle, die durch Branchenvereinbarungen festgelegt und gemäß Art. 164 der Verordnung Nr. 1308/2013 ausgedehnt werden könnten, und wenn ja, ob die Festlegung dieser Zeitpunkte unter die „Produktionsvorschriften“ im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. b oder – wie zuvor in Anhang XVIa der Verordnung Nr. 1234/2007 vorgesehen – unter die „Vermarktungsvorschriften“ falle. |
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Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. September 2022 sind die Rechtssachen C‑501/22 bis C‑504/22 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden. |
Zu den Vorlagefragen
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑504/22
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Mit seiner zweiten Frage in der Rechtssache C‑504/22, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 164 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass die Festlegung von Ernte- oder Vermarktungszeitpunkten eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses durch Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einer anerkannten Erzeugerorganisation, einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder eines anerkannten Branchenverbands unter diesen Artikel fällt. |
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Anhang XVIa Nr. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1234/2007 der vorgesehene Erntezeitpunkt und die Staffelung der Vermarktung im vollständigen Verzeichnis der Regeln als Vermarktungsregeln aufgeführt waren, die nach Art. 125f und Art. 125 l der Verordnung auf nicht angeschlossene Erzeuger eines Branchenverbands ausgedehnt werden konnten. Diese Artikel entsprechen nach Art. 230 der Verordnung Nr. 1308/2013 deren Art. 164. |
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Des Weiteren wurde Anhang XVIa der Verordnung Nr. 1234/2007 durch Art. 230 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1308/2013 aufgehoben. Art. 164 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 sieht vor, dass sich die Vorschriften, deren Ausdehnung auf andere Marktteilnehmer beantragt werden kann, auf eines der in diesem Absatz genannten Ziele beziehen müssen, zu denen die Vermarktung gehört. Die Verordnung Nr. 1308/2013 enthält jedoch keine Bestimmung, die Nr. 3 des Anhangs XVIa entspricht, der ein vollständiges Verzeichnis der Regeln enthält, die auf andere Marktbeteiligte ausgedehnt werden können. Daher ist anzunehmen, dass die Verordnung Nr. 1308/2013 die „Vermarktung“ im weiten Sinne betrifft. |
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Folglich wollte der Unionsgesetzgeber dadurch, dass er in der Verordnung Nr. 1308/2013 in Bezug auf die Vermarktungsvorschriften, die auf nicht angeschlossene Marktteilnehmer ausgedehnt werden können, kein vollständiges Verzeichnis angegeben hat, insoweit jedenfalls nicht die Tragweite von Art. 164 der Verordnung gegenüber der Tragweite der entsprechenden Bestimmungen der Verordnung Nr. 1234/2007, die er aufgehoben hat, beschränken. |
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Daher ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C‑504/22 zu antworten, dass Art. 164 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass die Festlegung von Ernte- oder Vermarktungszeitpunkten eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses durch Vereinbarung, Beschluss oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einer anerkannten Erzeugerorganisation, einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder eines anerkannten Branchenverbands unter diesen Artikel fällt. |
Zu den Fragen in den Rechtssachen C‑501/22 und C‑502/22 sowie zur jeweils ersten Frage in den Rechtssachen C‑503/22 und C‑504/22
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Mit seiner Frage in der Rechtssache C‑501/22, seinen Fragen in der Rechtssache C‑502/22 und der jeweils ersten Frage in den Rechtssachen C‑503/22 und C‑504/22, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 164 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat auf Antrag einer anerkannten Erzeugerorganisation, einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder eines anerkannten Branchenverbands, die bzw. der in einem bestimmten Wirtschaftsbezirk oder ‑bezirken dieses Mitgliedstaats tätig ist und als repräsentativ für die Erzeugung, Vermarktung oder Verarbeitung eines bestimmten Erzeugnisses angesehen wird, bestimmte Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen dieser Erzeugerorganisation, dieser Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder dieses Branchenverbands für ihr bzw. ihm nicht angehörende Marktteilnehmer, die in diesen Wirtschaftsbezirken tätig sind, verbindlich vorschreiben kann, wenn die mit diesen Vereinbarungen, Beschlüssen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vorgesehenen Vorschriften, die sich auf eines oder mehrere der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n aufgeführten Ziele beziehen, strenger sind als diejenigen, die im Unionsrecht oder in den von der UNECE festgelegten Normen vorgesehen sind. |
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Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Ferner ist nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung bei mehreren möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (Urteil vom 7. März 2018, Cristal Union, C‑31/17, EU:C:2018:168, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n der Verordnung Nr. 1308/2013 zwar im Unterschied zu dem von Art. 164 Abs. 4 Buchst. b der Verordnung keine „[strengeren Vorschriften] als jene in der Union oder nationale Vorschriften“ thematisiert, doch schließt Letzterer nicht ausdrücklich die Möglichkeit aus, strengere Vorschriften als jene in der Union auf andere Marktteilnehmer auszudehnen. |
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Zum Kontext, zu dem Art. 164 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 gehört, ist festzustellen, dass Art. 164, der zu Abschnitt 3 („Ausdehnung der Vorschriften und obligatorische Beiträge“) des Kapitels III der Verordnung gehört, eine Grundlage dafür bildet, um bestimmte, von einer anerkannten Erzeugerorganisation, einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder einem anerkannten Branchenverband erlassene Vorschriften auf Marktteilnehmer auszudehnen, die keine Mitglieder der betreffenden Organisation sind. Eine solche Ausdehnungsmöglichkeit ist unter Berücksichtigung von Art. 74 der Verordnung zu verstehen, wonach die Erzeugnisse, für die Vermarktungsnormen für einzelne Sektoren oder Erzeugnisse festgelegt wurden, in der Union nur vermarktet werden dürfen, wenn sie diesen Normen entsprechen. |
