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Dokument 62019CJ0927

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 7. September 2021.
„Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras“ UAB.
Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 58 Abs. 3 und 4 – Art. 60 Abs. 3 und 4 – Anhang XII – Durchführung der Vergabeverfahren – Auswahl der Teilnehmer – Eignungskriterien – Beweismittel – Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer – Möglichkeit für das federführende Unternehmen eines vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, sich auf Einkünfte aus einem früheren öffentlichen Auftrag zu berufen, der zu demselben Bereich wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende öffentliche Auftrag gehört, und zwar auch dann, wenn es die Tätigkeit, die zu dem von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag betroffenen Bereich gehört, nicht selbst ausübte – Technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer – Erschöpfender Charakter der nach der Richtlinie zulässigen Nachweise – Art. 57 Abs. 4 Buchst. h, Abs. 6 und 7 – Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge – Fakultative Gründe für den Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren – Aufnahme in eine Liste von Wirtschaftsteilnehmern, die von den Vergabeverfahren ausgeschlossen sind – Solidarität zwischen den Mitgliedern eines vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen – Höchstpersönliche Natur der Sanktion – Art. 21 – Schutz der Vertraulichkeit der einem öffentlichen Auftraggeber von einem Wirtschaftsteilnehmer übermittelten Informationen – Richtlinie (EU) 2016/943 – Art. 9 – Vertraulichkeit – Schutz von Geschäftsgeheimnissen – Anwendbarkeit auf die Vergabeverfahren – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 1 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf.
Rechtssache C-927/19.

Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2021:700

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

7. September 2021 ( *1 )

Inhaltsverzeichnis

 

Rechtlicher Rahmen

 

Unionsrecht

 

Richtlinie 2014/24

 

Richtlinie 89/665

 

Richtlinie 2016/943

 

Litauisches Recht

 

Vergabegesetz

 

Zivilprozessordnung der Republik Litauen

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

 

Zu den Vorlagefragen

 

Zur ersten Frage

 

Zur zweiten Frage

 

Zur dritten Frage

 

Zu den Fragen 4 bis 9

 

Vorbemerkungen

 

Zu den Fragen 5 bis 7

 

Zu den Fragen 4, 8 und 9

 

– Zum Umfang der Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, vertrauliche Informationen zu schützen, und zur Begründungspflicht

 

– Zum Umfang der Verpflichtung des zuständigen nationalen Gerichts, vertrauliche Informationen zu schützen

 

Zur zehnten Frage

 

Zur elften Frage

 

Kosten

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 58 Abs. 3 und 4 – Art. 60 Abs. 3 und 4 – Anhang XII – Durchführung der Vergabeverfahren – Auswahl der Teilnehmer – Eignungskriterien – Beweismittel – Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer – Möglichkeit für das federführende Unternehmen eines vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, sich auf Einkünfte aus einem früheren öffentlichen Auftrag zu berufen, der zu demselben Bereich wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende öffentliche Auftrag gehört, und zwar auch dann, wenn es die Tätigkeit, die zu dem von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auftrag betroffenen Bereich gehört, nicht selbst ausübte – Technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer – Erschöpfender Charakter der nach der Richtlinie zulässigen Nachweise – Art. 57 Abs. 4 Buchst. h, Abs. 6 und 7 – Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge – Fakultative Gründe für den Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren – Aufnahme in eine Liste von Wirtschaftsteilnehmern, die von den Vergabeverfahren ausgeschlossen sind – Solidarität zwischen den Mitgliedern eines vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen – Höchstpersönliche Natur der Sanktion – Art. 21 – Schutz der Vertraulichkeit der einem öffentlichen Auftraggeber von einem Wirtschaftsteilnehmer übermittelten Informationen – Richtlinie (EU) 2016/943 – Art. 9 – Vertraulichkeit – Schutz von Geschäftsgeheimnissen – Anwendbarkeit auf die Vergabeverfahren – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 1 – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf“

In der Rechtssache C‑927/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Dezember 2019, in dem Verfahren

„Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras“ UAB,

Beteiligte:

„Ecoservice Klaipėda“ UAB,

„Klaipėdos autobusų parkas“ UAB,

„Parsekas“ UAB,

„Klaipėdos transportas“ UAB,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten N. Piçarra und A. Kumin, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan, D. Šváby (Berichterstatter), S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter I. Jarukaitis und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der „Ecoservice Klaipėda“ UAB, vertreten durch J. Elzbergas und V. Mitrauskas, advokatai,

der „Klaipėdos autobusų parkas“ UAB, vertreten durch D. Soloveičik, advokatas,

der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und R. Butvydytė als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch und J. Schmoll als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, S. L. Kalėda und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 21 und 42, von Art. 57 Abs. 4 Buchst. h, von Art. 58 Abs. 3 und 4 sowie von Art. 70 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65), der Art. 1 und 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665) und von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (ABl. 2016, L 157, S. 1).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras“ UAB (Regionales Abfallbewirtschaftungszentrum der Region Klaipėda, Litauen) (im Folgenden: öffentliche Auftraggeberin) und der „Ecoservice Klaipėda“ UAB (im Folgenden: Ecoservice) über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für die Sammlung und Beförderung von Siedlungsabfällen an ein Konsortium von Wirtschaftsteilnehmern, bestehend aus der „Klaipėdos autobusų parkas“ UAB, der „Parsekas“ UAB und der „Klaipėdos transportas“ UAB (im Folgenden: Konsortium).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2014/24

3

Der 51. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 lautet:

„Es sollte klargestellt werden, dass die Bestimmungen zum Schutz vertraulicher Informationen in keiner Weise der Offenlegung der nicht vertraulichen Teile von abgeschlossenen Verträgen, einschließlich späterer Änderungen, entgegenstehen.“

4

Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

…“

5

Art. 21 („Vertraulichkeit“) der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Sofern in dieser Richtlinie oder im nationalen Recht, dem der öffentliche Auftraggeber unterliegt, insbesondere in den Rechtsvorschriften betreffend den Zugang zu Informationen, nichts anderes vorgesehen ist, und unbeschadet der Verpflichtungen zur Bekanntmachung vergebener Aufträge und der Unterrichtung der Bewerber und Bieter gemäß den Artikeln 50 und 55 gibt ein öffentlicher Auftraggeber keine ihm von den Wirtschaftsteilnehmern übermittelten und von diesen als vertraulich eingestuften Informationen weiter, wozu insbesondere technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote selbst gehören.

(2)   Öffentliche Auftraggeber können Wirtschaftsteilnehmern Anforderungen vorschreiben, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Verfügung stellen.“

6

In Art. 42 („Technische Spezifikationen“) der Richtlinie heißt es:

„(1)   Die technischen Spezifikationen im Sinne von Anhang VII Nummer 1 werden in den Auftragsunterlagen dargelegt. In den technischen Spezifikationen werden die für die Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen geforderten Merkmale beschrieben.

Diese Merkmale können sich auch auf den spezifischen Prozess oder die spezifische Methode zur Produktion beziehungsweise Erbringung der angeforderten Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen oder auf einen spezifischen Prozess eines anderen Lebenszyklus-Stadiums davon beziehen, auch wenn derartige Faktoren nicht materielle Bestandteile von ihnen sind, sofern sie in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen und zu dessen Wert und Zielen verhältnismäßig sind.

In den technischen Spezifikationen kann ferner angegeben werden, ob Rechte des geistigen Eigentums übertragen werden müssen.

(3)   Unbeschadet zwingender nationaler Vorschriften – soweit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sind – sind die technischen Spezifikationen auf eine der nachfolgend genannten Arten zu formulieren:

a)

in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, einschließlich Umweltmerkmalen, sofern die Parameter hinreichend genau sind, um den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand zu vermitteln und den öffentlichen Auftraggebern die Erteilung des Zuschlags zu ermöglichen;

b)

unter Bezugnahme auf technische Spezifikationen und – in dieser Rangfolge – nationale Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden, europäische technische Bewertungen, gemeinsame technische Spezifikationen, internationale Normen und andere technische Bezugssysteme, die von den europäischen Normungsgremien erarbeitet wurden oder – falls solche Normen und Spezifikationen fehlen – unter Bezugnahme auf nationale Normen, nationale technische Zulassungen oder nationale technische Spezifikationen für die Planung, Berechnung und Ausführung von Bauleistungen und den Einsatz von Lieferungen, wobei jede Bezugnahme mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘ zu versehen ist;

c)

in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Buchstabe a unter Bezugnahme auf die technischen Spezifikationen gemäß Buchstabe b als Mittel zur Vermutung der Konformität mit diesen Leistungs- und Funktionsanforderungen;

d)

unter Bezugnahme auf die technischen Spezifikationen gemäß Buchstabe b hinsichtlich bestimmter Merkmale und unter Bezugnahme auf die Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Buchstabe a hinsichtlich anderer Merkmale.

…“

7

Anhang VII der Richtlinie 2014/24 betrifft „Technische Spezifikationen – Begriffsbestimmungen“.

8

Art. 50 („Vergabebekanntmachung“) Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor:

„Bestimmte Angaben über die Auftragsvergabe oder den Abschluss der Rahmenvereinbarungen müssen jedoch nicht veröffentlicht werden, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern, dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines besonderen öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde.“

9

Art. 55 („Unterrichtung der Bewerber und Bieter“) der Richtlinie lautet:

„(1)   Die öffentlichen Auftraggeber teilen jedem Bewerber und jedem Bieter schnellstmöglich ihre Entscheidungen über den Abschluss einer Rahmenvereinbarung, die Zuschlagserteilung oder die Zulassung zur Teilnahme an einem dynamischen Beschaffungssystem mit, einschließlich der Gründe, aus denen beschlossen wurde, auf den Abschluss einer Rahmenvereinbarung oder die Vergabe eines Auftrags, für den ein Aufruf zum Wettbewerb stattgefunden hat, zu verzichten und das Verfahren erneut einzuleiten beziehungsweise kein dynamisches Beschaffungssystem einzurichten.

(2)   Auf Verlangen des Bewerbers oder Bieters unterrichtet der öffentliche Auftraggeber so schnell wie möglich, in jedem Fall aber binnen 15 Tagen nach Eingang der schriftlichen Anfrage,

a)

jeden nicht erfolgreichen Bewerber über die Gründe für die Ablehnung seines Teilnahmeantrags;

b)

jeden nicht erfolgreichen Bieter über die Gründe für die Ablehnung seines Angebots; dazu gehört in den Fällen nach Artikel 42 Absätze 5 und 6 auch eine Unterrichtung über die Gründe für seine Entscheidung, dass keine Gleichwertigkeit vorliegt oder dass die Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen nicht den Leistungs- oder Funktionsanforderungen entsprechen;

c)

jeden Bieter, der ein ordnungsgemäßes Angebot eingereicht hat, über die Merkmale und relativen Vorteile des ausgewählten Angebots sowie über den Namen des erfolgreichen Bieters oder der Parteien der Rahmenvereinbarung;

d)

jeden Bieter, der ein ordnungsgemäßes Angebot eingereicht hat, über den Verlauf und die Fortschritte der Verhandlungen und des Dialogs mit den Bietern.

(3)   Die öffentlichen Auftraggeber können beschließen, bestimmte in den Absätzen 1 und 2 genannte Angaben über die Zuschlagserteilung, den Abschluss von Rahmenvereinbarungen oder die Zulassung zu einem dynamischen Beschaffungssystem nicht mitzuteilen, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern oder sonst dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde.“

10

Art. 56 („Allgemeine Grundsätze“) Abs. 3 der Richtlinie lautet:

„Sind von Wirtschaftsteilnehmern zu übermittelnde Informationen oder Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft oder scheinen diese unvollständig oder fehlerhaft zu sein oder sind spezifische Unterlagen nicht vorhanden, so können die öffentlichen Auftraggeber, sofern in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist, die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern, die jeweiligen Informationen oder Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen, sofern diese Aufforderungen unter voller Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung erfolgen.“

11

Art. 57 („Ausschlussgründe“) Abs. 4 und 6 der Richtlinie 2014/24 bestimmt:

„(4)   Öffentliche Auftraggeber können in einer der folgenden Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden:

h)

der Wirtschaftsteilnehmer hat sich bei seinen Auskünften zur Überprüfung des Fehlens von Ausschlussgründen und der Einhaltung der Eignungskriterien einer schwerwiegenden Täuschung schuldig gemacht, derartige Auskünfte zurückgehalten oder ist nicht in der Lage, die gemäß Artikel 59 erforderlichen zusätzlichen Unterlagen einzureichen, oder

(6)   Jeder Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in den Absätzen 1 und 4 genannten Situationen befindet, kann Nachweise dafür erbringen, dass die Maßnahmen des Wirtschaftsteilnehmers ausreichen, um trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit nachzuweisen. Werden solche Nachweise für ausreichend befunden, so wird der betreffende Wirtschaftsteilnehmer nicht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen.

Zu diesem Zweck weist der Wirtschaftsteilnehmer nach, dass er einen Ausgleich für jeglichen durch eine Straftat oder Fehlverhalten verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden.

Die von den Wirtschaftsteilnehmern ergriffenen Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Schwere und besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens bewertet. Werden die Maßnahmen als unzureichend befunden, so erhält der Wirtschaftsteilnehmer eine Begründung dieser Entscheidung.

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung von der Teilnahme an Verfahren zur Auftrags- oder Konzessionsvergabe ausgeschlossen wurde, ist während des Ausschlusszeitraumes, der in dieser Entscheidung festgelegt wurde, nicht berechtigt, in den Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung wirksam ist, von der in diesem Absatz gewährten Möglichkeit Gebrauch zu machen.“

12

In Art. 58 („Eignungskriterien“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)   Die Eignungskriterien können Folgendes betreffen:

a)

Befähigung zur Berufsausübung;

b)

wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit;

c)

technische und berufliche Leistungsfähigkeit.

Die öffentlichen Auftraggeber können Wirtschaftsteilnehmern nur die in den Absätzen 2, 3 und 4 genannten Anforderungen an die Teilnahme auferlegen. Sie beschränken die Anforderungen auf jene, die zweckmäßig sind, um sicherzustellen, dass ein Bewerber oder Bieter über die rechtlichen und finanziellen Kapazitäten sowie die technischen und beruflichen Fähigkeiten zur Ausführung des zu vergebenden Auftrags verfügt. Alle Anforderungen müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und mit diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen.

(2)   Im Hinblick auf die Befähigung zur Berufsausübung können die öffentlichen Auftraggeber den Wirtschaftsteilnehmern vorschreiben, in einem Berufs- oder Handelsregister ihres Niederlassungsmitgliedstaats gemäß Anhang XI verzeichnet zu sein oder jedwede andere in dem Anhang genannte Anforderungen zu erfüllen.

Müssen Wirtschaftsteilnehmer eine bestimmte Berechtigung besitzen oder Mitglieder einer bestimmten Organisation sein, um die betreffende Dienstleistung in ihrem Herkunftsmitgliedstaat erbringen zu können, so kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge den Nachweis ihrer Berechtigung oder Mitgliedschaft verlangen.

(3)   Im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit können die öffentlichen Auftraggeber Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen. Zu diesem Zweck können die öffentlichen Auftraggeber von den Wirtschaftsteilnehmern insbesondere verlangen, einen bestimmten Mindestjahresumsatz, einschließlich eines bestimmten Mindestumsatzes in dem vom Auftrag abgedeckten Bereich, nachzuweisen. Zusätzlich können die öffentlichen Auftraggeber verlangen, dass die Wirtschaftsteilnehmer Informationen über ihre Jahresabschlüsse mit Angabe des Verhältnisses z. B. zwischen Vermögen und Verbindlichkeiten bereitstellen. Sie können auch eine Berufshaftpflichtversicherung in geeigneter Höhe verlangen.

(4)   Im Hinblick auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit können die öffentlichen Auftraggeber Anforderungen stellen, die sicherstellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die erforderlichen personellen und technischen Ressourcen sowie Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität ausführen zu können.

Die öffentlichen Auftraggeber können von den Wirtschaftsteilnehmern insbesondere verlangen, ausreichende Erfahrung durch geeignete Referenzen aus früher ausgeführten Aufträgen nachzuweisen. Ein öffentlicher Auftraggeber kann davon ausgehen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer nicht über die erforderliche berufliche Leistungsfähigkeit verfügt, wenn der öffentliche Auftraggeber festgestellt hat, dass der Wirtschaftsteilnehmer kollidierende Interessen hat, die die Auftragsausführung negativ beeinflussen können.

