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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62019CC0012

Schlussanträge des Generalanwalts P. Pikamäe vom 2. April 2020.
Mylène Troszczynski gegen Europäisches Parlament.
Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Mitglied des Europäischen Parlaments – Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union – Art. 8 – Parlamentarische Immunität – Tätigkeit ohne Zusammenhang mit dem Amt eines Abgeordneten – Veröffentlichung auf dem Twitter-Konto des Abgeordneten – Art. 9 – Parlamentarische Unverletzlichkeit – Umfang – Beschluss über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität.
Rechtssache C-12/19 P.

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2020:258

 SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 2. April 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑12/19 P

Mylène Troszczynski

gegen

Europäisches Parlament

„Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Mitglied des Europäischen Parlaments – Vorrechte und Befreiungen – Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen – Art. 8 und 9 – Beschluss über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität – Tätigkeit ohne Zusammenhang mit dem Amt eines Abgeordneten – Veröffentlichung auf dem Twitter-Konto des Abgeordneten“

I. Einleitung

1.

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 8. November 2018, Troszczynski/Parlament (T‑550/17, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:754), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Europäischen Parlaments vom 14. Juni 2017 über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Rechtsmittelführerin (im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.

2.

In der vorliegenden Rechtssache wird sich der Gerichtshof mit dem Umfang der Immunität zu befassen haben, die jedem Europaabgeordneten nach dem Protokoll Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union (im Folgenden: Protokoll) ( 2 ), das dem EU- und dem AEU-Vertrag angefügt ist, zustehen. Der Gerichtshof wird Gelegenheit haben, seine einschlägige Rechtsprechung, insbesondere die im Urteil vom 6. September 2011, Patriciello ( 3 ), festgestellten Grundsätze, zu bestätigen und so nützliche Hinweise und Leitlinien zu geben, die zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den Gerichten der Mitgliedstaaten beitragen werden.

II. Rechtlicher Rahmen

3.

Art. 8 des Protokolls lautet:

„Wegen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung dürfen Mitglieder des Europäischen Parlaments weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder verfolgt werden.“

4.

Art. 9 des Protokolls bestimmt:

„Während der Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments

a)

steht seinen Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu,

b)

können seine Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden.

Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort des Europäischen Parlaments.

Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie steht auch nicht der Befugnis des Europäischen Parlaments entgegen, die Unverletzlichkeit eines seiner Mitglieder aufzuheben.“

5.

In Art. 5 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (8. Legislaturperiode – Juli 2014) (im Folgenden: Geschäftsordnung) heißt es:

„Die parlamentarische Immunität ist kein persönliches Vorrecht eines Mitglieds, sondern eine Garantie der Unabhängigkeit des Parlaments als Ganzes und seiner Mitglieder.“

III. Vorgeschichte des Rechtsstreits

6.

Die Rechtsmittelführerin, Frau Mylène Troszczynski (im Folgenden: Rechtsmittelführerin), wurde am 1. Juli 2014 zur Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewählt.

7.

Am 23. September 2015 wurde auf ihrem Twitter-Konto ein Foto veröffentlicht, auf dem eine Gruppe von Frauen zu sehen war, die ein Kleidungsstück trugen, das ihr gesamtes Gesicht mit Ausnahme der Augen verdeckte, und die vor einer Caisse d’allocations familiales (CAF, Familienkasse) zu warten schienen. Das Foto war mit folgendem Kommentar versehen: „CAF in Rosny-sous-Bois am 9. Dezember 2014. Die Vollverschleierung gilt als gesetzlich verboten …“ (im Folgenden: streitiger Tweet).

8.

Am 27. November 2015 reichte der Generaldirektor der CAF von Seine-Saint-Denis (Frankreich) eine Beschwerde wegen öffentlicher Verleumdung einer Behörde ein und trat dem Verfahren als Nebenkläger bei.

9.

Am 19. Januar 2016 eröffnete der Staatsanwalt von Bobigny (Frankreich) eine gerichtliche Voruntersuchung wegen Aufstachelung zu Hass und Gewalt gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen aus Gründen von deren Herkunft oder Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion sowie wegen öffentlicher Verleumdung.

10.

Die Rechtsmittelführerin wurde von einem Ermittlungsrichter zu einer ersten Einvernahme am 20. September 2016 geladen. Nach ihrer Weigerung, dieser Ladung nachzukommen, die sie mit ihrer europäischen parlamentarischen Immunität begründete, beantragte der Ermittlungsrichter mit Schriftsatz vom 23. September 2016, das Parlament mit einem Antrag auf Aufhebung dieser Immunität zu befassen.

11.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 leitete der Oberstaatsanwalt bei der Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) den Antrag des Ermittlungsrichters mit einer befürwortenden Stellungnahme an den französischen Justizminister weiter, damit dieser den Antrag an den Präsidenten des Parlaments übermittele. Am selben Tag übermittelte der französische Justizminister den vom Ermittlungsrichter des Tribunal de grande instance de Bobigny (Gericht erster Instanz Bobigny, Frankreich) gestellten Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Rechtsmittelführerin an den Präsidenten des Parlaments.

12.

Am 16. Januar 2017 gab der Präsident des Parlaments im Plenum bekannt, dass dieser Antrag an den Rechtsausschuss übermittelt werde.

13.

Am 11. April 2017 hörte der Rechtsausschuss die Rechtsmittelführerin an. Am 12. Juni 2017 erstattete dieser Ausschuss seinen Bericht.

14.

Mit Beschluss vom 14. Juni 2017 hob das Parlament die Immunität der Rechtsmittelführerin auf.

15.

Nachdem Klage beim Gericht eingereicht worden war, verwies der mit der Untersuchung befasste Vizepräsident des Tribunal de grande instance de Bobigny (Gericht erster Instanz Bobigny) mit Beschluss vom 26. April 2018 die Rechtsmittelführerin vor das Tribunal correctionnel (Strafgericht, Frankreich).

IV. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

16.

Mit Klageschrift, die am 12. August 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, erhob die Rechtsmittelführerin eine Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses sowie auf Ersatz des durch diesen Beschluss angeblich verursachten immateriellen Schadens.

17.

Die Rechtsmittelführerin stützte ihre Anträge auf vier Gründe: Der erste Klagegrund betraf einen Verstoß gegen Art. 8 des Protokolls. Der zweite Klagegrund betraf einen Verstoß gegen Art. 9 des Protokolls. Der dritte Klagegrund betraf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung und den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung. Der vierte Klagegrund betraf eine Verletzung der Verteidigungsrechte und eine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 9 Abs. 9 und Art. 150 Abs. 2 der Geschäftsordnung.

18.

Das Gericht behandelte die ersten beiden Klagegründe gemeinsam und wies vorab auf eine Rechtsprechung hin, wonach das Parlament, wenn es zu dem Ergebnis gelange, dass der dem Aufhebungsantrag zugrunde liegende Sachverhalt nicht unter Art. 8 des Protokolls falle, weiter zu prüfen habe, ob der Abgeordnete für diesen Sachverhalt Immunität nach Art. 9 des Protokolls genieße, und, wenn dies der Fall sei, entscheiden müsse, ob diese Immunität aufzuheben sei.

19.

Das Gericht teilte das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zur Stützung dieser zwei Klagegründe für die Zwecke seiner Analyse in fünf Rügen: Die erste Rüge betraf den Umstand, dass Art. 26 der französischen Verfassung auf den streitigen Tweet anwendbar sei. Die zweite Rüge betraf den Umstand, dass dieser Tweet eine in Ausübung des parlamentarischen Amtes der Rechtsmittelführerin erfolgte Äußerung im Sinne von Art. 8 des Protokolls darstelle. Die dritte Rüge betraf einen Verstoß gegen das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung, den das Parlament begangen habe, indem es ungerechtfertigterweise die parlamentarische Immunität der Rechtsmittelführerin aufgehoben habe. Die vierte Rüge betraf den Umstand, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei. Die fünfte Rüge betraf einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Rechtsmittelführerin sowie in diejenige des Parlaments.

20.

Das Gericht wies die erste Rüge als ins Leere gehend zurück. Es stellte in Rn. 41 des angefochtenen Urteils fest, dass der Grund, aus dem das Parlament davon ausgegangen sei, dass die Rechtsmittelführerin Art. 26 der französischen Verfassung nicht in Anspruch nehmen könne, nicht darin liege, dass die streitige Erklärung auf Twitter erfolgt sei, sondern vielmehr darin, dass der streitige Tweet nicht als eine in Ausübung des Abgeordnetenamts der Rechtsmittelführerin erfolgte (Meinungs-)Äußerung oder Abstimmung im Sinne von Art. 8 des Protokolls eingestuft werden könne.

21.