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Somit folgt aus Art. 74 der Verordnung Nr. 1308/2013, dass jeder Marktteilnehmer unabhängig davon, ob er Mitglied einer anerkannten Erzeugerorganisation, einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder eines anerkannten Branchenverbands ist, als Voraussetzung für die Vermarktung seiner Erzeugnisse die in den genannten Normen vorgesehenen Vorschriften zu beachten hat. |
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Demnach würde den Bestimmungen von Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n der Verordnung Nr. 1308/2013 die praktische Wirksamkeit genommen, wenn ein Mitgliedstaat Vorschriften, die durch eine der in Art. 164 Abs. 1 vorgesehenen Vereinbarungen festgelegt werden und über die Vorschriften hinausgehen, die bereits aufgrund der nach dem Unionsrecht anwendbaren Vermarktungsnormen gelten, nicht für verbindlich erklären könnte. |
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Diese Auslegung steht im Übrigen in Einklang mit den in den Erwägungsgründen 132 und 134 der Verordnung Nr. 1308/2013 genannten Zielen. Wie aus dem 132. Erwägungsgrund hervorgeht, können die Branchenverbände eine wichtige Rolle für den Dialog zwischen den Akteuren der Versorgungskette sowie die Förderung bewährter Verfahren und der Markttransparenz einnehmen. Wie aus dem 134. Erwägungsgrund hervorgeht, war der Unionsgesetzgeber der Ansicht, dass sich die bestehenden Bestimmungen in verschiedenen Sektoren, mit denen die Wirkung der Tätigkeit der Erzeugerorganisationen, ihrer Vereinigungen und der Branchenverbände dadurch verstärkt wird, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Vorschriften dieser Organisationen unter bestimmten Umständen auf Marktteilnehmer, die nicht Mitglieder sind, ausdehnen können, als wirksam erwiesen haben und harmonisiert, gestrafft und auf alle Sektoren ausgedehnt werden sollten. |
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 164 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1308/2013 eine solche Ausdehnung nicht zwingend ist, sondern eine bloße Befugnis für den betreffenden Mitgliedstaat darstellt, der die Zweckmäßigkeit dieser Ausdehnung in freier Würdigung beurteilt. |
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In Bezug auf die Ausübung dieser Befugnis sieht Art. 164 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1308/2013, um zu gewährleisten, dass eine solche Ausübung dazu beiträgt, die in Rn. 59 des vorliegenden Urteils genannten Ziele zu verwirklichen, jedoch vor, dass die Ausdehnung solcher Vorschriften auf Marktteilnehmer, die keine Mitglieder der Organisation oder Vereinigung sind, in deren Rahmen sie erlassen wurden, ausgeschlossen ist, wenn sie sich nachteilig auf die anderen Marktteilnehmer auswirken, wenn sie die in Art. 210 Abs. 4 der Verordnung aufgeführten Auswirkungen haben oder wenn sie im Widerspruch zum geltenden Unionsrecht und nationalen Recht stehen. |
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Ferner ist hinsichtlich der von der UNECE festgelegten Normen darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 543/2011 im Licht von Art. 76 der Verordnung Nr. 1308/2013 bestimmt, dass die Anforderungen der zuletzt genannten Bestimmung als allgemeine Vermarktungsnorm gelten, der Obst und Gemüse, für das keine spezielle Vermarktungsnorm gilt, entsprechen muss, jedoch gleichzeitig vorsieht, dass dann, wenn der Besitzer nachweisen kann, dass das Erzeugnis einer der Normen der UNECE entspricht, es als der allgemeinen Vermarktungsnorm entsprechend gilt. Folglich gelten die Ausführungen in den Rn. 55 bis 61 des vorliegenden Urteils entsprechend für die von der UNECE festgelegten Normen. |
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Nach alledem ist auf die Frage in der Rechtssache C‑501/22, auf die Fragen in der Rechtssache C‑502/22 sowie auf die jeweils erste Frage in den Rechtssachen C‑503/22 und C‑504/22 zu antworten, dass Art. 164 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1308/2013 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat auf Antrag einer anerkannten Erzeugerorganisation, einer anerkannten Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder eines anerkannten Branchenverbands, die bzw. der in einem bestimmten Wirtschaftsbezirk oder ‑bezirken dieses Mitgliedstaats tätig ist und als repräsentativ für die Erzeugung, Vermarktung oder Verarbeitung eines bestimmten Erzeugnisses angesehen wird, bestimmte Vereinbarungen, Beschlüsse oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen dieser Erzeugerorganisation, dieser Vereinigung von Erzeugerorganisationen oder dieses Branchenverbands für ihr bzw. ihm nicht angehörende Marktteilnehmer, die in diesen Wirtschaftsbezirken tätig sind, verbindlich vorschreiben kann, wenn die mit diesen Vereinbarungen, Beschlüssen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen vorgesehenen Vorschriften, die sich auf eines oder mehrere der in Art. 164 Abs. 4 Buchst. a und c bis n aufgeführten Ziele beziehen, strenger sind als diejenigen, die im Unionsrecht oder in den von der UNECE festgelegten Normen vorgesehen sind. |
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C‑503/22
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Die zweite Frage in der Rechtssache C‑503/22 ist nur für den Fall gestellt worden, dass die Antwort auf die erste Frage in dieser Rechtssache je nachdem verschieden ausfällt, ob „Vermarktungsvorschriften“ im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. c der Verordnung Nr. 1308/2013 oder „Mindestnormen für die Verpackung und Aufmachung“ im Sinne von Art. 164 Abs. 4 Buchst. k der Verordnung in Rede stehen. |
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Da dies hier nicht der Fall ist, braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden. |
Kosten
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Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.