Bei Vergabeverfahren, die Lieferungen, für die Verlege- oder Installationsarbeiten erforderlich sind, oder die Erbringung von Dienstleistungen oder Bauleistungen zum Gegenstand haben, kann die berufliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer zur Erbringung dieser Leistungen oder zur Ausführung der Verlege- und Installationsarbeiten anhand ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Erfahrung und Zuverlässigkeit beurteilt werden.

…“

13

Art. 60 („Nachweise“) Abs. 3 und 4 der Richtlinie lautet:

„(3)   Die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers kann in der Regel durch einen oder mehrere der in Anhang XII Teil I aufgelisteten Nachweise belegt werden.

Kann ein Wirtschaftsteilnehmer aus einem berechtigten Grund die vom öffentlichen Auftraggeber geforderten Nachweise nicht beibringen, so kann er den Nachweis seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Vorlage jedes anderen vom öffentlichen Auftraggeber für geeignet erachteten Belegs erbringen.

(4)   Der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers kann je nach Art, Menge oder Umfang oder Verwendungszweck der Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen auf eine oder mehrere der in Anhang XII Teil II aufgelisteten Weisen erbracht werden.“

14

Anhang XII („Nachweise über die Erfüllung der Eignungskriterien“) der Richtlinie bestimmt:

„Teil I: Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit

Die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers kann in der Regel durch einen oder mehrere der nachstehenden Nachweise belegt werden:

a)

entsprechende Bankerklärungen oder gegebenenfalls Nachweis einer entsprechenden Berufshaftpflichtversicherung;

b)

Vorlage von Jahresabschlüssen oder Auszügen aus Jahresabschlüssen, falls deren Veröffentlichung in dem Land, in dem der Wirtschaftsteilnehmer ansässig ist, gesetzlich vorgeschrieben ist;

c)

eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls über den Umsatz für den Tätigkeitsbereich, der Gegenstand der Ausschreibung ist, höchstens in den letzten drei Geschäftsjahren, entsprechend dem Gründungsdatum oder dem Datum der Tätigkeitsaufnahme des Wirtschaftsteilnehmers, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.

Teil II: Technische Leistungsfähigkeit

Der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers gemäß Artikel 58 kann wie folgt erbracht werden:

a)

durch die folgenden Verzeichnisse:

i)

Verzeichnis der in den letzten (bis zu fünf) Jahren erbrachten Bauleistungen, wobei für die wichtigsten Bauleistungen Bescheinigungen über die ordnungsgemäße Ausführung und das Ergebnis beizufügen sind; soweit erforderlich, um einen ausreichenden Wettbewerb sicherzustellen, können die öffentlichen Auftraggeber darauf hinweisen, dass sie auch einschlägige Bauleistungen berücksichtigen werden, die mehr als fünf Jahre zurückliegen;

ii)

Verzeichnis der in den letzten (bis zu drei) Jahren bereitgestellten beziehungsweise erbrachten wesentlichen Lieferungen oder Dienstleistungen mit Angabe des Werts, des Liefer- beziehungsweise Erbringungszeitpunkts sowie des öffentlichen oder privaten Empfängers; soweit erforderlich, um einen ausreichenden Wettbewerb sicherzustellen, können die öffentlichen Auftraggeber darauf hinweisen, dass sie auch einschlägige Lieferungen oder Dienstleistungen berücksichtigen werden, die mehr als drei Jahre zurückliegen;

b)

durch Angabe der technischen Fachkräfte oder der technischen Stellen, unabhängig davon, ob sie dem Unternehmen des Wirtschaftsteilnehmers angehören oder nicht, und zwar insbesondere derjenigen, die mit der Qualitätskontrolle beauftragt sind, und bei öffentlichen Bauaufträgen derjenigen, über die der Unternehmer für die Errichtung des Bauwerks verfügt;

c)

durch Beschreibung der technischen Ausrüstung und Maßnahmen des Wirtschaftsteilnehmers zur Qualitätssicherung und seiner Untersuchungs- und Forschungsmöglichkeiten;

d)

eine Angabe des Lieferkettenmanagement- und ‑überwachungssystems, das dem Wirtschaftsteilnehmer zur Vertragserfüllung zur Verfügung steht;

e)

sind die zu liefernden Waren oder die zu erbringenden Dienstleistungen komplexer Art oder sollen sie ausnahmsweise einem besonderen Zweck dienen, durch eine Kontrolle, die vom öffentlichen Auftraggeber oder in dessen Namen von einer zuständigen amtlichen Stelle durchgeführt wird, die sich dazu bereit erklärt und sich in dem Land befindet, in dem der Lieferant oder Dienstleister ansässig ist; diese Kontrolle betrifft die Produktionskapazität des Lieferanten beziehungsweise die technische Leistungsfähigkeit des Dienstleisters und erforderlichenfalls seine Untersuchungs- und Forschungsmöglichkeiten sowie die von ihm für die Qualitätskontrolle getroffenen Vorkehrungen;

f)

durch Studiennachweise und Bescheinigungen über die berufliche Befähigung des Dienstleisters oder Unternehmers und/oder der Führungskräfte des Unternehmens, sofern sie nicht als Zuschlagskriterium bewertet werden;

g)

durch Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen, die der Wirtschaftsteilnehmer während der Auftragsausführung anwenden kann;

h)

durch eine Erklärung, aus der die durchschnittliche jährliche Beschäftigtenzahl des Dienstleisters oder des Unternehmers und die Zahl seiner Führungskräfte in den letzten drei Jahren ersichtlich ist;

i)

durch eine Erklärung, aus der hervorgeht, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung der Dienstleistungserbringer oder Unternehmer für die Ausführung des Auftrags verfügt;

j)

durch Angabe, welche Teile des Auftrags der Wirtschaftsteilnehmer unter Umständen als Unteraufträge zu vergeben beabsichtigt;

k)

hinsichtlich der zu liefernden Waren:

i)

durch Muster, Beschreibungen oder Fotografien, wobei die Echtheit auf Verlangen des öffentlichen Auftraggebers nachweisbar sein muss;

ii)

durch Bescheinigungen, die von als zuständig anerkannten Instituten oder amtlichen Stellen für Qualitätskontrolle ausgestellt wurden und in denen bestätigt wird, dass die durch entsprechende Bezugnahmen genau bezeichneten Waren bestimmten technischen Spezifikationen oder Normen entsprechen.“

15

Art. 63 („Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 bestimmt:

„In Bezug auf die Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 3 und die Kriterien für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit gemäß Artikel 58 Absatz 4 kann ein Wirtschaftsteilnehmer gegebenenfalls für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden Verbindungen – in Anspruch nehmen. In Bezug auf die Kriterien für Ausbildungsnachweise und Bescheinigungen über die berufliche Befähigung gemäß Anhang XII Teil II Buchstabe f oder für die einschlägige berufliche Erfahrung können die Wirtschaftsteilnehmer jedoch nur die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen, wenn diese die Arbeiten ausführen beziehungsweise die Dienstleistungen erbringen, für die diese Kapazitäten benötigt werden. Beabsichtigt ein Wirtschaftsteilnehmer, die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch zu nehmen, so weist er dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber nach, dass ihm die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen werden, indem er beispielsweise die diesbezüglichen verpflichtenden Zusagen dieser Unternehmen vorlegt.

Der öffentliche Auftraggeber überprüft gemäß den Artikeln 59, 60 und 61, ob die Unternehmen, deren Kapazitäten der Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch nehmen möchte, die entsprechenden Eignungskriterien erfüllen und ob Ausschlussgründe gemäß Artikel 57 vorliegen. Der öffentliche Auftraggeber schreibt vor, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, das ein einschlägiges Eignungskriterium nicht erfüllt oder bei dem zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt. Der öffentliche Auftraggeber kann vorschreiben, oder ihm kann durch den Mitgliedstaat vorgeschrieben werden, vorzuschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, bei dem nicht-zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt.

Nimmt ein Wirtschaftsteilnehmer im Hinblick auf Kriterien für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch, so kann der öffentliche Auftraggeber vorschreiben, dass der Wirtschaftsteilnehmer und diese Unternehmen gemeinsam für die Auftragsausführung haften.

Unter denselben Voraussetzungen können Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern nach Artikel 19 Absatz 2 die Kapazitäten von Mitgliedern der Gruppe oder von anderen Unternehmen in Anspruch nehmen.“

16

Art. 70 („Bedingungen für die Auftragsausführung“) dieser Richtlinie lautet:

„Öffentliche Auftraggeber können besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags festlegen, sofern diese gemäß Artikel 67 Absatz 3 mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und im Aufruf zum Wettbewerb oder in den Auftragsunterlagen angegeben werden. Diese Bedingungen können wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange umfassen.“

Richtlinie 89/665

17

Art. 1 („Anwendungsbereich und Zugang zu Nachprüfungsverfahren“) der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2014/24…, sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 7, 8, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 17 und 37 jener Richtlinie ausgeschlossen sind.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU beziehungsweise der Richtlinie 2014/23/EU fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

(5)   Die Mitgliedstaaten können auch verlangen, dass die betreffende Person zunächst bei dem öffentlichen Auftraggeber eine Nachprüfung beantragt. In diesem Fall tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Einreichung eines solchen Antrags einen unmittelbaren Suspensiveffekt auf den Vertragsschluss auslöst.

Der Suspensiveffekt nach Unterabsatz 1 endet nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der öffentliche Auftraggeber eine Antwort abgesendet hat, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, nicht vor Ablauf einer Frist von entweder mindestens 15 Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der öffentliche Auftraggeber eine Antwort abgesendet hat, oder mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang einer Antwort.“

18

Art. 2 („Anforderungen an die Nachprüfungsverfahren“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen werden, damit

a)

so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen;

b)

die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;

c)

denjenigen, die durch den Verstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.“

19

Die Richtlinie 89/665 war in ihrer ursprünglichen Fassung, vor den Änderungen durch die Richtlinie 2014/23, Gegenstand von Änderungen durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. 2007, L 335, S. 31), um die Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu verbessern. Nach ihrem 36. Erwägungsgrund steht die letztgenannte Richtlinie im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) anerkannt wurden, und soll namentlich die uneingeschränkte Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren nach Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta sicherstellen.

Richtlinie 2016/943

20

In den Erwägungsgründen 4 und 18 der Richtlinie 2016/943 heißt es:

„(4)

Innovative Unternehmen sind zunehmend unlauteren Praktiken ausgesetzt, die auf eine rechtswidrige Aneignung von Geschäftsgeheimnissen abzielen, wie Diebstahl, unbefugtes Kopieren, Wirtschaftsspionage oder Verletzung von Geheimhaltungspflichten, und ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb der Union haben können. Neuere Entwicklungen, wie die Globalisierung, das zunehmende Outsourcing, längere Lieferketten und der verstärkte Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien, tragen zu einer Erhöhung des von derartigen Praktiken ausgehenden Risikos bei. Der rechtswidrige Erwerb und die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses beeinträchtigen die Fähigkeit der rechtmäßigen Inhaber von Geschäftsgeheimnissen, Vorreiterrenditen aus ihren Innovationsanstrengungen zu erzielen. Ohne wirksame und vergleichbare rechtliche Mittel zum unionsweiten Schutz von Geschäftsgeheimnissen werden Anreize zur Aufnahme grenzüberschreitender Innovationstätigkeiten im Binnenmarkt zunichtegemacht und kann das Potenzial von Geschäftsgeheimnissen als Triebkräfte für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung nicht ausgeschöpft werden. Auf diese Weise werden Innovation und Kreativität behindert und gehen die Investitionen zurück, wobei der Binnenmarkt nicht mehr reibungslos funktioniert und sein wachstumsförderndes Potenzial ausgehöhlt wird.

(18)

Ferner sollten Erwerb, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen immer dann, wenn sie rechtlich vorgeschrieben oder zulässig sind, als rechtmäßig im Sinne dieser Richtlinie gelten. Das betrifft insbesondere den Erwerb und die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Anhörung und Mitwirkung gemäß dem Unionsrecht und dem Recht oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten sowie im Rahmen der kollektiven Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber einschließlich der Mitbestimmung und den Erwerb oder die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen von Pflichtprüfungen, die gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht durchgeführt werden. Allerdings sollte diese Einstufung des Erwerbs eines Geschäftsgeheimnisses als rechtmäßig die Geheimhaltungspflicht in Bezug auf das Geschäftsgeheimnis oder jegliche Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses, die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten dem Empfänger der Information auferlegen, unberührt lassen. Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in … der Richtlinie 2014/24… festgelegt sind.“

21

In Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) dieser Richtlinie heißt es:

„(1)   Diese Richtlinie legt Vorschriften für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb, rechtswidriger Nutzung und rechtswidriger Offenlegung fest.

(2)   Diese Richtlinie berührt nicht

b)

die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen verpflichtet sind, aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen, auch Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten offenzulegen, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen können,

c)

die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen es den Organen und Einrichtungen der Union oder den nationalen Behörden vorgeschrieben oder gestattet ist, von Unternehmen vorgelegte Informationen offenzulegen, die diese Organe, Einrichtungen oder Behörden in Einhaltung der Pflichten und gemäß den Rechten, die im Unionsrecht oder im nationalen Recht niedergelegt sind, besitzen.

…“

22

Art. 3 („Rechtmäßiger Erwerb, rechtmäßige Nutzung und rechtmäßige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen“) Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:

„Der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gilt insofern als rechtmäßig, als der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung durch Unionsrecht oder nationales Recht vorgeschrieben oder erlaubt ist.“

23

Art. 4 („Rechtswidriger Erwerb, rechtswidrige Nutzung und rechtswidrige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen“) Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie sieht vor:

„Der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses gilt als rechtswidrig, wenn er erfolgt durch

a)

unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle durch den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt“.

24

Art. 9 („Wahrung der Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen im Verlauf von Gerichtsverfahren“) Abs. 2 der Richtlinie 2016/943 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen des Weiteren sicher, dass die zuständigen Gerichte auf ordnungsgemäß begründeten Antrag einer Partei spezifische Maßnahmen treffen können, die erforderlich sind, um die Vertraulichkeit eines Geschäftsgeheimnisses oder eines angeblichen Geschäftsgeheimnisses zu wahren, das im Laufe eines Gerichtsverfahrens im Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Erwerb oder der rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses genutzt oder auf das in diesem Rahmen Bezug genommen wird. Die Mitgliedstaaten können ferner die zuständigen Gerichte ermächtigen, solche Maßnahmen von Amts wegen zu ergreifen.

Die in Unterabsatz 1 genannten Maßnahmen sehen mindestens die Möglichkeit vor,

a)

den Zugang zu von den Parteien oder Dritten vorgelegten Dokumenten, die Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse enthalten, ganz oder teilweise auf eine begrenzte Anzahl von Personen zu beschränken;

b)

den Zugang zu Anhörungen, bei denen unter Umständen Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden, und zu der entsprechenden Aufzeichnung oder Mitschrift dieser Anhörungen auf eine begrenzte Anzahl von Personen zu beschränken;

c)

Personen, die nicht der begrenzten Anzahl von Personen nach den Buchstaben a und b angehören, eine nicht vertrauliche Fassung einer gerichtlichen Entscheidung bereitzustellen, in der die Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Passagen gelöscht oder geschwärzt wurden.

Die Anzahl der Personen nach Unterabsatz 2 Buchstaben a und b darf nicht größer sein, als zur Wahrung des Rechts der Verfahrensparteien auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren erforderlich ist, und muss mindestens eine natürliche Person jeder Partei und ihre jeweiligen Rechtsanwälte oder sonstigen Vertreter dieser Gerichtsverfahrensparteien umfassen.“

Litauisches Recht

Vergabegesetz

25

Das Lietuvos Respublikos viešųjų pirkimų įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über das öffentliche Auftragswesen) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Vergabegesetz) bestimmt in Art. 20 („Vertraulichkeit“):

„(1)   Es ist dem öffentlichen Auftraggeber, dem Vergabeausschuss, dessen Mitgliedern und Sachverständigen sowie allen sonstigen Personen untersagt, Informationen, die von den Leistungserbringern als vertraulich eingereicht wurden, an Dritte weiterzugeben.