In Rn. 54 des angefochtenen Urteils wies das Gericht die zweite Rüge als unbegründet zurück. Es stellte fest, dass der streitige Tweet im Wesentlichen zum Gegenstand habe, die Nichtbeachtung eines französischen Gesetzes zu beklagen, das die Verschleierung des Gesichts im öffentlichen Raum verbiete. Da sich dieser Tweet auf ein bestimmtes Ereignis beziehe, das sich in Frankreich unter Verstoß gegen ein französisches Gesetz vor einer Einrichtung mit öffentlich-rechtlichem Auftrag im französischen Hoheitsgebiet abgespielt haben solle und nicht mit einer allgemeineren Stellungnahme zu aktuellen oder vom Parlament behandelten Themen gleichgesetzt werden könne, befand das Gericht, dass das Parlament, ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen, angenommen habe, dass die Vorwürfe gegen die Rechtsmittelführerin keine in Ausübung ihres Amtes als Mitglied des Parlaments erfolgten Äußerungen oder Abstimmungen im Sinne von Art. 8 des Protokolls beträfen.

22.

Auch die dritte Rüge wies das Gericht in Rn. 59 des angefochtenen Urteils als unbegründet zurück und erinnerte daran, dass Art. 8 des Protokolls die Meinungsfreiheit und die Unabhängigkeit der Abgeordneten schützen solle und daher „eng mit der Meinungsfreiheit verknüpft“ sei. Da der der Rechtsmittelführerin vorgeworfene Sachverhalt nicht unter diesen Artikel falle, habe das Parlament folglich nicht gegen diese Freiheit verstoßen.

23.

Die vierte Rüge wies das Gericht als ins Leere gehend zurück. In den Rn. 61 und 62 des angefochtenen Urteils führte es zum einen aus, dass „die Frage, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der Immunität zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag gestellt wurde, erfüllt waren, sich von derjenigen unterscheidet, zu bestimmen, ob der dem fraglichen Abgeordneten vorgeworfene Sachverhalt nachgewiesen ist“, und zum anderen, dass es nicht dem Parlament obliege, darüber zu entscheiden, ob dieser Sachverhalt der Rechtsmittelführerin zurechenbar sei, oder zu ermitteln, ob diese die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei oder nicht.

24.

Schließlich wurde die fünfte Rüge, die das Gericht im Rahmen des ersten und des zweiten Klagegrundes identifiziert hatte, als unbegründet zurückgewiesen. Das Gericht stellte in den Rn. 66 und 67 des angefochtenen Urteils fest, da Art. 9 des Protokolls ausdrücklich die Möglichkeit vorsehe, die Immunität, in deren Genuss die Parlamentsabgeordneten nach dieser Vorschrift kommen könnten, aufzuheben, „dem Parlament somit nicht vorgeworfen werden [kann], es unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles und auf Antrag des französischen Justizministers als angebracht angesehen zu haben, die sich aus dem Protokoll … ergebende Immunität der [Rechtsmittelführerin] aufzuheben, um den französischen Justizbehörden die Fortsetzung ihrer Untersuchung zu ermöglichen“. Jedenfalls hat die Rechtsmittelführerin nach Ansicht des Gerichts keinen Umstand vorgetragen, der zur Feststellung führen könnte, dass das Parlament im vorliegenden Fall die Unabhängigkeit, die sie aufgrund ihrer Eigenschaft als Abgeordnete habe, beeinträchtigt habe.

25.

Sodann wies das Gericht den dritten Klagegrund, dessen erster Teil einen Verstoß gegen die Begründungspflicht sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung und dessen zweiter Teil einen Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung betraf, in Rn. 102 des angefochtenen Urteils insgesamt zurück.

26.

Im Rahmen des ersten Teils machte die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen geltend, dass ihr der „Grundsatz Nr. 2“ der Mitteilung an die Mitglieder Nr. 11/2003 des Rechts- und Binnenmarktausschusses des Parlaments vom 6. Juni 2003, betreffend die „Aufhebung der Immunität nach Art. [9] des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen. Grundsätze nach den Rechtssachen betreffend die Meinungsäußerung“ (im Folgenden: Mitteilung Nr. 11/2003) hätte zugutekommen müssen, wonach „[e]s … ein fundamentaler Grundsatz [ist], dass in den Fällen, in denen die Handlungen, die dem Abgeordneten vorgeworfen werden, im Rahmen seiner politischen Tätigkeit erfolgen oder unmittelbar damit zusammenhängen, die Immunität nicht aufgehoben wird“.

27.

Um dieses Vorbringen zurückzuweisen, stützte sich das Gericht auf eine Rechtsprechung, wonach die Mitteilung Nr. 11/2003 es nicht binden könne, da es kein Rechtsakt des Parlaments im Sinne von Art. 288 AEUV sei ( 4 ). Das Gericht wies zum einen darauf hin, da die Rechtsmittelführerin weder die Handlungen oder Äußerungen dargelegt habe, die den Abgeordneten vorgeworfen worden seien, die sie als Begünstigte dieser Mitteilung angegeben habe, noch die Umstände, unter denen sich der in Rede stehende Sachverhalt ereignet habe, habe sie nicht nachgewiesen, dass die Situation dieser Abgeordneten mit der ihrigen vergleichbar sei. Zum anderen habe sie, da im vorliegenden Fall kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem streitigen Tweet und dem Abgeordnetenamt der Rechtsmittelführerin bestehe, auch nicht nachgewiesen, dass das Parlament vom „Grundsatz Nr. 2“ abgewichen sei (Rn. 81 des angefochtenen Urteils).

28.

Im Rahmen des zweiten Teils des dritten Klagegrundes machte die Rechtsmittelführerin im Wesentlichen geltend, das Parlament habe gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen, indem es im vorliegenden Fall nicht das Bestehen eines fumus persecutionis festgestellt habe, wie er in der Mitteilung Nr. 11/2003 definiert sei, d. h. ein Fall, in dem hätte angenommen werden müssen, dass die gerichtliche Verfolgung der Rechtsmittelführerin mit der Absicht eingeleitet worden sei, ihrer politischen Tätigkeit zu schaden. Diese Verfolgung sei vom damaligen französischen Justizminister eingeleitet worden, der ein erklärter Gegner des Front National gewesen sei, der politischen Partei, zu deren Vertretern sie gehöre. Überdies sei diese Verfolgung kurz vor einem Wahlkampf eingeleitet worden.

29.

Das Gericht wies den zweiten Teil des dritten Klagegrundes zurück, indem es erstens darauf hinwies, die Rechtsmittelführerin habe „keinen konkreten Anhaltspunkt, abgesehen von der abweichenden politischen Einstellung, zum Nachweis dafür [beigebracht], dass die französische Regierung und insbesondere der französische Justizminister den Front National verfolge“, und auch nicht dafür, dass „nur oder zumindest zum Teil ihre Zugehörigkeit zum Front national die Einleitung einer gerichtlichen Voruntersuchung im vorliegenden Fall ausgelöst habe“ ( 5 ).

30.

Zweitens stellte das Gericht fest, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität der Rechtsmittelführerin im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt sei, das ungewöhnlich abgelaufen sei, insbesondere im Hinblick auf Fristen.

31.

Drittens vertrat das Gericht, nachdem es wiederholt hatte, dass die Frage, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der parlamentarischen Immunität zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag gestellt worden sei, erfüllt gewesen seien, sich von derjenigen unterscheide, zu bestimmen, ob der dem fraglichen Abgeordneten vorgeworfene Sachverhalt nachgewiesen sei, die Auffassung, dass keiner der von der Rechtsmittelführerin in diesem Kontext geltend gemachten Gesichtspunkte – nämlich als Erstes, dass ihr Assistent den streitigen Tweet ohne ihr Wissen abgefasst habe, als Zweites, dass das streitige Bild eine Fotomontage sei, die aus einem frei zugänglichen Foto erstellt und bereits im Internet verbreitet und geteilt worden sei, ohne dass ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden sei, insbesondere von der CAF von Seine-Saint-Denis, als Drittes, dass die Rechtsmittelführerin den Tweet sofort, nachdem sie davon Kenntnis erlangt habe, gelöscht habe, als Viertes, dass sie im Fall der Verurteilung Gefahr liefe, dass als Nebenstrafe der Verlust des passiven Wahlrechts sowie der Verlust ihres Mandats einer Europaabgeordneten und aller ihrer Wahlmandate gegen sie verhängt werde – „zu den Umständen gehörte, die das Parlament für die Feststellung, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung der parlamentarischen Immunität im vorliegenden Fall erfüllt waren, zu berücksichtigen hatte“ ( 6 ).

32.

Ergänzend stellte das Gericht fest, dass der Verweisungsbeschluss vor das Tribunal correctionnel (Strafgericht), den der Vizepräsident des Tribunal de grande instance de Bobigny (Gericht erster Instanz Bobigny) nach dem streitigen Beschluss erlassen habe und der in der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden sei, der Argumentation der Rechtsmittelführerin betreffend das Bestehen eines fumus persecutionis seitens der französischen Justizbehörden tendenziell widerspreche. Das Gericht wies insoweit darauf hin, dass nach diesem Beschluss der Umstand, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets sei, ihrer Verfolgung auf der Grundlage des französischen Gesetzes vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit (im Folgenden: Gesetz vom 29. Juli 1881) nicht entgegenstehe.

33.

Schließlich prüfte das Gericht in den Rn. 105 bis 120 des angefochtenen Urteils den vierten Nichtigkeitsgrund, der eine Verletzung der Verteidigungsrechte und eine Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 9 Abs. 9 und Art. 150 Abs. 2 der Geschäftsordnung betraf, und wies diesen zurück.

V. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

34.

Der Rechtsmittelführerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

der Rechtsmittelführerin Erstattung der Verfahrenskosten in angemessener Höhe zuzuerkennen;

dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

35.

Das Parlament beantragt,

das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen;

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

VI. Rechtliche Würdigung

A. Vorbemerkungen

1.   Die Rolle und der Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

36.

Die Europaabgeordneten sind die Vertreter der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Sie sind für die Probleme der Bürger, Interessengemeinschaften und Unternehmen da. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt und stellen die Verbindung zwischen den Bürgern und den verschiedenen Organen dar. Als Mitglieder des Parlaments verleihen sie dem gesamten Prozess der Integration eine demokratische Legitimierung. Die Europaabgeordneten spielen nicht nur eine zentrale Rolle im Gesetzgebungsverfahren, indem sie u. a. befugt sind, Änderungen von ihnen zur Abstimmung vorgelegten Entwürfen von Rechtsakten vorzuschlagen. Sie können auch in allen Bereichen ihrer Zuständigkeit Entschließungen vorschlagen. Sie beeinflussen auch die Tätigkeiten des Rates und der Europäischen Kommission, indem sie diese Organe zum Handeln auffordern können. Sie sind somit an der Entscheidungsfindung zu den großen zeitgenössischen Fragen, wie dem Klimawandel, der Migration, den Menschenrechten auf der Welt, den Abkommen mit Drittstaaten oder internationalen Organisationen und der Regelung der Finanzmärkte, beteiligt. Außerdem üben die Europaabgeordneten eine wichtige Kontrollfunktion aus, da sie den Unionshaushalt verabschieden, die Zusammensetzung der Kommission genehmigen, Untersuchungsausschüsse bilden und sogar Mitgliedern der Kommission das Misstrauen aussprechen können, die sodann ihr Amt niederlegen müssen.

37.

Um die Ausübung ihres Mandats in Unabhängigkeit und ohne Einmischung sicherzustellen, wird den Europaabgeordneten ein besonderer Status gewährt. Wie der Gerichtshof im Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑200/07 und C‑201/07, Marra ( 7 ), festgestellt hat, umfasst die in den Art. 8 und 9 des Protokolls vorgesehene parlamentarische Immunität der Europaabgeordneten die beiden Arten von Schutz, die in der Regel den Mitgliedern der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten zuerkannt werden, nämlich Immunität in Bezug auf die in Ausübung des Abgeordnetenamts erfolgten Äußerungen und Abstimmungen sowie parlamentarische Unverletzlichkeit, die grundsätzlich Schutz vor gerichtlicher Verfolgung bieten ( 8 ). Es ist darauf hinzuweisen, dass ihnen die Immunität, die ihnen das Protokoll verleiht, keineswegs einen persönlichen Vorteil verschaffen soll, sondern das Ziel hat, das Parlament bei der Ausübung seiner Tätigkeiten gegen die Hindernisse oder Gefährdungen zu schützen, die sein ordnungsgemäßes Funktionieren beeinträchtigen können, wie der Gerichtshof jüngst im Urteil Junqueras Vies ( 9 ) festgestellt hat.

38.

Es ist daher kohärent, das Parlament zu ermächtigen, selbst zu bestimmen, ob eine gerichtliche Verfolgung eines seiner Mitglieder sein Funktionieren zu beeinträchtigen vermag. Wie sich nämlich aus Art. 9 Abs. 3 des Protokolls ergibt, kann dieser besondere Status nicht der Befugnis des Parlaments entgegenstehen, die Unverletzlichkeit eines seiner Mitglieder aufzuheben. Gerade auf der Grundlage dieser Bestimmung hob das Parlament die Immunität der Rechtsmittelführerin nach einem Antrag der französischen Behörden auf. Im Rechtsstreit vor dem Gericht rügte die Rechtsmittelführerin, das Parlament habe, neben einem Verstoß gegen eine Reihe von Verfahrensgarantien, die Bestimmungen des Protokolls falsch angewandt, indem es den Umfang der parlamentarischen Immunität, die ihr zugutekomme, verkannt habe. In der vorliegenden Rechtssache beanstandet die Rechtsmittelführerin hingegen einen „offensichtlichen Beurteilungsfehler“ des Gerichts, der in prozessualer Hinsicht zu definieren ist, um das Rechtsmittel angemessen behandeln zu können.

2.   Im vorliegenden Rechtsmittel zu berücksichtigende verfahrensrechtliche Aspekte

39.

Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe, die in einem einzigen Abschnitt mit dem Titel „Unionsrechtsverstöße des Gerichts – Rechtsfehler und Fehler bei der rechtlichen Qualifikation des Sachverhalts – offensichtlicher Beurteilungsfehler“ zusammengefasst werden. Die Rechtsmittelführerin rügt, das Gericht habe einen „offensichtlichen Beurteilungsfehler“ bei der Würdigung sowohl des zweiten als auch des dritten Klagegrundes der Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses nach Art. 263 AEUV begangen. Jeder der beiden geltend gemachten Beurteilungsfehler habe „Folgen für die rechtliche Einstufung, die das Gericht zu den verfolgten Äußerungen und ihrem Kontext [treffe], und dafür, dass [der Rechtsmittelführerin] die Art. 8 und 9 des Protokolls nicht zugute[kämen]“.

40.

Vor der Untersuchung der beiden Klagegründe möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Rechtsmittelführerin einer ungenauen Terminologie bedient, um die angeblich vom Gericht begangenen Fehler zu beschreiben. Wie später zu sehen sein wird, ist außerdem nicht klar zu erkennen, wie die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Beurteilungsfehler die Rechtsgültigkeit bestimmter Schlussfolgerungen, die das Gericht im angefochtenen Urteil gezogen hat, in Frage stellen könnten. Vor diesem Hintergrund scheint es mir erforderlich, an die Grundsätze zu erinnern, die das Rechtsmittelverfahren kennzeichnen und die als Anhaltspunkte bei der vorzunehmenden Analyse dienen werden.

41.

Gemäß Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Es kann nur auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, sowie auf eine Verletzung des Unionsrechts durch das Gericht gestützt werden. Die Würdigung der Tatsachen und Beweise ist, außer im Fall ihrer Verfälschung, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt ( 10 ). Allerdings liegt eine Verfälschung dann vor, wenn ohne Erhebung neuer Beweise die Würdigung der vorliegenden Beweismittel offensichtlich unzutreffend ist oder ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht ( 11 ). Hingegen ist der Gerichtshof zur Kontrolle ihrer rechtlichen Qualifizierung und der Rechtsfolgen, die das Gericht aus ihnen gezogen hat, befugt ( 12 ). Im Licht dieser Grundsätze sind die Klagegründe der Rechtsmittelführerin im Folgenden zu prüfen.

B. Zum ersten Rechtsmittelgrund

1.   Vorbringen der Parteien

42.

Zum Beurteilungsfehler, der bei der Würdigung des zweiten Klagegrundes begangen worden sei, beanstandet die Rechtsmittelführerin zunächst, das Gericht habe festgestellt, erstens, dass das mit dem streitigen Tweet kommentierte Ereignis aufgrund seiner geografischen Lokalisierung in Frankreich nicht Teil der Angelegenheiten von Bedeutung für einen Europaabgeordneten sei, zweitens, dass eine Meinungsäußerung zwangsläufig eine allgemeine Stellungnahme darstelle und sich nicht auf ein bestimmtes Ereignis beziehen könne, und drittens, dass „der Umstand, dass ein Parlamentarier auf ein Verhalten hinweist, das dem französischen Recht widerspricht, kein aktuelles Thema ist“.

43.

Die Rechtsmittelführerin macht gegenüber der ersten angeblich falschen Feststellung des Gerichts geltend, dass jeder Abgeordnete von seinem Land gewählt sei, seine Wähler vertrete und für die Dauer seines Mandats eine notwendige Verbindung zu ihnen aufrechterhalten müsse, „indem er u. a. Tatsachen anspricht, die sie interessieren oder angehen“.

44.

Gegenüber der zweiten angeblich falschen Feststellung des Gerichts bringt die Rechtsmittelführerin erstens vor, sie widerspreche der Mitteilung Nr. 11/2003 und insbesondere deren Grundsatz Nr. 2, zweitens, dass der streitige Tweet nach dem Gesetz vom 29. Juli 1881 als Meinungsäußerung angesehen werde, und drittens, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 8. Oktober 2009, Brunet-Lecomte und Tanant/Frankreich ( 13 ), der Auffassung gewesen sei, dass „eine beleidigende oder verleumderische Äußerung … Bestandteil der politischen Auseinandersetzung werden und vom Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung geschützt sein kann, wenn ein allgemeines Interesse daran besteht, darüber zu debattieren“.