(2)   Das Angebot des Leistungserbringers bzw. sein Antrag auf Teilnahme darf nicht in seiner Gesamtheit als vertraulich eingestuft werden; der Leistungserbringer kann jedoch angeben, dass bestimmte in seinem Angebot enthaltene Informationen vertraulich sind. Zu den vertraulichen Informationen können u. a. Geschäftsgeheimnisse (betreffend die Herstellung) und vertrauliche Teile des Angebots gehören. Informationen dürfen nicht als vertraulich eingestuft werden,

1.

wenn dies gegen gesetzliche Vorschriften, die eine Pflicht zur Offenlegung oder ein Recht auf Auskunft enthalten, oder gegen Durchführungsverordnungen zu diesen gesetzlichen Vorschriften verstoßen würde;

2.

wenn dies einen Verstoß gegen die in Art. 33 und 58 dieses Gesetzes festgelegten Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der abgeschlossenen Verträge, der Unterrichtung der Bewerber und Bieter, einschließlich der Unterrichtung über den Preis der in der Ausschreibung angegebenen Lieferungen, Dienst- oder Werkleistungen – jedoch ohne die wesentlichen Preisbildungselemente –, darstellen würde;

3.

wenn diese Informationen in Dokumenten vorgelegt worden sind, die bescheinigen, dass beim Leistungserbringer keine Ausschlussgründe vorliegen, dass er die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und die Vorschriften über das Qualitätsmanagement und den Umweltschutz erfüllt; ausgenommen sind Informationen, deren Offenlegung die Bestimmungen des Gesetzes der Republik Litauen über den Schutz personenbezogener Daten oder die Verpflichtungen des Leistungserbringers aus mit Dritten geschlossenen Verträgen verletzen würde;

4.

wenn diese Informationen Wirtschaftsteilnehmer und Unterauftragnehmer betreffen, auf deren Kapazitäten der Leistungserbringer zurückgreift; dies gilt nicht für Informationen, deren Offenlegung gegen die Bestimmungen des Gesetzes über den Schutz personenbezogener Daten verstoßen würde.

(3)   Hat der öffentliche Auftraggeber Zweifel an der Vertraulichkeit der im Angebot des Leistungserbringers enthaltenen Informationen, muss er diesen auffordern, nachzuweisen, aus welchem Grund die fraglichen Informationen vertraulich sind. …

(4)   Spätestens sechs Monate nach Abschluss des Vertrags können interessierte Bieter beim öffentlichen Auftraggeber beantragen, dass dieser ihnen Zugang zum Angebot oder zur Bewerbung des erfolgreichen Bieters gewährt (Bewerber zu den Anträgen der anderen Leistungserbringer, die zur Angebotsabgabe oder zur Teilnahme an einem Gespräch aufgefordert worden sind). Informationen, die von den Bewerbern oder Bietern ohne Verstoß gegen Abs. 2 dieses Artikels als vertraulich gekennzeichnet worden sind, dürfen jedoch nicht weitergegeben werden.

…“

26

Art. 45 („Allgemeine Grundsätze für die Bewertung des Leistungserbringers und von dessen Teilnahmeantrag oder Angebot“) Abs. 3 dieses Gesetzes sieht vor:

„Hat ein Bewerber oder Bieter unrichtige, unvollständige oder falsche Unterlagen oder Angaben bezüglich der Übereinstimmung mit den Vorgaben der Auftragsunterlagen vorgelegt oder hat er solche Unterlagen oder Angaben nicht vorgelegt, so hat der öffentliche Auftraggeber den Bewerber oder Bieter, ohne dabei gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz zu verstoßen, aufzufordern, diese Unterlagen oder Angaben innerhalb einer von ihm festgelegten angemessenen Frist zu berichtigen, zu vervollständigen oder zu präzisieren. Berichtigt, vervollständigt, präzisiert oder nachgereicht werden können nur Unterlagen oder Angaben, die sich auf das Nichtvorliegen von Gründen für den Ausschluss des Leistungserbringers, auf die Erfüllung der Vorgaben bezüglich seiner Leistungsfähigkeit oder auf die Kriterien des Qualitätsmanagements und des Umweltschutzes beziehen, eine vom Leistungserbringer für die Unterzeichnung des Teilnahmeantrags oder des Angebots erteilte Vollmacht, ein Vertrag über eine gemeinsame Tätigkeit oder ein Dokument, das die Gültigkeit des Angebots und der Unterlagen ohne Bezug zum Gegenstand des Auftrags, seinen technischen Merkmalen, den Bedingungen für die Auftragsausführung oder den Preis des Angebots bescheinigt. Die sonstigen Unterlagen des Angebots des Leistungserbringers können nach Art. 55 Abs. 9 dieses Gesetzes berichtigt, vervollständigt oder präzisiert werden.“

27

In Art. 46 („Gründe für den Ausschluss eines Leistungserbringers“) Abs. 4 des Gesetzes heißt es:

„Der öffentliche Auftraggeber schließt den Leistungserbringer vom Vergabeverfahren aus, wenn

4.

der Leistungserbringer in einem Vergabeverfahren Informationen verheimlicht oder falsche Informationen bezüglich der Erfüllung der Vorgaben nach Art. 47 dieses Gesetzes vorgelegt hat und der öffentliche Auftraggeber dies auf rechtlichem Wege nachweisen kann oder der Leistungserbringer nicht in der Lage ist, die nach Art. 50 dieses Gesetzes erforderlichen Belege beizubringen, weil er falsche Informationen vorgebracht hat. …“

28

Art. 52 („Verheimlichen von Informationen, Vorlage falscher Informationen oder Nichtvorlage von Unterlagen“) des Vergabegesetzes sieht vor:

„(1)   Der öffentliche Auftraggeber veröffentlicht innerhalb von zehn Tagen im Centrinė viešųjų pirkimų informacinė sistema [(Zentrales Portal für öffentliche Aufträge, Litauen)] gemäß den Vorschriften der Viešųjų pirkimų tarnyba [(Behörde für das öffentliche Auftragswesen, Litauen)] die Informationen über den Leistungserbringer, der im Rahmen des Vergabeverfahrens Informationen bezüglich der Erfüllung der in den Art. 46 und 47 dieses Gesetzes genannten Vorgaben verheimlicht oder insoweit falsche Informationen vorgebracht hat, oder der, weil er falsche Informationen vorgebracht hat, die gemäß Art. 50 dieses Gesetzes erforderlichen Belege nicht vorgelegt hat, wenn

1.

dieser Leistungserbringer vom Vergabeverfahren ausgeschlossen worden ist;

2.

eine gerichtliche Entscheidung ergangen ist.

…“

29

Art. 55 („Bewertung und Vergleich der Angebote“) Abs. 9 des Vergabegesetzes bestimmt:

„Gemäß Art. 45 Abs. 3 dieses Gesetzes kann der öffentliche Auftraggeber die Bieter auffordern, ihre Angebote zu berichtigen, zu vervollständigen oder zu präzisieren, er darf sie jedoch weder auffordern noch ihnen vorschlagen oder gestatten, wesentliche Elemente des in einem offenen oder nichtoffenen Verfahren eingereichten Angebots oder des endgültigen Angebots, das im Rahmen eines wettbewerblichen Dialogs, eines Verhandlungsverfahrens mit oder ohne Bekanntmachung oder einer Innovationspartnerschaft eingereicht wurde, zu ändern, d. h. den Preis zu ändern oder sonstige Änderungen vorzunehmen, die dazu führen würden, dass ein Angebot, das nicht den Auftragsunterlagen entsprach, diesen entspräche. Stellt der öffentliche Auftraggeber bei der Prüfung der Angebote Fehler bei der Berechnung des Preises oder der Kosten im Angebot fest, so muss er den Bieter auffordern, die von ihm festgestellten Berechnungsfehler innerhalb einer von ihm festzusetzenden Frist zu berichtigen, ohne die Preise oder Kosten zu ändern, die in dem Angebot zu dem Zeitpunkt enthalten waren, zu dem er von ihm Kenntnis erlangt hat. Bei der Berichtigung der Berechnungsfehler, die in seinem Angebot festgestellt worden sind, kann der Bieter wesentliche Preis- oder Kostenelemente berichtigen, darf aber weder Preis- oder Kostenelemente weglassen noch neue Elemente zum Preis oder zu den Kosten hinzufügen.“

30

In Art. 58 („Mitteilung der Ergebnisse der Vergabeverfahren“) Abs. 3 heißt es:

„In den in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels genannten Fällen darf der öffentliche Auftraggeber keine Informationen zur Verfügung stellen, deren Offenlegung gegen die Vorschriften über den Schutz von Informationen und Daten verstoßen oder dem Allgemeininteresse zuwiderlaufen würde, für die berechtigten Geschäftsinteressen eines bestimmten Leistungserbringers nachteilig wäre oder den Wettbewerb zwischen Leistungserbringern beeinträchtigen würde.“

Zivilprozessordnung der Republik Litauen

31

Der Lietuvos Respublikos civilinio proceso kodeksas (Zivilprozessordnung der Republik Litauen) bestimmt in Art. 101 („Besondere Bestimmungen über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen“):

„(1)   Dieser Artikel enthält besondere Bestimmungen über den Schutz von Geschäftsgeheimnissen in Rechtssachen, in denen es um die rechtswidrige Erlangung, Verwendung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen geht, sowie in anderen Zivilsachen.

(2)   Bestehen Gründe für die Annahme, dass ein Geschäftsgeheimnis offengelegt werden könnte, bestimmt der Richter auf ordnungsgemäß begründeten Antrag der Parteien oder von Amts wegen durch mit Gründen versehenen Beschluss die Personen, die

1.

Zugang zu den Teilen des Vorgangs erhalten, in denen Informationen enthalten sind, die Geschäftsgeheimnisse darstellen oder darstellen können, und die Auszüge, Duplikate und Kopien (digitale Kopien) anfertigen und erhalten dürfen;

2.

an nicht öffentlichen Anhörungen teilnehmen dürfen, in denen Informationen, die Geschäftsgeheimnisse darstellen oder darstellen können, offengelegt werden könnten, und Zugang zu den Protokollen solcher Anhörungen erhalten dürfen;

3.

eine beglaubigte Kopie (digitale Kopie) eines Urteils oder Beschlusses erhalten dürfen, in dem Informationen enthalten sind, die Geschäftsgeheimnisse darstellen oder darstellen können.

(3)   Die Zahl der in Abs. 2 dieses Artikels genannten Personen darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz und das Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten. Dies sind mindestens die folgenden Personen:

1.

wenn es sich bei der Partei um eine natürliche Person handelt: sie selbst und ihr Vertreter;

2.

wenn es sich bei der Partei um eine juristische Person handelt: zumindest eine natürliche Person, die in der Rechtssache im Namen der juristischen Person handelt, und deren Vertreter.

(4)   Bei der Anwendung der in Abs. 2 dieses Artikels festgelegten Beschränkungen berücksichtigt das Gericht die Erfordernisse der Gewährleistung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren, die berechtigten Interessen der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten sowie den Schaden, der aus der Anwendung oder Nichtanwendung dieser Beschränkungen entstehen kann.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

32

Mit einer Bekanntmachung einer öffentlichen Ausschreibung, die am 27. September 2018 veröffentlicht wurde, leitete die öffentliche Auftraggeberin ein internationales offenes Verfahren zur Vergabe eines Auftrags für Dienstleistungen im Bereich der Sammlung von Siedlungsabfällen der Gemeinde Neringa (Litauen) und der Beförderung dieser Abfälle zu den Entsorgungsanlagen der Deponie der Region Klaipėda (Litauen) ein.

33

Die öffentliche Auftraggeberin legte in dieser Bekanntmachung technische Spezifikationen fest. Sie sah u. a. vor, dass der Dienstleistungsanbieter Fahrzeuge zur Sammlung von Siedlungsabfällen verwenden müsse, die mindestens der Euro-5-Norm entsprechen und mit einem eingebauten Sender des globalen Positionsbestimmungssystems (GPS) im Dauerbetrieb ausgestattet sind, so dass die öffentliche Auftraggeberin die genaue Position und Route des Fahrzeugs bestimmen kann.

34

Die Bekanntmachung enthielt auch eine Beschreibung der für die Ausführung des Auftrags erforderlichen beruflichen und technischen Leistungsfähigkeit der Bieter sowie eine Beschreibung von deren finanzieller und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. In der Bekanntmachung wurde insoweit klargestellt, dass jeder Bieter eine formlose Erklärung vorlegen müsse, die bescheinige, dass der durchschnittliche Jahresumsatz, den er in Ausübung der Tätigkeit der Sammlung und Beförderung gemischter Siedlungsabfälle in den drei vorangegangenen Wirtschaftsjahren oder, wenn er diese Tätigkeit seit weniger als drei Jahren ausübe, seit seiner Registrierung erzielt habe, nicht weniger als 200000 Euro ohne Mehrwertsteuer betragen habe.

35

Die öffentliche Auftraggeberin erhielt drei Angebote, darunter die Angebote von Ecoservice und des Konsortiums.

36

Am 29. November 2018 teilte die öffentliche Auftraggeberin den Bietern die Bewertung der Angebote und deren endgültigen Rang mit. Der Auftrag wurde wegen des niedrigeren Preises seines Angebots an das Konsortium vergeben, während Ecoservice an die zweite Rangstelle gesetzt wurde.

37

Am 4. Dezember 2018 beantragte Ecoservice bei der öffentlichen Auftraggeberin auf der Grundlage von Art. 20 Abs. 4 des Vergabegesetzes Zugang zu den Daten, die diese für die Festlegung dieser Rangfolge herangezogen hatte, insbesondere zum Angebot des Konsortiums.

38

Am 6. Dezember 2018 konnte Ecoservice von den nicht vertraulichen Informationen dieses Angebots Kenntnis nehmen.

39

Da Ecoservice der Ansicht war, dass das Konsortium nicht über die erforderlichen Qualifikationen verfüge, legte sie am 10. Dezember 2018 bei der öffentlichen Auftraggeberin Beschwerde ein, um die Ergebnisse des Ausschreibungsverfahrens anzufechten. Sie machte erstens geltend, dass keines der Mitglieder des Konsortiums in den vorangegangenen drei Jahren Aufträge zur Sammlung und Beförderung gemischter Siedlungsabfälle in Höhe eines Betrags von 200000 Euro habe ausführen können. Insoweit führte sie aus, dass die öffentliche Auftraggeberin Parsekas, da diese keine Dienstleistungen der Bewirtschaftung gemischter Siedlungsabfälle erbringe, hätte auffordern müssen, die vorgelegte Erklärung, wonach Parsekas Aufträge der Bewirtschaftung gemischter Abfälle in Höhe eines Betrags von 235510,79 Euro ausgeführt habe, zu präzisieren. Zweitens machte Ecoservice geltend, das Konsortium habe nicht über die erforderliche technische Leistungsfähigkeit verfügt.

40

Am 17. Dezember 2018 wies die öffentliche Auftraggeberin diese Beschwerde mit dem knappen Hinweis zurück, dass das Konsortium die beiden von Ecoservice in Frage gestellten Qualifikationsanforderungen erfüllt habe.

41

Am 27. Dezember 2018 erhob Ecoservice gegen diese Entscheidung beim Klaipėdos apygardos teismas (Regionalgericht Klaipėda, Litauen) eine Klage, mit der sie u. a. beantragte, der öffentlichen Auftraggeberin aufzugeben, das Angebot des Konsortiums und den zwischen diesem und der öffentlichen Auftraggeberin geführten Schriftwechsel vorzulegen. Ecoservice machte geltend, dass dem Gericht sämtliche Beweismittel unabhängig von deren Vertraulichkeit vorzulegen seien, und war der Ansicht, dass ihr diese Unterlagen, von denen einige nicht vertraulich seien, zur Verfügung stehen müssten, damit sie ihre eigenen Anträge präzisieren könne.

42

Mit Entscheidung vom 3. Januar 2019 gab dieses Gericht der öffentlichen Auftraggeberin auf, Ecoservice sämtliche angeforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

43

In ihrem im Anschluss an diese Anordnung eingereichten Schriftsatz vom 11. Januar 2019 machte die öffentliche Auftraggeberin erstens geltend, dass sie das Konsortium bei der Prüfung der Beschwerde um Erläuterungen zu den von diesem geschlossenen Verträgen über Abfallbewirtschaftungsdienste gebeten habe. Das Konsortium habe die verlangten Informationen übermittelt und dabei klargestellt, dass ein großer Teil der übermittelten Informationen vertraulich sei und daher vor einer Offenlegung gegenüber Dritten geschützt werden müsse. Da die öffentliche Auftraggeberin außerdem der Ansicht war, dass diese Informationen für das Konsortium einen wirtschaftlichen Wert hätten und dass dem Konsortium durch die Offenlegung dieser Informationen gegenüber Wettbewerbern ein Schaden entstehen könnte, übermittelte sie sie dem Gericht nicht, um nicht gegen Art. 20 des Vergabegesetzes zu verstoßen. Sie hat somit nur die nicht vertraulichen Informationen des Angebots des Konsortiums vorgelegt, dabei aber darauf hingewiesen, dass sie die vertraulichen Informationen dem Gericht vorlegen werde, wenn dieses die Informationen erneut anfordern sollte.