45.

Die Rechtsmittelführerin beanstandet die dritte, angeblich falsche Feststellung des Gerichts, indem sie zum einen vorträgt, das Tragen des Ganzkörperschleiers im öffentlichen Raum sei als äußere Bekundung der Zugehörigkeit zum Islam „ein Thema von allgemeinem Interesse, das das öffentliche Leben wie auch die Rechte der Frauen betrifft“, und zum anderen, dass das Gericht die Rechtsprechung des Urteils Patriciello hätte anwenden müssen, soweit dieses für die Ablehnung der Aufhebung der parlamentarischen Immunität eines Abgeordneten „[das] allgemeine… Interesse seiner Wähler im Rahmen seiner politischen Tätigkeit“ anführe.

46.

Das Parlament macht geltend, dass diese drei Rügen auf einer unzutreffenden Lesart des angefochtenen Urteils beruhten. Unter Bezugnahme auf, erstens, Rn. 53 des angefochtenen Urteils führt es aus, dass das Gericht nicht feststelle, das kommentierte Ereignis sei aufgrund seiner geografischen Lokalisierung in Frankreich nicht Teil der Angelegenheiten von Bedeutung für einen Europaabgeordneten, vielmehr stelle es fest, dass der streitige Tweet sich auf ein bestimmtes Ereignis beziehe, das nicht mit einer allgemeineren Stellungnahme zu aktuellen oder vom Parlament behandelten Themen gleichgesetzt werden könne.

47.

Zweitens hat das Gericht nach Ansicht des Parlaments nicht festgestellt, dass eine Äußerung eine allgemeine Stellungnahme darstellen müsse, die sich nicht auf ein bestimmtes Ereignis beziehen dürfe, sondern vielmehr, dass die konkrete in Rede stehende Äußerung keinen unmittelbaren und in offenkundiger Weise ersichtlichen Zusammenhang mit dem Abgeordnetenamt der Rechtsmittelführerin habe.

48.

Drittens habe das Gericht nicht entschieden, dass der Umstand, dass ein Abgeordneter auf ein Verhalten hinweise, das dem nationalen Recht widerspreche, kein aktuelles Thema sei, sondern nur, dass der streitige Tweet nicht mit einer allgemeineren Stellungnahme zu aktuellen Themen gleichgesetzt werden könne.

49.

Außerdem hebt das Parlament hinsichtlich des Verweises auf das Urteil Patriciello hervor, dass das in Rede stehende Zitat aus Rn. 12 dieses Urteils stamme, das Teil der beim Gerichtshof in dieser Rechtssache vorgetragenen Sachverhaltsdarstellung und nicht seiner Argumentation sei.

2.   Würdigung

a)   Zum Fehlen eines unmittelbaren und in offenkundiger Weise ersichtlichen Zusammenhangs zwischen der in Rede stehenden Tätigkeit und der normalen Amtsausübung durch einen Europaabgeordneten

50.

Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass aus Art. 8 des Protokolls klar hervorgeht, dass die Mitglieder des Parlaments „[w]egen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung … weder in ein Ermittlungsverfahren verwickelt noch festgenommen oder verfolgt werden [dürfen]“ ( 14 ). Aus einer wörtlichen Analyse dieser Bestimmung kann abgeleitet werden, dass sich ein Europaabgeordneter durchaus auf seine parlamentarische Immunität berufen kann, wenn ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen seinen Äußerungen oder Abstimmungen und der normalen Amtsausübung besteht. Zu einem solchen Ergebnis kann man auch gelangen, wenn man diese Bestimmung unter Berücksichtigung ihres Ziels, auf das ich bereits in meinen Vorbemerkungen ( 15 ) hingewiesen habe, analysiert, das darin besteht, das ordnungsgemäße Funktionieren des Parlaments vor jeder Einflussnahme zu schützen.

51.

Diese Auslegung wird durch das Urteil Patriciello bestätigt, in dem der Gerichtshof diese Bestimmung dahin ausgelegt hat, dass „der Zusammenhang zwischen der erfolgten Äußerung und dem parlamentarischen Amt unmittelbar und in offenkundiger Weise ersichtlich sein muss“ ( 16 ). In diesem Zusammenhang wird darauf hinzuweisen sein, dass der Gerichtshof eine eher enge Auslegung des Begriffs der Immunität vertreten hat ( 17 ), und zwar aus Gründen, die mir relevant erscheinen. Der Gerichtshof hat dargelegt, dass die in Art. 8 des Protokolls vorgesehene Immunität „geeignet [ist], die nationalen Justizbehörden und Gerichte in endgültiger Weise daran zu hindern, zur Wahrung der öffentlichen Ordnung in ihrem Hoheitsgebiet ihre jeweiligen Befugnisse zur Strafverfolgung und zur Ahndung von Straftaten auszuüben, und dementsprechend den durch diese Äußerungen geschädigten Personen den Zugang zu den Gerichten, einschließlich gegebenenfalls der Zivilgerichte für die Erwirkung von Schadensersatz, vollständig zu verwehren“ ( 18 ). Daraus ergibt sich das Erfordernis, von Fall zu Fall beurteilen, ob die Voraussetzungen vorliegen, die es einem Europaabgeordneten erlauben, sich wirksam auf die Immunität zu berufen ( 19 ).

52.

Dies vorausgeschickt, stelle ich fest, dass zwischen den Umständen des vorliegenden Falles und denjenigen der Rechtssache Patriciello einige Parallelen bestehen, deren Anführung in der vorliegenden Untersuchung mir wichtig scheint, um die Argumentation des Gerichts besser zu verstehen. In beiden Rechtssachen äußern sich die in Rede stehenden Abgeordneten – entweder selbst oder über Dritte – zu Tatsachen, die außerhalb des Parlaments stattgefunden haben sollen und in keinem offensichtlichen Zusammenhang mit dem Amt eines Europaabgeordneten stehen.

53.

In der Rechtssache Patriciello hatte sich der in Rede stehende Abgeordnete zu dem angeblich rechtswidrigen Verhalten eines Polizeibeamten in seinem Herkunftsmitgliedstaat geäußert, wobei der Gerichtshof der Auffassung war, dass diese Umstände „den Aufgaben eines Mitglieds des Europäischen Parlaments fernstehend erscheinen und daher schwerlich geeignet sein können, mit einem die Bürger beschäftigenden Allgemeininteresse in unmittelbarem Zusammenhang zu stehen“. Da es sich seinerzeit um ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV handelte, hat der Gerichtshof sodann, vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Beurteilungen, entschieden, dass, „[s]elbst wenn ein solcher Zusammenhang erwiesen werden könnte, … er nicht in offenkundiger Weise ersichtlich [wäre]“ ( 20 ).

54.

In der vorliegenden Rechtssache werfen die französischen Justizbehörden der Rechtsmittelführerin vor, auf ihrem Twitter-Konto ein Foto veröffentlicht zu haben, das angeblich mit einem Ereignis im Zusammenhang steht, das in dem sich an einem Ort im Herkunftsmitgliedstaat der Rechtsmittelführerin befindenden Gebäude einer Behörde stattgefunden haben soll. Insbesondere geht aus Rn. 52 des angefochtenen Urteils hervor, dass der streitige Tweet darauf abzielte, „die Nichtbeachtung eines französischen Gesetzes, das die Verschleierung des Gesichts im öffentlichen Raum verbietet, durch eine Gruppe von Frauen zu beklagen, die ein ihr ganzes Gesicht mit Ausnahme der Augen verschleierndes Kleidungsstück tragen und sich vor der CAF von Rosny-sous-Bois befinden sollen“. Der Zusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und den typischen Aufgaben eines Europaabgeordneten, die ich in meinen Vorbemerkungen dargelegt habe ( 21 ), ist meines Erachtens nicht in offenkundiger Weise ersichtlich, jedenfalls nicht mehr als unter den Umständen der Rechtssache Patriciello. Es ist kein Zusammenhang mit den Zielen oder den Politiken der Union erkennbar, die das Parlament in seiner Rolle als Entscheidungsträger beeinflussen soll. Die in Rede stehenden Tätigkeiten scheinen auch nicht geeignet, über die rein örtliche Ebene hinauszugehen. Folglich sind die Umstände der beiden Rechtssachen auf rechtlicher Ebene in gleicher Weise zu bewerten.

55.

Ich teile daher die Beurteilung des Gerichts in Rn. 54 des angefochtenen Urteils hinsichtlich des Fehlens eines unmittelbaren und offenkundigen Zusammenhangs zwischen, zum einen, den der Rechtsmittelführerin und ihren Mitarbeitern angelasteten Tatsachen und, zum anderen, ihren Aufgaben als Abgeordnete. Daher ist zu dem Ergebnis zu gelangen, dass das Gericht rechtsfehlerfrei bestätigt hat, dass die angenommenen Tätigkeiten keine Äußerungen oder Abstimmungen der Rechtsmittelführerin in Ausübung ihres Amtes als Abgeordnete des Parlaments im Sinne von Art. 8 des Protokolls betrafen.