44

Zweitens beantragte die öffentliche Auftraggeberin die Abweisung der Klage mit der Begründung, dass die ergänzenden Erläuterungen, die sie vom Konsortium erhalten habe, und der Besuch in dessen Geschäftsräumen es ermöglicht hätten, zu bestätigen, dass das in Rede stehende Angebot korrekt bewertet worden sei.

45

Mit Beschluss vom 15. Januar 2019 beschränkte das Klaipėdos apygardos teismas (Regionalgericht Klaipėda) die Verpflichtung zur Vorlage der Unterlagen auf das Angebot des Konsortiums und auf die diesem Angebot beigefügten Unterlagen und ordnete die Vorlage dieser Unterlagen bis zum 25. Januar 2019 an.

46

Am 25. Januar 2019 legte die öffentliche Auftraggeberin die bei diesem Gericht angeforderten Unterlagen vor, wobei sie eine Unterscheidung danach vornahm, ob die Unterlagen vertrauliche Informationen enthielten oder nicht. Die Informationen, von denen das Konsortium – von der öffentlichen Auftraggeberin unwidersprochen – behauptete, sie seien vertraulich, waren ausschließlich an dieses Gericht gerichtet. Die öffentliche Auftraggeberin beantragte bei dem Gericht offenbar außerdem, es Ecoservice nicht zu ermöglichen, von den vertraulichen Informationen des Angebots des Konsortiums Kenntnis zu nehmen und diese als nicht öffentliche Teile der Akte einzustufen.

47

Mit Beschluss vom 30. Januar 2019 gab das erstinstanzliche Gericht den Anträgen der öffentlichen Auftraggeberin statt, die ihm vorgelegten Informationen über das Angebot des Konsortiums zum einen als vertraulich einzustufen und zum anderen nicht offenzulegen.

48

Am 14. Februar 2019 wies dieses Gericht den Antrag von Ecoservice vom 11. Februar 2019 auf Zugang zu sämtlichen Teilen der Akte mit nicht anfechtbarem Beschluss zurück.

49

Am 21. Februar 2019 wies dasselbe Gericht den Antrag von Ecoservice vom 12. Februar 2019, Parsekas aufzugeben, Daten über von dieser geschlossene Abfallbewirtschaftungsverträge vorzulegen, mit nicht anfechtbarem Beschluss zurück.

50

Mit Urteil vom 15. März 2019 wies das Klaipėdos apygardos teismas (Regionalgericht Klaipėda) die Klage von Ecoservice mit der Begründung ab, dass das Konsortium die erforderlichen Qualifikationen aufweise.

51

Auf die Berufung von Ecoservice hin hob das Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) mit Urteil vom 30. Mai 2019 sowohl das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts als auch die Entscheidung der öffentlichen Auftraggeberin über die Festlegung der Rangfolge der Angebote auf. Außerdem gab das Berufungsgericht der öffentlichen Auftraggeberin auf, die Angebote neu zu bewerten.

52

Gegen diese Entscheidung legte die öffentliche Auftraggeberin beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) Revision ein.

53

Am 26. Juli 2019 beantragte Ecoservice, vor Einreichung ihrer Revisionserwiderung, beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) Zugang zu den vertraulichen Unterlagen, die die öffentliche Auftraggeberin im ersten Rechtszug vorgelegt hatte, wobei geschäftlich sensible Informationen zu schwärzen wären.

54

Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass bestimmte in der Ausschreibung enthaltene Anforderungen an die Qualifikation der Bieter sowohl als Bedingungen bezüglich der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers als auch als Bedingungen bezüglich dessen technischer und beruflicher Leistungsfähigkeit verstanden werden könnten, aber auch als technische Spezifikationen oder als Bedingungen für die Ausführung des öffentlichen Auftrags.

55

Die Natur dieser Anforderungen müsse aber bestimmt werden, da nach Art. 45 Abs. 3 und Art. 55 Abs. 9 des Vergabegesetzes die Pflicht oder die Möglichkeit, die Erklärung eines Bieters zu berichtigen, unterschiedlich sei, je nachdem, ob die streitige Information die Qualifikation des Bieters oder das von ihm abgegebene Angebot betreffe.

56

Zweitens stellt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Frage der Abwägung zwischen dem Schutz der von einem Bieter erbrachten vertraulichen Informationen und der Wirksamkeit der Verteidigungsrechte der anderen Bieter.

57

Im vorliegenden Fall habe Ecoservice vergeblich versucht, Zugang zum Angebot des Konsortiums zu erhalten. Die öffentliche Auftraggeberin selbst habe dem Recht des Konsortiums auf Schutz seiner vertraulichen Informationen sehr aktiv Vorrang eingeräumt. Diese in Litauen vorherrschende Praxis führe dazu, dass die Rechte der Bieter nur teilweise geschützt würden. In Rechtsstreitigkeiten über die Vergabe öffentlicher Aufträge verfügten die abgelehnten Bieter nämlich über weniger Informationen als die anderen Parteien dieser Rechtsstreitigkeiten. Außerdem hänge der effektive Schutz ihrer Rechte von der Entscheidung des Gerichts ab, die Informationen, deren Vorlage sie begehrten, als vertraulich einzustufen. Eine Entscheidung, mit der das Gericht einem Antrag auf Übermittlung solcher Informationen nicht stattgebe, könne aber die Möglichkeiten für einen abgelehnten Bieter einschränken, dass der Klage stattgegeben werde, die er gegen die Zuschlagsentscheidung erhoben habe.

58

Das vorlegende Gericht führt erstens aus, es habe im Bereich des öffentlichen Auftragswesens u. a. entschieden, dass das in Art. 20 des Vergabegesetzes verankerte Recht der Bieter auf Schutz vertraulicher Informationen, die sie im Angebot aufgeführt hätten, nur die Informationen betreffe, die nach Art. 1.116 Abs. 1 des Lietuvos Respublikos civilinio kodekso (Zivilgesetzbuch der Republik Litauen), der im Wesentlichen den Bestimmungen der Richtlinie 2016/943 entspreche, als Geschäftsgeheimnisse oder als Betriebsgeheimnisse einzustufen seien. Zweitens sei das Recht eines Bieters auf Zugang zum Angebot eines anderen Bieters als integraler Bestandteil des Schutzes der potenziell verletzten Rechte anzusehen.

59

Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch nach dem genauen Inhalt der Verpflichtungen der öffentlichen Auftraggeber, die Vertraulichkeit der ihnen von den Bietern übermittelten Informationen zu schützen, und nach dem Verhältnis zwischen diesen Verpflichtungen und der Verpflichtung, den Wirtschaftsteilnehmern, die Klage erhoben haben, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Zwar habe der Gerichtshof im Urteil vom 14. Februar 2008, Varec (C‑450/06, EU:C:2008:91), betont, dass die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge auf einem Vertrauensverhältnis zwischen den Wirtschaftsteilnehmern und den öffentlichen Auftraggebern beruhten, jedoch sehe Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2016/943, der nach diesem Urteil erlassen worden sei, vor, dass die Parteien eines Prozesses jedenfalls nicht über unterschiedliche Informationen verfügen dürften, da andernfalls das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und das Recht auf ein faires Verfahren verletzt würden. Da diese Bestimmung das Gericht verpflichte, das Recht der Wirtschaftsteilnehmer zu gewährleisten, von den Geschäftsgeheimnissen einer Partei des Rechtsstreits Kenntnis zu nehmen, könne es auch angebracht sein, ihnen zu gestatten, dieses Recht vor einem etwaigen Gerichtsverfahren auszuüben, insbesondere damit sie in voller Kenntnis der Umstände entscheiden können, ob sie Klage erheben sollen.

60

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass jedoch die Gefahr bestehe, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer dieses Recht dadurch missbrauchten, dass sie den öffentlichen Auftraggeber nicht zur Gewährleistung der Verteidigung ihrer Rechte, sondern nur zu dem Zweck anriefen, Informationen über ihre Wettbewerber zu erhalten. Die Anrufung eines Gerichts würde es diesen Wirtschaftsteilnehmern aber in jedem Fall ermöglichen, die gewünschten Informationen zu erhalten.

61

Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die Richtlinie 2016/943 mit Ausnahme ihres 18. Erwägungsgrundes keine spezielle Bestimmung über die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge enthalte. Es betont, dass auch wenn die öffentlichen Auftraggeber keine Nachprüfungsstellen seien, ihnen das im innerstaatlichen Recht vorgesehene obligatorische System der vorgerichtlichen Streitbeilegung eine weitreichende Befugnis zur Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsteilnehmern verleihe, unabhängig davon, ob diese Antragsteller oder Antragsgegner seien. Die öffentlichen Auftraggeber hätten infolge des Ziels, diesen Wirtschaftsteilnehmern einen wirksamen Schutz ihrer Rechte zu gewährleisten, außerdem die Verpflichtung, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass diese Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit haben, Interessen, die beeinträchtigt worden sein könnten, tatsächlich zu verteidigen. Somit könnten Art. 21 der Richtlinie 2014/24 und die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen sein, dass die Bieter nicht nur im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, sondern auch während der Phase des vorangehenden Verwaltungsrechtsbehelfs Zugang zu Informationen hätten, die Geschäftsgeheimnisse anderer Bieter darstellten.

62

Drittens möchte das vorlegende Gericht von Amts wegen die Frage der Beurteilung der Handlungen des Konsortiums im Hinblick auf Art. 57 Abs. 4 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 prüfen, d. h. die Frage, ob das Konsortium oder zumindest einige seiner Mitglieder der öffentlichen Auftraggeberin nicht etwa falsche Angaben über die Übereinstimmung ihrer Leistungsfähigkeit mit den Vorgaben der Ausschreibung gemacht haben.

63

Das vorlegende Gericht leitet aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ab, dass die von Parsekas gemachten Angaben einen Fall von Fahrlässigkeit bei der Vorlage von Informationen darstellen könnten, der sich auf die Ergebnisse des Vergabeverfahrens ausgewirkt habe. Es geht insoweit davon aus, dass Parsekas weder die Einkünfte hätte angeben dürfen, die sie aus den Verträgen erzielt habe, die sie mit anderen Wirtschaftsteilnehmern, die den die Bewirtschaftung gemischter Abfälle betreffenden Teil erbracht hätten, geschlossen und durchgeführt habe, noch die Einkünfte, die sie aus den Verträgen erzielt habe, die sie selbst durchgeführt habe, bei denen die Bewirtschaftung gemischter Abfälle aber nur einen sehr geringen Teil der betreffenden Abfälle ausgemacht habe.

64

Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht – das darauf hinweist, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem betreffenden Leistungserbringer gestützt sei – insoweit, ob ein nationales Gericht von der Beurteilung des öffentlichen Auftraggebers, dass die Informationen, die ihm im Vergabeverfahren übermittelt wurden, nicht falsch oder irreführend sind, abweichen darf.

65

Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer, der Partei einer Vereinbarung über eine gemeinsame Tätigkeit ist, möglicherweise falsche Angaben gemacht hat, auch dessen Partner, mit denen er das gemeinsame Angebot eingereicht hat, gemäß Art. 46 Abs. 4 Nr. 4 und Art. 52 des Vergabegesetzes in die „Liste der Leistungserbringer, die falsche Angaben gemacht haben“ aufgenommen werden müssen mit der Folge, dass sie für ein Jahr von der Teilnahme an Ausschreibungen anderer öffentlicher Auftraggeber ausgeschlossen werden.

66

Diese Lösung, die sich auf die Solidarität sowie die Interessen- und Haftungsgemeinschaft aller Partnerunternehmen stützen könnte, scheine jedoch dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit dieser Wirtschaftsteilnehmer zu widersprechen, wonach nur ein Wirtschaftsteilnehmer mit einer Sanktion belegt werden könne, der falsche Informationen übermittelt habe.

67

Unter diesen Umständen hat der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Fällt eine Ausschreibungsbedingung, wonach Unternehmen durchschnittliche betriebliche Jahreserträge in bestimmter Höhe nachweisen müssen, die sie ausschließlich aus der Durchführung bestimmte Dienstleistungen (Bewirtschaftung gemischter Siedlungsabfälle) betreffender Tätigkeiten erzielt haben, in den Anwendungsbereich von Art. 58 Abs. 3 oder Abs. 4 der Richtlinie 2014/24?

2.

Kommt es für die vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 4. Mai 2017, Esaprojekt (C‑387/14, EU:C:2017:338), dargelegte Methode zur Bewertung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens auf die Antwort auf die erste Frage an?

3.

Fällt eine Ausschreibungsbedingung, wonach die Unternehmen nachweisen müssen, dass die für die Erbringung der Abfallbewirtschaftungsdienstleistungen erforderlichen Fahrzeuge den spezifischen technischen Vorgaben, einschließlich solche betreffend Schadstoffemissionen (EURO 5), den Einbau eines GPS-Senders, eine angemessene Kapazität usw., entsprechen, in den Anwendungsbereich von Art. 58 Abs. 4, von Art. 42 in Verbindung mit den Bestimmungen des Anhangs VII oder von Art. 70 der Richtlinie 2014/24?

4.

Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 89/665, der den Grundsatz der Wirksamkeit von Nachprüfungsverfahren festlegt, Art. 1 Abs. 3 und 5 dieser Richtlinie, Art. 21 der Richtlinie 2014/24 und die Richtlinie 2016/943, insbesondere ihr 18. Erwägungsgrund und ihr Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 (in Verbindung miteinander oder einzeln, aber ohne die Frage insoweit zu beschränken), dahin auszulegen, dass dann, wenn im nationalen Vergaberecht ein verbindliches vorprozessuales Streitbeilegungsverfahren vorgesehen ist,

a)

der öffentliche Auftraggeber dem Unternehmen, das das Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, alle Einzelheiten des Angebots eines anderen Unternehmens zur Verfügung zu stellen hat (unabhängig von ihrer Vertraulichkeit), wenn Gegenstand dieses Verfahrens gerade die Rechtmäßigkeit der Bewertung des Angebots des anderen Unternehmens ist und das Unternehmen, das das Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, den öffentlichen Auftraggeber vorher ausdrücklich zu ihrer Vorlage aufgefordert hat;

b)

ungeachtet der Antwort auf die vorstehende Frage der öffentliche Auftraggeber, wenn er den Rechtsbehelf des Unternehmens, mit dem die Rechtmäßigkeit der Bewertung des Angebots seines Wettbewerbers angefochten wird, zurückweist, unabhängig davon, ob die Gefahr besteht, dass vertrauliche Informationen über die ihm vorgelegten Angebote verbreitet werden, jedenfalls eine eindeutige, vollständige und konkrete Antwort geben muss?

5.

Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4, Art. 1 Abs. 3 und 5 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665, Art. 21 der Richtlinie 2014/24 und die Richtlinie 2016/943, insbesondere ihr 18. Erwägungsgrund (in Verbindung miteinander oder einzeln, aber ohne die Frage insoweit zu beschränken), dahin auszulegen, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, einem Unternehmen keinen Zugang zu vertraulichen Einzelheiten des Angebots eines anderen Teilnehmers zu gewähren, gesondert gerichtlich angefochten werden kann?

6.

Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen, dass das Unternehmen gegen eine solche Entscheidung einen Rechtsbehelf beim öffentlichen Auftraggeber einlegen und erforderlichenfalls eine gerichtliche Klage erheben muss?

7.

Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Sind Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen, dass das Unternehmen je nach dem Umfang der verfügbaren Informationen über den Inhalt des Angebots des anderen Unternehmens eine gerichtliche Klage ausschließlich gegen die Weigerung erheben kann, ihm die Informationen zu übermitteln, ohne die Rechtmäßigkeit anderer Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers gesondert in Frage zu stellen?

8.

Ist unabhängig von den Antworten auf die vorstehenden Fragen Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2016/943 dahin auszulegen, dass das Gericht dem Antrag des Klägers, der anderen Partei des Rechtsstreits aufzugeben, Beweise vorzulegen, und diese dem Kläger zur Verfügung zu stellen, unabhängig vom Verhalten des öffentlichen Auftraggebers im Vergabe- oder Nachprüfungsverfahren stattzugeben hat?

9.

Ist Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 2016/943 dahin auszulegen, dass das Gericht, sofern es den Antrag des Klägers auf Offenlegung vertraulicher Informationen der anderen Partei des Rechtsstreits zurückgewiesen hat, von Amts wegen die Bedeutung der Angaben, für die die Aufhebung der Vertraulichkeit beantragt wird, und deren Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens zu prüfen hat?

10.