56.

Bevor ich diesen Punkt der Untersuchung abschließe, möchte ich einige Klarstellungen zu Rn. 12 des Urteils Patriciello machen, der die Rechtsmittelführerin eine besondere Bedeutung für die Auslegung des Protokolls beizumessen scheint. In ihren Erklärungen macht sie geltend, die angeführte Passage enthalte rechtliche „Grundsätze“, die das Gericht ihr gegenüber hätte anwenden müssen. Es ist jedoch festzustellen, dass dir fragliche Passage nicht Teil der Urteilsgründe, sondern der Zusammenfassung des Sachverhalts ist. Daher kann daraus kein Rechtsgrundsatz abgeleitet werden, der das Gericht binden könnte. Da außerdem die Gründe, aus denen das Parlament damals beschlossen hatte, die Immunität des betreffenden Europaabgeordneten zu verteidigen, angeführt werden, nämlich der Umstand, dass der Letztere „im allgemeinen Interesse seiner Wähler im Rahmen seiner politischen Tätigkeit“ gehandelt habe, genügt es, auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die diesem Beschluss zugrunde liegende Beurteilung, die auf einer Empfehlung des Rechtsausschusses des Parlaments beruhte, keine Auswirkung auf die Auslegung von Art. 8 des Protokolls durch den Gerichtshof gehabt hat. Ganz im Gegenteil geht aus dem Tenor des Urteils Patriciello eindeutig hervor, dass eine Tätigkeit wie die weiter oben beschriebene nicht von der Immunität gedeckt ist, die diese Bestimmung verleiht. Folglich kann die Rechtsmittelführerin die reinen Tatsachenfeststellungen in Rn. 12 des Urteils Patriciello nicht für sich ins Feld führen.

57.

Da eines der wesentlichen Kriterien von Art. 8 des Protokolls nicht erfüllt ist, bedarf es grundsätzlich nicht der Prüfung, ob die fragliche Tätigkeit die „Äußerung“ einer Meinung im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Der Gerichtshof hat nämlich im Urteil Patriciello lediglich daran erinnert, dass dieser Begriff „in einem weiten Sinn dahin aufzufassen ist, dass er Worte und Erklärungen umfasst, die ihrem Inhalt nach Aussagen entsprechen, welche subjektive Beurteilungen bilden“ ( 22 ), ohne jedoch dem vorlegenden Gericht zusätzliche Hinweise zu geben, um ihm die Prüfung zu gestatten, ob die Äußerungen des betroffenen Abgeordneten unter diesen Begriff fielen. Daher kann man nicht kategorisch ausschließen, dass irgendeine Erklärung in Bezug auf ein bestimmtes Thema, das im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion auf europäischer Ebene steht, wie die in meinen Vorbemerkungen genannten Themen ( 23 ), und eine persönliche Überzeugung des Abgeordneten ausdrückt, eine solche Äußerung darstellen kann.

58.

Es obliegt den Stellen, die mit der Anwendung des Protokolls beauftragt sind und für seine ordnungsgemäße Anwendung zu sorgen haben, vor allem dem Parlament, wenn ihm ein Antrag auf Aufhebung der Immunität vorgelegt wird, diese Frage im Einzelfall zu beantworten ( 24 ). Im vorliegenden Fall weise ich darauf hin, dass das Parlament im streitigen Beschluss davon Abstand nimmt, die in Rede stehende Tätigkeit ausdrücklich als „Äußerung“ einzustufen, was als ein Wille ausgelegt werden könnte, der Rechtsmittelführerin etwaige Zweifel zugutekommen zu lassen. Ein solcher Ansatz ist in Anbetracht des weiten Sinnes dieses Begriffs vorstellbar ( 25 ). Außerdem weise ich darauf hin, dass diese Frage auch im Verfahren vor dem Gericht nicht ausdrücklich behandelt wurde.

59.

Jedenfalls scheint es mir nicht relevant, mich im vorliegenden Rechtsmittelverfahren mit dieser Frage zu befassen, da die Rügen der Rechtsmittelführerin ausschließlich die Beurteilung des Kriteriums betreffend den „unmittelbaren und offenkundigen Zusammenhang“ mit dem Amt eines Europaabgeordneten durch das Gericht betreffen. Auf die Frage einzugehen, ob eine Fotomontage im Zusammenhang mit einem Ereignis, das möglicherweise nie stattgefunden hat, die „Äußerung“ einer Meinung im Sinne von Art. 8 des Protokolls darstellt, liefe darauf hinaus, den Umfang der gerichtlichen Überprüfung im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens zu überschreiten.

b)   Prüfung der Rügen der Rechtsmittelführerin

60.

Die vorstehenden Erwägungen stellen die Grundlage dar, auf der die Rügen der Rechtsmittelführerin nun zu prüfen sind. Wie ich in dieser Analyse darlegen werde, deuten diese Rügen auf ein fehlerhaftes Verständnis des angefochtenen Urteils hin, so dass Zweifel an der Begründetheit ( 26 ) des ersten Rechtsmittelgrundes bestehen.

1) Zur ersten Rüge

61.

Erstens hat das Gericht – entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin – in Rn. 53 des angefochtenen Urteils nicht festgestellt, dass das angebliche Ereignis, das im streitigen Tweet kommentiert werde, aufgrund seiner geografischen Lokalisierung in Frankreich nicht Teil der Angelegenheiten sei, die für einen Europaabgeordneten von Bedeutung seien. Im Gegenteil schloss das Gericht nicht kategorisch aus, dass Ereignisse, die mit Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Islamismus und mit der Verletzung der Rechte der Frauen verbunden seien – die mehrere Länder auf der Welt, einschließlich Frankreich, betreffen –, tatsächlich Fragen von allgemeinem Interesse darstellen könnten.

62.

Es ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht konkret darlegte, dass „sich das Foto und der streitige Tweet eher als ein Wille darstellen, auf ein Verhalten hinzuweisen, das dem französischen Recht widerspricht, als ein Ausdruck des Anliegens, die Rechte der Frauen zu verteidigen“. Das Gericht schloss daraus, dass „der Umstand, dass die [Rechtsmittelführerin] stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für die Rechte der Frau und Chancengleichheit des Parlaments ist, den streitigen Tweet nicht mit dem von ihr als Abgeordnete ausgeübten Amt in Verbindung bringen kann“. Diese Beurteilung des Sachverhalts, die in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts fällt, kann im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens nicht in Frage gestellt werden, zumal die Rechtsmittelführerin keinen Beweis für einen etwaigen Rechtsfehler vorgelegt hat.

63.

Demnach ist diese Rüge zurückzuweisen, da sie auf einer unzutreffenden Lesart des angefochtenen Urteils beruht.

2) Zur zweiten Rüge

64.

Das Gericht stellte entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin auch nicht fest, dass grundsätzlich eine Äußerung zwangsläufig eine allgemeine Stellungnahme sei und sich nicht auf ein bestimmtes Ereignis beziehen könne. Aus Rn. 46 des angefochtenen Urteils geht nämlich hervor, dass das Gericht für die Prüfung, ob der streitige Tweet eine Äußerung der Rechtsmittelführerin in Ausübung ihres parlamentarischen Amtes darstellte, diesen Begriff nicht auf allgemeine Stellungnahmen unter Ausschluss jeder Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis beschränkt hat. Vielmehr hat sich das Gericht auf den vom Gerichtshof entwickelten und oben angeführten Begriff „Äußerung“ gestützt ( 27 ), wonach diese im weiten Sinne zu verstehen ist und so keinen der beiden Fälle ausschließt.

65.

Dies vorausgeschickt, kann sich zwar eine Äußerung sicher auf ein bestimmtes Ereignis beziehen, jedoch steht fest, dass in der vorliegenden Rechtssache der streitige Tweet ein bestimmtes Ereignis betrifft, das sich an einem Ort in Frankreich abgespielt haben soll und keiner allgemeineren Stellungnahme zu aktuellen oder vom Parlament in den Debatten oder Arbeiten in den verschiedenen Ausschüssen gewöhnlich behandelten Themen ( 28 ), wie denjenigen, die ich in meinen Vorbemerkungen angeführt habe ( 29 ), gleichgesetzt werden kann. Man darf nicht vergessen, dass, wie ich weiter oben festgestellt habe, das Thema keinen unmittelbaren und in offenkundiger Weise ersichtlichen Zusammenhang mit dem Abgeordnetenamt der Rechtsmittelführerin hat, wie dies von Art. 8 des Protokolls verlangt wird.

66.

Da diese Rüge auf einer unzutreffenden Lesart des angefochtenen Urteils beruht, schlage ich vor, sie zurückzuweisen.

3) Zur dritten Rüge

67.