Kann der Ausschlussgrund für den Ausschluss von Unternehmen nach Art. 57 Abs. 4 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs vom 3. Oktober 2019, Delta Antrepriză de Construcţii şi Montaj 93 (C‑267/18, EU:C:2019:826), in dem Sinne angewendet werden, dass das Gericht im Rahmen seiner Prüfung eines Rechtsstreits zwischen einem Unternehmen und dem öffentlichen Auftraggeber von Amts wegen unabhängig von der Beurteilung durch den öffentlichen Auftraggeber entscheiden kann, ob der betreffende Bieter dem öffentlichen Auftraggeber vorsätzlich oder fahrlässig irreführende, in tatsächlicher Hinsicht unrichtige Angaben gemacht hat und daher vom Vergabeverfahren auszuschließen war?

11.

Ist Art. 57 Abs. 4 Buchst. h der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen und anzuwenden, dass dann, wenn das nationale Recht für die Erteilung falscher Auskünfte zusätzliche Sanktionen (neben dem Ausschluss von Vergabeverfahren) vorsieht, diese Sanktionen nur aufgrund persönlicher Verantwortlichkeit verhängt werden dürfen, insbesondere wenn die in tatsächlicher Hinsicht unrichtigen Angaben nur von einem Teil des Kooperationsverbunds von Teilnehmern am Vergabeverfahren (beispielsweise von einem von mehreren Partnern) gemacht werden?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

68

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 58 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer, nachzuweisen, dass sie einen bestimmten durchschnittlichen Jahresumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Tätigkeitsbereich erzielen, ein Eignungskriterium darstellt, das sich auf ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinne von Abs. 3 dieser Vorschrift oder auf ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit im Sinne von Abs. 4 dieser Vorschrift bezieht.

69

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 58 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 die drei Arten von Eignungskriterien dargelegt sind, die die öffentlichen Auftraggeber den Wirtschaftsteilnehmern als Anforderungen an die Teilnahme auferlegen können. Diese Kriterien, die sich auf die Befähigung zur Ausübung des betreffenden Berufs, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer beziehen, sind jeweils in den Abs. 2 bis 4 des genannten Art. 58 konkretisiert.

70

Außerdem ergibt sich aus Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie, dass die öffentlichen Auftraggeber, um sicherzustellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen, von diesen insbesondere verlangen können, einen bestimmten Mindestjahresumsatz, einschließlich eines bestimmten Mindestumsatzes in dem vom Auftrag abgedeckten Bereich, nachzuweisen.

71

Daraus folgt, dass das Erfordernis, dass die Wirtschaftsteilnehmer nachweisen müssen, dass sie in dem vom Auftrag abgedeckten Tätigkeitsbereich einen bestimmten durchschnittlichen Jahresumsatz erzielen, genau der Definition des auf ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit gestützten Eignungskriteriums im Sinne von Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 entspricht und daher unter diese Bestimmung fällt. Des Weiteren geht aus Anhang XII („Nachweise über die Erfüllung der Eignungskriterien“) dieser Richtlinie, konkret aus dessen Teil I, auf den Art. 60 Abs. 3 der Richtlinie verweist, hervor, dass in der nicht erschöpfenden Liste der Nachweise, die die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers belegen können, „de[r] Umsatz für den Tätigkeitsbereich, der Gegenstand der Ausschreibung ist“, aufgeführt ist, was diese Auslegung bestätigt.

72

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 58 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer, nachzuweisen, dass sie einen bestimmten durchschnittlichen Jahresumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Tätigkeitsbereich erzielen, ein Eignungskriterium darstellt, das sich auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Abs. 3 dieser Vorschrift bezieht.

Zur zweiten Frage

73

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 58 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass ein Wirtschaftsteilnehmer in dem Fall, dass der öffentliche Auftraggeber von den Wirtschaftsteilnehmern verlangt hat, dass sie einen bestimmten Mindestumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Bereich erzielt haben, sich zum Nachweis seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit nur dann auf die Einkünfte berufen darf, die von einem vorübergehenden Unternehmenszusammenschluss, dem er angehörte, erzielt wurden, wenn er im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Auftrags tatsächlich zur Ausübung einer Tätigkeit dieses Konsortiums beigetragen hat, die derjenigen entspricht, die Gegenstand des öffentlichen Auftrags ist, für den dieser Wirtschaftsteilnehmer seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen will.

74

Zum Nachweis seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit im Sinne von Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 kann ein Wirtschaftsteilnehmer dem öffentlichen Auftraggeber in der Regel gemäß Art. 60 Abs. 3 Unterabs. 1 dieser Richtlinie einen oder mehrere der in Anhang XII Teil I der Richtlinie aufgelisteten Nachweise vorlegen. Art. 60 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie sieht vor, dass, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer aus einem berechtigten Grund die vom öffentlichen Auftraggeber geforderten Nachweise nicht beibringen kann, er den Nachweis seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Vorlage jedes anderen vom öffentlichen Auftraggeber für geeignet erachteten Belegs erbringen kann.

75

Wie aus Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 hervorgeht, können die öffentlichen Auftraggeber von den Wirtschaftsteilnehmern insbesondere verlangen, einen bestimmten Mindestjahresumsatz, einschließlich eines bestimmten Mindestumsatzes in dem vom Auftrag abgedeckten Bereich, nachzuweisen.

76

Aus dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass die öffentlichen Auftraggeber bei der Festlegung der Voraussetzungen, die gewährleisten können, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die für die Ausführung des Auftrags erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit verfügen, beschließen können, zu verlangen, dass Wirtschaftsteilnehmer einen Mindestjahresgesamtumsatz oder einen bestimmten Mindestumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Bereich erzielt haben, oder diese beiden Anforderungen kombinieren.

77

Hat der öffentliche Auftraggeber aber ausschließlich eine Voraussetzung bezüglich eines bestimmten Mindestjahresumsatzes aufgestellt, ohne zu verlangen, dass dieser bestimmte Mindestumsatz in dem vom Auftrag abgedeckten Bereich erzielt wurde, steht dem nichts entgegen, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer auf die Einkünfte berufen kann, die von einem vorübergehenden Unternehmenszusammenschluss erzielt wurden, dem er angehörte, auch wenn er im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Auftrags nicht tatsächlich zur Ausführung einer Tätigkeit dieses Konsortiums beigetragen hat, die derjenigen entspricht, die Gegenstand des öffentlichen Auftrags ist, für den dieser Wirtschaftsteilnehmer seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen will.

78

Hat der öffentliche Auftraggeber hingegen verlangt, dass dieser bestimmte Mindestumsatz in dem von dem Auftrag abgedeckten Bereich erzielt wurde, so wird mit dieser Anforderung ein doppelter Zweck verfolgt. Sie dient nämlich dazu, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Wirtschaftsteilnehmer festzustellen, und trägt dazu bei, deren technische und berufliche Leistungsfähigkeit festzustellen. In einem solchen Fall sind die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers ebenso wie seine technische und berufliche Leistungsfähigkeit diesem Wirtschaftsteilnehmer als natürliche oder juristische Person eigen und ausschließlich.

79

Daraus folgt, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer im letztgenannten Fall zum Nachweis seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags nur dann auf die Einkünfte berufen kann, die von einem vorübergehenden Unternehmenszusammenschluss, dem er angehörte, erzielt wurden, wenn er im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Auftrags tatsächlich zur Ausübung einer Tätigkeit dieses Konsortiums beigetragen hat, die derjenigen entspricht, die Gegenstand des öffentlichen Auftrags ist, für den dieser Wirtschaftsteilnehmer seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen will.

80

Wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit eines Konsortiums beruft, an dem er beteiligt war, muss diese nämlich im Verhältnis zu der konkreten Beteiligung dieses Wirtschaftsteilnehmers und damit seinem tatsächlichen Beitrag zur Ausführung einer von diesem Konsortium im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Auftrags verlangten Tätigkeit beurteilt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Mai 2017, Esaprojekt, C‑387/14, EU:C:2017:338, Rn. 62).

81

Daher ist im Kontext von Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 der Umsatz, der nach dieser Bestimmung geltend gemacht werden kann, im Rahmen des in Rn. 78 des vorliegenden Urteils genannten Falls auf den Umsatz zu beschränken, der sich auf den tatsächlichen Beitrag des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers zu einer von einem Konsortium im Rahmen eines früheren öffentlichen Auftrags verlangten Tätigkeit bezieht.

82

Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 58 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass ein Wirtschaftsteilnehmer in dem Fall, dass der öffentliche Auftraggeber verlangt hat, dass die Wirtschaftsteilnehmer einen bestimmten Mindestumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Bereich erzielt haben, sich zum Nachweis seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit nur dann auf die Einkünfte berufen darf, die von einem vorübergehenden Unternehmenszusammenschluss, dem er angehörte, erzielt wurden, wenn er im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Auftrags tatsächlich zur Ausübung einer Tätigkeit dieses Konsortiums beigetragen hat, die derjenigen entspricht, die Gegenstand des öffentlichen Auftrags ist, für den dieser Wirtschaftsteilnehmer seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen will.

Zur dritten Frage

83

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 58 Abs. 4 sowie die Art. 42 und 70 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sie gleichzeitig mit einer in einer Ausschreibung enthaltenen technischen Vorgabe angewandt werden können.

84

Insoweit ist davon auszugehen, dass die Richtlinie 2014/24 nicht ausschließt, dass technische Vorgaben zugleich als Eignungskriterien, die sich auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit beziehen, als technische Spezifikationen und/oder als Bedingungen für die Auftragsausführung im Sinne von Art. 58 Abs. 4, Art. 42 bzw. Art. 70 dieser Richtlinie angesehen werden können.

85

Was die sich auf die „technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ der Wirtschaftsteilnehmer beziehenden Eignungskriterien im Sinne von Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 anbelangt, ist festzustellen, dass zu den in Anhang XII Teil II dieser Richtlinie aufgezählten Nachweisen für diese Leistungsfähigkeit nach Buchst. g dieses Teils II die „Angabe der Umweltmanagementmaßnahmen, die der Wirtschaftsteilnehmer während der Auftragsausführung anwenden kann“, und nach Buchst. i dieses Teils II „eine Erklärung, aus der hervorgeht, über welche Ausstattung, welche Geräte und welche technische Ausrüstung der Dienstleistungserbringer oder Unternehmer für die Ausführung des Auftrags verfügt“, zählen.

86

Wenn solche Nachweise geeignet sind, die „technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ der Wirtschaftsteilnehmer zu belegen, können sich technische Vorgaben wie die im vorliegenden Fall in Rede stehenden betreffend die Schadstoffemissionen von Fahrzeugen (Euro-5-Norm) und die Verpflichtung, diese Fahrzeuge mit einem GPS-Sender auszurüsten, auf die „technischen Ressourcen“ der Wirtschaftsteilnehmer beziehen und damit als Eignungskriterien eingestuft werden, die sich auf deren „technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ im Sinne von Art. 58 Abs. 4 beziehen, sofern die Ausschreibungsunterlagen vorsehen, dass sie speziell als eine Leistungsfähigkeit vorgeschrieben werden, bezüglich deren die Bieter nachweisen müssen, dass sie darüber verfügen oder rechtzeitig verfügen werden, um den Auftrag auszuführen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

87

Was die „technischen Spezifikationen“ im Sinne von Art. 42 der Richtlinie 2014/24 anbelangt, geht aus dessen Abs. 3 hervor, dass solche Spezifikationen die für die Leistungen eines Auftrags „geforderten Merkmale“ beschreiben und in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, insbesondere in Bezug auf die Umwelt, oder unter Bezugnahme auf technische Normen formuliert sind. Des Weiteren verweist Abs. 1 des genannten Art. 42 auf Anhang VII der Richtlinie, dessen Nr. 1 Buchst. b in Bezug auf öffentliche Liefer- oder Dienstleistungsaufträge klarstellt, dass eine technische Spezifikation „in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Produkt oder eine Dienstleistung vorschreibt, wie … Umwelt- und Klimaleistungsstufen …“. Somit können auch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Vorgaben, die tatsächlich in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen formuliert sind und insbesondere auf die Euro-5-Norm betreffend Schadstoffemissionen von Fahrzeugen Bezug nehmen, unter den Begriff „technische Spezifikationen“ fallen.

88

Soweit die genannten Vorgaben, die Innovations- und Umwelterwägungen berücksichtigen, besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags vorsehen, mit dem Auftragsgegenstand verbunden zu sein scheinen und im Aufruf zum Wettbewerb oder in den Auftragsunterlagen angegeben sind, können sie schließlich auch unter den Begriff der „Bedingungen für die Auftragsausführung“ im Sinne von Art. 70 der Richtlinie 2014/24 fallen, sofern aus den Ausschreibungsunterlagen hervorgeht, dass sie als Bedingungen vorgeschrieben werden, die der erfolgreiche Bieter in der Phase der Ausführung des Auftrags einzuhalten hat, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

89

Insoweit ist klarzustellen, dass die Einhaltung der Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags nicht bei der Vergabe des Auftrags zu beurteilen ist. Daraus folgt, dass, wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorgabe als Ausführungsbedingung eingestuft würde und wenn der erfolgreiche Bieter sie nicht erfüllt hätte, als ihm der öffentliche Auftrag erteilt wurde, die Nichterfüllung dieser Bedingung keine Auswirkungen auf die Vereinbarkeit der Auftragsvergabe an das Konsortium mit den Bestimmungen der Richtlinie 2014/24 hätte.

90

Somit kann zum einen eine in einer Ausschreibung enthaltene Anforderung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorgabe als Eignungskriterium, das sich auf die technische und berufliche Leistungsfähigkeit bezieht, oder als technische Spezifikation oder sogar als Bedingung für die Ausführung des Auftrags eingestuft werden. Zum anderen ist, da das vorlegende Gericht u. a. wissen möchte, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorgaben mit dem Unionsrecht vereinbar sind, hinzuzufügen, dass die Art. 42 und 70 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sie es nicht grundsätzlich verbieten, dass Vorgaben, die bestimmte technische Merkmale der Fahrzeuge, die für die Erbringung der von einem Auftrag erfassten Dienstleistungen zu verwenden sind, präzisieren, im Rahmen der Ausschreibung dieses Auftrags vorgeschrieben werden, sofern die in Art. 18 Abs. 1 der genannten Richtlinie angeführten fundamentalen Grundsätze der Vergabe öffentlicher Aufträge beachtet werden.

91

Das vorlegende Gericht möchte im Rahmen der dritten Frage auch wissen, ob sich die Einstufung der in Rede stehenden Vorgaben auf die Möglichkeiten einer Berichtigung und Korrektur der eingereichten Angebote auswirken kann.

92

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut von Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dann, wenn von Wirtschaftsteilnehmern zu übermittelnde Informationen oder Unterlagen unvollständig oder fehlerhaft sind oder wenn diese unvollständig oder fehlerhaft zu sein scheinen oder wenn spezifische Unterlagen nicht vorhanden sind, die öffentlichen Auftraggeber, sofern in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist, die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auffordern können, die jeweiligen Informationen oder Unterlagen innerhalb einer angemessenen Frist zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen, sofern diese Aufforderungen unter voller Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung erfolgen.

93

Nach ständiger Rechtsprechung zur Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114), die insbesondere auf dem Grundsatz der Gleichbehandlung beruht und im Kontext des genannten Art. 56 Abs. 3 entsprechend anzuwenden ist, kann eine an einen Wirtschaftsteilnehmer nach dieser Bestimmung gerichtete Aufforderung zur Erläuterung das Fehlen eines Dokuments oder einer Information, deren Übermittlung durch die Auftragsunterlagen gefordert war, jedoch nicht beheben, da der öffentliche Auftraggeber die von ihm selbst festgelegten Kriterien strikt einzuhalten hat. Eine solche Aufforderung darf außerdem nicht darauf hinauslaufen, dass einer der betroffenen Bieter in Wirklichkeit ein neues Angebot einreicht (vgl. entsprechend Urteile vom 29. März 2012, SAG ELV Slovensko u. a., C‑599/10,EU:C:2012:191, Rn. 40, vom 10. Oktober 2013, Manova, C‑336/12, EU:C:2013:647, Rn. 36 und 40, sowie vom 28. Februar 2018, MA.T.I. SUD und Duemme SGR, C‑523/16 und C‑536/16, EU:C:2018:122, Rn. 51 und 52).

94

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Umfang des Rechts des öffentlichen Auftraggebers, es dem erfolgreichen Bieter zu ermöglichen, sein ursprüngliches Angebot später zu ergänzen oder zu erläutern, von der Einhaltung der Bestimmungen des Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen des Grundsatzes der Gleichbehandlung und als solcher nicht von der Einstufung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorgaben als Eignungskriterien, die sich auf die „technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ der Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 58 Abs. 4 dieser Richtlinie beziehen, als „technische Spezifikationen“ im Sinne von Art. 42 der Richtlinie oder als „Ausführungsbedingungen“ im Sinne von Art. 70 der Richtlinie abhängt.

95

Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 58 Abs. 4 sowie die Art. 42 und 70 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sie gleichzeitig mit einer in einer Ausschreibung enthaltenen technischen Vorgabe angewandt werden können.

Zu den Fragen 4 bis 9

Vorbemerkungen

96

Da die Fragen 4, 5, 8 und 9 die Auslegung von Bestimmungen der Richtlinie 2016/943 betreffen, ist zu prüfen, ob diese Richtlinie zum einen auf eine Situation anwendbar ist, in der ein öffentlicher Auftraggeber mit einem Antrag eines Bieters auf Übermittlung von als vertraulich eingestuften Informationen, die im Angebot eines Wettbewerbers enthalten sind, und gegebenenfalls mit einer Beschwerde gegen die Entscheidung, mit der dieser Antrag im Rahmen eines obligatorischen vorgerichtlichen Verfahrens abgelehnt wird, befasst ist, und zum anderen dann, wenn bei einem Gericht eine Klage gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, mit der diese Beschwerde zurückgewiesen wird, anhängig ist.

97

In Anbetracht ihres Gegenstands, wie er in ihrem Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem vierten Erwägungsgrund dargelegt ist, bezieht sich die Richtlinie 2016/943 nur auf den rechtswidrigen Erwerb und die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses und sieht keine Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen in anderen Arten gerichtlicher Verfahren, wie z. B. in Verfahren betreffend die Vergabe öffentlicher Aufträge, vor.

98

Außerdem sieht Art. 4 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie vor, dass der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses als rechtswidrig gilt, wenn er erfolgt durch unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle durch den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt.

99

Des Weiteren berührt diese Richtlinie, wie sich aus ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. c ergibt, nicht die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen es den Organen und Einrichtungen der Union oder den nationalen Behörden vorgeschrieben oder gestattet ist, von Unternehmen vorgelegte Informationen offenzulegen, die diese Organe, Einrichtungen oder Behörden in Einhaltung der Pflichten und gemäß den Rechten, die im Unionsrecht oder im nationalen Recht niedergelegt sind, besitzen. Der 18. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, in dessen Licht diese Bestimmung auszulegen ist, stellt klar, dass die Richtlinie 2016/943 die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden sollte, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Daher ist davon auszugehen, dass die Richtlinie 2016/943 die Behörden nicht von den Geheimhaltungspflichten befreit, die sich aus der Richtlinie 2014/24 ergeben können.

100

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2016/943 schließlich bestimmt, dass der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insofern als rechtmäßig gilt, als der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung durch Unionsrecht oder nationales Recht vorgeschrieben oder erlaubt ist.

101

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 21 in Verbindung mit dem 51. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 vorsieht, dass der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich keine ihm von den Wirtschaftsteilnehmern übermittelten und von diesen als vertraulich eingestuften Informationen weitergibt und dass er Wirtschaftsteilnehmern Anforderungen vorschreiben kann, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Verfügung stellen.

102

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, wird der Gerichtshof daher die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien 2014/24 und 89/665 auslegen, die u. a. die besonderen Vorschriften enthalten, die für die öffentlichen Auftraggeber und die nationalen Gerichte in Bezug auf den Schutz der Vertraulichkeit der ihnen im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge vorgelegten Dokumente gelten.

Zu den Fragen 5 bis 7

103

Mit seinen Fragen 5 bis 7 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4, Art. 1 Abs. 3 und 5 sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen sind, dass eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der es abgelehnt wird, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen, die in den Bewerbungsunterlagen oder im Angebot eines anderen Wirtschaftsteilnehmers enthalten sind, mitzuteilen, eine Handlung darstellt, die Gegenstand einer Nachprüfung sein kann, und dass dann, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt wird, bezüglich der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber ein obligatorisches vorgerichtliches Verfahren vorgesehen hat, einer Klage gegen diese Entscheidung ein solcher vorheriger Verwaltungsrechtsbehelf vorausgehen muss.

104

Insoweit ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 89/665, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um sicherzustellen, dass u. a. hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fallenden Aufträge die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Art. 2 bis 2f der Richtlinie 89/665 auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können. Gemäß Art. 1 Abs. 3 dieser Richtlinie müssen diese Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

105

Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Begriff „Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber“ weit auszulegen ist. Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 89/665 impliziert nämlich mit der Wendung „hinsichtlich der … Aufträge oder Konzessionen“, dass jede Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, die unter die unionsrechtlichen Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen fällt und gegen sie verstoßen kann, der in den Art. 2 bis 2f dieser Richtlinie vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Dieser Wortlaut bezieht sich also allgemein auf die Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers, ohne sie nach ihrem Inhalt oder dem Zeitpunkt ihres Erlasses zu unterscheiden und sieht keine Beschränkung in Bezug auf Art und Inhalt der betreffenden Entscheidungen vor (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a., C‑391/15, EU:C:2017:268, Rn. 26 und 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

106

Diese weite Auslegung des Begriffs der „überprüfbaren Entscheidungen“, die den Gerichtshof u. a. zu der Auffassung veranlasst hat, dass die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der ein Wirtschaftsteilnehmer zur Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zugelassen wird, eine Entscheidung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 89/665 darstellt (Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a., C‑391/15, EU:C:2017:268, Rn. 28; vgl. in diesem Sinne zu Abs. 3 dieser Vorschrift Beschluss vom 14. Februar 2019, Cooperativa Animazione Valdocco, C‑54/18, EU:C:2019:118, Rn. 36), muss auch für die Entscheidung gelten, mit der ein öffentlicher Auftraggeber es ablehnt, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen mitzuteilen, die von einem Bewerber oder einem Bieter übermittelt wurden.

107

Da das vorlegende Gericht mit seiner siebten Frage wissen möchte, ob ein abgelehnter Bieter eine Klage nur gegen die Weigerung, ihm die als vertraulich geltenden Informationen zu übermitteln, erheben kann, ohne auch die Rechtmäßigkeit der übrigen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers in Frage zu stellen, genügt zunächst die Feststellung, dass die Richtlinie 89/665 keine Bestimmung enthält, die dem entgegenstünde, dass ein solcher Bieter eine Klage gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers erhebt, mit der es abgelehnt wird, ihm diese Informationen mitzuteilen, und zwar unabhängig vom Inhalt und von der Tragweite dieser Entscheidung.

108

Sodann wird diese Feststellung, wie der Generalanwalt in den Nrn. 77 und 78 seiner Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, durch die in Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 dieser Richtlinie genannten Ziele der Wirksamkeit und Schnelligkeit bestätigt.

109

Schließlich ist, was die Frage betrifft, ob einer Klage gegen eine Entscheidung, mit der der öffentliche Auftraggeber es ablehnt, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen, die von einem Bewerber oder Bieter übermittelt wurden, mitzuteilen, ein vorheriger Verwaltungsrechtsbehelf vorausgehen muss, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt wird, ein obligatorisches vorgerichtliches Verfahren vorgesehen hat, darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 zwar vorsieht, dass ein Mitgliedstaat verlangen kann, dass die betreffende Person, bevor sie Klage erhebt, zunächst beim öffentlichen Auftraggeber eine Nachprüfung beantragt, diese Bestimmung jedoch weder dieses Nachprüfungsverfahren noch die Modalitäten seiner Durchführung regelt.

110

Hat also der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das betreffende Vergabeverfahren durchgeführt wird, nach Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 vorgesehen, dass derjenige, der eine Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers anfechten möchte, verpflichtet ist, vor der Anrufung des Gerichts einen Verwaltungsrechtsbehelf einzulegen, so kann dieser Mitgliedstaat unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität auch vorsehen, dass einer Klage gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der es abgelehnt wird, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen, die in den Bewerbungsunterlagen oder im Angebot eines anderen Wirtschaftsteilnehmers enthalten sind, mitzuteilen, ein beim öffentlichen Auftraggeber einzulegender Verwaltungsrechtsbehelf vorausgehen muss.

111

Nach alledem ist auf die Fragen 5 bis 7 zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4, Art. 1 Abs. 3 und 5 sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen sind, dass eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der es abgelehnt wird, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen, die in den Bewerbungsunterlagen oder im Angebot eines anderen Wirtschaftsteilnehmers enthalten sind, mitzuteilen, eine Handlung darstellt, die Gegenstand einer Nachprüfung sein kann, und dass dann, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt wird, vorgesehen hat, dass derjenige, der eine Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers anfechten möchte, verpflichtet ist, vor der Anrufung des Gerichts einen Verwaltungsrechtsbehelf einzulegen, dieser Mitgliedstaat auch vorsehen kann, dass einer Klage gegen diese den Zugang verweigernde Entscheidung ein solcher vorheriger Verwaltungsrechtsbehelf vorausgehen muss.

Zu den Fragen 4, 8 und 9

112

Mit seinen Fragen 4, 8 und 9 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 1 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 89/665 sowie Art. 21 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen sind, dass sowohl der öffentliche Auftraggeber als auch gegebenenfalls das zuständige nationale Gericht verpflichtet sind, einem Wirtschaftsteilnehmer, der dies beantragt hat, alle in den von einem Wettbewerber vorgelegten Unterlagen enthaltenen Informationen einschließlich der darin enthaltenen vertraulichen Informationen mitzuteilen. Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob der öffentliche Auftraggeber, wenn er die Mitteilung von Informationen wegen deren Vertraulichkeit ablehnt, seinen Standpunkt zu dieser Vertraulichkeit begründen muss.

– Zum Umfang der Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, vertrauliche Informationen zu schützen, und zur Begründungspflicht

113

Gemäß Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 gibt ein öffentlicher Auftraggeber, sofern in dieser Richtlinie oder im nationalen Recht, dem der öffentliche Auftraggeber unterliegt, insbesondere in den Rechtsvorschriften betreffend den Zugang zu Informationen, nichts anderes vorgesehen ist, und unbeschadet der Verpflichtungen zur Bekanntmachung vergebener Aufträge und der Unterrichtung der Bewerber und Bieter gemäß den Art. 50 und 55 dieser Richtlinie keine ihm von den Wirtschaftsteilnehmern übermittelten und von diesen als vertraulich eingestuften Informationen weiter, wozu insbesondere technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse sowie die vertraulichen Aspekte der Angebote selbst gehören. Art. 21 Abs. 2 der genannten Richtlinie bestimmt, dass öffentliche Auftraggeber Wirtschaftsteilnehmern Anforderungen vorschreiben können, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Verfügung stellen.

114

Außerdem berechtigt Art. 55 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2014/24 zwar ausdrücklich jeden Bieter, der ein ordnungsgemäßes Angebot eingereicht hat, vom öffentlichen Auftraggeber zu verlangen, ihn so schnell wie möglich, in jedem Fall aber binnen 15 Tagen nach Eingang der schriftlichen Anfrage, über die Merkmale und relativen Vorteile des ausgewählten Angebots sowie über den Namen des erfolgreichen Bieters zu unterrichten. Art. 50 Abs. 4 und Art. 55 Abs. 3 dieser Richtlinie sehen jedoch vor, dass die öffentlichen Auftraggeber beschließen können, bestimmte Angaben über die Zuschlagserteilung u. a. dann nicht mitzuteilen, wenn die Offenlegung dieser Angaben dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines bestimmten öffentlichen oder privaten Wirtschaftsteilnehmers schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen Wirtschaftsteilnehmern beeinträchtigen würde.

115

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Hauptziel der Unionsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen der freie Dienstleistungsverkehr und die Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten ist und dass, um dieses Ziel zu erreichen, die öffentlichen Auftraggeber keine das Vergabeverfahren betreffenden Informationen preisgeben dürfen, deren Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb entweder in einem laufenden Vergabeverfahren oder in späteren Vergabeverfahren zu verfälschen. Des Weiteren bedeutet die Pflicht zur Begründung einer Entscheidung, mit der das Angebot eines Bieters im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags abgelehnt wird, nicht, dass dieser Bieter über vollständige Informationen über die Merkmale des vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählten Angebots verfügen müsste. Da die Vergabeverfahren auf einem Vertrauensverhältnis zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Wirtschaftsteilnehmern beruhen, müssen Letztere nämlich den öffentlichen Auftraggebern alle im Rahmen des Vergabeverfahrens zweckdienlichen Informationen mitteilen können, ohne befürchten zu müssen, dass die öffentlichen Auftraggeber Informationen, deren Preisgabe den Wirtschaftsteilnehmern schaden könnte, an Dritte weitergeben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 34 bis 36, und vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 112 und die dort angeführte Rechtsprechung).

116

Aus den in den Rn. 113 und 114 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2014/24 sowie aus der in Rn. 115 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt sich, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der mit einem Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers auf Mitteilung der als vertraulich geltenden Informationen, die im Angebot des Wettbewerbers, an den der Auftrag vergeben wurde, enthalten sind, befasst ist, diese Informationen grundsätzlich nicht mitteilen muss.

117

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 40 und 41 seiner Schlussanträge im Kern ausführt, kann der öffentliche Auftraggeber jedoch nicht an die bloße Behauptung eines Wirtschaftsteilnehmers gebunden sein, dass die übermittelten Informationen vertraulich seien. Dieser Wirtschaftsteilnehmer muss nämlich dartun, dass die Informationen, deren Offenlegung er sich widersetzt, wirklich vertraulich sind, indem er z. B. nachweist, dass diese Informationen technische und handelsbezogene Geschäftsgeheimnisse enthalten, dass ihr Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb zu verfälschen, oder dass ihre Offenlegung ihm schaden könnte.

118

Folglich muss der öffentliche Auftraggeber, wenn er Zweifel hat, ob die von diesem Wirtschaftsteilnehmer übermittelten Informationen vertraulich sind, noch bevor er eine Entscheidung erlässt, mit der dem Antragsteller der Zugang zu diesen Informationen gestattet wird, den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer in die Lage versetzen, zusätzliche Beweise vorzubringen, um die Wahrung von dessen Verteidigungsrechten zu gewährleisten. Angesichts des Schadens, der entstehen kann, wenn bestimmte Informationen zu Unrecht an einen Wettbewerber weitergeleitet werden, muss der öffentliche Auftraggeber dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nämlich die Möglichkeit geben, sich auf die Vertraulichkeit oder das Geschäftsgeheimnis zu berufen, bevor er diese Informationen an einen am Rechtsstreit Beteiligten weitergibt (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 54).

119

Außerdem hat sich der öffentliche Auftraggeber zu vergewissern, dass die Entscheidung, die er auf den Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers auf Mitteilung der Informationen, die in den von einem Wettbewerber übermittelten Unterlagen enthaltenen sind, zu erlassen beabsichtigt, mit den in der Richtlinie 2014/24 enthaltenen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, insbesondere den in den Rn. 113 und 114 des vorliegenden Urteils genannten Vorschriften über den Schutz vertraulicher Informationen, im Einklang steht. Dieselbe Verpflichtung besteht für diesen öffentlichen Auftraggeber, wenn der Mitgliedstaat, dem er angehört, nach Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie 89/665 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, das Recht, eine Klage gegen Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber zu erheben, von der Verpflichtung abhängig zu machen, bei diesen öffentlichen Auftraggebern einen vorherigen Verwaltungsrechtsbehelf einzulegen.

120

Außerdem ist klarzustellen, dass der öffentliche Auftraggeber, wenn er es ablehnt, einem der Wettbewerber eines Wirtschaftsteilnehmers vertrauliche Informationen dieses Wirtschaftsteilnehmers mitzuteilen, oder wenn er im Rahmen eines obligatorischen vorgerichtlichen Verfahrens mit einem gegen seine Weigerung, diese Informationen offenzulegen, gerichteten Verwaltungsrechtsbehelf befasst wird, auch dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz einer guten Verwaltung nachkommen muss, der Anforderungen mit sich bringt, die die Mitgliedstaaten beachten müssen, wenn sie Unionsrecht ausführen (Urteil vom 9. November 2017, LS Customs Services, C‑46/16, EU:C:2017:839, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Von diesen Anforderungen kommt der Pflicht zur Begründung der von den nationalen Behörden erlassenen Entscheidungen ganz besondere Bedeutung zu, da sie es den Adressaten dieser Entscheidungen ermöglicht, ihre Rechte geltend zu machen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob mit einer Klage gegen die Entscheidungen vorzugehen ist. Diese Pflicht ist außerdem notwendig, um den Gerichten die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen zu ermöglichen und stellt somit eine der Voraussetzungen für die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a., 222/86, EU:C:1987:442, Rn. 15, vom 9. November 2017, LS Customs Services, C‑46/16, EU:C:2017:839, Rn. 40, und vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 103).