Abschließend scheint mir das von der Rechtsmittelführerin angeführte französische Gesetz vom 29. Juli 1881, das den streitigen Tweet als eine „Meinungsäußerung“ ansehe, im vorliegenden Kontext nicht relevant, zumal sich der Umfang der in Art. 8 des Protokolls vorgesehenen Immunität allein nach dem Unionsrecht bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestimmt sich nämlich im Gegensatz zu der nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a des Protokolls vorgesehenen parlamentarischen Unverletzlichkeit, die vom nationalen Recht abhängt, der Umfang der in Art. 8 des Protokolls vorgesehenen Immunität, da diese Vorschrift keinerlei Verweisung auf die nationalen Rechtsordnungen enthält, allein nach dem Unionsrecht ( 30 ).

68.

Folglich schlage ich vor, diese Rüge ebenso zurückzuweisen, da sie den autonomen Charakter des Unionsrechts verkennt.

c)   Zwischenergebnis

69.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist der erste Rechtsmittelgrund als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

C. Zum zweiten Rechtsmittelgrund

1.   Vorbringen der Parteien

70.

Zum offensichtlichen Beurteilungsfehler, den das Gericht bei der Würdigung des dritten Klagegrundes begangen haben soll, trägt die Rechtsmittelführerin drei Rügen vor.

71.

Die erste betrifft den Umstand, dass das Gericht festgestellt habe, „dass es nicht Sache des Parlaments ist zu wissen, ob die dem fraglichen Abgeordneten vorgeworfenen Tatsachen nachgewiesen sind“, obwohl das Parlament die Tatsachen geprüft habe und „in seinem Beschluss anerkannt hat, dass [die Rechtsmittelführerin] nicht die Urheberin des Tweets ist“.

72.

Mit ihrer zweiten Rüge beanstandet die Rechtsmittelführerin, das Gericht habe aus bestimmten Aktenstücken nicht die richtigen Rechtsfolgen gezogen, insbesondere aus Art. 42 des französischen Gesetzes vom 29. Juli 1881, das eine „Kaskadenhaftung“ festlege und den zuständigen nationalen Behörden gestatte, den Assistent der Rechtsmittelführerin, den Urheber des Tweets, getrennt von dieser zu verfolgen.

73.

Schließlich wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht mit ihrer dritten Rüge vor, es habe aus dem sie betreffenden Verweisungsbeschluss vor das Tribunal correctionnel (Strafgericht) die „umgekehrte Rechtsfolge gegenüber derjenigen gezogen, die [dieser Beschluss] verlangt“, da die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei und ihn sofort, nachdem sie von ihm Kenntnis erlangt habe, gelöscht habe, was beweise, dass sie keine Absicht gehabt habe, eine Straftat zu begehen. Außerdem drücke die Tatsache, dass die Rechtsmittelführerin als einzige vor ein Strafgericht verwiesen worden sei, während dem Urheber des streitigen Tweets eine Verjährung der Klage zugutegekommen sei, „die Verbissenheit eines Richters“ ihr gegenüber aus, also eine „Absicht, ih[r] politisch zu schaden, was eine für einen fumus persecutionis charakteristische Verhaltensweise“ sei.

74.

Das Parlament hält den zweiten Klagegrund für unzulässig. Zunächst habe die Rechtsmittelführerin nicht genauer ausgeführt, inwiefern die vom Gericht herangezogene Auslegung von Art. 9 des Protokolls, wonach es nicht Sache des Parlaments sei, zu bestimmen, ob der dem fraglichen Abgeordneten vorgeworfene Sachverhalt nachgewiesen sei, falsch sei, und folglich, worin der vom Gericht begangene Fehler bestehe. Die Rechtsmittelführerin führe auch nicht hinreichend genau die rechtlichen Argumente an, auf die sie ihre Rüge stütze, oder die Rechtsgrundlage, auf der das Gericht zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen. Das gelte auch für die auf Rn. 100 des angefochtenen Urteils abzielende Rüge, in der das Gericht festgestellt habe, dem Parlament könne nicht vorgeworfen werden, keine Konsequenz aus der Tatsache gezogen zu haben, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Urheberin des streitigen Tweets gewesen sei und ihn gelöscht habe, als sie von ihm erfahren habe.

75.

Sodann macht das Parlament geltend, es könne die Rechtsfolgen nicht erkennen, die das Gericht nach Auffassung der Rechtsmittelführerin aus Art. 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 hätte ziehen müssen, da rechtliches Vorbringen zur Stützung ihrer Rüge und eine Angabe der Rechtsgrundlage, auf der das Gericht zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen, fehlten.

76.

Schließlich macht das Parlament geltend, dass die Rechtsmittelführerin die Beurteilung des Beschlusses, mit dem sie vor das Strafgericht verwiesen worden sei, durch das Gericht nicht beanstanden könne, da es sich um ein Beweiselement handele. Die Würdigung der Tatsachen und Beweise sei jedoch keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels unterliege, außer im Fall der Verfälschung dieser Tatsachen und Beweise, was die Rechtsmittelführerin nicht vorgebracht habe und was sich nicht offenkundig aus dem Akteninhalt ergebe.

2.   Würdigung

a)   Zur ersten Rüge

77.

Zur ersten Rüge des zweiten Klagegrundes ist zunächst daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aus Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 168 Abs. 1 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hervorgeht, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss, andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig ( 31 ). Eine Rüge, die sich darauf beschränkt, eine Randnummer des angefochtenen Urteils zu kommentieren, ohne stimmige rechtliche Ausführungen speziell zur Bezeichnung des Rechtsfehlers zu enthalten, mit dem diese Randnummer behaftet sein soll, entspricht diesem Erfordernis nicht und ist daher als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen ( 32 ).

78.

Sodann weise ich darauf hin, dass die Rechtsmittelführerin nicht angibt, worin genau der vom Gericht begangene Rechtsfehler bestehe. Sie führt auch nicht hinreichend genau die rechtlichen Argumente an, auf die sie ihre Rüge stützt, und sie gibt die Rechtsgrundlage, auf der das Gericht zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen, nicht an. Daher könnte man davon ausgehen, dass diese Rüge die oben angeführten Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt.

79.

Vorsorglich sind jedoch die von der Rechtsmittelführerin angeführten Passagen des angefochtenen Urteils zu prüfen, um festzustellen, ob offensichtliche Begründungsmängel – insbesondere in der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts – vorliegen, die einen Rechtsfehler darstellen könnten.

80.

Vorab weise ich darauf hin, dass die Analyse der Rn. 60 bis 62 des angefochtenen Urteils, auf die sich die Rechtsmittelführerin offensichtlich bezieht, nicht den Schluss zulässt, das Gericht habe einen Fehler bei der Würdigung des Sachverhalts begangen. Das Gericht beschränkt sich vielmehr darauf, zu Recht daran zu erinnern, dass die Frage, ob dem Abgeordneten die ihm vorgeworfenen Tatsachen zugerechnet werden können, in die Zuständigkeit der Behörden des Mitgliedstaats fällt, von dem der Antrag auf Aufhebung der Immunität stammt.

81.

Außerdem ist klarzustellen, dass das Gericht dem Parlament nicht vorwirft, die Zuständigkeit dieser Behörden missachtet zu haben. Tatsächlich nimmt das Parlament im streitigen Beschluss davon Abstand, eine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts im Hinblick auf das französische Strafrecht vorzunehmen, und beschränkt sich auf die Wiedergabe der strafrechtlichen Vorwürfe der französischen Justizbehörden gegenüber der Rechtsmittelführerin. Da das Parlament zudem darauf hinweist, dass das auf Twitter verbreitete Bild in Wirklichkeit eine von ihrem Assistenten veröffentlichte Fotomontage gewesen sei, die in weiterer Folge zurückgezogen worden sei, beschränkt sich das Parlament darauf, den Sachverhalt zusammenzufassen, der zum Antrag auf Aufhebung der Immunität führte. Das Parlament äußert sich nicht zur Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin für die etwaige Nutzung ihres Twitter-Kontos durch ihren Assistenten. Folglich stellen entgegen dem, was die Rechtsmittelführerin anzudeuten scheint, die in Rede stehenden Passagen des streitigen Beschlusses nur eine Kenntnisnahme des Sachverhalts durch das Parlament dar. Außerdem erlaubt nichts im angefochtenen Urteil die Annahme, dass das Gericht den Sinn und die rechtliche Bedeutung der Stellungnahme des Parlaments missverstanden hätte.

82.

Da das Gericht keinen Beurteilungsfehler begangen hat, der eine Verfälschung der Tatsachen darstellen könnte, schlage ich demnach vor, diese Rüge zurückzuweisen.

b)   Zur zweiten Rüge

83.

Hinsichtlich der zweiten Rüge teile ich die Kritik des Parlaments in Bezug auf die fehlende Klarheit des von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Arguments, das Gericht hätte „die Rechtsfolgen aus Art. 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 ziehen“ müssen. In Anbetracht des unzureichenden Vorbringens scheint mir auch diese Rüge nicht die in der Rechtsprechung festgelegten und oben angeführten Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels zu erfüllen ( 33 ).