121

Ferner muss der Grundsatz des Schutzes von vertraulichen Informationen und Geschäftsgeheimnissen so ausgestaltet sein, dass er mit den Erfordernissen eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes und der Wahrung der Verteidigungsrechte der am Rechtsstreit Beteiligten im Einklang steht (Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

122

Um das in Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 aufgestellte Verbot, von Wirtschaftsteilnehmern übermittelte vertrauliche Informationen weiterzugeben, gegen den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz einer guten Verwaltung, aus dem sich die Begründungspflicht ergibt, abzuwägen, muss ein öffentlicher Auftraggeber klar die Gründe zum Ausdruck bringen, aus denen er der Ansicht ist, dass die Informationen, zu denen Zugang beantragt wird, oder zumindest einige davon, vertraulich sind.

123

Außerdem muss bei dieser Abwägung berücksichtigt werden, dass es einem abgelehnten Bieter in Ermangelung ausreichender Informationen, die es ihm ermöglichen würden, zu überprüfen, ob die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über die Vergabe des betreffenden Auftrags an einen anderen Wirtschaftsteilnehmer mit etwaigen Fehlern oder Rechtswidrigkeiten behaftet ist, in der Praxis nicht möglich sein wird, sein Recht auf eine wirksame Nachprüfung gemäß Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 gegenüber einer solchen Entscheidung geltend zu machen, sei es im Rahmen eines Antrags auf Nachprüfung beim öffentlichen Auftraggeber gemäß Abs. 5 dieses Art. 1, sei es im Rahmen einer Klage. Daher muss der öffentliche Auftraggeber, um dieses Recht nicht zu verletzen, nicht nur seine Entscheidung, bestimmte Daten als vertraulich zu behandeln, begründen, sondern muss dem Bieter, der um diese Daten ersucht, auch den wesentlichen Inhalt dieser Daten, insbesondere den Inhalt der Daten betreffend die bestimmenden Gesichtspunkte seiner Entscheidung und des ausgewählten Angebots, in neutraler Form mitteilen, und zwar so weit wie irgend möglich und soweit die Mitteilung geeignet ist, die Vertraulichkeit der spezifischen Elemente dieser Daten, für die insoweit ein Schutz gerechtfertigt ist, zu wahren.

124

Die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, als vertraulich geltende Informationen des Wirtschaftsteilnehmers, an den der öffentliche Auftrag vergeben wurde, zu schützen, darf nämlich nicht so extensiv ausgelegt werden, dass dadurch die Begründungspflicht ihres Inhalts beraubt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 120) und Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665, der insbesondere die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aufstellt, wirksame Nachprüfungsverfahren vorzusehen, die praktische Wirksamkeit genommen wird. Zu diesem Zweck kann der öffentliche Auftraggeber u. a., soweit das nationale Recht, dem er unterliegt, dem nicht entgegensteht, bestimmte Aspekte einer Bewerbung oder eines Angebots sowie deren technische Merkmale in zusammengefasster Form mitteilen, so dass keine Rückschlüsse auf die vertraulichen Informationen möglich sind.

125

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass öffentliche Auftraggeber nach Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 Wirtschaftsteilnehmern Anforderungen vorschreiben können, die den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen bezwecken, die diese Auftraggeber im Rahmen des Vergabeverfahrens zur Verfügung stellen. Somit kann ein öffentlicher Auftraggeber, wenn die nicht vertraulichen Informationen zu diesem Zweck geeignet sind, auch von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, um die Beachtung des Rechts des abgelehnten Bieters auf eine wirksame Nachprüfung sicherzustellen, indem er den Wirtschaftsteilnehmer, dessen Angebot ausgewählt wurde, auffordert, ihm eine nicht vertrauliche Fassung der Dokumente zu übermitteln, die vertrauliche Informationen enthalten.

126

Schließlich ist klarzustellen, dass der öffentliche Auftraggeber jedenfalls verpflichtet ist, den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer rechtzeitig vor der Durchführung dieser Entscheidung von seiner Entscheidung zu unterrichten, einem seiner Wettbewerber Informationen zu übermitteln, deren Vertraulichkeit dieser Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, um es diesem zu ermöglichen, beim öffentlichen Auftraggeber oder beim zuständigen nationalen Gericht vorläufige Maßnahmen wie die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/665 genannten zu beantragen und so zu verhindern, dass ihm ein nicht wieder gutzumachender Schaden entsteht.

– Zum Umfang der Verpflichtung des zuständigen nationalen Gerichts, vertrauliche Informationen zu schützen

127

Bezüglich der Verpflichtungen des zuständigen nationalen Gerichts im Rahmen einer Klage gegen eine Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, mit der ein Antrag auf Zugang zu den Informationen, die der Wirtschaftsteilnehmer, dessen Angebot den Zuschlag erhalten hat, übermittelt hat, ganz oder teilweise abgelehnt wird, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665, der die Wirtschaftsteilnehmer vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen soll, darauf abzielt, sicherzustellen, dass in allen Mitgliedstaaten Möglichkeiten einer wirksamen Nachprüfung bestehen, um die effektive Anwendung der Unionsvorschriften im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu gewährleisten, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

128

Daher haben die Mitgliedstaaten die Modalitäten gerichtlicher Verfahren zum Schutz der Rechte, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, so festzulegen, dass weder die Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 noch die dem Einzelnen durch das Unionsrecht eingeräumten Rechte beeinträchtigt werden. Außerdem sollen die Richtlinie 2007/66, wie sich aus ihrem 36. Erwägungsgrund ergibt, und damit die Richtlinie 89/665, die durch sie geändert und vervollständigt wurde, die uneingeschränkte Achtung des in Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht sicherstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 42 bis 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich müssen die Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Modalitäten gerichtlicher Verfahren die Achtung dieses Rechts gewährleisten. Somit ist, trotz des Fehlens von Vorschriften des Unionsrechts über die Modalitäten von Klagen vor nationalen Gerichten, zur Bestimmung der Intensität der gerichtlichen Überprüfung nationaler Entscheidungen, die aufgrund eines Unionsrechtsakts erlassen wurden, auf dessen Zweck abzustellen und darauf zu achten, dass seine Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird (Urteil vom 26. Juni 2019, Craeynest u. a., C‑723/17, EU:C:2019:533, Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

129

Allerdings verleiht der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens den Parteien im Rahmen einer Nachprüfung betreffend ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags keinen Anspruch auf unbegrenzten und uneingeschränkten Zugang zu allen bei der Nachprüfungsinstanz eingereichten und dieses Vergabeverfahren betreffenden Informationen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 51). Vielmehr ist, wie im Wesentlichen in Rn. 121 des vorliegenden Urteils im Zusammenhang mit den entsprechenden Verpflichtungen der öffentlichen Auftraggeber ausgeführt worden ist, die Verpflichtung, dem abgelehnten Bieter ausreichende Informationen zur Verfügung zu stellen, um sein Recht auf eine wirksame Nachprüfung zu wahren, gegen das Recht anderer Wirtschaftsteilnehmer auf Schutz ihrer vertraulichen Angaben und ihrer Geschäftsgeheimnisse abzuwägen.

130

Das zuständige nationale Gericht hat daher unter vollumfänglicher Berücksichtigung sowohl des Erfordernisses, das öffentliche Interesse an der Wahrung eines lauteren Wettbewerbs im Rahmen der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zu schützen, als auch des Erfordernisses, die wirklich vertraulichen Informationen, insbesondere die Geschäftsgeheimnisse, der Teilnehmer des Ausschreibungsverfahrens zu schützen, zu prüfen, ob der öffentliche Auftraggeber zu Recht annahm, dass die Informationen, deren Übermittlung an den Antragsteller er ablehnte, vertraulich waren. Zu diesem Zweck muss das zuständige nationale Gericht alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Aspekte vollständig prüfen. Daher muss es zwingend über die erforderlichen Informationen, einschließlich vertraulicher Informationen und Geschäftsgeheimnisse, verfügen können, um in der Lage zu sein, in voller Kenntnis der Umstände zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 53).

131

Für den Fall, dass das vorlegende Gericht ebenfalls davon ausgehen sollte, dass die betreffenden Informationen vertraulich sind, was ihrer Offenlegung gegenüber den Wettbewerbern des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers entgegenstünde, ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof entschieden hat, der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens im Allgemeinen zwar das Recht der Verfahrensbeteiligten umfasst, Kenntnis von den Beweismitteln und den beim Gericht eingereichten Erklärungen zu nehmen und diese zu erörtern, es in bestimmten Fällen jedoch zur Wahrung der Grundrechte eines Dritten oder zum Schutz wichtiger Interessen der Allgemeinheit erforderlich sein kann, den Parteien bestimmte Informationen vorzuenthalten (Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 47).

132

Zu den Grundrechten, die so geschützt sein können, gehören das in Art. 7 der Charta verankerte Recht auf Achtung des Privatlebens und der Kommunikation sowie das vom Gerichtshof als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anerkannte Recht auf Schutz von Geschäftsgeheimnissen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 48 und 49).

133

Angesichts der Bedeutung des Schutzes vertraulicher Informationen, auf die u. a. in den Rn. 131 und 132 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, muss die für ein Nachprüfungsverfahren im Bereich der Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuständige Stelle daher erforderlichenfalls entscheiden können, dass bestimmte Informationen, die in den in ihrem Besitz befindlichen Akten enthalten sind, nicht an die Parteien und deren Anwälte weitergegeben werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 43).

134

Außerdem ist klarzustellen, dass, wenn das zuständige nationale Gericht der Auffassung ist, dass der öffentliche Auftraggeber zu Recht und mit hinreichender Begründung entschieden hat, dass die verlangten Informationen wegen ihres vertraulichen Charakters nicht übermittelt werden dürfen, in Anbetracht der diesem öffentlichen Auftraggeber nach dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zukommenden Verpflichtungen, wie sie in den Rn. 121 bis 123 des vorliegenden Urteils dargestellt worden sind, das Verhalten dieses öffentlichen Auftraggebers insoweit nicht mit der Begründung beanstandet werden kann, dass er die Interessen des Wirtschaftsteilnehmers, dessen vertrauliche Informationen verlangt wurden, übermäßig geschützt habe.

135

Das zuständige nationale Gericht muss auch prüfen, ob die Begründung der Entscheidung, mit der der öffentliche Auftraggeber die Offenlegung der vertraulichen Informationen abgelehnt hat, oder die Entscheidung, mit der er den Verwaltungsrechtsbehelf gegen die vorherige ablehnende Entscheidung zurückgewiesen hat, hinreichend ist, um es gemäß der in Rn. 120 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zum einen dem Antragsteller zu ermöglichen, seine Rechte zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob mit einer Klage gegen diese Entscheidung vorzugehen ist, und zum anderen den Gerichten die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung zu ermöglichen. Angesichts des Schadens, der einem Wirtschaftsteilnehmer entstehen kann, wenn bestimmte Informationen zu Unrecht an einen Wettbewerber weitergeleitet werden, ist es außerdem Aufgabe des zuständigen nationalen Gerichts, das Recht des Klägers auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta mit dem Recht auf Schutz der vertraulichen Informationen dieses Wirtschaftsteilnehmers in Einklang zu bringen.

136

Schließlich muss es dem zuständigen nationalen Gericht möglich sein, die Ablehnungsentscheidung oder die Entscheidung über die Zurückweisung des Verwaltungsrechtsbehelfs für nichtig zu erklären, wenn sie rechtswidrig sind, und die Sache gegebenenfalls an den öffentlichen Auftraggeber zurückzuverweisen oder, wenn das nationale Recht es dazu ermächtigt, sogar selbst eine neue Entscheidung zu treffen. Soweit das vorlegende Gericht im Rahmen seiner neunten Frage wissen möchte, ob das mit einem Antrag auf Offenlegung vertraulicher Informationen befasste Gericht selbst nicht nur die Erheblichkeit dieser Informationen, sondern auch deren Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens prüfen muss, genügt der Hinweis, dass es nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89//665 Sache der Mitgliedstaaten ist, die Modalitäten für die Nachprüfungsverfahren festzulegen, die es ermöglichen, Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber anzufechten.

137

Nach alledem sind die Fragen 4, 8 und 9 wie folgt zu beantworten:

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 1 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 89/665 sowie Art. 21 der Richtlinie 2014/24 sind im Licht des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes einer guten Verwaltung dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der mit einem Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers auf Mitteilung der als vertraulich geltenden Informationen, die im Angebot eines Wettbewerbers, an den der Auftrag vergeben wurde, enthalten sind, befasst ist, nicht verpflichtet ist, diese Informationen mitzuteilen, wenn deren Übermittlung zu einem Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts über den Schutz vertraulicher Informationen führen würde, und zwar auch dann nicht, wenn der Antrag des Wirtschaftsteilnehmers im Rahmen eines Nachprüfungsantrags dieses Wirtschaftsteilnehmers betreffend die Rechtmäßigkeit der Bewertung des Angebots des Wettbewerbers durch den öffentlichen Auftraggeber gestellt wird. Lehnt der öffentliche Auftraggeber die Übermittlung solcher Informationen ab oder weist er den Verwaltungsrechtsbehelf eines Wirtschaftsteilnehmers bezüglich der Rechtmäßigkeit der Beurteilung des Angebots des betreffenden Wettbewerbers zurück und lehnt dabei die Übermittlung ab, so muss er das Recht des Antragstellers auf eine gute Verwaltung gegen das Recht des Wettbewerbers auf Schutz seiner vertraulichen Informationen abwägen, damit seine Ablehnungsentscheidung oder seine Zurückweisungsentscheidung begründet ist und dem Recht eines abgelehnten Bieters auf eine wirksame Nachprüfung nicht seine praktische Wirksamkeit genommen wird.

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 1 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 89/665 sowie Art. 21 der Richtlinie 2014/24 sind im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass das zuständige nationale Gericht, das mit einer Klage gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers befasst ist, mit der es abgelehnt wird, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen mitzuteilen, die in den Unterlagen enthalten sind, die der Wettbewerber, an den der Auftrag vergeben wurde, übermittelt hat, oder mit einer Klage gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der der gegen eine solche Ablehnungsentscheidung eingelegte Verwaltungsrechtsbehelf zurückgewiesen wird, verpflichtet ist, das Recht des Klägers auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen das Recht von dessen Wettbewerber auf Schutz seiner vertraulichen Informationen und seiner Geschäftsgeheimnisse abzuwägen. Zu diesem Zweck muss dieses Gericht, das notwendigerweise über die erforderlichen Informationen, einschließlich vertraulicher Informationen und Geschäftsgeheimnisse, verfügen muss, um in voller Kenntnis der Umstände entscheiden zu können, ob diese Informationen übermittelt werden dürfen, alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Aspekte prüfen. Außerdem muss es diesem Gericht möglich sein, die Ablehnungsentscheidung oder die Entscheidung über die Zurückweisung des Verwaltungsrechtsbehelfs für nichtig zu erklären, wenn sie rechtswidrig sind, und die Sache gegebenenfalls an den öffentlichen Auftraggeber zurückzuverweisen oder, wenn das nationale Recht es dazu ermächtigt, sogar selbst eine neue Entscheidung zu treffen.

Zur zehnten Frage

138

Mit seiner zehnten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsstreit zwischen einem von der Vergabe eines Auftrags ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggeber befasst ist, zum einen von der von Letzterem vorgenommenen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Wirtschaftsteilnehmers, an den der Auftrag vergeben wurde, abweichen und folglich in seiner Entscheidung alle notwendigen Konsequenzen daraus ziehen kann und zum anderen den Gesichtspunkt eines vom öffentlichen Auftraggeber begangenen Beurteilungsfehler von Amts wegen berücksichtigen kann.

139

Nach Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 können öffentliche Auftraggeber in einer der in dieser Vorschrift genannten Situationen einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen oder dazu von den Mitgliedstaaten verpflichtet werden.

140

Zunächst ist, da das vorlegende Gericht in seiner zehnten Frage ausdrücklich auf das Urteil vom 3. Oktober 2019, Delta Antrepriză de Construcţii şi Montaj 93 (C‑267/18, EU:C:2019:826) verweist, darauf hinzuweisen, dass sich dieses Urteil auf die Befugnisse des öffentlichen Auftraggebers selbst, eine eigene Beurteilung anhand eines der in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 genannten fakultativen Ausschlussgründe vorzunehmen, bezieht, so dass es für die Beantwortung der genannten Frage nicht unmittelbar relevant ist, da diese Frage die Befugnisse des mit einem Rechtsstreit zwischen einem abgelehnten Bieter und einem öffentlichen Auftraggeber befassten Gerichts betrifft.

141

Insoweit hat der Gerichtshof zwar in den Rn. 28 und 34 des Urteils vom 19. Juni 2019, Meca (C‑41/18, EU:C:2019:507), festgestellt, dass nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung allein dem öffentlichen Auftraggeber und folglich nicht einem nationalen Gericht die Aufgabe übertragen wurde, in der Phase der Auswahl der Bieter zu beurteilen, ob ein Wirtschaftsteilnehmer von einem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

142

Diese Auslegung erfolgte jedoch in Anbetracht des Kontexts der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist und in der der Gerichtshof über eine nationale Regelung zu befinden hatte, wonach die gerichtliche Anfechtung der von einem öffentlichen Auftraggeber wegen erheblicher Mängel bei der Ausführung eines öffentlichen Auftrags getroffenen Entscheidung, diesen zu kündigen, die Beurteilung der Zuverlässigkeit des von dieser Kündigung betroffenen Teilnehmers durch den öffentlichen Auftraggeber, der eine neue Ausschreibung durchführte, in der Phase der Auswahl der Bieter ausschloss (Urteil vom 19. Juni 2019, Meca, C‑41/18, EU:C:2019:507, Rn. 42).

143

Eine Entscheidung, mit der ein öffentlicher Auftraggeber es ablehnt, einen Wirtschaftsteilnehmer, sei es auch stillschweigend, aus einem der in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 vorgesehenen fakultativen Ausschlussgründe von einem Vergabeverfahren auszuschließen, muss aber zwingend von jeder Person angefochten werden können, die ein Interesse daran hat oder hatte, einen bestimmten Auftrag zu erhalten, und der durch einen Verstoß gegen diese Bestimmung ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, da andernfalls gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie es im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge durch Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 sowie durch Art. 47 der Charta gewährleistet ist, verstoßen würde.

144

Daraus folgt, dass ein nationales Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem von der Auftragsvergabe ausgeschlossenen Bewerber oder Bieter und einem öffentlichen Auftraggeber die von diesem vorgenommene Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendung eines der in Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 genannten fakultativen Ausschlussgründe in Bezug auf den Wirtschaftsteilnehmer, dem der Auftrag erteilt wurde, erfüllt waren, überprüfen und folglich davon abweichen kann. Somit kann dieses Gericht je nach Fall in diesem Sinne in der Sache selbst entscheiden oder die Sache zur Entscheidung an den öffentlichen Auftraggeber oder an das zuständige nationale Gericht verweisen.

145

Allerdings gebietet es das Unionsrecht den nationalen Gerichten nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen Unionsvorschriften aufzuwerfen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die ihnen auferlegten Grenzen, insbesondere die Grenzen des von den Parteien festgelegten Streitgegenstands, überschreiten müssten, indem sie sich auf andere Tatsachen und Umstände stützen, als sie die Partei, die ein Interesse an der Anwendung der betreffenden Unionsvorschriften hat, ihrem Begehren zugrunde gelegt hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen, C‑430/93 und C‑431/93, EU:C:1995:441, Rn. 21 und 22, sowie vom 19. Dezember 2018, Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato – Antitrust und Coopservice, C‑216/17, EU:C:2018:1034, Rn. 40).

146

Nach ständiger Rechtsprechung ist es nämlich mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch u. a., gemäß dem Grundsatz der Äquivalenz, nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Urteil vom 6. Oktober 2015, Orizzonte Salute, C‑61/14, EU:C:2015:655, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

147

Daher kann ein nationales Gericht die Frage eines Verstoßes eines Wirtschaftsteilnehmers gegen Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 nur dann von Amts wegen prüfen, wenn es nach seinem nationalen Recht dazu ermächtigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 1995, van Schijndel und van Veen, C‑430/93 und C‑431/93, EU:C:1995:441, Rn. 13 und 14).

148

Nach alledem ist auf die zehnte Frage zu antworten, dass Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsstreit zwischen einem von der Vergabe eines Auftrags ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggeber befasst ist, von der von Letzterem vorgenommenen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Wirtschaftsteilnehmers, an den der Auftrag vergeben wurde, abweichen und folglich in seiner Entscheidung alle notwendigen Konsequenzen daraus ziehen kann. Hingegen kann ein solches Gericht nach dem Äquivalenzgrundsatz den Gesichtspunkt eines vom öffentlichen Auftraggeber begangenen Beurteilungsfehlers nur dann von Amts wegen berücksichtigen, wenn das nationale Recht dies zulässt.

Zur elften Frage

149

Mit seiner elften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 57 Abs. 4 und 6 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der, wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der Mitglied eines Konsortiums von Wirtschaftsteilnehmern ist, bei seinen Auskünften zur Überprüfung des Fehlens von Gründen für einen Ausschluss des Konsortiums oder zur Überprüfung, ob dieses die Eignungskriterien erfüllt, einer schwerwiegenden Täuschung schuldig gemacht hat, ohne dass seine Partner von dieser Täuschung Kenntnis hatten, gegen alle Mitglieder dieses Konsortiums eine Maßnahme zum Ausschluss von jedem öffentlichen Vergabeverfahren verhängt werden kann.

150

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24 für einen Wirtschaftsteilnehmer das Recht vorsieht, für einen bestimmten Auftrag die Kapazitäten anderer Unternehmen – ungeachtet des Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmen bestehenden rechtlichen Beziehungen – in Anspruch zu nehmen, um sowohl die in Art. 58 Abs. 3 der Richtlinie genannten Kriterien zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit als auch die in Art. 58 Abs. 4 der Richtlinie genannten Kriterien zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zu erfüllen (Urteil vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a., C‑210/20, EU:C:2021:445, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

151

Ein Wirtschaftsteilnehmer, der von diesem Recht Gebrauch machen möchte, muss dem öffentlichen Auftraggeber gemäß Art. 59 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2014/24 bei Einreichung seines Teilnahmeantrags oder seines Angebots eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) übermitteln, mit der er bestätigt, dass sich er selbst und die Unternehmen, deren Kapazitäten er in Anspruch nehmen möchte, in keiner der in Art. 57 der Richtlinie genannten Situationen befinden, in der Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden oder ausgeschlossen werden können, und/oder, dass das betreffende Eignungskriterium erfüllt ist.

152

Es obliegt dann nach Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 dem öffentlichen Auftraggeber, u. a. zu überprüfen, ob bezüglich dieses Wirtschaftsteilnehmers oder eines seiner Unternehmen Ausschlussgründe nach Art. 57 der Richtlinie vorliegen. Bejahendenfalls kann er vorschreiben, oder sogar durch den Mitgliedstaat, zu dem er gehört, verpflichtet werden, vorzuschreiben, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen, dessen Kapazitäten er in Anspruch nehmen möchte, bei dem aber nicht zwingende Ausschlussgründe vorliegen, ersetzt.

153

Allerdings ist klarzustellen, dass Art. 63 der Richtlinie 2014/24 voraussetzt, dass der öffentliche Auftraggeber – bevor er von einem Bieter mit der Begründung, dass sich ein Unternehmen, dessen Kapazitäten dieser Bieter in Anspruch nehmen möchte, in einer der in Art. 57 Abs. 1 und 4 der Richtlinie genannten Situationen befindet, die Ersetzung dieses Unternehmens verlangt – dem Bieter und/oder dem Unternehmen die Möglichkeit gibt, ihm Abhilfemaßnahmen zu präsentieren, die das Unternehmen gegebenenfalls ergriffen hat, um die festgestellte Unregelmäßigkeit zu beheben, und folglich nachzuweisen, dass es von Neuem als ein zuverlässiges Unternehmen angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2019, Delta Antrepriză de Construcții și Montaj 93, C‑267/18, EU:C:2019:826, Rn. 37, und vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a., C‑210/20, EU:C:2021:445, Rn. 36).

154

Diese Auslegung von Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie ist geeignet, die praktische Wirksamkeit von Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 1 der Richtlinie sicherzustellen, der grundsätzlich jedem Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer der in Art. 57 Abs. 1 und 4 genannten Situationen befindet, das Recht gewährleistet, nachzuweisen, dass die von ihm getroffenen Maßnahmen ausreichen, trotz des Vorliegens eines einschlägigen Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit zu belegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a., C‑210/20, EU:C:2021:445, Rn. 35).

155

Diese Auslegung trägt außerdem im Einklang mit Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie dazu bei, die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die öffentlichen Auftraggeber sicherzustellen. Aus diesem Grundsatz, der einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, ergibt sich nämlich, dass die von den Mitgliedstaaten oder den öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie aufgestellten Regeln nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 2008, Michaniki, C‑213/07, EU:C:2008:731, Rn. 48, und vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 45).

156

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die öffentlichen Auftraggeber bei der Anwendung fakultativer Ausschlussgründe diesem Grundsatz ganz besonders Rechnung tragen sollen. Dies gilt erst recht, wenn der in der nationalen Regelung vorgesehene Ausschluss den Bieter nicht wegen eines Verstoßes trifft, der ihm zuzurechnen ist, sondern wegen eines Verstoßes, der von einem Unternehmen begangen wurde, dessen Kapazitäten er in Anspruch nehmen möchte und über das er keinerlei Kontrollbefugnis hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Januar 2020, Tim, C‑395/18, EU:C:2020:58, Rn. 48, und vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a., C‑210/20, EU:C:2021:445, Rn. 39).

157

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber nämlich dazu, eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung der Verhaltensweise des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers vorzunehmen. Hierzu muss der öffentliche Auftraggeber die Mittel berücksichtigen, die dem Bieter zur Verfügung standen, um das Vorliegen eines Verstoßes in Bezug auf das Unternehmen zu prüfen, dessen Kapazitäten der Bieter in Anspruch zu nehmen beabsichtigte (Urteil vom 3. Juni 2021, Rad Service u. a., C‑210/20, EU:C:2021:445, Rn. 40).

158

Auf die elfte Frage ist daher zu antworten, dass Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 57 Abs. 4 und 6 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der, wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der Mitglied eines Konsortiums von Wirtschaftsteilnehmern ist, bei seinen Auskünften zur Überprüfung des Fehlens von Gründen für einen Ausschluss des Konsortiums oder zur Überprüfung, ob dieses die Eignungskriterien erfüllt, einer schwerwiegenden Täuschung schuldig gemacht hat, ohne dass seine Partner von dieser Täuschung Kenntnis hatten, gegen alle Mitglieder dieses Konsortiums eine Maßnahme zum Ausschluss von jedem öffentlichen Vergabeverfahren verhängt werden kann.

Kosten

159

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 58 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass die Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer, nachzuweisen, dass sie einen bestimmten durchschnittlichen Jahresumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Tätigkeitsbereich erzielen, ein Eignungskriterium darstellt, das sich auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Abs. 3 dieser Vorschrift bezieht.

 

2.

Art. 58 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 60 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass ein Wirtschaftsteilnehmer in dem Fall, dass der öffentliche Auftraggeber verlangt hat, dass die Wirtschaftsteilnehmer einen bestimmten Mindestumsatz in dem vom betreffenden öffentlichen Auftrag abgedeckten Bereich erzielt haben, sich zum Nachweis seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit nur dann auf die Einkünfte berufen darf, die von einem vorübergehenden Unternehmenszusammenschluss, dem er angehörte, erzielt wurden, wenn er im Rahmen eines bestimmten öffentlichen Auftrags tatsächlich zur Ausübung einer Tätigkeit dieses Konsortiums beigetragen hat, die derjenigen entspricht, die Gegenstand des öffentlichen Auftrags ist, für den dieser Wirtschaftsteilnehmer seine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nachweisen will.

 

3.

Art. 58 Abs. 4 sowie die Art. 42 und 70 der Richtlinie 2014/24 sind dahin auszulegen, dass sie gleichzeitig mit einer in einer Ausschreibung enthaltenen technischen Vorgabe angewandt werden können.

 

4.

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4, Art. 1 Abs. 3 und 5 sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der es abgelehnt wird, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen, die in den Bewerbungsunterlagen oder im Angebot eines anderen Wirtschaftsteilnehmers enthalten sind, mitzuteilen, eine Handlung darstellt, die Gegenstand einer Nachprüfung sein kann, und dass dann, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren zur Vergabe des betreffenden öffentlichen Auftrags durchgeführt wird, vorgesehen hat, dass derjenige, der eine Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers anfechten möchte, verpflichtet ist, vor der Anrufung des Gerichts einen Verwaltungsrechtsbehelf einzulegen, dieser Mitgliedstaat auch vorsehen kann, dass einer Klage gegen diese den Zugang verweigernden Entscheidung ein solcher vorheriger Verwaltungsrechtsbehelf vorausgehen muss.

 

5.

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 1 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung sowie Art. 21 der Richtlinie 2014/24 sind im Licht des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes einer guten Verwaltung dahin auszulegen, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der mit einem Antrag eines Wirtschaftsteilnehmers auf Mitteilung der als vertraulich geltenden Informationen, die im Angebot eines Wettbewerbers, an den der Auftrag vergeben wurde, enthalten sind, befasst ist, nicht verpflichtet ist, diese Informationen mitzuteilen, wenn deren Übermittlung zu einem Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts über den Schutz vertraulicher Informationen führen würde, und zwar auch dann nicht, wenn der Antrag des Wirtschaftsteilnehmers im Rahmen eines Nachprüfungsantrags dieses Wirtschaftsteilnehmers betreffend die Rechtmäßigkeit der Bewertung des Angebots des Wettbewerbers durch den öffentlichen Auftraggeber gestellt wird. Lehnt der öffentliche Auftraggeber die Übermittlung solcher Informationen ab oder weist er den Verwaltungsrechtsbehelf eines Wirtschaftsteilnehmers bezüglich der Rechtmäßigkeit der Beurteilung des Angebots des betreffenden Wettbewerbers zurück und lehnt dabei die Übermittlung ab, so muss er das Recht des Antragstellers auf eine gute Verwaltung gegen das Recht des Wettbewerbers auf Schutz seiner vertraulichen Informationen abwägen, damit seine Ablehnungsentscheidung oder seine Zurückweisungsentscheidung begründet ist und dem Recht eines abgelehnten Bieters auf eine wirksame Nachprüfung nicht seine praktische Wirksamkeit genommen wird.

 

6.

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Art. 1 Abs. 3 und 5 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung sowie Art. 21 der Richtlinie 2014/24 sind im Lichte des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass das zuständige nationale Gericht, das mit einer Klage gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers befasst ist, mit der es abgelehnt wird, einem Wirtschaftsteilnehmer als vertraulich geltende Informationen mitzuteilen, die in den Unterlagen enthalten sind, die der Wettbewerber, an den der Auftrag vergeben wurde, übermittelt hat, oder mit einer Klage gegen eine Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, mit der der gegen eine solche Ablehnungsentscheidung eingelegte Verwaltungsrechtsbehelf zurückgewiesen wird, verpflichtet ist, das Recht des Klägers auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen das Recht von dessen Wettbewerber auf Schutz seiner vertraulichen Informationen und seiner Geschäftsgeheimnisse abzuwägen. Zu diesem Zweck muss dieses Gericht, das notwendigerweise über die erforderlichen Informationen, einschließlich vertraulicher Informationen und Geschäftsgeheimnisse, verfügen muss, um in voller Kenntnis der Umstände entscheiden zu können, ob diese Informationen übermittelt werden dürfen, alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Aspekte prüfen. Außerdem muss es diesem Gericht möglich sein, die Ablehnungsentscheidung oder die Entscheidung über die Zurückweisung des Verwaltungsrechtsbehelfs für nichtig zu erklären, wenn sie rechtswidrig sind, und die Sache gegebenenfalls an den öffentlichen Auftraggeber zurückzuverweisen oder, wenn das nationale Recht es dazu ermächtigt, sogar selbst eine neue Entscheidung zu treffen.

 

7.

Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsstreit zwischen einem von der Vergabe eines Auftrags ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggeber befasst ist, von der von Letzterem vorgenommenen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens des Wirtschaftsteilnehmers, an den der Auftrag vergeben wurde, abweichen und folglich in seiner Entscheidung alle notwendigen Konsequenzen daraus ziehen kann. Hingegen kann ein solches Gericht nach dem Äquivalenzgrundsatz den Gesichtspunkt eines vom öffentlichen Auftraggeber begangenen Beurteilungsfehlers nur dann von Amts wegen berücksichtigen, wenn das nationale Recht dies zulässt.

 

8.

Art. 63 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit Art. 57 Abs. 4 und 6 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der, wenn sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der Mitglied eines Konsortiums von Wirtschaftsteilnehmern ist, bei seinen Auskünften zur Überprüfung des Fehlens von Gründen für einen Ausschluss des Konsortiums oder zur Überprüfung, ob dieses die Eignungskriterien erfüllt, einer schwerwiegenden Täuschung schuldig gemacht hat, ohne dass seine Partner von dieser Täuschung Kenntnis hatten, gegen alle Mitglieder dieses Konsortiums eine Maßnahme zum Ausschluss von jedem öffentlichen Vergabeverfahren verhängt werden kann.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Litauisch.

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