84.

Der Vollständigkeit halber werde ich diese Rüge dennoch im Hinblick auf die Rn. 100 und 101 des angefochtenen Urteils prüfen, die nach Auffassung der Rechtsmittelführerin einen Beurteilungsfehler des Gerichts enthalten, auch wenn sie nicht darlegt, worin dieser Fehler bestehen und welche Rechtsfolgen er haben soll.

85.

Ich weise zunächst darauf hin, dass der von der Rechtsmittelführerin angeführte Art. 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 die Gruppen von Personen bestimmt, die für über die Presse begangene strafbare Handlungen verantwortlich sind. Es ist daher festzustellen, dass die in Rede stehende französische Bestimmung zum Bereich des innerstaatlichen Strafrechts gehört. Auch wenn nicht eindeutig zu erkennen ist, was sich die Rechtsmittelführerin konkret vom Gericht erwartet hätte, scheint sie mir im Wesentlichen die Anwendung des nationalen Rechts auf den vorliegenden Fall zu verlangen. Wenn diese Auslegung der Rüge zutrifft, schiene die Rechtsmittelführerin ihren Antrag auf den Gedanken gegründet zu haben, dass die in Rede stehende nationale Bestimmung ihr einen Vorteil verschaffen könnte, indem sie ihr erlaubte, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Dieser Gedanke wird jedoch nicht durch Beweise oder Tatsachen gestützt. Außerdem scheint mir zweifelhaft, dass dieser Gesichtspunkt für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens relevant sein könnte.

86.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, worauf das Gericht in Rn. 62 des angefochtenen Urteils hingewiesen hat, es nicht Sache des Parlaments ist, sich zu der Frage zu äußern, ob dem Abgeordneten die ihm vorgeworfenen Tatsachen zugerechnet werden können, da dies in die Zuständigkeit der Behörden des Mitgliedstaats fällt, von dem der Antrag auf Aufhebung der Immunität stammt. Nur diese Behörden sind nämlich befugt, in Ausübung der staatlichen Hoheit das Strafrecht des betreffenden Mitgliedstaats auszulegen und anzuwenden (ius puniendi) ( 34 ). Diese Überlegungen gelten erst recht für das Gericht, dessen Zuständigkeit sich darauf beschränkt, die gegen den streitigen Beschluss erhobene Nichtigkeitsklage zu prüfen. Folglich war das Gericht entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführerin nicht befugt, Art. 42 des Gesetzes vom 29. Juli 1881 auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

87.

Somit ist auch diese Rüge mangels Vorliegens eines Rechtsfehlers zurückzuweisen.

c)   Zur dritten Rüge

88.

Hinsichtlich der dritten Rüge teile ich den Standpunkt des Parlaments, wonach die bloße Behauptung eines offenkundigen Fehlers, den das Gericht in der Beurteilung eines Beweises begangen habe – nämlich des Beschlusses vom 26. April 2018, mit dem der mit der Untersuchung befasste Vizepräsident des Tribunal de grande instance de Bobigny (Gericht erster Instanz Bobigny) die Rechtsmittelführerin vor das Tribunal correctionnel (Strafgericht) verwies –, nicht die oben angeführten Bestimmtheitskriterien eines Rechtsmittelgrundes erfüllt. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, welcher Fehler begangen worden sein soll und welche „Rechtsfolgen“ das Gericht aus der Beurteilung dieses Beweises hätte ziehen sollen.

89.

Der Vollständigkeit halber werde ich dennoch prüfen, ob das Gericht in Rn. 101 des angefochtenen Urteils, die die Rechtsmittelführerin in ihren Erklärungen anführt, einen Fehler begangen hat.

90.

Wie ich bereits in meinen Vorbemerkungen ausgeführt habe, ist die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens auf Rechtsfragen beschränkt, was für die gerichtliche Kontrolle einer Würdigung des Sachverhalts und der Beweise u. a. bedeutet, dass dieser zu prüfen hat, ob das Gericht die richtigen Kriterien angewandt hat, ob es sie rechtlich zutreffend eingestuft hat und ob es daraus rechtlich begründete Schlussfolgerungen gezogen hat ( 35 ).

91.

Die Rechtsmittelführerin stützt sich nach meinem Dafürhalten auf die Informationen, die in dem oben angeführten Beschluss enthalten sind, als Beweismittel zur Untermauerung des Gedankens, dass gegen sie keine Strafverfolgung hätte stattfinden dürfen, da es ihr Assistent gewesen sei, der den streitigen Tweet veröffentlicht habe. Die Rechtsmittelführerin beklagt sich nämlich in ihren Schriftsätzen darüber, dass sie „die einzige ist, die vor das Strafgericht verwiesen wurde, da zugunsten [ihres] Assistenten Verjährung eingetreten ist“. Unterstellt man, dass diese Auslegung des Standpunkts der Rechtsmittelführerin zutrifft, scheint diese dem Gericht vorzuwerfen, es habe daraus nicht die „Rechtsfolgen“ gezogen, d. h., den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären, weil dieser sich auf eine unrichtige Annahme, nämlich die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin, gestützt habe.

92.

Auf dieses Argument ist zu erwidern, dass, wie ich bereits ausgeführt habe, das Gericht nicht befugt ist, über die Frage zu befinden, ob der in Rede stehenden Abgeordneten die ihr vorgeworfenen Tatsachen zugerechnet werden können, da diese Frage ausschließlich dem nationalen Recht unterliegt ( 36 ). Folglich hätte das Gericht, unabhängig vom Ausgang der anhängigen Strafverfolgung, die gerade zum Ziel hat, diese Frage zu klären, und zur Verurteilung oder zum Freispruch der Rechtsmittelführerin führen kann, nicht an die Stelle der nationalen Justizbehörden treten und den streitigen Beschluss wegen einer etwaigen fehlenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit für nichtig erklären können. Das Gericht hat daher zu Recht davon Abstand genommen, sich zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Rechtsmittelführerin zu äußern, und sich darauf beschränkt, sich auf den Beschluss vom 26. April 2018 zu beziehen, aus dem hervorgeht, dass der Untersuchungsrichter über hinreichende Anhaltspunkte verfügt, um die Verweisung der Rechtsmittelführerin vor das Strafgericht zu rechtfertigen.

93.

Da die Argumentation der Rechtsmittelführerin offensichtlich auf einer Verkennung der Zuständigkeitsverteilung zwischen den nationalen Justizbehörden und dem Unionsrichter gründet, ist sie zurückzuweisen.

94.

Die Rechtsmittelführerin scheint auch die Erwägungen des Gerichts in Rn. 101 des Urteils zum angeblich fehlenden fumus persecutionis zu beanstanden. Ihres Erachtens „drückt [Beschluss vom 26. April 2018] die Verbissenheit eines Richters gegenüber einem Gewählten aus, den man um jeden Preis vor ein Strafgericht zerren will“, in „der Absicht, ihm politisch zu schaden“. Daraus kann man ableiten, dass die Rechtsmittelführerin dem Gericht vorwirft, die Umstände des vorliegenden Falles nicht ordnungsgemäß beurteilt zu haben und folglich den streitigen Beschluss nicht für nichtig erklärt zu haben.

95.

Insoweit weise ich zunächst darauf hin, dass aus dem streitigen Beschluss klar hervorgeht, dass das Parlament auf der Grundlage einer Würdigung des Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt war, dass ein Verdacht des fumus persecutionis fehle. Der vom Rechtsausschuss des Parlaments vorbereitete Bericht über den Antrag auf Aufhebung der Immunität weist nämlich ausdrücklich darauf hin, dass „keine hinreichend ernsthafte Vermutung besteht, dass die auf eine von der CAF eingereichte Beschwerde wegen Ehrverletzung gegenüber einer öffentlichen Verwaltung eröffnete gerichtliche Voruntersuchung in der Absicht eingeleitet wurde, der parlamentarischen Tätigkeit der [Rechtsmittelführerin] zu schaden“. Daher hatte das Gericht keinen objektiven Grund, das Zutreffen oder die Gültigkeit dieser Beurteilung in Frage zu stellen. Im Gegenteil wurde dem Gericht diese Beurteilung durch die im Beschluss vom 26. April 2018 enthaltenen Hinweise auf das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte, die die Verweisung der Rechtsmittelführerin vor das Tribunal correctionnel (Strafgericht) rechtfertigten, eher bestätigt. Die Rechtsmittelführerin hat daher zu Unrecht einen Rechtsfehler des Gerichts darin erblickt, dass dieses es verweigerte, eine allein auf eine Absicht, ihr zu schaden, gegründete Gefahr einer Verfolgung anzuerkennen.

96.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den Rn. 83 bis 101 des angefochtenen Urteils Vorbringen der Rechtsmittelführerin zum Nachweis des Bestehens eines fumus persecutionis genauestens untersucht und danach zur Gänze zurückgewiesen hat. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Beurteilung des Sachverhalts in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts fällt und die Rechtsmittelführerin kein kohärentes und hinreichend begründetes Vorbringen erstattet hat, das in Frage stellen könnte, dass die Begründung des Gerichts mit den Verfahrensgrundsätzen über die Würdigung der Tatsachen und Beweise im Rahmen einer Nichtigkeitsklage in Einklang steht, sind die Schlussfolgerungen des Gerichts zum Fehlen eines fumus persecutionis im vorliegenden Fall zu bestätigen.

97.

Folglich ist das von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte Argument mangels Fehlers bei der Beurteilung des Beschlusses vom 26. April 2018 als Beweismittel als unbegründet anzusehen.

98.

Nach alledem ist diese Rüge zurückzuweisen.

d)   Zwischenergebnis

99.

Aufgrund dieser Prüfung komme ich zu dem Ergebnis, dass der zweite Rechtsmittelgrund keinen Erfolg haben kann. Ich schlage vor, ihn als offensichtlich unzulässig oder jedenfalls offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

VII. Ergebnis

100.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2016, C 202, S. 266.

( 3 ) Urteil vom 6. September 2011, Patriciello (C‑163/10, im Folgenden: Urteil Patriciello, EU:C:2011:543).

( 4 ) Urteil vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament (T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23, Rn. 107).

( 5 ) Rn. 88 und 99 des angefochtenen Urteils.

( 6 ) Rn. 96 des angefochtenen Urteils.

( 7 ) Urteil vom 21. Oktober 2008, Marra (C‑200/07 und C‑201/07, EU:C:2008:579).

( 8 ) Urteil vom 21. Oktober 2008, Marra (C‑200/07 und C‑201/07, EU:C:2008:579, Rn. 24).

( 9 ) Urteil vom 19. Dezember 2019 (C‑502/19, EU:C:2019:1115, Rn. 82 bis 84).

( 10 ) Beschlüsse vom 16. September 2010, Dominio de la Vega/HABM (C‑459/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:533, Rn. 44), und vom 21. März 2019, Gollnisch/Parlament (C‑330/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:240, Rn. 109).

( 11 ) Beschluss vom 21. März 2019, Gollnisch/Parlament (C‑330/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:240, Rn. 110).

( 12 ) Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Belgien/Deutsche Post und DHL International (C‑148/09 P, EU:C:2010:726, Nr. 76).

( 13 ) Urteil des EGMR vom 8. Oktober 2009 (CE:ECHR:2009:1008JUD001266206).

( 14 ) Hervorhebung nur hier.

( 15 ) Siehe Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge.

( 16 ) Urteil Patriciello (Rn. 35). Hervorhebung nur hier.

( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Mehta, R. S., „Sir Thomas’s blushes: protecting parliamentary immunity in modern parliamentary democracies“, European Human Rights Law Review, 2012, Nr. 3, S. 309. Der Autor weist darauf hin, dass es nicht leicht sei, das Amt der Abgeordneten genau zu definieren, da sich deren Rolle im Lauf der Zeit weiterentwickele und an verschiedene konkrete Umstände anpasse. Das Widerstreben, es zu akzeptieren, dass sich ein Abgeordneter zu lokalen Aspekten äußere, sei verständlich, da die Union letztlich ein „Wesen mit begrenzten Zuständigkeiten“ sei. Andererseits würde es einen zu engen Ansatz darstellen, nur Tätigkeiten im Zusammenhang mit supranationalen Themen zu akzeptieren, insbesondere, wenn sich örtliche und regionale Aspekte als für die Politiken der Union relevant erwiesen, z. B. im Bereich der Agrarbeihilfen, der regionalen Entwicklung und der Regeln des Migrationsrechts.

( 18 ) Urteil Patriciello (Rn. 34).

( 19 ) Urteil Patriciello (Rn. 37 und 38).

( 20 ) Urteil Patriciello (Rn. 36). Hervorhebung nur hier.

( 21 ) Siehe Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.

( 22 ) Urteil Patriciello (Rn. 32).

( 23 ) Siehe Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.

( 24 ) Wie der Gerichtshof im Urteil vom 21. Oktober 2008, Marra (C‑200/07 und C‑201/07, EU:C:2008:579, Rn. 32 bis 42), festgestellt hat, unterliegt die Beurteilung der Voraussetzungen des Greifens der Immunität eines Europaabgeordneten der ausschließlichen Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Wenn sich die Gerichte bei der Anwendung von Art. 8 des Protokolls nicht sicher sind, wie dieser Artikel auszulegen ist, können sie dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV Fragen nach der Auslegung dieses Artikels des Protokolls vorlegen; letztinstanzliche Gerichte sind in diesem Fall zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. Der Gerichtshof hat jedoch darauf hingewiesen, dass das Parlament und die nationalen Gerichte loyal zusammenarbeiten müssen, um Konflikte bei der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Protokolls zu vermeiden, was in der Praxis bedeutet, dass, wenn gegen einen Europaabgeordneten Klage bei einem nationalen Gericht erhoben und diesem mitgeteilt wird, dass ein Verfahren zum Schutz der Vorrechte und Befreiungen des Abgeordneten eingeleitet worden ist, dieses Gericht das Gerichtsverfahren aussetzen und das Parlament ersuchen muss, so rasch wie möglich Stellung zu nehmen.

( 25 ) Wie Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:379, Nrn. 80 bis 87) darlegt, ist es im Bereich des Rechts schwierig, wenn nicht unmöglich, „Werturteile“ und „Tatsachenbehauptungen“ begrifflich eindeutig zu unterscheiden. Er weist außerdem darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht von einer reinen Dichotomie zwischen diesen beiden Begriffen ausgeht, also nicht zwischen einer „reinen Meinung“ und einer „Tatsachenbehauptung“ unterscheidet, sondern zwischen „reinen Tatsachenbehauptungen“ und „gemischten Äußerungen“, die sowohl Tatsachen- als auch Meinungselemente enthalten. Der Generalanwalt vertritt die Ansicht, dass ein Mitglied des Parlaments auf die Anliegen der Wähler aufmerksam machen und deren Interessen wahrnehmen können müsse. Deshalb müsse es geschützt durch die materielle Immunität die Freiheit haben, Tatsachen zu behaupten, die nicht überprüft sind oder sich als unwahr herausstellen können. In den meisten Fällen werde es sich um „gemischte Äußerungen“ im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte handeln. Ein Mitglied des Parlaments müsse sich daher auf den Grundsatz in dubio pro reo berufen können.

( 26 ) Vgl. Beschlüsse vom 13. September 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission (C‑495/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:571, Rn. 21), vom 19. Juni 2019, Linak/EUIPO (C‑820/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:514, Rn. 15 und 18), sowie vom 2. Juli 2019, Seven/Shenzhen Jiayz Photo Industrial (C‑31/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:554, Rn. 9 und 13).

( 27 ) Siehe Nr. 57 der vorliegenden Schlussanträge.

( 28 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen in der Rechtssache Patriciello (C‑163/10, EU:C:2011:379, Nr. 97), in denen er darlegt, dass Herzstück der Immunität seines Erachtens diejenigen Tätigkeiten sind, die die Ausübung des Amtes als Mitglied des Parlaments ausmachten. Dazu zählten u. a. die Äußerungen und Abstimmungen im Plenum des Parlaments, in den Ausschüssen, in den Delegationen und in den politischen Organen des Parlaments sowie in den Fraktionen. Er schlägt vor, dazu auch Tätigkeiten wie die Teilnahme als Mitglied des Parlaments an Konferenzen, Missionen und politischen Zusammenkünften außerhalb des Parlaments zu zählen.

( 29 ) Siehe Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.

( 30 ) Urteile vom 21. Oktober 2008, Marra (C‑200/07 und C‑201/07, EU:C:2008:579, Rn. 26), und Patriciello (Rn. 25).

( 31 ) Urteile vom 28. Februar 2018, mobile.de/EUIPO (C‑418/16 P, EU:C:2018:128, Rn. 35), vom 20. September 2016, Mallis u. a./Kommission und EZB (C‑105/15 P bis C‑109/15 P, EU:C:2016:702, Rn. 33 und 34), vom 24. März 2011, ISD Polska u. a./Kommission (C‑369/09 P, EU:C:2011:175), und vom 22. November 2007, Cofradía de pescadoresSan Pedro de Bermeo u. a./Rat (C‑6/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:702, Rn. 34).

( 32 ) Beschluss vom 21. März 2012, Fidelio/HABM (C‑87/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:154, Rn. 62).

( 33 ) Siehe Nr. 77 der vorliegenden Schlussanträge.

( 34 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Van Straaten (C‑150/05, EU:C:2006:381, Nr. 63), der die Auffassung vertritt, dass jede gerichtliche Entscheidung, Verurteilung oder Freispruch, Ausdruck des ius puniendi sei.

( 35 ) Vgl. in diesem Sinne Wathelet, M., Contentieux européen, 2. Aufl., Brüssel 2014, S. 479.

( 36 ) Siehe Nr. 86 der vorliegenden Schlussanträge.

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